Urteil des BSG vom 10.04.2008

BSG (unterkunft und verpflegung, stationäre behandlung, behandlung, ärztliche behandlung, krankenhaus, krankenkasse, psychotherapeutische behandlung, versorgung, ambulante behandlung, krankheit)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 10.4.2008, B 3 KR 14/07 R
Krankenversicherung - Abgrenzung zwischen stationärer Krankenhausbehandlung und
stationärer medizinischer Rehabilitation - Beurteilung und Überprüfung der
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit - Sachverhaltsaufklärung durch die
Tatsachengerichte
Leitsätze
Die Abgrenzung zwischen stationärer Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer
Rehabilitation hängt maßgeblich von der Intensität der ärztlichen Tätigkeit und den verfolgten
Behandlungszielen ab (Fortführung von BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 9/03 R = BSGE 94, 139
= SozR 4-2500 § 112 Nr 4).
Tatbestand
1 Im Revisionsverfahren allein noch streitig ist der Anspruch auf Vergütung einer
Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 19.4. bis 4.5.2002.
2 Die Klägerin betreibt eine zur internistischen und psychosomatischen Behandlung
zugelassene "Klinik für ganzheitliche Heilkunde". Dort wurde die bei der beklagten
Krankenkasse versicherte V. S. (nachfolgend: Versicherte) in der Zeit vom 3.4. bis zum
4.5.2002 vollstationär behandelt. Maßgeblich hierfür war die vertragsärztliche Verordnung des
Dr. W. aus B. vom 7.3.2002, in der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit wegen
"psychosomatisch depressivem Erschöpfungszustand, Burn-out-Syndrom, Infektanfälligkeit"
attestiert und als geeignetes Krankenhaus die Klinik der Klägerin benannt worden war. Die
Aufnahmediagnose der Klinik lautete "psychosomatischer depressiver Erschöpfungszustand;
Immundefekt mit vorherrschendem Antikörpermangel, nicht näher bezeichnet; psychologische
Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten." Die Beklagte
gab zunächst eine Kostenübernahmeerklärung bis zum 19.4.2002 ab, lehnte die beantragte
Verlängerung der Kostenzusage über diesen Zeitpunkt hinaus jedoch ab. Zur Begründung
berief sie sich auf Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK)
von Dr. D. vom 17.4.2002 und Dr. H. vom 6.5.2002, wonach eine Indikation für die
Behandlung in dem Krankenhaus der Klägerin nicht gegeben sei; Behandlungsanlass seien
vielmehr psychiatrische Diagnosen, die eine Behandlung in einem anthroposophisch
ausgerichteten Fachkrankenhaus nicht rechtfertigten. Die Versicherte könne auch ambulant
behandelt werden; ggf sei bei Bedarf eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische
Behandlung angezeigt. Durch den chronifizierten Krankheitsverlauf sei das
Leistungsvermögen im Erwerbsleben gefährdet und möglicherweise eine Reha-Maßnahme
des Rentenversicherungsträgers geboten.
3 Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung der restlichen Behandlungskosten für die Zeit
vom 19.4. bis 4.5.2002 in Höhe von 2.219,70 Euro nebst Zinsen. Demgegenüber hat die
Beklagte im Wege der Widerklage die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrages von
2.241,36 Euro verlangt (Behandlungszeit 3. bis 18.4.2002). Das Sozialgericht (SG) hat ein
medizinisches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 12.1.2004
eingeholt, die Klage sodann abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage zur
Rückzahlung der bereits vereinnahmten Vergütung in Höhe von 2.241,36 Euro verurteilt
(Urteil vom 27.7.2005). Das Sachverständigengutachten habe ergeben, dass ein
vollstationärer Krankenhausaufenthalt von Anfang an nicht erforderlich gewesen sei. Für den
gesamten Behandlungszeitraum seien keine ärztlichen oder therapeutischen Maßnahmen
erkennbar, die nicht auch ambulant hätte erbracht werden können.
4 Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG nach Einholung eines weiteren
psychosomatischen Fachgutachtens von Dr. H. vom 8.9.2006 und zwei ergänzenden
Stellungnahmen geändert und die Beklagte unter Abweisung der Widerklage verurteilt, an die
Klägerin 2.219,70 Euro nebst Zinsen zu zahlen (Urteil vom 5.7.2007): Die vollstationäre
Krankenhausbehandlung sei zwar nicht objektiv notwendig, wohl aber aus einer ex-ante-
Betrachtung der Krankenhausärzte vertretbar und plausibel gewesen. Nach den
Feststellungen von Dr. H. habe bei der Versicherten ein chronifiziertes Krankheitsbild mit
einer Kombination aus depressiven Symptomen und Ängsten vorgelegen, das sich infolge
eines grippalen Infekts verschlimmert habe. Bei diesem komplexen Krankheitsbild sei die
Entscheidung zur vollstationären Krankenhausbehandlung nachvollziehbar, eine ambulante
Behandlung sei nicht ausreichend erschienen.
5 Mit ihrer auf die Verurteilung zur weiteren Zahlung von 2.219,70 Euro beschränkten Revision
rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts . Vollstationäre Krankenhausbehandlung
komme nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V nur in Betracht, wenn das Behandlungsziel nicht auf
andere Weise erreicht werden könne. Voraussetzung dafür sei, dass die ärztlichen und
pflegerischen Maßnahmen die wesentlichen Leistungen darstellten, wobei eine intensive,
aktivierende und fortdauernde ärztliche Behandlung im Vordergrund stehen müsse. Bei
ordnungsgemäßer Auswertung der Krankenunterlagen und der medizinischen Gutachten
hätte das LSG zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass nichtärztliche Therapien von Anfang
an den Schwerpunkt der Behandlung gebildet hätten und die ärztliche Betreuung nicht im
Vordergrund gestanden habe; für eine solche Krankenbehandlung seien nicht die besonderen
Mittel eines Krankenhauses erforderlich gewesen. Im Übrigen habe das LSG den
behandelnden Ärzten bei der Einschätzung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zu
Unrecht einen Beurteilungsspielraum eingeräumt.
6 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 5.7.2007 zu ändern und die Berufung der Klägerin
gegen das Urteil des SG Koblenz vom 27.7.2005 zurückzuweisen, soweit sie zur Zahlung von
weiteren 2.219,70 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist.
7
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und beantragt gemeinsam mit
der Beigeladenen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision der Beklagten ist im Sinne der teilweisen Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur weiteren Sachaufklärung
begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht, soweit die Beklagte zur Zahlung von
weiteren 2.219,70 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist; der erkennende Senat vermag
aber nicht abschließend in der Sache zu entscheiden, weil es dazu an ausreichenden
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen fehlt (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die bisher
getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, ob und inwieweit tatsächlich
Krankenhausbehandlung über den 19.4.2002 hinaus erbracht worden ist und inwieweit die
Notwendigkeit zur Behandlung mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses bestanden
hat. Deshalb kann der Senat nicht beurteilen, ob der geltend gemachte Zahlungsanspruch
begründet ist oder nicht.
