Urteil des BSG vom 21.03.2018

Vertragsärztliche Versorgung - Regelung der Versorgung mit Impfleistungen durch Verträge zwischen Krankenkassen und ihrer Verbände mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) in den Strukturen des vertragsärztlichen Versorgungssystems obwohl Sicherstel

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 21.3.2018, B 6 KA 31/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:210318UB6KA3117R0
Vertragsärztliche Versorgung - Regelung der Versorgung mit
Impfleistungen durch Verträge zwischen Krankenkassen
und ihrer Verbände mit den Kassenärztlichen Vereinigungen
(KÄVen) in den Strukturen des vertragsärztlichen
Versorgungssystems obwohl Sicherstellungsauftrag bei den
Krankenkassen und nicht bei den KÄVen liegt -
Wirtschaftlichkeitsprüfung - Kostenregress wegen
unwirtschaftlicher Anforderung von Impfstoffen bei fehlender
Nachfrage - hier: Grippeschutzimpfung
Leitsätze
1. Die Krankenkassen und ihre Verbände können durch Verträge
mit den Kassenärztlichen Vereinigungen die Versorgung der
Versicherten mit Impfleistungen in den Strukturen des
vertragsärztlichen Versorgungssystems regeln, obwohl der
Sicherstellungsauftrag für die Versorgung mit Impfleistungen seit
dem 1.4.2007 bei den Krankenkassen und nicht bei den
Kassenärztlichen Vereinigungen liegt.
2. Die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen der Verordnung
von Impfstoff, der tatsächlich wegen fehlender Nachfrage der
Versicherten nicht genutzt worden ist, hängt auch davon ab, ob
der Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Verordnung die ihm
möglichen Sicherungen zur Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots getroffen hat.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. März 2017
aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Umstritten ist ein Regress wegen unwirtschaftlich verordneter
Impfstoffe in der Impfsaison 2006/2007 in Höhe von insgesamt 1908
Euro.
2 Die Klägerin ist eine aus zwei Ärzten bestehende
Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) im Bezirk der zu 5.
beigeladenen KÄV. In der Impfsaison 2005/2006 hatte die Klägerin
zu Lasten der Krankenkassen insgesamt 286
Grippeschutzimpfungen abgerechnet. Im Quartal III/2006 bestellte
sie zunächst - orientiert an den Zahlen der Vorsaison - 250 Ampullen
des Grippeimpfstoffs auf der Grundlage einer Verordnung vom
28.9.2006. Wegen der besonders großen Nachfrage gesetzlich
versicherter Patienten nach Impfleistungen im Herbst 2006 waren
diese im Oktober 2006 verbraucht bzw für konkret benannte
Patienten reserviert. Um der weiteren Nachfrage nach
Grippeschutzimpfungen Rechnung zu tragen, bestellte die Klägerin
im Oktober 2006 300 Ampullen des Grippeimpfstoffs nach, die erst
kurz vor Weihnachten geliefert wurden. Die Verordnung datiert vom
27.12.2006. Die große zeitliche Verzögerung zwischen der
Nachbestellung im Oktober 2006 und der Lieferung der zusätzlich
bestellten Ampullen mit Impfstoff im Dezember 2006 führte die
Klägerin auf Lieferschwierigkeiten des Herstellers sowie darauf
zurück, dass eine zunächst gelieferte Charge unbrauchbar war. Da
das Interesse der Patienten an der Durchführung einer
Grippeschutzimpfung um den Jahreswechsel 2006/2007 deutlich
abnahm, konnten viele der Ende 2006 gelieferten zusätzlichen
Impfstoffe tatsächlich nicht verimpft werden. Die Praxis der Klägerin
gab einen kleinen Teil an eine andere Praxis auf der Insel F. ab; 250
Ampullen mussten im Februar 2007 vernichtet werden.
3
Unter dem 19.9.2007 beantragten die zu 1. bis 4. und 6.
beigeladenen Krankenkassenverbände bei der Gemeinsamen
Prüfeinrichtung der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig-
Holstein (Prüfungsstelle) die Festsetzung eines Schadens im
Einzelfall nach § 10 Abs 2 der Prüfvereinbarung vom 5.1.2006. Ob
der Prüfantrag nur für das Quartal IV/2006 oder auch für das Quartal
I/2007 gestellt worden ist bzw wie insoweit der Antrag zu verstehen
war, ist zwischen den Beteiligten umstritten.
4 Mit Bescheid vom 12.9.2008 setzte die Prüfungsstelle einen
Schadensersatz in Höhe von 1908 Euro gegen die Klägerin fest. Sie
begründete dies damit, dass die Klägerin tatsächlich in der
Impfsaison 2006/2007 nur 217 Grippeschutzimpfungen durchgeführt
habe. Unter Berücksichtigung eines Aufschlags von 10 % und der
Weitergabe nicht verimpfter Ampullen an eine andere Praxis sei für
200 unnötig verordnete Impfdosen Schadensersatz zu leisten.
5 Sowohl die Klägerin wie die zu 5. beigeladene KÄV legten gegen
diese Entscheidung Widerspruch ein. Die KÄV machte geltend, dass
Impfstoffe nicht unter die Prüfvereinbarung fielen und auch über § 6
der Impfvereinbarung iVm § 48 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä)
kein Schadensersatz festgesetzt werden könne. Im Übrigen sei zu
Beginn der Grippesaison 2006/2007 eine Charge Impfstoff
ausgefallen, sodass zunächst nicht genügend Impfstoff vorhanden
gewesen sei. Der Umstand, dass Patienten, die zu Beginn der
Impfsaison Interesse bekundet hatten, dann nicht erneut in der
Praxis erschienen seien, als der Impfstoff zu Beginn des Jahres
2007 verfügbar gewesen sei, könne nicht den Vertragsärzten
angelastet werden.
