Urteil des BSG vom 07.05.2013
BSG: Krankenversicherung, Systemversagen bei objektiv willkürlicher Nichtempfehlung einer neuen Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 7.5.2013, B 1 KR 44/12 R
Krankenversicherung - Systemversagen bei objektiv willkürlicher Nichtempfehlung einer neuen
Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss - Folgen verzögerter
Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
vom 6. Oktober 2011 und des Sozialgerichts Aachen vom 29. September 2009 sowie der
Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli
2009 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der ambulant durchgeführten
hyperbaren Sauerstofftherapie in Höhe von 6994,44 Euro freizustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Freistellung von Kosten einer ambulant durchgeführten
hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO-Therapie).
2 Die am 1.5.1960 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin
leidet unter Diabetes mellitus Typ I mit Verschluss aller originären Unterschenkelgefäße im
Bereich des oberen Sprunggelenks. Deshalb bildeten sich bei ihr im Februar 2009 trockene
Nekrosen an Zehen des linken Fußes (pAVK im Stadium IV links, ischämisches
diabetisches Fußsyndrom). Die Klinik für Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Aachen
diagnostizierte massive arteriosklerotische Veränderungen. Eine geplante
Bypassimplantation fand daraufhin nicht statt. Eine Wunde im OP-Bereich tendierte auch
nach Antibiotikagabe nicht zur Heilung. Die Klägerin beantragte über das nicht zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassene HBO-Zentrum E (HBO-Zentrum), die Kosten für
eine HBO-Therapie im Rahmen ambulanter Behandlung zu übernehmen (ärztliches
Schreiben vom 2.5.2009). Die HBO-Therapie (Einatmung von 100 % medizinisch reinem
Sauerstoff unter erhöhtem Umgebungsdruck für definierte Zeiträume und Intervalle) erfolgt
in der Regel in HBO-Zentren mit erforderlichen Druckkammern und ärztlich geleitetem
Behandlungsteam. Die Klägerin führte aus, die HBO-Therapie stelle für sie - nach
Ausschöpfung aller gefäßchirurgischen Möglichkeiten - die letzte Chance dar, eine
Abheilung der OP-Wunde zu erreichen und eine Amputation im Unterschenkelbereich zu
vermeiden. Das diabetische Fußsyndrom befinde sich im Übergang zum Stadium Wagner
III, wobei lediglich die begleitende Knochenbeteiligung für das Stadium III noch nicht
radiologisch nachgewiesen sei, sich aber innerhalb der nächsten Tage einstellen werde.
Sie bedürfe keiner stationären Behandlung, da sie sich in einem guten Allgemeinzustand
befinde und noch relativ jung sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom
8.5.2009; Widerspruchsbescheid vom 3.7.2009). Der Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) habe entschieden, dass die HBO-Therapie nicht als ambulante vertragsärztliche
Leistung erbracht werden dürfe. Die Klägerin unterzog sich 20 ambulanten HBO-
Behandlungen im HBO-Zentrum (25.5.2009 bis 22.6.2009, Rechnung vom 10.7.2009 über
3885,80 Euro). Die Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie des
Universitätsklinikums Aachen behandelte die Klägerin wegen zweier nekrotisierender
Zehenglieder stationär (23.6.2009 bis 6.7.2009). Sie führte die HBO-Therapie in 9
Sitzungen im HBO-Zentrum als Teil der stationären Behandlung fort. Die Klägerin ließ
anschließend im HBO-Zentrum 16 weitere Behandlungen ambulant durchführen (7.7.2009
bis 31.7.2009, Rechnung vom 15.8.2009 über 3108,64 Euro). Das HBO-Zentrum stundet ihr
seitdem die Rechnungsbeträge bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den
Freistellungsanspruch.
3 Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.9.2009). Das LSG hat die Berufung
zurückgewiesen: Die ambulante HBO-Therapie gehöre nicht zum Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der GBA habe sie nicht für die vertragsärztliche
Versorgung empfohlen. Er habe die HBO-Therapie im Krankenhaus nur unter
einschränkenden Kriterien als zu Lasten der GKV erbringbare Leistung qualifiziert
(Beschluss vom 13.3.2008). Die erneute Einleitung eines Prüfverfahrens sei nicht
rechtswidrig unterblieben (Urteil vom 6.10.2011).