9 1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Streitgegenstand ist der Anspruch eines
Leistungserbringers (hier: Krankenhaus) gegen eine Krankenkasse auf Zahlung der
Vergütung für die Krankenhausbehandlung einer Versicherten in der Zeit vom 19.4. bis
4.5.2002; der noch im Berufungsverfahren mit der Widerklage geltend gemachte
Rückzahlungsanspruch in Höhe von 2.241,36 Euro (Zeitraum 3. bis 18.4.2002) ist im
Revisionsverfahren nicht weiterverfolgt worden. Ihren Zahlungsanspruch hat die Klägerin zu
Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend gemacht, denn es
handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten
Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sog Parteienstreit im
Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht
kommt ( BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2; BSGE 86, 166, 167 f = SozR 3-2500 § 112
Nr 1; BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 4 ). Ein
Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.
10 Seitens der Klägerin ist auch die bei Zahlungsklagen grundsätzlich erforderliche Bezifferung
des Anspruchs erfolgt. Betrifft ein Zahlungsanspruch einen abgeschlossenen Vorgang aus
der Vergangenheit, ist er zur Vermeidung eines ansonsten im Raum stehenden zusätzlichen
Streits über die Höhe des Anspruchs konkret zu beziffern (BSGE 83, 254 , 263 = SozR 3-
2500 § 37 Nr 1 zu Kostenerstattungsansprüchen ); es muss also grundsätzlich ein
bestimmter (bezifferter) Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser
Betrag im Einzelnen zusammensetzt. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
11 2. a) Rechtsgrundlage des geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruchs der Klägerin
ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr
2002. Zudem besteht in Rheinland-Pfalz ein Sicherstellungsvertrag vom 19.11.1999
zwischen den dortigen Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie der
Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz eV zur Regelung "Allgemeiner Bedingungen der
Krankenhausbehandlung" ( KBV ) nach § 112 Abs 2 Nr 1 SGB V, der ergänzend zur
Bestimmung der Voraussetzungen und Modalitäten der Zahlungspflichten der
Krankenkassen heranzuziehen ist. Dieser Vertrag enthält ua Bestimmungen über die
Notwendigkeit und Durchführung von Krankenhausbehandlung (§ 2),
Kostenübernahmeerklärung (§ 4), Verweildauer und Entlassung (§ 5) und
Zahlungsregelungen (§ 9). In der Protokollnotiz 1 zu § 2 Abs 2 KBV ist zudem niedergelegt,
dass zu gegebener Zeit eine ergänzende Regelung über die - auch im vorliegenden Fall
problematische - Abgrenzung der stationären von der ambulanten Behandlung in den
Vertrag aufgenommen werden soll. Dies ist - soweit ersichtlich - bislang noch nicht
geschehen (vgl aber den bundesweiten "Vertrag nach § 115b Abs 1 SGB V - Ambulantes
Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus " vom 18.3.2005
- erneuert am 17.8.2006 für die Zeit ab 1.10.2006 -) , für die Bestimmung der
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruch jedoch auch ohne
Bedeutung, weil selbst beim Fehlen einschlägiger landesrechtlicher Vorschriften allein auf
die maßgebliche Pflegesatzvereinbarung zurückzugreifen wäre (BSGE 92, 300 = SozR 4-
2500 § 39 Nr 2; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 1) .
12 Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage
- unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Der
Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser iS des § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V
steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen
Ermächtigung in den §§ 16, 17 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) nach Maßgabe der
Bundespflegesatzverordnung (BPflV) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen
Krankenkasse und Krankenhausträgern festgelegt wird (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500
§ 112 Nr 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3) . Der Zahlungsanspruch des
Krankenhauses korrespondiert in aller Regel mit dem Anspruch des Versicherten auf
Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das
Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen, wobei unter
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Krankheitszustand zu verstehen ist, dessen
Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht
(BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2; BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1) .
Eine Krankenkasse ist nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm der jeweiligen
Pflegesatzvereinbarung und den Regelungen des KBV verpflichtet, die vereinbarten
Entgelte zu zahlen, wenn eine Versorgung im Krankenhaus durchgeführt und iS von § 39
SGB V erforderlich (gewesen) ist. Das lässt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen
der Vorinstanzen für den hier noch streitigen Behandlungszeitraum nicht abschließend
beurteilen.
13
b) Die Frage, ob der Anspruch erkrankter Versicherter auf vollstationäre Behandlung in
einem zugelassenen Krankenhaus voraussetzt, dass Krankenhausbehandlung allein aus
medizinischen Gründen erforderlich ist, weil das Behandlungsziel durch andere
Maßnahmen der Krankenbehandlung nicht erreicht werden kann, und in welchem Umfang
dies gerichtlich überprüfbar ist, wurde von zwei Senaten des Bundessozialgerichts (BSG) in
der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet (vgl dazu die Entscheidung des Senats vom
selben Tag - B 3 KR 19/05 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) . Der
Große Senat (GS) des BSG ist zur Klärung dieser unterschiedlichen Standpunkte angerufen
worden und hat mit Beschluss vom 25.9.2007 (GS 1/06 - GesR 2008, 83, ebenfalls zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) folgende Entscheidung getroffen:
1. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet
sich nach medizinischen Erfordernissen. Reicht nach den Krankheitsbefunden eine
ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines
Krankenhausaufenthalts auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen,
nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen eine spezielle Unterbringung
oder Betreuung benötigt und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung
vorübergehend im Krankenhaus verbleiben muss.
2. Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist,
hat das Gericht im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen. Es hat dabei von dem im
Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen
Krankenhausarztes auszugehen. Eine "Einschätzungsprärogative" kommt dem
Krankenhausarzt nicht zu.
14 Ausgehend von dieser Entscheidung des GS des BSG ist der vorliegende Sachverhalt zu
beurteilen und dabei vor allem zu konkretisieren, was unter "medizinischen Erfordernissen"
zu verstehen ist (dazu 2. d). Darüber hinaus ist es erforderlich, die Ausführungen des GS
zum Umfang der (nachträglichen) Überprüfbarkeit der Notwendigkeit einer
Krankenhausbehandlung - insbesondere in einem sozialgerichtlichen Verfahren - zu
verdeutlichen und zu ergänzen, welche konkreten Anforderungen an eine gerichtliche
Beweiserhebung zu stellen sind (dazu 2. e). Zuvorderst ist jedoch die Frage zu klären, ob die
gesetzlichen Voraussetzungen zur Abrechenbarkeit einer Krankenhausleistung überhaupt
vorliegen - ob also tatsächlich eine Krankenhausbehandlung iS von § 112 SGB V
stattgefunden hat. Denn im Abrechnungsstreit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse
kommt es nicht nur auf die Beurteilung der Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung an,
sondern zunächst auch darauf, ob das Krankenhaus seiner Vorleistungspflicht aus § 109
Abs 4 Satz 2 SGB V nachgekommen ist und diese Behandlung auch tatsächlich
durchgeführt hat. Mit anderen Worten: Die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung ist
in allen nachträglichen Abrechnungsstreitigkeiten - um einen solchen handelt es sich hier -
erst dann zu prüfen, wenn feststeht, dass im Einzelfall auch tatsächlich eine
Krankenhausbehandlung stattgefunden hat (dazu 2. c).