6 Mit Beschluss vom 15.6.2011 - Bescheid vom 2.11.2011 - wies der
beklagte Beschwerdeausschuss nach Neuberechnung der Höhe
des Schadensersatzes die Widersprüche zurück. Das SG hat auf
die Klage der Klägerin den Bescheid des Beklagten aufgehoben
und diesen zur Neubescheidung verpflichtet. Der Prüfantrag sei
ausweislich der Betreffzeile ausdrücklich nur für das Quartal IV/2006
wirksam gestellt worden und erfasse nicht später ausgestellte
Verordnungen.
7 Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das sozialgerichtliche
Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7.3.2017).
8 Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, dass der gegen
die Klägerin festgesetzte Regress eine hinreichende
Rechtsgrundlage in § 10 Abs 2 der seit dem 1.1.2006 geltenden
Prüfvereinbarung finde, die wiederum auf der gesetzlichen
Ermächtigung des § 106 Abs 2 S 4 SGB V in der seit 2004
geltenden Fassung beruhe. Da § 6 der Impfvereinbarung im Bezirk
der zu 5. beigeladenen KÄV auf das Regressverfahren nach § 48
BMV-Ä verweise, wo wiederum die Zuständigkeit der Prüfgremien
auch für Verordnungsregresse festgeschrieben sei, seien die
Prüfgremien berechtigt, auch im Bereich der Versorgung mit
Impfstoffen unwirtschaftliches Verhalten von Vertragsärzten zu
sanktionieren. Ob Schutzimpfungen nach § 20d SGB V
(heute § 20i SGB V) Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung
seien, könne offenbleiben, weil die Vorschrift des § 20d SGB V erst
zum 1.4.2007 in Kraft getreten sei und hier die Quartale III/2006 bis
I/2007 betroffen seien.
9
Im Einzelnen griffen die von der Klägerin und vom SG erhobenen
Bedenken gegen die angefochtene Entscheidung des Beklagten
nicht durch. In Verbindung mit den dem Prüfantrag beigefügten
Verordnungsblättern sei von Anfang an klar gewesen, dass die
Krankenkassenverbände die Verordnung von Impfstoffen für die
gesamte Impfsaison 2006/2007 in die Prüfung einbeziehen wollten
und sich nicht nur auf das in der Betreffzeile angegebene Quartal
"IV/06" beschränkt hätten. Hinsichtlich der Höhe des Regresses
habe der Beklagte von seinem Ermessen keinen sachwidrigen
Gebrauch gemacht. Der Vertragsarzt habe sich bei der Anforderung
von Impfstoffen an dem Vorjahresverbrauch zu orientieren. Mit der
eingeräumten Toleranz von 10 % sei den möglichen Schwankungen
bei der Nachfrage der Patienten hinreichend Rechnung getragen
worden. Dem Vorbringen der Klägerin im Hinblick auf die im Herbst
2006 aufkommende Diskussion über die Grippeschutzimpfung und
deren Verbindung mit möglichen Impfungen gegen die aus Asien
importierte Vogelgrippe habe nicht weiter nachgegangen werden
müssen. Zwischen beiden Grippearten bestehe kein
Zusammenhang; es sei Aufgabe der Vertragsärzte gewesen, den
Patienten diesen Sachverhalt zu erklären und nicht auf panikartig
geäußerte allgemeine Impfwünsche mit der Bestellung von
Impfampullen zu Lasten der Krankenkassen zu reagieren.
10
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine
Verletzung des § 106 Abs 2 SGB V. Zunächst ist sie der Auffassung,
§ 106 SGB V iVm der Prüfvereinbarung könne schon keine
Zuständigkeit der Prüfungsstelle bzw des beklagten
Beschwerdeausschusses begründen, weil Schutzimpfungen nicht
mehr Gegenstand der Sicherstellungspflicht der KÄV seien und
deshalb nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten. Im
Übrigen seien Impfstoffe nach der Rechtsprechung des BSG zu den
empfängnisverhütenden Mitteln schon keine Arzneimittel iS des § 31
SGB V, sodass alle Vorschriften im Rahmen der vertragsärztlichen
Wirtschaftlichkeitsprüfung, die sich auf Arzneimittel beziehen, bei
Impfstoffen von vornherein nicht zur Anwendung kommen könnten.
Nach dem zum Zeitpunkt der Verordnung der Impfstoffe
maßgeblichen Recht (§ 23 Abs 9 SGB V aF) sei die
Grippeschutzimpfung eine Satzungsleistung der Krankenkassen
gewesen. Schon unter diesem Aspekt könne der Bezug von
Impfstoffen durch den Vertragsarzt keine Verordnung eines
Arzneimittels iS des § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V darstellen. Eine
Satzungsleistung der Krankenkasse könne entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts von vornherein nicht der
gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V
unterfallen. Auch nach der Sprechstundenbedarfsvereinbarung
zwischen den Beigeladenen zu 1. bis 4. und 6. auf der einen sowie
der Beigeladenen zu 5. auf der anderen Seite ergebe sich keine
Berechtigung des Vertragsarztes, Impfstoffe als
Sprechstundenbedarf im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
zu verordnen.
11
Im Übrigen könne dem LSG nicht dahin gefolgt werden, dass sich
der Prüfantrag über das Quartal IV/2006 hinaus erstrecken sollte.
Die Quartale III/2006 und I/2007 seien deshalb von vornherein
außerhalb der Prüfzuständigkeit des Beklagten gewesen. Die
Klägerin habe im Hinblick auf den Prüfantrag nur für das Quartal
IV/2006 nicht wissen oder damit rechnen können, dass dieser alle
Impfverordnungen in der Impfsaison 2006/2007 umfassen würde.