4 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art 2 Abs 1 GG iVm dem
Sozialstaatsprinzip und des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aus Art 20 Abs 3
GG. Eine stationäre Behandlung sei in ihrem Falle nicht medizinisch notwendig. Ihr sei
auch ein Abwarten nicht zuzumuten, bis eine Verschlimmerung eingetreten sei, die eine
stationäre Behandlung erfordere. § 226 Abs 1 StGB belege, dass der drohende Verlust
eines Fußes - als wichtiges Körperglied - wertungsmäßig mit einer drohenden Erblindung
gleichzustellen sei, die zu einer grundrechtsorientierten Auslegung führe.
5 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 und des
Sozialgerichts Aachen vom 29. September 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8.
Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2009 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten der ambulant durchgeführten
hyperbaren Sauerstofftherapie in Höhe von 6994,44 Euro freizustellen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 aufzuheben
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht
zurückzuverweisen.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
8 Der Senat hat Beweis erhoben durch eine Auskunft des GBA. Der GBA hat ausgeführt, die
in Rede stehende Ausnahme von einem Verbot nach § 137c SGB V für die adjuvante
Anwendung der HBO-Therapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium
größer/gleich Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der
Standardtherapie führe nach § 137c SGB V zur Erlaubnis im stationären Bereich, nicht aber
nach § 135 SGB V für die vertragsärztliche Versorgung. Dies sei Folge des gesetzlichen
Regelungsansatzes.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sowie
die Bescheide der beklagten KK sind aufzuheben. Die Vorinstanzen haben die - zutreffend
mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verfolgte - Klage
auf Freistellung zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch
auf Freistellung von 6994,44 Euro Kosten der in der Zeit vom 25.5. bis 22.6.2009 und vom
7. bis 31.7.2009 ambulant im HBO-Zentrum durchgeführten adjuvanten HBO-Therapie.
10 Rechtsgrundlage des Kostenfreistellungsanspruchs ist § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V (hier
anzuwenden idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und
Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
GSG> vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Die Rechtsnorm bestimmt: "Hat die Krankenkasse
eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe
zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist
demnach nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (vgl zum Ganzen:
BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 25; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der
Krankenversicherung Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 233 ff): Bestehen
eines Primärleistungs-(Naturalleistungs-)anspruchs der Versicherten und dessen
rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch die KK (dazu insgesamt
1.), Selbstbeschaffung einer entsprechenden Leistung durch die Versicherte (dazu 2.),
Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung,
Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung (dazu insgesamt 3.) und (rechtlich
wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung (dazu 4.).
11 1. Der Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V reicht nicht weiter
als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst
beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als
Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-
2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr
15; vgl zum Ganzen: E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19.
Aufl, 78. Lfg, Stand: 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 233 ff). Die Klägerin hatte 2009 Anspruch
gegen die Beklagte auf eine ambulante Behandlung ihres diabetischen Fußsyndroms im
Stadium Wagner III mit HBO (zum Individualanspruch Versicherter vgl BSG Beschluss
vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 54, GesR 2007, 276; E. Hauck in H. Peters,
Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 53
f).
12 a) Die Beklagte war nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V der Klägerin zur Gewährung
ärztlicher Behandlung verpflichtet, die vom Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst ist.
Versicherte wie die Klägerin haben gemäß § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf
Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit - hier das diabetische
Fußsyndrom im Stadium Wagner III - zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
13 Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch einer Versicherten unterliegt allerdings den
sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur
solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechen. Die KKn sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte
Therapie nach eigener Einschätzung der Klägerin oder des behandelnden Arztes positiv
verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die
betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei -
wie hier - neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen
Versorgung gemäß § 135 Abs 1 S 1 SGB V grundsätzlich nur dann der Fall, wenn
zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V eine positive
Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode
abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des
einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) gemacht hat
(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 14; BSGE 88, 126, 128 = SozR 3-2500 § 87 Nr
29; Hauck, NZS 2007, 461, 464 mwN). Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm §
135 Abs 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw)
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der KKn erbringen und
abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den
Versicherten von den KKn geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt
(vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 12 - LITT; BSGE 111, 137 = SozR 4-
2500 § 13 Nr 25, RdNr 16, stRspr).