15 c) Die Krankenkasse hat die Vergütung für eine Krankenhausbehandlung grundsätzlich erst
dann zu entrichten, wenn das Krankenhaus zuvor seine Leistung erbracht hat; ein Anspruch
auf Abschlagszahlungen bei länger dauernden Erkrankungen bleibt davon unberührt (§ 14
Abs 4 BPflV ).
16 aa) Welche Leistungen eine Krankenhausbehandlung umfassen muss, ist allerdings
gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. § 107 Abs 1 SGB V umschreibt lediglich in
organisatorischer Hinsicht (vgl BT-Drucks 11/2237 S 196 zu § 115 ) die
Krankenhäuser als Einrichtungen, die im Unterschied zu Rehabilitationseinrichtungen (§ 107
Abs 2 SGB V) der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch
unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag
entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach
wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten sowie mit Hilfe von jederzeit verfügbarem
ärztlichen, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischen Personal darauf eingerichtet
sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu
erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern
oder Geburtshilfe zu leisten, und in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden
können. Aus der Umschreibung, dass die Krankenbehandlung "vorwiegend" durch ärztliche
und pflegerische Hilfeleistung zu erfolgen hat, lässt sich der Schluss ziehen, dass dies die
wesentlichen Leistungen eines Krankenhauses darstellen (vgl Peters/Schmidt, Handbuch
der Krankenversicherung, Stand: Juli 2006, § 39 SGB V RdNr 37) . § 2 KHG, der für
psychiatrische Fachkliniken auch nach Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems
durch das Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen
(Krankenhausentgeltgesetz - KHEntgG) weiterhin gilt ( vgl § 17b Abs 1 Satz 1 KHG; § 1 Abs
2 Nr 3 KHEntG idF des Fallpauschalengesetzes vom 23.4.2002 ) , bleibt als
ältere Vorschrift ( 1972 ) noch dahinter zurück. Danach sind Krankenhäuser Einrichtungen, in
denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder
Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet
wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden
können. Wie der Senat bereits früher ausgeführt hat (Urteil vom 28.2.2007, SozR 4-2500 §
39 Nr 7 ), bestehen zwischen dem Krankenhausbegriff, der Krankenhausbehandlung und
der Pflicht zu ihrer Vergütung enge Wechselbeziehungen. Was die Begriffsbestimmung für
Krankenhäuser ausmacht, beeinflusst den Inhalt der Krankenhausbehandlung und
umgekehrt (vgl auch Peters/Schmidt, aaO, § 39 SGB V RdNr 41, 216 ). Als
Krankenhausleistungen werden in § 2 Abs 1 BPflV insbesondere ärztliche Behandlung,
Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die für die Versorgung im
Krankenhaus notwendig sind, sowie Unterkunft und Verpflegung genannt. § 2 Abs 2 BPflV
begrenzt die Krankenhausleistungen auf die im Einzelfall unter Berücksichtigung der
Leistungsfähigkeit des Krankenhauses nach Art und Schwere der Krankheit medizinisch
zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten, soweit sie notwendig ist.
17 Damit sind die wesentlichen Merkmale genannt, die eine stationäre
Krankenhausbehandlung prägen. Eine stationäre Behandlung muss danach nicht zwingend
Arznei-, Heil- und Hilfsmittel umfassen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig sind.
Andererseits reicht es aber nicht aus, wenn nur Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung
gestellt werden. Zwar sieht § 13 BPflV vor, dass die Vertragsparteien Abteilungspflegesätze,
einen Basispflegesatz und entsprechende teilstationäre Pflegesätze vereinbaren. Dabei
dient der Abteilungspflegesatz als Entgelt für ärztliche und pflegerische Tätigkeit und die
durch diese veranlassten Leistungen, während der Basispflegesatz als Entgelt für nicht
durch ärztliche und pflegerische Tätigkeit veranlasste Leistungen des Krankenhauses dient.
Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass bei Gewährung von Unterkunft und
Verpflegung ohne ärztliche Behandlung eine stationäre Behandlung erbracht wird, die mit
dem Basispflegesatz zu vergüten wäre. Abteilungspflegesatz und Basispflegesatz sind
lediglich Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung des tagesgleichen Pflegesatzes, der für
verschiedene Abteilungen eines Krankenhauses entsprechend dem unterschiedlichen
Kostenaufwand unterschiedlich ausfallen kann. Mit den differenzierten tagesgleichen
Pflegesätzen sollten lediglich ein preis- und leistungsorientierteres Vergütungssystem sowie
wirksame Anreize zur Wirtschaftlichkeit, insbesondere zur Verweildauerverkürzung
geschaffen werden (Dietz/Bofinger, KHG, BPflV und Folgerecht, Stand: Juni 2006, § 13
BPflV Anm I 4 ). Krankenhausbehandlung ist vielmehr eine komplexe Gesamtleistung (vgl
speziell zur psychiatrischen Behandlung BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 und BSGE
94, 139 = SozR 4-2500 § 112 Nr 4 ). Sie umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, die im
Rahmen einer ambulanten Versorgung oder medizinischen Rehabilitation entweder
überhaupt nicht oder nicht in dieser Weise, insbesondere dieser Kombination und
Konzentration, ergriffen werden könnten. Dabei ist einzuräumen, dass die Grenzen nicht
generell abstrakt gezogen werden können, sondern die Übergänge fließend sind. Im Kern
handelt es sich bei der Krankenhausbehandlung um den kombinierten Einsatz personeller
(Ärzte, Therapeuten, Pflegepersonal) und sächlicher (Arzneien, technische Apparaturen)
Mittel zu Behandlungszwecken. Die in der Regel daneben zur Verfügung gestellte
Unterkunft und Verpflegung sowie die reine Grundpflege (zB Waschen, Anziehen) haben
lediglich dienende Funktion. Sie sollen die erfolgversprechende Durchführung der
stationären Behandlung ermöglichen. Das Entgelt, das weiterhin auch dann als Pflegesatz
bezeichnet wird ( vgl § 2 Nr 4 KHG) , wenn DRG-Fallpauschalen abgerechnet werden, erhält
das Krankenhaus für die erbrachte Gesamtleistung (Urteil des Senats vom 28.2.2007, SozR
4-2500 § 39 Nr 7; vgl auch Peters/Schmidt, aaO, § 39 SGB V RdNr 100 f) .
18 bb) Die beklagte Krankenkasse kann deshalb nur dann zur Bezahlung der geltend
gemachten Kosten verpflichtet sein, wenn und soweit die Klägerin über den 18.4.2002
hinaus noch eine Krankenhausbehandlung der Versicherten durchgeführt hat. Dazu hat das
LSG keine Feststellungen getroffen. Es hat sich auch nicht mit der Fragestellung befasst, in
welchem zeitlichen oder qualitativen Umfang und mit welchen personellen oder sächlichen
Mitteln die Behandlung der Versicherten durchgeführt worden ist. Dies und damit die Frage,
ob grundsätzlich und auch noch nach dem 18.4.2002 weiterhin Krankenhausbehandlung
stattgefunden hat, wird das LSG aufzuklären haben. Dazu kann und muss es sich im
Zweifelsfall aller zur Verfügung stehenden Beweismittel bedienen. Besondere Bedeutung
wird dabei in der Regel der Krankenakte bzw Pflegedokumentation zukommen (vgl Urteil
des Senats vom 20.1.2005, BSGE 94, 139 = SozR 4-2500 § 39 Nr 6 ) , die von den
Krankenhäusern zu führen und den Ärzten des MDK unter bestimmten Voraussetzungen zur
Einsichtnahme oder Überprüfung zu überlassen sind (§ 276 Abs 4 Satz 1 SGB V, § 17c Abs
2 Satz 4 KHG) . Auch im vorliegenden Fall sind diese Krankenunterlagen aussagekräftig und
geben hinreichend Auskunft über die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen. Des
Weiteren kann es im Einzelfall erforderlich sein, Beweis durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens oder durch Anhörung von (sachverständigen) Zeugen zu
erheben, soweit die Krankenunterlagen keine abschließende Beurteilung zulassen, bis zu
welchem Zeitpunkt tatsächlich noch Krankenhausbehandlung stattgefunden hat.
