Urteil des BVerfG vom 09.07.2008
BVerfG: beschlagnahme, verfassungsbeschwerde, volk, europäische union, verdacht, meinungsfreiheit, kritik, ausländer, zukunft, kunstfreiheit
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 519/08 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der V..., Landesverband,
vertreten durch den Vorsitzenden,
2. des Herrn S...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Braeske, Hohnstädter, Thomas,
Thomasiusstraße 21, 04109 Leipzig -
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 30. Januar 2008 - 14 Qs 7/07 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 23. Januar 2008 - 14 Qs 7/07 -,
c)
den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 21. Dezember 2007 - 14 Qs 7/07 -,
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Eichberger,
Masing
am 9. Juli 2008 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Landgerichts Dresden vom 21. Dezember 2007 und vom 30. Januar 2008 - 14 Qs 7/07 - verletzen
die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Dresden zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Sachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in
Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
1
Die  Verfassungsbeschwerde  richtet  sich  gegen  die  in  einem  strafrechtlichen  Ermittlungsverfahren  angeordnete
Beschlagnahme sämtlicher Exemplare einer Jugendzeitschrift.
I.
2
1.  Die  Beschwerdeführerin  zu  1)  ist  Herausgeberin  der  Jugendzeitschrift  „perplex“.  Der  Beschwerdeführer  zu  2)  ist
Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes dieser Zeitschrift.
3
Die  erste  Ausgabe  der  Zeitschrift  „perplex“  wurde  mit  der  Begründung  beschlagnahmt,  es  bestehe  der  Verdacht
eines  strafbaren  Verstoßes  gegen  jugendschutzrechtliche  Vorschriften.  Im  Dezember  2007  wurde  die  insgesamt  16
Seiten umfassende Folgeausgabe veröffentlicht, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens war.
4
Auf  Seite  2  der  Zeitschrift  befindet  sich  das  Vorwort,  in  dem  sich  die  Redaktion  mit  der  Beschlagnahme  der
Erstausgabe auseinandersetzt. Darin heißt es zu dem Beschlagnahmebeschluss:
5
„[…] Der Beschluß… ist ein schlagender Beweis für die Umwandlung des früheren deutschen
Rechtsstaates in einen bundesrepublikanischen Linksstaat. Man hat es hier mit einem neuen
Totalitarismus im Gewande des 'Kampfes gegen Rechts' zu tun. Wir werden den dreisten
Rechtsmißbrauch des Jugendschutzgesetzes nicht hinnehmen und alle rechtlichen
Möglichkeiten ausschöpfen, um der Aushöhlung der Meinungsfreiheit entgegenzutreten. […]“
6
Unter  dem  Vorwort  ist  eine  Karikatur  des  Oberstaatsanwalts  abgebildet,  der  die  Beschlagnahme  veranlasst  hatte.
Die Karikatur zeigt den Oberstaatsanwalt auf einer Bühne. An seinen Händen sind Bindfäden befestigt, die von einer
großen Hand gehalten werden. Die Bildüberschrift lautet:
7
„Es ist bezeichnend, daß wieder einmal ein Oberstaatsanwalt gegen uns aktiv wurde, der
schon zu DDR-Zeiten Staatsanwalt war und es - mit Beförderung - auch heute noch ist.“
8
In  dem  Heft  befindet  sich  zudem  ein  Artikel  mit  der  Überschrift  „Arbeit,  Familie,  Vaterland  -  Wir  wollen  Zukunft!“.
Dieser Artikel lautet auszugsweise:
9
„Die Regierenden haben unser Land heruntergewirtschaftet. Unser Volk muß einen Niedergang
sondergleichen erleben. Die deutsche Jugend sieht einer düsteren Zukunft entgegen. Die Polit-
Bonzen dagegen reden alles schön. […] Tatsächlich haben uns die Polit-Bonzen nichts mehr
zu sagen. Sie machen sich nur wichtig und kassieren ihre dicken Diäten - dafür, daß sie
Knechte des Kapitals sind und das Volk mit ihrem Geschwätz ruhigstellen. […]
10
Wenn wir jungen Deutschen heute noch eine Zukunft haben wollen, dann müssen wir jetzt
handeln! […] Wir müssen anfangen, politischen Widerstand zu leisten. Wir müssen das
einfordern, was unserem Volk wieder eine Zukunft gibt: einen nationalen Staat und eine
soziale Gemeinschaft, die dem Leben wieder Sicherheit gibt.
11
Wir brauchen die nationale und soziale Wende. Das Volk muß das Großkapital vom Sockel
stoßen und sich die Macht zurückholen, damit wir unser Leben wieder in die Hand nehmen und
es nach unseren Bedürfnissen gestalten können. Wir jungen Deutschen müssen nur unsere
Zukunft endlich einfordern! […]“
12
Ein weiterer Artikel mit der Überschrift „Armut ist kein Schicksal - Wehr Dich!“ lautet auszugsweise:
13
„Die etablierten Parteien von CDU bis PDS sind dabei, unseren Sozialstaat kaputt zu machen,
weil sie jedes Jahr Milliardenbeträge für Ausländer und das Ausland verschleudern. Viele
Deutsche sind verzweifelt, weil sie einfach keine Arbeit finden oder von ihrer Arbeit kaum die
Familie ernähren können. […]
14
Der Skandal ist: Geld ist in diesem Land genügend vorhanden, es ist nur ungerecht verteilt.
