Urteil des BSG vom 29.01.2009

BSG (schiedsspruch, schiedsstelle, arbeitsgemeinschaft, sgg, stadt, vergütung, aufschiebende wirkung, schiedsverfahren, verwaltungsakt, träger)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 29.1.2009, B 3 P 8/07 R
Soziale Pflegeversicherung - Pflegevergütung - Festsetzung des Vergütungsmodells für
ambulante Pflegeleistungen durch Schiedsspruch - Interesse an einer einheitlichen
Abrechnungspraxis - kein Verstoß gegen Art 12 Abs 1 GG und Art 14 GG -
sozialgerichtliches Verfahren - statthafte Klageart - Beteiligtenfähigkeit einer Träger-
Arbeitsgemeinschaft - Beiladung - gerichtlicher Prüfungsumfang
Leitsätze
1. Weder die Pflegekassen noch die Pflegedienste können einseitig bestimmen, nach welchem
Vergütungsmodell ambulante Pflegeleistungen abzurechnen sind; bei fehlender Einigung hat die
Schiedsstelle hierüber zu entscheiden.
2. Eine Schiedsstelle kann im Interesse einer einheitlichen Abrechnungspraxis für ambulante
Pflegeleistungen einem bestimmten Vergütungsmodell den Vorzug geben (hier:
Niedersächsischer Leistungskomplexkatalog 2002), auch wenn ein Pflegedienst seine
Leistungen schon mehrere Jahre lang nach einem anderen Modell abgerechnet hat.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über einen Schiedsspruch der beklagten Schiedsstelle vom 25.5.2005,
mit dem eine Vergütungsregelung zu ambulanten Pflegeleistungen für die Zeit vom 1.9.2005
bis zum 31.8.2006 getroffen worden ist.
2 Klägerin ist eine von vier Trägern der Wohlfahrtspflege gebildete Arbeitsgemeinschaft, die
unter der Bezeichnung "Paritätische Sozialstation G. Südwest" einen nach § 72 SGB XI für
ambulante Pflegeleistungen zugelassenen Pflegedienst betreibt. Bis zum 31.8.2005 wurden
die erbrachten Leistungen nach dem sog Schwaneweder Leistungskatalog (SLK) mit einem
Punktwert von 4,12 Cent für die Grundpflege vergütet. Dieser Katalog war von der Beklagten
mit Beschluss vom 13.11.1995 in Anlehnung an ein hessisches Modell eingeführt worden und
galt Mitte 2005 für ca 40 % der Pflegebedürftigen in der Stadt und im Landkreis G. Daneben
kamen, ebenso wie in anderen Teilen des Landes Niedersachsen, aber auch andere
Leistungskataloge zur Anwendung, insbesondere der sog "Niedersächsische
Leistungskomplexkatalog 2002" (Nds LKK 2002), der seinerzeit einen Marktanteil von ca 37
% hatte, mittlerweile aber flächendeckend in allen Teilen von Niedersachsen gilt. In einem
Mediationsverfahren wurde im Jahr 2002 für den Nds LKK 2002 im Großraum G. ein
Punktwert von 3,5 Cent festgelegt. Im Mai 2004 forderten die beigeladenen Pflegekassen bzw
Pflegekassenverbände die Klägerin zu Vergütungsverhandlungen auf, die aber scheiterten,
weil die Beigeladenen auf der Anwendung des Nds LKK 2002 bestanden, während die
Klägerin weiter nach dem SLK abrechnen wollte.
