Urteil des BSG vom 01.07.2009

BSG (einkommen, kläger, erziehung, höhe, einkommen aus erwerbstätigkeit, sicherung, leistung, wirtschaftliche lage, zweck, sohn)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 1.7.2009, B 4 AS 9/09 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfsgemeinschaft -
Einkommensberücksichtigung - Kindergeld - Erziehungshonorar für Pflegekinder -
Zweckbestimmung - wirtschaftliche Gesamtsituation
Tatbestand
1 Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II, insbesondere, ob gezahlte "Erziehungshonorare" den Hilfebedarf mindern oder
entfallen lassen.
2 Die 1947 und 1951 geborenen Kläger sind Heimerzieher bzw Erzieherin. Im streitigen
Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005 lebten sie mit ihrem damals 18 bzw 19 Jahre alten Sohn
sowie den beiden "Pflegesöhnen" (geboren 1987 und 1992) in einer im Eigentum der Kläger
stehenden Immobilie mit einer Wohnfläche von 100 qm. Die Klägerin zu 2 bezog auf Grund
eines sog Erziehungsvertrags mit dem K e.V. (Kifa e.V.) "Erziehungshonorare" für die
Erziehung der beiden "Pflegesöhne" in der "Fachfamilie" - laut Vertrag iS einer Maßnahme
nach § 34 SGB VIII - in Höhe von je 1 204,01 Euro. Dieses Honorar war laut Bescheinigung
des Finanzamtes Sch vom 8.5.2002 einkommenssteuerfrei und laut Bescheid der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 28.7.2003 rentenversicherungsfrei.
Ferner wurde vom Jugendamt ein Sachkostenzuschuss von 692,28 Euro für jeden der beiden
"Pflegesöhne" gezahlt, der von der Klägerin zu 2 eigenverantwortlich und treuhänderisch für
das jeweilige Kind verwaltet werden sollte; für weitere besondere Bedarfe wurden auch
darüber hinaus Zuschüsse gewährt. Für ihren Sohn bezog die Klägerin zu 2 Kindergeld in
Höhe von 154 Euro monatlich. Vor dem Landessozialgericht (LSG) verständigten sich die
Beteiligten auf einen monatlichen Bedarf der Kläger nach dem SGB II in Höhe von 960 Euro
(Regelleistung und Kosten der Unterkunft).
3 Die Beklagte lehnte zunächst die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II ab (Bescheid vom 12.1.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005), bewilligte jedoch ab 1.7.2005 - nach Auslaufen des
Erziehungsvertrags - SGB II-Leistungen in Höhe von 1 149,67 Euro monatlich (Bescheid vom
26.7.2005). Zur Begründung der Ablehnung führte sie aus, dem Bedarf (rechnerisch ca 960
Euro) sei ein Einkommen in Höhe von 2 532,02 Euro gegenüberzustellen (154 Euro
Kindergeld minus Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro plus 2 x 1 204,01 Euro
Erziehungshonorare). Damit ergebe sich bei beiden Klägern ein Einkommensüberhang von
jeweils 955,01 Euro.
4 Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.3.2007), das LSG hat die
Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 24.11.2008). Das LSG hat darauf abgestellt,
dass selbst dann, wenn es sich bei den "Erziehungshonoraren" um zweckbestimmte
Einnahmen handeln sollte, daneben die Gewährung von steuerfinanzierten Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr gerechtfertigt sei. Anders als in dem vom 7b-
Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 29.3.2007 (B 7b AS 12/06 R) entschiedenen Fall
werde die wirtschaftliche Lage der Kläger und der "Pflegesöhne" in einem gemeinsamen
Haushalt - der leibliche Sohn bilde mit ihnen keine Bedarfsgemeinschaft - von den
Erziehungshonoraren und den Sachkostenzuschüssen sowie dem Kindergeld für den Sohn
geprägt. Insgesamt habe die Familie dadurch ein Nettoeinkommen von 3 946,58 Euro sowie
weitere Leistungen in wechselnder Höhe und in unregelmäßigen Abständen gehabt. Zwar
gehörten die "Pflegesöhne" nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Deren Hilfebedarf werde jedoch
durch die Sachkostenzuschüsse und weitere Leistungen gedeckt. Der erhöhte Bedarf der
"Fachfamilie" finde in der hohen Sachkostenpauschale, die deutlich höher sei als der
Regelbedarf eines sonstigen Jugendlichen nach dem SGB II, ihren Niederschlag. Die
Leistungen an die Fachfamilie seien an den ansonsten anfallenden Heimkosten zu
bemessen. Heimkosten setzten sich jedoch neben den Lebensunterhaltskosten, aus
Unterbringungs-, Verwaltungs- und Personalkosten zusammen. Die "Erziehungshonorare"
seien dem Entgelt eines Heimerziehers vergleichbar. Die darüber hinausgehende Ausgaben
für die "Pflegekinder" seien im konkreten Fall gesondert abgegolten worden.
