Urteil des BSG vom 11.11.2004

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 18.6.2008, B 14/11b AS 61/06 R
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung- Angemessenheitsprüfung bei
Wohngemeinschaften - Aufteilung nach Kopfzahl - Einzelperson -
Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze
Lebt ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger nicht in einer Bedarfsgemeinschaft, sondern in einer
bloßen Wohngemeinschaft, ist bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft
nach der Produkttheorie allein auf ihn als Einzelperson abzustellen.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen für
Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2005.
2 Der 1955 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2005 von der Beklagten Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bis zum 14. Februar 2005 war er
alleiniger Mieter einer 60 qm großen Zwei-Zimmer-Etagen-Wohnung in W. Die Beklagte
legte mit Bescheid vom 11. November 2004 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe
von 240 Euro fest. Für Ein-Personen-Haushalte sei nach den Richtlinien des Kreises R. in
Anlehnung an die Mietstufen des § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) eine Kaltmiete einschließlich
Nebenkosten in Höhe von 225 Euro angemessen. Von den Heizkosten in Höhe von 20 Euro
monatlich sei ein Betrag von 5 Euro für die Warmwasseraufbereitung abzusetzen.
3 Ab dem 15. Februar 2005 bewohnte der Kläger in Wohngemeinschaft mit Frau S. O. eine
Fünf-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung mit Garten in T., für die eine Nettokaltmiete in Höhe
von 450 Euro, Nebenkosten in Höhe von 40 Euro und eine Heizungs- und
Warmwasserpauschale in Höhe von 90 Euro, insgesamt 580 Euro monatlich zu zahlen
waren. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 30. Juni 2005 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 in Höhe von 521,77
Euro monatlich. Die Leistung setzte sich zusammen aus der Regelleistung in Höhe von 345
Euro und Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 176,77 Euro monatlich. Auf
den Widerspruch des Klägers erhöhte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.
September 2005 die Leistung für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2005 auf 533,25
Euro, im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Da der Kläger mit Frau O. in einer
Wohngemeinschaft lebe, sei zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft von
einem Zwei-Personen-Haushalt auszugehen. Dem Kläger sei die Hälfte des nach den
Richtlinien des Kreises R. in Anlehnung an die Mietstufen des § 8 WoGG festzusetzenden
Betrages zu bewilligen. Im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2005 betrügen die
angemessenen Unterkunftskosten 150 Euro und die angemessenen Heizkosten 26,77 Euro
monatlich, sodass sich ein Anspruch in Höhe von 176,77 Euro ergebe. Ab Oktober 2005
seien die angemessenen Heizkosten auf 38,25 Euro zu erhöhen, sodass für die Zeit vom 1.
Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 ein Anspruch in Höhe von 188,25 Euro bestehe.
4 Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. Januar 2006 die Beklagte verurteilt, dem
Kläger Unterkunftskosten in Höhe von 225 Euro zuzüglich 40 Euro Heizungskosten
monatlich zu gewähren und die Berufung zugelassen. Nach der Produkttheorie komme es
nicht auf einzelne Faktoren wie Wohnungsgröße, Wohnstandard oder Quadratmeterpreis,
sondern lediglich darauf an, ob sich das Ergebnis im Rahmen des Angemessenen bewege.
Zwischen den Beteiligten sei nicht streitig, dass der Kläger als Alleinstehender einen
angemessenen Unterkunftsbedarf in Höhe von 225 Euro monatlich habe. Mangels
Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft sei es nicht gerechtfertigt, einen Zwei-Personen-
Haushalt zu Grunde zu legen.
5 Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 14. September
2006 zurückgewiesen. Der Kläger habe nach dem Kopfteilprinzip tatsächliche
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 265 Euro. Ob ihm darüber hinaus
Mietnebenkosten entstünden, sei nicht zu entscheiden, weil er hierfür keine Leistungen
beantragt habe. Maßstab der Prüfung, ob die KdU angemessen seien, sei das Produkt aus
der abstrakt angemessenen Unterkunftsgröße in Quadratmetern und dem nach den örtlichen
Verhältnissen noch angemessenen Mietzins je Quadratmeter. Ausgangspunkt für die
Bestimmung der angemessenen Höhe von Unterkunfts- und Heizungskosten sei die abstrakt
zu ermittelnde Unterkunftsgröße. Hierzu könne typisierend auf die zulässigen, nach der Zahl
der Haushaltsangehörigen differierenden Wohnflächen im sozialen Wohnungsbau
zurückgegriffen werden, die sich aus den landesrechtlichen Verwaltungsvorschriften zu § 5
Wohnungsbindungsgesetz iVm § 27 Abs 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz ergäben.
