Urteil des BSG vom 02.04.2017

BSG (Bundesrepublik Deutschland, Kläger, Ausländer, Stand, Dauer, Verhalten, Gegenstand des Verfahrens, Unechte Rückwirkung, Sgg, Echte Rückwirkung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 17.6.2008, B 8/9b AY 1/07 R
Asylbewerberleistung - Analogleistung - rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der
Aufenthaltsdauer - generell-abstrakte Betrachtungsweise - Anforderung an
Vorbezugszeit - Neuregelung - Verfassungsmäßigkeit - Zurechnung des Fehlverhaltens
der Eltern - sozialgerichtliches Verfahren - mündliche Verhandlung - Anwendung des
Art 6 Abs 1 MRK - Beteiligter - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren -
Dauerverwaltungsakt - wesentliche Änderung
Leitsätze
1. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, die höhere Leistungen in
entsprechender Anwendung des SGB 12 (Analog-Leistungen) für Leistungsberechtigte nach
dem AsylbLG nach einem 36- bzw 48-monatigen Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG
(Grundleistungen) ausschließt, setzt ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes
vorsätzliches, sozialwidriges Verhalten unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls
voraus; hierfür genügt nicht schon die Inanspruchnahme einer ausländerrechtlichen Duldung,
wenn es dem Ausländer möglich und zumutbar wäre, freiwillig auszureisen (Aufgabe von BSG
vom 8.2.2007 - B 9b AY 1/06 R = SozR 4-3520 § 2 Nr 1).
2. Die Vorbezugszeit kann ausschließlich mit Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt werden;
die mit Wirkung vom 28.8.2008 erfolgte Ausdehnung der Vorbezugszeit auf 48 Monate erfasst
auch Leistungsberechtigte, die wegen der zuvor geltenden kürzeren Vorbezugszeit von 36
Monaten bereits Analog-Leistungen bezogen haben.
3. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter
Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer
verlängern kann.
Tatbestand
1 Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab 1.
Januar 2005. Die Kläger begehren insbesondere statt der Leistungen nach § 3 AsylbLG
Leistungen nach § 2 AsylbLG (so genannte Analog-Leistungen) unter entsprechender
Anwendung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
2 Die Kläger sind algerische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1 und seine Ehefrau, die Klägerin
zu 2, reisten mit ihren Kindern, dem damals noch minderjährigen Kläger zu 3 und dem
minderjährigen Kläger zu 4, am 10. Dezember 1998 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Der Kläger zu 3 hat am 5. November 2006 das 18. Lebensjahr vollendet. Die Kläger zu 5 und
6 sind am 28. Januar 1999 bzw 7. Juli 2000 in der Bundesrepublik Deutschland geboren.
3 Die Kläger zu 1 und 2 beantragten für sich und ihre Kinder Asyl. Im Rahmen der Anhörung am
7. Dezember 1998 gaben sie an, sie hätten bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Frankfurt
ihre Reisepässe vernichtet, um so eine Zurückweisung bzw Abschiebung nach Algerien zu
verhindern. Die Asylanträge wurden rechtskräftig (Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf
vom 21. Februar 2001, zugestellt am 3. April 2001) abgelehnt, die Kläger zur Ausreise
aufgefordert und ihnen unter Fristsetzung die Abschiebung angedroht. Die Kläger zu 2, 3 und
4 sind seit dem 4. Mai 2001 erkrankt; wegen dieser Erkrankungen wurde allen Klägern eine
Duldung erteilt. Sie bezogen in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 31. Dezember 2004 Leistungen
nach § 2 AsylbLG. Ab dem 1. Januar 2005 "stellte" der Beklagte die Leistungen nach § 2
AsylbLG "ein" und bewilligte ab dieser Zeit Leistungen nach §§ 3, 4 und 6 AsylbLG (Bescheid
vom 16. Dezember 2004; Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2005). Der Beklagte stützte
seine Entscheidung darauf, dass die Kläger die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst hätten. Sie hätten ihre Pässe auf dem Flughafen Frankfurt am Main
vernichtet und so einer möglichen Ausreise vorgebeugt. Daneben hätten die Kläger sich
geweigert, eine Erklärung zur Passersatzbeschaffung zu unterzeichnen. Ohne diese
Erklärung sei es der Ausländerbehörde nicht möglich, entsprechende Passersatzpapiere zu
beschaffen, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten und zu vollenden.
4 Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat den Beklagten "unter Aufhebung des Bescheides vom
16.12.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2005" … "verpflichtet, den Klägern
Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes - nach Maßgabe der gesetzlichen
Vorschriften - zu gewähren" (Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2005). Das Landessozialgericht
(LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil
ohne mündliche Verhandlung vom 19. April 2007). Zur Begründung seiner Entscheidung hat
das LSG ausgeführt, die Kläger hätten die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst. Voraussetzung sei eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv
vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition, die ein
Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt habe. Hierunter falle
zwar auch der Verbleib eines Ausländers in Deutschland, dem eine freiwillige Ausreise
möglich und zumutbar wäre; zudem hätten die Kläger durch die Passvernichtung anlässlich
ihrer Einreise gegen die bestehende Rechtsordnung gehandelt, sodass sie nach erfolglosem
Abschluss des Asylverfahrens mangels Besitzes von Pässen nicht sofort in ihr Heimatland
hätten abgeschoben werden können. Eine Ausreise sei für die Kläger als Familie aber nicht
zumutbar (Art 6 Grundgesetz ), weil die Kläger zu 2 bis 4 durchgehend vom 4. Mai 2001
bis zum 1. Januar 2005 "und auch darüber hinaus" krankheitsbedingt nicht reisefähig
gewesen seien.
5 Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 AsylbLG. Die vom LSG
getroffenen Feststellungen rechtfertigen nach seiner Ansicht weder die Annahme von
Reiseunfähigkeit noch der Unzumutbarkeit der Ausreise. Reiseunfähigkeit liege vor, wenn der
betroffene Ausländer transportunfähig sei. In diesem Zusammenhang müsse die Diagnose
einer posttraumatischen Belastungsstörung bezweifelt werden. Für die Frage der
rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer komme es ohnedies - entgegen
der Ansicht des LSG - nicht nur auf den Zeitraum nach rechtskräftiger Ablehnung des
Asylantrags, also den Zeitraum der Erkrankung, an, sondern auf die gesamte Dauer des
Aufenthalts im Bundesgebiet. Maßgeblich sei dabei eine abstrakte Betrachtungsweise, bei
der nur zu prüfen sei, ob das Verhalten der Kläger generell geeignet gewesen sei, die Dauer
ihres Aufenthaltes zu verlängern.
6 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klagen
abzuweisen.
7 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie halten die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
9 1. Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache
an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Mangels
ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kann der Senat nicht
entscheiden, ob die Kläger ab 1. Januar 2005 höhere Leistungen nach dem AsylbLG
beanspruchen können. Insbesondere bedarf es weiterer Feststellungen zur Vorbezugszeit
von Leistungen nach § 3 AsylbLG (dazu unter 9 - 12) und zur rechtsmissbräuchlichen
Beeinflussung der Aufenthaltsdauer (dazu unter 14 und 15).
10 2. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung
entgegenstünden, liegen nicht vor. Selbst wenn der Kammervorsitzende des SG angesichts
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht mit Gerichtsbescheid nach § 105 Abs
1 Satz 1 SGG hätte entscheiden dürfen und hierdurch die Kläger entgegen Art 101 Abs 1
Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung, entzogen
hat, war das LSG gemäß § 159 Abs 1 Nr 2 SGG zwar befugt, nicht aber verpflichtet, die
Sache an das SG zurückzuverweisen (BSGE 88, 274, 278 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1). Das
LSG durfte auch trotz der Garantie mindestens einer öffentlichen Anhörung im Laufe eines
mehrinstanzlichen Verfahrens (Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) wegen
des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs
2 SGG). Diese Garantie schützt lediglich gegen Vorenthaltung der Anhörung durch das
Gericht, verbietet aber keinen Verzicht auf mündliche Verhandlung durch die Beteiligten
selbst (Bundessozialgericht , Beschluss vom 21. Juni 1994 - 9 BV 38/94 - RdNr 4).
11 3. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16. Dezember 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2005 (§ 95 SGG). Die richtige Klageart
(Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG oder eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage nach §§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, 56 SGG) ist abhängig davon, ob der
angefochtene Bescheid vom 16. Dezember 2004 einen zuvor ergangenen Bescheid, der
Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Begrenzung über den 31. Dezember 2004
hinaus bewilligt hatte, abgeändert hat ("Einstellung" der Leistung nach § 2 AsylbLG ab dem
1. Januar 2005). In diesem Fall bedürfte es keiner Leistungsklage, weil mit der Aufhebung
des abändernden Bescheides der ursprüngliche Bescheid seine Wirkung wieder entfalten
würde, die Kläger ihr Ziel also bereits mit der Anfechtungsklage verwirklichen könnten
(stRspr; BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19 S 54; BSGE 49, 197, 198 f = SozR 4100 §
119 Nr 11, insoweit nicht abgedruckt). Hatte der Beklagte Leistungen bis zum 31. Dezember
2004 hingegen ohne Bescheid gezahlt oder einen etwaigen Bescheid auf die Zeit bis zum
31. Dezember 2004 begrenzt, wäre zur Erreichung des Klageziels auch eine Leistungsklage
erforderlich. Nach Aktenlage jedenfalls hat der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 24.
