Urteil des BSG vom 12.06.2008
BSG (kündigung, ordentliche kündigung, unterkunft und verpflegung, kosten für unterkunft und verpflegung, bayern, aufschiebende wirkung, fristlose kündigung, aufgaben, gkg, prüfung)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 12.6.2008, B 3 P 2/07 R
Weigerung des Heimträgers an einer anlasslosen Wirtschaftlichkeitsprüfung eines
Pflegeheims mitzuwirken - Kündigung des Versorgungsvertrags
Leitsätze
1. Zur Frage der Kündigung des Versorgungsvertrags eines Pflegeheims wegen verweigerter
Mitwirkung des Heimträgers an der von den Landesverbänden der Pflegekassen angeordneten
"anlasslosen" Wirtschaftlichkeitsprüfung (hier: 50 Einrichtungen umfassendes Pilotprojekt in
Bayern aus dem Jahre 2002).
2. Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen von Pflegeleistungen in Pflegeheimen sind auf die
Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Grundpflege, der Behandlungspflege und der sozialen
Betreuung der Pflegebedürftigen beschränkt.
3. Besteht in einem Bundesland nur eine Krankenkasse der gleichen Art, nimmt sie als
Landesverband der Krankenkassen zugleich die Funktion als Landesverband der Pflegekassen
wahr; die bei ihr errichtete Pflegekasse ist trotz landesweiter Zuständigkeit von dieser Funktion
ausgeschlossen (Fortführung von BSG vom 6.8.1998 - B 3 P 8/97 R = BSGE 82, 252, 254 =
SozR 3-3300 § 73 Nr 1).
4. Der Streitwert für die Klage eines Einrichtungsträgers gegen die Landesverbände der
Pflegekassen wegen der Kündigung des Versorgungsvertrags für eine Pflegeeinrichtung
bemisst sich nach dem dreifachen Jahresumsatz aus der Versorgung der sozial
pflegeversicherten Personen.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Kündigung des Versorgungsvertrages für
eine Seniorenpflegeeinrichtung.
2 Die Klägerin betreibt seit 1993 eine Seniorenpflegeeinrichtung in F., die zur vollstationären
Pflege von Versicherten aller Pflegekassen zugelassen ist. Der Versorgungsauftrag ist in
einem am 1.7.2000 in Kraft getretenen Versorgungsvertrag (§ 72 SGB XI) geregelt, den die
Klägerin mit den - insoweit als "Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern"
(ARGE) auftretenden - Beklagten geschlossen hat.
3 Mit Schreiben vom 10.8.2001 teilten die Beklagten als ARGE der Klägerin mit, sie
beabsichtigten, in der Einrichtung eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 79 Abs 1 Satz 1 SGB
XI - eine sog anlasslose Wirtschaftlichkeitsprüfung - durchzuführen; Anhaltspunkte für eine
Prüfungsverpflichtung nach § 79 Abs 1 Satz 2 SGB XI bestünden nicht. Die Einrichtung sei
wegen ihrer im Vergleich zu anderen Einrichtungen höheren Pflegesätze ausgewählt worden.
Die Beklagten legten den Prüfungszeitraum fest, bezifferten die Prüfungskosten, schlugen
einen Sachverständigen namentlich vor und baten um Zustimmung zu dessen Auswahl. Die
Klägerin fragte an, welche objektiven Kriterien dem Vergleich der Pflegesätze zu Grunde
gelegt worden seien. Ein Einvernehmen mit dem benannten Sachverständigen und den
angesprochenen Verfahrensabläufen werde nicht erklärt, weil die derzeitige Rechtslage
Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach einheitlichen Maßstäben nicht zulasse. Nach weiterem
kontroversem Schriftwechsel kündigten die Beklagten als ARGE, bearbeitet durch die
Beklagte zu 1), mit Schreiben vom 29.1.2003 den Versorgungsvertrag für die Einrichtung unter
Bezugnahme auf § 74 SGB XI außerordentlich zum 31.1.2004, hilfsweise ordentlich: Sowohl
die generelle Verweigerung der Wirtschaftlichkeitsprüfung als auch die Weigerung, dem
Sachverständigen die für die Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendigen Unterlagen
vorzulegen und Auskünfte zu erteilen, stelle einen erheblichen Verstoß gegen gesetzlich und
vertraglich begründete Mitwirkungspflichten dar, wodurch die Basis für eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit erschüttert worden sei. Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei
unzumutbar geworden.
4 Das Sozialgericht (SG) hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (Beschluss vom
12.1.2004) und den Kündigungsbescheid aufgehoben (Urteil vom 26.4.2005). Gegen dieses
Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt und hilfsweise Widerklage mit dem Ziel der
Feststellung erhoben, dass sie berechtigt seien, bei der Klägerin eine
Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 79 Abs 1 Satz 1 SGB XI vorzunehmen. Die Einrichtung
sei ausgewählt worden, weil ihre Pflegesätze im Jahr 2001 in der Pflegestufe I um 6,9 vH, in
der Pflegestufe II um 5,56 vH und in der Pflegestufe III um 5,98 vH über dem Mittelwert der
entsprechenden Pflegesätze vergleichbarer anderer Einrichtungen gelegen hätten. Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und die Widerklage abgewiesen
(Urteil vom 3.8.2006): Die außerordentliche Kündigung sei rechtswidrig, weil das Verhalten
der Klägerin keine gröbliche Pflichtverletzung darstelle (§ 74 Abs 2 Satz 1 SGB XI ) . Die
fehlende Kooperation der Klägerin sei ihrer Schwere nach nicht den im Gesetz angeführten
Regelbeispielen (§ 74 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB XI) vergleichbar. Auch die hilfsweise
ausgesprochene ordentliche Kündigung (§ 74 Abs 1 SGB XI) sei rechtswidrig. Da die
Beklagten bei Ankündigung der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausdrücklich bestätigt hätten, dass
keine Anhaltspunkte für eine Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 72 Abs 3 Satz 1 SGB
XI vorgelegen hätten, könnten sie sich im Rahmen der Kündigung nicht darauf berufen, dass
nunmehr diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien. Die hilfsweise erhobene
Feststellungs-Widerklage sei unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse der
Beklagten fehle .
5 Die von den Beklagten zu 1) und 2) sowie 4) bis 7) eingelegten Revisionen stützen sich auf
die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen geltend, die Klägerin habe ihre gesetzlich in §
79 Abs 2 SGB XI sowie vertraglich in § 29 des Bayerischen Rahmenvertrages vom 1.10.1998
verankerte Pflicht, den Sachverständigen auf Verlangen die für die Wahrnehmung ihrer
Aufgaben notwendigen Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen, gröblich verletzt.
Schon deshalb sei die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt (§ 74 Ab s 2 SGB XI) . Da
nach § 72 Abs 3 SGB XI ein Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages nur
bestehe, wenn die Pflegeeinrichtung wirtschaftlich arbeite und die Erfüllung dieser
Grundbedingung nicht immer ohne Weiteres ersichtlich sei, habe der Gesetzgeber den
Verbänden der Pflegekassen das Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung an die Hand
gegeben und die alleinige Regelung der Vergütung über den Marktpreis für ungenügend
gehalten. Eine Abmahnung als milderes Mittel sei hier nicht in Betracht gekommen, weil der
Wille der Klägerin eindeutig gewesen sei, an einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht
mitzuwirken. Auch die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung (§ 74 Abs 1 SGB XI )
lägen vor. Aus der Gewährleistungsverpflichtung nach § 72 Abs 3 Satz 1 Ziffer 2 SGB XI folge,
dass bei Verweigerung der Mitwirkung an einer Wirtschaftlichkeitsprüfung und Fehlen eines
anderweitigen Nachweises der Wirtschaftlichkeit die Einrichtung so zu behandeln sei, als
seien die zur Kündigung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Widerklage werde nicht
weiterverfolgt.