12
Schließlich stelle es einen unzumutbaren Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit der Klägerin (Art 12 Abs 1 GG) dar, wenn
dieser das gesamte Risiko dafür aufgebürdet werde, dass sie auf
einen explizit artikulierten Bedarf ihrer Patienten nach Durchführung
von Grippeschutzimpfungen Ende 2006 mit der Bestellung von
Impfstoffen reagiert habe. Sie - die Klägerin - habe auf den mit der
Eintragung in eine Warteliste bekräftigten Impfwunsch der Patienten
reagieren dürfen und nicht anders reagieren können, als die
erforderlichen Impfdosen zu bestellen. Soweit die Patienten nach
der verspäteten Belieferung mit Impfstoff tatsächlich die Praxis zur
Durchführung der Impfung nicht aufgesucht hätten, dürfe dieses
Risiko nicht einseitig ihr aufgebürdet werden.
13
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom
7. März 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 4. Juni 2014 zurückzuweisen.
14
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
15
Er schließt sich der Auffassung des LSG an, wonach sich aus § 10
Abs 2 der Prüfvereinbarung eine hinreichend bestimmte Grundlage
für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Impfstoffen
ergebe. Impfstoffe seien Arzneimittel im Sinne des Gesetzes wie
auch iS des § 10 Abs 2 der seit Januar 2006 geltenden
Prüfvereinbarung. Ungeachtet der Fassung des § 73 Abs 2 SGB V
diene das Impfen als zentrales Element ärztlicher Tätigkeit der
Verhütung von Krankheiten und gehöre zum Kernbereich der
ärztlichen Behandlungstätigkeit. Zahlreiche präventiven
Maßnahmen, etwa im Bereich der Begleitung von Schwangerschaft
und Mutterschaft, gehörten ebenfalls zum Spektrum der ärztlichen
Tätigkeit, ohne in § 73 Abs 2 SGB V ausdrücklich erwähnt worden
zu sein. Im Übrigen habe im Bezirk der zu 5. beigeladenen KÄV die
Impfvereinbarung vom 25.11.2002 gegolten, in der
Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausdrücklich vorgesehen seien.
16
Die zu 1. bis 4. beigeladenen Krankenkassenverbände schließen
sich der Auffassung des Beklagten an.
Entscheidungsgründe
17
Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des
angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die Einrichtungen der
vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung sind für die Festsetzung
eines Regresses wegen unnötig verordneter Impfstoffe zuständig
(1.). Die beigeladenen Verbände der Krankenkassen haben
wirksam die Prüfung des Verordnungsverhaltens der Klägerin in der
gesamten Impfsaison 2006/2007 beantragt (2.). Ob die Klägerin mit
der Verordnung von zusätzlich 300 Impfdosen am 27.12.2006
unwirtschaftlich gehandelt hat, kann der Senat auf der Grundlage
der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen (3.).
18
1. Rechtsgrundlage des festgesetzten Regresses ist § 10 Abs 2 der
im Bezirk der zu 5. beigeladenen KÄV geltenden Prüfvereinbarung
iVm § 106 Abs 2 S 4 SGB V in der 2006 geltenden Fassung des
Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14.11.2003 (BGBl I 2190). Danach
vereinbaren die Verbände der Krankenkassen mit den KÄVen
Prüfungen ua ärztlich verordneter Leistungen nach
Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten.
Dazu gehört auch eine Einzelfallprüfung bei unwirtschaftlicher
Verordnungsweise. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind
erfüllt. Impfstoffe sind Arzneimittel, deren wirtschaftliche Verordnung
von den Prüfungseinrichtungen untersucht werden kann (a). Der
Beklagte ist hier auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der
Verordnung der Impfstoffe durch die Klägerin zuständig, obwohl der
Sicherstellungsauftrag der KÄV das Impfen nicht einschließt (b). Der
Sache nach hat der Beklagte einen Regress wegen
unwirtschaftlicher Verordnung von Impfstoffen und keinen
verschuldensabhängigen Ersatz wegen der Verursachung eines
"sonstigen Schadens" festgesetzt (c).
19
a. Impfstoffe sind Arzneimittel, wie der Senat im Urteil vom 25.1.2017
(SozR 4-2500 § 106 Nr 57 RdNr 20) ausdrücklich entschieden hat.
Der Hinweis der Klägerin auf die Rechtsprechung des 3. Senats zu
Verhütungsmitteln
(Urteil B 3 KR 11/98 R vom 31.8.2000 - BSGE 87, 95 = SozR 3-2500
§ 35 Nr 1)
passt hier nicht, wie das LSG zutreffend dargelegt hat.
Impfleistungen dienen unmittelbar - im Sinne der Primärprävention -
der Krankheitsverhütung; das trifft für Antikonzeptiva nicht zu. Weil
Impfstoffe Arzneimittel (auch) iS des § 31 SGB V sind, wird ihre
Verordnung auch von § 10 Abs 2 der Prüfvereinbarung erfasst,
soweit diese Vorschrift das "Verordnungsverhalten" der
Vertragsärzte betrifft.
20
b. Die Einrichtungen der vertragsärztlichen
Wirtschaftlichkeitsprüfung dürfen die Verordnung von Impfstoffen auf
ihre Wirtschaftlichkeit prüfen, wenn vertragliche Vereinbarungen
zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der KÄV die
Impftätigkeit der Vertragsärzte gegenüber Versicherten der
Krankenkassen in den Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
einbeziehen. Das ist im Bezirk der zu 5. beigeladenen KÄV - wie
wohl auch in den anderen KÄV-Bezirken - geschehen.
21
(1) Impfleistungen waren bzw sind weder nach dem hier
maßgeblichen Rechtszustand noch nach geltendem Recht
unmittelbar kraft Gesetzes Gegenstand der vertragsärztlichen
Versorgung iS des § 73 Abs 2 SGB V
(näher Senatsurteil vom 25.1.2017, aaO, RdNr 14). Das ergibt sich
schon daraus, dass Impfleistungen in S 1 der Vorschrift nicht
erwähnt sind. Der Vergleich des § 73 Abs 2 S 1 SGB V mit § 92 Abs
1 S 2 SGB V, der in Nr 15 "Schutzimpfungen" ausdrücklich nennt,
zwingt aus systematischen Erwägungen zu dem Schluss, dass die
fehlende Erwähnung der Impfungen in § 73 Abs 2 SGB V gewollt ist
und nicht auf einem Redaktionsversehen beruht. Das schließt aber
nicht aus, dass die Partner der vertragsärztlichen Versorgung über
die Durchführung von Impfungen durch Vertragsärzte
Vereinbarungen schließen und in diesem Rahmen nicht nur die
Vergütung der Impfleistungen und die Verordnung von Impfstoffen,
sondern auch eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit regeln.