14 Die Richtlinien des GBA sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als
untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen
Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des Art 1 Nr 70 Gesetz zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
GMG> vom 14.11.2003, BGBl I 2190; jetzt § 91 Abs 6 SGB V idF des Art 2 Nr 14 Gesetz
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG> vom 26.3.2007, BGBl I 378). Das BSG zieht
die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel.
Es behält sich aber vor, die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen
Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der
Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer
untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und
soweit hierzu aufgrund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter
Anlass besteht (stRspr; vgl grundlegend BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr
14 ff mwN - LITT; siehe auch zB BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 26 mwN).
15 Die Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff beim diabetischen Fußsyndrom ist eine
ärztliche "Behandlungsmethode" im Sinne der GKV. Ärztliche "Behandlungsmethoden" im
Sinne der GKV sind nämlich medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes
theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen
Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der
Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl zB BSGE 82, 233, 237 = SozR
3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN; BSG
SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 2 S 9 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 17; BSG SozR 4-2500
§ 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Die Methode ist auch "neu", weil sie zum Zeitpunkt der
Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM enthalten war
(vgl zum Merkmal "neu" BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Als nicht vom GBA
empfohlene neue - sogar durch Beschluss vom 10.4.2000 (BAnz Nr 128 vom 12.7.2000, S
13396, und BAnz Nr 22 vom 1.2.2001, S 1505) explizit von der vertragsärztlichen
Versorgung ausgeschlossene - Methode ist die ambulante HBO-Therapie grundsätzlich
kein Leistungsgegenstand der GKV (vgl Anlage II Nr 16 der Richtlinie Methoden
vertragsärztliche Versorgung in der seinerzeit geltenden Fassung vom 17.1.2006, BAnz Nr
48 vom 9.3.2006, S 1523, geändert am 19.6.2008/1.12.2008, BAnz Nr 124 vom 19.8.2008,
S 3018 und Nr 197 vom 30.12.2008, S 4749).
16 b) Die ambulante adjuvante Behandlung des diabetischen Fußsyndroms im Stadium ab
Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der
Standardtherapie mit HBO im Jahre 2009 ist aber als Ausnahmefall wegen
Systemversagens in den GKV-Leistungskatalog einbezogen, ohne dass es einer positiven
Empfehlung des GBA und einer Aufnahme der Methode in den EBM bedarf. Der GBA
verstieß gegen höherrangiges Recht (vgl zu dieser Voraussetzung zB BSGE 88, 62, 67 f =
SozR 3-2500 § 27a Nr 3), weil er objektiv willkürlich das sektorenübergreifende
Prüfverfahren 2008 nicht auf eine Empfehlung dieser Methode bei der genannten
Indikation für die vertragsärztliche Versorgung erstreckte. In solchen Fällen gibt § 13 Abs 3
S 1 SGB V Versicherten ua das Recht, von ihrer KK zu verlangen, von den Kosten der
betreffenden Leistung freigestellt zu werden, wenn sie notwendig ist (vgl dazu BSGE 88,
62, 74 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3; Hauck, NZS 2007, 461, 464). Die Grundsätze, die die
Rechtsprechung für ein Systemversagen entwickelt hat, greifen ergänzend zur
gesetzlichen Regelung bei verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer
neuen Methode ein (vgl § 135 Abs 1 S 4 und 5 SGB V idF des Art 1 Nr 105 Buchst b GKV-
WSG, BGBl I 378; Hauck, NZS 2007, 461, 464). Der erkennende Senat weicht mit dieser
Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG zur HBO ab (vgl
hierzu BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, unzulässige Klage betreffend die
Aufnahme der HBO-Therapie in die Anlage I der RL Methoden vertragsärztliche
Behandlung des GBA für die Indikationen "akutes Knalltrauma" und "Hörsturz mit/ohne
Tinnitus").