6 Die Beklagten zu 1) und 2) sowie 4) bis 7) beantragen,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 3.8.2006 sowie des SG Mainz vom 26.4.2005 zu
ändern und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revisionen der Beklagten zu 1) und 2) sowie 4) bis 7) sind zulässig, aber in der Sache
unbegründet.
9 A) Der Zulässigkeit der Rechtsmittel steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 3) nicht
ebenfalls Revision eingelegt hat. Die Beklagten sind zwar notwendige Streitgenossen iS des
§ 74 SGG iVm § 62 ZPO. Dies ergibt sich aus § 81 Abs 1 Satz 1 SGB XI, wonach auch die
Kündigung eines Versorgungsvertrages nach § 74 SGB XI nur gemeinsam durch die
Landesverbände der Pflegekassen, deren Aufgaben durch die Landesverbände der
Krankenkassen wahrgenommen werden (§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XI), erfolgen kann. Die
Regelung des § 74 SGG iVm § 62 ZPO bedeutet jedoch nicht, dass alle Streitgenossen nur
gemeinsam Rechtsmittel einlegen können oder die sich nicht anschließenden
Streitgenossen durch das Rechtsmittel der anderen ebenfalls zum Rechtsmittelführer werden
(BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2 jeweils RdNr 14; BSGE 89, 294, 295 = SozR 3-
2500 § 111 Nr 3 S 15 mwN) . Die Rechtsmitteleinlegung nur eines Teils der Streitgenossen
hindert vielmehr den Eintritt der Rechtskraft auch gegenüber den anderen und bringt alle
Prozesse in die nächste Instanz, in der sämtliche notwendigen Streitgenossen, wie hier
geschehen, am Verfahren zu beteiligen sind. Das rechtskräftige Urteil bindet dann alle
notwendigen Streitgenossen, auch wenn einige kein Rechtsmittel eingelegt haben (BSG,
aaO; Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 74 RdNr 6) .
10 B) Die Revisionen der Beklagten zu 1) und 2) sowie 4) bis 7) sind unbegründet. Das LSG hat
zu Recht die Aufhebung der außerordentlichen Kündigung als auch der hilfsweise
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung bestätigt.
11 1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen zur Entscheidung über die Klage liegen vor. Die Klage ist
zulässig.
12 Die erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) ist die dem Streitgegenstand
entsprechende Klageart. Eine nach § 74 SGB XI ausgesprochene Kündigung des
Versorgungsvertrages einer Pflegeeinrichtung stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar
(so ausdrücklich die Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und
F.D.P., BT-Drucks 12/5262 S 138; Leitherer in Kasseler Kommentar § 74 SGB XI, RdNr 19;
Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 74 RdNr 3; Orthen in Hauck/Noftz, SGB XI, Stand Juli
2002 K § 74 RdNr 19; Schmäing in LPK-SGB XI, 2. Aufl 2003, § 74 RdNr 6; Bastian in Beck,
OK SGB XI, Stand 1.3.2008, § 74; wohl auch Neumann in Schulin, HBdSVR Bd IV, § 21
RdNr 35; aA: Spellbrink in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand 1996, K § 74 RdNr 19; Knittel in
Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegeversicherung, Stand 1996, § 74 SGB XI RdNr 15) .
Dafür spricht, dass das Gesetz in § 74 Abs 3 Satz 2 SGB XI die entsprechende Anwendung
von § 73 Abs 2 SGB XI anordnet, wonach ein Vorverfahren iS des § 78 SGG nicht stattfindet
und eine Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Diese für den Rechtsschutz gegen
die Ablehnung eines Versorgungsvertrags getroffenen Regelungen setzen voraus, dass es
sich bei der Entscheidung der Landesverbände nach § 73 Abs 2 SGB XI und § 74 SGB XI
jeweils um einen Verwaltungsakt (BSGE 82, 252, 254 = SozR 3-3300 § 73 Nr 1) und nicht
lediglich um eine Willenserklärung handelt. Zwar ist die Erklärung auf die Beendigung eines
Vertragsverhältnisses gerichtet, in dem sich die Beteiligten in einem Gleichrangverhältnis
gegenüberstehen. Insofern handelt es sich bei der Kündigung des Versorgungsvertrages
einer Pflegeeinrichtung um eine Willenserklärung. Jedoch stellt die Kündigung zugleich eine
hoheitliche Maßnahme dar. Sie hat über die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit den
durch den Vertrag begründeten Rechten und Pflichten hinaus gleichzeitig die weitere
Funktion der Entziehung des Status als zugelassene Pflegeeinrichtung. Sie ist deshalb wie
die Ablehnung des Abschlusses eines Versorgungsvertrages (BSGE 82, 252, 254 f = SozR
3-3300 § 73 Nr 1) als hoheitliche Maßnahme und deshalb als Verwaltungsakt anzusehen.
13 Dem Charakter der Kündigung als Verwaltungsakt steht nicht entgegen, dass bei der
gemeinsamen Entscheidung der Landesverbände der Pflegekassen nicht eine einzelne
Behörde handelt. Es fehlt insoweit an einer örtlichen Stelle, die als Behörde im
organisatorischen oder im bürokratischen Sinn angesehen werden könnte. Das ist aber
unschädlich. Entweder handeln die Landesverbände der Pflegekassen bei der Kündigung
eines Versorgungsvertrages in Form gleichlautender, nach außen hin in einem Bescheid
zusammengefasster Verwaltungsentscheidungen (gebündelter Verwaltungsakt mehrerer
Behörden) oder aber - so die bisherige Auslegung des erkennenden Senats - es ergeht
durch die Landesverbände nur ein gemeinsamer Verwaltungsakt. Der weite Behördenbegriff
der §§ 1 Abs 2, 31 Satz 1 SGB X lässt es nämlich auch zu, die notwendig gemeinsam
handelnden Landesverbände in ihrer Gesamtheit als mit der Wahrnehmung öffentlicher
Aufgaben beauftragte Stelle anzusehen. § 31 Satz 1 SGB X verwendet in der Formulierung
"eine Behörde" den unbestimmten Artikel. Dies erlaubt ein Verständnis, dass auch mehrere
Behörden die Maßnahme treffen können, jedenfalls wenn dies spezialgesetzlich so
vorgesehen ist (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 52 mwN) .
Der Gesetzgeber ist offensichtlich davon ausgegangen, dass die Landesverbände bei der
Erfüllung der ihnen gemeinsam übertragenen Aufgaben insgesamt als Entscheidungsträger
ohne gemeinsame örtliche Verwaltungsstelle handeln (BSGE 82, 252, 254 = SozR 3-3300 §
73 Nr 1) . Dabei gewährleistet im Falle eines Dissenses die Regelung des § 81 Abs 1 Satz 2
SGB XI iVm § 213 Abs 2 SGB V - beide in der bis zum 30.6.2008 geltenden Fassung - eine
einheitliche gemeinsame Beschlussfassung und das einheitliche Handeln der
Landesverbände nach außen; die Vorschriften über die notwendige Streitgenossenschaft (§
74 SGG, § 62 ZPO) sichern hinsichtlich der Verfahrensbeteiligung den erforderlichen
Rechtsschutz für den Adressaten. Dass es keine (gemeinsame) Widerspruchsstelle gibt, ist
angesichts des durch § 74 Abs 3 Satz 2 iVm § 73 Abs 2 SGB XI ausgeschlossenen
Vorverfahrens unerheblich. Die in Bayern von den Landesverbänden der Pflegekassen
gebildete Arbeitsgemeinschaft (§ 12 Abs 1 Satz 3 SGB XI) ist für eine Kündigung nach § 74
SGB XI aber nicht Behörde, weil sie in diesem Bereich durch das Gesetz nicht mit der
Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beauftragt ist (anders zB beim Abschluss von
Pflegesatzvereinbarungen, vgl § 85 Abs 2 SGB XI) und deshalb auch nicht aus eigenem
Recht zur Kündigung befugt ist (dazu Näheres unter 2 b).