Juni 2003 Leistungen nach § 2 AsylbLG "ab dem 1. Juli 2003" bewilligt, die Bewilligung aber
auf den Monat Juli 2003 beschränkt und mit dem Zusatz "Werden aufgrund gleich
gebliebener Verhältnisse Leistungen für künftige Zeiträume durch Überweisung bewilligt,
entsprechen die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des vorliegenden
Bescheides" versehen. Für einen verständigen Erklärungsempfänger (vgl zu dieser
Voraussetzung: BSGE 89, 90, 100 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 13) wäre der objektive
Regelungsgehalt dieses Bescheids zeitlich auf den Monat Juli 2003 beschränkt, während
die Bewilligung für die Folgemonate nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs 2 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auf andere
Weise jeweils konkludent durch Überweisung erfolgt wäre (zum konkludenten Erlass eines
Verwaltungsaktes durch Auszahlung: BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 33 ;
BSG SozR 2200 § 182 Nr 103 S 218 f ; Bundesverwaltungsgericht
Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 17 ; zweifelnd noch
der nicht mehr zuständige 9b-Senat des Bundessozialgerichts : SozR 4-3520 § 2 Nr
1 RdNr 14). Das LSG wird dies zu verifizieren haben.
12 4. Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass sich der zu beurteilende Zeitraum auch
auf die Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheides erstrecken kann (aA noch das
BVerwG zum Bundessozialhilfegesetz mit der Ausnahme, dass der
Sozialhilfeträger Leistungen durch eine Vorabentscheidung dem Grunde nach für einen in
die Zukunft hineinreichenden, über den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung
hinausgehenden Zeitraum ablehnt: BVerwG Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 17); es ist
prozessökonomisch nicht nachvollziehbar, weshalb auf den Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung abgestellt werden müsste, wenn niedrigere Leistungen ohne
zeitliche Beschränkung "ab dem 01. 01. 2005" - wie hier - bewilligt werden, die Kläger den
geltend gemachten Anspruch nicht nur bis zur Entscheidung über den Widerspruch, sondern
auch für den Folgezeitraum geltend machen und der Beklagte sich auch in der Folgezeit
weigert, die beanspruchten Leistungen zu erbringen (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 -
B 8/9b SO 12/06 R - RdNr 9). Sollte sich nicht aus Folgebescheiden etwas anderes ergeben
(dazu unter 5), wäre somit der gesamte Zeitraum streitbefangen, der bis zum für die
Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt verstrichen ist (BSG aaO).
13 5. Das LSG wird deshalb zu prüfen haben, ob der Bescheid vom 16. Dezember 2004
seinerseits durch Folgebescheide abgeändert oder ersetzt wurde (§ 96 SGG). Hinsichtlich
der Anwendbarkeit des § 96 SGG bis 31. März 2008 gilt im Bereich des AsylbLG zwar nichts
anderes als für das SGB XII. Dort hat sich der Senat der Rechtsprechung des 7b-, 11b- und
14. Senats (vgl dazu BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 30; SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr
14; BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 7b AS 4/06 R - RdNr 10) des BSG zum Recht des
Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II)
angeschlossen und eine entsprechende Anwendung von § 96 SGG aF im Sozialhilferecht
für Folgezeiträume erfassende Bescheide abgelehnt, wenn der ursprüngliche, angegriffene
Bescheid den Leistungszeitraum begrenzt oder Leistungen ausdrücklich (nur) für einen
bestimmten Zeitraum ablehnt (Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 2/06 R; Urteil vom 11.
Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R). Werden Leistungen aber wie vorliegend zeitlich
unbegrenzt bewilligt, können Folgebescheide bei entsprechender inhaltlicher Regelung in
direkter Anwendung von § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werden. Dies gilt auch dann,
wenn mehrere aufeinander folgende Bescheide ergehen, die jeweils Leistungen nur für
einen bestimmten Zeitraum vorsehen; denn jeder dieser Bescheide ist dann ggf als den
ursprünglichen Dauerverwaltungsakt abändernder Bescheid zu verstehen.
14 6. Die Anwendung von § 96 SGG ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Bescheid vom
16. Dezember 2004 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG isoliert verneint oder
als Vorabentscheidung dem Grunde nach über die Kürzung laufender Hilfe zum
Lebensunterhalt (dazu BVerwG Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 17) zu verstehen wäre. Die
Beteiligten streiten nicht darüber, ob den Klägern Leistungen nach dem AsylbLG überhaupt
zustehen, sondern um die Höhe eines dem Grunde nach zugestandenen Anspruchs. Die
Rechtsprechung des früher zuständigen 9b-Senats des BSG (SozR 4-3520 § 2 Nr 1 RdNr
14) wird insoweit nicht fortgeführt. Zwar handelt es sich bei dem Streit um Analog- statt
Grundleistungen nicht um den typischen Höhenstreit, weil Analog-Leistungen in der Regel in
Form von Geldleistungen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des SGB XII und
Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, sieht man von dem monatlichen Geldbetrag zur
Deckung persönlicher Bedürfnisse nach § 3 Abs 1 Satz 3 AsylbLG ab, regelmäßig als
Sachleistungen erbracht werden (siehe aber § 3 Abs 2 AsylbLG). Anders als (früher) bei
einem Anspruch auf Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld (BSG, Urteil vom 23. Oktober
1985 - 7 RAr 54/84) handelt es sich bei Grundleistungen einerseits und Analog-Leistungen
andererseits aber nicht um unterschiedliche, nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang
selbständige Ansprüche. Dies belegt schon der Wortlaut ("abweichend von den §§ 3 - 7")
des § 2 Abs 1 AsylbLG. Entscheidend für die Charakterisierung als Höhenstreit ist, dass es
sich jeweils um Leistungen nach dem AsylbLG handelt, der Kreis der Leistungsberechtigten
sich aus § 1 AsylbLG ergibt und die Leistungen identischen Zwecken, nämlich der Deckung
der notwendigen Bedarfe, dienen, es sich bei Grundleistungen gegenüber Analog-
Leistungen also nicht um "andere" Leistungen handelt. Ob deshalb § 2 AsylbLG eine
Rechtsfolgenverweisung (ausführlich Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 94 ff, Stand Februar 2006;
A. Hauk, NVwZ 1994, 768, 769) oder Rechtsgrundverweisung auf § 23 SGB XII (so Decker
in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 2 AsylbLG RdNr 21 mwN, Stand Juni 2005) enthält, kann
offen bleiben. Für die Annahme eines Höhenstreits spricht nicht zuletzt § 9 Abs 1 AsylbLG,
wonach Berechtigte nach dem AsylbLG gerade "keine Leistungen" nach dem SGB XII (siehe
schon zu Analog-Leistungen nach dem BSHG: BT-Drucks 12/5008, S 15 zu § 1a) oder
vergleichbaren Landesgesetzen erhalten. § 2 AsylbLG will nur bestimmte
Leistungsberechtigte besser stellen. Ohnehin können nach § 3 Abs 2 AsylbLG auch die
Grundleistungen unter den dort genannten Voraussetzungen in Form von Geldleistungen,
wie vorliegend geschehen, gewährt werden, und höhere Leistungen können sich auch bei
den Grundleistungen ergeben, wenn Analog-Leistungen nicht zustehen.
15 7. Richtiger Beklagter ist institutionell der beteiligtenfähige (§ 70 Nr 3 SGG)
Oberbürgermeister - vorliegend eine Oberbürgermeisterin - der Stadt Remscheid. Nach § 3
des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Land NRW vom 8. Dezember
1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW 541, zuletzt geändert durch Gesetz vom
14. Dezember 1989 - GVBl NRW 678) sind Behörden fähig, an Verfahren vor den Gerichten
der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt zu sein. Behörden iS des SGG sind solche Stellen, die
durch organisationsrechtliche Befugnisse gebildet, vom Wechsel ihrer Amtsinhaber
unabhängig und nach der einschlägigen Zuständigkeitsregelung berufen sind, unter
eigenem Namen für den Staat oder einen Träger öffentlicher Verwaltung Aufgaben der
öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen (BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 8/06
R - RdNr 11). Behörde in diesem Sinne ist institutionell der Oberbürgermeister der Stadt
Remscheid als Organ und Behörde dieser Stadt, die nach § 1 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur
Ausführung des AsylbLG des Landes NRW (GVBl NRW 1994, 1087) zuständig für die
Durchführung des AsylbLG in der jeweils geltenden Fassung ist (mit Ausnahmen, die hier
nicht vorliegen).
