Urteil des BSG vom 01.10.2009
BSG (musik, lehre, kunst, unterricht, tätigkeit, 50 jahre, bildende kunst, künstlerisches werk, berufliche tätigkeit, alter)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 1.10.2009, B 3 KS 2/08 R
Künstlersozialversicherung - Versicherungspflicht - Musikgarten-Lehrerin -
musikalische Früherziehung von Kleinkindern - Lehre von Kunst
Leitsätze
Der in Eltern-Kind-Gruppen stattfindende Musikgarten-Unterricht für Kleinkinder stellt keine
"Lehre von Musik" im Sinne des Künstlersozialversicherungsrechts dar (teilweise Aufgabe von
BSG vom 14.12.1994 - 3/12 RK 80/92 = SozR 3-5425 § 1 Nr 4).
Tatbestand
1 Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz
(KSVG).
2 Die Klägerin ist gelernte Industriekauffrau, die seit ihrer Jugend Akkordeon und Klavier spielt;
über eine musikalische Fachausbildung verfügt sie allerdings nicht. Seit Oktober 1999 leitet
sie Gruppenstunden der musikalischen Früherziehung (Melodika) in einem Musikverein, für
die sie im Jahre 2005 eine monatliche Pauschale von 82 Euro erhielt; bis dahin war sie
ehrenamtlich tätig. Nach einer Weiterbildung im Bereich der Musikerziehung bietet sie dort
sowie bei zwei weiteren Vereinen seit Herbst 2005 auch sog "Musikgarten-Kurse" für Kinder
im Alter von sechs Monaten bis zu viereinhalb Jahren an. Die Kurse mit einer Dauer zwischen
30 und 45 Minuten beinhalten das Singen von Liedern und sollen mit Bewegungen und der
Berührung von Körperteilen auch dem Erlernen von Körpererfahrung dienen und den Kindern
ein Rhythmusgefühl vermitteln. Soweit die Kinder altersgemäß hierzu noch nicht in der Lage
sind, wird das Singen und Sprechen weitgehend von den anwesenden Eltern übernommen.
Den Eltern werden Wiegenlieder und sog Bewegungslieder beigebracht, die sie zu Hause
einsetzen können. Zudem werden Tierlaute, klassische Musik und sonstige Klänge
vorgespielt, die bewusst und konzentriert gehört und von den Kindern imitiert werden. Die
Teilnehmerzahl an den Kursen in den verschiedenen Altersgruppen lag im Frühjahr 2008 bei
insgesamt 101 Kindern. Der Unterricht wird teils im Vereinsauftrag und teils auf Grundlage
unmittelbarer vertraglicher Beziehungen mit den Eltern der Kinder erteilt. Die Klägerin hat
einen Raum zur Durchführung ihrer Kurse angemietet. Für das Jahr 2008 rechnete sie mit
Einkünften in Höhe von etwa 10.000 Euro.
3 Die Klägerin meldete sich am 6.1.2006 bei der beklagten Künstlersozialkasse als Ausbilderin
im Bereich Musik und beantragte die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem KSVG.
Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Tätigkeit der Klägerin nicht als künstlerisch oder
publizistisch iS des § 2 KSVG angesehen werden könne. Es liege keine "Lehre von Musik"
vor, weil wegen Fehlens einer hinreichenden musikalischen bzw musikpädagogischen
Qualifikation davon auszugehen sei, dass keine nennenswerten Fähigkeiten bzw Fertigkeiten
zur Musikausübung vermittelt würden. Zudem seien die Kinder noch so klein, dass nur
Grundfunktionen vorwiegend im Bereich der Rhythmik, nicht aber das Spielen eines
Musikinstruments gelehrt werden könnten (Bescheid vom 30.3.2006, Widerspruchsbescheid
vom 26.7.2006).