5 Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das "Erziehungshonorar" sei kein Entgelt für
die geleistete erzieherische Tätigkeit, sondern Pflegegeld iS des § 39 SGB VIII, das nach § 27
SGB VIII dem Personensorgeberechtigten als Anspruchsinhaber zustehe. Das Pflegegeld sei
folglich zur Sicherung des Lebensunterhalts der "Pflegekinder" bestimmt gewesen. Insoweit
sei nach der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 29.3.2007 (B 7b AS 12/06 R) davon
auszugehen, dass nicht nur der als Unterhalt bezeichnete Betrag für die Kinder aufgewandt
werde, sondern auch das Erziehungsgeld notwendiger Unterhalt von Pflegekindern sei. Es
handele sich daher bei den "Erziehungshonoraren" von vornherein nicht um Einkommen der
Klägerin zu 2, sondern lediglich um Zahlungen zu ihren Händen. Zumindest stellten die
"Erziehungshonorare" in voller Höhe zweckbestimmte Einnahmen dar, mit denen der
Lebensunterhalt von Dritten bestritten werden solle. Bereits aus diesem Grunde sei es nicht
zu rechtfertigen, auch die Kläger auf diese Leistung zu verweisen. Diese rechtliche Wertung
werde durch die Tatsachenlage bestätigt. Die als Zeugin gehörte Mitarbeiterin der Kifa e.V.
habe dargelegt, dass der Bedarf der "Pflegekinder" nicht durch die Sachkostenpauschale
gedeckt werden könne. Insoweit fehle es an einer konkreten, zahlenmäßigen Erfassung der
finanziellen Lage der Kläger und "Pflegekinder".
6 Die Kläger beantragen,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.11.2008 und des SG Köln vom 12.3.2007
aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom
12.1.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 ihnen Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 960 Euro monatlich für den Zeitraum vom 1.1.
bis 30.6.2005 zu gewähren.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält die Ausführungen im Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Kläger ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet.
10 1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind der Bescheid vom 12.1.2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005. Mit diesen Bescheiden hat die
Beklagte zwar Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vollständig abgelehnt,
sodass sich der streitige Zeitraum an sich bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung
der Tatsacheninstanz erstrecken würde (vgl BSG, Urteil vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R -
RdNr 15, BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4). Da die Beklagte jedoch durch Bescheid
vom 26.7.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem
1.7.2005 bewilligt hat, wird der streitige Zeitraum bis zum 30.6.2005 begrenzt (vgl hierzu
BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R, NJW 2008, 2458) . Gegen die Höhe der
alsdann bewilligten Leistungen haben die Kläger nichts eingewendet. Das LSG hat die
neuen Bescheide auch nicht in analoger Anwendung des § 96 SGG - unter dem
Gesichtspunkt der Prozessökonomie - in das Verfahren einbezogen. Die Unterlassung der
Einbeziehung ist im Revisionsverfahren nicht gerügt worden und kommt für Folgezeiträume
des Arbeitslosengeldes II regelmäßig ohnehin nicht in Betracht (s dazu näher Urteile des
BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R, BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 30;
vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R, BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3 RdNr 19).
11 2. Mit Ausnahme der "Hilfebedürftigkeit" sind nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzungen
für einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 1 SGB
II gegeben.
12 3. Ob im streitigen Zeitraum Hilfebedürftigkeit der Kläger vorlag, kann nicht abschließend
beurteilt werden.
13 a) Hilfebedürftig nach § 9 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) ist, wer seinen
Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe
nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen erhält (Abs 1). Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu
berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen
Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des
eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II).
