Urteil des BSG vom 06.05.2009
BSG (verordnung, vertrauensschutz, gemeinschaftspraxis, vereinbarung, bezirk, prüfung, festsetzung, sgg, kenntnis, regress)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 6.5.2009, B 6 KA 2/08 R
Vertragsarzt - unzulässige Verordnung von Sprechstundenbedarf - kein Vorliegen von
Vertrauensschutz bei Verordnungsregressen - Kostenbeteiligung eines
Hauptbeteiligten bei Rechtsstreit - Zuständigkeit der Gremien der
Wirtschaftlichkeitsprüfung
Leitsätze
1. Ein Regress wegen unzulässiger Verordnung von Sprechstundenbedarf setzt kein
Verschulden des Vertragsarztes voraus.
2. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Vertrauensschutz gegenüber der
nachträglichen Berichtigung fehlerhafter Honorarbescheide durch die KÄV sind auf die
Festsetzung von Regressen wegen rechtswidriger Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht
ohne weiteres übertragbar.
3. Ein Hauptbeteiligter, der selbst kein Rechtsmittel einlegt, muss sich im Anwendungsbereich
des § 197a SGG auch dann nicht an den Kosten des Rechtsstreits beteiligen, wenn er in der
Sache unterliegt. Tritt er dem erfolglosen Hauptantrag des die Revision führenden Beigeladenen
bei, hat er keinen Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
1 Umstritten ist ein Sprechstundenbedarfsregress (SSB-Regress) für die Quartale IV/1997 bis
III/1998.
2 Die zu 1. beigeladene Gemeinschaftspraxis für radiologische Diagnostik und
Nuklearmedizin bot in den streitbefangenen Quartalen Leistungen der sog periradikulären
Schmerztherapie an. Bei diesem Verfahren werden Schmerzmittel unter
computertomographischer Kontrolle verabreicht. Dies erfolgt mit Hilfe sog "koaxialer
Interventionssets", die von der Beigeladenen zu 1. als Sprechstundenbedarf (SSB) verordnet
wurden. Auf Antrag der klagenden Ersatzkasse setzte der Prüfungsausschuss für die vier
streitbefangenen Quartale SSB-Regresse in Höhe von insgesamt 144.301,03 Euro mit der
Begründung fest, die koaxialen Interventionssets hätten nicht als SSB verordnet werden
dürfen.
3 Der beklagte Beschwerdeausschuss half den Widersprüchen der beigeladenen
Gemeinschaftspraxis ab. Er teilte die Auffassung des Prüfungsausschusses, die koaxialen
Interventionssets hätten nicht als SSB verordnet werden dürfen; den betroffenen Ärzten sei
jedoch im Hinblick auf fehlerhafte Auskünfte der zu 2. beigeladenen Kassenärztlichen
Vereinigung (KÄV) Vertrauensschutz zuzubilligen (Bescheid vom 15.8.2002).
4 Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat den Rechtsstreit zunächst im
Hinblick auf das Revisionsverfahren B 6 KA 41/03 R zum Ruhen gebracht, nach Abschluss
dieses Verfahrens durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.10.2004 wieder
aufgenommen und die Klage abgewiesen. Zwar hätte die Beigeladene zu 1. die
Interventionssets nicht als SSB verordnen dürfen, im Hinblick auf die gegenteiligen
Auskünfte der zu 2. beigeladenen KÄV müsse den Ärzten aber Vertrauensschutz zugebilligt
werden. Aus dem Umstand, dass das maßgebliche Schreiben der KÄV vom 4.3.1999
stamme, könne nicht geschlossen werden, dass dieses nicht auch die Rechtsauffassung der
KÄV für den hier betroffenen Zeitraum 1997 und 1998 wiedergegeben habe (Urteil vom
31.5.2006).