14 2. Die von den Beklagten unter Berufung auf § 74 Abs 2 SGB XI ausgesprochene
außerordentliche Kündigung war aufzuheben. Nach § 74 Abs 2 Satz 1 SGB XI kann der
Versorgungsvertrag von den Landesverbänden der Pflegekassen auch ohne Einhaltung
einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn die Einrichtung ihre gesetzlichen oder
vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern
derart gröblich verletzt, dass ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist. Die
Kündigung vom 29.1.2003erfüllt mehrere dieser Voraussetzungen nicht. Sie wurde nicht von
allen Landesverbänden der Pflegekassen ausgesprochen (dazu a). Der
Kündigungsbescheid ist von der "Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern"
erlassen worden, wozu sie nicht befugt war (dazu b). Es fehlt zudem am erforderlichen
Einvernehmen des Sozialhilfeträgers (dazu c). Den Beklagten war auch die Fortsetzung des
Vertragsverhältnisses zuzumuten, sodass sich die Kündigung als grob unverhältnismäßig
erweist (dazu d).
15 a) Die Kündigung sollte zwar nach dem Willen und der Vorstellung der Beklagten von den
Landesverbänden der Pflegekassen in Bayern ausgesprochen werden, ist aber tatsächlich
nicht von allen Landesverbänden ausgesprochen worden. Beteiligt war nicht die AOK
Bayern - die Gesundheitskasse - (im Folgenden: AOK Bayern) in ihrer Funktion als
Landesverband der Ortskrankenkassen (§ 207 Abs 4 Satz 1 SGB V) , sondern die
Pflegekasse bei der AOK Bayern, die Beklagte zu 1). Allerdings führt dies noch nicht zur
Rechtswidrigkeit der Kündigung.
16 aa) Sowohl fristgerechte Kündigungen nach § 74 Abs 1 SGB XI als auch fristlose
Kündigungen nach Abs 2 der Vorschrift sind von den Landesverbänden der Pflegekassen
auszusprechen. Nach § 81 Abs 1 Satz 1 SGB XI haben die Landesverbände der
Pflegekassen die ihnen nach dem Siebten und Achten Kapitel zugewiesenen Aufgaben
gemeinsam zu erfüllen. Das SGB XI enthält indes keine dem § 207 SGB V für den Bereich
der Krankenversicherung entsprechende Vorschrift, welche die Einrichtung von
Landesverbänden der Pflegekassen regeln würde. Vielmehr ordnet § 52 Abs 1 SGB XI an,
dass die Landesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, die Deutsche
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (die als Krankenkasse nur als "Knappschaft"
firmiert), die als Landesverband tätigen landwirtschaftlichen Krankenkassen sowie die
Verbände der Ersatzkassen (ab 1.7.2008: die Ersatzkassen) die Aufgaben der
Landesverbände der Pflegekassen wahrnehmen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs
heißt es dazu, dass die Pflegekassen keine eigenen rechtsfähigen Verbände erhielten,
sondern sich auf Verbandsebene ganz unter dem Dach der gesetzlichen
Krankenversicherung befänden (BT-Drucks 12/5262 S 120) . Das Gesetz kennt in der
sozialen Pflegeversicherung auf Verbandsebene keine von den Krankenkassen losgelösten
selbstständigen rechtsfähigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (BT-Drucks
12/5262 S 120) . Dem ist im Gesetzgebungsverfahren nichts entgegengesetzt worden.
Daraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass den Landesverbänden der
Krankenkassen im Hinblick auf die den Landesverbänden der Pflegekassen zugewiesenen
Aufgaben die Rechtsstellung von Landesverbänden der Pflegekassen eingeräumt wurde
(BSG, Urteil vom 6.8.1998 - B 3 P 8/97 R - BSGE 82, 252, 254 = SozR 3-3300 § 73 Nr 1 S 2
f). Trotz der vom Gesetz in verschiedenen Zusammenhängen verwendeten Bezeichnung
"Landesverbände der Pflegekassen" sind demnach zur Wahrnehmung der Aufgaben der
Landesverbände der Pflegekassen ausschließlich die Landesverbände der Krankenkassen
berufen. Dies hat der Gesetzgeber durch die zum 1.7.2008 erfolgte Einfügung des § 52 Abs
4 SGB XI ausdrücklich klargestellt: Danach handeln die in § 52 Abs 1 SGB XI aufgeführten
Stellen, soweit in diesem Buch die Landesverbände der Pflegekassen Aufgaben
wahrnehmen. Auf der Ebene der Landesverbände der Pflegekassen ist somit eine
Mitwirkung der einzelnen Pflegekasse selbst dann ausgeschlossen, wenn sich ihr
Zuständigkeitsbereich auf das gesamte Landesgebiet erstreckt (vgl dagegen für die
Krankenversicherung § 207 Abs 2a und Abs 4 SGB V) . Dies gilt auch für die Kündigungen
nach § 74 SGB XI. Angesichts der vom Gesetz angeordneten Trennung der
Rechtsträgerschaft zwischen Kranken- und Pflegekassen scheidet ein zulässiges Handeln
einer Pflegekasse im Rahmen der Kündigung von Versorgungsverträgen aus. Selbst aus der
Satzung der Pflegekasse bei der AOK Bayern ergibt sich nicht, dass (vergleichbar der
Regelung des § 207 Abs 2a und Abs 4 SGB V) die Pflegekasse auch die Aufgabe des
Landesverbandes der Pflegekasse wahrnehmen könnte. Vielmehr bestimmt die Satzung der
AOK Bayern ausdrücklich, dass diese die Funktion als Landesverband der Krankenkasse
ausübt (§ 2 Abs 4 der Satzung der AOK Bayern vom 1.1.2002 in der Fassung des 3.
Nachtrags, beschlossen am 25.6.2002) . Da alle Landesverbände der Krankenkassen bei
der Kündigung gemeinsam zu handeln haben (§ 81 Abs 1 SGB XI) , bewirkt die
Nichtmitwirkung auch nur eines Landesverbandes an der Kündigung grundsätzlich deren
Rechtswidrigkeit.
17 bb) Allerdings muss für den vorliegenden Fall eine Ausnahme gemacht werden. Die
Mitwirkung der Beklagten zu 1), also der Pflegekasse bei der AOK Bayern, statt der AOK
Bayern als Landesverband der Ortskrankenkassen an der Kündigung führt nicht zur
(formellen) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, weil insoweit Gesichtspunkte des
Vertrauensschutzes zu beachten sind. Soweit in einem Bundesland verschiedene
Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) existierten (bzw noch existieren), war es, auch
angesichts der Ausführungen des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 6.8.1998 (B 3 P
8/97 R - BSGE 82, 252, 254 = SozR 3-3300 § 73 Nr 1), unzweifelhaft, dass die bei den
verschiedenen AOKen gebildeten Pflegekassen nur auf örtlicher Ebene tätig waren und die
Aufgaben des Landesverbands der Pflegekassen durch den Landesverband der
Ortskrankenkassen wahrgenommen wurden. Bei Vereinigung der AOKen in einem
Bundesland zu einer AOK und, dem folgend, der Vereinigung der diversen Pflegekassen zu
einer Pflegekasse hätte es nahegelegen, dass diese Pflegekasse analog § 207 Abs 2a und
Abs 4 SGB V die Funktion als Landesverband der Pflegekassen übernehmen würde. Eine
dementsprechende Vorschrift findet sich jedoch im SGB XI nicht und es wird auch nicht auf §
207 SGB V verwiesen. Dies ist offenbar keinem Beteiligten bei den Pflegekassen und
insbesondere auch nicht den Leistungserbringern in der sozialen Pflegeversicherung
bewusst gewesen. Angesichts der nicht einfachen und auch nicht ohne Weiteres plausiblen
Zuständigkeitsregelung und der Identität der Organe von Kranken- und Pflegekassen hält es
der erkennende Senat aus Gründen des Vertrauensschutzes für angemessen, dass alle bis
zur Verkündung dieses Urteils (12.6.2008) abgeschlossenen Vorgänge und Handlungen, bei
denen statt der Beklagten zu 1) die AOK Bayern als Landesverband der Pflegekassen (§ 52
SGB XI) hätte handeln müssen, nicht allein wegen dieses Zuständigkeitsfehlers als
rechtswidrig eingestuft werden dürfen (vgl zu einer weiteren, auf Vertrauensschutz
beruhenden Übergangsregelung BSG, Urteil vom 6.11.1997 - 12 RP 4/96 - SozR 3-3300 §
55 Nr 1 S 2).
18 b) Der Kündigungsbescheid ist zu Unrecht von der "Arbeitsgemeinschaft der
Pflegekassenverbände in Bayern" - ARGE - erlassen worden.