14 b) Die Kläger leben in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 1 lit a SGB II in der Fassung des
Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I
2954), sodass der Kläger zu 1 sich ggf zu berücksichtigendes Einkommen der Klägerin zu 2
zurechnen lassen muss. Nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörte der leibliche Sohn der
Kläger, weil er damals bereits volljährig war. Nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in der oben
benannten Fassung zählten im streitigen Zeitraum nur minderjährige Kinder zur
Bedarfsgemeinschaft. Ebenso wenig sind "Pflegekinder" Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft.
15 c) Hieraus folgt für die Berücksichtigung von Einkommen: Soweit die Kinder über ein ihnen
allein zuzurechnendes Einkommen verfügten, floss dieses nicht in die Ermittlung der
Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft ein. Insoweit ist es unschädlich, dass es an
Feststellungen des LSG zur Einkommenssituation des leiblichen Sohnes der Kläger
mangelt.
16 Hingegen ist das der Klägerin zu 2 ihr für ihren leiblichen Sohn gezahlte Kindergeld als ihr
Einkommen zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II in der Fassung des
kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl I 2014) ist lediglich minderjährigen
Kindern das für sie gewährte Kindergeld als Einkommen zuzurechnen, soweit es zu deren
Lebensunterhaltssicherung benötigt wird. Kindergeld volljähriger Kinder ist, auch wenn sie
nicht mit dem Kindergeldberechtigten in Bedarfsgemeinschaft leben, wie die Zuweisung des
§ 62 Einkommensteuergesetz (EStG) es vorgibt, bei dem jeweiligen Kindergeldberechtigten,
also im Regelfall bei einem Elternteil als Einkommen zu berücksichtigen (vgl BSG, Urteile
vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3; vom 6.12.2007
- B 14/7b AS 54/06 R = FEVS 59, 395 ff; vom 13.11.2008 - B 14/7b AS 4/07 R). So liegt der
Fall hier.
17 Der vom Jugendamt gewährte Sachkostenzuschuss oder Aufwendungsersatz für die
"Pflegesöhne" bleibt im Ergebnis wegen seiner Bestimmung zur Lebensunterhaltssicherung
der Kinder als Einkommen unberücksichtigt. Dahinstehen kann insoweit, ob es sich um eine
Leistung nach § 39 Abs 1 Satz 1 SGB VIII gehandelt hat. Nach § 39 Abs 1 Satz 1 SGB VIII ist
auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses
sicherzustellen, wenn Hilfe nach den §§ 32 bis 35 oder nach § 35a Abs 2 Nr 2 bis 4 SGB VIII
gewährt wird. Hierbei soll es sich nach überwiegender Auffassung in Literatur und
Rechtsprechung nicht um Einkommen der "Pflegeperson", sondern des jeweiligen
Personensorgeberechtigten handeln. Rechtsgrundlage sei insoweit § 27 SGB VIII iVm § 39
Abs 1 Satz 1 SGB VIII. Die Lebensunterhaltssicherung sei Annexleistung der Hilfe zur
Erziehung, unabhängig davon, ob im konkreten Fall Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII
oder § 34 SGB VIII (s hierzu unter 5.) geleistet worden sei (vgl BSG, Urteil vom 12.3.2007 - B
7b AS 12/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 3, RdNr 18; BVerwG vom 12.9.1996 - 5 C 31/95,
FamRZ 1997, 814; dasselbe vom 24.9.2007 - 5 B 154/07; BGH vom 4.10.2005 - VII ZB
13/05, JAmt 2006, 48, 50; OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.4.2001 - 12 A 924/99, JAmt
2001, 426; vgl auch Begründung zum Regierungsentwurf eines KJHG, BT-Drucks 11/5948,
S 75 zu § 38 Abs 1; Mrozynski, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl 2009, § 39 RdNr 9,
s auch kritische Auseinandersetzung mit der Rechtsposition, es handele sich um einen
Anspruch des Pflegekindes unter RdNr 10; Münder ua, Frankfurter LPK-KJHG, 2. Aufl 1993,
§ 39 RdNr 6; Stähr in Hauck, SGB VIII, Stand: XII/96, § 39 RdNr 5; Tammen in
Münder/Wiesner, Kinder- und Jugendhilferecht, 2007, 3.5, RdNr 38; aA Wiesner in Wiesner
SGB VIII, 2006, § 39 RdNr 16, der allerdings auch nicht die Pflegeperson, sondern das Kind
bzw den Jugendlichen selbst als Anspruchsinhaber erkennt). Dass der Sachkostenzuschuss
im konkreten Fall offensichtlich an die Klägerin zu 2 ausgezahlt worden ist - treuhänderische
Verwaltung der Gelder laut Vertrag mit dem Kifa e.V. - dürfte an dieser rechtlichen Wertung
nichts ändern, wenn die Pflegesöhne die Zuwendung bestimmungsgemäß erhalten haben.
