Urteil des BSG vom 28.06.2018

Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 307d SGB 6

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 28.6.2018, B 5 R 12/17 R
ECLI:DE:BSG:2018:280618UB5R1217R0
Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 307d SGB 6
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind
nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob der Klägerin ab 1.7.2014 ein Anspruch auf
weitergehende Berücksichtigung ihrer Kindererziehung und damit
auch auf eine höhere Altersrente wegen Schwerbehinderung zusteht.
2
Auf Antrag vom März 2012 bewilligte die Beklagte der am 7.6.1951
geborenen Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab
1.2.2012 (Bescheid vom 5.4.2012). Dabei berücksichtigte sie
Kindererziehungszeiten (KEZ) vom 1.7.1981 bis 30.6.1982 für das am
10.6.1981 geborene Kind. Mit Bescheid vom 8.9.2014 setzte die
Beklagte den Wert der Rente mit Wirkung vom 1.7.2014 neu fest, weil
ab diesem Zeitpunkt ein Zuschlag für Kindererziehung in Höhe eines
EP zusätzlich zu berücksichtigen sei. Aus Anlage 6 ergebe sich, dass
ein weiterer persönlicher EP für Kindererziehung als Zuschlag und
damit 36,3263 EP (bisher: 35,3263 EP) der Rentenberechnung
zugrunde gelegt worden sei. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg
(Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015).
3
Mit Urteil vom 21.3.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Das
Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen
(Urteil vom 15.3.2017). Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, für ab 1.1.1992 geborene Kinder habe § 56 SGB VI drei
Jahre Pflichtbeitragszeiten für die Kindererziehung ab diesem
Zeitpunkt anerkannt, für davor geborene Kinder eine KEZ von 12
Monaten. Mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der
gesetzlichen Rentenversicherung
gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23.6.2014, BGBl I 787) sei
der Zeitraum von 12 auf 24 Monate erhöht worden. Bei laufender
Rente werde die Rentenhöhe unter Zugrundelegung eines weiteren
pauschalen EP von Amts wegen - wie bei der Klägerin erfolgt - neu
bestimmt. Auf eine weitere Erhöhung der Rente unter Zuerkennung
weiterer KEZ bestehe kein Anspruch. Zwar liege weiterhin eine
Differenzierung hinsichtlich des Geburtsjahrgangs der Kinder vor.
Diese sei aber unter Berücksichtigung der vom BVerfG im Urteil vom
7.7.1992 - 1 BvL 51/86 ua - entwickelten Grundsätze und der
zwischenzeitlich erfolgten weiteren sozialpolitischen Maßnahmen
zum Schutz und zur Förderung von Familien mit Kindern in dem vom
Gericht zu überprüfenden Maße hinzunehmen. Diese Neuregelungen
seien nicht verfassungswidrig. Insbesondere gebühre dem
Gesetzgeber bei der Festlegung der Reformschritte eine
ausreichende Anpassungszeit, die jeweilige Haushaltslage und die
finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung dürfe er
berücksichtigen. Das BVerfG habe auch darauf hingewiesen, dass
der "Familienlastenausgleich" ein gesamtgesellschaftliches Problem
sei, der Gesetzgeber müsse auf unterschiedlichen Feldern tätig
werden, was auch erfolgt sei. Zwar seien die KEZ
Pflichtbeitragszeiten, mangels eigener Beitragsleistung komme ihnen
aber kein eigentumsrechtlicher Schutz nach Art 14 Abs 1 GG zu. Der
Gesetzgeber habe weiterhin am Stichtag 1.1.1992 festgehalten und
vor und nach diesem Zeitpunkt geborene Kinder nicht vollständig
gleichgestellt. Als Gründe für die Differenzierung habe er die
Einbeziehung auch der laufenden Renten ohne Begrenzung und
deren Finanzierung sowie die verwaltungstechnische Umsetzung mit
einer pauschalen Zuerkennung eines EP für machbar erachtet. Im
Hinblick auf die Neuregelung zum 1.7.2014 müsse der Senat aber
den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers berücksichtigen.