19 aa) Allerdings entspricht es einer gesetzlichen Zielvorgabe, dass sich die Pflegekassen zu
Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen. Nach § 12 Abs 1 Satz 1 SGB XI sind die
Pflegekassen für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung ihrer Versicherten
verantwortlich. Zur Durchführung der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben sollen sie
gemäß § 12 Abs 1 Satz 3 SGB XI örtliche und regionale Arbeitsgemeinschaften bilden. Dies
gilt nicht nur für die einzelnen Pflegekassen, sondern auch für die Landesverbände der
Pflegekassen (vgl Wagner in Hauck/Wilde, SGB XI, Stand Mai 2006, K § 12 RdNr 10, und
Trenk-Hinterberger in Wannagat, SGB, Stand Juni 2001, § 12 SGB XI RdNr 9 sowie die zum
1.4.2005 klarstellend eingefügte allgemeine Regelung des § 94 Abs 1a SGB X), deren
Funktion durch die in § 52 Abs 1 SGB XI genannten Krankenkassen bzw Landesverbände
der Krankenkassen wahrgenommen werden. Der Zusammenschluss der Beklagten zu 2) bis
7) zu einer Arbeitsgemeinschaft auf Landesebene in Bayern ist daher nicht zu beanstanden.
Gleiches gilt für die Geschäftsführung durch eines der Mitglieder der ARGE (Trenk-
Hinterberger in Wannagat, aaO, RdNr 11). Rechtswidrig ist jedoch die Beteiligung der
Beklagten zu 1), weil - wie ausgeführt - nicht sie, sondern die AOK Bayern die Funktion des
Landesverbandes der Pflegekassen im AOK-Bereich ausübt. Die fehlerhafte Beteiligung der
Beklagten zu 1) kann jedoch auch insoweit nicht zur Rechtswidrigkeit von Handlungen und
Vorgängen führen, in denen die ARGE beteiligt war und die bis zum 12.6.2008
abgeschlossen worden sind.
20 bb) Unabhängig von der Frage, welche Rechtsform die ARGE hat, ob an ihr noch andere
Leistungsträger hätten beteiligt werden dürfen (vgl dazu Wagner in Hauck/Wilde, aaO, RdNr
11, 12) und in welchem Umfang ihr von den Leistungsträgern diesen obliegende Aufgaben
zur Erledigung übertragen werden können (vgl § 12 Abs 1 Satz 4 SGB XI, § 94 Abs 2 bis 4
SGB X und § 88 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGB X), ist festzuhalten, dass jedenfalls die
Entscheidung über die Kündigung nach § 74 SGB XI nicht auf die ARGE übertragen werden
durfte.
21 Das vom Gesetz in § 81 Abs 1 Satz 1 SGB XI verlangte gemeinsame einheitliche Handeln
der Landesverbände der Pflegekassen bei Kündigungen nach § 74 SGB XI sieht eine
Übertragung dieser Aufgabe auf andere Einrichtungen nicht vor. Das gilt auch für die nach §
12 Abs 1 Satz 3 SGB XI gebildeten Arbeitsgemeinschaften, selbst wenn sie ausschließlich
aus den Landesverbänden der Pflegekassen in einem Bundesland bestehen. Die
Verweisung von § 12 Abs 1 Satz 4 SGB XI auf § 94 Abs 2 bis 4 SGB X und die
Weiterverweisung von § 94 Abs 4 SGB X auf § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X betrifft die
Rechtsaufsicht, die Geschäfts- und Rechnungsführung, die Unterrichtung der
Aufsichtsbehörden, den Haushaltsplan sowie die Übertragung einzelner Aufgaben durch die
Leistungsträger auf die Arbeitsgemeinschaften (vgl Wagner in Hauck/Wilde, aaO, RdNr 14),
nicht aber die in § 88 Abs 3 SGB X und § 89 SGB X geregelte Ausführung eines Auftrages
durch Verwaltungsakt. Demgemäß hat jeder Landesverband der Pflegekassen selbst über
die Kündigung zu entscheiden (§ 74 SGB XI). Ggf ist bei Dissens das Verfahren nach § 81
Abs 1 Satz 2 SGB XI zu beschreiten, um nach außen hin zu einer gemeinsamen
Entscheidung aller Landesverbände zu gelangen. Eine Übertragung der Entscheidung auf
andere Rechtsträger ist gesetzlich nicht vorgesehen und deshalb unzulässig.
22 cc) Im vorliegenden Fall wurde die Kündigung durch die "Arbeitsgemeinschaft der
Pflegekassenverbände in Bayern" ausgesprochen, wobei die Beklagte zu 1) als
Geschäftsführerin der ARGE und als "Bearbeiterin" des Vorgangs aufgetreten ist. Damit stellt
sich die Kündigung als Entscheidung der Geschäftsführung der ARGE dar. Kündigen
müssen jedoch die Landesverbände der Pflegekassen gemeinsam aufgrund jeweils eigener
Entscheidung. Es wäre deshalb erforderlich gewesen, dass die Arbeitsgemeinschaft, der die
Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung zulässigerweise übertragen worden war (§ 12
Abs 1 Satz 4 SGB XI, § 94 Abs 4 SGB X, § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X), in dem
Kündigungsbescheid vom 29.1.2003 ausdrücklich ausgeführt hätte, dass die - auf dem
Briefpapier an der rechten Seite genannten - Landesverbände als den Verwaltungsakt
erlassende Behörden auftreten (§ 33 Abs 3 und § 40 Abs 2 Nr 1 SGB X) und dass die
Kündigung auf einem gemeinsamen Beschluss aller Landesverbände beruht, wobei die
entsprechenden Beschlüsse (bzw eine Sitzungsniederschrift) hätten beigefügt werden
müssen, weil die Landesverbände den Bescheid nicht selbst unterzeichnet haben. Der
Kündigungsbescheid vom 29.1.2003 ist somit schon aus diesem Grunde rechtswidrig.
23 dd) Obgleich der Bescheid vom 29.1.2003 von der ARGE stammt, war es sachgerecht, dass
die Klage nicht gegen diese selbst, sondern gegen ihre Mitglieder gerichtet worden ist. Sie
sind insoweit passiv legitimiert; denn Verwaltungsakte, die ein Beauftragter zur Ausführung
eines Auftrages erlässt, ergehen im Namen des Auftraggebers (§ 89 Abs 1 SGB X) .
Gegenüber dem Adressaten des Bescheides bleibt der Auftraggeber verantwortlich (§ 89
Abs 2 SGB X). Daher ist die Klage zu Recht gegen die Beklagten gerichtet worden.
24 c) Die außerordentliche Kündigung des Versorgungsvertrages war ferner aufzuheben, weil
das erforderliche Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger nicht hergestellt worden ist.
Gemäß § 74 Abs 1 Satz 2 SGB XI ist vor einer Kündigung durch die Landesverbände der
Pflegekassen das Einvernehmen mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe herzustellen.
