Urteil des BSG vom 18.11.2009

BSG: krankenversicherung, funktionelle zuständigkeit, arzneimittel, unparteilichkeit, erlass, veröffentlichung, meinung, befangenheit, entstehungsgeschichte, behandlung

Bundessozialgericht
Beschluss vom 18.11.2009
Sozialgericht Hamburg S 8 KR 537/07
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 4/08
Bundessozialgericht B 1 KR 74/08 B
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Hamburg vom 30. April 2008 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu
gewähren, wird abgelehnt. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Hamburg vom 30. April 2008 wird als unzulässig verworfen. Kosten des Beschwerdeverfahrens
sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Der gesetzlich krankenversicherte Kläger verfolgt mit seiner Klage das Ziel, den beklagten Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA) zu verurteilen, in seinen Richtlinien festzulegen, dass die nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimittel "Thioctacid 600 HR" und "Milgamma mono 150" zur Behandlung seiner polyneuropathischen Erkrankung
ausnahmsweise vertragsärztich verordnet werden dürfen. Er ist mit seinem Begehren in den Vorinstanzen ohne Erfolg
geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ua ausgeführt: Das Sozialgericht (SG) habe die Klage
zu Recht als unzulässig abgewiesen. Einem Versicherten stehe kein unmittelbares Klagerecht gegenüber Richtlinien
des Beklagten zu. Dessen Richtlinien seien untergesetzliche Normen, die von Versicherten grundsätzlich nur
inzidenter im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte der Krankenkassen überprüft werden könnten,
weil das SGG eine Normenkontrollklage nicht kenne. Lediglich ausnahmsweise sei nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) eine Feststellungsklage zulässig, wenn sonst kein effektiver Rechtsschutz gewährt
werden könne (BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5). Dieser Rechtsschutz sei dem Kläger aber in seinem bereits
abgeschlossenen Rechtsstreit gegen seine Krankenkasse wegen Erstattung der Kosten nach der Selbstbeschaffung
der og Arzneimittel bzw Zurverfügungstellung dieser Arzneimittel für die Zukunft (SG Hamburg S 32 KR 739/06; LSG
Hamburg L 1 KR 9/07) gewährt worden (Urteil vom 30.4.2008, schriftlich abgesetzt bei der Geschäftsstelle
eingegangen am 26.9.2008, dem Kläger zugestellt am 1.10.2008).
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil macht der Kläger sinngemäß
Verfahrensfehler geltend. Zugleich begehrt er für die Beschwerde die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter
Beiordnung eines Rechtsanwaltes.
II
3
Der 1. Senat des BSG ist der für die Entscheidung zuständige Spruchkörper (dazu 1.). Der Antrag des Klägers auf
Gewährung von PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten ist abzulehnen (dazu 2.). Seine
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil ist unzulässig (dazu 3.).
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1. Der erkennende 1. Senat des BSG ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, weil eine Angelegenheit der
Sozialversicherung (§ 10 Abs 1, § 12 Abs 2 Satz 1, § 31 Abs 1 Satz 1, § 40 Satz 1 SGG), nämlich der
Krankenversicherung, und nicht des Vertragsarztrechts (§ 10 Abs 2, § 12 Abs 2, § 31 Abs 2, § 40 Satz 2 SGG)
betroffen ist, für die der 6. Senat des BSG zuständig wäre.
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Maßgeblich für die Zuordnung von Streitigkeiten ist, ob die begehrte Rechtsfolge nach ihren einschlägigen materiell-
rechtlichen Grundlagen dem Bereich der Krankenversicherung oder des Vertragsarztrechts zuzuordnen ist (ebenso: 3.
Senat des BSG, Urteil vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R, RdNr 10 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; aA 6.
Senat des BSG, Urteil vom 6.5.2009 - B 6 A 1/08 R - RdNr 21 f, zum Abdruck in BSGE und SozR vorgesehen).