5 Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) den angefochtenen
Bescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die Widersprüche der Beigeladenen
zu 1. gegen die Regressbescheide des Prüfungsausschusses zurückzuweisen. Das
Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beigeladenen zu 1. komme kein Vertrauensschutz
zu. Die Stellungnahme der zu 2. beigeladenen KÄV stelle lediglich den Diskussionsbeitrag
eines Verfahrensbeteiligten dar und sei im Übrigen für die von der Gemeinschaftspraxis
getätigten Verordnungen der Jahre 1997 und 1998 nicht ursächlich geworden. Allein aus
dem Umstand, dass über die Verordnungsfähigkeit der koaxialen Interventionssets
Meinungsverschiedenheiten bestanden hätten, könne nicht auf einen
Vertrauensschutztatbestand zugunsten der beigeladenen Gemeinschaftspraxis geschlossen
werden (Urteil vom 14.11.2007).
6 Mit ihrer Revision rügt die Beigeladene zu 1. eine Verletzung des bundesrechtlichen
Gebotes des Vertrauensschutzes. Sie ist der Auffassung, das BSG habe in den vergangenen
Jahren den Schutz des Vertrauens von Vertragsärzten gegenüber rückwirkenden
Abrechnungskorrekturen durch ihre KÄV ausgeweitet. Danach sei auch in der hier
betroffenen Konstellation, dass Ärzte auf Angaben ihrer KÄV zur Zulässigkeit einer
bestimmten Verordnungsweise vertraut hätten, die sich im Nachhinein als falsch
herausgestellt habe, Vertrauensschutz anzuerkennen. In diesem Zusammenhang sei auch
von Bedeutung, dass die Klägerin als im Bezirk der beigeladenen KÄV gesamtvertraglich
zuständige Stelle für die Abwicklung des SSB die Verordnungen der koaxialen
Interventionssets bis Ende 1998 entgegengenommen habe. Zwar könne allein aus dem
Umstand, dass eine bestimmte Verordnungsweise in der Vergangenheit unbeanstandet
geblieben sei, nicht abgeleitet werden, dass auch in Zukunft bei unverändertem
Verordnungsverhalten SSB-Regresse generell ausgeschlossen seien. Im maßgeblichen
Zeitraum 1997/1998 hätten jedoch im Zuständigkeitsbereich der zu 2. beigeladenen KÄV
erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Verordnung koaxialer Interventionssets
bestanden. Die Äußerung der KÄV vom 4.3.1999 und deren Widerruf am 12.7.1999 ließen
dies deutlich erkennen. Im Übrigen habe die KÄV schon mit Schreiben vom 24.11.1998
gegenüber dem Prüfungsausschuss ihre Ansicht vertreten, die von der beigeladenen
Gemeinschaftspraxis praktizierte Verordnungsweise sei zulässig. Erkennbar
unterschiedliche Rechtsauffassungen zu bestimmten Verordnungsweisen verpflichteten die
Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung, zum Schutz der betroffenen Ärzte klare
Hinweise auf das zulässige Vorgehen zu geben. Andernfalls dürften Ärzte nicht nachträglich
mit erheblichen Summen für eine Verordnungspraxis in Regress genommen werden, die
zum Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnungen nicht beanstandet worden sei.
7 Die Beigeladene zu 1. beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14.11.2007 aufzuheben und
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.5.2006
zurückzuweisen.
8 Der Beklagte schließt sich dem Antrag der Beigeladenen zu 1. an. Er verweist darauf, dass
er schon vor Bekanntwerden des BSG-Urteils vom 20.10.2004 der Ansicht gewesen sei, die
Verordnungsweise der Beigeladenen zu 1. sei fehlerhaft. Sein Bescheid werde aber von der
Erwägung getragen, der Praxis komme wegen der Unklarheiten über die
Verordnungsmöglichkeiten und der (unzutreffenden) Äußerungen der KÄV Vertrauensschutz
zu.
9 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Sie verteidigt das Urteil des LSG. Über die Unzulässigkeit der Verordnung koaxialer
Interventionssets als SSB bestehe zwischen den Beteiligten im Hinblick auf die
Entscheidung des BSG vom 20.10.2004 kein Streit mehr. Zu Recht habe das LSG weiterhin
angenommen, die beigeladene Gemeinschaftspraxis könne sich nicht auf Vertrauensschutz
berufen. Sie - die Klägerin - habe zu keinem Zeitpunkt gegenüber deren Ärzten erklärt, die
von ihnen praktizierte Verordnungsweise sei zulässig. Die engen Voraussetzungen, unter
denen das BSG nachträgliche Honorarkorrekturen im Hinblick auf schutzwürdiges Vertrauen
der betroffenen Ärzte beanstandet habe, seien hier nicht erfüllt.