16 8. Die Begründetheit der Revision kann sich an § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X messen, der eine
wesentliche Änderung nach Erlass eines früheren Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
voraussetzt, die in der Neufassung des § 2 AsylbLG ab 1. Januar 2005 durch das Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der
Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004
(BGBl I 1950) liegen kann. Die Anwendbarkeit des § 48 SGB X ergäbe sich dabei aus § 9
Abs 3 AsylbLG, der ausdrücklich auf die §§ 44 bis 50 SGB X Bezug nimmt (BSG SozR 4-
3520 § 2 Nr 1 RdNr 12; zur Anwendbarkeit der §§ 44 - 50 SGB X auf das Leistungsrecht des
AsylbLG vgl auch Senatsurteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R). Der Beklagte ist nicht
gehindert, den Hilfefall nach dem AsylbLG für einen längeren oder zunächst nicht befristeten
Zeitraum durch Dauerverwaltungsakt zu regeln (BSG SozR 4-3520 § 2 Nr 1 RdNr 12). Ist
jedoch mit dem angegriffenen Bescheid vom 16. Dezember 2004 kein vorausgegangener
Verwaltungsakt abgeändert worden (siehe unter 3), würde sich die Begründetheit der
Revision allein an § 2 AsylbLG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung messen.
17 9. Nach § 2 Abs 1 AsylbLG in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des
Zuwanderungsgesetzes ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf
diejenigen Leistungsberechtigten (des § 1 AsylbLG) entsprechend anzuwenden, die über
eine Dauer von insgesamt 36 Monaten (ab 28. August 2007 48 Monate; Art 6 Abs 2 Nr 2 des
Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union vom 19. August 2007 - BGBl I 1970) Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die
Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Kläger
gehören zum Kreis der Leistungsberechtigten. Leistungsberechtigte sind ua nach § 1 Abs 1
Nr 4 AsylbLG Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und eine Duldung
nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) besitzen. Die Kläger halten sich seit dem
10. Dezember 1998 bzw seit ihrer Geburt (Kläger zu 5 und 6) im Bundesgebiet auf. Ihnen
wurde nach Beendigung des Asylverfahrens im Hinblick auf die Erkrankung der Kläger zu 2 -
4 eine Duldung nach § 60a AufenthG erteilt.
18 Ob die Vorbezugszeit von 36 Monaten bzw 48 Monaten (dazu unter 12) mit Leistungen nach
§ 3 AsylbLG erfüllt ist, hat das LSG nicht ausdrücklich festgestellt. Den Feststellungen des
LSG lässt sich nur entnehmen, dass die Kläger in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 31. Dezember
2004 Analog-Leistungen bezogen haben. Zwingend kann allein hieraus aber nicht
geschlossen werden, dass die Kläger zuvor 36 Monate bzw zum Zeitpunkt des Inkrafttretens
des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union vom 19. August 2007 am 28. Juli 2007 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG
bezogen haben. Nach Aktenlage haben aber die Kläger zu 1 - 4 (mindestens) in der Zeit vom
21. Januar 1999 bis 30. Juni 2003 Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen, die Klägerin zu 5
(wohl) seit ihrer Geburt am 28. Januar 1999 bis 30. Juni 2003, sodass für sie die
Vorbezugszeit erfüllt sein dürfte. Auch dies wird das LSG zu verifizieren haben. Dabei sind
Bezugszeiten nach Unterbrechungen - unabhängig von der Dauer der Unterbrechungen -
nach Wortlaut ("insgesamt") sowie Sinn und Zweck der Regelung zu addieren (so auch
Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 1, Stand März 2007; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB
XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 13, Stand Oktober 2007). Ob dies ausnahmsweise bei
zwischenzeitlicher Rückkehr eines Leistungsberechtigten in sein Heimatland (neuer
Leistungsfall) oder sonstiger längerer Abwesenheit bzw längerem Untertauchen nicht gilt
(dazu die Rechtsprechung bei Hohm, aaO, und Decker in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 2
AsylbLG RdNr 12 mwN, Stand Juni 2005), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Anhaltspunkte für derartige Sachverhalte liegen nicht vor.
19 Die Klägerin zu 6, die frühestens seit ihrer Geburt am 7. Juli 2000 bis 30. Juni 2003
Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben kann und in der Folgezeit bis 31. Dezember
2004 nach den Feststellungen des LSG Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen hat, hat die
Vorbezugszeit allerdings unter dieser Prämisse am 1. Januar 2005 noch nicht erfüllt.
Leistungen nach § 2 AsylbLG (in der Zeit vom 1. Juli 2003 - 31. Dezember 2004) dienen
dabei nicht der Erfüllung der Vorbezugszeit. Die Vorbezugszeit ist nämlich keine Wartefrist,
innerhalb der es unerheblich wäre, ob und welche (Sozial-)Leistungen der Ausländer
bezogen hat (Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 2 AsylbLG
RdNr 8 bei Unterbrechungen durch Erhalt von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB
XII; ders, AsylbLG, § 2 RdNr 39, Stand März 2007; vgl auch Herbst in Mergler/Zink,
Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 12, Stand August 2007,
zu sonstigen Sozialleistungen; aA Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, §
2 AsylbLG RdNr 2 und Birk in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 8. Aufl 2008, § 2
AsylbLG RdNr 3; zum Streitstand auch Hachmann/Hohm, NVwZ 2008, 33, 35 mwN). Dies
ergibt sich aus dem hier zwingenden Wortlaut der Vorschrift. Zwar ist eine bestimmte
Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation von der Verfassung nicht
vorgeschrieben. Eine teleologische Reduktion, eine systematische oder eine historische
Auslegung von Vorschriften entgegen ihrem Wortlaut gehört sogar zu den anerkannten,
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen
(Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 7. April 1997 - 1 BvL 11/96 -, NJW
1997, 2230, 2231). Diese kann zulässig sein, wenn die in den Gesetzesmaterialien oder der
Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende Regelungsabsicht eine analoge oder
einschränkende Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte
gebietet und deswegen sowie wegen der Gleichheit der zu Grunde liegenden Interessenlage
auch der nicht geregelte Fall hätte einbezogen werden müssen (BSGE 57, 195, 196 = SozR
1500 § 149 Nr 7 S 7). Dabei darf dem Gesetz aber kein entgegenstehender Sinn verliehen
werden, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt
oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden.
20 Einer den Wortlaut erweiternden Auslegung des § 2 AsylbLG, mit der Bezugszeiten anderer
Leistungen als der nach § 3 AsylbLG - auch solcher nach § 2 AsylbLG - oder Zeiten ohne
irgendeinen Leistungsbezug gleichgestellt würden, stehen Sinn und Zweck der Regelung
und deren Gesetzesentwicklung entgegen - ob für Zeiten, in denen ein durchsetzbarer
Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG bestand, der erst später zugestanden wird,
etwas Anderes gilt (vgl dazu in anderem Zusammenhang: Behrend in Eicher/Schlegel, SGB
III, § 126 RdNr 45 mwN, Stand August 2004), kann offen bleiben. So normierte § 2 AsylbLG
in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen für Asylbewerber vom 30.
Juni 1993 (BGBl I 1074) für geduldete Ausländer überhaupt keine Vorbezugszeit und für
Asylbewerber eine reine Wartefrist von zwölf Monaten nach Asylantragstellung. Auch der
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 24. Oktober 1995 sah
zunächst ebenfalls keinen Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG vor, sondern eine
reine Wartefrist von 24 Monaten nach dem Erteilen einer Duldung, und verzichtete auf die
Wartefrist bei Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, deren Abschiebung wegen des Krieges
in ihrem Heimatland ausgesetzt war, sogar gänzlich (BT-Drucks 13/2746, S 5). Die
Verschärfung des Zugangs zu den Leistungen nach § 2 AsylbLG im Verhältnis zur
Vorgängerregelung stand dabei im engen Zusammenhang mit der in § 1 Abs 1 AsylbLG
vorgenommenen Erweiterung des leistungsberechtigten Personenkreises, insbesondere um
geduldete Ausländer, sowie der Beseitigung der vormals ungleichen Behandlung von
Ausländern mit Duldung, die nicht Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge waren, und
Asylbewerbern (BT-Drucks 13/2746, S 11). Vom Grundsatz sollten alle Ausländer, die sich
typischerweise nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhielten, die gleichen, niedrigeren
Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG erhalten (BT-Drucks 13/2746, S 12). Der Gesetzentwurf war
(noch) von dem Gedanken getragen, dass der Status der Duldung nur ein schnell
vorübergehender ist. Bei längerer Aufenthaltsdauer und einer damit verbundenen
Verfestigung des Aufenthaltsstatus (die Zweijahresfrist korrespondierte mit dem damaligen §
30 Abs 4 Ausländergesetz , der nach dieser Frist die Erteilung einer
Aufenthaltsbefugnis vorsah) sollte dem Ausländer durch die Gewährung von Analog-
Leistungen eine Integration in die deutsche Gesellschaft durch öffentliche Mittel ermöglicht
werden (BT-Drucks 13/2746, S 15).