Soweit die begehrte Rechtsfolge im SGB V wurzelt, handelt es sich grundsätzlich um eine Angelegenheit der
Krankenversicherung. Die Zuordnung von Streitigkeiten des Leistungs- und des Leistungserbringerrechts zu den
Spruchkörpern für Krankenversicherung (§ 51 Abs 1 Nr 2 SGG) ist der Regelfall. Nur ausnahmsweise geht es dennoch
um Vertragsarztrecht, soweit nämlich Streitigkeiten aufgrund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und
Vertragsärzten, Psychotherapeuten, Vertragszahnärzten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände betroffen
sind (§ 10 Abs 2 SGG). Streitigkeiten aus diesem Teilbereich des Leistungserbringerrechts begründen eine
abweichende Besetzung der Richterbank mit ehrenamtlichen Richtern ggf aus den Kreisen der Krankenkassen und
jedenfalls der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten (§ 12 Abs 3, § 31 Abs 2, § 33, § 40 Satz 2
SGG). Für die übrigen Teile des Leistungserbringerrechts sind ebenso wie im Leistungsrecht des SGB V
Rechtsfragen grundsätzlich in derselben und für das SGB V typischen Besetzung der Spruchkörper zu entscheiden,
nämlich mit einem Vorsitzenden, (bei den Senaten) zwei weiteren Berufsrichtern und je einem ehrenamtlichen Richter
aus dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber (§ 12 Abs 2, § 31 Abs 1 Satz 1, § 33, § 40 Satz 1 SGG).
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Ein Streit darüber, ob der GBA eine spezielle Richtlinie nach § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V zu erlassen hat, zählt zu den
Sachen der Krankenversicherung und nicht des Vertragsrechts. Ganz unabhängig davon, wer den Erlass einer
solchen Richtlinie begehrt, sei es ein Versicherter, ein Vertragsarzt, der Hersteller, eine Vereinigung von
Vertragsärzten wie die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Kassen(zahn)ärztliche Bundesvereinigung, eine
Krankenkasse, ein Krankenkassenverband oder der Spitzenverband Bund der Krankenkassen oder auch ein Dritter: In
keinem Fall geht es um Vertragsarztrecht im Sinne des § 10 Abs 2 SGG.
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Das ergibt sich aus Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der dafür
einschlägigen prozess- und materiell-rechtlichen Grundlagen. Ein Streit über eine Pflicht des GBA zum Erlass von
Richtlinien gehört schon nach dem Wortlaut grundsätzlich nicht zu den besonderen Streitigkeiten nach § 10 Abs 2
SGG, sondern zum Krankenversicherungsrecht. Ihm liegen Regelungen des SGB V zugrunde, der Streit besteht
gerade nicht lediglich "aufgrund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Psychotherapeuten,
Vertragszahnärzten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände". Nur wegen einer Beteiligung des GBA sind
nicht ausschließlich und speziell die Rechte und Pflichten von "Vertragsärzten" in ihrer Beziehung zu den
Krankenkassen berührt. Vielmehr hat der GBA eine umfassende Steuerungsfunktion. Seine Beschlüsse und
Richtlinien entfalten gleichermaßen verbindliche Wirkung gegenüber Versicherten, ärztlichen und nichtärztlichen
Leistungserbringern (so § 91 Abs 6 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.3.2007, BGBl I 378, anknüpfend an
bereits zuvor ergangene Rechtsprechung des BSG, zB BSGE 78, 70, 75 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 30 (6. Senat);
BSGE 87, 105, 111 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 8 sowie BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 7 RdNr 20 (3. Senat); BSGE 81,
73, 81 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 56 (1. Senat)). Leistungsrecht und Leistungserbringerrecht des SGB V stehen in
keinem Vorrang/Nachrang-Verhältnis. Vielmehr ist - wie nicht zuletzt auch § 91 Abs 6 SGB V zeigt - von einer Einheit
beider Teilbereiche auszugehen (zB BSGE 81, 54, 77 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 14 ff).
