Urteil des BSG vom 26.04.1990

BSG (kläger, geschäftsführer, gesellschafter, tätigkeit, umstände, gesellschaft, beherrschende stellung, rechtliches gehör, arbeitnehmer, sperrminorität)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 4.7.2007, B 11a AL 45/06 R
Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 04.07.2007 - B 11a AL 5/06 R.
Tatbestand
1 Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg).
2 Der Kläger war bis Ende 1989 als Verkaufsleiter der Firma G. beschäftigt. Im Januar 1990
gründete er mit zunächst drei weiteren Personen, darunter zwei Arbeitskollegen, die G.
Stahlbau GmbH (G GmbH), die den Geschäftsbetrieb der Firma G. fortführte. Nach dem
Ausscheiden eines Gesellschafters hielten der Kläger und seine früheren Arbeitskollegen
jeweils ein Drittel des Stammkapitals der GmbH. Beschlüsse der Gesellschaft bedurften
nach § 10 Abs 2 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages nur dann der Zustimmung von 75 % aller
nach dem Gesellschaftsvertrag vorhandenen Stimmen, wenn sie die Änderung des
Gesellschaftsvertrages, den Abschluss von Beherrschungs- oder
Gewinnabführungsverträgen oder sonstigen Unternehmensverträgen oder Umwandlungen
oder Verschmelzungen betrafen. Im Übrigen wurden die Gesellschafterbeschlüsse mit der
Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 10 Abs 2 Satz 2 Gesellschaftsvertrag). Mit
dem Geschäftsführervertrag vom 1. März 1990 wurde der Kläger - ebenso wie die beiden
weiteren Gesellschafter - zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. Im Rahmen ihrer
Tätigkeit waren die Geschäftsführer jeweils alleinvertretungsberechtigt und vom
Selbstkontrahierungsverbot des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch befreit. Die Geschäftsführer
behielten ihre bisherigen Tätigkeiten und Arbeitszeiten bei. Während der Kläger den
kaufmännischen Bereich leitete, leiteten die beiden weiteren Gesellschafter-Geschäftsführer
den Bereich der Produktion bzw den technischen Bereich. Unternehmerische
Entscheidungen wurden gemeinsam während der Arbeitszeit im Betrieb getroffen. Der
Kläger erzielte ab 1. Januar 2002 8.500 Euro brutto monatlich.
3 Die AOK U. verneinte mit Bescheid vom 26. April 1990 das Vorliegen
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse der Geschäftsführer der G GmbH.
Für die Geschäftsführertätigkeit wurden dementsprechend keine Beiträge abgeführt.
4 Am 1. Dezember 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G GmbH
eröffnet. Der Kläger, der bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Geschäftsführer tätig
war, beantragte bei der Beklagten Insg für ausstehendes Arbeitsentgelt aus der Zeit vom 1.
September bis 30. November 2003.
5 Die Beklagte lehnt den Antrag auf Insg ab (Bescheid vom 21. Januar 2004;
Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2004), weil der Kläger als Gesellschafter-
Geschäftsführer nicht Arbeitnehmer der G GmbH gewesen sei.
6 Das Sozialgericht (SG) Ulm hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide
verurteilt, dem Kläger Insg für die Monate September bis November 2003 zu gewähren
(Urteil vom 24. Januar 2005): Der Kläger habe weder über die Mehrheit der
Gesellschaftsanteile, noch über eine Sperrminorität verfügt. Besondere Umstände, die darauf
schließen ließen, dass der Kläger die beherrschende Stellung in der GmbH inne gehabt
hätte, lägen nicht vor.
7 Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG
aufgehoben und die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Insg, weil
seine Tätigkeit als Geschäftsführer der G GmbH nicht als abhängige Beschäftigung
anzusehen sei. Insoweit werde auf das Urteil des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg im
Parallelverfahren vom 30. November 2005 - L 3 AL 1416/05 - verwiesen. Danach seien zwar
die Voraussetzungen erfüllt, unter denen nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) für den Regelfall von abhängiger Beschäftigung auszugehen
sei. Denn der Kläger verfüge nur über ein Drittel der Gesellschaftsanteile der G GmbH, ohne
dass ihm eine Sperrminorität zugestanden hätte. Indes rechtfertigten besondere Umstände
den Schluss fehlender Weisungsgebundenheit und damit die Annahme eines vom Regelfall
abweichenden atypischen Sachverhalts. Anders als in der Entscheidung des BSG vom 6.