18 5. Ob und ggf in welchem Umfang die sog Erziehungshonorare als Einkommen zu
berücksichtigen sind, bedarf weiterer tatrichterlicher Aufklärung.
19 a) Grundsätzlich handelt es sich bei den der Klägerin zu 2 gezahlten Erziehungshonoraren
um Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II, das geeignet ist, den Hilfebedarf der
Bedarfsgemeinschaft zu mindern oder ganz wegfallen zu lassen. Nach § 11 Abs 1 Satz 1
SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Von
der Berücksichtigung sind ausgenommen Leistungen nach dem SGB II die Grundrente nach
dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende
Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem
Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit
erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG.
20 Die Erziehungshonorare unterfallen nicht dem Ausnahmekatalog des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB
II. Gleichwohl vermochte der Senat nicht abschließend zu beurteilen, ob die erzielten
Einnahmen als berücksichtigungsfähiges Einkommen dem Hilfebedarf der Kläger
gegenüber zu stellen waren. Denn nach § 11 Abs 3 Nr 1 lit a SGB II sind Einnahmen als
Einkommen auch nicht zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen
einem anderen Zweck als Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des
Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen aus der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht mehr gerechtfertigt wären. Ob es sich bei den der
Klägerin zu 2 gezahlten Erziehungshonoraren um zweckbestimmte Einnahmen handelt,
kann nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht beurteilt werden.
21 Durch § 11 Abs 3 Nr 1 lit a SGB II soll verhindert werden, dass die besondere
Zweckbestimmung einer Leistung durch ihre Berücksichtung im SGB II verfehlt wird, sowie
dass für den identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (vgl BSG, Urteile vom
6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R RdNr 24 und 2.2.2009 - B 4 AS 47/08 R, 13.5.2009 - B 4 AS
29/08 R). Vor diesem Hintergrund muss das LSG nach Zurückverweisung der Sache
ermitteln, ob der Klägerin zu 2 mit den Erziehungshonoraren ein bestimmter
Verwendungszweck - zB Verwendung für Erziehung der beiden "Pflegekinder" - auferlegt
worden ist. Die Zweckbestimmung kann dabei sowohl auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt
als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein. Grundlage ist insoweit zunächst der Vertrag
zwischen dem Kifa e.V. und der Klägerin zu 2. Zur Ermittlung der Zweckbestimmung ist
jedoch nicht nur auf den Wortlaut des Vertrags, sondern das Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse abzustellen.
22 Soweit es sich um einen privatrechtlichen Vertrag handeln sollte, ist die Rechtsprechung des
erkennenden Senats zur "Zweckbestimmung" in diesen Fällen zu beachten (BSG, Urteile
vom 2.2.2009 - B 4 AS 47/08 R und 13.5.2009 - B 4 AS 29/08 R) . Danach ist eine auf
privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung dann zweckbestimmt iS des § 11 Abs 3 Nr 1
lit a SGB II, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte
Zweckrichtung beigemessen ist. Der erkennende Senat versteht dies als eine Vereinbarung,
aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung für einen bestimmten Zweck
verwendet werden soll (privatrechtlicher Verwendungszweck).
23 Wenn der Vertrag zwischen dem Kifa e.V. und der Klägerin zu 2 allein keinen hinreichenden
Anhalt für eine konkrete Zweckbestimmung ergeben sollte, sind die Rechtsbeziehungen im
Umfeld des Vertrags, die Aufschluss über die Rechtsnatur der Einnahmen der Klägerin zu 2
geben könnten, näher zu untersuchen. Das LSG wird dabei zu prüfen haben, ob und ggf
welche Maßnahmen das Jugendamt im Hinblick auf die von den Klägern betreuten Kinder
getroffen hat (Hilfeplan), insbesondere ob und ggf welche Leistungen auf Grund welcher
Vorschriften des SGB VIII bewilligt worden sind. Ferner wird festzustellen sein, wer ggf
Adressat bzw materiell Begünstigter dieser Bewilligungen war, wer die
Personensorgeberechtigten sind und welche Rechtsbeziehungen zwischen den
Personensorgeberechtigten der Pflegekinder, den Pflegekindern, dem Jugendamt, Kifa e.V.
und der Klägerin zu 2 bestanden.