Diese Regelung gilt nach § 74 Abs 2 Satz 4 SGB XI entsprechend auch für die
außerordentliche Kündigung. Das Einvernehmen ist in Form der Einwilligung herzustellen.
Diese Erklärung durch den zuständigen Sozialhilfeträger nach § 74 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz
4 SGB XI ist eine behördliche Willenserklärung, auch wenn sie nur verwaltungsintern zu
erfolgen hat. Die Auslegung behördlicher Willenserklärungen ist auch ohne Verfahrensrüge
durch das Revisionsgericht zu überprüfen.
25 Der Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht, das Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger
herzustellen, begründet den Anspruch auf Aufhebung der Kündigung auch zugunsten der
Pflegeeinrichtung. Es handelt sich insoweit nicht lediglich um eine die Rechte der
Pflegeeinrichtung nicht betreffende Verfahrensvorschrift. Zweck dieser Vorgabe ist es
sicherzustellen, dass schon bei der Vorbereitung der Entscheidung die Belange der
Sozialhilfeempfänger berücksichtigt werden, die durch die Kündigung des
Versorgungsvertrages mitbetroffen werden (Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucks
12/5262 S 138) . Der Sozialhilfeträger hat deshalb die Frage der Zumutbarkeit des
Festhaltens am Versorgungsvertrag eigenständig zu prüfen; davon sind die Rechte der
Pflegeeinrichtung unmittelbar betroffen. Der Gesetzgeber hat angesichts der Bedeutung
einer Kündigung für die wirtschaftliche Existenz der Pflegeeinrichtung den Schutz ihrer
Rechte durch die Notwendigkeit eines konsensualen Vorgehens von Landesverbänden und
Sozialhilfeträger verfahrensrechtlich besonders intensiv ausgestaltet (vgl BT-Drucks 12/5262
S 138) . Eine Kündigung gegen den Willen oder ohne Einvernehmen des Sozialhilfeträgers
ist deshalb rechtswidrig.
26 Das Einvernehmen wurde im vorliegenden Fall nur hinsichtlich der ordentlichen Kündigung
hergestellt. Das LSG hat dazu lediglich im Tatbestand des Urteilsvermerkt: "Der Bezirk
Schwaben erteilte am 5.12.2002 sein Einverständnis zur Kündigung des
Versorgungsvertrages." Eine Auslegung dieser Erklärung hat das LSG nicht vorgenommen.
Die vom erkennenden Senat nachzuholende Auslegung der Erklärung ergibt, dass ein
Einverständnis lediglich zur ordentlichen Kündigung erteilt wurde, weil nur dazu eine
Anfrage durch die Beklagten an den Bezirk Schwaben erfolgte (vgl Schreiben vom
4.12.2002, auf welches die Erklärung des Bezirks Schwaben ausdrücklich Bezug
genommen hat). An einem Einvernehmen hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung fehlt
es deshalb.
27 d) Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung fehlen auch deshalb, weil den
Beklagten trotz der Verweigerung der Mitwirkung an der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die
Klägerin ein Festhalten an der Vertragsbeziehung zuzumuten war; die Beendigung des
Vertragsverhältnisses und die Zulassungsentziehung waren grob unverhältnismäßig. Daher
kann der Senat offenlassen, inwieweit den Beklagten überhaupt ein Ermessen hinsichtlich
der Entscheidung über die Kündigung selbst und den Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit (Frist)
eingeräumt ist. Wenn den Landesverbänden der Pflegekassen ein Festhalten am Vertrag
nicht zuzumuten gewesen wäre, erschiene es zweifelhaft, ob ein Handlungsermessen
eingeräumt wäre.
28 aa) Bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unzumutbarkeit der
Vertragsfortsetzung hat eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen, welche die Interessen
der Versichertengemeinschaft und der Pflegeeinrichtung an der Fortsetzung bzw an der
Beendigung des Vertragsverhältnisses angesichts einer gröblichen Pflichtverletzung zu
bewerten hat. Dabei hat der Gesetzgeber in § 74 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB XI Maßstäbe für
eine solche Abwägung festgelegt. Nach § 74 Abs 2 Satz 2 SGB XI besteht eine
Kündigungsbefugnis, wenn Pflegebedürftige infolge der Pflichtverletzung zu Schaden
kommen oder die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber den Kostenträgern
abrechnet. Nach Satz 3 der Vorschrift gilt das gleiche, wenn dem Träger eines Pflegeheimes
nach dem Heimgesetz - ab 1.7.2008: nach den heimrechtlichen Vorschriften - die
Betriebserlaubnis entzogen oder der Betrieb des Heimes untersagt wird. Der Gesetzgeber
fingiert nicht das Bestehen der Kündigungsvoraussetzungen, worauf die Formulierung "gilt"
in § 74 Abs 2 Satz 2 SGB XI an sich hindeutet, sondern versteht die genannten Beispiele
vorrangig als Vergleichsmaßstab (vgl BT-Drucks 12/5262 S 138) . Die Gesetzesbegründung
verweist ausdrücklich darauf, dass es sich um eine dem Leistungserbringer zurechenbare
Pflichtverletzung handeln müsse, und zwar einer so "gröblichen" Art, dass ein Festhalten an
dem Vertrag unzumutbar sei (vgl BT-Drucks 12/5262 S 138) . Diesem Hinweis in der
Gesetzesbegründung kommt angesichts der Schwere des Eingriffs deshalb besondere
Bedeutung zu, als nach der Formulierung der Regelbeispiele in § 74 Abs 2 Satz 2 SGB XI
ein Verschulden nicht ausdrücklich gefordert wird und das Ausmaß der Pflichtverletzung
nicht vorgegeben ist. Eine zusätzliche Prüfung der "Gröblichkeit" und eine
Verhältnismäßigkeitsabwägung bleiben deshalb auch in Fällen der gesundheitlichen oder
materiellen Schädigung der Pflegebedürftigen und der Falschabrechnung (etwa bei
schlichten Eingabefehlern) erforderlich. Erkennbar ist jedoch, dass der Pflegeeinrichtung
zurechenbare vorsätzliche Straftaten (Körperverletzung und Abrechnungsbetrug)
grundsätzlich die fristlose Kündigung auslösen sollen. Das LSG hat deshalb zutreffend
erkannt, dass sich die Landesverbände an einem solchen Niveau der Pflichtwidrigkeit zu
orientieren haben, wenn es um deren Bewertung als gröblich geht und darauf die
Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung gestützt werden soll.
29 Dies ergibt sich auch aus dem Rangverhältnis zur ordentlichen Kündigung durch die
Landesverbände nach § 74 Abs 1 SGB XI. Bereits diese setzt voraus, dass die
Zulassungsvoraussetzungen nach § 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI, also insbesondere die
Gewährleistung einer leistungsfähigen und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgung (Nr 2),
nicht (mehr) vorliegen. Rechtfertigt also bereits die Verletzung der sich daraus ergebenden
Pflichten die ordentliche Kündigung, sind an die Schwere der Pflichtverletzung für eine
fristlose Kündigung deutlich strengere Maßstäbe anzulegen.
30 bb) Zudem muss die (bereits eingetretene) gröbliche Pflichtverletzung zur Unzumutbarkeit
des Festhaltens am Vertragsverhältnis führen. Insofern haben die Beklagten das
Übermaßverbot zu beachten. Die Entziehung der Zulassung durch Kündigung des
Versorgungsvertrages (zumal als fristlose) ist ultima ratio für die Landesverbände. Sie kommt
nur in Betracht, wenn nicht andere, mildere Mittel vorhanden sind, auf Vertragsverletzungen
zu reagieren.