19 cc) Das LSG wird in Anbetracht des früheren Versorgungsauftrages der Klinik der Klägerin
und der im Einzelfall durchgeführten Behandlungsmaßnahmen sowie ihrer konkreten
Zweckrichtung auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob die erbrachten Leistungen
rechtlich als stationäre Krankenhausbehandlung oder als Bestandteil medizinischer
Rehabilitation zu qualifizieren sind, die ggf sogar in den Zuständigkeitsbereich der
Beigeladenen hätten fallen können. Zur Abgrenzung dieser Versorgungsformen hat der
Senat bereits eingehende Kriterien aufgestellt ( vgl Urteil vom 20.1.2005, BSGE 94, 139, 142
f = SozR 4-2500 § 112 Nr 4) und ausgeführt, dass die Abgrenzung zwischen vollstationärer
Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation vor allem im Bereich
der psychotherapeutischen Medizin/Psychosomatik bisweilen schwierig ist, weil
Rehabilitationseinrichtung und Krankenhaus sich darin decken, dass beide auf die
Behandlung von Krankheiten und die Beseitigung ihrer Folgen beim Betroffenen gerichtet
sind. Deshalb kann eine Unterscheidung im Wesentlichen nur nach der Art der Einrichtung,
den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung getroffen werden, die sich
auch in der Organisation der Einrichtung widerspiegeln. Anhaltspunkte zur Differenzierung
bietet vor allem § 107 SGB V: Danach ist für eine Rehabilitationseinrichtung insbesondere
kennzeichnend, dass die Behandlungsziele nach einem ärztlichen Behandlungsplan
vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik,
Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie zu verfolgen
sind (§ 107 Abs 2 Nr 2 SGB V) . Demgegenüber ist ein Krankenhaus mit jederzeit
verfügbaren ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf
eingerichtet, die Behandlungsziele vorwiegend durch ärztliche und pflegerische
Hilfeleistungen zu erbringen (§ 107 Abs 1 Nr 3 SGB V) .
20 Die Zuordnung einer Versorgung entweder zum Sektor der Krankenhausbehandlung oder zu
dem der stationären Rehabilitation hängt deshalb weitgehend von der Intensität der
ärztlichen Tätigkeit und den verfolgten Behandlungszielen ab. Hierzu wird das LSG weitere
Ermittlungen durchzuführen haben. Wichtige Anhaltspunkte können dabei die
Behandlungsleitlinien der medizinischen Fachgesellschaften geben. Die dort formulierten
Behandlungsstandards und Indikationen für Krankenhausbehandlungen lassen
Rückschlüsse darauf zu, welche ärztliche und nichtärztliche therapeutische Versorgung
insoweit jeweils als krankenhaustypisch anzusehen ist. So sehen zB die Leitlinien
"Psychotherapie der Depression" (www.leitlinien.net - Nr 051/023 ) eine Indikation für
stationäre Krankenhausbehandlung insbesondere bei schweren suizidalen Krisen vor, aber
auch bei differenzialdiagnostischen Unklarheiten (somatische oder zusätzliche
psychiatrische Erkrankung), bei deutlicher Verschlechterung unter ambulanter Behandlung
oder bei sehr ausgeprägter Schwere der Symptomatik (Antriebshemmung, psychotische
Wahrnehmungen). Weitere Anhaltspunkte können in der bundesweiten "Verordnung über
Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Psychiatrie" (vom
18.12.1990, BGBl I 2930 - PsychPV ) gefunden werden, in der Zeitanteile für die ärztliche
und nichtärztliche Versorgung in psychiatrischen Kliniken festgelegt sind (vgl Urteil vom
16.2.2005 - B 1 KR 18/03 R -, BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 RdNr 31) .
21 d) Wie bereits ausgeführt (s oben 2. a), korrespondiert der Zahlungsanspruch des
Krankenhauses mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung.
Demgemäß muss nicht nur tatsächlich Krankenhausbehandlung durchgeführt worden sein,
beim Versicherten müssen grundsätzlich auch die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer solchen Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) sowie Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen bzw
vorgelegen haben. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ist deshalb nur gerechtfertigt,
wenn die Versorgung der Versicherten im Krankenhaus der Klägerin iS von § 39 SGB V
erforderlich gewesen ist. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf
vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V) , wenn die
Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel
nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung
einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB V) .
Konkret umfasst die Krankenhausbehandlung alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und
Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung eines Versicherten im Krankenhaus
notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-,
Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung (§ 39 Abs 1 Satz 3 SGB V) . Wie der GS
des BSG in seinem Beschluss vom 25.9.2007 (aaO, RdNr 18) festgestellt hat, könnte der
reine Gesetzestext in Bezug auf die Interpretation, was unter dem Merkmal der
Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung zu verstehen ist, mehrere Deutungen zulassen;
aus der Aufgabenstellung der GKV, der Systematik des Krankenversicherungsrechts sowie
dem Zweck und der Entstehungsgeschichte des § 39 Abs 1 SGB V ergibt sich aber mit
hinreichender Deutlichkeit, dass die Krankenkasse eine vollstationäre
Krankenhausbehandlung nur schuldet, wenn der Gesundheitszustand des Patienten sie aus
medizinischen Gründen erfordert. Reicht nach den Krankheitsbefunden eine teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten
einer dennoch durchgeführten vollstationären Krankenhausbehandlung auch dann nicht zu
tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden
Gründen eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötigt, die gegenwärtig außerhalb
des Krankenhauses nicht gewährleistet ist.
22 Der GS des BSG hat allerdings nicht näher dargelegt, wie der unbestimmte Rechtsbegriff
"aus medizinischen Gründen" konkret auszufüllen ist; dazu hatte er in Anbetracht der ihm zur
Entscheidung vorgelegten Fragen auch keine weitere Veranlassung. Im vorliegenden Fall
hat der erkennende Senat deshalb in Anlehnung an die Vorgaben des GS des BSG näher
zu prüfen, wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff fallbezogen auszufüllen ist, ob also die
weitere Krankenhausbehandlung der Versicherten über den 18.4.2002 hinaus "aus
medizinischen Gründen" erforderlich gewesen ist. Aus sprachlicher Sicht hat der Begriff
keinen eindeutigen Inhalt, er ist gewissermaßen unscharf und muss erst durch Auslegung
konkretisiert werden. Entscheidend ist dabei immer die medizinische Erfordernis im
Einzelfall; Maßstab kann nicht ein "objektiver Patient" und dessen abstrakte
Krankheitsgeschichte sein. Die Auslegung muss deshalb stets eine Bewertung aller
Umstände des Einzelfalls einschließen, in dem der Begriff konkret angewandt werden soll.