März 2003 - B 11 AL 25/02 R - seien der Kläger und seine beiden Mitgesellschafter zugleich
alleinige Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen, sodass ihnen in ihrer Eigenschaft als
Geschäftsführer dieselben Personen als Gesellschafter gegenübergestanden hätten. Bei
Vorliegen einer solchen Fallgestaltung sei für Weisungen der Gesellschafter gegenüber den
Geschäftsführern und damit für eine Arbeitnehmereigenschaft kein Raum. Insbesondere ein
für ein Arbeitnehmer-Arbeitgeberverhältnis typischer Interessengegensatz sei kaum denkbar.
Eine Identität von Geschäftsführern und Gesellschaftern lege auch den Schluss nahe, dass
die Geschäftsführer im "eigenen Unternehmen" tätig würden. Dies werde dadurch bestätigt,
dass der Kläger und seine Mitgesellschafter bzw -geschäftsführer die Entscheidung der AOK
Ulm vom 26. April 1990 über einen Zeitraum von mehr als 13 Jahren akzeptiert hätten. Hinzu
komme schließlich, dass im Geschäftsführervertrag keine festen Arbeitszeiten geregelt
gewesen seien und die Geschäftsführer jeweils abgegrenzte Betriebsbereiche geleitet
hätten. Daraus, dass der Kläger als Geschäftsführer verpflichtet gewesen sei, Anweisungen
der Gesellschafterversammlung auszuführen sowie bei bestimmten Geschäften die
Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen und dass die Gesellschafter-
Geschäftsführer entsprechende Entscheidungen auch einvernehmlich getroffen hätten,
ergebe sich nichts anderes. Denn unter Berücksichtigung der Personenidentität lasse sich
daraus keine Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer ableiten. Mangels
Weisungsgebundenheit verlören die für eine Arbeitnehmereigenschaft entsprechenden
Umstände an Bedeutung. Schließlich komme dem Umstand, dass der Kläger seine ganze
Arbeitskraft sowie seine fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen nach § 1 Abs 4 Satz 1
Geschäftsführervertrag der Gesellschaft zu widmen gehabt habe, hier keine
ausschlaggebende Bedeutung zu. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die
Sperrminorität bei besonders bedeutsamen Entscheidungen jedenfalls zu einer
Machtstellung des einzelnen Gesellschafter-Geschäftsführers beitrage.
8 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 183 Abs 1
Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III), der Art 3, 103 Grundgesetz sowie
von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen, Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen und
anerkannten Auslegungsregeln. Mit seiner Würdigung habe das Berufungsgericht in
unzulässiger Weise die Anforderungen daran, wann ein minderheitsbeteiligter
Gesellschafter-Geschäftsführer als Arbeitnehmer anzusehen sei, zum Nachteil des Klägers
überspannt und sei von den Grundzügen des Urteils des BSG vom 6. März 2003 - B 11 AL
25/02 R - abgewichen. Soweit das Berufungsgericht besondere Umstände für die fehlende
Weisungsgebundenheit des Klägers gesehen habe, sei zunächst zu bemängeln, dass es
nicht auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt, sondern eine generalisierende
Betrachtung vorgenommen habe. Der vom Berufungsgericht als Unterscheidungsmerkmal
hervorgehobene Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern habe im
Urteil des BSG vom 6. März 2003 keine Rolle gespielt. Es sei auf die
Weisungsgebundenheit abzustellen, die mit einem abstrakten Interessengegensatz nichts zu
tun habe. Besondere Umstände des Einzelfalls, die auf eine fehlende
Weisungsgebundenheit schließen ließen, seien vom Berufungsgericht weder erörtert, noch
seien derartige Tatsachen festgestellt worden. Der Kläger sei vollständig in die Organisation
des Arbeitgebers eingebunden gewesen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitstätigkeit
des Klägers im Einzelnen sei Zeugenbeweis angeboten worden, jedoch seien die Zeugen
nicht gehört worden, was den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletze. Ferner
sei vorgetragen und unter Beweis gestellt worden, dass die drei Gesellschafter die
Weisungsrechte auch tatsächlich ausgeübt hätten.
9 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 2006 aufzuheben und
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Januar 2005
zurückzuweisen.
10 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11 Sie ist der Auffassung, dass LSG habe unter Beachtung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zutreffend entschieden.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision des Klägers ist begründet. Die Rüge der Verletzung des § 183 Abs 1 Satz 1
SGB III greift durch.
13 Anspruch auf Insg haben nach § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III (in der hier maßgebenden
Fassung durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
Gesetz> vom 10. Dezember 2001, BGBl I S 3443) Arbeitnehmer, wenn sie im Inland
beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres
Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des
Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach den tatsächlichen
Feststellungen des LSG ist nicht zweifelhaft, dass - abgesehen von der streitigen
Arbeitnehmereigenschaft - die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Insg vorliegen.