21 Diese Integrationskomponente verlor sich dann in der endgültigen Fassung des Ersten
Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997 (BGBl I 1130). Erstmals stellte das
Gesetz auf den Bezug ("erhalten haben") von Leistungen nach § 3 AsylbLG ab und verlangte
dies für eine Dauer von 36 Monaten ab 1. Juni 1997. In den Vordergrund trat der Gedanke
der Kosteneinsparung (vgl auch Ausschussbericht vom 7. Februar 1996, BT-Drucks
13/3728, S 3), zu erkennen daran, dass der Zeitraum von 36 Monaten am 1. Juni 1997 zu
laufen begann, also alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG ohne Rücksicht darauf
erfasste, ob sie bereits zuvor Analog-Leistungen erhalten hatten. Dies zeigt, dass der
Gesetzgeber schon 1997 bewusst allein auf den Bezug von Grundleistungen nach § 3
AsylbLG abstellen und sonstige Vorbezugszeiten, auch solche nach § 2 AsylbLG (in der Zeit
vor dem 1. Juni 1997), und Zeiten ohne jeglichen Leistungsbezug ausklammern wollte (aA
Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr
11a, Stand August 2007). Er beabsichtigte also, die höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG
daran zu koppeln, dass das Existenzminimum für einen festen Zeitraum von drei Jahren nur
auf einem niedrigeren Niveau sichergestellt werden solle.
22 Mit der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Neuregelung sollten schließlich abweichend vom
bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht Leistungsberechtigte von Analog-Leistungen
ausgeschlossen werden, denen rechtsmissbräuchliches Verhalten (Tun oder Unterlassen),
bezogen auf die Dauer des Aufenthalts, vorgeworfen werden kann. Neben der
beabsichtigten Sanktion sollte durch den Bezug von Grundleistungen für die Dauer von drei
Jahren aber auch der Anreiz für die Einreise von Ausländern und ihren weiteren Verbleib im
Bundesgebiet genommen werden (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 86, Stand März 2007). Dieses
Ziel würde verfehlt, wenn andere Sozialleistungen (auch Analog-Leistungen oder solche
nach § 1a AsylbLG) oder gar Zeiten, in denen der Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG
seinen Bedarf aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken konnte, die erforderlichen
Zeiten des Vorbezugs erfüllten. Die Gegenauffassung, die mit der § 2 AsylbLG
innewohnenden Integrationskomponenten argumentiert (vgl etwa: Wahrendorf in
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 2; Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl
2008, § 2 AsylbLG RdNr 3) berücksichtigt nicht hinreichend diese Rechtsentwicklung und
interpretiert die Frist von 36 Monaten zu Unrecht als reine Wartefrist.
23 Die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 2 AsylbLG mit Wirkung ab 28. August 2007
(Vorbezugszeit von 48 Monaten; Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts-
und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - BGBl I 1970)
stützen die für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 vorgenommene Auslegung. Zwar wird die
Anhebung auf 48 Monate mit einer Angleichung zu Regelungen im AufenthG (§ 104a) und
einer Änderung der Verordnung über das Verfahren und die Zulassung von im Inland
lebenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung -
Beschäftigungsverfahrensordnung - (§ 10) begründet, der nach Ablauf von vier Jahren einen
gleichrangigen Arbeitsmarktzugang für Geduldete gewährt (Satz 3). Für den Zeitpunkt der
Gewährung von Leistungen auf Sozialhilfeniveau wird dabei auf den Grad der zeitlichen
Verfestigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt. Nach einem
Voraufenthalt von 4 Jahren sei davon auszugehen, dass eine Aufenthaltsperspektive
entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale
Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065, S 232 zu Nummer 2 <§ 2>; vgl auch
Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 11, Stand Oktober
2007). Dennoch wurde die Erforderlichkeit des Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG
beibehalten; es bestehen deshalb keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der
Gesetzgeber die mit der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG (neben der
Integrationskomponente) verbundene Intention, den Bezug von Analog-Leistungen an eine
bestimmte Dauer des Vorbezugs von Grundleistungen zu koppeln, aufgeben wollte. Mit der
Verlängerung der Vorbezugszeit sollten vielmehr nach der Gesetzesbegründung
Leistungsberechtigte des AsylbLG (auch) ermutigt werden, ihren Lebensunterhalt möglichst
durch eigene Arbeit und nicht durch Leistungen des Sozialsystems zu sichern (BT-Drucks
16/5065, S 155). Niedrige Leistungen sollten also dazu dienen, Anreize für die Aufnahme
einer Beschäftigung zu geben. Die Aufnahme einer Beschäftigung durch Asylbewerber bzw
geduldete Ausländer ist insoweit mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit sogar schon
möglich, wenn sie sich ein Jahr gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten (§ 61 Abs
2 Asylverfahrensgesetz, § 10 Beschäftigungsverfahrensordnung).
24 10. Die Kläger - hier insbesondere die Klägerin zu 6 - können sich, soweit die Vorbezugszeit
am 1. Juli 2003 nicht erfüllt war, nicht darauf berufen, dass ihnen ab diesem Zeitpunkt
Leistungen nach § 2 AsylbLG nur zu Unrecht bewilligt worden seien, solange diese
Leistungsbewilligung nicht aufgehoben ist oder wird (§ 77 SGG). Andernfalls würde der
Ausländer von der rechtswidrig zu hohen Leistungsgewährung in zweifacher Hinsicht
begünstigt. Er würde zunächst zu hohe Leistungen erhalten und sich später im Hinblick auf
die Vorbezugszeit darauf berufen können, dass er nur einen Anspruch auf geringere
Leistungen nach § 3 AsylbLG gehabt hätte. Die Bindungswirkung der Leistungsbewilligung
beschränkt sich nicht nur auf die im Bewilligungsbescheid geregelte Leistung selbst.
Vielmehr hat die materielle Bindungswirkung eines Bescheides zur Folge, dass die durch
den Verwaltungsakt getroffene Regelung unabhängig von seinen rechtlichen
Voraussetzungen und einem ihm anhaftenden Rechtsmangel grundsätzlich zwischen den
Beteiligten zu beachten ist. Die fehlende Übereinstimmung des Bezugs mit dem materiellen
Leistungsrecht kann also nicht vor der Aufhebung des Bescheides geltend gemacht werden
(vgl BSGE 47, 241, 246 = SozR 4100 § 134 Nr 11). Schließlich sprechen Gründe der
Praktikabilität für diese Auslegung, weil andernfalls bei jedem Alternativbezug einer
Leistung, aber auch bei Nichtbezug irgendeiner Leistung, immer die Rechtmäßigkeit dieses
Leistungsbezuges und/oder ein eigentlicher bzw fiktiver Anspruch auf Leistungen nach § 3
AsylbLG geprüft werden müsste.
25 11. Selbst wenn die Kläger zu 1 und 2 die Vorbezugszeit erfüllt haben sollten, ist bei
minderjährigen Kindern - insbesondere der Klägerin zu 6 -, die in einer
Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, nicht mit Blick auf § 2
Abs 3 AsylbLG auf die Erfüllung dieser Voraussetzung zu verzichten. Nach § 2 Abs 3
AsylbLG erhalten minderjährige Kinder Analog-Leistungen nur dann, wenn mindestens ein
Elternteil diese Leistungen erhält. Mit § 2 Abs 3 AsylbLG sollte zwar erreicht werden, dass
innerhalb einer Familie minderjährigen Kindern (grundsätzlich) keine anderen Leistungen
gewährt werden als ihren Eltern, mit denen sie in einer Haushaltsgemeinschaft leben (BT-
Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Die gewollte leistungsrechtliche Gleichbehandlung
bezweckt aber keine an einem Familienmitglied orientierte Besserstellung anderer Mitglieder
der Haushaltsgemeinschaft, sondern normiert nur eine zusätzliche leistungseinschränkende
Voraussetzung auf Analog-Leistungen für den in § 2 Abs 3 AsylbLG genannten
Personenkreis. Dies ergibt sich aus Systematik ("erhalten Leistungen nach Abs 1") und
Wortlaut ("nur") der Norm sowie der Rechtsentwicklung.
26 Der ursprüngliche Gesetzentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 24.
Oktober 1995 (BT-Drucks 13/2746) sah Analog-Leistungen ohne Wartefrist nur für geduldete
Ausländer vor; ohne die dem jetzigen Abs 3 inhaltlich entsprechende damalige Regelung
des Abs 2 hatte es zu unterschiedlichen Leistungen innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft
kommen können, wenn beide Elternteile lediglich für sich einen Asylantrag gestellt haben,
während die Kinder eine Duldung besaßen und so früher in den Genuss von Analog-
Leistungen gekommen wären (BT-Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Nur dieser Situation
sollte begegnet werden. Auf das Erfüllen (auch) der tatbestandlichen Voraussetzungen des §
2 Abs 1 AsylbLG für minderjährige Kinder, die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren
Eltern oder einem Elternteil leben, sollte allerdings nicht verzichtet werden (Hohm, AsylbLG,
§ 2 RdNr 239, Stand Februar 2006; ders in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl
2006, § 2 AsylbLG RdNr 33 f; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2
AsylbLG RdNr 33, Stand August 2007; Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur
Grundsicherung, 3. Aufl, § 2 AsylbLG RdNr 14; aA Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB
XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 17, der von der Begründung eines akzessorischen
Leistungsverhältnisses spricht; aA auch Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 2 AsylbLG
RdNr 7). Ein Abweichen von der zwingenden Regelung der Vorbezugszeit für erst in
Deutschland geborene Kinder ist damit nicht vereinbar. Ob der Gesetzgeber eine sinnvollere
oder bessere Lösung hätte wählen können, ist vom Senat nicht zu beurteilen.