31 In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass in der Literatur (zuletzt Igl,
SGb 2008, 1) ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit
von isolierten Wirtschaftlichkeitsprüfungen (ohne gleichzeitige Wirksamkeitsprüfung) nach §
79 Abs 1 Satz 1 SGB XI erhoben worden sind. Diese Bedenken und die Hinweise in
Rechtsprechung (BSGE 87, 199 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1) und Literatur (zB Udsching, aaO,
§ 79 RdNr 3 sowie NZS 1999, 473 ff und SGb 2003, 133 ff; Igl, SGb 2008, 1, 5) auf die
weitgehende Entbehrlichkeit von Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei unter freien
Wettbewerbsbedingungen ausgehandelten Pflegesatzvereinbarungen (externer Vergleich
der Marktpreise) hat sogar dazu geführt, dass der Gesetzgeber die "anlasslose"
Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Neufassung des § 79 Abs 1 SGB XI (vgl Art 1 Nr 45
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008, BGBl I 874) zum 1.7.2008 abgeschafft hat.
Eine Wirtschaftlichkeits- und Wirksamkeitsprüfung ist seitdem nur noch zulässig, wenn
tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Pflegeeinrichtung die Anforderungen
des § 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI ganz oder teilweise nicht oder nicht mehr erfüllt (§ 79 Abs 1
Satz 2 SGB XI).
32 Von dieser rechtlichen Entwicklung konnten die Beklagten im hier maßgeblichem Jahr 2003
zwar noch nicht ausgehen. Auch "anlasslose" Wirtschaftlichkeits- und
Wirksamkeitsprüfungen konnten zu jener Zeit noch durchgeführt werden. Der zweifelhafte
rechtliche und tatsächliche Hintergrund der hier angeordneten Wirtschaftlichkeitsprüfung und
der Kündigung des Versorgungsvertrages kommt aber deutlich in dem Beitrag einer
Zeitschrift, für die der AOK-Bundesverband verantwortlich zeichnet, zum Ausdruck
(Engel/Burk/Kapitza/Randzio, "Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 79 SGB XI -
Modellprojekt zur Verbindung von Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit in stationären
Pflegeeinrichtungen", G+G-Wissenschaft 4/2004, 26) , wonach das Vorgehen als
Experiment gedacht war und nach dem Motto "Versuch und Irrtum" ablief. Dort heißt es ua (S
28): "In einem Pilotprojekt sollten die Preisunterschiede bezüglich Wirtschaftlichkeit und
Wirksamkeit der erbrachten Pflege genauer untersucht werden. Dabei bestand die Hoffnung
auf eine zielgenauere Justierung der Pflegesatzverhandlungen und damit Mittelverwendung.
Zugleich wurden die Transparenz des Preis-/Leistungsverhältnisses und perspektivisch
qualifizierte Empfehlungsmöglichkeiten guter Pflegeheime als Fernziele ausgemacht. Das in
diesem Feld positionierte Pilotprojekt zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 79 SGB XI
fokussierte damit die Beitragssatzstabilität (§ 70 SGB XI) und den Sicherstellungsauftrag (§
69 SGB XI) gleichermaßen. Im Jahr 2002 wählte die Arbeitsgemeinschaft der
Pflegekassenverbände 50 Pflegeheime unterschiedlicher Größenordnungen, Regionen und
Trägerzugehörigkeiten für Wirtschaftlichkeitsprüfungen aus. Die Auswahl erfolgte nach dem
Abweichungsgrad des Pflegesatzes vom durchschnittlichen Pflegesatz in der Region, so
dass sowohl Einrichtungen mit sehr niedrigem als auch mit sehr hohem Pflegesatz gezogen
wurden. Diesen Einrichtungen teilte die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände
unter Offenlegung der Auswahlkriterien mit, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 79
Abs 1 Satz 1 SGB XI durchgeführt werden solle. Den 12 Pflegeheimen, die die Mitwirkung
verweigerten, wurden die Versorgungsverträge gekündigt. Diese erste Prüfung wurde
durchgeführt, um die entwickelten Prüfmethodiken zweier Sachverständiger in der Praxis zu
testen und um juristische Erkenntnisse zu den Durchsetzungsmöglichkeiten einer
Wirtschaftlichkeitsprüfung zu gewinnen. Die rechtliche Situation erweist sich dabei durchaus
als unzureichend für die Ausgestaltung des Instruments als Pflichtprüfung."
33 Es ist ohne Weiteres einsichtig, dass eine außerordentliche Kündigung wegen
Verweigerung der Mitwirkung an einer als Pilotprojekt dienenden "anlasslosen"
Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht gerechtfertigt ist. Die Weigerung, an der
Wirtschaftlichkeitsprüfung mitzuwirken, ist unter diesen Umständen einer strafbaren
Pflichtverletzung nicht annähernd vergleichbar. Die außerordentliche Kündigung war
angesichts der bisherigen Vertragsbeziehungen mit der Klägerin grob unverhältnismäßig.
34 3. Die von den Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist ebenfalls
rechtswidrig. In formeller Hinsicht wird dazu auf die Ausführungen unter 2.a) und b) Bezug
genommen. Aber auch die materiellen Voraussetzungen des § 74 Abs 1 Satz 1 SGB XI für
eine ordentliche Kündigung des Versorgungsvertrages liegen nicht vor. Nach dieser
Vorschrift können die Verbände der Pflegekassen fristgerecht kündigen, wenn die
zugelassene Pflegeeinrichtung nicht nur vorübergehend eine der Voraussetzungen des § 72
Abs 3 Satz 1 SGB XI nicht oder nicht mehr erfüllt. Damit verlangt auch die ordentliche
Kündigung eine schwerwiegende, anhaltende Verletzung der vertraglichen Pflichten und
Zulassungsvoraussetzungen. Diese ist vorliegend nicht ersichtlich.
35 a) Selbst nach dem Vortrag der Beklagten fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die
Klägerin eine der Voraussetzungen des § 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI nicht oder nicht mehr
erfüllt. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass eine auf unwirtschaftliche
Betriebsführung gestützte ordentliche Kündigung nur möglich ist, wenn die Pflichtverletzung
wiederholt festgestellt wurde und nicht mehr behebbar ist (BT-Drucks 12/5262 S 138) . An
derartigen Feststellungen fehlt es hier gänzlich.
36 b) Wollte man mit den Beklagten aus der Weigerung, an einer Wirtschaftlichkeitsprüfung
mitzuwirken, im Wege der Beweislastumkehr annehmen, die Klägerin würde das
Zulassungskriterium des § 72 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB XI (Gewährleistung einer
leistungsfähigen und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgung) nicht mehr erfüllen, so
wären dafür die Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn eine solche Beweislastumkehr könnte
allenfalls dann wirken, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für unwirtschaftliches Verhalten
geben würde und die Pflegeeinrichtung eine konkrete Pflicht zur Mitwirkung an einer Prüfung
getroffen hätte. Dies ist hier indes nicht der Fall.
37 aa) Die Klägerin war nicht aufgrund eines entsprechenden bestandskräftigen
Verwaltungsaktes zur Mitwirkung an der Wirtschaftlichkeitsprüfung verpflichtet. Dabei lässt
der Senat ausdrücklich offen, ob die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung
überhaupt durch einen Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) angeordnet werden kann. Denn die
Beklagten haben insoweit keinen Verwaltungsakt erlassen, der mangels Anfechtung
bestandskräftig geworden wäre und nunmehr die Klägerin binden würde. Weder nach der
äußeren Form noch aus ihrem Inhalt ergibt sich, dass die Ankündigung der
Wirtschaftlichkeitsprüfung oder die Bestimmung des Sachverständigen von den Beklagten
als hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalles iS des § 31 SGB X gedacht war
und aus Adressatensicht so zu verstehen gewesen sein könnte. Auch der hier noch
einschlägige Bayerische Rahmenvertrag (§ 75 Abs 2 SGB XI) vom 1.10.1998 sah keine
weitergehenden Mitwirkungspflichten der Pflegeheimbetreiber vor (§§ 28, 29
Rahmenvertrag).