Der GS des BSG (aaO, RdNr 31) geht davon aus, dass sich der hier in Rede stehende
unbestimmte Rechtsbegriff immer unschwer durch Auslegung so konkretisieren lässt, dass
sein Inhalt eindeutig feststeht. Dies mag in einfach gelagerten Fällen so sein, in denen es
nur auf die Art der Erkrankung ankommt und es deshalb nur eine richtige Entscheidung
geben kann, wobei weder den Vertragsparteien des Leistungserbringerrechts noch den
Sozialgerichten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Problematischer kann es jedoch
in Fällen mit komplexen medizinischen Sachverhalten liegen - etwa bei langwierigen
psychiatrischen Erkrankungen und bei schwierigen Prognoseentscheidungen, die ein
Abwägen der Erfolgsaussichten mit den Risiken verlangen - oder wenn die medizinische
Komponente durch soziale, familiäre oder humanitäre Gründe mitgeprägt wird. Dies gilt erst
recht, wenn es nicht um die originäre (vorherige) Feststellung der Tatbestandsmerkmale des
§ 39 Abs 1 SGB V geht, sondern (wie hier) um ihre nachträgliche Beurteilung im Rahmen
eines Abrechnungsstreits nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V. Ein Beurteilungsspielraum ist
den Vertragsparteien des Leistungserbringerrechts und den Sozialgerichten aber auch in
diesen Fällen nicht eingeräumt.
23 aa) Die Entscheidung des GS des BSG vom 25.9.2007 ist in der Literatur nicht ohne
Widerspruch geblieben (Korthus, KH 2008, 153; Ladage, KH 2008, 511 ) . Insbesondere wird
befürchtet, dass die Krankenhäuser ihre Patienten nun trotz Fehlens einer konkreten
Weiterbehandlungsmöglichkeit (vorzeitig) entlassen werden, wodurch die Gefahr einer
erheblichen Gesundheitsverschlechterung entstehe. Als Alternative verbliebe lediglich die
Möglichkeit, die Patienten weiterhin ohne Vergütungsanspruch in stationärer Betreuung zu
behalten - diese Variante werde in Zukunft wohl die häufigere Handlungsoption darstellen,
da die Krankenhäuser schon aus haftungs- und strafrechtlichen Gründen oftmals keine
Möglichkeit sähen, weiter krankenbehandlungsbedürftige Patienten zu entlassen, ohne
deren Gesundheit zu gefährden. Nach der Rspr des GS des BSG würden die Krankenhäuser
trotz entsprechender Leistungserbringung keine Vergütung durch die GKV beanspruchen
können, wodurch die ohnehin bereits in vielen Krankenhäusern angespannte Finanzlage
zusätzlich belastet werde (Korthus, aaO, S 155) . Zudem würden strukturelle Defizite auf dem
Gebiet der Krankenversorgung zu Lasten der Versicherten gehen und damit der in § 27 Abs
1 SGB V gewährleistete - umfassende - Anspruch auf Krankenbehandlung in unzulässiger
Weise eingeschränkt (Ladage, aaO, S 513) .
24 Mit dieser Kritik kann sich der erkennende Senat bei der revisionsrechtlichen Entscheidung
des vorliegenden Einzelfalles nicht näher auseinandersetzen. Denn der Beschluss des GS
des BSG vom 25.9.2007 bindet zwar gemäß § 41 Abs 7 Satz 3 SGG nur den vorlegenden 1.
Senat, mittelbar aber auch alle übrigen Senate des BSG, da eine Abweichung von der oa
Entscheidung des GS des BSG nach § 41 Abs 2 SGG nur nach erneuter Anrufung und
Entscheidung des GS des BSG möglich wäre (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, § 41 RdNr 22; Schmidt in: Hennig, SGG, Stand: August 2007, § 41 RdNr
30) . Dies ist nicht beabsichtigt; der erkennende 3. Senat folgt der vorstehend skizzierten
Rspr des GS des BSG in allen entscheidungserheblichen Punkten.
25 bb) Schon im Beschluss des GS des BSG vom 25.9.2007 wird deutlich, dass die
Feststellung dessen, was unter "medizinischen Erfordernissen" iS des ersten Tenors zu
verstehen ist, im Einzelfall erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann. Hatte der
1. Senat des BSG in seiner Vorlagefrage noch darauf abgestellt, dass der Anspruch eines
Versicherten auf vollstationäre Krankenhausbehandlung voraussetze, dass hierfür "allein
medizinische Gründe" erforderlich seien (aaO, RdNr 5) , so findet sich das Wort "allein" im
Tenor des Beschlusses des GS des BSG nicht mehr, und zwar aus gutem Grund: An
späterer Stelle weist der GS (aaO, RdNr 21) selbst darauf hin, "dass außermedizinische
Gesichtspunkte wie die Lebensumstände und die häusliche Situation des Versicherten etwa
bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind, ob ein chirurgischer Eingriff im konkreten Fall
ambulant durchgeführt werden kann oder ob ausnahmsweise eine stationäre Aufnahme
erfolgen muss, weil eine ausreichende Überwachung und Nachbetreuung des Patienten in
seiner häuslichen Umgebung nicht gewährleistet ist". Denn es liegt auf der Hand, dass
neben der Diagnose einer bestimmten Erkrankung auch noch andere, nicht rein
medizinische Gründe dafür maßgeblich sein können, ob ein Patient stationär oder ambulant
behandelt wird - etwa das Alter eines Versicherten oder sein Allgemeinzustand.
26 cc) Entscheidend für die Festlegung der Kriterien, ob Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit
iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V vorliegt, sind immer die Verhältnisse des konkreten
Einzelfalls. Dies folgt schon aus § 39 Abs 1 Satz 3, 1. Halbsatz SGB V, wonach die
Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle
Leistungen umfasst, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die
medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere
ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln,
Unterkunft und Verpflegung. Krankenhausbehandlung ist dabei grundsätzlich zielgerichtet iS
von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V. Sie muss notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu
heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und
hierfür müssen "die besonderen Mittel eines Krankenhauses" erforderlich sein (s oben 2. c).
Diese Voraussetzungen sind von den Tatsachengerichten in jedem Einzelfall festzustellen.
Abgrenzungsprobleme können dabei vor allem bei folgenden Fallgruppen auftreten, wobei
Überschneidungen durchaus möglich und bei länger andauernden Erkrankungen sogar
wahrscheinlich sind: So kann es grundsätzlich zweifelhaft sein, ob die Behandlung einer
Krankheit im Einzelfall besonders intensiver medizinischer Betreuung bedarf und deshalb
stationär durchzuführen ist oder ob sie ohne Inanspruchnahme der besonderen Mittel eines
Krankenhauses - ambulant - erfolgen kann (Fallgruppe 1). Des Weiteren kann problematisch
sein, in welchem zeitlichen Rahmen eine stationäre Behandlung erfolgen muss bzw ab
wann eine ambulante Weiterbehandlung ausreichend ist (Fallgruppe 2). Zudem war in der
Vergangenheit oft umstritten, ob (weitere) Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit auch dann
anzunehmen ist, wenn zwar noch eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt, diese
indes nicht mehr zwingend in einem Krankenhaus behandelt werden muss, gleichwohl aber
eine Unterbringung des Versicherten aus anderen Gründen (Pflegebedürftigkeit,
Verwahrlosung, Selbst- oder Fremdgefährdung) notwendig ist (Fallgruppe 3).