11 Die Beigeladene zu 2. äußert sich nicht im Revisionsverfahren.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht - sinngemäß, wie hier
klarzustellen ist - das sozialgerichtliche Urteil vom 31.5.2006 sowie ausdrücklich den
angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 15.8.2002 aufgehoben. Der Beklagte ist
verpflichtet, die Widersprüche der Beigeladenen zu 1. gegen die Regressbescheide des
Prüfungsausschusses zurückzuweisen. Diese sind rechtmäßig.
13 Rechtsgrundlage der streitigen Regresse sind die Vorschriften der im Zuständigkeitsbereich
der zu 2. beigeladenen KÄV geltenden SSB-Vereinbarung, deren Inhalt das
Berufungsgericht nur teilweise festgestellt hat. Maßgeblich ist insoweit die zum 1.7.1995 in
Kraft getretene Fassung der SSB-Vereinbarung, die in Nr VI 1 auf die Vorschriften der seit
dem 1.7.1993 im Bezirk der zu 2. beigeladenen KÄV geltenden Prüfvereinbarung verweist.
Diese ordnet in § 15 die Zuständigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch für
die Prüfung der Verordnungsweise beim SSB an; das schließt nach § 15 Abs 4 der
Prüfvereinbarung auch die Festsetzung von Regressen ein.
14 Nach der Rechtsprechung des Senats ist es grundsätzlich zulässig, dass die
Gesamtvertragspartner im Wege gesamtvertraglicher Vereinbarung in der Prüfvereinbarung
oder in der SSB-Vereinbarung die Zuständigkeit für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von
SSB-Verordnungen und für die Verordnungsfähigkeit der jeweiligen Gegenstände und
Substanzen auf die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung iS des § 106 SGB V übertragen
(BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 8) . Von dieser Befugnis haben die
Gesamtvertragspartner im Bezirk der zu 2. beigeladenen KÄV Gebrauch gemacht.
15 Die für die "periradikuläre Schmerztherapie" von den Ärzten der Beigeladenen zu 1.
eingesetzten koaxialen Interventionssets durften in den streitbefangenen Quartalen IV/1997
bis III/1998 nicht als SSB verordnet werden. SG und LSG haben übereinstimmend der
maßgeblichen SSB-Vereinbarung entnommen, dass die Sets keine Einmal-
Infusionsbestecke im Sinne der Nr IV 5 der SSB-Vereinbarung darstellen. Diese vom BSG
grundsätzlich nicht überprüfbare Auslegung einer landesrechtlichen Regelung (vgl § 162
SGG) wird von den Beteiligten nicht in Frage gestellt. Im Übrigen sind die Sets
"Einmalkanülen", deren Kosten nach den Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil A Nr 2 des
Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen in der ab dem 1.7.1997
geltenden Fassung bereits in den berechnungsfähigen Leistungen für die Schmerztherapie
enthalten sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 14 bis 18) . Die Beigeladene zu 1.
hätte die Sets daher - ebenso wie andere zu den allgemeinen Praxiskosten rechnende
Gegenstände - auf eigene Rechnung beschaffen müssen; mit der Vergütung der
vertragsärztlichen Leistungen durch die Beigeladene zu 2. gelten die dafür aufgewandten
Beträge als abgegolten. Die Krankenkassen haben diese Kosten pauschal mit den an die
Beigeladene zu 2. entrichteten Gesamtvergütungen bezahlt. Der Weg, durch Verordnung der
Sets als SSB eine (erneute) Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen zusätzlich zur
Abgeltung durch die Gesamtvergütungen zu erreichen, ist aus Rechtsgründen
ausgeschlossen.