3 In dem am 5.7.2004 eingeleiteten Schiedsverfahren (§ 85 Abs 5 SGB XI) entschied die
Beklagte mit Schiedsspruch vom 25.5.2005, es sei ein Punktwert von 3,9 Cent entsprechend
dem Nds LKK 2002 für die Zeit vom 1.9.2005 bis zum 31.8.2006 zu vergüten. Sie gab damit
hinsichtlich des anzuwendenden Leistungskataloges dem Antrag der Beigeladenen statt, ging
aber über den von diesen angebotenen Punktwert von 3,5 Cent hinaus. Die Klägerin hatte im
Schiedsverfahren 4,2 Cent auf Basis des SLK begehrt, hilfsweise 4,08 Cent auf Grundlage
des Nds LKK 2002 bei Erhaltung der bisherigen Wegepauschale bzw 4,28 Cent bei
Absenkung der Wegepauschale. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Anwendung
nur eines einzigen Vergütungskatalogs im Großraum G. diene der verbesserten Transparenz
und Vergleichbarkeit der Leistungen. Die Zusammenfassung der Pflegeleistungen zu
vorgegebenen Leistungskomplexen verhindere zudem die einseitige Ausweitung des
Leistungsumfanges und die Annäherung an das Selbstkostendeckungsprinzip. Hinsichtlich
der Höhe des festzusetzenden Punktwertes sei der Marktpreis zu ermitteln; insoweit seien die
vom Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 14.12.2000 entwickelten
Grundsätze zur Festlegung der stationären Pflegesätze entsprechend heranzuziehen
(externer Vergleich). Der danach ermittelte Marktpreis von 3,51 Cent erscheine angesichts der
inzwischen eingetretenen veränderten Marktgegebenheiten aber nicht mehr angemessen. Ein
Punktwert von 3,9 Cent sei für den fraglichen Zeitraum angebracht, zumal die notwendige
Umstellung des Abrechnungssystems Mehrkosten verursache.
4 Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, der Schiedsspruch sei formell und
materiell rechtswidrig. Die Stadt G. hätte als Sozialhilfeträger im Schiedsverfahren als Partei
und nicht nur als Beigeladene beteiligt werden müssen. Der Schiedsspruch als
Verwaltungsakt sei auch zu unbestimmt, weil der Nds LKK 2002 nicht beigefügt worden sei. In
materieller Hinsicht sei der Schiedsspruch rechtswidrig, weil das Gesetz von einer Pluralität
der Vergütungsmodelle ausgehe (§ 7 Abs 3 und § 89 Abs 3 SGB XI), solange der
Verordnungsgeber nicht von seinem Recht Gebrauch mache, eine Gebührenordnung zu
erlassen (§ 90 SGB XI) . Ihr habe das von den Beigeladenen favorisierte Abrechnungssystem
nicht aufgezwungen werden dürfen, zumal sie bereits seit zehn Jahren nach dem SLK
abgerechnet habe. Weshalb dem Antrag der Beigeladenen auf Heranziehung des Nds LKK
2002 stattgegeben worden sei, habe die Beklagte im Schiedsspruch auch nicht hinreichend
begründet. Außerdem seien die Grundlagen des externen Vergleichs unklar geblieben.
5 Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.1.2006). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom
15.2.2007): Der Schiedsspruch vom 25.5.2005 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe das
zwingende Gesetzesrecht beachtet und den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht
überschritten. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass der Nds LKK 2002 zur
Vergütungsfeststellung herangezogen worden sei. Zwar habe der Gesetzgeber den
Vertragsparteien in § 89 Abs 3 SGB XI eine Variationsbreite für die inhaltliche Gestaltung von
Vergütungsregelungen eröffnet, es gebe insoweit aber kein einseitiges Bestimmungsrecht
einer Partei. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei ebenso zu beachten wie
die Transparenz und Vergleichbarkeit der Leistungsangebote. Auch verfassungsrechtlich sei
der Schiedsspruch nicht zu beanstanden. Die Festlegung des Punktwertes auf 3,9 Cent
entspreche dem gesetzlichen Gebot auf Gewährung einer leistungsgerechten Vergütung. Die
Ermittlung des Marktpreises über einen externen Vergleich sei rechtmäßig.
6 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die fehlende inhaltliche Bestimmtheit des
Schiedsspruches und Begründungsmängel, vor allem aber die Verletzung materiellen
Bundesrechts (§§ 33 Abs 1 und 35 Abs 1 SGB X; §§ 7 Abs 3, 11 Abs 2, 89 Abs 3 und 90 SGB
XI; Art 12 und 14 GG) . Die Nivellierung des Leistungsangebots durch den Vergleich mit
Marktpreisen widerspreche dem Gebot des § 11 Abs 2 SGB XI und behindere einen
funktionsfähigen Wettbewerb unter den Anbietern. Zudem verstoße der Schiedsspruch gegen
§ 90 SGB XI, weil die Vereinheitlichung von Vergütungsregelungen im Sinne einer
Gebührenordnung allein dem Verordnungsgeber vorbehalten sei.