Insoweit sei der Begriff der Haushalts-angehörigen aber lediglich analog zu demjenigen der
Bedarfsgemeinschaft zu verstehen. Ob darüber hinaus noch andere Personen in der
Wohnung lebten, sei hingegen im Zusammenhang mit der Bestimmung der angemessenen
Unterkunftsgröße nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II unerheblich. Für eine alleinstehende
Person wie den Kläger sei damit eine Unterkunft mit einer Gesamtfläche bis zu 50 qm als
angemessen anzusehen.
6 Zur Feststellung des für diese Wohnfläche angemessenen Mietzinses sei das
Mietzinsniveau am konkreten Wohnort des Hilfebedürftigen zu ermitteln. Dabei sei auf die im
unteren Bereich der für vergleichbare Unterkünfte am Wohnort des Hilfeempfängers
marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen. Existiere ein örtlicher Mietpreisspiegel oder
eine Mietpreisübersicht von am Wohnungsmarkt beteiligten Verbänden und Organisationen,
so sei vorrangig hierauf abzustellen. Es könne offen bleiben, ob der Rückgriff auf die in
Anlehnung an die Wohngeldstufen des § 8 WoGG erstellten Richtlinien des Kreises R. hier
zu billigen sei. Auch nach diesen Richtlinien ergebe sich jedenfalls ein angemessener
Unterkunftsbedarf für Alleinstehende in der vom Kläger geltend gemachten Höhe von 225
Euro monatlich.
7 Wie der Kläger innerhalb des vorgegebenen Rahmens seinen Bedarf an Unterkunft decke,
sei ihm freigestellt. Er könne insbesondere entscheiden, ob er eine unangemessen große
Unterkunft zu einem besonders niedrigen Mietpreis anmiete oder ob er eine unangemessen
teure Unterkunft bevorzuge, sich dafür aber mit einer besonders geringen qm-Zahl begnüge.
Ebenso sei es ihm überlassen, ob er eine nur von ihm allein oder eine von einer
Wohngemeinschaft bewohnte Unterkunft wähle. Zwar seien die tatsächlichen
Unterkunftskosten, die den Ausgangspunkt der Prüfung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II
bilden, von der Kopfzahl der Bewohner der Unterkunft abhängig. Nicht zutreffend sei
hingegen die gleichzeitige Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen des zweiten
Prüfungsschrittes, der Ermittlung der abstrakten Angemessenheit. Die Auslegung der
Beklagten führe zu einer Kollision mit der dem Hilfebedürftigen auferlegten Obliegenheit,
unangemessen teuren Wohnraum notfalls durch teilweise Untervermietung auf das
angemessene Maß zu reduzieren. Sie sei auch nicht mit der von der Rechtsprechung
entwickelten Produkttheorie vereinbar.
8 Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie trägt vor, das
LSG verkenne, dass bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten unabhängig
von der Form des Zusammenlebens auf die Zahl der im Haushalt lebenden Personen
abzustellen und der so ermittelte Betrag nach dem Kopfteilprinzip aufzuteilen sei. Der Kläger
bilde mit Frau O. hinsichtlich der Unterkunftskosten eine Haushaltsgemeinschaft. Bestimmte
Grundkosten wie zB die Kosten, die üblicherweise in der Kaltmiete enthalten seien und
unabhängig von der Personenzahl in der Wohnung entstünden, seien nur einmal zu tragen.
Der dadurch entstehende Kostenvorteil sei bei der Bestimmung der angemessenen
Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Diese Sichtweise entspreche auch der bisherigen
sozialhilferechtlichen Praxis, die den angemessenen Betrag für eine bedarfsgerechte
Unterkunft nach der Kopfzahl der Wohngemeinschaft ermittelt und aufgeteilt habe. Wohn-
und Wirtschaftsgemeinschaften seien bei der Bestimmung des Unterkunftsbedarfs
gleichzustellen. Es komme ansonsten zu einer Ungleichbehandlung von Lebensformen.
9 Mangels eines örtlichen Mietspiegels sei es zulässig, auf den in § 8 WoGG angegebenen
Höchstbetrag für bis Ende 1965 bezugsfertig gewordenen Wohnraum abzustellen. Danach
seien für einen alleinstehenden Hilfebedürftigen Kosten für Unterkunft in Höhe von 225 Euro
und für Heizung in Höhe von 40 Euro monatlich angemessen.