[…] Geld wäre da, aber es wird für nichtdeutsche Aufgaben zweckentfremdet:
Milliardensummen werden jedes Jahr für Auslandseinsätze der Bundeswehr, Nettozahlungen
an die Europäische Union sowie Asylbetrüger und arbeitslose Ausländer vergeudet.
15
Die Lösung: Geld muß in Deutschland endlich wieder für deutsche Aufgaben ausgegeben
werden - für Familienpolitik, Arbeit und Bildung. Wenn der Sozialstaat fürs eigene Volk
erhalten bleiben soll, darf Deutschland nicht länger als Weltsozialamt mißbraucht werden.
16
Von den regierenden Polit-Bonzen haben wir nicht viel zu erwarten. Egal, ob sie sich christlich,
liberal, sozial oder links nennen, die Ergebnisse ihrer volksfeindlichen Politik sind immer die
selben: mehr Armut, mehr Ausländer, mehr Abwanderung. Die Polit-Bonzen kümmern sich
einen Dreck um das, was das Volk will; sie sind allein Befehlsempfänger des Großkapitals.
[…]
17
Sozial ist nur der, der für das Volk eintritt. Sozial geht nur national! Die zunehmende Armut
kann nur beseitigt werden, wenn man die Ursachen und die Verursacher bekämpft: die
Globalisierung, die Profitgier, die Raubtierkapitalisten und ihre politischen Helfershelfer. Wir
brauchen den Nationalstaat, der uneingeschränkt die Interessen des Volkes vertritt und die
Wirtschaft vor dem Ausverkauf schützt. […]“
18
Unter der Überschrift „Deutschland läßt sich nicht verbieten“ setzt sich die Redaktion erneut mit der Beschlagnahme
der  Erstausgabe  der  Zeitschrift  „perplex“  sowie  mit  Forderungen  nach  einem  Verbot  der  NPD  auseinander.  Dieser
Artikel lautet auszugsweise:
19
„[…] Natürlich ist der Vorwurf der ‚Jugendgefährdung’ absurd; die Begründung in dem
Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichts Dresden sachlich unbegründet und der
Gerichtsbeschluß selbst rechtswidrig. Aber: Recht ist heute, was den Mächtigen nützt.
20
Wir sind nun gespannt, ob sich der Oberstaatsanwalt S., der schon zu DDR-Zeiten als
Staatsanwalt ein Systemling war, nun auch ein zweites Mal erdreistet, einen rechtswidrigen
Beschluß zu beantragen und sich auch diesmal ein Richter findet, der einen - unserer Ansicht
nach - rechtswidrigen Beschluß ausstellt. Wir werden uns dann wieder mit juristischen Mitteln
zur Wehr setzen.
21
Genauso wie gegen uns als jugendliche Zeitungsmacher vorgegangen wird, versucht man sich
der NPD als einziger echter Opposition politisch bequem zu entledigen. […]
22
Dagegen kann man angesichts der katastrophalen Politik der Blockparteien die Frage
aufwerfen, ob es nicht die Blockparteien selbst sind, die die verfassungsmäßige Ordnung
beseitigen, z.B. durch den Ausverkauf des Volksvermögens, planmäßige Überfremdung durch
Ausländer und die Auflösung des Staates in einem supranationalen Gebilde wie der
Europäischen Union. Warum diskutiert die ach so 'freie' und 'kritische' Presse nicht einmal
diese Frage öffentlich?
23
Es bleibt die Erkenntnis, daß die 'gelenkte Demokratie' nicht nur im fernen Rußland, sondern
auch in der Bundesrepublik unschöne Wirklichkeit werden kann. Opposition ist den
Herrschenden auch hierzulande unbequem. Wenn ihnen die Argumente ausgehen, lassen sie
die Staatsanwaltschaft in Aktion treten. Ist das der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung, wie
wir es an den Schulen gelehrt bekommen? Wohl kaum! […]“
24
2.  Die  Staatsanwaltschaft  Dresden  beantragte,  sämtliche  Exemplare  der  zweiten  Ausgabe  der  Zeitschrift  „perplex“
gemäß  §  111b  Abs.  1  StPO  zur  Vorbereitung  einer  Einziehung  nach  §  74d  Abs.  1  StGB  zu  beschlagnahmen.  Das
Amtsgericht wies den Antrag zurück.
25
a) Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ordnete das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 21.
Dezember 2007 die Beschlagnahme antragsgemäß an. Die vorsätzliche Verbreitung der Zeitschrift in Kenntnis ihres
Inhalts verwirkliche nach vorläufiger Einschätzung der Kammer die Straftatbestände der § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 und
§ 185 StGB.