7 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 15.2.2007 und des SG Hildesheim vom
27.1.2006 zu ändern, den Schiedsspruch der Beklagten vom 25.5.2005 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, über den Antrag auf Festsetzung der Vergütung für ambulante
Pflegeleistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut zu
entscheiden.
8 Die Beklagte und die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Schiedsspruch der Beklagten vom 25.5.2005
ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
10 A) Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
11 1) Zutreffende Klageart ist die - hier auch so erhobene - Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Es handelt sich bei dem angefochtenen
Schiedsspruch um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X zur Gestaltung des
Vertrages über eine Vergütungsregelung für ambulante Pflegeleistungen nach § 89 SGB XI.
Auch der gesetzlichen Regelung in § 89 Abs 3 Satz 4 iVm § 85 Abs 5 Satz 4 SGB XI,
wonach ein Vorverfahren nicht stattfindet und die Klage keine aufschiebende Wirkung hat,
liegt diese Vorstellung zugrunde (vgl BSG, Urteil vom 14.12.2000 - B 3 P 19/00 R -, BSGE
87, 199, 201 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1) .
12 2) Die Klage ist zutreffend von der "Arbeitsgemeinschaft Paritätische Sozialstation G.
Südwest" als Trägerin des ambulanten Pflegedienstes erhoben worden. Kläger waren nicht
etwa die vier Hilfsorganisationen, die sich zu dieser Arbeitsgemeinschaft
zusammengeschlossen haben, wie es die auf eine Streitgenossenschaft der vier Träger
hindeutende Fassung des Aktivrubrums des erst- und zweitinstanzlichen Urteils vermuten
lassen könnte. Der erkennende Senat hat, im Einverständnis aller Beteiligten, das
Aktivrubrum durch den Zusatz "als Arbeitsgemeinschaft" klarstellend neu gefasst, um die
Stellung der Arbeitsgemeinschaft als Klägerin zu verdeutlichen. Die von den
Hilfsorganisationen gebildete Träger-Arbeitsgemeinschaft stellt eine Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR) dar, die als solche im Rechtsverkehr (als Außengesellschaft)
auftritt und deshalb als besondere "Wirkungseinheit" bzw "Zuordnungsobjekt" bei der
Verfolgung eigener Rechte selbst als Kläger oder Beklagter fungieren kann (vgl BSG SozR
4-5425 § 24 Nr 5; BGHZ 146, 341; BGH NJW 2002, 1207, stRspr; Palandt/Spree, BGB, 68.
Aufl 2009, § 705 RdNr 24 und 37) . Im Schiedsverfahren sind die Hilfsorganisationen auch
nicht separat, sondern gemeinschaftlich als Arbeitsgemeinschaft aufgetreten; der
Schiedsspruch ist dementsprechend gegen die Arbeitsgemeinschaft ergangen. Die Klage ist
ersichtlich von der Arbeitsgemeinschaft als Adressatin des Schiedsspruches und nicht
separat von den sie tragenden Hilfsorganisationen erhoben worden. Die Beteiligtenfähigkeit
einer solchen Arbeitsgemeinschaft im Sozialgerichtsverfahren ergab sich schon immer aus §
70 Nr 2 SGG. Die Frage, ob seit der Anerkennung der Parteifähigkeit einer als
Außengesellschaft im Rechtsverkehr auftretenden GbR die Beteiligtenfähigkeit sich aus der
"natürliche und juristische Personen" erfassenden Regelung des § 70 Nr 1 SGG ergibt oder
weiterhin § 70 Nr 2 SGG (nichtrechtsfähige Personenvereinigungen) anzuwenden ist, kann
hier offenbleiben.
13 3) Die Schiedsstelle ist richtiger Klagegegner. Sie ist beteiligtenfähig (vgl § 70 Nr 4 SGG)
und auch passiv legitimiert (vgl BSGE 87, 199, 201 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1) .
14 4) Die Stadt G. als Sozialhilfeträger war zu dem Rechtsstreit nicht beizuladen (§ 75 SGG) .