22
Impfleistungen waren bis zum 31.3.2007 Satzungsleistungen der
Krankenkassen auf der Grundlage des § 23 Abs 9 SGB V. Die
Vorschrift lautete: "Die Krankenkasse kann in der Satzung
Schutzimpfungen mit Ausnahme von solchen aus Anlass eines nicht
beruflich bedingten Auslandsaufenthalts vorsehen." Die
Gesamtvertragspartner in Schleswig-Holstein hatten auf der
Grundlage der generellen Ermächtigung zum Abschluss von
Gesamtverträgen einen "Vertrag über die Durchführung und
Abrechnung von Schutzimpfungen gegen übertragbare Krankheiten
im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung (Impfvereinbarung)"
geschlossen, der zum 1.1.2003 in Kraft getreten ist und 2006 noch
gegolten hat. Im Übrigen sind auch anschließend
Impfvereinbarungen geschlossen worden; derzeit gilt diejenige, die
am 1.7.2013 in Kraft getreten ist. Darin wird geregelt, welche
Impfungen Vertragsärzte gegenüber Versicherten der
Krankenkassen durchführen können, wie die Ärzte ihre Leistungen
gegenüber der KÄV abrechnen und wie Impfstoff zu beziehen ist. In
§ 5 Nr 1 der Impfvereinbarung 2003 war bestimmt, dass Impfstoffe
ausschließlich mit einem Arzneiverordnungsblatt für Impfstoffe -
damals Vordruck-Muster 16a, heute Vordruck-Muster 16 mit
entsprechendem Auswahlfeld für Impfleistungen - zu beziehen sind.
Nach § 6 der Vereinbarung können Krankenkassen gegenüber den
Vertragsärzten über das vereinbarte Maß hinausgehend erbrachte
Leistungen und verordnete Impfstoffe als sonstigen Schaden
geltend machen (§ 48 BMV-Ä). Ergänzend ist in einer Protokollnotiz
verabredet worden, dass die Vertragspartner sich einig sind, dass
bei Nichteinhaltung des § 5 Abs 2 der Vereinbarung
Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen sind. In § 5 Abs 2 wird
auf insgesamt bedarfsgerechte und wirtschaftliche
Bezugsmöglichkeiten für Impfstoffe verwiesen.
23
(2) Korrespondierend zu dieser normativen Regelung der
Erbringung von Impfleistungen im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung bestimmt § 10 Abs 2 der 2006/2007 geltenden
Prüfvereinbarung die Möglichkeit von Einzelfallprüfungen bei
unwirtschaftlichem Verordnungsverhalten. Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit entsprechender gesamtvertraglicher
Vereinbarungen bestehen nicht
(vgl auch insoweit Senatsurteil vom 25.1.2017, SozR 4-2500 § 106
Nr 57 RdNr 13)
. Sie enthalten einerseits normative Vorgaben für die Durchführung
von Schutzimpfungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
und regeln andererseits - der Tradition des Vertragsarztrechts
entsprechend - auf der gesetzlichen Grundlage des § 106 Abs 2 S 4
SGB V aF die Zuständigkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien
für die Durchsetzung einer wirtschaftlichen Behandlungs- und
Verordnungsweise auch im Rahmen des Impfens.
24
Der Einwand der Klägerin, bei Satzungsleistungen der
Krankenkasse dürften keine Wirtschaftlichkeitsprüfungen
durchgeführt werden, greift nicht durch. Die Vertragspartner haben
auf der Basis ihrer generellen Ermächtigung in § 72 Abs 2 SGB V
traditionell auch eine Vereinbarung über die Durchführung von
Impfungen durch Vertragsärzte und gegenüber Versicherten der
Krankenkassen getroffen. Wie die Impfleistungen im Verhältnis
zwischen Krankenkassen und KÄV am Ende bezahlt werden und
welche Leistungen die Krankenkassen ihren Versicherten auf
satzungsgemäßer Grundlage zur Verfügung zu stellen hat, hat mit
der Frage der normativ-vertraglichen Einbeziehung der
Impfleistungen durch Vertragsärzte gegenüber Versicherten in den
Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nichts zu tun. Die
Krankenkassenverbände als Partner der KÄV gemäß § 72 Abs 2
SGB V waren zu keinem Zeitpunkt gehindert, zur näheren Regelung
der von ihnen den Versicherten als Sachleistung durch
Vertragsärzte zur Verfügung gestellten Impfleistungen
gesamtvertragliche Vereinbarungen mit der KÄV zu schließen. Dass
in diesem Rahmen auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von
Leistungen, die als vertragsärztliche nach bestimmten
Abrechnungsziffern gegenüber der KÄV abgerechnet worden sind
und auch derzeit abgerechnet werden, sowie von ärztlichen
Verordnungen näher geregelt werden kann, bedarf keiner weiteren
Darlegung.
25
(3) Zum 1.4.2007 ist die Versorgung der Versicherten mit
Impfleistungen und die Durchführung von Impfungen gesetzlich neu
geregelt worden. Nach § 20d SGB V (heute § 20i SGB V), der durch
Art 1 Nr 12 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007
( BGBl I 378) eingefügt worden ist, haben die
Versicherten gegen ihre Krankenkassen Anspruch auf Leistungen
für Schutzimpfungen. Abweichend vom Gesetzentwurf der
damaligen Regierungsfraktionen der CDU/CSU und der SPD
(BT-Drucks 16/3100) ist in der Beschlussempfehlung des
zuständigen Ausschusses auch durch eine textliche Änderung
festgelegt worden, dass Impfleistungen "außerhalb des Bereiches
der vertragsärztlichen Versorgung organisiert" werden sollten
(BT-Drucks 16/4200 S 15 und BT-Drucks 16/4247 S 31
).