26
Durch  den  Inhalt  des  Heftes  würden  die  Bundesrepublik  Deutschland  und  ihre  verfassungsmäßige  Ordnung
beschimpft  und  böswillig  verächtlich  gemacht  (§  90a  Abs.  1  Nr.  1  StGB).  Im  Zusammenhang  mit  anderen
Textpassagen  des  Heftes  drücke  insbesondere  die  Formulierung,  man  habe  es  nun  mit  einem  neuen  Totalitarismus
im Gewande des „Kampfes gegen Rechts“ zu tun, eine besonders verletzende Missachtung und Herabwürdigung der
Bundesrepublik  und  ihrer  freiheitlich-demokratischen  Grundordnung  aus.  Die  Behauptungen,  „Polit-Bonzen“  seien
Knechte  des  Kapitals  oder  Befehlsempfänger  des  Großkapitals,  wenn  es  um  Macht  gehe,  dann  ließen  die
Herrschenden  alle  demokratischen  Grundsätze  fallen  und  die  „gelenkte  Demokratie“  könne  nicht  nur  im  fernen
Russland,  sondern  auch  in  der  Bundesrepublik  unschöne  Wirklichkeit  werden,  sprächen  der  Bundesrepublik  die
soziale  und  demokratische  Rechtsstaatlichkeit  ab.  Die  Forderungen  nach  einem  Nationalstaat  oder  nach  einer
nationalen  und  sozialen  Wende  und  die  Aufforderung,  junge  Deutsche  müssten  sich  die  Macht  zurückholen,  griffen
den  Bestand  der  Bundesrepublik  und  ihrer  Verfassungsgrundsätze  massiv  an.  In  der  Gesamtschau  dieser
Textpassagen  würden  die  freiheitliche  demokratische  Grundordnung  als  nicht  existent  und  die  Bundesrepublik  als
minderwertige  Staatsform  dargestellt,  die  durch  einen  nationalen  Sozialstaat  ersetzt  werden  müsse.  Der  Inhalt  des
Heftes  sei  nicht  lediglich  als  von  Art.  5  GG  geschützte  scharfe  und  unsachliche  Kritik  zu  bewerten,  da  er  über
Entstellungen,  Übertreibungen  und  Geschmacklosigkeiten  deutlich  hinausgehe  und  die  freiheitlich-demokratische
Grundordnung in ihren Grundsätzen berühre.
27
Aufgrund der Karikatur des Oberstaatsanwalts S. als Marionette und seiner Bezeichnung als „Systemling“ bestehe
zudem der dringende Verdacht einer nach § 185 StGB strafbaren Beleidigung.
28
Schließlich  hätten  die  fremdenfeindlichen  Äußerungen,  wie  etwa  Milliardenbeträge  würden  für  Ausländer  und  das
Ausland  „verschleudert“,  Geld  werde  für  nichtdeutsche  Aufgaben  „zweckentfremdet“  und  an  „Asylbetrüger  und
Ausländer  vergeudet“,  und  die  Forderung,  Geld  müsse  in  Deutschland  wieder  für  deutsche  Aufgaben  ausgegeben
werden, sowie die Parole „sozial geht nur national“ volksverhetzenden Charakter im Sinne von § 130 StGB.
29
b)  Die  Beschwerdeführer  beantragten  die  Nachholung  rechtlichen  Gehörs  gemäß  §  311a  StPO  und  lehnten  die  an
dem Beschluss vom 21. Dezember 2007 beteiligten Richter wegen Befangenheit ab.
30
Das Landgericht wies die Ablehnung der beteiligten Richter mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. Januar 2008
zurück.  Der  Beschwerdeführer  zu  2)  legte  hiergegen  sofortige  Beschwerde  ein,  die  das  Oberlandesgericht  als
unbegründet  verwarf.  Das  Ablehnungsgesuch  sei  unzulässig  gewesen,  da  es  erst  nach  Erlass  des
Beschlagnahmebeschlusses und damit verspätet gestellt worden sei.
31
Das  Landgericht  wies  mit  dem  angegriffenen  Beschluss  vom  30.  Januar  2008  den  auf  §  311a  StPO  gestützten
Antrag auf Aufhebung des Beschlagnahmebeschlusses zurück. Auch bei einer im Lichte von Art. 5 GG angezeigten
restriktiven  Auslegung  der  Tatbestandsmerkmale  des  §  90a  StGB  stellten  die  in  der  Zeitschrift  veröffentlichten
Äußerungen nicht lediglich eine straflose ablehnende scharfe Kritik am Staat dar, sondern berührten die freiheitliche
demokratische Grundordnung in ihren Grundsätzen.
32
3. Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG.
33
4. Die sächsische Staatsregierung hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.
II.
34
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an
und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der
Verfassungsbeschwerde ist insoweit zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz
1  und  Art.  5  Abs.  3  GG  angezeigt.  Die  für  die  Beurteilung  maßgeblichen  verfassungsrechtlichen  Fragen  hat  das
Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet. Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig und im Umfang
ihrer Zulässigkeit offensichtlich begründet.