Anhaltspunkte für eine offensichtlich unsachliche oder rechtswidrige
Regelung seien nicht ersichtlich.
4
Mit der Revision rügt die Klägerin, § 307d SGB VI verstoße gegen
Verfassungsrecht, insbesondere gegen Art 6 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1
und 2 GG sowie Art 20 Abs 1 und 3 GG. Die KEZ für vor 1992
geborene und ab 1992 geborene Kinder müssten gleichgestellt
werden, sodass ihr zusätzlich ein EP und damit eine höhere
Altersrente zustehe. Der vom Gesetzgeber aufgeführte
"Verwaltungsaufwand" sowie die Finanzierbarkeit der geforderten
Leistung könnten die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. So sei
bei Zuerkennung eines "pauschalen" EP die Rente nicht kompliziert
neu zu berechnen, die Leistungsverbesserung werde im
Wesentlichen aus dem Beitragsaufkommen finanziert. Dass der
Gesetzgeber selbst die Notwendigkeit einer weiteren Angleichung der
KEZ sehe, dennoch am Stichtag 1.1.1992 festhalte und nur eine
Anhebung der Zeiten, aber keine Gleichstellung der Kinder
vornehme, sei in sich widersprüchlich.
5
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. März 2017
und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21. März 2016
aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2014 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2015
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juli 2014
höhere Altersrente unter weitergehender Berücksichtigung ihrer
Kindererziehung zu gewähren.
6
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
8
A. Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte Revision
(vgl § 160 Abs 1 und 3 SGG) ist zulässig und insbesondere
formgerecht begründet. Wendet sich die Revision - wie hier - gegen
die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der
Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei
darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung -
bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig
angewandt worden ist. Dies setzt voraus, dass sich die Begründung
mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt.
"Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des
Vordergerichts einzugehen. Dazu muss der Revisionsführer -
zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen;
er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen
Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der
angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist
(BSG Urteile vom 10.2.2016 - B 5 RS 1/15 R - BeckRS 2016, 66775
RdNr 6; vom 5.5.2015 - B 5 R 18/14 R - BeckRS 2015, 69242 RdNr
6 und vom 9.1.2014 - B 5 RE 1/14 R - BeckRS 2014, 65978 RdNr 7)
.
9
Die Klägerin setzt sich - ebenso wie das LSG - mit der
Rechtsprechung des BVerfG im Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86
ua - auseinander und geht insoweit - zumindest punktuell - auf die
Entscheidungsgründe des LSG ein. § 307d SGB VI verstoße gegen
Art 3 Abs 1 GG, weil weder der Verwaltungsaufwand noch die
Finanzierbarkeit eines weiteren EP die unterschiedliche Anrechnung
von KEZ für vor dem 1.1.1992 bzw nach ab diesem Zeitpunkt
geborene Kinder rechtfertigten. Da auch das LSG nicht weiter
begründet, warum über die Rechtsprechung des BVerfG zum alten
Recht hinaus § 307d SGB VI nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt,
erweist sich die Revisionsbegründung der Klägerin hinsichtlich der
rechtlichen Ausführungen als ausreichend. Dies gilt unabhängig von
dem beim Großen Senat des BSG anhängigen Verfahren - GS 1/17
- auch nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats, wonach sich Aufwand und Intensität des
Eingehens auf die tatrichterlichen Feststellungen nach deren
eigener Qualität richten
(vgl BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - vorgesehen in BSGE
sowie SozR 4-2600 § 51 Nr 1 RdNr 12)
.
10
B. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das
LSG die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil
des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der
Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
eine zusätzliche Erhöhung des Werts ihrer Altersrente wegen
Schwerbehinderung unter Berücksichtigung ihres vor dem 1.1.1992
geborenen Kindes. Ein Anspruch auf eine höhere Rente ergibt sich
nicht aus § 307d Abs 1 iVm Abs 2 S 1 SGB VI (dazu 2.). Auch
verstößt § 307d Abs 2 S 1 SGB VI in der hier maßgeblichen
Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.6.2014
nicht gegen die Verfassung (dazu 3.).