17 aa) Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der Rechtsprechung
des erkennenden Senats ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V
aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende
Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf
zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine
Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht
zeitgerecht durchgeführt wurde. Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen
Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien
rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das
Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl BSGE 81, 54,
65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 21; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70: "rechtswidrige
Untätigkeit des Bundesausschusses"; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 -
Neuropsychologische Therapie; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 18 f mwN
- LITT).
18 Zu einem Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den
antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder
nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde
Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR
3-2500 § 135 Nr 4 - Immunbiologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 -
Neuropsychologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 - ICL, jeweils
mwN). In einem derartigen Fall widersprechen die einschlägigen RL einer den
Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) genügenden
Krankenbehandlung. Es fordert, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben,
welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen
niedergeschlagen haben, und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen
(stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 18 f mwN - LITT).
19 bb) Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier vor. Der GBA führte das Prüfverfahren
2008 mit Wirkung vom 13.11.2008 objektiv willkürlich nicht zu einer Empfehlung der
ambulanten adjuvanten HBO-Therapie als neue Methode für die vertragsärztliche
Versorgung bei diabetischem Fußsyndrom im Stadium ab Wagner III ohne angemessene
Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie.
20 Der Bundesausschuss überprüfte rechtmäßig auf Antrag der Spitzenverbände der KK
(5.11.2001) zunächst im Ausschuss Krankenhaus gemäß § 137c SGB V und ab 2004 als
GBA die HBO-Therapie. Rechtmäßig ließ der GBA den Nutzen und die medizinische
Notwendigkeit der HBO-Therapie sektorenübergreifend von der Themengruppe "HBO"
bewerten (vgl zur Entwicklung § 7 Verfahrensordnung GBA idF vom 20.9.2005,
BAnz Nr 244 vom 24.12.2005, S 16998, geändert mit Beschluss vom 18.4.2006, BAnz Nr
124 vom 6.7.2006, S 4876; Kap 1 § 7 und Kap 2 § 7 Abs 1 Buchst a VerfO GBA idF vom
18.12.2008, BAnz Nr 84a vom 10.6.2009, zuletzt geändert am 18.10.2012,
BAnz AT 5.12.2012 B3). Im Ergebnis beschloss er rechtmäßig, § 4 der RL zu
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (RL Methoden
Krankenhausbehandlung) zu ergänzen. Die Regelung bestimmt Methoden, die von der
Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen von
Krankenhausbehandlung grundsätzlich ausgeschlossen sind. Der GBA fügte folgende
Nummer 2.6 an (Beschluss des GBA vom 13.3.2008, BAnz Nr 172 vom 12.11.2008 S
4072, mit Wirkung vom 13.11.2008): "Hyperbare Sauerstofftherapie beim diabetischen
Fußsyndrom als alleinige Therapie oder in Kombination. Unberührt von diesem
Ausschluss bleibt die adjuvante Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei
Patienten mit diabetischem Fußsyndrom in Stadium Wagner ≥ III ohne angemessene
Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie."
21 Der Beschluss erfolgte auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Verfahrens und einer
umfassenden Recherche und Auswertung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Er
stützte sich vertretbar auf die Beurteilung, dass eine HBO bei Patienten mit diabetischem
Fußsyndrom bis zum Stadium Wagner kleiner oder gleich II nicht erforderlich ist, aber nach
Ausschöpfung der Standardtherapie ab einem höheren, über Wagner II hinausgehenden
Stadium ohne angemessene Heilungstendenz in der adjuvanten Anwendung zu Lasten
der GKV angemessen ist. Vergleichbar entschied für die USA das Center for Medicare &
Medicaid Services (vgl zum Ganzen die zusammenfassende Dokumentation des GBA
vom 13.11.2008, S A-4). Der Beschluss besagt nach seinem objektiven Gehalt, dass die
adjuvante HBO-Anwendung nach generellen Kriterien im genannten Indikationsbereich
dem Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) genügt. Der Aussagegehalt des Beschlusses
ergibt sich insbesondere aus dem Zusammenspiel des Qualitätsgebots mit § 137c Abs 1
SGB V und der Dokumentation des GBA.