27 12. Für die Zeit ab 28. August 2007 (siehe zum Streitgegenstand insoweit unter 4) setzt der
Anspruch auf Analog-Leistungen sogar eine Vorbezugszeit im oben genannten Sinn von 48
Monaten voraus. Durch Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 1970) ist
die Vorbezugszeit von 36 auf 48 Monate ausgedehnt worden. Die Änderung trat nach Art 10
Abs 1 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung vom 27. August 2007 ohne
Übergangsregelung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt entfällt ein bis dahin bestehender
Anspruch auf Analog-Leistungen, wenn der Ausländer noch keine 48 Monate Leistungen
nach § 3 AsylbLG bezogen hatte (so auch Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der
Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 11a, Stand August 2007). Leistungen
nach § 2 AsylbLG genügen auch hier nicht zur Erfüllung der Vorbezugszeit (aA Herbst, aaO);
insoweit gilt nichts anderes als das zur Vorbezugszeit von 36 Monaten Gesagte (siehe oben
unter 9). Eine Einbeziehung der Leistungen nach § 2 AsylbLG bei der Ermittlung der
Vorbezugszeit von nunmehr 48 Monaten ist nicht nur nach der historischen Entwicklung der
Norm (siehe dazu unter 9), sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen zur
Vermeidung eines Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG nicht gerechtfertigt.
28 Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem
Gesetzgeber ist damit zwar nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das
Grundrecht, wenn er eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 112, 368,
401; stRspr). Die Neuregelung über die Vorbezugszeit bewirkt, dass ein
Leistungsberechtigter, der vor Inkrafttreten der Neuregelung keine 48 Monate Leistungen
nach § 3 AsylbLG, sondern im Hinblick auf die frühere Regelung nach einer Vorbezugszeit
von 36 Monaten Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen hat, im Vergleich zu der Gruppe von
Ausländern, die ausschließlich Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und vor dem
Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 2 Abs 1 AsylbLG nF mangels Vorbezugszeit von 36
Monaten (noch) keinen Anspruch auf Analog-Leistungen hatten, nicht anders oder besser
gestellt wird. Alle Leistungsberechtigten unterfallen dem Anwendungsbereich von § 2
AsylbLG nF in gleicher Weise und sind von dem vierjährigen Ausschluss von
Leistungsansprüchen entsprechend dem SGB XII betroffen. Ohne Unterschied müssen alle
Leistungsberechtigte 48 Monate unter Einschluss von Zeiten vor dem 28. August 2007
Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben. Mit dieser Verschärfung der Regelung greift
der Gesetzgeber auf die vergleichbare Situation im Jahr 1997 zurück (siehe dazu unter 9),
wählt dabei allerdings eine für die Leistungsempfänger günstigere Variante, weil die
Änderung ab 1. Juni 1997 eine Vorbezugszeit (36 Monate) auch für Empfänger von Analog-
Leistungen einführte, die sogar erst ab dem 1. Juni 1997 zu laufen begann.
29 13. Die Neuregelung verstößt auch nicht gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot -
Art 20 Abs 3 GG iVm Art 2 Abs 1 GG (vgl zu § 2 Abs 1 AsylbLG in der ab dem 1. Juni 1997
geltenden Fassung: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Urteil vom 14. Juli 2000 -
12 B 99.1545; siehe auch die weitere Rechtsprechung bei Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 22,
Stand Februar 2006; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 RdNr 2).
Eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) sieht die Regelung nicht vor;
das Gesetz greift nicht nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, in der Vergangenheit
liegende Tatbestände ein (BVerfGE 11, 139, 145 f; 23, 12, 32 = SozR Nr 68 zu Art 3 GG). Es
regelt lediglich Rechtsverhältnisse für Zeiträume nach seiner Verkündung. Ob damit eine so
genannte unechte Rückwirkung vorliegt, bedarf keiner Entscheidung. Diese setzt voraus,
dass eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft
einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl: BVerfGE 43,
291, 391; 72, 175, 196; 79, 29, 45 f). Ob das Gesetz vom 19. August 2007 durch die
Verlängerung der Vorbezugszeit eine derzeitige Wirkung erzielt, ist zweifelhaft. Selbst wenn
den Klägern Leistungen nach § 2 AsylbLG über den 27. August 2007 hinaus bewilligt
worden waren (siehe dazu unter 3 und 4), stellen Leistungen nach dem AsylbLG keine
rentenähnliche Dauerleistung dar; dies erlaubt es der Verwaltung, die Voraussetzungen in
regelmäßigen Abschnitten zu prüfen, zumal bei geduldeten Ausländern der Aufenthalt im
Bundesgebiet nur als vorübergehend angesehen und die Abschiebung deshalb nur
(befristet) ausgesetzt wird.
30 Selbst wenn man von einem Fall der unechten Rückwirkung ausgeht, erfüllen die
Neuregelungen des Gesetzes vom 19. August 2007 die insoweit zu stellenden
verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vertrauensschutz. Regelungen, die eine
unechte Rückwirkung entfalten, sind grundsätzlich zulässig und genügen dem
rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des
Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen
Interessenabwägung nicht überwiegt (BVerfGE 97, 378, 389 = SozR 3-2500 § 48 Nr 7;
BVerfGE; 101, 239, 263; BVerfG SozR 3-4100 § 242q Nr 2 - zur zeitlichen
Anspruchsbegrenzung der originären Arbeitslosenhilfe). Die Erwartung von
Leistungsempfängern nach dem AsylbLG, Leistungen in einer bestimmten Höhe zu erhalten,
ist schon angesichts deren vorübergehenden Charakters nicht überwiegend schutzwürdig.
Ein Ausländer, der zur Ausreise verpflichtet ist und dem die Abschiebung angedroht, der
vorübergehend aber geduldet wird, ohne dass die Ausreisepflicht formal hiervon berührt ist
(§ 60a AufenthG; dazu unter 14d), darf nicht darauf vertrauen, auf Dauer bestimmte
Leistungen in einer bestimmten Höhe zu erhalten, solange die Leistungen nicht auf ein Maß
reduziert werden, das die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht
mehr garantieren kann. Hierzu hat bereits das BVerwG entschieden, der Umstand, dass die
Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (in der Regel) geringer ausfielen als vergleichbare
Leistungen nach dem BSHG (SGB XII), rechtfertige nicht die Annahme, der Gesetzgeber
sichere mit den Leistungen nach dem AsylbLG nicht das verfassungsrechtlich gebotene
Existenzminimum (BVerwG Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 18). Es steht im
sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Ausländer mit ungesichertem
Aufenthaltsstatus ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und
dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der
Sozialhilfe zu treffen, was mit dem Asylbewerberleistungsgesetz geschehen ist.
Insbesondere ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Art und Umfang von Sozialleistungen
an Ausländer grundsätzlich von der voraussichtlichen Dauer ihres Aufenthalts in
Deutschland (BVerfGE 116, 229 ff) oder dem Vorbezug abgesenkter Leistungen für einen
bestimmten Zeitraum abhängig zu machen. Ein etwaiges Vertrauen des Ausländers genießt
deshalb keinen Vorrang gegenüber den Belangen der Allgemeinheit, zu denen neben dem
beabsichtigten Anreiz für den Ausländer, einer Beschäftigung nachzugehen, und die
Regelung über die Vorbezugszeit § 104a AufenthG und § 10 der
Beschäftigungsverfahrensordnung anzupassen, auch finanzielle Aspekte gehörten. Schon
wegen ihres Charakters als Fürsorgeleistung unterliegen die Leistungen nach dem AsylbLG
der jederzeitigen Änderbarkeit auch ohne eine Übergangsregelung (ebenso zur Abschaffung
der Arbeitslosenhilfe BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 3 RdNr 44)
31 14. a) Ob die Kläger zu 1 und 2 die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst
beeinflusst haben, lässt sich nach den Feststellungen des LSG nicht beantworten. Dies
könnte vorliegend wegen Vernichtung der Ausweispapiere der Fall sein (dazu unter b - d).