16 Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines SSB-Regresses liegen
danach vor. Die zu 1. beigeladene Gemeinschaftspraxis hat die koaxialen Interventionssets
zur Einbringung von Schmerzmitteln in den Körper der Patienten als SSB verordnet, obwohl
eine derartige Verordnung ausgeschlossen gewesen ist. Allein das rechtfertigt die
Festsetzung eines Regresses zu Gunsten der klagenden Krankenkasse, die für alle
Krankenkassen im Bezirk der Beigeladenen zu 2. im streitbefangenen Zeitraum den SSB
abgewickelt hat. Der Feststellung eines Verschuldens des betroffenen Arztes bedarf es nicht.
Fehlerhafte oder unwirtschaftliche SSB-Verordnungen lösen eine Ersatzpflicht des die
Verordnung ausstellenden Arztes unabhängig von einem etwaigen Verschulden aus (BSG
SozR 4-2500 § 106 Nr 7 RdNr 12) . Insoweit gelten für die Verordnung von SSB keine
anderen Grundsätze als allgemein für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs-
und Verordnungsweise eines Vertragsarztes. Dazu hat der Senat in zwei Urteilen vom
5.11.2008 erneut dargelegt, dass die Festsetzung von Honorarkürzungen und
Verordnungsregressen kein Verschulden des Vertragsarztes voraussetzt (ua B 6 KA 63/07
R, BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 28). Deshalb ist grundsätzlich für die
Rechtmäßigkeit der Regressbescheide des Prüfungsausschusses ohne Bedeutung, ob die
Mitglieder der zu 1. beigeladenen Gemeinschaftspraxis subjektiv der Auffassung gewesen
sind, ihre Verordnungspraxis sei mit den maßgeblichen rechtlichen Vorschriften vereinbar.
17 Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen im
Einzelfall ausnahmsweise SSB-Regresse ausgeschlossen sind, weil die verordnenden
Ärzte berechtigterweise auf Auskünfte, Mitteilungen oder Entscheidungen der Institutionen
der vertragsärztlichen Versorgung vertraut haben, die ihre Verordnungspraxis bestätigten.
Wenn für derartige Vertrauensschutzerwägungen im Zusammenhang mit fehlerhaften SSB-
Verordnungen überhaupt Raum sein sollte, dann setzt das zumindest voraus, dass die für
die Verordnung und Prüfung von SSB zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit die
von den betroffenen Ärzten praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt und
die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft der zuständigen Behörden ihre (erst nachträglich als
fehlerhaft erkannte) Verordnungsweise fortgesetzt bzw aufgenommen haben. Tatsächliche
Umstände iS des § 163 SGG, die diese Voraussetzungen zu erfüllen geeignet wären, hat
das LSG indessen nicht festgestellt.
18 Die Beigeladene zu 1. ist der Auffassung, gegenüber einem Regress wegen fehlerhafter
SSB-Verordnungen müsse unter denselben Voraussetzungen Vertrauensschutz gewährt
werden, wie das nach der Rechtsprechung des Senats bei nachträglichen
Honorarberichtigungen durch die KÄV geboten ist. Auf diese Grundsätze (zusammengefasst
zuletzt in BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 1 RdNr 16) kann hier jedoch von vornherein nicht
abgestellt werden. Die Rechtsprechung des Senats zum schutzwürdigen Vertrauen
gegenüber rückwirkenden Honorarkorrekturen durch die KÄV ist untrennbar damit
verbunden, dass die KÄV Quartal für Quartal ihren Mitgliedern Honorarbescheide erteilt, die
als Verwaltungsakte grundsätzlich bestandskräftig werden. Der Senat steht auf dem
Standpunkt, dass die Vorschriften über die rückwirkende Korrektur von Verwaltungsakten (§
45 SGB X) durch § 106a Abs 1 SGB V bzw - in der Zeit vor dem 1.1.2004 - durch die
Richtigstellungsvorschriften der Bundesmantelverträge verdrängt werden. Deshalb können
Korrekturen fehlerhafter Honorarbescheide im Regelfall mehrere Jahre rückwirkend
rechtmäßig vorgenommen werden, unabhängig davon, ob die Ärzte auf die Richtigkeit dieser
Bescheide vertraut haben und vertrauen durften. Dieser sehr weitgehende Ausschluss
jedweden Vertrauensschutzes gegenüber nachträglichen Honorarberichtigungen bedarf
nach der Rechtsprechung des Senats allerdings in verschiedenen, vom LSG grundsätzlich
zutreffend zusammengefassten Konstellationen der Einschränkung. Ausgangspunkt sowohl
der Einschränkung von Vertrauensschutz als auch der Begrenzung dieser Einschränkungen
ist der Honorarbescheid als Verwaltungsakt, der bis zu seiner Korrektur Grundlage der
Honorierung vertragsärztlicher Leistungen ist.