Der Sicherstellungsauftrag liegt deshalb auf der Grundlage des §
132e Abs 1 SGB V bei den Krankenkassen und nicht bei den
KÄVen (BT-Drucks 16/4247 S 31, 47).
26
Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, durch
die Inpflichtnahme der Krankenkassen eine möglichst
flächendeckende Versorgung mit Impfleistungen zu gewährleisten.
Der Kreis der Ärzte, die Impfungen zu Lasten der Krankenkassen
durchführen dürfen, sollte über die Vertragsärzte hinausgehen.
Diese Erweiterung der Leistungsberechtigung in § 132e SGB V auf
Nichtvertragsärzte ändert aber nichts daran, dass auch und
insbesondere die Vertragsärzte Impfleistungen erbringen sollen. Die
Verträge, die die Krankenkassen oder ihre Verbände zur Sicherung
des Impfangebots abschließen müssen, sollen nach § 132e S 2
SGB V (idF des GKV-WSG, heute Abs 1 S 2) sicherstellen, dass
"insbesondere" die Vertragsärzte berechtigt sind, Schutzimpfungen
zu Lasten der Krankenkassen vorzunehmen. Dieses Ziel erreichen
die Krankenkassen oder ihre Verbände durch den Abschluss von
Verträgen ua mit den KÄVen nach S 1. Die Berechtigung auch
einzelner Krankenkassen zum Abschluss von Impfvereinbarungen
lässt erkennen, dass diese nicht notwendig Gesamtverträge iS des
§ 72 Abs 2 SGB V sein müssen, die nur von den Verbänden der
Krankenkassen abgeschlossen werden können. Allerdings sind
ausdrücklich auch die Verbände als Vertragspartner zugelassen,
wodurch sich § 132e Abs 1 S 1 SGB V von § 73b Abs 1 SGB V
unterscheidet, der allein die Krankenkassen als Vertragspartner der
selektivvertraglich organisierten hausarztzentrierten Versorgung
vorsieht. Die Abschlusskompetenz (auch) der Verbände nach §
132e (Abs 1) S 1 SGB V hatte 2007 zur Folge, dass die vor dem
1.4.2007 gesamtvertraglich geschlossenen Impfvereinbarungen in
ihrem Bestand durch das Inkrafttreten des GKV-WSG nicht in Frage
gestellt wurden.
27
Soweit die Krankenkassen oder deren Verbände Verträge mit der
KÄV nach § 132e (Abs 1) S 1 SGB V schließen, handelt es sich um
normativ wirkende Vereinbarungen. Die Krankenkassen können
ihren Sicherstellungsauftrag nach § 132e Abs 1 SGB V durch eine
Vereinbarung mit der KÄV nur erfüllen, wenn durch den Vertrag
gesichert ist, dass die Vertragsärzte als Mitglieder der KÄV die
Impfleistungen auch tatsächlich in der vereinbarten Form anbieten.
Dazu sind sie nach § 95 Abs 3 S 3 SGB V verpflichtet. Nach dieser
Vorschrift sind die vertraglichen Bestimmungen über die
vertragsärztliche Versorgung verbindlich. Daraus folgt, dass über die
Verträge nach § 132e (Abs 1) S 1 SGB V, soweit diese mit der KÄV
abgeschlossen werden, die Durchführung von Impfungen durch
Vertragsärzte im Rahmen der Strukturen der vertragsärztlichen
Versorgung erfolgt. Darin liegt kein unauflösbarer Widerspruch zur
Übertragung des Sicherstellungsauftrags an die Krankenkassen.
Diese entscheiden, ob sie die KÄVen in die Durchführung von
Impfungen einbeziehen. Wenn sie diesen Weg wählen - und
angesichts der Vorgabe in § 132e Abs 1 S 2 SGB V dürfte es dazu
derzeit kaum eine Alternative geben -, wird auf vertraglicher und
nicht unmittelbar auf gesetzlicher Grundlage eine
Leistungserbringung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
organisiert. Für etwas anders kann die KÄV kein tauglicher
Vertragspartner sein.
28
(4) Auch das Bestreben des Gesetzgebers, die Inanspruchnahme
von Impfleistungen zu erhöhen und den Kreis der impfberechtigten
Ärzte auszuweiten, das zuletzt im Präventionsgesetz vom 17.7.2015
(BGBl I 1368) im Hinblick auf die Einbeziehung von Betriebsärzten in
§ 132e Abs 1 S 2 SGB V erneut deutlich geworden ist
(BT-Drucks 18/4282 S 44 zu Art 1 Nr 18 des Präventionsgesetzes
und BT-Drucks 18/5261 S 59)
, spricht erkennbar gegen die Vorstellung, dass die seit Jahrzehnten
praktizierte Durchführung von Impfleistungen (auch) im Rahmen der
vertragsärztlichen Strukturen mit Inkrafttreten des GKV-WSG zum
1.4.2007 obsolet werden sollte. Entsprechend haben die
Impfvereinbarungen, die die Krankenkassen mit den KÄVen
abgeschlossen haben, über die Gesetzesänderung zum 1.4.2007
hinaus unverändert weiterbestanden. Bei den neueren
Vereinbarungen wird lediglich § 20i Abs 1 SGB V iVm § 132e SGB V
als Rechtsgrundlage des Vertrages angegeben. Ansonsten haben
sich keine Änderungen ergeben; es werden die im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung zu erbringenden Impfungen
beschrieben, es werden Abrechnungspositionen für Vertragsärzte
eingeräumt und die Bezugswege hinsichtlich des Impfstoffs
klargestellt. Weshalb dann nicht in den Vereinbarungen zur
Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen entsprechend
bestimmt werden dürfte, dass das wirtschaftliche Verhalten der
Vertragsärzte bei den Impfleistungen - soweit es zugunsten von
Versicherten und zu Lasten von deren Krankenkassen erbracht wird
- zu prüfen ist, ist auf dem Hintergrund der bisherigen
Rechtsprechung des Senats zu vertraglichen Vereinbarungen im
Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung
(etwa BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 bis 14) nicht
erkennbar.