Das LSG hat hierzu nur festgestellt, dass die Kläger zu 1 und 2 angegeben hätten, diese
"vernichtet zu haben, um eine Zurückweisung oder Abschiebung zu verhindern". Hierin liegt
jedoch nicht die Feststellung, dass es tatsächlich so war. Außerdem sollen sich die Kläger
geweigert haben, an der Passersatzbeschaffung mitzuwirken (zur dabei erforderlichen
gesetzlichen Regelung für eine Mitwirkungshandlung nur: Herbst in Mergler/Zink, Handbuch
der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 1a AsylbLG RdNr 13, Stand August 2004). Das LSG
wird zu prüfen haben, ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind und ob die Kläger vorsätzlich
gehandelt haben (dazu unter e) und dadurch vorsätzlich die Dauer des Aufenthalts
beeinflusst haben (dazu unter f und g). Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der
Aufenthaltsdauer liegt hingegen nicht schon in der zur Aufenthaltsverlängerung führenden
Nutzung der Rechtsposition, die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der
Abschiebung erlangt hat, wenn es ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen. Die
Rechtsprechung des früher zuständigen 9b-Senats des BSG (SozR 4-3520 § 2 Nr 1) wird
insoweit aufgegeben.
32 b) Der Begriff des Rechtsmissbrauchs wird im AsylbLG an keiner Stelle definiert. Er wurzelt
in dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben - § 242
Bürgerliches Gesetzbuch - (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 81, Stand März 2007). Als
vorwerfbares Fehlverhalten beinhaltet er eine objektive - den Missbrauchstatbestand - und
eine subjektive Komponente - das Verschulden - (Hohm, aaO, RdNr 82, 83). Der Vorschrift
des § 2 und damit dem - die Beeinflussung der Aufenthaltsdauer dienenden -
Rechtsmissbrauch liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition
berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Demgegenüber genügt - anders als
bei § 1a AsylbLG (dazu nur: Herbst, aaO, § 1a RdNr 15; Hohm, aaO, § 1a RdNr 101, Stand
Dezember 2006) - nicht, dass die Dauer des Aufenthalts auf Gründen beruht, die in der
Verantwortungssphäre des Hilfesuchenden liegen (so aber Decker in Oestreicher, SGB
XII/SGB II, § 2 AsylbLG RdNr 16, Stand Juni 2005; siehe auch unter c).
33 c) In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung
missbilligtes Verhalten voraus (Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2
AsylbLG RdNr 17, Stand Oktober 2007: "hohe Hürde"). Der Ausländer soll danach von
Analog-Leistungen ausgeschlossen sein, wenn die von § 2 AsylbLG vorgesehene
Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der
Ausländer darf sich also nicht auf einen Umstand (Aufenthaltsdauer von 36 bzw 48 Monaten
mit Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG) berufen, den er selbst treuwidrig herbeigeführt hat
(vgl zum Rechtsmissbrauch nur: Palandt, BGB, 64. Aufl, § 242 RdNr 38 ff). Dabei genügt
angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu
missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den
Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs 3 AsylbLG für dessen minderjährige Kinder
so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss (vgl Adolph,
aaO). Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls,
der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der
besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss
von Analog-Leistungen; nur dann ist es gerechtfertigt, auch die minderjährigen Kinder mit
den Folgen dieses Verhaltens zu belasten.
34 Die Gesetzesbegründung führt insoweit beispielhaft die Vernichtung des Passes und
Angabe einer falschen Identität (BT-Drucks 15/420, S 121) als typische Fallgestaltungen
eines Rechtsmissbrauchs an, es sei denn, sie wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine
vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates, bei dem
um Asyl nachgesucht wird - wie etwa eine rechtswidrige Zurückweisung bei der Einreise
oder eine rechtswidrige Verweigerung der Einreise. Auf Rechtsmissbrauch kann sich der
Staat dann nicht berufen, wenn er sich selbst rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich verhält.
Die Regelung ist damit deutlich empfängerfreundlicher als § 2 Abs 1 Nr 2 AsylbLG in der
Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993
(BGBl I 1074). Danach waren noch Analog-Leistungen für Leistungsberechtigte (unter
anderem) vorgesehen, "wenn sie eine Duldung erhalten haben, weil ihrer freiwilligen
Ausreise Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben". Nach der
Gesetzesbegründung sollte (schon) jeder Sachverhalt für den Ausschluss von Analog-
Leistungen genügen, der in der Verantwortungssphäre des Betroffenen zu finden war, wie
etwa der Verlust von Ausweispapieren, falls keine ungewöhnlichen anderen Gründe dafür
ersichtlich waren (BT-Drucks 12/5008, S 16 zu § 1a). Die im Vergleich zu § 2 Abs 1 AsylbLG,
in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung deutlich schwächere Formulierung
"vertreten haben" zeigt, dass für den Ausschluss von Analog-Leistungen ein weit strengerer
Maßstab anzulegen ist. Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls.
35 d) Ausgehend von diesem Maßstab ist für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht
schon die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition ausreichend,
die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt hat, wenn es
ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen (so noch BSG SozR 4-3520 § 2 Nr 1 RdNr 16).
Ist die Abschiebung ausgesetzt, bleibt nach dem AufenthG die Ausreisepflicht zwar
unberührt (§ 60a AufenthG). Eine Pflicht im eigentliche Sinn kann damit aber mangels
Vollziehbarkeit der Abschiebung nicht verbunden sein. Es wäre widersprüchlich, den
Aufenthalt des Ausländers vorübergehend zu dulden und ihm gleichzeitig den Aufenthalt als
Rechtsmissbrauch vorzuwerfen, obwohl der Staat selbst zeitweise darauf verzichtet, die
Ausreisepflicht durchzusetzen. Demgemäß ist regelmäßig auch weder in der Stellung eines
Asylantrags selbst (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 83, Stand März 2007) noch im Verbleiben des
Ausländers während des Asylverfahrens (§§ 55, 67 Asylverfahrensgesetz:
Aufenthaltgestattung) bis zur Rechtskraft einer ablehnenden Entscheidung ein
Rechtsmissbrauch zu sehen. Nach der Ausländer nicht ausnehmenden prinzipiellen
Ordnung des Verhältnisses des Einzelnen zum Staat im Grundgesetz vermittelt die Duldung
dem Ausländer eine geschützte Rechtsposition. Sie stellt einen ihn begünstigenden
Verwaltungsakt dar, auf dessen Erteilung der Ausländer bei Erfüllung der tatbestandlichen
Voraussetzungen einen Rechtsanspruch hat (BVerwGE 105, 232 ff). Hält der Staat, etwa aus
völkerrechtlichen bzw humanitären Gründen oder zur Wahrung der politischen Interessen
der Bundesrepublik Deutschland, den weiteren Verbleib des Ausländers selbst für
erforderlich oder ist eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen sogar
unmöglich, kann dem Ausländer die Inanspruchnahme einer Duldung nicht vorgeworfen
werden. Nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht
(Duldung) liegt ein Rechtsmissbrauch, sondern allenfalls in den Gründen, die hierzu geführt
haben. Der Aufenthaltsstatus (Duldung) ist für die Beantwortung der Frage, ob der Ausländer
seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, unerheblich. Hat der
Ausländer diese Gründe zu vertreten, hat er also insoweit selbst Einfluss auf das Geschehen
genommen, kann nur deshalb, nicht aber wegen bestehender Ausreisepflicht, ein
Rechtsmissbrauch bejaht werden.
36 Sowohl § 2 Abs 1 Nr 2 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der
Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993 als auch § 2 Abs 1 AsylbLG in der vom 1.
Juni 1997 bis 31. Dezember 2004 geltenden Neufassung vom 5. August 1997 (BGBl I 2023)
bestätigen das vom Senat gefundene Ergebnis. § 2 Abs 1 Nr 2 AsylbLG idF vom 30. Juni
1993 stellte darauf ab, ob Ausländer eine Duldung erhalten haben, "weil ihrer freiwilligen
Ausreise Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben" (siehe oben). Der
Gesetzgeber ging danach selbst davon aus, dass bei der Erteilung einer Duldung der
"freiwilligen" Ausreise Hindernisse entgegenstehen können. Hätte der Gesetzgeber eine
vergleichbare Regelung auch für die Zeit ab 1. Januar 2005 treffen wollen, hätte er also nur
die Fälle im Blick gehabt, in denen der geduldete Ausländer nicht freiwillig ausreist, obwohl
ihm dies möglich und zumutbar ist, hätte eine andere Formulierung nahegelegen.
37 § 2 Abs 1 AsylbLG in der vom 1. Juni 1997 bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung
lehnte sich seinem Wortlaut nach unmittelbar an den von § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG aF
erfassten Personenkreis der nach § 55 des früheren AuslG geduldeten Ausländer an (vgl
Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 44, Stand März 2007). Der Kreis der danach geduldeten
Ausländer war der typische Anwendungsfall für die Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG aF.