35
1.  Die  Verfassungsbeschwerde  ist  überwiegend  zulässig.  Unzulässig  ist  sie  allerdings  insoweit,  als  die
Beschwerdeführer sich auch gegen den Beschluss vom 23. Januar 2008 wenden, mit dem ihr Befangenheitsgesuch
zurückgewiesen  wurde.  Hinsichtlich  dieser  Rüge  genügt  die  Begründung  der  Verfassungsbeschwerde  nicht  den
Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
36
Das  Vorbringen  der  Beschwerdeführer  zu  dem  Beschluss  vom  23.  Januar  2008  erschöpft  sich  im  Wesentlichen
darin,  eine  Besorgnis  der  Befangenheit  aus  der  von  ihnen  gerügten  materiellen  Rechtswidrigkeit  des
Beschlagnahmebeschlusses  herzuleiten.  Der  bloße  Umstand,  dass  ein  Spruchkörper  eine  rechts-  oder  auch
verfassungswidrige  Entscheidung  getroffen  haben  mag,  begründet  jedoch  noch  nicht  zwingend  oder  auch  nur
regelmäßig  Zweifel  an  der  Unvoreingenommenheit  der  Mitglieder  dieses  Spruchkörpers.  Zudem  hat  das
Oberlandesgericht  in  seiner  Entscheidung  über  die  sofortige  Beschwerde  ausgeführt,  das  Ablehnungsgesuch  der
Beschwerdeführer sei bereits unzulässig gewesen, da es erst nach dem Erlass des Beschlagnahmebeschlusses und
damit  verspätet  gestellt  worden  sei.  Danach  wäre  es  für  die  Entscheidung  über  den  Antrag  der  Beschwerdeführer
letztlich  auf  eine  denkbare  Besorgnis  der  Befangenheit  überhaupt  nicht  angekommen.  Hiermit  setzen  sich  die
Beschwerdeführer nicht auseinander.
37
2.  Soweit  die  Verfassungsbeschwerde  zulässig  ist,  ist  sie  offensichtlich  begründet.  Der  Beschluss  vom  21.
Dezember 2007, mit dem die Beschlagnahme angeordnet wurde, und der Beschluss vom 30. Januar 2008, mit dem
diese  Anordnung  bestätigt  wurde,  verletzen  das  durch  Art.  5  Abs.  1  Satz  1  GG  gewährleistete  Grundrecht  der
Beschwerdeführer  auf  freie  Meinungsäußerung  sowie  die  durch  Art.  5  Abs.  3  GG  gewährleistete  Kunstfreiheit  der
Beschwerdeführer.
38
a)  Die  Beschlagnahme  sämtlicher  Exemplare  der  zweiten  Ausgabe  der  Zeitschrift  „perplex“  greift  in  die  Meinungs-
und die Kunstfreiheit der Beschwerdeführer ein.
39
Durch  die  Beschlagnahme  wird  den  Beschwerdeführern  die  Verbreitung  der  in  der  Zeitschrift  enthaltenen
Meinungsäußerungen,  deren  Äußerung  von  Art.  5  Abs.  1  Satz  1  GG  geschützt  wird,  wegen  ihres  Inhalts  zeitweise
unmöglich  gemacht.  Soweit  die  Beschlagnahme  auch  an  die  in  der  Zeitschrift  abgedruckte  Karikatur  anknüpft,
verbietet sie die Verbreitung eines durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Kunstwerks. Insoweit geht die Kunstfreiheit
der Meinungsfreiheit als speziellere Norm vor (vgl. BVerfGE 75, 369 <377>).
40
Ob daneben auch ein Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Pressefreiheit vorliegt, bedarf hier
keiner  Entscheidung.  Hieraus  würde  sich  jedenfalls  im  Ergebnis  keine  abweichende  Beurteilung  ergeben,  da  die
Meinungs-  und  die  Pressefreiheit  gleichermaßen  Einschränkungen  nach  Maßgabe  von  Art.  5  Abs.  2  GG  zugänglich
sind.
41
b) Der in der Beschlagnahme liegende Grundrechtseingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
42
aa)  Zwar  sind  die  Grundrechte  aus  Art.  5  Abs.  1  Satz  1  und  letztlich  auch  Art.  5  Abs.  3  GG  nicht  schrankenlos
gewährleistet. Jedoch ergeben sich aus ihnen verfassungsrechtliche Anforderungen an die Auslegung und Anwendung
der für die Anordnung der Beschlagnahme maßgeblichen strafrechtlichen Normen.
43
(1) Die Meinungsfreiheit erfordert auf den Stufen der Normauslegung und Normanwendung eine Abwägung zwischen
der  Bedeutung  einerseits  der  Meinungsfreiheit  und  andererseits  des  Rechtsguts,  in  dessen  Interesse  sie
eingeschränkt  werden  soll  (vgl. BVerfGE  93,  266  <292  ff.>).  Zudem  ergeben  sich  aus  Art.  5  Abs.  1  Satz  1  GG
Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Der Äußernde darf in der Freiheit seiner Meinungsäußerung
nicht  aufgrund  von  Meinungen  eingeengt  werden,  die  er  zwar  hegen  oder  bei  anderer  Gelegenheit  geäußert  haben
mag, aber im konkreten Fall nicht kundgegeben hat (vgl. BVerfGE 82, 43 <52 f.>). Gerichtliche Entscheidungen, die
den  Sinn  der  umstrittenen  Äußerung  erkennbar  verfehlen  und  darauf  ihre  rechtliche  Würdigung  stützen,  verstoßen
gegen  das  Grundrecht  der  Meinungsfreiheit.  Dasselbe  gilt,  wenn  ein  Gericht  bei  mehrdeutigen  Äußerungen  die  zu
einer  repressiven  Sanktion  führende  Bedeutung  zugrundelegt,  ohne  vorher  die  anderen  möglichen  Deutungen  mit
schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; 107, 275 <282>; 114, 339 <349 f.>).