Denn über das Vermögen der G GmbH wurde am 1. Dezember 2003 das Insolvenzverfahren
eröffnet. Aus seiner im Inland ausgeübten Geschäftsführertätigkeit, die mit Ablauf des Monats
Oktober 2003 auf Grund seines Eintritts in den Ruhestand endete, standen dem Kläger für
die Monate September und Oktober 2003 noch Bezüge nach einem Bruttoarbeitsentgelt in
Höhe von 8.500 Euro entsprechend der Gehaltsvereinbarung vom 25. Juni 2002 zu.
14 Entgegen der Rechtsauffassung des LSG ist der Kläger auch Arbeitnehmer iS des § 183 Abs
1 Satz 1 SGB III gewesen. Der durch die Insg-Vorschriften nicht geregelte Begriff des
Arbeitnehmers ist nach der Rechtsprechung des BSG anhand der Vorschriften über die
Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung zu konkretisieren (BSG SozR 4100 §
141b Nr 41; SozR 3-4100 § 141b Nr 17; Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz 11;
Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 183 Rz 26). Da der Senat seiner Beurteilung den
arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu Grunde legt, steht seiner Auslegung die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht entgegen, der unter der Geltung der
§§ 59, 61 Konkursordnung von einem engeren Arbeitnehmerbegriff bei Gesellschafter-
Geschäftsführern ausgegangen war (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - IX ZR 143/02 = ZIP
2003, 1662 ff).
15 Nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen
Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige
Beschäftigung) sind. Die Beschäftigung wird in § 7 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch (SGB
IV), der gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 SGB IV auch für die Arbeitsförderung gilt, gesetzlich
definiert. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit,
insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine
Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des
Weisungsgebers (§ 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem
Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Erforderlich ist insbesondere eine Eingliederung in den
Betrieb und die Unterordnung unter ein Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung
umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers (BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1;
BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1; BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, zur
Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Demgegenüber ist die selbständige Tätigkeit in
erster Linie durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im
Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (siehe
zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung Bundesverfassungsgericht ,
Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 = SozR 3-2400 § 7 Nr 11).
16 Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer
GmbH zu dieser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSG SozR 3-4100 §
168 Nr 5 und 18; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 17; BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12
KR 30/04 R = ZIP 2006, 678; BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, zur
Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist
nicht bereits durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen.
Beim am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist der Umfang der
Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenen Einflusses auf die
Gesellschaft ein wesentliches Merkmal. Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am
Gesellschaftskapital beteiligt sind, hat das BSG dementsprechend regelmäßig eine
abhängige Beschäftigung angenommen, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die
eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben (BSG SozR 3-2400 § 7
Nr 20; SozR 4-2400 § 7 Nr 1). Vergleichbares muss - wie der Senat bereits ausgeführt hat
(BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1; vgl auch BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R
mwN) - auch bei Geschäftsführern gelten, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch
weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine so genannte Sperrminorität
verfügen. Auch für diesen Personenkreis ist im Regelfall von einer abhängigen
Beschäftigung auszugehen. Eine hiervon abweichende Beurteilung kommt wiederum nur
dann in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalls den Schluss zulassen, es liege
keine Weisungsgebundenheit vor.
17 Derartige einzelfallbezogene Umstände, die gleichwohl unabhängig von den
Gesellschafterrechten eine für das Arbeitnehmerverhältnis typische Abhängigkeit vom
Arbeitgeber zu vermeiden vermögen, hat das LSG nicht festgestellt. Der Kläger verfügte nur
über einen Geschäftsanteil von einem Drittel. Auch eine Sperrminorität stand ihm nicht zu,
denn die Gesellschafterbeschlüsse wurden nach § 10 Abs 2 des Gesellschaftsvertrages mit
der Mehrheit der Stimmen gefasst. Ausgenommen davon waren lediglich
Gesellschafterbeschlüsse betreffend die Änderung des Gesellschaftsvertrages, den
Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen oder sonstigen
Unternehmensverträgen und betreffend Umwandlungen und Verschmelzungen. Hinsichtlich
der Geschäftsführung war der Kläger nach § 6 Abs 1 des Gesellschaftsvertrages ua
verpflichtet, die Geschäfte in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Gesellschafter zu
führen. Zudem bedurften bestimmte Geschäfte nach § 6 Abs 3 des Gesellschaftsvertrages
der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss. Dass die Geschäftsführer im
Rahmen ihrer Geschäftsführertätigkeit alleinvertretungsberechtigt und vom
Selbstkontrahierungsverbot befreit waren, ist - wie der Senat bereits entschieden hat - bei
einer kleineren GmbH nicht untypisch und spricht deshalb nicht zwingend für das Vorliegen
einer selbständigen Tätigkeit (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1). Über die Regelungen des
Gesellschaftsvertrages hinaus hat das LSG zur tatsächlichen Handhabung festgestellt, dass
die Gesellschafter die wesentlichen Entscheidungen während der Arbeitszeit im Betrieb
einvernehmlich getroffen hatten. Auf Grund der vom LSG getroffenen Feststellungen war
damit auch die tatsächliche Ausübung des Einflusses iS einer regelmäßigen Kontrolle der
Tätigkeit der Geschäftsführer durch die Gesellschaft gegeben, sodass von einer Bindung des
Klägers an die Entscheidungen der Gesamtheit der Gesellschafter und insoweit von einer
Weisungsgebundenheit bei der Tätigkeit als Geschäftsführer auszugehen ist.