Weder aus dem Gesetzgebungsverfahren noch aus Sinn und Zweck der Neuregelung oder
ihrem Wortlaut sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diesen
Personenkreis ab 1. Januar 2005 von den Analog-Leistungen ausnehmen wollte. Vielmehr
sah der Referentenentwurf des § 2 Abs 1 AsylbLG (sog Schily-I-Entwurf vom 3. August 2001;
siehe im Internet unter http://www.fluechtlingsrat.org/download/download.html, zitiert bei
Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 10, Stand Februar 2006) Analog-Leistungen zunächst nur für
Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG vor, also für Leistungsberechtigte, die aus
humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Nach der Begründung des
Entwurfs vom 3. August 2001 sollten aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften die
vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer und die Asylbewerber generell ausgenommen
werden (Hohm, aaO, RdNr 11). Im Unterschied dazu beinhaltete die unter dem 5. November
2001 vom Bundesministerium des Innern überarbeitete Fassung (BT-Drucks 14/7387) eine
solche Einschränkung nicht mehr, sondern verwies auf alle Leistungsberechtigte nach § 1
AsylbLG, während sich etwa § 1a AsylbLG ausdrücklich nur auf Leistungsberechtigte nach §
1 Abs 1 Nr 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs 1 Nr 6 AsylbLG bezieht. Dies
rechtfertigt den Schluss, dass die in § 1 AsylbLG normierten Sachverhalte, die erst die
Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG auslösen, nicht gleichzeitig
Missbrauchstatbestände sein können, ohne dass ein von der Rechtsordnung missbilligtes
Verhalten hinzukommt.
38 Hätte der Gesetzgeber einen bestimmten Personenkreis von Leistungen nach § 2 Abs 1
AsylbLG ausschließen wollen, so hätte er dies - wie in dem genannten Referentenentwurf
zunächst auch vorgesehen - ausdrücklich getan, nicht aber § 2 Abs 1 AsylbLG auf alle
Leistungsberechtigte erstreckt. Mit der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Neuregelung hat er
stattdessen im Rahmen eines Paradigmenwechsels - teilweise verschärfend, teilweise
begünstigend - eine gänzlich neue Regelung geschaffen und nur noch Personen von
Analog-Leistungen ausgeschlossen, denen rechtsmissbräuchliches Verhalten (Tun oder
Unterlassen; siehe Hohm, aaO, RdNr 76, Stand März 2007) bezogen auf die Dauer des
Aufenthalts vorgeworfen werden konnte. Dieses Verhalten wollte der Gesetzgeber
sanktionieren und damit jeglichen Anreiz für die Einreise von Ausländern und ihren weiteren
Verbleib im Bundesgebiet nehmen, um einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von
Leistungen nach dem AsylbLG - zusätzlich zur Regelung des § 1a AsylbLG (dazu unter i) -
entgegenzuwirken (Hohm, aaO, RdNr 86, Stand März 2007).
39 e) Wird mithin das LSG zu ermitteln haben, ob sich die Kläger in anderer Weise als durch
Nichtausreise rechtsmissbräuchlich verhalten haben, wird es auch zu beachten haben, dass
das rechtlich missbilligte Verhalten mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes kausal
verknüpft sein muss (dazu unter g). Ein Rechtsmissbrauch im oben genannten Sinn kann
deshalb nur vorliegen, wenn der Ausländer sich hierüber auch bewusst ist; ein bloß
fahrlässiges Verhalten für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt nicht (vgl auch §
104a Abs 1 Satz 1 Nr 4 AufenthG). Vielmehr setzt der Vorwurf sowohl Vorsatz bezüglich der
tatsächlichen Umstände als auch der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts voraus. In
der bloß fahrlässig herbeigeführten Verlängerung der Aufenthaltsdauer liegt - anders als bei
§ 1a AsylbLG (dazu unter i) - kein so schwer wiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung,
dass eine - nicht nur zeitlich begrenzte (dazu unter f) - Absenkung der Leistungen
gerechtfertigt wäre; ein bloß fahrlässiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der
besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland nicht als
sozialwidrig eingestuft werden. Ggf wird das LSG zu beurteilen haben, ob der Schuldvorwurf
entfällt, wenn die Kläger - glaubhaft - davon ausgegangen sind, dass ihr Verhalten durch
rechtswidriges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten des Staates "gerechtfertigt", also nicht
sozialwidrig wäre (siehe unter c). Hierfür können die im Strafrecht entwickelten Grundsätze
des Irrtums über die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes
nutzbar gemacht werden (vgl dazu: Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder,
Strafgesetzbuch, 27. Aufl, § 16 RdNr 16 ff).
40 f) Soweit es das Tatbestandsmerkmal "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" betrifft, ist
auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in Deutschland abzustellen
(Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 4; Hohm,
AsylbLG, § 2 RdNr 72, Stand März 2007). Ob der Rechtsmissbrauch (eine etwaige
Vernichtung der Pässe) selbst in diesen Zeitraum fällt, ist hingegen nicht entscheidend. Auch
ein Verhalten vor der Einreise in das Bundesgebiet, das der Beeinflussung der (gesamten
Dauer) des Aufenthalts dient, kann sich als rechtsmissbräuchlich erweisen. Der Zeitraum
beginnt entgegen der Auffassung des LSG nicht mit der Vollziehbarkeit der
Ausreiseaufforderung einen Monat nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens -
hier am 4. Mai 2001 - (§ 38 Abs 1 Asylverfahrensgesetz iVm § 59 AufenthG bzw bis zum 31.
Dezember 2004 § 50 Ausländergesetz), sondern bereits mit dem Zeitpunkt, in dem der
Ausländer sich rechtsmissbräuchlich verhält. Ist der Rechtsmissbrauch zeitlich vor der
Einreise anzusiedeln, wirkt er sich ab Einreise der Kläger am 10. Dezember 1998 aus.
41 Ebenso wenig ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, ob der
Missbrauchstatbestand aktuell andauert oder die Annahme rechtfertigt, er sei noch kausal
(zur Kausalität siehe unter g) für den derzeitigen Aufenthalt des Ausländers. Soweit der für
das Asylbewerberleistungsrecht früher zuständige 9b-Senat in seiner Entscheidung vom 8.
Februar 2007 (SozR 4-3520 § 2 Nr 1) darauf abgestellt hat, ob es den Klägern (aktuell)
zumutbar sei, in das Heimatland auszureisen und ein etwaiger früherer Rechtsmissbrauch
damit bedeutungslos würde, beruht dies zum einen auf der Auffassung, eine
rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer liege auch darin, dass der
Ausländer zur Ausreise verpflichtet und ihm die Ausreise tatsächlich und rechtlich möglich
und zumutbar sei; sie ist andererseits mit der Struktur der Regelung, die keinen "aktuellen
wichtigen Grund" als Rechtfertigung normiert, unvereinbar. An dieser Rechtsprechung hält
der Senat deshalb nicht fest. Ob die Ausreise aktuell zumutbar ist, ist nach Wortlaut sowie
Sinn und Zweck der Vorschrift des § 2 AsylbLG ohne Bedeutung. Maßgebend ist allein der
Zusammenhang zwischen der gesamten Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik
Deutschland und dem Fehlverhalten des Ausländers, gleichgültig, ob dieses Fehlverhalten
einmalig oder auf Dauer angelegt ist bzw war oder ob es sich wiederholt hat. Nach der
Gesetzesbegründung sollen von dem Anspruch auf Analog-Leistungen Fälle ausgenommen
werden, in denen der Ausländer rechtsmissbräuchlich die Dauer seines Aufenthaltes selbst
beeinflusst hat; beispielhaft werden die Vernichtung des Passes und die Angabe einer
falschen Identität aufgeführt (BT-Drucks 15/420, S 121). Diese Begründung zeigt, dass
gerade ein einmaliges Verhalten bereits bei oder vor der Einreise nach Deutschland zum
Anlass genommen wurde, dem Ausländer nach Ablauf von drei bzw vier Jahren einen
Anspruch auf Analog-Leistungen vorzuenthalten (vgl in diesem Sinne auch § 104a Abs 1
Satz 1 Nr 4 AufenthG). Ein Ausländer, der seine Aufenthaltsdauer selbst missbräuchlich
beeinflusst hat, ist nicht schutzbedürftig (vgl zur zu berücksichtigenden Dauer auch Hohm,
NVwZ 2005, 388 f), solange ihm das Aufenthaltsrecht keinen gefestigten Aufenthaltsstatus
zugesteht.
42 Soweit in der Gesetzesbegründung gleichzeitig davon die Rede ist, dass die Regelung
darauf abziele, zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht
ausreisen könnten, und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht
nachkämen (BT-Drucks, aaO), ändert dies an der gewonnenen Auslegung des § 2 AsylbLG
nichts. Denn zum einen nimmt diese Begründung lediglich auf die allgemeine Intention des
Gesetzes Bezug und beruht zum anderen ganz offensichtlich auf dem Referentenentwurf
vom 3. August 2001, der nur Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG in den
Genuss von Analog-Leistungen kommen lassen wollte (siehe unter d; vgl Hohm, AsylbLG, §
2 RdNr 68, Stand Dezember 2006).
43 g) Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des
Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung.