44
Bei der Auslegung und Anwendung insbesondere des im Ausgangsverfahren herangezogenen § 90a StGB als einer
Staatsschutznorm  ist  besonders  sorgfältig  zwischen  einer  -  wie  verfehlt  auch  immer  erscheinenden  -  Polemik  und
einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerade aus
dem  besonderen  Schutzbedürfnis  der  Machtkritik  erwachsen  ist  und  darin  unverändert  seine  Bedeutung  findet  (vgl.
BVerfGE 93, 266 <293>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 - 1 BvR 287/93 -,
NJW 1999, S. 204 <205>). Die Verfassung verbietet eine Auslegung des § 90a StGB, derzufolge bereits eine scharfe
Kritik  am  Staat  und  eine  Propaganda  für  -  sei  es  auch  verfassungsfeindliche  -  politische  Programme  unter  Strafe
gestellt wird. Erst wenn diese Kritik über die Propagierung bestimmter politischer Ziele hinaus den Staat beschimpft,
böswillig verächtlich macht oder verunglimpft, kann die Grenze zur Strafbarkeit überschritten sein (vgl. BVerfGE 47,
198  <231  ff.>).  Dementsprechend  kann  in  der  bloßen  Aufforderung  zu  einer  -  gewaltfreien  -  Beseitigung  der
bestehenden  staatlichen  Ordnung  und  zu  deren  Ersetzung  durch  ein  anderes  politisches  System  noch  kein
tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 90a StGB gesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2002
- 3 StR 446/01 -, NStZ 2002, S. 592 <593>; BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2002 - 3 StR 270/02 -, NStZ 2003, S.
145  <146>;  vgl.  ferner  BVerfG,  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Ersten  Senats  vom  24.  März  2001  -  1  BvQ  13/01  -,
NJW 2001, S. 2069 <2070>; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 261 ff.).
45
(2) Kommt es zu einem Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und dem durch § 185 StGB strafrechtlich geschützten
Persönlichkeitsrecht,  so  erfordert  die  Kunstfreiheit  eine  Interpretation  des  betroffenen  Kunstwerks,  die  den
spezifischen Wirkungsbedingungen von Kunst Rechnung trägt (vgl. zu literarischen Werken BVerfG, Beschluss vom
13.  Juni  2007  -  1  BvR  1783/05  -,  NJW  2008,  S.  39  <41  f.>).  Insbesondere  bei  Kunstwerken  mit  satirischem  und
karikierendem  Gehalt  erfordert  die  rechtliche  Beurteilung  eine  Ermittlung  des  Aussagekerns  des  Kunstwerks,  damit
sodann der Aussagekern und seine Einkleidung gesondert daraufhin überprüft werden können, ob sie eine Kundgabe
der Missachtung gegenüber der karikierten Person enthalten (vgl. BVerfGE 75, 369 <377 f.>).
46
(3)  Es  besteht  kein  Anlass,  im  vorliegenden  Fall  die  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  an  die  Deutung  von
Meinungsäußerungen  und  Kunstwerken  sowie  an  die  Auslegung  und  Anwendung  von  Normen,  die  die  Grundrechte
aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 3 GG einschränken können, deshalb zurückzunehmen, weil das Landgericht
mit  der  Beschlagnahme  eine  nur  vorläufige  Maßnahme  getroffen  hat,  die  auf  einer  gleichfalls  nur  vorläufigen
Beurteilung  der  Rechtslage  beruht  hat.  Gegenstand  der  verfassungsrechtlichen  Überprüfung  ist  hier  allein  die
strafrechtliche  Würdigung  eines  feststehenden  Sachverhalts,  an  die  für  die  umstrittene  Beschlagnahme  keine
geringeren  Anforderungen  zu  stellen  sind  als  an  eine  strafrechtliche  Verurteilung  aufgrund  der  von  dem  Landgericht
herangezogenen Äußerungsdelikte.
47
bb) Nach diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Beschlüsse, mit denen das Landgericht die Beschlagnahme
angeordnet und bestätigt hat, in offensichtlicher Weise nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
48
(1)  Die  Ausführungen,  mit  denen  das  Landgericht  den  Verdacht  einer  Straftat  nach  §  90a  Abs.  1  Nr.  1  StGB
begründet  hat,  stehen  bereits  mit  den  verfassungsrechtlichen  Vorgaben  für  die  Deutung  von  Meinungsäußerungen
nicht  in  Einklang.  In  der  Folge  kann  die  -  von  dem  Landgericht  ohnehin  nur  rudimentär  vorgenommene  -  Abwägung
des grundrechtlich geschützten Äußerungsinteresses der Beschwerdeführer mit gegenläufigen öffentlichen Interessen,
die durch § 90a StGB geschützt werden, den verfassungsrechtlichen Anforderungen gleichfalls nicht genügen.
49
(a)  Das  Landgericht  zitiert  zunächst  einige  Satzteile,  in  denen  der  Bundesrepublik  die  soziale  und  demokratische
Rechtsstaatlichkeit abgesprochen werde. Es fehlt jedoch an jeder Begründung dafür, dass die angeführten Zitate eine
derartige  Deutung  tragen.  Eine  solche  Deutung  drängt  sich  auch  keinesfalls  derart  auf,  dass  eine  nähere
Auseinandersetzung mit anderen möglichen Interpretationen entbehrlich wäre.