Die Klägerin hatte im ersten und zweiten Rechtszug eingewandt, die Stadt G. als
Sozialhilfeträger hätte im Schiedsverfahren als Vertragspartei und nicht nur als Beigeladene
beteiligt werden müssen. Diesen Einwand haben die Vorinstanzen zu Recht
zurückgewiesen. Zu Recht hat die Klägerin diesen Einwand im Revisionsverfahren auch
nicht wiederholt.
15 Die Stadt G. konnte nicht gemäß § 89 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XI Vertragspartei der
Vergütungsvereinbarung sein, weil sie nicht für einen Anteil von mehr als 5 % der
Pflegebedürftigen im Jahr vor Beginn der Vergütungsverhandlungen Kostenträger war,
sondern ihr Anteil nach der - nicht angegriffenen und daher für das Revisionsverfahren
verbindlichen (§ 163 SGG) - Feststellung des LSG nur bei 3,38 % gelegen hatte. Sogar die
von der Schiedsstelle veranlasste Beiladung der Stadt G. war nicht erforderlich, sondern
entbehrlich - wenn auch formell unschädlich. Die Bindungswirkung des Schiedsspruchs als
Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) ergab sich für die Stadt G. als Sozialhilfeträger nicht erst aus
der Beiladung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz (§ 89 Abs 3 Satz 2 iVm § 85 Abs 6 Satz
1 SGB XI in der bis zum 30.6.2008 gültigen Fassung des Gesetzes vom 26.5.1994, BGBl I
1014; nunmehr § 89 Abs 3 Satz 4 iVm 85 Abs 6 Satz 1 SGB XI) . Das Gesetz sieht in den
Schiedsstellenverfahren nach § 85 und § 89 SGB V eine Beiladung von Kostenträgern, die
mangels Erfüllung der 5 %-Quorums nicht selbst Vertragspartei sein können, nicht vor.
Ebenso wie bei den Heimbewohnern (dazu BSGE 87, 199, 201 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1)
geht der Gesetzgeber auch bei den nicht am Vertrag zu beteiligenden Kostenträgern davon
aus, dass ihre Interessen durch die Vertragspartner und die Schiedsstelle angemessen
berücksichtigt werden.
16 Im Bereich der stationären Pflege gibt es eine detaillierte Regelung, welche "Verbände" sich
an den Verhandlungen über eine Pflegesatzvereinbarung beteiligen dürfen (§ 85 Abs 2 Satz
3 SGB XI). Diese Regelung sieht ein Beteiligungsrecht der "kleinen" Kostenträger, die nicht
selbst Vertragspartner sein können, nicht vor. Stattdessen bestimmt § 85 Abs 6 Satz 1 SGB
XI, dass Pflegesatzvereinbarungen und Schiedsstellenentscheidungen für das Pflegeheim
sowie die in dem Heim versorgten Pflegebedürftigen und deren Kostenträger unmittelbar
verbindlich sind. Im hier interessierenden Bereich der ambulanten Pflege gibt es überhaupt
kein Beteiligungsrecht von "Verbänden", weil § 89 Abs 3 SGB XI nicht auf § 85 Abs 2 SGB
XI verweist und § 89 Abs 2 SGB XI selbst keinerlei Beteiligung Dritter vorsieht. Demgemäß
können auch nur die Vertragspartner, deren missglückte Einigung durch den Schiedsspruch
ersetzt worden ist, den Schiedsspruch anfechten. Eine Ausnahme davon macht auch nicht §
85 Abs 5 Satz 2 SGB XI, der den Sozialhilfeträgern ein Anfechtungsrecht gegen eine
Pflegesatzvereinbarung einräumt: Sie können die Schiedsstelle nur anrufen, wenn sie
"überstimmt" worden sind (vgl Vogel/Schmähing, LPK-SGB XI, 3. Aufl 2008, § 85 RdNr 17
mwN), nicht aber, wenn sie gar nicht zu beteiligen waren.