38 bb) Die Klägerin musste an der von der Beklagten geforderten Wirtschaftlichkeitsprüfung
nicht mitwirken, weil die nach § 79 Abs 1 SGB XI gebotene Ermessensausübung ("können")
bei Einleitung des Prüfverfahrens nicht erkennbar ist. Zwar durften die Landesverbände der
Pflegekassen noch bis zum 30.6.2008 auch ohne Anhaltspunkte dafür, dass eine
Pflegeeinrichtung die Zulassungsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt, Prüfungen der
Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit von Pflegeleistungen durchführen lassen. Die Prüfungen
haben jedoch einen eingeschränkten Gegenstand - dazu unten (1) - und die
Ermessensausübung hat strenge Maßstäbe einzuhalten - dazu unten (2). Die Anordnung der
Wirtschaftlichkeitsprüfung lässt weder eine entsprechende Ermessensausübung erkennen
noch wahrt sie die einzuhaltenden Grenzen - dazu unten (3).
39 (1) Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 79 Abs 1 SGB XI haben einen eingeschränkten
Gegenstand. Sie beziehen sich auf die "Pflegeleistungen" und nicht auf den gesamten
Betrieb der Pflegeeinrichtung. Der Wortlaut von § 79 Abs 1 Satz 1 SGB XI erwähnt
ausdrücklich nur die Pflegeleistungen und spricht nicht generell von einer Prüfung der
Pflegeeinrichtung. Dies entspricht auch der Ausrichtung der sozialen Pflegeversicherung,
die bestimmte Leistungen wie Unterkunft und Verpflegung der Pflegebedürftigen nicht
umfasst. Pflegeleistungen iS des § 79 Abs 1 Satz 1 SGB XI können daher nur diejenigen in
den §§ 4 und 28 Abs 1 SGB XI bezeichneten Leistungen sein, die durch die
Pflegeeinrichtung nach dem jeweiligen Versorgungsvertrag zu erbringen sind. Das sind im
stationären Bereich die Grundpflege, die Behandlungspflege und die soziale Betreuung (vgl
§ 43 Abs 2 und § 84 Abs 1 SGB XI) . Nicht dazu zählen etwa die Kosten für Unterkunft und
Verpflegung, für die Verwaltung und die Investitionen. Eine regelrechte Betriebsprüfung,
einschließlich einer Gewinn- und Verlustrechnung, ist daher nach § 79 Abs 1 SGB XI
ausgeschlossen.
40 Soweit das Gesetz zusätzlich die Prüfung der Wirksamkeit der Pflegeleistungen vorsieht, ist
der Prüfungsumfang dadurch eingegrenzt, dass der Gesetzgeber für die Qualitätsprüfung in
den §§ 112 ff SGB XI ein anderes Prüfungsverfahren vorsieht und dieses mit Wirkung zum
1.7.2008 nochmals deutlich konkretisiert hat.
41 (2) Im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens haben die Landesverbände strenge
Maßstäbe einzuhalten. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die in § 79 Abs 1 SGB XI
vorgesehenen Prüfungen in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 GG
eingreifen. Dieses Grundrecht ist sorgfältig mit den Interessen der Versichertengemeinschaft,
insbesondere dem der Beitragssatzstabilität, abzuwägen: Die Pflegeeinrichtungen haben die
Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung zu bieten (§ 72
Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB XI) . Diese Gewährleistungspflicht besteht für die Pflegeeinrichtung
während der gesamten Vertragsbeziehung. Dies rechtfertigt grundsätzlich entsprechende
Prüfungen insbesondere bei einem erheblichen Finanzierungsanteil durch die
Solidargemeinschaft der Versicherten und durch die öffentliche Hand, wenn das
eingeräumte Ermessen sowohl hinsichtlich der Entscheidung über die Vornahme eines
Eingriff (Handlungsermessen) sowie über Art und Umfang des Eingriffs (Auswahlermessen)
zweckentsprechend ausgeübt wird.
42 Bei der Entscheidung im Rahmen des Handlungsermessens ist zu berücksichtigen, dass der
Gesetzgeber verschiedene Instrumente zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit
vorgesehen hat. Insbesondere ein funktionierender Wettbewerb der Leistungsanbieter bei
gleichzeitig gesetzlich vorgegebenem Nachfragekartell der Kostenträger im Rahmen der
Pflegesatzverhandlungen dürfte typischerweise Indiz für wirtschaftliches Handeln sein.
Grundsätzlich kann eine Prüfung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit deshalb nur
erfolgen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass vertragliche Pflichten nicht umfassend
erfüllt werden (so auch Klie in LPK-SGB XI, 2. Aufl 2003, § 79 RdNr 5; Igl, SGb 2008, 1, 6) .
Bei funktionierendem Markt ist auch angesichts der Deckelung der Versicherungsleistungen
ohne Anhaltspunkte für Mängel in der Versorgung eine Prüfung nicht erforderlich. Auch
wenn die Ergebnisse von Prüfungen der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit wegen § 79 Abs
3 SGB XI bei der nächstmöglichen Vergütungsvereinbarung zu berücksichtigen sind, ist die
Klärung der Kostenstruktur der Pflegeeinrichtungen zur Vorbereitung von
Pflegesatzverhandlungen kein zulässiges Entscheidungsmotiv. Insoweit hat der
Gesetzgeber ausschließlich Folgen, nicht aber Zwecke der Prüfungen normiert. Der
Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass § 79 Abs 3 SGB XI überhaupt erst die
Befugnis der Landesverbände begründen soll, die Prüfergebnisse in die folgenden
Pflegesatzverhandlungen einzuführen (BT-Drucks 12/5262 S 141) . Erst recht unzulässig
wäre ein Ansinnen, Anträge auf Pflegesatzerhöhungen nur nach entsprechenden
Wirtschaftlichkeitsprüfungen verhandeln zu wollen.
43 Im Rahmen des Auswahlermessens sind die Bereiche der Prüfung hinsichtlich der
eigentlichen Prüfziele und der betroffenen Pflegeleistungen erforderlichenfalls einzugrenzen.
Ggf sind die Prüfungen auf die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bestimmter
Pflegeleistungen einzuschränken. Der Senat kann dabei im vorliegenden Fall offen lassen,
ob stets die Prüfung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu verbinden ist ( dazu Igl, SGb
2008, 1, 5 ) oder ob die Prüfung auf einen der beiden Aspekte beschränkt werden kann.
44 (3) Die Anordnung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Beklagten lässt weder eine
entsprechende Ermessensausübung erkennen noch wahrt sie die einzuhaltenden Grenzen.
Die von den Beklagten verlangte Wirtschaftlichkeitsprüfung war deshalb unzulässig.
45 Im vorliegenden Fall bestanden unstrittig keinerlei Anhaltspunkte für eine unwirksame oder
unwirtschaftliche Erbringung der Pflegeleistungen. Vielmehr haben die Beklagten
ausdrücklich darauf hingewiesen, es handele sich nicht um eine anlassbezogene Prüfung.
Auf die Ausübung von Ermessen ist bewusst verzichtet worden, weil es um
Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Rahmen eines Pilotprojektes ging, "um die entwickelten
Prüfmethodiken zweier Sachverständiger in der Praxis zu testen und um juristische
Erkenntnisse zu den Durchsetzungsmöglichkeiten einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu
gewinnen" (Engel/Burk/Kapitza/Randzio, aaO, S 26, 28).