50
Die meisten der angeführten Passagen enthalten Angriffe auf die in der Bundesrepublik Regierenden. Diese werden
als „Polit-Bonzen“ und „Knechte des Kapitals“ oder „Befehlsempfänger des Großkapitals“ bezeichnet. Zudem heißt es
in der Zeitschrift, wenn es um die Macht gehe, dann ließen die Herrschenden alle demokratischen Grundsätze fallen.
Indes schützt § 90a StGB nicht die Persönlichkeitsrechte von Angehörigen staatlicher Organe, sondern verbietet eine
Beschimpfung  des  Staates  und  seiner  Ordnung  selbst.  Eine  Äußerung,  die  sich  ausdrücklich  nur  auf  staatliche
Funktionsträger  bezieht,  kann  allenfalls  in  Ausnahmefällen  als  Angriff  auf  die  bestehende  staatliche  Ordnung
angesehen  werden,  da  eine  solche  Deutung  das  verfassungsrechtlich  besonders  gewichtige  Interesse  an  einer
Meinungsäußerung einzuschränken droht, die die Ausübung politischer Macht kritisiert (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl.,
2008, § 90a Rn. 4; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., 2006, § 90a Rn. 6; beide m.w.N.).
Die  von  dem  Landgericht  zugrunde  gelegte  Deutung  der  Äußerungen  hätte  daher  einer  besonderen  Begründung
bedurft, die der angegriffene Beschluss nicht enthält.
51
Soweit das Landgericht darauf abstellt, in der Zeitschrift sei die Rede von einem neuen Totalitarismus im Gewande
des  „Kampfes  gegen  Rechts“,  ist  gleichfalls  nicht  ohne  weiteres  ersichtlich,  dass  diese  Äußerung  auf  die
Bundesrepublik  selbst  und  ihre  staatliche  Ordnung  zu  beziehen  ist  und  die  Staatsform  der  Bundesrepublik  als
minderwertig  dargestellt  wird.  Es  kann  sich  insoweit  auch  um  eine  Kritik  am  Vorgehen  staatlicher  Funktionsträger
handeln, das an den Verfassungsgrundsätzen der Bundesrepublik gemessen wird. In dieser Deutung würde die zitierte
Äußerung  nicht  die  Bundesrepublik  und  ihre  Verfassungsgrundsätze  angreifen,  sondern  vielmehr  ein  Verhalten
einzelner  Amtsträger  kritisieren,  das  diesen  Grundsätzen  nach  Auffassung  des  sich  Äußernden  nicht  genügt.  Das
Landgericht hat sich mit dieser Deutungsalternative nicht auseinandergesetzt.
52
Die  weiteren  von  dem  Landgericht  angeführten  Äußerungen,  der  frühere  deutsche  Rechtsstaat  habe  sich  in  einen
bundesrepublikanischen  Linksstaat  gewandelt  und  die  „gelenkte  Demokratie“  könne  nicht  nur  im  fernen  Russland,
sondern auch in der Bundesrepublik unschöne Wirklichkeit werden, beziehen sich demgegenüber zwar ihrem Wortlaut
nach  auf  die  Bundesrepublik  als  Ganzes.  Jedoch  erscheint  die  Interpretation  des  Landgerichts,  dass  damit  der
Bundesrepublik die soziale und demokratische Rechtsstaatlichkeit abgesprochen wird, zumindest nicht ohne weiteres
zwingend. Die beiden zitierten Textstellen können auch als Kritik an Missständen verstanden werden, deretwegen die
gegenwärtige  politische  Lage  in  der  Bundesrepublik  hinter  dem  Idealbild  eines  sozialen  und  demokratischen
Rechtsstaats zurückbleibt, ohne dass ihr diese Eigenschaft schlechthin abgesprochen würde. Auch insoweit hat sich
das Landgericht mit der Deutungsalternative nicht auseinandergesetzt.
53
(b) Das Landgericht führt weiter aus, die Forderung nach einem Nationalstaat und nach einer nationalen und sozialen
Wende  sowie  die  Aufforderung,  junge  Deutsche  müssten  sich  die  Macht  zurückholen,  greife  den  Bestand  der
Bundesrepublik und ihrer Verfassungsgrundsätze massiv an.
54
Diese Ausführungen sind teilweise bereits darum nicht nachvollziehbar, weil sich eine Aufforderung, junge Deutsche
müssten  sich  die  Macht  zurückholen,  in  der  Zeitschrift  nicht  findet.  Die  von  dem  Landgericht  wohl  in  Bezug
genommene Textpassage lautet vielmehr richtig:
55
„Das Volk muß das Großkapital vom Sockel stoßen und sich die Macht zurückholen, damit wir
unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen und es nach unseren Bedürfnissen gestalten
können. Wir jungen Deutschen müssen nur unsere Zukunft endlich einfordern!“
56
Diese  Textpassage  hat  einen  anderen  Gehalt  als  das  von  dem  Landgericht  angeführte  Fehlzitat.  Die  Deutung  des
Landgerichts kann schon deshalb keinen Bestand haben.