11
1. Die Regelung des § 307d Abs 1 iVm Abs 2 S 1 SGB VI
beschränkt sich auf die Verpflichtung der Beklagten, unter den dort
genannten Voraussetzungen den Höchstwert am Stichtag
30.6.2014 vorhandener Bestandsrenten durch zusätzliche
Berücksichtigung eines Zuschlags von einem persönlichen EP pro
Kind zu erhöhen. Im Einzelfall liegt darin eine teilweise Änderung der
rechtlichen Verhältnisse gegenüber der ursprünglichen
Rentenbewilligung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der durch eine
Teilaufhebung der ursprünglichen Festsetzung des Rentenwerts
und deren Ersetzung durch einen höheren Rentenwert Rechnung
zu tragen ist. Die mögliche Beschwer der Klägerin liegt dabei darin,
dass sie zwar einen Zuschlag von einem persönlichen EP erhält,
ihre Rente jedoch anders als im Regelfall des § 56 Abs 1, 5 SGB VI
unverändert nicht unter Berücksichtigung von drei Jahren KEZ oder
einer vergleichbaren Begünstigung festgesetzt wird. Nicht anders als
bei einem Angriff auf Mitteilungen über die Rentenanpassung
(grundlegend BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 4 RA 41/98 R - SozR 3-
1300 § 31 Nr 13 S 23 f, 28; vgl auch BSG Beschlüsse vom
26.10.2017 - B 13 R 54/17 B - Juris RdNr 9 und - B 13 R 102/17 B -
Juris RdNr 8)
oder gegen die zusätzliche Berücksichtigung von EP für Ghetto-
Zeiten
(BSG Urteil vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R - BSGE 94, 294 = SozR
4-2600 § 306 Nr 1, RdNr 5)
kann daher auch vorliegend mit der kombinierten (Teil-)Anfechtungs-
und Leistungsklage nur die einfachgesetzliche Umsetzung gerade
von § 307d SGB VI, und die Verfassungswidrigkeit (nur) dieser Norm
geltend gemacht werden.
12
2. Die Beklagte hat das einfache Recht zutreffend angewandt. Nach
§ 56 Abs 1 S 1 SGB VI sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in
dessen ersten drei Lebensjahren KEZ. Sie sind Pflichtbeitragszeiten
nach § 55 Abs 1 S 1 und 2 SGB VI, für die Beiträge als gezahlt
gelten. Nach § 177 Abs 1 SGB VI werden die Beiträge für die KEZ
vom Bund gezahlt. Die Regelungen der §§ 55 und 56 SGB VI sind
am 1.1.1992 in Kraft getreten
(Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung -
Rentenreformgesetz 1992 - vom 18.12.1989, BGBl I 2261)
. Für Kinder, die vor dem Inkrafttreten des SGB VI und damit vor dem
1.1.1992 geboren wurden, hat § 249 Abs 1 SGB VI in der bis zum
30.6.2014 geltenden Fassung
(Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) eine KEZ von 12
Monaten vorgesehen. Mit der Neuregelung zum 1.7.2014 durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz wurde der Zeitraum von 12
Monaten auf 24 Monate erhöht (vgl § 249 Abs 1 SGB VI). Diese 24
Monate KEZ sind für alle Versicherten zu berücksichtigen, die ein
Kind erzogen haben, das vor dem 1.1.1992 geboren wurde und die
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung zum 1.7.2014
noch nicht im Rentenbezug standen. Bei einer laufenden Rente am
Stichtag 30.6.2014 - wie vorliegend - wird hingegen die Rentenhöhe
unter zusätzlicher pauschaler Berücksichtigung eines weiteren
persönlichen EP neu bestimmt
(§ 307d SGB VI: sog Zuschlag zu den persönlichen EP). Die
Umsetzung erfolgt bei den laufenden Renten automatisch. Eines
gesonderten Antrags der Versicherten bedarf es ebenso wenig wie
einer vollständigen Neubestimmung des Rentenwerts und - auf der
Ebene der verwaltungstechnischen Umsetzung - der Einschaltung
der Sachbearbeitung.