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Das belegt auch die Entstehungsgeschichte des § 91 SGB V jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung am 1.1.2004 (§ 91 SGB V idF des GKV-
Modernisierungsgesetzes (GMG) - vom 14.11.2003, BGBl I 2190, dort Art 1 Nr 70). Seither sind die verschiedenen
Bundesausschüsse in bewusster Abkehr von der alten Rechtslage zu einem einheitlichen und sektorübergreifenden
Steuerungsgremium zusammengefasst (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525 S 106 zu Nr 70). Nach § 91 Abs 2 Satz 1 SGB V (in der ab 1.7.2008
geltenden GKV-WSG (aaO)) werden sogar nur noch drei der dreizehn Mitglieder des Beschlussgremiums von der
Kassenärztlichen bzw Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung gestellt (neben drei unparteiischen Mitgliedern sowie
Vertretern der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen). Es ist auch
vor diesem Hintergrund nicht angebracht, ein begehrtes oder angegriffenes Handeln des GBA dem Bereich der
gemeinsamen Selbstverwaltung von Vertragsärzten und Krankenkassen zuzuordnen, (anders: 6. Senat des BSG,
Urteil vom 6.5.2009, aaO, RdNr 21 ff).
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Auch Sinn und Zweck der Sonderregelungen im SGG für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (§ 12 Abs 3, § 31
Abs 2, § 33, § 40 Satz 2 SGG) schließen die Zuordnung der den GBA betreffenden Streitigkeiten zum
Vertragsarztrecht aus. Von der Intention her sollen im Segment "Vertragsarztrecht" nur solche Personen im
Spruchkörper mitwirken, die sachkundig und mit der besonderen Materie sowie den tatsächlichen Verhältnissen in der
vertragsärztlichen Versorgung vertraut sind (vgl BSGE 23, 105, 110; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl 2008, § 12 RdNr 6). Letztlich repräsentieren die besonderen Gruppen der ehrenamtlichen Richter im
Vertragsarztrecht diejenigen, die es angeht. Dies ist zB der Fall, wenn der Streitgegenstand etwa den rechtlichen
Status als Vertragsarzt, Fragen der vertragsärztlichen Zulassung oder der Honorierung einschließlich der
vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft. Die dargestellte umfassende Aufgabenstellung des GBA als
untergesetzlicher Normgeber und seine zentrale Rolle für das gesamte Leistungsrecht wie für das
Leistungserbringerrecht stehen einer Zuordnung der ihn betreffenden Streitigkeiten zum Vertragsarztrecht deshalb
entgegen, zumal selbst das Vertragsarztrecht nur ein Teilelement des Leistungserbringerrechts ist. Es bliebe gänzlich
unbeachtet, dass die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe hat, die Gesundheit der Versicherten
zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 Satz 1 SGB V); sie besteht nicht in
erster Linie wegen der Behandlungsberechtigung durch Vertragsärzte.
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Einer Anrufung des Großen Senats bedarf es vorliegend trotz der aufgezeigten Rechtsprechung des 6. Senats
mangels Entscheidungserheblichkeit nicht. Auch der 6. Senat geht nämlich jedenfalls davon aus, dass Streitigkeiten
zwischen Versicherten und dem GBA zu den Streitigkeiten der Krankenversicherung gehören: Die besondere
funktionelle Zuständigkeit der Kammern bzw Senate für Vertragsarztrecht im Sinne der § 10 Abs 2, § 57a SGG
bestehe - unausgesprochen, aber selbstverständlich - nur insoweit, als ein Bezug zum Leistungserbringerrecht
gegeben sei (Urteil des BSG vom 6.5.2009, aaO, RdNr 29).
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2. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten ist
abzulehnen.
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Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das
Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. An dieser
Erfolgsaussicht fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision
nicht durchdringen. Die Sache bietet weder Anhalt für eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche
Bedeutung, noch ist erkennbar, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) abgewichen sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG). Unter Berücksichtigung des Vorbringens des
Klägers und des Akteninhalts ergeben sich auch keine hinreichenden Hinweise auf ein verfahrensfehlerhaftes
Vorgehen des LSG im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
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a) Soweit der Kläger vorbringt, das LSG habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt und damit eine Verletzung
des § 103 SGG (Aufklärungspflicht) rügt, vermag dies die Erfolgsaussicht der Beschwerde nicht zu begründen. Auf
eine Verletzung des § 103 SGG kann ein Verfahrensmangel nach § 160a Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt
werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger einen den rechtlichen Anforderungen genügenden Beweisantrag gestellt hat.