27 Fallgruppe 1 : Krankenbehandlung, die nicht der besonderen Mittel eines Krankenhauses
bedarf, ist grundsätzlich ambulant durchzuführen; insbesondere die vollstationäre
Krankenhausbehandlung ist nachrangig gegenüber allen anderen Arten der
Krankenbehandlung (vgl § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V "weil ... nicht") . Ob die notwendige
medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt
werden kann, ist immer an Hand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen; es
kommt auf die Art und Schwere der Krankheit im Einzelfall an und ob dafür die medizinische
Versorgung eines Versicherten gerade im Krankenhaus notwendig ist. Allerdings lässt sich
die Frage, ob ambulante oder stationäre Behandlung angezeigt ist, nicht immer eindeutig
beantworten. So hat schon der 1. Senat des BSG (Urteil vom 4.4.2006, BSGE 96, 161, 169 =
SozR 4-2500 § 13 Nr 8) darauf hingewiesen, dass für die ärztliche Entscheidung,
Behandlungsverfahren ambulant oder stationär durchzuführen, vor allem Risikoabwägungen
ausschlaggebend sind. Dabei kommt es insbesondere auf den Gesundheitszustand des
Versicherten an, aber auch andere Faktoren können eine Rolle spielen - denn eine
medizinische Versorgung, die als solche nach dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse in der Regel ambulant vorgenommen wird, kann gleichwohl auf
Grund besonderer Gegebenheiten des Einzelfalles eine stationäre Krankenhausbehandlung
erfordern (Urteil des erkennenden Senats vom 19.11.1997, SozR 3-2500 § 107 Nr 1 S 7).
Entscheidend ist zudem, dass eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst geeignete
ambulante Variante überhaupt zur Verfügung steht, und zwar so, dass sie für den
Versicherten verfügbar und in zumutbarer Weise erreichbar ist.
28 Diese am Einzelfall orientierte Betrachtungsweise schließt indes einen Rückgriff auf
allgemeine Regeln und Erkenntnisse nicht aus. Durch das GSG vom 21.12.1992 (BGBl I
2266) ist § 115b SGB V neu eingefügt und damit die Möglichkeit des ambulanten Operierens
im Krankenhaus zugelassen worden. Der Gesetzgeber hat die Einzelheiten hierzu nicht
selbst ausformuliert, sondern in § 115b Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V festgelegt, dass die
Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam (ab 1.7.2008: Spitzenverband Bund der
Krankenkassen), die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der
Krankenhausträger gemeinsam und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen einen
Katalog ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe
vereinbaren. Außerdem hat er in § 115b Abs 1 Satz 2 SGB V bestimmt, dass die
Operationen und stationsersetzenden Eingriffe, die in der Regel ambulant durchgeführt
werden können, in einer Liste zu erfassen und zudem allgemeine Tatbestände zu
bestimmen sind, bei deren Vorliegen eine stationäre Durchführung erforderlich sein kann;
dementsprechend ist der bereits unter Punkt 2a) erwähnte AOP-Vertrag geschlossen
worden. In Anlage 1 zu diesem Vertrag werden Leistungen bezeichnet, die regelmäßig
ambulant erbracht werden können, aber nicht zwangsläufig ambulant erbracht werden
müssen - entscheidend bleiben die Verhältnisse des Einzelfalles (§§ 2 Abs 2 und 3 Abs 2
AOP-Vertrag) . Diese als Orientierungshilfe für den Arzt gedachte Kennzeichnung besitzt
jedoch gleichwohl rechtliche Relevanz, da von ihr nur aus wichtigen Gründen abgewichen
werden kann, die in § 3 Abs 3 AOP-Vertrag näher bezeichnet werden: Bei Vorliegen bzw
Erfüllung der dort genannten und in einer Anlage 2 näher substantiierten Kriterien ist in der
Regel eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich. Wird sie durchgeführt, ist dies
im Rahmen der Fehlbelegungsprüfung nach § 17c KHG nicht zu beanstanden (vgl auch
Wahl in: jurisPK-SGB V, 2008, § 39 RdNr 73 mwN) und damit auch für die Abrechnung des
Krankenhauses mit der Krankenkasse verbindlich.
29 Besonders problematisch kann die grundsätzliche Abgrenzung stationär - ambulant im
Bereich psychiatrischer Erkrankungen sein. Denn Versicherte mit einem schweren
psychiatrischen Leiden haben nach der Rspr des BSG Anspruch auf stationäre
Krankenhausbehandlung, wenn nur auf diese Weise ein erforderlicher komplexer
Behandlungsansatz durch das Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams unter
fachärztlicher Leitung erfolgversprechend verwirklicht werden kann ( BSGE 94, 139 = SozR
4-2500 § 112 Nr 4; BSGE 94, 161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4). Vor allem bei psychiatrischer
Behandlung kann der Einsatz von krankenhausspezifischen Gerätschaften in den
Hintergrund treten und allein schon die Notwendigkeit des kombinierten Einsatzes von
Ärzten, therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation die
Möglichkeit einer ambulanten Behandlung ausschließen und eine stationäre Behandlung
erforderlich machen. Entsprechendes gilt bei einem kombinierten psychisch-
psychosomatischen Beschwerdebild, um das es auch vorliegend geht. Nach diesen
Grundsätzen wird das LSG - unterstellt, die Krankenhausbehandlung hat tatsächlich bis zum
4.5.2002 fortgedauert - zu prüfen haben, ob die Versicherte in der hier noch streitigen Zeit bis
zu ihrer Entlassung weiterhin behandelt worden ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu
heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und ob
hierfür die besonderen Mittel des Krankenhauses erforderlich gewesen sind. Dabei ist auch
zu überprüfen, ob der von Dr. W. verordnete und von der Klägerin angebotene ganzheitliche
- anthroposophische - Behandlungsansatz mit seinen besonderen Therapierichtungen
grundsätzlich zur stationären Behandlung der Versicherten mit ihrem kombinierten
psychisch-psychosomatischen Beschwerdebild geeignet war, ob nicht eher - wie vom MDK
angeregt - eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung angezeigt oder
sogar eine realisierbare ambulante Alternative denkbar gewesen wäre, die für die
Versicherte in Anbetracht ihres Gesundheitszustandes in zumutbarer Weise zur Verfügung
gestanden hätte.