4 Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass
die Klägerin seit dem 6.1.2006 der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliege (Urteil
vom 5.11.2007). Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das
Landessozialgericht (LSG) unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des erkennenden Senats
zurückgewiesen (Urteil vom 15.7.2008). Danach umfasse die "Lehre von Musik" auch die
Unterrichtung von Kindern im Rahmen der musikalischen Früherziehung. Auch sehr kleine
Kinder könnten schon Musik wahrnehmen und hierauf reagieren. Entscheidend sei, dass das
Musikgarten-Konzept darauf ausgerichtet sei, sehr kleine Kinder an die Ausübung von Musik
heranzuführen.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 2 Satz 1
KSVG. Nach der jüngeren Rechtsprechung des erkennenden Senats beschränke sich die
Lehre von Kunst auf solche Lehrtätigkeiten, die der aktiven Kunstausübung der Schüler
dienten (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 7 - kunstgeschichtlicher Unterricht - sowie BSG SozR 4-
5425 § 2 Nr 10 - Tanzlehrerin für Tango Argentino). Dieses Ziel stehe bei den von der
Klägerin angebotenen Musikgarten-Kursen nicht im Vordergrund und sei im Übrigen bei
Kindern im Alter bis zu viereinhalb Jahren auch nicht zu erreichen.
6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 15.7.2008 und des SG Karlsruhe vom 5.11.2007
zu ändern und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie hat zu Recht die begehrte Feststellung der
Versicherungspflicht (vgl § 8 Abs 1 KSVG) abgelehnt, weil die Klägerin nicht zu dem vom
KSVG erfassten Kreis der selbstständigen Künstler und Publizisten gehört. Die
Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb zu ändern; die Klage ist abzuweisen.
9 1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Feststellungsanspruchs ist § 1 iVm § 2 Satz 1
KSVG. Dabei ist hier § 1 KSVG in der Fassung des Gesetzes zur Organisationsreform in der
gesetzlichen Rentenversicherung vom 9.12.2004 (BGBl I 3242) und § 2 KSVG in der
Fassung des 2. KSV-Änderungsgesetzes vom 13.6.2001 (BGBl I 1027) anzuwenden. Nach
§ 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen
Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen
Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit
erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben (Nr 1) und im Zusammenhang mit der
künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer
beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist
geringfügig iS des § 8 SGB IV (Nr 2). Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses
Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Publizist
im Sinne des KSVG ist derjenige, der als Schriftsteller, Journalist oder in anderer Weise
publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt (§ 2 Satz 2 KSVG) . Im vorliegenden Fall kommt
ersichtlich nur die "Lehre von Musik" iS des § 2 Satz 1 KSVG in Betracht. Die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind hier aber nicht erfüllt.
10 2. In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den
Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik sowie die
bildende und die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im
Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der
Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht
im KSVG nur allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine materielle
Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen bewusst verzichtet (BT-Drucks 8/3172 S 21) .
Dieser Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der
allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl BSG
SozR 4-5425 § 24 Nr 6 RdNr 13 und BSGE 83, 160, 161 = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 33 -
jeweils mwN; zum Kunstbegriff des Art 5 Grundgesetz vgl BVerfGE 30, 173 , 188 ff und 81,
108, 116; zur Zielrichtung des KSVG vgl BT-Drucks 9/26, S 18 und BT-Drucks 8/3172, S 19
ff) . Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner
Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen soll, mit denen sich der
"Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen
Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftigt (BSGE 83,
160, 165 f = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 37 f; BSGE 83, 246, 250 = SozR 3-5425 § 1 Nr 5 S 23;
vgl auch Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4. Aufl 2009, § 2 RdNr 3 und 9; Schriever
"Der Begriff der Kunst im Künstlersozialversicherungsrecht" in: von Wulffen/Krasney ,
Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S 709, 714 f) . Der Gesetzgeber hat damit
einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in
aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen
eines bestimmten Kunsttyps (zB Theater, Malerei, Musik) entspricht. Bei diesen
Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis der Betroffenen zu unterstellen, ohne dass es
auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und
Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird (BSG, aaO) .