17 Aus diesen Regelungen folgt, dass im gerichtlichen Verfahren die am Vertrags- und
Schiedsstellenverfahren nicht zu beteiligenden Kostenträger - ebenso wie die
Heimbewohner - auch nicht beizuladen sind (§ 75 SGG) . Die Rechte der "kleinen"
Kostenträger können im Rechtsstreit nicht weiter gehen als im Vertrags- und
Schiedsverfahren. Im vorliegenden Verfahren ist die Stadt G. als Sozialhilfeträger daher zu
Recht nicht beigeladen worden.
18 B) Rechtsgrundlage des Schiedsspruchs ist § 89 Abs 3 Satz 2 iVm § 85 Abs 5 Satz 1 SGB
XI in der bis zum 30.6.2008 gültigen Fassung des Gesetzes vom 26.5.1994 (BGBl I 1014) ,
die hier - als alte Fassung (aF) - anwendbar ist, weil der Schiedsspruch am 25.5.2005
ergangen ist. Nicht anwendbar ist § 89 Abs 3 SGB XI in der ab 1.7.2008 geltenden Fassung
des Gesetzes vom 28.5.2008 (BGBl I 874) , durch die der bisherige Satz 2 zu Satz 4
geworden ist, nachdem der Gesetzgeber die jetzigen Sätze 2 und 3 eingefügt hat. Die
Schiedsstelle hatte nach § 89 Abs 3 Satz 4 SGB XI aF iVm § 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI über
die Vergütung von ambulanten Pflegeleistungen der Paritätischen Sozialstation G. Südwest
für die Zeit vom 1.9.2005 bis zum 31.8.2006 zu entscheiden, weil die Vertragsverhandlungen
zwischen der Klägerin und den Beigeladenen erfolglos geblieben waren.
19 1) Der Schiedsspruch vom 25.5.2005 hält der revisionsrechtlichen Prüfung in formeller und
materieller Hinsicht stand. Den Gerichten steht bei der Überprüfung von
Schiedsstellenentscheidungen nur ein eingeschränkter Prüfungsrahmen zu, weil die
Schiedsstelle aufgrund ihrer paritätischen Zusammensetzung, des Mehrheitsprinzips und
ihrer fachlichen Weisungsfreiheit vom Gesetzgeber dazu in die Lage versetzt wird,
Entscheidungen auf der Grundlage einer sachnahen vermittelnden Zusammenführung
verschiedener Interessen zu finden . Die Gerichte sind deshalb nur befugt zu prüfen, ob die
Ermittlung des Sachverhalts in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen
Gehörs erfolgt ist, der bestehende Beurteilungsspielraum eingehalten und zwingendes
Gesetzesrecht beachtet worden ist, wozu eine hinreichende Begründung erforderlich ist
(BSGE 87, 199 ff = SozR 3-3300 § 85 Nr 1) .
20 a) Der Schiedsspruch verstößt als Verwaltungsakt nicht gegen § 33 Abs 1 SGB X, weil er
inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Der Verfügungssatz des Schiedsspruchs ist eindeutig,
weil das anzuwendende Vergütungsmodell (Nds LKK 2002), der abzurechnende Punktwert
(3,9 Cent) und der Geltungszeitraum (1.9.2005 bis 31.8.2006) genannt werden. Es kommt
auch nicht darauf an, ob der Nds LKK nach dem Stand vom 24.9.2002 schon damals
veröffentlicht worden war, weil alle Beteiligten Kenntnis von diesem LKK hatten. Da die
Beigeladenen den Nds LKK 2002 bereits ihrer an die Klägerin gerichteten Aufforderung zur
Aufnahme von Vergütungsverhandlungen beigefügt hatten, war er auch der Klägerin
bekannt. Zudem zeigt die Stellungnahme der Klägerin im Schiedsverfahren und
insbesondere die Fassung ihrer Hilfsanträge, dass sie dieses Vergütungsmodell in allen
Einzelheiten kannte.