13
Nach den Feststellungen des LSG sind der Klägerin für ihren am
10.6.1981 geborenen Sohn Zeiten der Kindererziehung vom
1.7.1981 bis 30.6.1982 zuerkannt und im Bescheid vom 5.4.2012
berücksichtigt worden. Aufgrund der Neuregelung zum 1.7.2014
durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz hat die Beklagte
pauschal einen weiteren (persönlichen) EP zuerkannt und die Rente
neu festgesetzt
(Bescheid vom 8.9.2014, Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015).
Dass die Festsetzung der Rentenhöhe durch die Beklagte aus
anderen einfachrechtlichen Gründen rechtswidrig sein könnte, ist
weder von der Klägerin geltend gemacht worden noch ist dies
ersichtlich.
14
3. Ein Anspruch der Klägerin auf Festsetzung eines höheren
Rentenwerts ergibt sich auch nicht aus materiellem
Verfassungsrecht. § 307d Abs 2 S 1 SGB VI steht mit der
Verfassung im Einklang.
15
a) Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.
16
aa) Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass der §
307d SGB VI unterfallende Personenkreis, dem die Klägerin
angehört (Bestandsrentner mit Geburt eines Kindes vor dem
1.1.1992) gegenüber dem Regelfall einer Berücksichtigung von drei
Jahren KEZ (§ 56 Abs 1, 5 SGB VI) ab dem 1.7.2014 noch weiterhin
insofern anders behandelt wird, als bei ihr nur der 1. bis 12.
Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt als KEZ
berücksichtigt wird und zusätzlich pauschal ein persönlicher EP
Berücksichtigung findet. Damit teilen die Betroffenen im
Wesentlichen das Schicksal der von § 249 Abs 1 SGB VI erfassten
Zugangsrentner mit ebenfalls vor dem 1.1.1992 geborenen Kindern,
bei denen die KEZ 24 Kalendermonate nach Ablauf der Geburt
endet.
17
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet dem
Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
ungleich zu behandeln (vgl BVerfGE 98, 365, 385). Er gilt sowohl für
ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen
(vgl BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416). Dabei verwehrt Art 3 Abs 1
GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen
bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die
dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung
angemessen sind (vgl BVerfGE 124, 199, 220). Der Gleichheitssatz
ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder
Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt
wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von
solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können
(vgl BVerfGE 110, 412, 432).
18
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die
Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den
Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot
beschränkten Bindungen bis hin zu strengen
Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können
(vgl BVerfGE 117, 1, 30; 126, 400, 416). Zudem verschärfen sich die
verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an
die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen
verfügbar sind (vgl BVerfGE 88, 87, 96) oder je mehr sie sich denen
des Art 3 Abs 3 GG annähern
(vgl BVerfGE 124, 199, 220; 130, 240, 252 ff).
19
Nach diesen Maßstäben ist es gleichheitsrechtlich nicht zu
beanstanden, dass der Gesetzgeber bei vor 1992 geborenen
Kindern von Bestandsrentnern 12 Monate und einen pauschalen
Zuschlag, bei ab 1.1.1992 geborenen Kindern 36 Monate zugrunde
legt. Diese Differenzierung wird durch hinreichende sachliche
Gründe gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte insofern
insbesondere unverändert die Haushaltslage und die finanzielle
Situation der gesetzlichen Rentenversicherung sowie das
Inkrafttreten zahlreicher Regelungen berücksichtigen, die die
leistungsrechtliche Position von Eltern in der gesetzlichen
Rentenversicherung verbessert haben.
20
Ausgangspunkt ist weiterhin die Entscheidung des BVerfG vom
7.7.1992 (1 BvL 51/86 ua - BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1).