19 Die Rechtsprechung des Senats zur Beachtung von Vertrauensschutzaspekten bei der
nachträglichen Honorarberichtigung kann deshalb allenfalls auf solche Konstellationen
übertragen werden, in denen eine einem Verwaltungsakt vergleichbare Äußerung der für die
Leistungsbewilligung zuständigen Behörde vorliegt, die sich nachträglich als falsch erweist.
Eine derartige, auf eine verbindliche Festlegung zielende behördliche Äußerung, auf die
sich die Ärzte der zu 1. beigeladenen Praxis verlassen haben, liegt hier nicht vor und ist
nach dem üblichen Verfahren der Verordnung von SSB und dessen Bezahlung auch nicht
vorgesehen.
20 Zuständig für solche Vertrauensschutz begründenden Äußerungen wären zum hier
maßgeblichen Zeitraum im Bezirk der zu 2. beigeladenen KÄV Nordrhein die Prüfgremien
als Entscheidungsinstanz und/oder eventuell die Krankenkassen als Kostenträger. Die
Vertragsärzte verordnen den SSB zu Lasten einer gesamtvertraglich bestimmten
Krankenkasse. Diese ist grundsätzlich verpflichtet, die Verordnungen umzusetzen und den
Herstellern bzw Händlern der verordneten Produkte die ihnen zustehende Vergütung zu
zahlen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 24) . Bestandskraftfähige Entscheidungen
über die Rechtmäßigkeit von Verordnungen oder den Umfang des zugelassenen
Verordnungsvolumens ergehen im Voraus nicht und haben nach den maßgeblichen
Vorschriften auch nicht zu ergehen. Insofern gilt nichts anderes als bei der Verordnung von
Arzneimitteln, die grundsätzlich auch nicht durch bestandskräftige Bescheide vorab geprüft
oder bewilligt werden (zu einer möglichen Ausnahme beim sog off-label-use vgl BSG,
Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B -, MedR 2007, 557, 560). In beiden
Konstellationen erfolgt die Prüfung der Rechtmäßigkeit bzw Wirtschaftlichkeit der
Verordnungen nachträglich. Innerhalb der gesetzlich oder gesamtvertraglich bestimmten
Antrags- bzw Prüfungsfristen müssen Vertragsärzte damit rechnen, dass ihr
Verordnungsverhalten - sowohl im Hinblick auf Arzneimittel für einzelne Patienten als auch
bezogen auf den SSB, der definitionsgemäß nicht einem einzelnen Patienten zugeordnet
werden kann - auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wird. Zuständig sind insoweit im Bezirk
der KÄV Nordrhein die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung, und finanziell betroffen sind
die Krankenkassen, die die Kosten der auf einen bestimmten Patienten ausgestellten
Verordnung von Arzneimitteln wie die Kosten der Verordnung von SSB tragen. Bevor sich
die Krankenkassen als Kostenträger und ggf die Prüfgremien als für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit einer bestimmten Verordnungsweise zuständigen Gremien mit einer
Verordnungsweise befasst und diese gebilligt oder beanstandet haben, kann sich
schutzwürdiges Vertrauen der Ärzte auf deren Korrektheit von vornherein nicht entwickeln.