22 Nach der Regelung in § 137c Abs 1 SGB V (hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 106 GMG
vom 14.11.2003, BGBl I 2190 mWv vom 1.1.2004 und idF durch Art 1 Nr 112 GKV-WSG
vom 26.3.2007, BGBl I 378 mWv 1.7.2008; seit 1.1.2012 idF durch Art 1 Nr 54 Buchst a
DBuchst aa Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 22.12.2011,
BGBl I 2983) überprüft der GBA nach § 91 SGB V auf Antrag Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden, die zu Lasten der KKn im Rahmen einer
Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin,
ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der
Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die Überprüfung, dass die Methode
nicht den Kriterien nach Satz 1 entspricht, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie.
Ab dem Tag des Inkrafttretens einer Richtlinie darf die ausgeschlossene Methode im
Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zu Lasten der KKn erbracht werden;
die Durchführung klinischer Studien bleibt unberührt (vgl § 137c Abs 2 S 2 SGB V).
23 Diese Regelung des § 137c SGB V darf nicht über ihren Wortlaut hinaus im Sinne einer
generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus bis zum Erlass eines
Verbots nach § 137c SGB V ausgelegt werden. Sie normiert vielmehr einen bloßen
Verbotsvorbehalt (stRspr, vgl unter Berücksichtigung aller Auslegungsmethoden
grundlegend BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 51 ff; BSG SozR 4-2500 §
27 Nr 18 RdNr 23; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; Clemens, MedR
2012, 769; aA Felix, SGb 2009, 367 und öfter, zB NZS 2012, 1, 7 mwN in Fn 91;
dieselbe/Deister, NZS 2013, 81, 87 f). Sie setzt die Geltung des alle
Naturalleistungsbereiche erfassenden Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) auch im
stationären Bereich nicht außer Kraft. Gegenteiliges bedeutete, unter Missachtung des
Zwecks der GKV (vgl § 1 S 1 SGB V) die Einheit der Rechtsordnung zu gefährden. Eine
Krankenhausbehandlung, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und
deshalb für den Patienten Schadensersatzansprüche sowie für den Krankenhausarzt
strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, muss nicht von den KKn bezahlt werden
(vgl näher Hauck, NZS 2007, 461, 466 ff; rechtspolitisch kritisch zum Regelungskonzept
der §§ 135, 137c SGB V: GBA, Stellungnahme zum GKV-WSG, 14. BT-Ausschuss,
Ausschuss-Drucks 0129(9), S 9; Hess, KrV 2005, 64, 66 f).
24 § 137c SGB V bewirkt vor diesem Hintergrund lediglich, dass - anders als für den Bereich
der vertragsärztlichen Leistungen - der GBA nicht in einem generalisierten, zentralisierten
formalisierten Prüfverfahren vor Einführung neuer Behandlungsmethoden im Krankenhaus
deren Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft. Die Prüfung der
eingesetzten Methoden im zugelassenen Krankenhaus erfolgt vielmehr bis zu einer
Entscheidung des GBA nach § 137c SGB V individuell, grundsätzlich also zunächst
präventiv im Rahmen einer Binnenkontrolle durch das Krankenhaus selbst, sodann
retrospektiv im Wege der Außenkontrolle lediglich im Einzelfall anlässlich von
Beanstandungen ex post durch die KK und anschließender Prüfung durch die Gerichte.
Erst ein generalisiertes, zentralisiertes und formalisiertes Verfahren nach § 137c SGB V
schafft über den Einzelfall hinaus Regelungsklarheit im Interesse der Gleichbehandlung
der Versicherten. Das GKV-VStG hat an dieser Grundkonzeption, die der Senat in
ständiger Rechtsprechung anwendet, nichts geändert. Es schafft lediglich Raum für den
GBA, Richtlinien zur Erprobung nach § 137e SGB V zu beschließen, wenn die
Überprüfung im Rahmen des § 137c SGB V ergibt, dass der Nutzen einer Methode noch
nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potenzial einer erforderlichen
Behandlungsalternative bietet. Nach Abschluss der Erprobung erlässt der GBA eine
Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr
zulasten der KKn erbracht werden darf, wenn die Überprüfung unter Hinzuziehung der
durch die Erprobung gewonnenen Erkenntnisse ergibt, dass die Methode nicht den
Kriterien nach § 137c Abs 1 S 1 SGB V entspricht (vgl § 137c Abs 1 S 4 SGB V).