Das BVerfG hat dort (BVerfGE 87, 1, 40) ausgeführt, dass der
Gesetzgeber mit der Anerkennung von KEZ als
rentenbegründendem und rentensteigerndem Tatbestand im
Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz
(HEZG vom 11.7.1985, BGBl I 1450) bereits einen ersten Schritt zur
Verbesserung der Alterssicherung kindererziehender Personen im
Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung getan habe. Ein
zusätzlicher Schritt bestehe in der Verlängerung der
anrechnungsfähigen KEZ, die das Rentenreformgesetz 1992
gebracht habe. So wurden ab 1.1.1992 für ab diesem Zeitpunkt
geborene Kinder drei Jahre Pflichtbeitragszeit für die Erziehung
eines Kindes anerkannt (§ 56 Abs 1 S 1 SGB VI). Für vor dem
1.1.1992 geborene Kinder wurde eine KEZ von 12 Monaten
zuerkannt (§ 249 SGB VI). Das BVerfG hat weiter ausgeführt, dem
Gesetzgeber gebühre bei der Festlegung der Reformschritte eine
ausreichende Anpassungszeit und er dürfe hierbei die jeweilige
Haushaltslage und die finanzielle Situation der gesetzlichen
Rentenversicherung berücksichtigen (BVerfGE 87, 1, 40 f).
21
Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber in der gesetzlichen
Rentenversicherung zahlreiche Regelungen geschaffen, die die
gleichzeitige Erziehung von Kindern und Erwerbstätigkeit der Eltern
verbessert haben. Seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung
im Jahr 1995 werden für Eltern, die ihre (iS der §§ 14, 15 SGB XI)
pflegebedürftigen Kinder betreuen, nach Maßgabe der § 44 SGB XI,
§§ 3, 166 SGB VI
(wie auch für sonstige Pflegepersonen iS des § 19 SGB XI)
Rentenversicherungsbeiträge entrichtet. Durch die zum 1.7.1998 in
Kraft getretene Neufassung des § 71 Abs 3 SGB VI werden im
Rahmen der Gesamtleistungsbewertung Berücksichtigungszeiten
wegen Kindererziehung besser bewertet. In Ausführung der
Entscheidung des BVerfG vom 12.3.1996
(1 BvR 609/90 und 692/90 - BVerfGE 94, 241 = SozR 3-2200 §
1255a Nr 5)
sind die Bewertungen der KEZ durch die zum 1.7.1998 in Kraft
getretene Neufassung des § 70 Abs 2 SGB VI verbessert worden.
Mit Wirkung zum 1.1.2002 wurde für Erziehungszeiten ab 1992 die
Regelung des § 70 Abs 3a SGB VI eingeführt, die unter den dort im
Einzelnen normierten Voraussetzungen die Anrechnung
zusätzlicher EP für Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung
vorsieht
(vgl auch BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120,
23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 47 f mwN)
.
22
Um den durch die Kindererziehung bedingten Nachteil bei der
Altersversorgung weiter abzubauen, hat der Gesetzgeber zum
1.7.2014 die KEZ für die vor dem 1.1.1992 geborenen Kinder durch
das RV-Leistungsverbesserungsgesetz um 12 Monate auf 24
Monate erhöht (vgl § 249 Abs 1 SGB VI) und diese Verbesserung
durch den Zuschlag an persönlichen EP für Kindererziehung
(§ 307d SGB VI) auf die Bestandsrenten übertragen. Die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers würde nach der Auffassung
des BVerfG unzulässig beschränkt, wenn es ihm verwehrt wäre,
eine derart komplexe Reform wie die Berücksichtigung von KEZ bei
der Altersversorgung in mehreren Stufen zu verwirklichen
(BVerfG Beschluss vom 29.3.1996 - 1 BvR 1238/95 -
Juris RdNr 8)
. Mit der Anhebung der Beitragszeit für Zugangsrentner mit vor dem
1.1.1992 geborenen Kindern von einem auf zwei Jahre durch das
RV-Leistungsverbesserungsgesetz hat der Gesetzgeber die
Ungleichbehandlung nicht vertieft, sondern vermindert
(so auch Koop, Die "Mütterrente" im verfassungsrechtlichen Kontext,
NZS 2015, S 650 ff, 652)
. Dem Auftrag des BVerfG, "sicherzustellen, dass sich mit jedem
Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert"
(vgl BVerfGE 87, 1, 41), ist der Gesetzgeber nachgekommen. Der
Zeitablauf seit der Entscheidung des BVerfG vom 7.7.1992 ändert
daran nichts, weil das BVerfG dem Gesetzgeber dort keine zeitliche
Grenze für die Umsetzung des Verfassungsauftrags gesetzt hat
(vgl BVerfG Beschluss vom 21.10.2004 - 1 BvR 1596/01
- Juris RdNr 8)
.