21 Soweit Vertragsärzte etwa im Hinblick auf besonders hohe Kosten bestimmter, unter
Umständen als SSB zu verordnender Produkte, vorab Gewissheit über deren
Verordnungsfähigkeit erlangen wollen, müssen sie auf verbindliche Erklärungen der
Entscheidungs- bzw Kostenträger hinwirken. Das sind beim SSB wie bei Arzneimitteln die
Prüfgremien bzw Krankenkassen, nicht aber die KÄV. Das relativiert von vornherein den
rechtlichen Stellenwert der Schreiben eines Mitarbeiters der Bezirksstelle Duisburg der zu 2.
beigeladenen KÄV vom 24.11.1998 an den Prüfungsausschuss und vom 4.3.1999 an die zu
1. beigeladene Gemeinschaftspraxis; auf diese beiden Schreiben hat das SG die Annahme
von Vertrauensschutz gestützt. Abgesehen davon, dass das Schreiben vom 24.11.1998 nicht
an die Ärzte der zu 1. beigeladenen Praxis gerichtet war und - nicht anders als das weitere
Schreiben vom 4.3.1999, das der Mitarbeiter der KÄV schon am 12.7.1999 als "Versehen"
bezeichnete - diesen Ärzten erst nach Ablauf des von den Regressen betroffenen Zeitraums
zuging, kann einer Auskunft allein der KÄV keine abschließende Verbindlichkeit zukommen,
soweit die Verordnungsfähigkeit von SSB betroffen ist. Anders als im Bereich der
Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen, die gegenüber der KÄV erfolgt, weiß der
Vertragsarzt, dass für die Kosten seiner Verordnungen von vornherein nicht die KÄV,
sondern unmittelbar die Krankenkassen leistungspflichtig und für Regressfestsetzungen die
Prüfgremien zuständig sind. Deshalb kommt nur Auskünften der Krankenkassen und der
Prüfgremien rechtserhebliche Bedeutung zu, was auch für die Verordnung von Arzneimitteln
außerhalb der zugelassenen Indikationen ("off label use") anerkannt ist. Dazu hat der Senat
bereits entschieden, dass Arzneikostenregresse nicht deshalb rechtswidrig sind, weil bei
den betroffenen Ärzten Unklarheiten hinsichtlich der Rechtslage bestanden haben. Soweit
Ärzte in Kenntnis von Zweifeln an der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels bei einer
bestimmten Indikation von dem Instrument einer vertragsärztlichen Verordnung Gebrauch
machen, gehen sie das Risiko ein, dass nachträglich die fehlende Verordnungsfähigkeit
festgestellt wird (BSG, Beschluss vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560). Das wird auch in
der Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht anders gesehen (vgl zB LSG Berlin-
Brandenburg vom 26.11.2008 - L 7 KA 13/05, juris RdNr 72).
22 KÄVen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZÄVen) können nicht einmal im
Zusammenhang mit der allein ihnen obliegenden Vergütung vertrags(zahn)-ärztlicher
Leistungen verbindliche Interpretationen vorgeben, soweit dies die von den
Bewertungsausschüssen erlassenen Bewertungsmaßstäbe betrifft. So hat der Senat
ausgeführt, dass sog "Abrechnungshinweise" einer KZÄV, die einseitig von dieser
veröffentlicht werden und nicht mit den Krankenkassen abgestimmt sind, einen Zahnarzt
nicht davor schützen, dass eine Krankenkasse den in einem solchen Hinweis enthaltenen
Standpunkt nicht teilt und deshalb auf eine Honorarberichtigung durch die KZÄV hinwirkt
(BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 1 RdNr 23).
23 Die Existenz einer verbindlichen Auskunft oder auch nur schriftlich niedergelegter
Auffassungen der für die Abwicklung des SSB zuständigen Klägerin oder der Prüfgremien
aus der Zeit der hier betroffenen Quartale IV/1997 bis III/1998 zu der Verordnungsfähigkeit
der koaxialen Interventionssets hat die Beigeladene zu 1. hier von vornherein nicht
behauptet. Dafür ist auch nichts ersichtlich.
