Urteil des BVerfG vom 06.03.2006

BVerfG: politische partei, verfassungsbeschwerde, ausstrahlung, rechtsschutz, gewalt, verweigerung, chancengleichheit, vollzug, unterliegen, beitrag

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1545/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Anarchistischen Pogo - Partei Deutschlands (APPD),
vertreten durch ihren Vorstand,
dieser vertreten durch seinen Vorsitzenden Christo Großmann,
Tempelhofer Ufer 7, 10963 Berlin,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Christian Dreher,
Hauptstraße 30, 15907 Lübben/Spreewald -
gegen
a)
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. September 2005
– 2 B 11269/05.OVG -,
b)
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 1. September 2005 – 4 L
515/05.MZ -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Broß,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 6. März 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist
(§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann grundsätzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein;
denn sie enthält für den Antragsteller eine selbständige Beschwer, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere
Hauptsacheentscheidung deckt (vgl. BVerfGE 35, 263 <275>; 69, 315 <339 f.>; BVerfGK 3, 222 <225>).
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2. Die Auffassung der befassten Gerichte, die Ausstrahlung der Wahlwerbesendung der Beschwerdeführerin müsse
der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens nicht aufgegeben werden, weil bei summarischer Betrachtung der
Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine Klage offensichtlich unbegründet sei, ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen
Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; stRspr). Der in dieser Vorschrift verbürgte Anspruch auf eine
umfassende und wirksame gerichtliche Kontrolle in allen bestehenden Instanzen hat gerade in Eilverfahren erhebliche
Bedeutung. Hier kommt dem gerichtlichen Rechtsschutz die Aufgabe zu, irreparable Folgen soweit wie möglich
auszuschließen, die vor der abschließenden gerichtlichen Überprüfung durch die sofortige Vollziehung einer
hoheitlichen Maßnahme oder durch die Verweigerung einer von der öffentlichen Hand bereitgehaltenen Leistung
entstehen können. So kann vermieden werden, vollendete Tatsachen zu schaffen, die auch dann nicht mehr
rückgängig gemacht werden können, wenn sich das hoheitliche Handeln im Nachhinein als rechtswidrig erweist
(stRspr, vgl. zuletzt BVerfGE 93, 1 <13>; BVerfGK 3, 222 <225 f.>). Nicht wieder gut zu machende Folgen sind
soweit wie möglich auszuschließen (vgl. BVerfGE 51, 268 <284>). Überwiegende öffentliche Belange können es aber
rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Einzelnen zurückzustellen (vgl. BVerfGE 65, 1 <70 f.> m.w.N.). Aus
diesem Grund hat das Gericht regelmäßig eine Abwägung zwischen dem Interesse der öffentlichen Gewalt am
Vollzug ihrer Entscheidungen und dem privaten Interesse des Betroffenen an einem Vollzugsaufschub bis zur Klärung
im Hauptsacheverfahren vorzunehmen (vgl. BVerfGE 51, 268 <286>; 53, 30 <67>; BVerfGK 3, 222 <226>).
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b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse gerecht. Das Oberverwaltungsgericht hat seine
Entscheidung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auf die Erwägung gestützt, es spreche alles dafür, dass
die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens die Ausstrahlung der fraglichen Wahlwerbesendung zu Recht
zurückgewiesen habe.
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aa) Begehrt eine wahlwerbende Partei die angemessene Teilhabe an Sendezeit zur Ausstrahlung von
Wahlwerbesendungen, so macht sie damit ihr Recht auf Chancengleichheit geltend (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Dem Umstand, dass die Verwirklichung dieses Rechts endgültig unmöglich ist, wenn die
Ausstrahlung nicht bis zum Wahltag gewährt wird, trägt das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
entscheidende Gericht jedenfalls dann ausreichend Rechnung, wenn es den Antrag mit der nachvollziehbar und
willkürfrei dargelegten Begründung ablehnt, ein Teilhabeanspruch bestehe nach den zur Zeit der Entscheidung
erwiesenen oder wahrscheinlichen Umständen nicht. Ob und inwieweit tatsächliche Umstände und rechtliche
Beurteilungen der nur vorläufigen, überschlägigen Aufklärung und Bewertung zugänglich sein können, und was daraus
für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den einstweiligen Rechtsschutz folgen kann, bedarf hier nicht der
Erörterung. Die befassten Gerichte haben auf erwiesener, unstreitiger Tatsachengrundlage eine vollständige,
umfassende und willkürfreie rechtliche Bewertung getroffen.
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bb) Die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Vorschriften des ZDF-Staatsvertrages und des
Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (§ 11 Abs. 2 ZDF-StV, § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 JMStV) können die
Zurückweisung von Wahlwerbesendungen politischer Parteien rechtfertigen. Die Parteien unterliegen bei ihrer
Wahlkampftätigkeit und mithin auch beim Verbreiten von Wahlwerbesendungen den allgemein geltenden Gesetzen.
Selbstverständlich darf Wahlwerbung nicht gegen die Verfassung oder die mit ihr im Einklang stehenden Gesetze
verstoßen oder gar Straftatbestände erfüllen (vgl. BVerfGE 47, 198 <230>). Der Intendant einer Fernsehanstalt hat
das ihm zustehende Prüfungsrecht bei der Beurteilung von Wahlwerbesendungen großzügig zu handhaben (vgl.
BVerfGE 69, 257 <269>). Nur ein evidenter Verstoß rechtfertigt eine Zurückweisung (vgl. BVerfGE 47, 198 <233>).
So werden die Parteien nicht gehindert, an der politischen Willensbildung teilzunehmen, sondern ihnen wird lediglich
verwehrt, dabei die von den verfassungsgemäßen Gesetzen gezogenen Grenzen zu überschreiten und anderweitig
geschützte wichtige Rechtsgüter zu verletzen (vgl. BVerfGE 47, 198 <230 f.>). Ob eine Wahlwerbesendung danach
zurückgewiesen werden durfte, obliegt der Beurteilung durch die dafür zuständigen Fachgerichte. Deren Entscheidung
ist von Verfassungs wegen nur zu beanstanden, wenn ihre Feststellungen und Wertungen in der fraglichen
Wahlwerbesendung keine Stütze finden (vgl. BVerfGE 47, 198 <239>; 69, 257 <271>).
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cc) Die Feststellungen und Wertungen des Oberverwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden. Das gilt zum einen
für seine Zweifel, ob es sich bei der fraglichen Sendung überhaupt um Wahlwerbung handelt. Es liegt sogar die Frage
nahe, ob die Beschwerdeführerin nach ihren Zielsetzungen und ihrem Auftreten als politische Partei bezeichnet
werden kann. Jedenfalls ist anhand des vom Oberverwaltungsgericht dargestellten Inhalts der Wahlwerbesendung der
Beschwerdeführerin von Verfassungs wegen nichts gegen die Bewertung zu erinnern, es handele sich um eine
offenkundige und schwerwiegende Missachtung der Menschenwürde, in der ein Beitrag zur politischen Willensbildung
nicht erblickt werden könne.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Broß
Osterloh
Mellinghoff