23
Dem Gesetzgeber ist es durch Art 3 Abs 1 GG nicht verwehrt, zur
Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen,
obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Einführung eines Stichtags
überhaupt notwendig ist und sich die Wahl des Zeitpunkts am
gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist
(vgl BVerfGE 101, 239, 270; 117, 272, 301 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7;
BVerfGE 123, 111, 128; 126, 369, 399 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9)
. Auch darf der Gesetzgeber nach Einschätzung des BVerfG
berücksichtigen, inwieweit die Rentenversicherungsträger überhaupt
personell in der Lage sind, erforderlichenfalls auch eine große Zahl
von bereits abgeschlossenen Rentenvorgängen wieder
aufzugreifen, um eine Rentenneuberechnung unter
(weitergehender) Berücksichtigung der KEZ durchzuführen. Zudem
hat das BVerfG den Gesetzgeber auch dazu berechtigt angesehen,
sich mit einer auf den Rentenzugang beschränkten Regelung zu
begnügen, wenn eine Einbeziehung der Bestandsrentner mit
besonders großem finanziellen Aufwand verbunden wäre
(vgl BVerfGE 87, 1, 44 f).
24
Vorliegend war der Gesetzgeber berechtigt, bezüglich der
Anerkennung von KEZ zwischen vor dem 1.1.1992 und ab dem
1.1.1992 geborenen Kindern zu unterscheiden. In der Begründung
der Entwurfsverfasser des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes ist
ausgeführt, das BVerfG habe nicht beanstandet, dass nur für
Geburten ab 1992 die anzurechnende KEZ von einem Jahr auf drei
Jahre verlängert worden sei, für die vor 1992 geborenen Kinder es
bei der Anrechnung von einem Jahr KEZ verblieben. Da jedoch in
früheren Zeiten noch nicht in dem Maße
Kinderbetreuungsmöglichkeiten bestanden hätten, hätten gerade
Mütter und Väter von vor 1992 geborenen Kindern Nachteile in ihrer
Alterssicherung hinnehmen müssen. Obwohl das BVerfG nicht
beanstandet habe, dass nur Geburten ab 1992 in die Begünstigung
einbezogen worden seien, werde diese ungleiche Honorierung von
Kindererziehung je nach Geburtsdatum des Kindes mit dem
vorliegenden Gesetz verringert. In Zukunft werde die
Erziehungsleistung für alle Mütter und Väter, deren Kinder vor 1992
geboren worden seien, durch Ausweitung der KEZ (um 12 Monate)
in der Rente anerkannt. Bei völliger Gleichstellung würden sich die
Kosten hierfür verdoppeln, was nicht finanzierbar sei
(vgl BT-Drucks 18/909, S 14 sowie S 3).
25
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber
den Bedürfnissen der Massenverwaltung durch generalisierende,
typisierende und pauschalierende Regelungen Rechnung tragen,
ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen
Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen
(vgl BVerfGE 100, 138, 174; BVerfG Beschluss vom 11.5.2005 - 1
BvR 368/97 ua - BVerfGE 112, 368, 404 = SozR 4-2600 § 307a Nr 3
RdNr 62)
. Hinzu kommt, dass die Gruppe der Klägerin zunächst gegenüber
der generellen Behandlung von Bestandsrentnern in § 306 Abs 1
SGB VI ausnahmsweise begünstigt wird, als insofern das neue
Recht überhaupt Berücksichtigung findet. Grundsätzlich ist der
Gesetzgeber nicht verpflichtet, bei einer Neuregelung einer
laufenden Rente die bereits zugrunde gelegten persönlichen EP neu
zu bestimmen (§ 306 SGB VI). Der Gesetzgeber hat hier eine
spezialgesetzliche Ausnahme gemacht und die Bestandsrentner
über § 307d SGB VI einbezogen.