11 a) Im vorliegenden Fall sind zwei Tätigkeitsbereiche zu unterscheiden. Bei den seit 1999
erteilten Melodika-Gruppenkursen geht es um die "musikalische Früherziehung" (MFE) von
Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren, während die Musikgarten-Kurse für Kinder im
Alter zwischen sechs Monaten und viereinhalb Jahren vorgesehen und dem Bereich der
MFE vorgelagert sind (sog Vor-MFE). Die MFE bezeichnet das Regelangebot der im
Verband deutscher Musikschulen (VdM) zusammengeschlossenen Musikschulen für vier bis
sechs Jahre alte Kinder (vgl M. Neuhäuser, Musikalische Früherziehung, 1971; H. Rauhe,
Hören und Verstehen, 1975) . Der Begriff MFE ist in der "Elementaren Musikpädagogik" für
diesen Altersbereich etabliert; mit der Vorverlagerung des Kindergarteneintrittsalters wird die
MFE mittlerweile aber in zunehmendem Maße auch schon für drei Jahre alte Kinder
angeboten. Der Unterricht in der MFE wird ohne Eltern durchgeführt und kann ohne
besondere Voraussetzungen besucht werden. Die Begegnung mit den elementaren
musikalischen Erlebnis- und Ausdrucksweisen (Schulung des Hörens, Umgang mit der
Stimme, Singen, Erfahrung von Rhythmus als Musik und Bewegung, erstes Spiel mit
einfachen Instrumenten, Grundkenntnisse der Musiklehre, Kennenlernen verschiedener
Musikinstrumente) steht im Mittelpunkt der MFE. Die Vor-MFE richtet sich an Kinder im Alter
bis zu vier Jahren und verfolgt im Wesentlichen die gleichen Ziele wie die MFE, findet aber
altersentsprechend (nur) in der Form von Eltern-Kind-Kursen statt. Zu diesem Bereich
gehören die von der Klägerin angebotenen Musikgarten-Kurse. Sie beinhalten die erste
Begegnung der Kinder mit Musik und Klängen verschiedener Art, wobei die Eltern in die
Lage versetzt werden, Musik in den Familienalltag hinüberzutragen und sich zu Hause mit
den Kindern musikalisch zu beschäftigen (Schlaf-, Wiegen-, Wickel-, Spiellieder, Kniereiter,
Fingerspiele usw). Auch die Kurse der Vor-MFE werden an den Musikschulen des VdM
angeboten und gehen den MFE-Kursen vielfach voraus (vgl näher das Schreiben des VdM
vom 18.7.2008).
12 Die Klägerin ist nach den Feststellungen des LSG schwerpunktmäßig im Bereich der Vor-
MFE tätig. Im Vergleich zu den Musikgarten-Kursen (Vor-MFE) sind die Melodika-
Gruppenstunden (MFE) nur von untergeordneter Bedeutung. Dies ergibt sich sowohl aus
dem jeweiligen Zeitaufwand als auch aus der jeweiligen Vergütung, denn den weitaus
größten Teil ihrer Einkünfte bezieht die Klägerin aus den Musikgarten-Kursen. Da sich die
Versicherungspflicht nach dem KSVG stets nach dem Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit
richtet (BSGE 82, 107 = SozR 3-5425 § 25 Nr 12 zu gemischten Tätigkeiten), liegt der
Schwerpunkt der Lehrtätigkeit der Klägerin im Bereich der Vor-MFE. Dieser Unterricht stellt
indes keine "Lehre von Musik" iS des § 2 Satz 1 KSVG dar.
13 b) In dem inzwischen mehr als 30 Jahre alten Künstlerbericht wird ein speziell auf die MFE
oder die Vor-MFE bezogener Beruf des Musiklehrers, Musikpädagogen oder musikalischen
Ausbilders nicht erwähnt (BT-Drucks 7/3071, S 7). Die Nichtverzeichnung im Künstlerbericht
1975 spricht allerdings nicht zwangsläufig gegen die Qualifizierung der Tätigkeit als
künstlerisch, denn dies würde der Vielfalt und Dynamik in der Entwicklung künstlerischer
und publizistischer Berufstätigkeiten widersprechen (vgl auch die Gesetzesmaterialien zum
KSVG, BT-Drucks 8/3172, S 21 und 9/26, S 18) . Im Bereich der Musik findet sich als
Einordnungshilfe nur der Katalogberuf des "Pädagogen bzw Ausbilders im Bereich Musik"
(BT-Drucks 7/3071, S 7) . Diesem künstlerischen Berufsbild ist die Klägerin im Hinblick auf
ihre vom LSG festgestellte berufliche Tätigkeit aber nicht zuzuordnen, weil diese nicht darauf
gerichtet ist, die Kinder unmittelbar zur "Ausübung von Musik" zu befähigen.