29
(5) Die "Ausgliederung" aller Impfleistungen aus der
vertragsärztlichen Versorgung, wie sie die Klägerin für richtig hält,
lässt sich auch nicht damit begründen, dass in § 132e Abs 1 SGB V
eine von § 89 SGB V abweichende Schiedsregelung durch eine
Schiedsperson vorgeschrieben worden ist. Die Regelung über die
Festlegung des Inhalts einer Impfvereinbarung in Konfliktfällen ist
durch Art 1 Nr 18b des Gesetzes zur Neuordnung des
Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung
(AMNOG) vom 22.12.2010 (BGBl I 2262) eingeführt worden. Die im
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 17/3116) noch
nicht enthaltene Regelung ist im Zuge der Ausschussberatungen
aufgenommen worden, um das Zustandekommen von
Impfvereinbarungen zu sichern (BT-Drucks 17/3698 S 28, 56). Sie
wurde der Schiedsregelung über häusliche Krankenpflege in § 132a
Abs 2 SGB V nachgebildet. Die Option für das Modell der
Konfliktlösung durch eine Schiedsperson erklärt sich zwanglos
damit, dass § 132e SGB V eben nicht nur die vertragsärztliche
Versorgung regelt, sodass das Schiedsamt für die vertragsärztliche
Versorgung iS des § 89 SGB V die Konflikte nicht in vollem Umfang
lösen könnte. Da Verträge nach § 132e Abs 1 SGB V sowohl von
einzelnen Krankenkassen wie von deren Verbänden auf der
Kostenträgerseite und auch von Ärzten, die nicht zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, und bestimmten
Einrichtungen auf der Leistungserbringerseite geschlossen werden
können, hätte das Schiedsverfahren nach § 89 SGB V nicht greifen
können. Deshalb ist - um insofern nicht zu einer doppelten
Zuständigkeit zu gelangen - das Schiedspersonenmodell der
Konfliktlösung, wie es auch im Bereich der häuslichen
Krankenpflege nach § 132a Abs 4 S 7 SGB V implementiert worden
ist, vom Gesetzgeber eingeführt worden. Das ändert aber nichts
daran, dass ein Vertrag, den die Gesamtvertragspartner auf der
spezialgesetzlichen Grundlage des § 132e Abs 1 S 1 SGB V
schließen, für die an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Ärzte und für die Krankenkassen verbindlich ist, und
entsprechend in solchen Verträgen auch eine Verpflichtung der
Vertragsärzte auf das ohnehin für sie geltende
Wirtschaftlichkeitsgebot normiert, konkretisiert und überprüfbar
gemacht werden kann.
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Wie sinnvoll die Einbeziehung der traditionellen vertragsärztlichen
Strukturen im Bereich des Impfens ist, lässt sich im Übrigen
beispielhaft der ab 1.1.2018 geltenden Vereinbarung für den Bezirk
der KÄV Westfalen-Lippe entnehmen. Diese trifft ausdrücklich
Regelungen darüber, wie Leistungen abzurechnen sind, wenn
Vertragsärzte am selben Behandlungstag übliche vertragsärztliche
Leistungen und Impfleistungen erbringen. Das entspricht
mutmaßlich der Regel, wenn etwa Behandlungsleistungen
allgemeiner Art mit Impfleistungen kombiniert werden. Von daher ist
es nicht nur gesetzlich zugelassen, sondern im Interesse der vom
Gesetzgeber gewünschten Intensivierung der Impftätigkeit
(dazu eingehend etwa die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Gesundheit zur Neufassung des § 130a SGB V durch das
AMNOG, BT-Drucks 17/3698 S 54)
versorgungspolitisch sinnvoll, dass auch unter dem Gesichtspunkt
der Wirtschaftlichkeit das Impfen durch Vertragsärzte gegenüber
gesetzlich versicherten Patienten nicht vollständig aus den
Strukturen der vertragsärztlichen Versorgung gelöst werden muss.
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(6) Gegen die Annahme, auch auf vertraglicher Grundlage müsse
sich die Impftätigkeit von Vertragsärzten zwingend außerhalb des
vertragsarztrechtlichen Rahmens vollziehen, spricht im Übrigen
auch die Zuständigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses
(GBA). Dieser hat seit dem 1.4.2007 nach (heute) § 20i Abs 1 S 3
SGB V Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der
Leistungen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 15 SGB V auf der
Grundlage der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim
Robert-Koch-Institut gemäß § 20 Abs 2 Infektionsschutzgesetz
(STIKO) unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der
Schutzimpfungen für die öffentliche Gesundheit zu bestimmen.
Wenn Impfungen gegenüber Versicherten der Krankenkassen, mit
denen sich das SGB V allein befasst, von vornherein nur außerhalb
aller Strukturen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt
werden könnten, wäre kaum erklärbar, weshalb ein Gremium (auch)
der vertragsärztlichen Versorgung, nämlich der GBA, Näheres zur
Konkretisierung des Leistungsanspruchs der Versicherten zu
bestimmen hat. Dann wäre es konsequent gewesen, unmittelbar
den Leistungsanspruch an die Empfehlung der STIKO zu binden.
Das hat der Gesetzgeber indessen ausdrücklich nicht getan und
damit mittelbar zu verstehen gegeben, dass sich an der auf
normativ-vertraglicher Grundlage realisierten Integration des Impfens
auch in die vertragsärztliche Versorgung nichts dadurch ändern
sollte, dass Impfleistungen ergänzend auch außerhalb dieser
Strukturen, etwa im Rahmen betriebsärztlicher und schulärztlicher
Untersuchungen durch Betriebsärzte und Ärzte des öffentlichen
Gesundheitsdienstes erbracht werden können.