Abgesehen von der speziell geregelten, vorübergehenden Modifizierung durch die
Erprobung (§ 137e SGB V) verbleibt es auch im stationären Sektor beim Qualitätsgebot (§
2 Abs 1 S 3 SGB V; aA Felix/Deister, NZS 2013, 81, 87 f).
25 Die Erkenntnisse aus Verfahren nach § 135 und § 137c SGB V können geeignet sein,
sektorenübergreifend zu wirken. So hat der erkennende Senat bereits betont, dass es
keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, Beurteilungen des GBA aus dem Bereich
der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V auch für die
Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären
Behandlung heranzuziehen, wenn diese Beurteilungen gebietsübergreifende Aussagen
beinhalten. Sie sind mithin zu berücksichtigen, wenn sie sachliche Geltung nicht nur für
die Behandlung in ambulanter, sondern auch in stationärer Form beanspruchen, etwa weil
das aufbereitete wissenschaftliche Material generelle Bewertungen enthält (vgl BSGE
101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 50). Das muss naturgemäß auch in
umgekehrter Richtung gelten: Einschlägige Erkenntnisse aus einem Verfahren nach §
137c SGB V sind auch im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V zu nutzen.
26 Die Erkenntnisse aus dem Verfahren des GBA nach § 137c SGB V zur HBO - mündend in
dessen Beschluss vom 13.3.2008 - haben in diesem Sinne zunächst zur Folge, dass
gegenüber dem Vergütungsanspruch der Krankenhäuser, die die HBO-Therapie adjuvant
bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom in Stadium Wagner größer oder gleich III
ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie bei
Versicherten anwenden, jedenfalls bei unveränderter Erkenntnislage der medizinischen
Wissenschaft nicht mehr der Einwand durchgreift, sie hätten das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1
S 3 SGB V) verletzt. Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Qualitätsgebots
hätten im Zeitpunkt der Entscheidung des GBA im Jahr 2008 nach § 137c SGB V zum
vollständigen Ausschluss der Methode aus dem stationären Sektor führen müssen.
Stattdessen hat der GBA die Ausnahmebestimmung in § 4 Nr 2.6 S 2 RL Methoden
Krankenhausbehandlung aufgenommen und damit eine Übereinstimmung mit den
Anforderungen des Qualitätsgebots insoweit generell bejaht. Entsprechendes gilt für das
Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V).
27 Diese Erkenntnisse aus dem Verfahren nach § 137c SGB V sind zusätzlich auch im
Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V zu nutzen. Der GBA hätte insoweit folgerichtig eine
Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V aussprechen müssen. Er hätte berücksichtigen
müssen, dass es nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine
durchgreifenden Gründe dafür gibt, die HBO bei dem genannten Indikationsspektrum
lediglich stationär anzuwenden (vgl Auskunft des GBA im Revisionsverfahren). Zugleich
hätte er in den Blick nehmen müssen, dass er ohne die Empfehlung nach § 135 Abs 1
SGB V eine mit dem Qualitätsgebot unvereinbare Therapielücke schafft. Denn
Krankenhausbehandlung ist nicht bereits deshalb erforderlich iS von § 39 SGB V, weil
eine bestimmte Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht
werden kann, vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des GBA nicht zu
Lasten der GKV geleistet werden darf (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19).