21 b) Der Schiedsspruch der Beklagten ist rechtmäßig, soweit er ein Vergütungsmodell
zwischen den Beteiligten festlegt. Die Beklagte ist nicht nur berechtigt, sondern sogar
verpflichtet gewesen, ein Vergütungsmodell zu bestimmen. Nach § 89 Abs 1 Satz 1 SGB XI
wird die Vergütung der ambulanten Pflegeleistungen und der hauswirtschaftlichen
Versorgung, soweit nicht die - bisher nicht erlassene - Gebührenordnung nach § 90 SGB XI
Anwendung findet, zwischen dem Träger des Pflegedienstes und den Kostenträgern nach
Abs 2 für alle Pflegebedürftigen nach einheitlichen Grundsätzen vereinbart. Deshalb müssen
die Vertragsparteien der Vergütungsvereinbarung nicht nur den für die Höhe der Vergütung
entscheidenden Berechnungsfaktor (den Punktwert), sondern auch den einheitlichen
Abrechnungsmodus, dh das Vergütungsmodell, bestimmen. Da die Beteiligten hier keine
Einigung über das Vergütungsmodell erzielen konnten, weil die Klägerin am SLK festhalten
und die Beigeladenen den Nds LKK 2002 zur Berechnungsgrundlage machen wollten,
ersetzt der Schiedsspruch auch insoweit gemäß § 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI die
fehlgeschlagene Vereinbarung der Beteiligten. Dem steht nicht entgegen, dass der
Gesetzgeber in § 89 Abs 3 SGB XI eine Vielfalt von Vergütungsmodellen zulässt. Den
Pflegediensten wird - ebenso wie den Pflegekassen - kein einseitiges Bestimmungsrecht
zum Vergütungsmodell eingeräumt. Erforderlich ist stets eine Einigung der Vertragsparteien
über das Vergütungsmodell. Bei deren Fehlschlagen ersetzt der Spruch der Schiedsstelle
den Vertragsabschluss auch in dieser Hinsicht.
22 c) Die Entscheidung der Beklagten, den Nds LKK 2002 als Vergütungsmodell zu bestimmen,
ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere ist diese Entscheidung von der Beklagten
auch hinreichend begründet worden (§ 35 SGB X). Es standen im Schiedsverfahren nur zwei
Vergütungsmodelle zur Debatte, von denen sich die Beklagte für den Nds LKK 2002
entschieden hat. Sie hat in den Gründen des Schiedsspruchs erläutert, weshalb aus ihrer
Sicht dieses Vergütungsmodell den Vorzug verdiente. Dies reicht als "Begründung" aus. Ob
die Begründung aus Sicht eines Beteiligten überzeugt oder nicht, berührt die formelle
Rechtmäßigkeit nach § 35 SGB X nicht.
23 d) Die Schiedsstelle hat sich auch insoweit im Rahmen des ihr zustehenden
Beurteilungsspielraums bewegt, als sie den bis dahin zwischen den Beteiligten vereinbarten
SLK durch den Nds LKK 2002 ablöste. Gemäß § 89 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XI muss die
Vergütung leistungsgerecht sein und es einem Pflegedienst bei wirtschaftlicher
Betriebsführung ermöglichen, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Die Beklagte hat dazu
ausgeführt, die Berechnung der Vergütung anhand des Nds LKK 2002 führe zu einer
weiteren Verbreitung dieses Vergütungsmodells, die wiederum zu mehr Transparenz und
Vergleichbarkeit der von den einzelnen Pflegediensten zur Verfügung gestellten Leistungen
führe. Dies sei insbesondere im Interesse der Pflegebedürftigen gerechtfertigt, die - nach
Bewilligung der Pflegeleistungen durch die Pflegekassen - die freie Auswahl unter den
zugelassenen Anbietern hätten. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden, denn sie
orientieren sich an § 7 Abs 3 SGB XI, wonach die Pflegekassen den Pflegebedürftigen bei
der Auswahl des Pflegedienstes insbesondere in der Weise zu informieren haben, dass sie
ihm sog Leistungs- und Preisvergleichslisten über die Pflegeeinrichtungen zur Verfügung zu
stellen und ihn darüber zu beraten haben. Damit soll den Pflegebedürftigen die Übersicht
über die zT schwer vergleichbaren Leistungsangebote erleichtert werden.