18 Diese Annahme wird schließlich auch durch die nach dem Geschäftsführervertrag vom 1.
März 1990 vorgesehene Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit bestätigt. Hierzu hat
bereits das LSG zu Recht ausgeführt, dass insoweit alle maßgebenden Indizien (feste
Monatsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Weihnachtsgratifikation,
Jahresurlaub, Stellung eines Dienstfahrzeuges, Spesen) für das Vorliegen einer
Arbeitnehmertätigkeit sprächen. Dass im Geschäftsführervertrag keine festen Vorgaben
hinsichtlich der vom Kläger einzuhaltenden Arbeitszeiten geregelt waren, verliert angesichts
des sich aus den Anforderungen der Tätigkeit folgenden Zwanges zur täglichen
Anwesenheit während der Arbeitszeiten an Gewicht. Hierzu hat das LSG im Übrigen
festgestellt, dass der Kläger auch in zeitlicher Hinsicht an Weisungen der
Gesellschafterversammlung gebunden gewesen sei.
19 Demgegenüber findet sich für den vom LSG aufgestellten Rechtssatz, es sei in der Regel für
eine Arbeitnehmertätigkeit kein Raum, wenn den Geschäftsführern dieselben Personen als
Gesellschafter gegenüberstünden, keine Grundlage. Denn die Personenidentität von
Geschäftsführern und Gesellschaftern ändert an der Rechtsmacht der Gesellschafter und der
Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer nichts. Vielmehr hat das LSG sogar
ausdrücklich festgestellt, dass die Gesellschafter die ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag
zustehenden Rechte (einvernehmlich) ausgeübt haben. Die Mitwirkung des Klägers hieran
führt angesichts seiner aus dem Gesellschaftsanteil folgenden beschränkten Rechtsmacht
zu keiner anderen Bewertung. Auch der Hinweis auf den angeblich fehlenden
Interessengegensatz im Arbeitgeber-/ Arbeitnehmerverhältnis ist insoweit nicht behilflich,
denn insoweit handelt es sich um kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Ein solcher
Gegensatz kann zB auch fehlen, wenn der Arbeitnehmer - ohne Gesellschafter zu sein -
durch eine Zielvereinbarung am Unternehmenserfolg beteiligt wird. Auch bei der hier
vorliegenden Sachlage ist deshalb das Vorliegen darüber hinausgehender Umstände
erforderlich, wenn der Schluss auf einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft
gezogen werden soll. Eine derartige besondere Fallgestaltung - wie sie im Einzelfall zB bei
einer so genannten Familien-GmbH vorliegen kann (vgl BSGE 70, 81, 83 = SozR 3-4100 §
104 Nr 8; BSG USK 8951 und 9975 jeweils mwN; kritisch hierzu Segebrecht in jurisPK-SGB
IV § 7 Rz 98) - ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG indes nicht gegeben.
20 Entgegen der Auffassung des LSG bildet der Umstand, dass der Kläger die das Vorliegen
eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verneinende
Entscheidung der AOK U. akzeptiert hat und auch keine Beitragsabführung erfolgt ist,
ebenfalls kein Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit. Entscheidend für die
Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft sind allein die tatsächlichen Verhältnisse im Insg-
Zeitraum. Hingegen entfaltet weder die Entscheidung über die Versicherungspflicht
Bindungswirkung für die Prüfung der Insg-Voraussetzungen (BSG USK 8951; BSGE 70, 81,
84 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 8), noch erlaubt das Verhalten der Betroffenen Rückschlüsse
auf das Vorliegen von persönlicher Abhängigkeit. Letzteres gilt gleichermaßen für die
Hinnahme von die Versicherungspflicht verneinenden Entscheidungen, als auch für die
tatsächliche Beitragsabführung ohne Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht.
21 Das Urteil des LSG kann deshalb keinen Bestand haben. Das erstinstanzliche Urteil war in
vollem Umfang zu bestätigen.
22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.