24 Sollte sich erweisen, dass die gezahlten Erziehungshonorare ganz oder teilweise die Kosten
der Erziehung iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB VIII, den so genannten Erziehungsbeitrag
umfasst haben - wären die Erziehungshonorare in Höhe des "Erziehungsbeitrags" als
zweckbestimmte Einnahme zu werten -, unabhängig davon, ob sie vom Jugendamt über die
Personensorgeberechtigten und den Kifa e.V. lediglich an die Klägerin zu 2 "weitergeleitet"
oder letztlich nur wirtschaftlich mittels der der Klägerin zu 2 gezahlten Honorare erbracht
worden sind. Der Senat schließt sich insoweit dem 7b-Senat des BSG an (BSG, Urteil vom
29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 3) .
25 Eine nach § 39 Abs 1 SGB VIII zu gewährende Leistung umfasst neben dem
"Sachkostenzuschuss" oder "Aufwendungsersatz" im Grundsatz auch die Kosten der
Erziehung des Kindes oder Jugendlichen ("Erziehungsbeitrag"). Anspruchsinhaber des
"Erziehungsbeitrags" nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB VIII ist, wie auch beim
Sachkostenzuschuss, der Personensorgeberechtigte im Rahmen seines Anspruchs auf die
ihm gewährte Hilfe zur Erziehung (BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R, SozR 4-
4200 § 11 Nr 3; BVerwG vom 12.9.1996 - 5 C 31/95, FamRZ 1997, 814; OVG NW vom
24.11.1995 - 24 A 4833/94, ZfS 1996, 176; VGH BW vom 9.12.1996 - 6 S 2472/94, unter
Hinweis auf BFH vom 28.6.1984 - IV R 49/83, BFHE 141, 154; BGH vom 4.10.2005 - VII ZB
13/05, JAmt 2005, 48, 50; Mrozynski, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilferecht, 2009, § 39
RdNr 9,10; Tammen in Münder/Wiesner, Kinder- und Jugendhilferecht, 2007, 3.5.5, RdNr 37,
41; aA Wiesner in Wiesner SGB VIII, Kinder- und Jugendhilferecht, 2006, § 39 RdNr 16, der
allerdings den Anspruch auch auf den Erziehungsbeitrag dem Kind oder Jugendlichen als
sein Unterhaltsanspruch zuordnet) . Es handelt sich insoweit ebenfalls um eine
Annexleistung der nach §§ 32 - 35, 35a Abs 2 Nr 2 - 4 SGB VIII (s § 39 Abs 1 Satz 1 SGB
VIII) gewährten Hilfe zur Erziehung. Da mit dem Erziehungsbeitrag jedoch zugleich die
"Erziehungsleistung" der Pflegeperson abgegolten wird, ist er insoweit anders als der
Sachkostenzuschuss oder Aufwendungsersatz (s unter 4c.) als deren Einnahme im Rahmen
des SGB II zu werten .
26 b. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind Feststellungen zur
Zweckbestimmung auch nicht deswegen entbehrlich, weil die Gerechtfertigkeitsprüfung des
§ 11 Abs 3 Nr 1 lit a letzter Halbsatz SGB II wegen der Höhe der hier gezahlten Einnahme
ergäbe, dass dadurch die Lage der Kläger so günstig beeinflusst werde, dass ihnen
daneben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr zustünden. Mit dem 7b-
Senat geht der erkennende Senat davon aus, dass zumindest dann, wenn ein
Erziehungsbeitrag im Rahmen der Hilfe zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII erbracht wird,
er wegen der besonderen Zweckbestimmung als Leistung für Dritte - zumindest bei nicht
mehr als zwei Pflegekindern (fehlende Professionalität der Pflegeleistung) - keiner sog
Gerechtfertigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Würde die Hilfe zur Erziehung - wie hier im
Erziehungsvertrag ausdrücklich benannt - auch vorliegend nach § 34 SGB VIII erbracht,
kann es nach den Umständen des Einzelfalls jedoch ebenfalls iS des § 11 Abs 3 Nr 1 lit a
letzter Halbsatz SGB II gerechtfertigt sein, zumindest einen Teil des hierfür der
"Pflegeperson" gezahlten Honorars von der Einkommensberücksichtigung im SGB II
auszunehmen.