26
Gleichermaßen gegenüber dem Regelfall der (maximal) dreijährigen
wie der (maximal) zweijährigen Anrechnung von KEZ bei
Zugangsrentnern mit vor dem 1.1.1992 geborenen Kindern ergeben
sich durch die pauschalierende Vorgehensweise des Gesetzgebers
zusätzliche Vorteile. Für den 13. bis 24. Kalendermonat nach der
Geburt des Kindes kommt es für Personen wie die Klägerin auf die
tatsächlichen Verhältnisse nicht an. Vielmehr wird für jedes Kind
unter den Voraussetzungen des § 307d SGB VI pauschal ein voller
persönlicher EP angerechnet. Damit ist der individuelle
Zugangsfaktor (§ 77 SGB VI) unerheblich. Zudem ist der Wert der
Anrechnung von KEZ - anders als in § 70 Abs 2 S 2 SGB VI - nicht
auf die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt. Keineswegs immer ist
daher der faktische Vergleichsfall die wertsteigernde
Berücksichtigung einer dreijährigen KEZ mit etwa einem EP pro
Jahr. Es erscheint insofern auch im Lichte des Art 3 Abs 1 GG
sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber - welcher bei
Schaffung der Regelung des § 307d SGB VI von rund 9,5 Millionen
Bestandsrenten ausging (vgl BT-Drucks 18/909 S 15) - aus Gründen
der Verwaltungspraktikabilität und zur Vermeidung umfangreicher
Neuberechnungen eine pauschalierende Regelung getroffen hat.
27
Im Bereich des sozialen Ausgleichs und damit auch hinsichtlich der
getroffenen Neuregelung zum 1.7.2014 hat der Gesetzgeber einen
weiten Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE 130, 240, 254). Der
Senat hat dies zu berücksichtigen und lediglich zu überprüfen, ob
Anhaltspunkte für eine offensichtlich unsachliche oder rechtswidrige
Regelung bestehen. Derartige Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.
Vielmehr hat der Gesetzgeber einen weiteren Schritt zum
Familienlastenausgleich unternommen und mit der pauschalen
Zuerkennung eines weiteren EP auch die laufenden
Rentenbezieher entsprechend effektiv in die Leistungsverbesserung
einbezogen.
28
bb) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs
1 GG vor zwischen Personen, die wegen Kindererziehung keine
oder eine weitgehend unterbrochene Erwerbsbiografie haben, und
solchen, die lückenlos erwerbstätig waren. Es ergibt sich daraus
keine Pflicht des Gesetzgebers, hinsichtlich der Begründung von
Rentenanwartschaften die Kindererziehung der Beitragszahlung
gleichzustellen (vgl BVerfGE 87, 1, 39 f). Dem Auftrag des BVerfG,
"sicherzustellen, dass sich mit jedem Reformschritt die
Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert"
(BVerfGE 87, 1, 41), ist der Gesetzgeber nachgekommen, zuletzt mit
der grundsätzlichen Anhebung der Beitragszeit von einem auf zwei
Jahre durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz. Der Zeitablauf
seit der Entscheidung des BVerfG aus 1992 ändert daran nichts,
weil das BVerfG dem Gesetzgeber dort keine zeitliche Grenze für
die Umsetzung des Verfassungsauftrags gesetzt hat
(vgl BVerfG Beschluss vom 21.10.2004 - 1 BvR 1596/01
- Juris RdNr 8)
.
29
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der
Rechtsprechung des BVerfG zur gesetzlichen Pflegeversicherung.