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(7) Eine weitere Bestätigung dieser Rechtsauffassung enthält die
Vordruckvereinbarung (Anl 2 zum BMV-Ä). In "Muster 16" zur
Arzneimittel-Verordnung ist ausdrücklich ein Feld für die Verordnung
von Impfstoff vorgesehen. In der Nummer 7 der Erläuterungen ist
dazu bestimmt, dass bei der Verordnung von Impfstoffen "im
Rahmen der gültigen Impfvereinbarung" das Feld 8 durch Eintragen
der Ziffer 8 zu kennzeichnen ist. Damit nimmt eine typische
Regelung der vertragsärztlichen Versorgung, nämlich eine Anlage
zum BMV-Ä, auf die gesamtvertraglichen Impfvereinbarungen
Bezug und regelt insoweit das Abrechnungs- und
Verordnungsverhalten der Vertragsärzte. Deshalb wäre nicht
erklärbar, warum bei dieser Eingliederung des Impfens in die
Strukturen der vertragsärztlichen Versorgung eine Prüfung der
Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Impfstoffen -
selbstverständlich nur in Bezug auf Versicherte der Krankenkassen -
ausgeschlossen sein soll.
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c. Der vom Beklagten bestätigte Regress gegen die Klägerin reagiert
auf ein unwirtschaftliches Verordnen von Impfstoffen und entspricht
insoweit in Voraussetzungen und Rechtsfolgen einem
Arzneikostenregress. Soweit der Beklagte gemeint hat, er habe auf
Antrag der Verbände der Krankenkassen einen "sonstigen
Schaden" iS des § 48 BMV-Ä festgesetzt, ist das eine unzutreffende
Wertung, die rechtlich folgenlos bleibt
(vgl dazu ähnlich Senatsurteil vom 25.1.2017, aaO, RdNr 19). Der
Schaden der Krankenkassen besteht hier darin, dass sie - unterstellt
- für Impfstoffe zahlen müssen, die ihren Versicherten nicht zugute
gekommen sind. Hätte die Klägerin nur so viele Impfampullen
verordnet, wie sie tatsächlich verimpft hat, wären die Krankenkassen
nicht mit geltend gemachten Mehrkosten für zumindest 200
Ampullen belastet worden.
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2. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die beigeladenen
Krankenkassenverbände wirksam die Prüfung der Verordnung von
Impfstoff durch die Klägerin in der gesamten Impfsaison 2006/2007
beantragt haben. Dass der Prüfantrag den Anforderungen der
Prüfvereinbarung entsprochen hat, hat das LSG in Anwendung
dieser landesrechtlichen Regelung bejaht. Das ist nach § 162 SGG
grundsätzlich der Nachprüfung durch den Senat entzogen. Soweit
das LSG den Prüfantrag trotz der Betreffzeile "IV/06" so ausgelegt
hat, dass die Prüfung auch der Quartale III/2006 und I/2007 begehrt
wird, ist das nicht zu beanstanden. Es bedarf hier keiner näheren
Prüfung, unter welchen Voraussetzungen das Revisionsgericht die
Auslegung eins Antrags durch das LSG überprüfen kann
(näher dazu BSG SozR 5070 § 10a Nr 3 zur fehlenden Bindung des
BSG an eine vom LSG aufgestellte Auslegungsregel)
. Die Auslegung ist hier jedenfalls richtig. Das Berufungsgericht ist zu
der Auffassung gelangt, dass der Prüfantrag der Krankenkassen im
Hinblick auf die ihm beigefügten beanstandeten Verordnungen der
Klägerin, die die Quartale III/2006, IV/2006 und I/2007 betreffen, die
gesamte Impfsaison erfasst hat, obwohl im Betreff lediglich das
Quartal IV/2006 angegeben worden ist. Das überzeugt. Auf dem 1.
Blatt des Antrags vom 19.9.2007, der in der vorgedruckten Spalte
"Quartal" die Angabe "IV/06" trägt, werden in der Aufstellung die drei
Quartale III/2006, IV/2006 und I/2007 aufgeführt und es wird näher
dargestellt, welche Zahl von Ampullen die Klägerin jeweils
"abgefordert" hat. Damit ist der Klägerin deutlich geworden, was
genau geprüft wird.
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3. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die
Klägerin im Zusammenhang mit der Nachbestellung von Impfstoff im
Oktober 2006 und dessen Verordnung am 27.12.2006
unwirtschaftlich gehandelt hat. Der Beklagte hat zu Recht
angenommen, dass es wirtschaftlichem Verhalten entspricht, wenn
sich eine vertragsärztliche Praxis bei der Bestellung von
Grippeschutzimpfstoff an den in den Vorjahren verimpften Mengen
von Impfstoff orientiert, soweit nichts dafür spricht, dass die
Nachfrage sehr viel größer oder sehr viel niedriger sein wird als in
der Vergangenheit. Auch die Entscheidung des Beklagten,
möglichen Unsicherheiten der Vertragsärzte durch einen Aufschlag
von 15 % auf die Impfdosen der vergangenen Saison Rechnung zu
tragen, ist in Übereinstimmung mit dem LSG nicht zu beanstanden.
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Das LSG hätte aber dem Vorbringen der Klägerin, im Spätherbst
2006 habe über anderthalb Monate hinweg trotz einer stark
gestiegenen Nachfrage der Patienten nicht hinreichend Impfstoff zur
Verfügung gestanden und daraus habe sich eine besondere
Situation ergeben, näher nachgehen müssen. Die Klägerin macht
geltend, die Patienten hätten im Herbst 2006 - aus Überzeugung
oder wegen der Hysterie im Zusammenhang mit der Vogelgrippe -
Grippeschutzimpfungen massiv nachgefragt und deren Wünschen
habe sie wegen der fehlenden Verfügbarkeit von Impfstoff Ende
Oktober und zu Beginn des November 2006 zunächst nicht
entsprechen können. Deshalb habe sie Impfdosen nachgeordert.