27 Maßstab der "Gerechtfertigkeitsprüfung" ist das Maß der Professionalität bzw der
Erwerbsmäßigkeit der Erziehungsleistung. Wird Hilfe zur Erziehung in einer Pflegefamilie
nach § 33 SGB VIII und für nicht mehr als zwei Pflegekinder an die Pflegeperson erbracht,
kann im Anschluss an die Rechtsprechung des 7b-Senats davon ausgegangen werden,
dass kein so großes Maß an Professionalität der Erziehungsleistung gegeben ist, das es
erforderlich machen müsste, den Ertrag hieraus als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu
werten, sodass es nicht gerechtfertigt wäre, daneben dem selben Zweck dienende
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Diese Auslegung des
unbestimmten Rechtsbegriffs der "Gerechtfertigkeit" iS des hier noch anzuwendenden § 11
Abs 3 Nr 1 lit a letzter Halbsatz SGB II deckt sich mit dem Konzept des am 1.6.2006 in Kraft
getretenen § 11 Abs 4 SGB II (Art 1 Nr 9 lit b Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) .
28 Der Wortlaut des § 11 Abs 4 SGB II legt es allerdings nahe, dass die Freistellung des
"Erziehungsbeitrags" nur dann erfolgen soll, wenn er im Rahmen eines
"Pflegeverhältnisses" erbracht wird. Dieses folgt insbesondere aus der Verwendung des
Wortes "Pflegegeld". Der Begriff des Pflegegeldes findet im SGB VIII zwar nur im
Zusammenhang mit der Förderung der Tagespflege Erwähnung (vgl Struck in Wiesner, SGB
VIII, § 23 RdNr 42 ff) .Die Bezugnahme auf den Begriff der "Pflege" und des "Pflegekindes"
in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/1410 S 21) verdeutlichen jedoch das Verständnis
des "Gesetzgebers". Gemeint ist die Zahlung der Geldleistung nach § 39 Abs 1 SGB VIII im
Rahmen einer Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege, also der Aufnahme des zu
erziehenden Kindes in eine "Pflegefamilie". Dabei soll jedoch nicht in jedem Fall, sondern
nur bei der Betreuung von maximal 2 Kindern der "erzieherische Einsatz", also der
"Erziehungsbeitrag" iS des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB VIII berücksichtigungsfrei gestellt werden.
Eine derartige Begrenzung findet ihren Rückhalt im Sinn und Zweck sowohl des § 11 Abs 4
SGB II, als auch der "Gerechtfertigkeit" des § 11 Abs 3 Nr 1 lit a letzter Halbsatz SGB II, denn
bei der Pflege von mehr als zwei Kindern kann davon ausgegangen werden, dass die
Grenzen zur "Erwerbsmäßigkeit" überschritten werden. Dann wird die "Pflegearbeit" zur
Erwerbsquelle und ist trotz der Zweckgebundenheit des Erziehungsbeitrags als Einkommen
der Pflegeperson im SGB II zu berücksichtigen. Nutzt der Hilfebedürftige die Anreizfunktion
des Erziehungsbeitrags (vgl hierzu BT-Drucks 11/5948, S 75, 7 6 ) in einem Maße, dass sich
seine Fähigkeit, Erwerbseinkommen zu erzielen, darin erschöpft, würde es die Ziele des
SGB II unterlaufen, die daraus erzielten Einnahmen nicht zumindest zu einem Teil als
berücksichtigungsfähiges Einkommen zu werten. Erzielt er mithin aus der
Erziehungstätigkeit Einnahmen, die ausreichend sind, um auch seinen eigenen
Lebensunterhalt zu sichern, sind sie selbst dann, wenn es sich um zweckgebundene
Einnahmen handelt und solange nicht der Zweck des Erziehungsbeitrags gefährdet wird, zur
Senkung des Hilfebedarfs einzusetzen. Für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des § 11 Abs
4 SGB II gilt letztendlich nichts Anderes (BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R,
SozR 4-4200 § 11 Nr 3 ).
29 Erfolgt die Hilfeleistung durch Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in
einer sonstigen betreuten Wohnform legt die in einer Norm zusammengefasste Regelung der
Leistungserbringung in Gestalt der Heimpflege und einer sonstigen Wohnform nahe, dass
derjenige, der diese Form der erzieherischen Arbeit leistet, es professionell oder
erwerbsmäßig betreibt; die Einnahmen aus dieser Arbeit sind mithin Erwerbseinkommen.