10 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. September 2006
und des Sozialgerichts Schleswig vom 10. Januar 2006 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
11 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12 Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend. Er sei nicht anders zu behandeln als ein
Hilfebedürftiger, der in einer unangemessen teuren Wohnung lebe und einen Teil
untervermiete, um die Kosten auf ein angemessenes Maß zu reduzieren.
Entscheidungsgründe
13 Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz ). Das LSG hat zu Recht die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. Dem Kläger stehen KdU iS des § 22 SGB II in dem vom SG bestimmten
Umfang von 265 Euro monatlich zu.
14 1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer
Sachentscheidung nicht entgegen.
15 a) Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche des Klägers auf KdU für die Zeit vom 1. Juli
2005 bis 31. Dezember 2005. Es handelt sich dabei um einen abtrennbaren selbständigen
Anspruch, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes möglich ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind beim Streit um höhere Leistungen
zwar auch im SGB II grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der
Höhe nach zu prüfen (BSG SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr 16; Urteil vom 16. Mai 2007 - B
11b AS 29/06 R - RdNr 18; Urteil vom 5. September 2007 - B 11b AL 49/06 R - RdNr 19).
Von diesem Grundsatz hat das BSG für den Fall der KdU eine Ausnahme gemacht (BSG
SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 18 ff), weil die Zuständigkeit für die Regelleistung und die KdU
nach § 6 SGB II unterschiedlich und die Leistung inhaltlich von anderen Leistungen
abgrenzbar ist.
16 b) Die Beklagte als eine nach § 44b SGB II idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.
Juli 2004 (BGBl I 2014) gebildete Arbeitsgemeinschaft ist beteiligtenfähig nach § 70 Nr 2
SGG (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1). § 44b SGB II ist ungeachtet seiner
Verfassungswidrigkeit bis zum 31. Dezember 2010 weiterhin anwendbar
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04 und 2 BvR
2434/04 - DVBl 2008, 173 ff = NVwZ 2008, 183 ff = NZS 2008, 198 ff).
17 2. Der Kläger ist Berechtigter iS des § 7 Abs 1 SGB II idF des Kommunalen Optionsgesetzes
vom 30. Juli 2004 (BGBl I 2014). Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, nicht jedoch das 65.
Lebensjahr (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II). Nach dem Gesamtzusammenhang der
Feststellungen des LSG ist er iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 Abs 1 SGB II
erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§
7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II). Der Kläger ist überdies hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr
3 SGB II iVm §§ 9, 11 und 12 SGB II. Er hat einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft
und Heizung nach § 22 SGB II in der von ihm beanspruchten Höhe.
18 Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit
der Wohnungskosten ist nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr
24; Nr 3 RdNr 19 ff) in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst bedarf es der Feststellung,
welche Größe die gemietete Wohnung aufweist. Nach Feststellung der Wohnraumgröße ist
als weiterer Faktor der Wohnstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind die
Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und
Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen
Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss im unteren Segment der nach der Größe in
Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den
Vergleichsmaßstab bildet. Da es im Ergebnis allein auf die Kostenbelastung des
Grundsicherungsträgers ankommt, kann dahinstehen, ob einzelne Faktoren wie Ausstattung
oder Lage isoliert als angemessen anzusehen sind, solange der Grundsicherungsträger
nicht mit unangemessen hohen Kosten belastet wird. Das BSG folgt insoweit der
Produkttheorie, die abstellt auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard,
das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt (SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 20). Die vom
Kläger geltend gemachten Kosten sind danach angemessen.
19 a) Es kann offen bleiben, wie hoch die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für
Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum waren. Eine vertragliche Abrede über den
vom Kläger zu tragenden Mietanteil hat das LSG nicht festgestellt. In einem solchen Fall ist
die Aufteilung der Wohnkosten grundsätzlich nach Köpfen vorzunehmen wie in den Fällen
der gemeinsamen Nutzung einer Wohnung durch mehrere Familienangehörige, auch wenn
sie nicht zu einer Bedarfsgemeinschaft gehören (vgl hierzu BSG, Urteil vom 31. Oktober
2007 - B 14/11b AS 7/07 R; Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R = SozR 4-
4200 § 20 Nr 3 RdNr 28 mwN). Danach wäre unter Zugrundelegung einer Warmmiete in
Höhe von 580 Euro von tatsächlichen Aufwendungen des Klägers in Höhe von 290 Euro
auszugehen. Ungeachtet dessen hat der Kläger aber nur Kosten in Höhe von 225 Euro
zuzüglich angemessener Heizkosten geltend gemacht. Das Urteil des SG, mit dem die
Beklagte zur Zahlung von insgesamt 265 Euro verurteilt worden ist, hat der Kläger nicht
angegriffen. Die Beklagte hat danach jedenfalls den im Rahmen der Angemessenheit
liegenden Teil der Unterkunftskosten zu zahlen (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr 25).