30 Fallgruppe 2 : Die Dauer einer Erkrankung spricht für sich allein nicht für oder gegen ihre
Behandlungsbedürftigkeit in einem Krankenhaus; entscheidend sind auch hier grundsätzlich
die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles. Ging man früher noch davon aus, dass bei
Dauerleiden oder chronischen Erkrankungen, die jahrelang ohne nennenswerten Erfolg
behandelt worden sind, eine Vermutung dafür besteht, dass sie keiner aussichtsreichen
Behandlung mehr zugänglich sind, ist die Medizin in dieser Hinsicht nunmehr deutlich
zurückhaltender; selbst schwere psychiatrische Leiden werden heute als therapierbar und
medizinisch beeinflussbar angesehen ( BSGE 94, 139 = SozR 4-2500 § 112 Nr 4; BSGE 94,
161 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4; weitere Nachw bei Wahl, aaO, § 39 RdNr 60) .
Schwierigkeiten bereitet demgegenüber häufig die Festlegung des Zeitpunkts, bis zu dem
die besonderen Mittel eines Krankenhauses zur Behandlung einer Krankheit erforderlich
gewesen sind bzw ab wann eine ambulante oder sonstige nicht vollstationäre
Weiterbehandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend gewesen wäre.
Grundsätzlich gilt, dass eine nicht vollstationäre - ambulante - Weiterbehandlung nach der
Art der Erkrankung und den Verhältnissen des Einzelfalles möglich und zumutbar und das
Behandlungsrisiko konkret beherrschbar sein muss. Insbesondere darf durch die Entlassung
des Versicherten in ambulante Weiterbehandlung kein gesundheitlicher Nachteil drohen (zB
unkontrollierte Nachblutungsgefahr, Rückfall usw). Maßgeblich sind nach den Vorgaben des
GS des BSG vom 25.9.2007 nur medizinische Erwägungen; reicht nach den
Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten
eines Krankenhausaufenthalts auch dann nicht zu tragen, wenn ein Versicherter aus
anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen vorübergehend im
Krankenhaus verbleibt (aaO, erster Tenor). Die Problematik dieser Fallgruppe trifft im
vorliegenden Fall nicht zu (vgl näher die Entscheidung des Senats vom selben Tag - B 3 KR
19/05 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) .
31 Fallgruppe 3 : Hier scheiden zunächst alle Fälle aus, in denen keine behandlungsbedürftige
Krankheit (mehr) vorliegt, gleichwohl aber die Unterbringung eines krankenversicherten
Menschen aus anderen Gründen sinnvoll erscheint oder erforderlich ist. Ein Anspruch auf
(weitere) Krankenhausbehandlung besteht aber auch dann nicht, wenn zwar eine
behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt, zu deren Behandlung aber nicht die besonderen
Mittel eines Krankenhauses (s oben 2. c) notwendig sind, selbst wenn infolgedessen eine
anderweitige Unterbringung erforderlich ist. So begründet Pflegebedürftigkeit iS von § 14
Abs 1 SGB XI allein keinen Anspruch auf stationäre Behandlung in einem Krankenhaus; sie
ist zwar krankheitsbedingt iS von § 14 Abs 2 SGB XI, doch die Hilfe bei den Verrichtungen
des täglichen Lebens - § 14 Abs 4 SGB XI - stellt keine zielgerichtete Krankenbehandlung (§
27 Abs 1 Satz 1 SGB V) dar (BSGE 94, 161, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 - jeweils mwN) .
Ebenso wenig reicht es aus, wenn ein Versicherter aus Verwahrungsgründen - etwa zur
Verhinderung von Selbst- oder Fremdgefährdung - in einer Einrichtung untergebracht
werden muss; dies kann selbst dann gelten, wenn die Gefährdung der eigenen oder einer
anderen Person krankheitsbedingt ist (BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2) .Schließlich
können auch allgemein soziale, humanitäre oder familiäre Gründe nicht zu einem Anspruch
aus § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V führen, selbst wenn diese für eine stationäre Betreuung des
Versicherten sprechen, für eine Behandlung aber nicht die besonderen Mittel eines
Krankenhauses (s oben 2. c) erforderlich sind (vgl im Einzelnen Wahl in, aaO, § 39 RdNr 56
mwN) . Auch die Problematik dieser Fallgruppe trifft im vorliegenden Fall nicht zu (vgl näher
die Entscheidung des Senats vom selben Tag - B 3 KR 19/05 R -, zur Veröffentlichung in
BSGE und SozR vorgesehen) .
32 e) Das LSG hat seine Beweiswürdigung im Wesentlichen auf das von ihm selbst eingeholte
Gutachten des Sachverständigen Dr. H. gestützt, der sich zu der Frage geäußert hat, ob die
stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten ab 3.4. bzw über den 18.4.2002 hinaus
aus medizinischen Gründen "vertretbar" gewesen ist. In der erneuten Verhandlung wird das
LSG darauf zu achten haben, dass im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungen konkrete
Beweisfragen gestellt werden, Zeugen und Sachverständigen also nur zu
entscheidungserheblichen Tatsachen gehört und ihnen keine unbestimmten Rechtsbegriffe
zur Ausfüllung und Bewertung überlassen werden - Letzteres ist allein Sache der Gerichte.
33 aa) Der GS des BSG hat in der Entscheidung vom 25.9.2007 ausgeführt, dass das Gericht im
Streitfall grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen hat, ob eine stationäre
Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist. Die Entscheidung
darüber, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer
Krankenhausbehandlung als Sachleistung zusteht und darin eingeschlossen die
Entscheidung, ob eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist,
obliegt nicht dem Krankenhaus, sondern der Krankenkasse, gegen die sich der Anspruch
richtet (aaO, RdNr 27 f) . Der Grundsatz, dass die Notwendigkeit der
Krankenhausbehandlung im Prozess vom Gericht vollständig zu überprüfen ist, gilt auch
dann, wenn die Krankenkasse ihre Leistungspflicht nachträglich für einen zurückliegenden
Zeitraum bestreitet (aaO, RdNr 32) . Es hat dabei von dem im Behandlungszeitpunkt
verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes
auszugehen, wobei diesem jedoch eine "Einschätzungsprärogative" nicht zukommt (aaO,
zweiter Tenor).
34 bb) Bei der gerichtlichen Überprüfung der medizinischen Erforderlichkeit der
Krankenhausbehandlung ist auch im Abrechnungsstreit stets zu berücksichtigen, dass für
die ärztliche Entscheidung, eine Krankenbehandlung vollstationär oder teil-, vor- und
nachstationär oder ambulant durchzuführen, vor allem Risikoabwägungen und die konkreten
Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sind (BSG, Urteil vom 4.4.2006, BSGE 96,
161, 169 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8). Davon geht auch der GS des BSG aus, dessen
Entscheidung erkennbar von dem Bestreben getragen wird, dem Krankenhausarzt keinen
Beurteilungsspielraum und keine Einschätzungsprärogative im Sinne eines
Entscheidungsfreiraums mit verminderter Kontrolldichte zu gewähren (aaO, RdNr 29) . Nach
der Rspr des Bundesgerichtshofs (BGH), der bei der Bewertung von Ansprüchen privat
Versicherter auf medizinisch notwendige Heilbehandlung einen "objektiven
Vertretbarkeitsansatz" verfolgt, ist eine vom (privaten) Krankenversicherungsträger
geschuldete Heilbehandlung dann medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven
medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen
Behandlung vertretbar war, sie als notwendig zu sehen (BGH, Urteil vom 10.7.1996, BGHZ
133, 208, 212 f mwN; vgl auch Urteile vom 12.3.2003, BGHZ 154, 154, 166 f, und vom
21.9.2005, BGHZ 164, 122, 126 f). Im privaten Krankenversicherungsrecht kommt es also
nicht darauf an, ob die Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels
tatsächlich geeignet ist; vielmehr ist nach Auffassung des BGH die objektive Vertretbarkeit
bereits dann zu bejahen, wenn die Behandlung nach den medizinischen Erkenntnissen im
Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden kann, auf eine
Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung
hinzuwirken (BGH, Urteil vom 10.7.1996, aaO) . Im Urteil vom 21.9.2005 (aaO) heißt es
sodann: "Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr
Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde
und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die
Behandlung als notwendig anzusehen."