Andererseits ist gerade die Leistung der Hilfe zur Erziehung in sonstigen Wohnformen eine
Leistung, die in großer Gestaltungsvielfalt durchgeführt wird. Wie der vorliegende Fall zeigt,
aber auch die Auswertung der einschlägigen Fachliteratur verdeutlicht, sind die Grenzen
gerade im Bereich der Erziehung in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII bei besonders
entwicklungsbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen (§ 33 Satz 2 SGB VIII) und in
familienähnlichen Formen nach § 34 SGB VIII teilweise fließend (vgl DIJuF-Rechtsgutachten
vom 10.7.2008 - J 8.111 Kü, JAmt 2008, 423, auf Grundlage einer Entscheidung des OVG
NW vom 7.6.2005 - 12 A 2677/02, Sozialrecht aktuell 2007, 30; aA OVG RP vom 24.10.2008
- 7 A 10444/08, JAmt 2009, 92 und ihm folgend Krauthausen, JAmt 2009, 68) .So werden
"Mischformen", genannt Erziehungsstellen, gewählt, um einerseits höhere Vergütungen an
Pflegeeltern erbringen zu können, andererseits jedoch auch, weil sie den Rückgriff auf
professionelle Standards (Meysen, JAmt 2002, 326) bei gleichzeitig familiärer Unterbringung
zulassen. Erfolgt die Hilfe zur Erziehung in einer sonstigen Wohnform in der Familie des
"Leistungserbringers" und in seinen Räumlichkeiten, also der eigenen Wohnung oder dem
eigenen Haus, seien sie von ihm gemietet oder in seinem Eigentum stehend, und
unterliegen seine erzieherischen Handlungen nicht den Weisungen eines Dritten, sondern
erfolgt die Integration des Kindes in die erzieherischen Abläufe seiner Familie, ist durchaus
eine Vergleichbarkeit der Situation der Pflegeperson im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach §
34 SGB VIII mit der in der Hilfe in Vollzeitpflege gegeben.
30 Ergibt sich folglich aus dem "Umfeld des Vertrags" ein hinreichender Zusammenhang mit der
in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB VIII geregelten Leistungen und eine Vergleichbarkeit mit einer
nicht erwerbsmäßig betriebenen Erziehungsbeihilfe, wie sie in § 11 Abs 4 SGB II ihren
Ausdruck findet, ist die Berücksichtigung der Erziehungshonorare als Einkommen in Höhe
des "Erziehungsbeitrags" auch unter Würdigung der Gesamtumstände nicht hinreichend
sicher gerechtfertigt. Kann jedoch ein "Erziehungsbeitrag" nicht beziffert werden, liegt es
nahe, den vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge als
"Erziehungsbeitrag" empfohlenen Betrag zur Abgeltung der Erziehungsleistung iS des § 39
Abs 1 Satz 2 SGB VIII (für das Jahr 2005 = 207 Euro, vgl NDV 2005, 491 ; s zu der
Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge als
Vergleichsmaßstab auch BT-Drucks 16/1410, S 21) als nicht bedarfsmindernd zu werten und
insoweit als zweckbestimmte Einnahme berücksichtigungsfrei zu lassen. Zur Feststellung
der "Nichterwerbsmäßigkeit" wird das LSG festzustellen haben, wie das
"Erziehungsverhältnis" zwischen der Klägerin zu 2 und den "Pflegekindern" im Einzelnen
ausgestaltet war.
31 Soweit sich nach den abschließenden Ermittlungen des LSG ein als Einkommen zu
berücksichtigender Betrag ergeben sollte, ist dieser nach Abzug der Absetzbeträge für
Erwerbstätigkeit nach § 13 SGB II iVm der Arbeitslosengeld II-Verordnung und der sonstigen
Abzüge nach § 11 Abs 2 SGB II dem noch zu ermittelnden Hilfebedarf der Kläger
gegenüberzustellen. Hinsichtlich der Einigung der Beteiligten auf einen Hilfebedarf von 960
Euro wird auf die Ausführungen in der Entscheidung des Senats vom 13.5.2009 - B 4 AS
58/08 R verwiesen.
32 Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.