Allerdings zeigen bereits Gesetzeswortlaut ("Beeinflussung", nicht Verlängerung) und
Gesetzesbegründung, die ua in ihrer beispielhaften Aufzählung die Vernichtung eines
Passes nennt, dass eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise
hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der
Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes ausreicht, also kein Kausalzusammenhang im
eigentlichen Sinn erforderlich ist (Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2
AsylbLG RdNr 18b, Stand Oktober 2007; aA, ohne dies jedoch zu problematisieren, Hohm,
AsylbLG, § 2 RdNr 77, Stand März 2007, und Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der
Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 28, Stand August 2007). Dies bedeutet,
dass jedes von der Rechtsordnung missbilligte Verhalten, das - typisierend - der vom
Gesetzgeber missbilligten Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dienen kann,
ausreichend ist, um die kausale Verbindung zu bejahen. Ob etwa das Asylverfahren
tatsächlich verzögert wurde (so Herbst, aaO) und eine frühere Abschiebung der Kläger
erfolgt und deshalb in einem ggf "kleineren Zeitfenster" möglich gewesen wäre, bedarf im
Hinblick auf die typisierende Betrachtung keiner Entscheidung. Eine solche wäre in aller
Regel auch nicht möglich, weil keine sichere Aussage über einen hypothetischen
Kausalverlauf getroffen werden könnte. Wie sollte beurteilt werden, wie lange ein
Asylverfahren bei anderem Verhalten des Ausländers gedauert hätte und ob der Ausländer
bei einer kürzeren Verfahrensdauer ausgewiesen worden oder ausgereist wäre.
44 Eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtungsweise muss allerdings dann gemacht
werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von
seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des
Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (so im Ergebnis auch Herbst, aaO,
RdNr 28), etwa weil die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung
ohnehin nicht zugelassen hätte. In diesen Fällen ist eine typisierende Betrachtungsweise
nicht mehr zulässig; sie entsprechen nicht der oben geschilderten Typik. Lässt es sich nicht
feststellen, ob eine solche Ausnahme vorliegt, geht dies zu Lasten des Ausländers.
45 h) Vorliegend hat zwar die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2005 bei den Klägern faktisch
zu einer Leistungsänderung geführt; eine unzulässige Rückwirkung (Art 20 Abs 3 GG iVm
Art 2 Abs 1 GG) ist damit jedoch nicht verbunden (siehe dazu auch unter 13). Eine echte
Rückwirkung liegt nicht vor; eine unechte Rückwirkung wäre hier in besonderer Weise
deshalb gerechtfertigt, weil bei Bejahung von Missbrauch ein schutzwürdiges Vertrauen
dessen, der Missbrauch begangen hat (dazu unter 15), von vornherein ausscheidet.
46 i) Die so gewonnene Auslegung des § 2 AsylbLG steht auch nicht in einem
Wertungswiderspruch zu § 1a AsylbLG. Der dort in Nr 1 geregelte Tatbestand wird von § 2
Abs 1 AsylbLG überhaupt nicht erfasst. § 1a Nr 2 und § 2 Abs 1 AsylbLG normieren zwar
sich überschneidende "Missbrauchstatbestände" mit bei § 1a Nr 2 AsylbLG geringeren
Anforderungen an das Verschulden bei noch niedrigeren Leistungen; anders als bei §§ 3 ff
iVm § 2 AsylbLG ist aber die Leistungsabsenkung auf die Zeit beschränkt, in der
beabsichtigte oder bereits eingeleitete aufenthaltsbeendende Maßnahmen wegen des
Verhaltens des Ausländers nicht vollzogen werden können (vgl dazu: Herbst in Mergler/Zink,
Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 1a AsylbLG RdNr 21, Stand August 2004;
Hohm, AsylbLG, § 1a RdNr 94, Stand Dezember 2006).
47 15. Soweit das LSG feststellen sollte, dass den Klägern zu 1 und 2 Analog-Leistungen nicht
zustehen, gilt dies auch für die minderjährigen Kläger zu 4 bis 6 und für den Kläger zu 3
jedenfalls bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Gemäß § 2 Abs 3 AsylbLG erhalten
nämlich minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer
Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG nur, wenn mindestens
ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Abs 1 erhält. Sollten die Kläger
die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben und die übrigen
tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Analog-Leistungen erfüllen, hätte
dies also nicht zwangsläufig auch für die Kinder Analog-Leistungen zur Folge. Vielmehr
hätte das LSG dann bei jedem einzelnen Kläger zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 2
Abs 1 AsylbLG (insbesondere die Vorbezugszeit - siehe unter 11 - und ein eigenes
rechtsmissbräuchliches Verhalten) vorliegen. Hinsichtlich des Rechtsmissbrauchs würde
das LSG beim Verschulden dann aber die Einsichtsfähigkeit der minderjährigen Kläger zu
prüfen haben.
48 Dies gilt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres auch für den Kläger zu 3. Für die Zeit ab
Vollendung des 18. Lebensjahres ist er hingegen selbst dann, wenn seinen Eltern keine
Analog-Leistungen zustehen sollten, nicht wegen eines etwaigen Fehlverhaltens seiner
Eltern von Analog-Leistungen ausgeschlossen. Ein Fehlverhalten der Eltern als gesetzliche
Vertreter kann dem Kind nämlich nach dem zwingenden Wortlaut des § 2 Abs 1 AsylbLG
("selbst") der auf ein höchstpersönliches Verhalten hinweist, nicht zugerechnet werden (so
auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 RdNr 19, Stand Oktober 2007).
Andernfalls bliebe für die einschränkende Regelung des § 2 Abs 3 AsylbLG kaum ein
realitätsrelevanter Anwendungsbereich. Der Gesetzgeber hat in § 2 Abs 1 AsylbLG bewusst
eine andere Formulierung als in § 1a Nr 2 AsylbLG ("aus von ihnen zu vertretenden
Gründen") gewählt (vgl zur Auslegung dieses Passus nur: Hohm, AsylbLG, § 1a RdNr 98 ff,
Stand Dezember 2006: "Verantwortungsbereich"). Der insoweit strengere Maßstab des § 2
Abs 1 AsylbLG rechtfertigt sich daraus, dass § 2 AsylbLG anders als § 1a Nr 2 AsylbLG eine
dauerhafte Leistungsabsenkung zur Folge hat (dazu unter 14i).
49 16. Der Senat kann auch im Übrigen - abgesehen davon, dass das LSG keine
Feststellungen zur Bedürftigkeit der Kläger (§§ 3, 7 AsylbLG bzw § 2 AsylbLG iVm §§ 19, 82
ff SGB XII) getroffen hat - nicht abschließend in der Sache entscheiden. Mangels
Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob den Klägern - unterstellt die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 AsylbLG sind zu bejahen - überhaupt noch weitere
Leistungen zustehen. Hierzu müsste es - da die Beteiligten in der Sache um die Höhe der
Leistungen streiten (siehe unter 6) - den Umfang der nach §§ 3 ff AsylbLG im streitigen
Zeitraum erbrachen Leistungen ermitteln. Der Wert der erbrachten Leistungen ist dann von
den nach § 2 AsylbLG iVm dem SGB XII zustehenden Leistungen in Abzug zu bringen.
Dabei sind nur vergleichbare Leistungen einzubeziehen; unschädlich ist insoweit allerdings,
wenn nach den §§ 3 ff AsylbLG Einmalleistungen erbracht sein sollten, die nach dem SGB
XII durch Pauschalen (uU den Regelsatz) abgegolten würden (dazu näher BSG, Urteil vom
17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R). Zu prüfen ist also, welche Leistungen die Kläger erhalten
haben und inwieweit diese - ob als Einmalleistung oder in Form von Pauschalen - nach dem
SGB XII zustehen. Bei den erstrebten Leistungen des SGB XII ist allerdings ggf der
Aktualitätsgrundsatz zu beachten. Nicht mehr bestehende Bedarfe sind nicht mehr zu
decken. Soweit den Klägern Analog-Leistungen nicht zustehen sollten, wird das LSG zu
prüfen haben, ob den Klägern aus anderen Gründen höhere Leistungen zustehen. Zu
beachten ist außerdem, dass höhere Leistungen dann nicht zuzugestehen sind, wenn den
Klägern eigentlich (nur) noch niedrigere Leistungen nach § 1a AsylbLG zustehen würden.
Da die Voraussetzungen von dessen Nr 1 (finaler Zusammenhang zwischen Einreise und
Leistungsbezug) nicht vorliegen dürften (vgl dazu: Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der
Grundsicherung und Sozialhilfe, § 1a RdNr 8, Stand August 2004; Decker in Oestreicher,
SGB XII/SGB II, § 1a AsylbLG RdNr 12 f, Stand Juni 2005; Hohm, AsylbLG, § 1a RdNr 47 ff,
Stand März 2007), kommen nach Aktenlage allenfalls Zeiträume nach dem 1. Januar 2005 in
Betracht, in denen nach § 1a Nr 2 AsylbLG aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht
vollzogen werden können (vgl dazu unter 14 i).
50 Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden müssen.