24 e) Ein Verstoß gegen § 11 Abs 2 SGB XI ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gebot, bei der
Durchführung des SGB XI die Vielfalt von Pflegeeinrichtungen zu wahren sowie deren
Selbstständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängigkeit zu achten, ist zwar beim
Abschluss von Versorgungsverträgen (§ 72 SGB XI) zu berücksichtigen, hat aber auf die
Auswahl der Vergütungsmodelle im ambulanten Bereich keine Bedeutung. Das
Diversifikationsgebot wird nicht berührt, wenn alle privaten, kirchlichen und freien Träger
ambulanter Pflegedienste ihre Leistungen nach einem einheitlichen Vergütungsmodell
abrechnen, zumal die Höhe der Vergütungen nicht in erster Linie von dem Modell, sondern
den für die Leistungen bzw Leistungsmodule angesetzten Punktwerten bestimmt wird, die
individuell auszuhandeln sind.
25 f) Der Schiedsspruch verstößt bezüglich der Festlegung des Vergütungsmodells auch nicht
gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit der Klägerin gemäß Art 12 Abs 1 Satz 1 GG und
das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das durch Art 14 GG
geschützt ist. Ein Grundrechtsverstoß könne nur diskutiert werden, wenn die Kostenträger
ermächtigt wären, einseitig - durch Verwaltungsakt - das Vergütungssystem festzulegen. Das
Gesetz stellt insoweit aber auf das Konsensprinzip ab, weil das Vergütungsmodell zwischen
den Vertragsparteien einvernehmlich zu regeln ist. Der Schiedsspruch ersetzt aber nur die
fehlgeschlagene Einigung und kann von den Vertragsparteien angefochten und im Übrigen
auch jederzeit einvernehmlich geändert werden.
26 g) Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie hat zwar seit rund zehn
Jahren nach dem SLK abgerechnet, verfügte insoweit aber nicht über eine dauerhaft
gesicherte Rechtsposition, weil die jährlichen Vergütungsvereinbarungen den SLK stets nur
für den jeweiligen Geltungszeitraum fortgeschrieben haben, die Klägerin also das
Einvernehmen mit den Kostenträgern jeweils neu herbeiführen musste.
27 2) Anhaltspunkte dafür, dass der Schiedsspruch vom 25.5.2005 nicht rechtmäßig sein
könnte, soweit der Punktwert auf 3,9 Cent festgesetzt worden ist, sind nicht ersichtlich.
28 Die Beklagte hat - wie bei der "Preisfindung" im stationären Bereich - einen "Marktpreis" für
den Großraum G. ermittelt und dabei einen rein externen Vergleich vorgenommen, der
Punktwerte für Leistungen der Grundpflege zwischen 3,14 und 3,9 Cent ergab. Sie hat ihren
Beurteilungsspielraum dahingehend ausgeübt, für die Leistungen der Klägerin den obersten
am Markt vorzufindenden Punktwert von 3,9 Cent festzusetzen und den Beginn der
Vergütungsregelung im Kosteninteresse der Klägerin auf einen späteren Zeitpunkt zu legen.
Nachdem der festgelegte Geltungszeitraum (1.9.2005 bis 31.8.2006) von Anfang an nicht
umstritten war, hat die Klägerin im Revisionsverfahren gegen die festgesetzte Höhe des
Punktwertes von 3,9 Cent ebenfalls keine Einwände mehr erhoben. Der Streit betraf nur
noch das anzuwendende Vergütungsmodell (Nds LKK 2002 oder SLK). Deshalb brauchte
der Senat nicht über die Frage zu entschieden, ob und in welchem Umfang das mit Urteil
vom 14.12.2000 (BSGE 87, 199 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1) entwickelte und mit den Urteilen
vom 29.1.2009 (B 3 P 9/07 R, B 3 P 6/08 R, B 3 P 7/08 R und B 3 P 9/08 R, zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 bestimmt) modifizierte Modell zur Festlegung einer
angemessenen, leistungsgerichteten Vergütung für stationäre Pflegeleistungen im
ambulanten Bereich anzuwenden ist.
29 C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
30 D) Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren folgt aus § 63 Abs 2, § 52 Abs 2, §
47 Abs 1 Gerichtskostengesetz. Es erschien angemessen, den Regelstreitwert von 5.000
Euro in Ansatz zu bringen, weil keine greifbaren Anhaltspunkte für einen anderen Wert
ersichtlich sind.