57
Im Übrigen geht das Landgericht nicht darauf ein, dass die bloße Forderung nach einer Beseitigung der bestehenden
staatlichen  Ordnung  und  ihrer  Verfassungsgrundsätze  sowie  nach  der  Ersetzung  dieser  Ordnung  durch  eine  andere
von  §  90a  StGB  nicht  unter  Strafe  gestellt  wird.  Das  Landgericht  führt  selbst  nicht  aus,  dass  in  den  zitierten
Textstellen  über  eine  solche  Forderung  hinausgehend  die  staatliche  Ordnung  der  Bundesrepublik  geschmäht  würde.
Unter  welchen  Voraussetzungen  ein  Aufruf  zum  Umsturz  wegen  seiner  Form  oder  wegen  der  von  dem  Aufrufenden
geforderten Art und Weise des Umsturzes als tatbestandsmäßig im Sinne des § 90a StGB angesehen werden kann,
bedarf angesichts dessen hier keiner Entscheidung.
58
(c)  Schließlich  lässt  das  Landgericht  den  Kontext  der  von  ihm  zitierten  Äußerungen  außer  Acht.  Zumindest  einige
dieser  Äußerungen  stehen  jedoch  in  einem  Zusammenhang,  der  es  in  gesteigertem  Maße  begründungsbedürftig
erscheinen  lässt,  dass  sich  aus  den  Zitaten  eine  Verächtlichmachung  der  Bundesrepublik  und  ihrer
verfassungsmäßigen Ordnung ergeben soll.
59
So  folgt  auf  die  von  dem  Landgericht  zitierten  Äußerungen  zur  Umwandlung  des  deutschen  Rechtsstaats  in  einen
bundesrepublikanischen Linksstaat und zu einem neuen Totalitarismus des „Kampfes gegen Rechts“ unmittelbar der
Satz:
60
„Wir werden den dreisten Rechtsmißbrauch des Jugendschutzgesetzes nicht hinnehmen und
alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um der Aushöhlung der Meinungsfreiheit
entgegenzutreten.“
61
In diesem Zusammenhang erscheint eine Interpretation der Äußerungen dahingehend möglich und naheliegend, dass
nicht  die  rechtsstaatliche  Ordnung  der  Bundesrepublik  als  solche  angegriffen  werden  soll,  sondern  ein  Verhalten
bestimmter Machtträger, das mit dieser Ordnung nicht zu vereinbaren ist. Danach würden die angeführten Äußerungen
nicht  eine  Abwertung  der  Bundesrepublik,  sondern  allenfalls  bestimmter  Funktionsträger  enthalten.  Mit  dieser
Interpretationsmöglichkeit hat das Landgericht sich nicht auseinandergesetzt.
62
Auch die Passage, in der auf die Möglichkeit einer „gelenkten Demokratie“ in der Bundesrepublik hingewiesen wird,
steht  in  einem  Kontext,  der  zumindest  besonders  begründungsbedürftig  erscheinen  lässt,  dass  hierin  eine
Verächtlichmachung  der  Bundesrepublik  und  ihrer  verfassungsmäßigen  Ordnung  gesehen  werden  kann.  Dieser
Passage folgen die Sätze:
63
„Opposition ist den Herrschenden auch hierzulande unbequem. Wenn ihnen die Argumente
ausgehen, lassen sie die Staatsanwaltschaft in Aktion treten. Ist das der Rechtsstaat und die
Gewaltenteilung, wie sie es an den Schulen gelehrt bekommen? Wohl kaum!“
64
Der Kontext auch dieser von dem Landgericht zitierten Äußerung lässt demnach eine Deutung zu, derzufolge diese
Äußerung  sich  nicht  gegen  die  bestehende  staatliche  Ordnung,  sondern  gegen  ein  Verhalten  von  Funktionsträgern
richtet,  das  dieser  Ordnung  zuwiderläuft.  Auch  mit  dieser  Deutungsalternative  hat  das  Landgericht  sich  nicht
auseinandergesetzt.
65
(2)  Die  Ausführungen,  mit  denen  das  Landgericht  den  Verdacht  einer  Volksverhetzung  im  Sinne  des  §  130  StGB
begründet,  genügen  gleichfalls  nicht  annähernd  den  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  an  die  Deutung  von
Äußerungen und an die Zuordnung der betroffenen gegenläufigen Interessen.
66
Das Landgericht zählt lediglich einzelne Äußerungen auf und kennzeichnet diese als fremdenfeindlich. Sodann stellt
das Landgericht fest, die aufgeführten Äußerungen hätten volksverhetzenden Charakter, ohne dies zu begründen oder
auch nur anzugeben, welchen der in § 130 StGB enthaltenen Straftatbestände es für verwirklicht hält.
67
Dieses  Vorgehen  entspricht  den  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  nicht.  Das  Landgericht  durfte  zum  einen
nicht  offenlassen,  an  welchem  der  Tatbestände  des  §  130  StGB  es  die  zitierten  Äußerungen  misst,  da  die
unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an
die  Auslegung  und  Anwendung  der  Norm  von  Bedeutung  sind  (vgl.  BVerfG,  Beschluss  der  1.  Kammer  des  Ersten
Senats vom 12. November 2002 - 1 BvR 232/97 -, NJW 2003, S. 660 <662>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Ersten Senats vom 25. März 2008 - 1 BvR 1753/03 -, unter II 2 b). Zum anderen hätte das Landgericht die zitierten
Textpassagen unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben deuten müssen. An einer solchen Deutung fehlt
es in den angegriffenen Beschlüssen mit Blick auf § 130 StGB vollständig.