28 Das Unterlassen der Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V mit Inkrafttreten der Änderung
der RL Methoden Krankenhausbehandlung am 13.11.2008 widerspricht höherrangigem
Recht, nämlich dem Willkürverbot (Art 3 Abs 1 GG). Der GBA handelt willkürlich, wenn er
grundlos untätig bleibt und jede andere Entscheidung als die des Tätigwerdens
unvertretbar wäre (vgl BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 29). Weder der
medizinische Forschungsstand noch das gesetzliche Regelungssystem rechtfertigen die
Beschränkung des HBO-Einsatzes bei der betroffenen Indikation auf den
Krankenhaussektor. Vielmehr ist es im Rahmen des Freistellungsanspruchs nach den
aufgezeigten Grundsätzen geboten, die Klägerin so zu stellen, als sei die adjuvante HBO-
Therapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium Wagner größer oder
gleich III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie
in den EBM aufgenommen worden. Die Beklagte lehnte mit den angegriffenen
Bescheiden den hieraus erwachsenden Primärleistungsanspruch der Klägerin
rechtswidrig ab und leistete das danach Gebotene nicht.
29 2. Die Klägerin beschaffte sich eine der geschuldeten entsprechende Leistung selbst. Sie
litt nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) an einem
diabetischen Fußsyndrom im Stadium Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz
und ließ sich nach Ausschöpfung der Standardtherapie im betroffenen Zeitraum 2009
adjuvant ambulant privatärztlich mit der HBO versorgen.
30 3. Die Klägerin beschaffte sich die HBO-Therapie auch wesentlich deshalb privatärztlich
selbst, weil die Beklagte zuvor die Leistung abgelehnt hatte. Es handelte sich nach den
dargelegten generellen Kriterien und den individuellen ärztlichen Zeugnissen um eine
indikationsgerechte, notwendige Leistung. Das HBO-Zentrum war das für die Klägerin
praktikabel erreichbare. Es behandelte sie dementsprechend auch während ihrer
stationären Aufnahme. Es stellte den Leistungsantrag nach den Feststellungen des LSG
(vgl § 163 SGG) namens und in Vollmacht der Klägerin (vgl § 13 Abs 1 S 1 SGB X; vgl
auch BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 § 42 Nr 1, RdNr 12 f). Darüber hinaus bedurfte es
auch keines weiteren Leistungsantrags vor dem zweiten Behandlungsintervall. Wie das
LSG zutreffend ausgeführt hat, beantragte die Klägerin Kostenübernahme "initial" (dh
anfänglich) für 25 Behandlungen. Sie beschränkte ihren Antrag nicht auf 25
Behandlungen (zur Auslegung von Willenserklärungen und zur revisionsrechtlichen
Überprüfung vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 12 ff; BSG SozR 4-
2500 § 13 Nr 20 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 133 Nr 6 RdNr 36). Nach dem
Gesamtablauf war es für die Klägerin auch mit Blick auf die GBA-Beschlüsse sinnvoll und
zweckmäßig, ihren Antrag ärztlich fachkundig vom HBO-Zentrum untermauern zu lassen.
Das LSG hat im Übrigen keine Tatsachen im Sinne einer Vorfestlegung der Klägerin
festgestellt, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und
der Selbstbeschaffung in Zweifel ziehen.
31 4. Die Klägerin ist aufgrund der Selbstbeschaffung der ambulanten HBO-Leistungen auch
einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt (vgl zur Notwendigkeit zB BSGE
97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 mwN; Hauck, Brennpunkte des Sozialrechts
2009, 1, 24 f, 26). Beide ihr für die betroffene Behandlung gestellten Rechnungen
entsprechen den Anforderungen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ neugefasst durch
Bekanntmachung vom 9.2.1996, BGBl I 210; zuletzt geändert durch Art 17 des Gesetzes
über den Beruf der Podologin und des Podologen und zur Änderung anderer Gesetze vom
4.12.2001, BGBl I 3320 mWv 2.1.2002) als für alle Ärzte geltendes zwingendes Preisrecht
(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 20 mwN).
32 Angesichts der dem Informationsbedürfnis der Klägerin Rechnung tragenden detaillierten
Auflistung der einzelnen Positionen nach der GOÄ liegt kein unzulässiges
Pauschalhonorar vor (vgl hierzu BVerfG Beschluss vom 19.4.1991 - 1 BvR
1301/89 - NJW 1992, 737 = Juris RdNr 4 f; BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 22; BGH
Urteil vom 23.3.2006 - III ZR 223/05 - NJW 2006, 1879, 1880 f = Juris RdNr 15).
33 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.