24 Vertrauensschutz kann die Beigeladene zu 1. hier schließlich auch nicht deshalb für sich in
Anspruch nehmen, weil die Klägerin bzw die Prüfgremien die Verordnung der koaxialen
Interventionssets als SSB in Kenntnis ihrer Fehlerhaftigkeit geduldet hätten. Nach der
Rechtsprechung des Senats dürfen nachträgliche Richtigstellungen vertragsärztlicher
Honorarabrechnungen aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgen, wenn die KÄV zB über
einen längeren Zeitraum wissentlich eine systematisch fachfremde Tätigkeit eines Arztes
geduldet hat (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 1 RdNr 16 iVm 24; BSGE 89, 90, 101 = SozR 3-
2500 § 82 Nr 3 S 14). Selbst wenn diese Auffassung auf die Duldung von unzulässigen
SSB-Verordnungen durch die Krankenkassen bzw die Prüfgremien übertragen werden
könnte, was der Senat offen lässt (vgl dazu Clemens in Schlegel/Voelzke/Engelmann
1. daraus für sich nichts herleiten. Für Vertrauensschutzerwägungen ist allenfalls Raum,
wenn die zuständige Institution positive Kenntnis davon hatte, dass eine bestimmte,
zumindest umstrittene Abrechnungsweise regelmäßig praktiziert wird, und der Arzt aus einer
langjährigen unbeanstandeten Abrechnung den Schluss ziehen durfte, die
Abrechnungsfähigkeit werde nicht in Frage gestellt (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 6 S 35).
Feststellungen in diese Richtung hat das LSG nicht getroffen. Es hat vielmehr ausdrücklich
ausgeführt, weder die Klägerin noch der Beklagte hätten die Abrechnung der
Interventionssets als SSB geduldet, obwohl sie der Auffassung gewesen seien, es handele
sich gerade nicht um SSB. Die dem zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des
LSG sind nach § 163 SGG für den Senat bindend, weil die Beigeladene zu 1. insoweit keine
Verfahrensrügen erhoben hat. Die rechtliche Würdigung des LSG teilt der Senat, weil allein
fehlende Beanstandungen von SSB-Verordnungen in der Vergangenheit kein
schutzwürdiges Vertrauen auf ihre Hinnahme für die Zukunft begründen können.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, §
162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Kostenpflicht der Beigeladenen zu 1.
als erfolgloser Rechtsmittelführerin beruht auf § 154 Abs 2 VwGO. Diese Regelung ist im
Falle eines erfolglosen Rechtsmittels die allein maßgebliche Kostenvorschrift (daneben
keine Anwendung des § 154 Abs 1 VwGO, vgl in diesem Sinne Olbertz in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Oktober 2008, § 154 RdNr 10 und 11). Dementsprechend
ist in einem solchen Fall kein Raum für eine Kostenpflicht auch des Beklagten, der selbst
kein Rechtsmittel eingelegt hat, unabhängig davon, ob sein Bescheid aufgehoben wird. In
einer derartigen Konstellation erfolglosen Rechtsmittels ist der unterlegene Hauptbeteiligte
(Beklagte), der keinen Antrag gestellt hat, vielmehr grundsätzlich sogar
kostenerstattungsberechtigt (so Bundesverwaltungsgericht NJW 1994, 3024,
3027, insoweit in BVerwGE 94, 269 nicht abgedruckt; besonders deutlich Rennert in
Eyermann, VwGO, 12. Aufl 2006, § 154 RdNr 6). Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn -
wie hier - der Beklagte im weiteren Verlauf des Rechtsmittelverfahrens dem Hauptantrag
eines anderen Beteiligten beigetreten ist und hiermit der Sache nach unterlegen ist;
hierdurch entfällt - entsprechend dem Grundgedanken des § 154 Abs 1 VwGO - seine
Kostenerstattungsberechtigung (Ergänzung zu BVerwG, aaO). Der Ausschluss der
Kostenerstattungsberechtigung gilt im vorliegenden Fall nicht nur für den Beklagten, sondern
gemäß § 162 Abs 3 VwGO auch für die Beigeladene zu 2., weil diese sich im
Revisionsverfahren nicht beteiligt und vor allem keinen Antrag gestellt hat (§ 162 Abs 3
VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, jeweils RdNr 16).