Da das LSG die Klage für unzulässig gehalten hat, ist jedenfalls nicht ersichtlich, weshalb es sich hätte gedrängt
fühlen müssen, dem inhaltlichen Vorbringen des Klägers nachzugehen, die streitigen Arzneimittel seien bei seiner
besonderen Form der Erkrankung die einzig wirksame Behandlung.
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b) Das Vorbringen des Klägers, das LSG habe unzutreffend die Klage für unzulässig gehalten, kann bei summarischer
Prüfung nicht zur Zulassung der Revision wegen einer auf einem Verfahrensfehler beruhenden Fehlerhaftigkeit des
LSG-Urteils führen. Nach der von dem LSG zitierten Rechtsprechung des BSG verstößt es nicht gegen Art 19 Abs 4
GG, Versicherten die Möglichkeit einer Klage auf Erlass von Richtlinien des GBA vorzuenthalten. Ihnen verbleibt der
Weg der Inzidenterkontrolle im Rahmen von auf die Leistung selbst gerichteten Klagen (vgl zB BSGE 100, 103 =
SozR 4-2500 § 31 Nr 9, jeweils RdNr 40 - Lorenzos Öl).
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c) Auch mit der Rüge, das am 30.4.2008 verkündete Urteil sei ihm erst fünf Monate später am 1.10.2008 zugestellt
worden, hat der Kläger nicht hinreichend dargetan, dass ein Verfahrensfehler im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG
gegeben sein könnte. Aus dem Akteninhalt ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass das LSG-Urteil
wegen verspäteter Absetzung als nicht mit Gründen versehen einzustufen ist.
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Nach § 547 Nr 6 ZPO, der über § 202 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren gilt, iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist
eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie nicht mit Gründen
versehen ist. Das Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn ein Urteil nicht binnen
fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der
Geschäftsstelle übergeben worden ist (GmSOGB SozR 3-1750 § 551 Nr 4; BSG SozR 4-1500 § 120 Nr 1 RdNr 4
mwN; BSG, Beschluss vom 17.2.2009 - B 2 U 189/08 B - RdNr 5, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese
Voraussetzungen sind im Falle des Klägers nicht erfüllt. Das mit Gründen abgesetzte und unterschriebene LSG-Urteil
gelangte (entsprechend dem in den Gerichtsakten enthaltenen Vermerk) am 26.9.2008 - also innerhalb einer Frist von
fünf Monaten nach seiner Verkündung - zur Geschäftsstelle. Auf den Tag der Zustellung kommt es dagegen nicht an
(BVerwG NVwZ 2001, 1150).
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Für das Vorliegen eines Verfahrensmangels, der sich aus den Umständen des Falles auch bei Einhaltung der
Fünfmonatsfrist ergeben kann, ist nichts ersichtlich. So liegt es, wenn infolge der verzögerten Abfassung der
Urteilsgründe die zuverlässige Wiedergabe des Beratungsergebnisses und der für die Entscheidungsfindung leitenden
Erwägungen nicht mehr gewährleistet ist (BVerwG Buchholz 310 § 117 VwGO Nr 47; BVerwG ZOV 2009, 210 f RdNr
11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 134 RdNr 4). Konkrete fallbezogene Anhaltspunkte
dafür, dass die Dauer der Urteilsabfassung im vorliegenden Fall Zweifel an der Übereinstimmung von
Beratungsergebnis und Entscheidungsbegründung (wie etwa die Maßgeblichkeit einer aufwendigen Beweisaufnahme)
begründen könnte, sind bei summarischer Prüfung nicht aufzufinden.