20 aa) Das LSG hat zu Recht entschieden, dass eine Wohnfläche von 50 qm als angemessen
anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Bestimmung der
angemessenen Wohnungsgröße die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau
anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen (SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 19). Nach der
Verwaltungsvorschrift des Landes Schleswig-Holstein zur Sicherung von Bindungen in der
sozialen Wohnraumförderung nach Wohnungsbindungsgesetz und
Wohnraumförderungsgesetz vom 17. Juni 2004 (Amtsbl. Schl.-H. 2004 S. 548, zuletzt
geändert am 23. Januar 2006, Amtsbl. Schl.-H. 2006 S. 87), Punkt 8.5.1, steht dem Kläger
als Einzelperson eine Wohnfläche von bis zu 50 qm zu. Für einen aus zwei Personen
bestehenden Haushalt sieht die Verwaltungsvorschrift eine Wohnfläche bis zu 60 qm vor.
21 Für die Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ist allein auf den Kläger abzustellen.
Die Frage der Angemessenheit kann stets nur im Hinblick auf den Hilfebedürftigen nach dem
SGB II und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen beantwortet
werden. Nur für diesen Personenkreis ergeben sich durch dieses Kriterium Begrenzungen.
Zwar stellen die einschlägigen Wohnraumförderungsbestimmungen auf die Zahl der
Haushaltsmitglieder ab. Die Kategorie der Haushaltsgemeinschaft kennt das SGB II aber,
abgesehen von der Ausnahmevorschrift des § 9 Abs 5 SGB II, deren Voraussetzungen hier
ersichtlich nicht vorliegen, nicht. Rechtlich relevant ist eine Personenmehrheit nur dann,
wenn sie eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II bildet. Die Grundsicherungsträger
und die Gerichte werden bei einer Personenmehrheit stets zunächst zu prüfen haben, ob die
in dieser Vorschrift enumerativ genannten Voraussetzungen für die Annahme einer
Bedarfsgemeinschaft vorliegen oder ob lediglich eine Wohnung gemeinsam genutzt wird.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG besteht zwischen dem Kläger
und Frau O. keine - allein in Betracht kommende - Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3
Buchst c SGB II in der Fassung des kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I
2014). Sie wohnen vielmehr in einer reinen Wohngemeinschaft zusammen. Mangels
Vorliegens einer aus mehreren Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft ist maßgeblich
mithin ausschließlich der Anspruch des Klägers, der als "allein stehend" iS des § 20 Abs 2
SGB II anzusehen ist (vgl BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 2 RdNr 18).