14 c) Der Bereich "Musik" umfasst Sänger und Instrumentalmusiker aller Art, Komponisten,
Arrangeure, Dirigenten, Chorleiter, professionelle Discjockeys, Liedermacher sowie
Liedtexter und Librettisten (vgl Finke/Brachmann/Nordhausen, aaO, § 2 RdNr 10 und 11).
Soweit es um die Aus- und Weiterbildung in einem dieser Berufe geht, werden "Pädagogen
bzw Ausbilder im Bereich Musik" vom Regelungszweck des § 2 Satz 1 KSVG erfasst. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob die Lehrer über eine staatlich anerkannte musikalische
Berufsausbildung als Musiker oder eine Berufsqualifikation als Musiklehrer verfügen (so
bereits BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 4 S 15; teilweise aA Finke/Brachmann/Nordhausen, aaO, §
2 RdNr 12 zu den Stichworten Musiklehrer/Musikerzieher/Musikpädagoge) und ob
angehende Berufsmusiker oder Laien unterrichtet werden, die nur in ihrer Freizeit am
Unterricht teilnehmen und das Gelernte auch nur für Freizeitzwecke verwenden wollen (so
bereits BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 1 zum Afro-Dance; BSGE 69, 259, 263 = SozR 3-5425 § 24
Nr 1 zum Musikunterricht an einer Volkshochschule; BSG SozR 4-5425 § 2 Nr 10 zum
Tango Argentino). Demgemäß können auch Kinder und Jugendliche einen als "Lehre von
Musik" iS des § 2 Satz 1 KSVG einzustufenden Musikunterricht zB im Musikverein, in der
Schule oder im Internat erhalten. Voraussetzung ist aber jeweils, dass sie durch den
Unterricht befähigt werden sollen, selbst aktiv musikalisch tätig zu werden, etwa als
Instrumentalmusiker, Gesangssolisten oder Chorsänger.
15 d) Neben diesen Bereichen der "Lehre von Musik" als eigenständiger Kunstform, die von § 2
Satz 1 KSVG erfasst wird, gibt es aber auch Bereiche der Lehre mit musikalischem oder
sonstigen künstlerischem Einschlag, die vorrangig von sozio- und psychotherapeutischen
Zwecken (zB Musiktherapie, Tanztherapie, Mal- und Zeichentherapie) oder von
pädagogischen bzw didaktischen Zielen geprägt sind. In diesen Bereichen stehen die
musikalischen und sonstigen künstlerischen Elemente der Therapie oder des Unterrichts im
Dienste eines übergeordneten, nicht-künstlerischen Zweckes, haben also nicht das primäre
Ziel, den Patienten bzw Schüler zu befähigen, eine künstlerische Leistung zu vollbringen
oder ein künstlerisches Werk zu schaffen, also zB ein Musikinstrument zu spielen. Alle einer
vorrangig medizinisch-rehabilitativen Therapie bzw vorrangig pädagogisch-didaktischen
Zwecken dienenden Formen der Unterrichtung unter Zuhilfenahme künstlerischer Elemente
werden vom KSVG nicht erfasst, weil bei ihnen die Vermittlung von Fähigkeiten und
Fertigkeiten zur eigenständigen Ausübung musikalischer oder sonstiger künstlerischer
Betätigungen nicht im Mittelpunkt steht. Die gesetzliche Gleichstellung der Lehre von Musik
und darstellender bzw bildender Kunst mit der - von der Verkehrsauffassung schon immer
als "künstlerische" Tätigkeiten eingestuften - Schaffung und Ausübung von Darbietungen
und Werken der Kunst ist nur gerechtfertigt, wenn die Lehre, also der praktische und
theoretische Unterricht, darauf gerichtet ist, dem Lernenden die Fähigkeiten und Fertigkeiten
beizubringen, die erforderlich sind, um selbst zur Schaffung und Ausübung künstlerischer
Darbietungen und Werke in der Lage zu sein. Dieser Aspekt ist in der Vergangenheit nicht
immer beachtet worden und mag deshalb mitunter zu Fehleinschätzungen bei der
Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG geführt haben.