Wenn die Umstände im Herbst 2006 so waren, wie die Klägerin sie
geschildert hat, bestehen Zweifel, ob die Nachbestellung von 300
Impfdosen durch die Klägerin zur Abdeckung eines zumindest durch
Wartelisten von Patienten konkret ermittelten Bedarfs tatsächlich in
vollem Umfang unwirtschaftlich war. Um das beurteilen zu können,
reichen die Feststellungen des LSG nicht aus.
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Wenn tatsächlich über Wochen kein Impfstoff verfügbar war und die
Patienten konkret Impfungen nachgefragt haben, spricht manches
für die Annahme, dass die Klägerin tatsächlich gehalten war, diesem
Wunsch der Patienten Rechnung zu tragen. Wie das anders als
durch die Nachbestellung entsprechender Mengen von Impfstoff
erfolgen sollte, ist nicht erkennbar. Es kann auch nicht der Klägerin
angelastet werden, wenn Impfstoff erst zu einem Zeitpunkt
ausgeliefert und formell verordnet werden konnte, als das Interesse
der Versicherten tatsächlich schon erlahmt war. Ebenso wenig trägt
die Klägerin allein das Risiko, dass eine gelieferte Charge
Grippeimpfstoff unbrauchbar war und vernichtet werden musste. Es
bedarf deshalb näherer Aufklärung, wie viele Patienten wann ihr
Interesse an einer Grippeschutzimpfung bekundet hatten. Dazu hat
die Klägerin Beweis angeboten durch Vernehmung ihrer
Arzthelferinnen. Dem ist das LSG bislang nicht nachgegangen.
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Zu klären ist allerdings auch, weshalb die Klägerin noch am
27.12.2006 die Verordnung über 300 Impfdosen ausgestellt hat, als
schon klar war, dass sie diese in der laufenden Saison nicht würde
einsetzen können. Deshalb wird das LSG die vertraglichen
Beziehungen zwischen der Klägerin, der Apotheke, dem
Großhandel und dem Hersteller näher aufklären müssen. Es liegt
jedenfalls nicht auf der Hand, dass sich die Klägerin mit der
Bestellung der zusätzlichen Impfdosen zu deren Abnahme völlig
unabhängig von Lieferterminen verpflichten wollte oder dass die
Übernahme einer solchen Verpflichtung wirtschaftlich ist. Eine
Lieferung Ende Februar 2007 wäre wohl erkennbar sinnlos
gewesen, und der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
die Klägerin der rechtlichen Auseinandersetzung mit der Apotheke
und dem Hersteller über die Verzögerungen nicht dadurch
ausweichen durfte, dass sie Impfstoff zu Lasten der Krankenkassen
zu einem Zeitpunkt verordnet, zu dem sie selbst erkennbar von der
Nutzlosigkeit der Lieferung ausgehen musste. In diesem
Zusammenhang ist von Bedeutung, ob die Klägerin sich mit der
Bestellung im Oktober zur Ausstellung der Verordnung bei Lieferung
verpflichtet hat und verpflichten musste, um überhaupt noch beliefert
werden zu können. Erst wenn dies geklärt ist, kann abschließend
beurteilt werden, ob das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang
mit den beanstandeten Verordnungen vertretbar war.
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Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass
es nicht Aufgabe der Klägerin war, den Patienten, die nach § 20d
SGB V iVm den Richtlinien des GBA nach § 92 SGB V Anspruch auf
Impfleistungen hatten, den Impfwunsch im Herbst 2006 auszureden.
Selbst wenn dieser Wunsch teilweise irrational im Kontext der Angst
vor der Vogelgrippe entstanden sein mag, war er doch auf ein
versorgungsbezogen sinnvolles Vorgehen gerichtet. Selbst am
Ende der aktuellen Grippewelle 2017/2018, die auch durch eine
Auseinandersetzung über die Qualität des 2017 eingesetzten
Impfstoffs geprägt war, sind dem Senat keine medizinisch-
wissenschaftlichen Stimmen bekannt geworden, die auf die
Nutzlosigkeit der Grippeschutzimpfung hindeuten. Selbst wenn
durch eine solche Impfung "nur" die Zahl schwerer oder
lebensbedrohlicher Verläufe reduziert würde, wäre das in Phasen
überfüllter internistischer Klinikabteilungen und teilweise nicht mehr
aufnahmefähiger Intensivstationen ein sinnvolles Ergebnis.
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Die Auffassung des Beklagten, das wirtschaftliche
unternehmerische Risiko des Umstands, dass die Patienten erst ihr
Impfinteresse bekunden und anschließend sich doch nicht impfen
lassen, dürfe nicht auf die Krankenkassen verlagert werden, ist
richtig, soweit sie das vertragsärztliche Honorar betrifft. Die Klägerin
konnte selbstverständlich keine Impfleistungen gegenüber
Versicherten abrechnen, die sie tatsächlich nicht erbracht hat, weil
die Versicherten die Praxis trotz ursprünglich anderslautender
Absichtserklärung nicht mehr aufgesucht hatten. Die Entscheidung,
diesen die Impfung zu ermöglichen, musste die Klägerin aber
möglicherweise zu einem Zeitpunkt treffen, als sie noch davon
ausgehen konnte, die Patienten sollten und wollten geimpft werden.
Wenn sie zu einem Zeitpunkt, als klar war, dass die Patientenzahl
doch geringer sein würde, die Verordnung der Impfdosen nicht mehr
rückgängig machen konnte, weil der Impfstoff schon bestellt und
schließlich Ende Dezember auch geliefert worden war, könnte das
allein einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht
begründen.
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4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG im Rahmen seiner
erneuten Entscheidung im wiedereröffneten Berufungsverfahren
vorbehalten.