22 Hieraus ergibt sich keine ungerechtfertigte Besserstellung des Klägers gegenüber
Hilfebedürftigen, die mit Personen zusammen wohnen, mit denen sie eine
Bedarfsgemeinschaft bilden. Die in § 7 Abs 3 SGB II genannten Konstellationen zeichnen
sich sämtlich durch eine besondere Verbundenheit und gegenseitige Verantwortlichkeit der
einbezogenen Personen aus. Das findet auch in den Wohnverhältnissen und -bedürfnissen
seinen Niederschlag (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2007
- L 5 B 1280/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 23. März 2006 - L 6
AS 96/06 ER und vom 13. April, - L 9 AS 131/06 ER). Bei einer Bedarfsgemeinschaft kann
typischerweise davon ausgegangen werden, dass der Wohnraum insgesamt gemeinsam
genutzt wird. Die Überlassung eines Raumes an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zur
ausschließlichen Nutzung, etwa ein Kinderzimmer, erfolgt regelmäßig nicht aufgrund einer
rechtlichen Verpflichtung und vermittelt dementsprechend auch keine Rechtsposition. Bei
einer Wohngemeinschaft wird hingegen typischerweise jeweils einem Bewohner ein Recht
zur alleinigen Nutzung eines Teils des Wohnraums eingeräumt. Nur ein Teil der Wohnung,
zumeist Flur, Küche und Bad, werden gemeinschaftlich genutzt. Unabhängig davon, ob in
anderen Bereichen auch gemeinsam gewirtschaftet wird, besteht jedenfalls hinsichtlich des
individuellen Wohnraums in aller Regel eine klare Trennung der dem Einzelnen
zuzuordnenden Bereiche. Deutlich wird das in den Fällen, in denen eine Person als
Hauptmieter auftritt und mit den weiteren Personen einen Untermietvertrag über einen Teil
der Wohnung schließt. Aber auch in Fällen, in denen mehrere Personen als Hauptmieter
auftreten, kann eine entsprechende Aufteilung durch interne Abreden erfolgen. Die
gemeinsame Nutzung von Räumen rechtfertigt auch keinen Abschlag von der
angemessenen qm-Zahl (so aber Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22
RdNr 44; wie hier LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. November 2007 - L 28 AS 1059/07
-). Sie ist vielmehr, sofern nicht besondere vertragliche Abreden bestehen, durch die
Aufteilung der tatsächlichen Wohnkosten, ggf nach Kopfzahl, berücksichtigt. Es würde im
Gegenteil eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung bedeuten, wenn dem in einer
Wohngemeinschaft wohnenden allein stehenden Hilfebedürftigen im Rahmen der
Bestimmung der abstrakten Angemessenheit eine geringere Quadratmeterzahl zugebilligt
würde als dem tatsächlich allein wohnenden Hilfebedürftigen.
23 Auch soweit ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger innerhalb einer Wohngemeinschaft
tatsächlich eine größere Wohnfläche beanspruchen kann als ihm im Rahmen der abstrakten
Angemessenheit in einer aus zwei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft
zuzubilligen wäre, begründet dies keinen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung
aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz. Es steht dem Hilfebedürftigen grundsätzlich frei, wie er seinen
Bedarf an Wohnraum deckt. Solange er sich im Rahmen des Angemessenen bewegt, kann
er auch mit anderen Personen gemeinsam Wohnraum anmieten und dadurch seine
Wohnsituation qualitativ, etwa hinsichtlich Standard und Größe verbessern. Auch ein
alleinstehender Hilfebedürftiger oder eine aus mehreren Personen bestehende
Bedarfsgemeinschaft kann ausgehend von der Produkttheorie die für sie maßgebliche
Wohnungsgröße überschreiten, solange das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das
sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht. Soweit der
Hilfebedürftige in einer Wohngemeinschaft davon profitiert, dass die Miete pro Quadratmeter
bei größeren Wohnungen regelmäßig niedriger ist als bei kleineren Wohnungen für
Einzelpersonen, wird dieser Vorteil bei der Aufteilung nach Köpfen berücksichtigt und kann
im übrigen auch dazu führen, dass der Bedarf für Kosten der Unterkunft tatsächlich niedriger
ist als wenn der Hilfebedürftige eine Wohnung als Einzelperson nutzt. Das LSG hat insofern
zutreffend darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten durch die
Aufteilung nach Kopfzahl der Bewohner auch unterhalb des abstrakt Angemessenen sinken
kann und die Leistung dann hierauf begrenzt ist. Die von der Beklagten angenommene
Situation, dass für tatsächlich nicht bestehenden Bedarf geleistet wird, weil Aufwendungen
erspart würden, kann nicht entstehen.
24 bb) Die geltend gemachten Kosten sind auch gemessen am Quadratmeterpreis nicht zu
beanstanden. Angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese
nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen
genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3
RdNr 20). Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen (BSG
SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr 24). Das LSG hat hierzu festgestellt, dass für den Wohnort des
Klägers kein Mietspiegel existiert. Ferner hat es darauf verwiesen, dass die Beklagte selbst
bei einer Einzelperson von einem angemessenen Mietzins in Höhe von 225 Euro ausgeht
und der Kläger keine höheren Leistungen begehrt. Anhaltspunkte dafür, dass diese
Aufwendungen das Maß des Angemessenen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II überschreiten,
bestehen nicht. Die Beklagte hat gegenüber dem Senat noch einmal ausdrücklich bekräftigt,
dass sie Kosten in Höhe von insgesamt 265 Euro monatlich für einen Ein-Personen-
Haushalt als angemessen ansieht.
25 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.