68
(3)  Schließlich  stehen  auch  die  Ausführungen,  mit  denen  das  Landgericht  den  Verdacht  einer  Beleidigung  (§  185
StGB) zum Nachteil von Oberstaatsanwalt S. begründet, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang.
Die Begründung des Landgerichts erschöpft sich wiederum darin, zwei Passagen aus der Zeitschrift anzuführen und
diesen ohne Begründung einen beleidigenden Inhalt zuzuschreiben.
69
Die Ausführungen des Landgerichts genügen hinsichtlich der Bezeichnung des Oberstaatsanwalts als „Systemling“
jedenfalls  nicht  den  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  an  die  Abwägung  der  Interessen,  die  für  und  gegen  eine
Unterdrückung  der  Äußerung  sprechen.  Das  Landgericht  hat  die  Meinungsfreiheit  der  Beschwerdeführer  im
Zusammenhang  mit  der  Prüfung  von  §  185  StGB  nicht  erwähnt.  Auch  in  der  Sache  ist  nicht  erkennbar,  dass  das
Landgericht den durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten grundrechtlichen Schutz des Äußerungsinteresses der
Beschwerdeführer  erkannt  hat.  Im  Rahmen  der  von  Verfassungs  wegen  erforderlichen  Abwägung  wäre  zu
berücksichtigen  gewesen,  dass  die  Bezeichnung  als  „Systemling“  sich  im  Zusammenhang  einer  Kritik  an  der
Beschlagnahme  der  Erstausgabe  der  Zeitschrift  „perplex“  und  an  dem  Umgang  staatlicher  Organe  mit
Rechtsextremisten allgemein findet. Insofern hätte das Landgericht zumindest erwägen müssen, ob es sich um eine
Äußerung  zu  einer  die  Öffentlichkeit  wesentlich  berührenden  Frage  handelt,  für  deren  Zulässigkeit  eine  Vermutung
streitet (vgl. BVerfGE 93, 266 <294 f.>; stRspr). Hierzu hat das Landgericht keine Ausführungen gemacht.
70
Soweit das Landgericht den Verdacht einer Beleidigung aus der Karikatur
eines  Staatsanwalts  herleitet,  hat  es  sich  nicht  mit  den  verfassungsrechtlichen  Anforderungen  an  die  Deutung
künstlerischer  Äußerungen  auseinandergesetzt,  durch  die  sich  Dritte  in  ihrem  Persönlichkeitsrecht  beeinträchtigt
sehen. Insbesondere hat das Landgericht nicht den Aussagekern der Karikatur ermittelt und ihn sowie die karikative
Einkleidung  getrennt  voneinander  daraufhin  überprüft,  ob  sie  eine  Kundgabe  der  Missachtung  des  Staatsanwalts
enthalten.
71
Selbst wenn im Übrigen das Landgericht den Verdacht einer Beleidigung tragfähig begründet hätte, wäre in der Folge
zu  fragen  gewesen,  ob  die  Beschlagnahme  sämtlicher  Exemplare  der  Zeitschrift  allein  aufgrund  dieses  Verdachts
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügte. Mit dieser Frage hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt, da
es davon ausgegangen ist, dass der Inhalt der Zeitschrift auch gegen andere Strafgesetze verstößt. Diese rechtliche
Würdigung  des  Landgerichts  genügt  jedoch  -  wie  ausgeführt  -  gleichfalls  nicht  den  verfassungsrechtlichen
Anforderungen.
72
c) Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf den Verfassungsverstößen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
das  Landgericht  von  einer  Beschlagnahmeanordnung  abgesehen  hätte,  wenn  es  die  verfassungsrechtlichen
Anforderungen  an  die  Deutung  der  beanstandeten  Äußerungen  sowie  an  die  Abwägung  der  widerstreitenden
Rechtsgüter beachtet hätte.
73
3. Die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 3 GG führt zur Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse
und  zur  Zurückverweisung  der  Sache  an  das  Landgericht.  In  der  Folge  bedarf  keiner  Entscheidung,  ob  das
Landgericht dadurch, dass es den Anforderungen an die Deutung von Meinungsäußerungen und Kunstwerken sowie
an  die  Zuordnung  der  für  und  gegen  eine  Unterdrückung  solcher  Inhalte  sprechenden  Interessen  offenkundig  und  in
gewichtigem  Ausmaß  nicht  gerecht  geworden  ist,  auch  gegen  das  aus  Art.  3  Abs.  1  GG  folgende  Willkürverbot
verstoßen hat.
74
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes
des  Gegenstands  der  anwaltlichen  Tätigkeit  auf  §  37  Abs.  2  Satz  2  in  Verbindung  mit  §  14  Abs.  1  RVG  (vgl.  auch
BVerfGE 79, 357 <361 ff.>; 79, 365 <366 ff.>).
Papier
Eichberger
Masing