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d) Eine hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich auch nicht aus einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des LSG
bei der mündlichen Verhandlung am 30.4.2008 (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG). Allerdings ist das LSG-Urteil unter
Vorsitz des Richters am LSG Dr. K. zustande gekommen, obwohl das LSG nicht zuvor über das von dem Kläger am
27.2.2008 gestellte Gesuch, diesen Richter als befangen abzulehnen, formell entschieden hatte. Dieser gerügte
Verfahrensfehler könnte aber die Zulassung der Revision nicht begründen, weil bei der gebotenen eigenen Überprüfung
durch den erkennenden Senat keine Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit bestehen.
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Zwar wäre eine förmliche Entscheidung des LSG über das Ablehnungsgesuch erforderlich gewesen, weil der Antrag
des Klägers nicht als offensichtlich rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann (zur mangelnden Notwendigkeit der
formellen Bescheidung wegen offensichtlicher Rechtsmissbräuchlichkeit vgl nur BVerfGE 74, 96, 100; BSG SozR 4-
1500 § 60 Nr 4; BSG, Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 51/09 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen): Der
Kläger hat sein Gesuch hinreichend sachlich begründet, indem er die vermeintliche Voreingenommenheit des Richters
im Wesentlichen darauf gestützt hat, dass dieser im Schreiben vom 25.2.2008 auf die Aussichtslosigkeit des
Klagebegehrens hingewiesen und zur Klagerücknahme geraten habe.
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Jedoch hätte eine hierauf gestützte Beschwerde dennoch keine Aussicht auf Erfolg, weil der erkennende Senat selbst
über den Antrag auf Ablehnung entscheiden müsste und das Ablehnungsgesuch höchstwahrscheinlich als
unbegründet anzusehen hätte. Wenn eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch fehlt und - wie hier - die
Tatsachenfeststellungen ausreichen, kann das Beschwerdegericht die Ablehnungsgründe prüfen und darüber
entscheiden. In einem solchen Fall steht einer Überprüfung nicht der Umstand entgegen, dass der abgelehnte Richter
sich zum Inhalt des Ablehnungsgesuchs bisher nicht geäußert hat (vgl ausführlich BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr
11 f mwN).
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Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass das Gesuch des Klägers auf Ablehnung des Richters am LSG Dr. K.
begründet war. Eine Besorgnis der Befangenheit (§ 60 SGG iVm § 42 ZPO) ist nur dann gegeben, wenn der Beteiligte
von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben
kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 60 RdNr 7 ff mwN). Die Zweifel an der Unparteilichkeit müssen
ihren Grund in eigenem Verhalten des Richters haben. Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise
liegendes Verhalten kann keine Ablehnung begründen.
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Der Kläger stützt sein Gesuch im Wesentlichen auf den Inhalt des Richterbriefes über die fehlende Erfolgsaussicht
seiner Berufung. Ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters kann jedoch nicht daraus hergeleitet
werden, dass sich dieser eine Meinung über die Rechtslage und den Verfahrensausgang gebildet hat und diese
Meinung in sachlicher Form äußert, ggf auch verbunden mit dem Rat, die Klage oder Berufung zurückzunehmen.
Vielmehr ergibt sich aus der Pflicht des Gerichts zur Prozessförderung ein Recht des Richters, gegenüber den
Beteiligten eine vorläufige Meinung über den zu erwartenden Prozessausgang kundzutun. Dies wird in der Regel von
den Beteiligten sogar begrüßt, weil es ihnen Gelegenheit gibt, vor der Entscheidung nochmals und gezielter auf die
entscheidungserheblichen Punkte einzugehen (vgl BVerwG DVBl 1979, 560; Bundesfinanzhof, Beschluss vom
25.1.1996 - X B 130/95 mwN). Weder hat es der Kläger dargelegt noch ist es sonst erkennbar, dass der abgelehnte
Richter ausnahmsweise durch seinen Hinweis seine Unparteilichkeit zum Ausdruck gebracht haben könnte; für
unsachliche oder sogar willkürliche Erwägungen des Richters fehlen jegliche Anhaltspunkte.
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3. Die bereits vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht von einem gemäß § 73 Abs 4
SGG vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG). Sie ist
gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Hinzuziehung der
ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
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4. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.