16 e) Der erkennende Senat räumt ein, dass zu dieser partiellen Fehlbewertung seine
Entscheidung vom 14.12.1994 - 3/12 RK 80/92 - (BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 4) zur
Künstlereigenschaft einer im klassischen und modernen Tanz ausgebildeten Lehrerin, die
an einer Musikschule Kinder im Alter ab vier Jahren im Rahmen der MFE im Fach "Kreativer
Tanz" unterrichtet, beigetragen haben mag. Diese Lehrerin ist als selbstständige Künstlerin
eingestuft worden, weil sie mit den Kindern der Musikschule im Rahmen der MFE unter
Einsatz von sog Orffschen Instrumenten und Musikkassetten Rhythmus- und Klangübungen
durchführte (vgl dazu Carl Orff, Musik für Kinder, 5 Bände, 1950-1954) . Dabei ist seinerzeit
das Argument der Beklagten ausdrücklich als KSVG-rechtlich unerheblich bezeichnet
worden, bei der Unterrichtstätigkeit der Klägerin stehe nicht die Vermittlung künstlerischer
Kenntnisse und Fähigkeiten im Vordergrund, sondern die bloße Heranführung der Kinder an
die Musik und die Vermittlung kindgerechten Grundlagenwissens im Sinne einer
Allgemeinbildung. Es reichte dem Senat danach aus, wenn an einer Musikschule
"künstlerischer Fachunterricht" erteilt wird; daneben konnte der pädagogische oder
didaktische Anteil in den verschiedenen Teilnehmer- und Altersgruppen einen
unterschiedlichen Raum einnehmen, ohne dass dies die Einordnung als "Lehre von Musik
bzw Kunst" hinderte (BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 4 S 17) .
17 Dieser sehr weite Begriff der Lehre von Musik bzw darstellender und bildender Kunst ist in
den Gesetzesmaterialien (vgl BR-Drucks 260/79 S 19) nicht angelegt und vom Sinn und
Zweck des KSVG her nicht gerechtfertigt; er wird daher vom erkennenden Senat
aufgegeben, weil er der jetzigen und der Motivation des Gesetzgebers besser
entsprechenden Auslegung dieses Begriffes widerspricht. Auch bei Kindern im Alter bis zu
sechs Jahren kann es zwar im Einzelfall eine "Lehre von Musik" iS des § 2 Satz 1 KSVG
geben, dies aber nur dann, wenn den Kindern schwerpunktmäßig Fähigkeiten oder
Fertigkeiten vermittelt werden, die auf die eigenständige aktive Ausübung musikalischer
oder künstlerischer Betätigungen gerichtet sind, zB das Spielen eines Musikinstruments.
Dies kann durch theoretischen und praktischen Unterricht gleichermaßen geschehen. Steht
bei einem solchen Unterricht die aktive Musikausübung im Vordergrund, ist es auch
unerheblich, wenn daneben pädagogisch-didaktische Zwecke verfolgt werden. Diese von
der früheren Rechtsprechung aus dem Jahre 1994 teilweise abweichende Rechtsauffassung
hat der erkennende Senat in der Entscheidung vom 7.12.2006 - B 3 KR 11/06 R - (BSG
SozR 4-5425 § 2 Nr 10) zur Tanzlehrerin für den Tango Argentino bereits angedeutet; sie
wird nunmehr bekräftigt: § 2 Satz 1 KSVG bezieht sich nur auf solche Lehrtätigkeiten, die der
aktiven Musik- bzw Kunstausübung der Schüler und Studenten dienen. Gegenstand der
Lehrtätigkeit muss daher vorrangig die Vermittlung praktischer oder theoretischer Kenntnisse
sein, die den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Unterrichteten zur Ausübung bzw Schaffung
von Musik oder Kunst dienen. Dies ist nach den Feststellungen des LSG hier nicht der Fall.
Die Unterrichtstätigkeit der Klägerin dient nach den nicht angegriffenen und für den Senat
daher bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) trotz des Einsatzes musikalischer
Gestaltungsmittel wie zB Gesang und instrumentaler Klangerlebnisse in erster Linie dem
Kommunikations- und Kreativitätstraining der Kinder, dem Erlernen von Körpererfahrungen
sowie der Förderung der Koordination, der Konzentration und des Gemeinschaftssinns, also
im weitesten Sinne pädagogischen Zwecken, aber nicht der unmittelbaren Hinführung zu
einer eigenständigen Musikausübung. Die Klägerin ist daher keine "Lehrerin von Musik" iS
des § 2 Satz 1 KSVG.
18 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.