46 Der von den Beklagten mitgeteilte Prüfungsumfang überschritt die nach § 79 Abs 1 SGB XI
zulässigen Grenzen erheblich. Es sollten die einzelnen Bestandteile der Personal- und
Sachkosten auf der Grundlage der Jahresabschlüsse und Kostenrechnungsunterlagen der
Jahre 1999 und 2000 sowie prospektiv für 2001 untersucht werden. Dabei sollten alle
betrieblichen Aufwendungen der Einrichtung berücksichtigt werden. Dies geht bei Weitem
über die vom Gesetz zugelassene Prüfung der Pflegeleistungen hinaus, denn die Prüfung
hätte auch den Personalaufwand im technischen und Verwaltungsbereich, den betrieblichen
Aufwand für Unterkunft und Verpflegung und die Investitionskosten sowie alle übrigen
Aufwendungen erfasst.
47 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs 1 Satz 1 SGG, 154 Abs 2
Verwaltungsgerichtsordnung und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Revision.
48 5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1,
§ 47 Abs 1 Satz 1 und § 42 Abs 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) idF des Art 1 des
Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004 ( BGBl I 718) . Nach diesen
Vorschriften hat das Prozessgericht den Streitwert von Amts wegen festzusetzen, weil es
sich vorliegend um ein Verfahren handelt, das nach dem 1.1.2002 rechtshängig geworden ist
und in dem weder die Klägerin noch die Beklagten zu dem in § 183 SGG genannten
kostenmäßig privilegierten Personenkreis gehören. Das Rechtsmittel der Revision ist nach
dem 1.7.2004 eingelegt worden. Deshalb ist der Streitwert gemäß § 1 Nr 4 iVm § 52 Abs 1
GKG nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache
nach Ermessen zu bestimmen, soweit in § 52 Abs 2 bis 7 GKG und weiteren Vorschriften
des GKG nichts anderes bestimmt ist. Insbesondere ergibt sich hier nichts Abweichendes
aus dem Umstand, dass nicht die Klägerin Rechtsmittelführerin ist, sondern die Beklagten zu
1) und 2) sowie 4) bis 7) die Revisionen eingelegt haben. Im Rechtsmittelverfahren bestimmt
sich der Streitwert zwar nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 1 Satz 1 GKG)
, es bleibt aber bei der Streitwertberechnung nach § 52 GKG entsprechend der Bedeutung
der Sache für die klagende Partei, wenn der Streitgegenstand im gesamten Verfahren
unverändert geblieben ist und der Beklagte als Rechtsmittelführer nach wie vor die
Abweisung der Klage beantragt (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl 2008, § 47 GKG RdNr 3
mwN) . Das ist hier der Fall.
49 Die Wertfestsetzung nach Ermessen ist hier eröffnet, weil es für Streitigkeiten über die
Zulassung eines Pflegeheims zur Versorgung der Versicherten der Pflegekassen (§ 72 SGB
XI) bzw über die Entziehung der Zulassung (§ 74 SGB XI) keine im GKG festgelegten
pauschalen Streitwerte gibt und es insbesondere nicht um eine bezifferte Geldleistung oder
einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt geht (§ 52 Abs 3 GKG) . Der Streitwert darf dabei
einen Betrag von 2.500.000 Euro nicht überschreiten (§ 52 Abs 4 GKG) und wäre auf 5.000
Euro (Auffangstreitwert) festzusetzen, wenn der Sach- und Streitstand für eine abweichende
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet (§ 52 Abs 2 GKG) .
50 Zur Ermittlung des wirtschaftlichen Interesses eines Klägers bzw einer Klägerin an der
erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen hat der für vertragsärztliche,
vertragszahnärztliche und vertragspsychotherapeutische Zulassungsangelegenheiten
zuständige 6. Senat des BSG in allen nach dem 1.1.2002 rechtshängig gewordenen
Zulassungsverfahren das Einkommen (Umsatz abzüglich Praxiskosten) von drei Jahren
zugrunde gelegt und zur Begründung insbesondere auf die Regelung des § 42 Abs 3 GKG
verwiesen, wonach beim Streit um wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-
rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis und um andere wiederkehrende Leistungen (auch)
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden
Leistungen für den Streitwert maßgebend sei (vgl Beschluss vom 1.9.2005 - B 6 KA 41/04 R
- SozR 4-1920 § 52 Nr 1) . Im Anschluss hieran hat der erkennende 3. Senat seine frühere
Rechtsprechung im Interesse der Einheitlichkeit der gerichtlichen Wertfestsetzung modifiziert
und geht nun für Zulassungsstreitigkeiten aus dem Bereich der Krankenhäuser, der Reha-
Einrichtungen und der nichtärztlichen Leistungserbringer ebenfalls davon aus, dass als
Streitwert der Jahresgewinn aus drei Jahren maßgebend ist (vgl Beschluss vom 10.11.2005
- B 3 KR 36/05 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 2) . Dabei gilt die Dreijahresfrist allerdings nur für
solche Verfahren, in denen die Zulassung für mindestens drei Jahre streitig ist. Bezieht sich
der Anspruch auf einen Zeitraum von weniger als drei Jahren, ist ein entsprechender
Abschlag vorzunehmen (so bereits BSG SozR 3-1930 § 8 Nr 4) . Der für Streitigkeiten aus
der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) zuständige 2. Senat des BSG hat sich dieser
Rechtsprechung des 6. und 3. Senats dem Grunde nach angeschlossen und bei einem Streit
um die Zuständigkeit eines bestimmten UV-Trägers den dreifachen Jahresbeitrag des UV-
Trägers, gegen dessen Zuständigkeit das klagende Unternehmen sich wendet, zugrunde
gelegt, mindestens aber den vierfachen Auffangstreitwert (Beschluss vom 28.2.2006 - B 2 U
31/05 R - SozR 4-1920 § 52 Nr 3) .
51 Diese Grundsätze der Wertfestsetzung sind in Streitigkeiten über die Zulassung von
Pflegeeinrichtungen zur Versorgung der Versicherten der Pflegekassen wegen der
vergleichbaren Sach- und Interessenlage ebenfalls heranzuziehen. Im vorliegenden Fall
geht es indes nicht um eine von der Klägerin begehrte Zulassung nach § 72 SGB XI,
sondern um die Abwehr einer von den Beklagten erklärten Zulassungsentziehung nach § 74
SGB XI. Hier sind andere Maßstäbe anzulegen. Bei einem Anteil sozial pflegeversicherter
Personen zwischen 95 % (2004) und 86 % (2007) an der Gesamtzahl der Heimbewohner
würde der Verlust des Status als zugelassene Pflegeeinrichtung in kurzer Frist zum
wirtschaftlichen Zusammenbruch des Pflegeheimes der Klägerin führen. Die finanziellen
Folgen einer Zulassungsentziehung sind daher regelmäßig gravierender als bei der
Ablehnung eines Zulassungsantrages einer erst noch geplanten bzw noch nicht eröffneten
Pflegeeinrichtung. Es erscheint deshalb angemessen, für den Streitwert in Streitigkeiten
nach § 74 SGB XI auf den aus der Versorgung sozial pflegeversicherter Personen
resultierenden dreifachen Jahresumsatz (statt Jahresgewinn) zurückzugreifen. Durch diesen
Maßstab wird zugleich verhindert, das insoweit - sachlich nicht gerechtfertigte - Differenzen
zwischen gewinnorientierten privaten Trägern und gemeinnützigen Einrichtungen auftreten.
Außerdem wäre es nicht gerechtfertigt, nur vom Regelstreitwert von 5.000 Euro (§ 52 Abs 2
GKG) auszugehen, wenn eine Einrichtung in den letzten drei Jahren vor der Kündigung des
Versorgungsvertrages keinen Gewinn erzielt hat.
52 Da das von der Klägerin betriebene Pflegeheim ab 2004 aus der Versorgung sozial
pflegeversicherter Personen Umsätze von jährlich mehr als 2 Millionen Euro erzielt hat (vgl
Schriftsatz vom 10.6.2008) , war der - sich rein rechnerisch auf 6 Millionen Euro belaufende -
Streitwert für das Revisionsverfahren auf den Höchstwert von 2,5 Millionen Euro (§ 52 Abs 4
GKG) festzusetzen.