35 cc) Der GS des BSG setzt sich nicht in Widerspruch zur Rspr des BGH (s oben 2. e bb).
Auch er erkennt ausdrücklich an, dass bei einer nachträglichen Fehlbelegungsprüfung in
rechtlicher Hinsicht die Besonderheit besteht, dass die Berechtigung der
Krankenhausbehandlung nicht rückschauend aus der späteren Sicht des Gutachters zu
beurteilen, sondern zu fragen ist, ob sich die stationäre Aufnahme oder Weiterbehandlung
bei Zugrundelegung der für den Krankenhausarzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst im
Behandlungszeitpunkt verfügbaren Kenntnisse und Informationen zu Recht als medizinisch
notwendig dargestellt hat (aaO, RdNr 33). Damit folgt der GS früherer Rspr des 3. und 6.
Senats des BSG, dass es dem behandelnden Arzt nicht angelastet werden kann, wenn er
auf Grund einer für ihn nicht erkennbaren Irreführung oder Fehlinformation
Behandlungsmaßnahmen einleitet, die sich später als unnötig herausstellen
(Krankenhauswanderer - SozR 3-2500 § 39 Nr 4; unbegründeter Krankheitsverdacht - SozR
3-2500 § 76 Nr 2) . In solchen Fällen können der Behandlungsanspruch des Versicherten
und der Vergütungsanspruch des Krankenhauses auseinanderfallen, wenn zwar
rückschauend feststeht, dass objektiv keine Notwendigkeit für eine Krankenhausbehandlung
bestand, das Krankenhaus aber im Behandlungszeitpunkt von deren Notwendigkeit
ausgehen durfte und die Behandlung deshalb zu Recht zu Lasten der Krankenkasse
durchgeführt hat (so auch GS des BSG, aaO, RdNr 33).
36 Zusammengefasst folgt daraus, dass die Beurteilung der
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit durch den verantwortlichen Krankenhausarzt (§ 39
Abs 1 Satz 2 SGB V) in einem Abrechnungsstreit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse
immer daraufhin zu überprüfen ist, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und
wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals
verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes - ex ante - eine
Krankenhausbehandlung erforderlich war, seine Beurteilung also den medizinischen
Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprach und nicht im Widerspruch zur allgemeinen
oder besonderen ärztlichen Erfahrung stand. Dies gilt sowohl für die erstmalige Beurteilung
der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit als auch für die jeweiligen Folgeentscheidungen,
wenn es um die Verlängerung eines Krankenhausaufenthaltes geht, wobei sich der
Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes im Laufe einer
Krankenhausbehandlung naturgemäß verändern wird. Vor allem bei der erstmaligen
Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist jedoch zu beachten, dass der
Krankenhausarzt eine (medizinische) Prognose abgeben muss, er also eine konkrete
Diagnose zu stellen und dabei zukunftsorientiert zu beurteilen hat, ob die besonderen Mittel
eines Krankenhauses erforderlich sind, um eine Krankheit zu erkennen, sie zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
37 dd) Entsprechend konkrete und am Einzelfall orientierte Fragestellungen sind von den
Tatsachengerichten in ihren Beweisanordnungen vorzusehen und den medizinischen
Sachverständigen vorzulegen. Keinesfalls ist es für die richterliche Tatsachenermittlung
ausreichend, wenn ein Gutachten - wie auch hier - zu der Frage eingeholt wird, ob die
stationäre Behandlung eines Versicherten ab 3.4. bzw über den 18.4.2002 hinaus aus
medizinischen Gründen "notwendig" oder "vertretbar" gewesen ist. Damit wird dem
Sachverständigen die tatbestandsmäßige Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe
zugemutet, die allein in den Verantwortungsbereich der Sozialgerichte fällt, es werden indes
- anders noch in der Beweisanordnung des SG vom 1.9.2003 - keine konkreten und auf den
entscheidungserheblichen Sachverhalt bezogene Beweisfragen gestellt. Letzteres wäre
aber erforderlich gewesen, um eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die hier
maßgebliche Frage zu gewinnen, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und
wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals
verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes - ex ante - eine
Krankenhausbehandlung der Versicherten über den 18.4.2002 hinaus erforderlich war, die
Beurteilung des Krankenhausarztes also den medizinischen Richtlinien, Leitlinien und
Standards entsprach und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen
Erfahrung stand. Eine diesen Vorgaben entsprechende Beweiserhebung wird das LSG
nachzuholen haben. Dabei kann und muss es auf alle ihm nach der Prozessordnung zur
Verfügung stehenden Beweismittel und nicht nur auf die von der Klägerin geführten
Dokumentationen (Krankenakten, Leistungsdokumentation, Medikamentenverordnungsblatt,
ärztliche Verlaufseintragungen, Dokumentation über Therapien und Arbeitsversuche usw)
zurückgreifen, zumal diese Dokumente in der Regel nur den Verlauf des
Krankenhausaufenthalts dokumentieren sollen; aus ihnen lässt sich ablesen, ob tatsächlich
Krankenhausbehandlung durchgeführt worden ist (s oben 2. c bb aE), aber nicht unbedingt,
ob diese gemäß den vorstehenden Kriterien auch notwendig gewesen ist.
38 Da im Abrechnungsstreit die Beurteilung des Krankenhausarztes - ex ante - darauf zu
überprüfen ist, ob sie den medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entspricht und
nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung steht, ist es
erforderlich, dass die Tatsachengerichte zunächst feststellen, ob konkrete Richtlinien,
Leitlinien und Standards für die in Rede stehende Kranken(haus)behandlung vorhanden
sind; ggf sind diese zu ermitteln und den Beweisanordnungen zugrunde zu legen. Bei der
anschließenden Beauftragung eines medizinischen Sachverständigen ist zudem darauf zu
achten, dass dieser im Hinblick auf die entscheidungserheblichen Sachverhalte ausreichend
qualifiziert ist, also insbesondere auf dem zu beurteilenden medizinischen Fachgebiet
ausgewiesen ist und Erfahrung mit der medizinischen Ausrichtung des betroffenen
Krankenhauses besitzt. Dies gilt im vorliegenden Fall ganz besonders, da es sich um ein
anthroposophisches Fachkrankenhaus handelt, dass einen ganzheitlichen und von der
traditionellen Medizin teilweise abweichenden Behandlungsansatz verfolgt.
39 3. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren bleibt dem LSG vorbehalten. Die
Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie §
47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.