Das BVerfG
(Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-
3300 § 54 Nr 2)
hat es für mit dem GG vereinbar erachtet, dass Familien auf der
Leistungsseite der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht begünstigt
würden. Jedoch sei Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG verletzt,
wenn eine Entlastung nicht auf der Beitragsseite erfolge. Das BSG
hat eine verfassungsrechtlich gebotene Entlastung wegen
Betreuung und Erziehung von Kindern auf der Beitragsseite der
gesetzlichen Rentenversicherung verneint
(vgl BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 =
SozR 4-1100 Art 3 Nr 77; sowie BSG Urteile vom 5.7.2006 - B 12 KR
20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1, und vom 20.7.2017 - B 12 KR
14/15 R - vorgesehen: BSGE und SozR 4-1100 Art 3 Nr 84)
. Zum einen sei die in der sozialen Pflegeversicherung zu bejahende
Prämisse einer Mindestgeschlossenheit des
Sozialversicherungssystems in der gesetzlichen
Rentenversicherung nicht gegeben (vgl BSGE 120, 23, RdNr 36 ff).
Zum anderen habe der Gesetzgeber auch auf der Leistungsseite die
äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit
äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit
Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (vgl BVerfGE 87, 1) in
erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das
Leistungsspektrum gerade der gesetzlichen Rentenversicherung
eingefügt habe und die durch Kindererziehung entstehenden
Nachteile so systemgerecht bereits im Leistungsrecht der
gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen habe
(vgl BSGE 120, 23, RdNr 43, 46). Diese Auffassung hat das BVerfG
jedenfalls für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung
als verfassungsgemäß bestätigt. Demnach sei ein Ausgleich nicht
nur im Beitragsrecht möglich. Vielmehr wirkten sich Zeiten der
Kindererziehung im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit
rechtsbegründend aus
(§ 17 Abs 1 S 2 Nr 1 ALG iVm § 56 Abs 1 SGB VI). Diese
Argumentation lasse darauf schließen, dass das BVerfG die
Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar
angesehen habe und mache deutlich, dass auch das BVerfG für die
gesetzliche Rentenversicherung von einem ausreichenden
Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgehe. Die
Anerkennung von KEZ füge sich in die Struktur der
Rentenversicherung ein
(BSGE 120, 23 RdNr 49; BVerfG Beschluss vom
29.8.2007 - 1 BvR 858/03 - BVerfGK 12, 81, 83)
.
30
b) Die angegriffene Regelung des § 307d SGB VI verstößt auch
nicht gegen das Gleichberechtigungsgebot aus Art 3 Abs 2 GG.
31
Art 3 Abs 2 GG bietet Schutz auch vor faktischen
Benachteiligungen. Die Verfassungsnorm zielt auf die Angleichung
der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern
(vgl BVerfGE 87, 1, 42 = SozR 3-5761 Allg Nr 1; BVerfGE 109, 64,
89; 113, 1, 15 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 30)
. Durch die Anfügung von S 2 in Art 3 Abs 2 GG ist ausdrücklich
klargestellt worden, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auf die
gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt
(vgl BVerfGE 92, 91, 109; 109, 64, 89; 113, 1, 15 = SozR 4-1100 Art
3 Nr 30)
. In diesem Bereich wird die Durchsetzung der Gleichberechtigung
auch durch Regelungen gehindert, die zwar geschlechtsneutral
formuliert sind, im Ergebnis aber aufgrund natürlicher Unterschiede
oder der gesellschaftlichen Bedingungen überwiegend Frauen
betreffen (vgl BVerfGE 97, 35, 43; 104, 373, 393; 113, 1, 15).
Demnach ist es nicht entscheidend, dass eine Ungleichbehandlung
unmittelbar und ausdrücklich an das Geschlecht anknüpft. Über eine
solche unmittelbare Ungleichbehandlung hinaus erlangen für Art 3
Abs 2 GG die unterschiedlichen Auswirkungen einer Regelung für
Frauen und Männer ebenfalls Bedeutung.
32
Es kann dahinstehen, ob trotz des Anstiegs der Zahl berufstätiger
Frauen im allgemeinen noch immer Frauen die Kindererziehung
übernehmen und aus diesem Grund zumindest vorübergehend
ganz oder teilweise auf eine Berufstätigkeit verzichten
(vgl BVerfGE 113, 1, 19). Denn die Rechtfertigung einer faktischen
Benachteiligung kommt dann in Betracht, wenn die diskriminierende
Regelung auf hinreichenden sachlichen Gründen beruht. Dies ist -
wie ausgeführt - der Fall. Ein Verstoß von § 307d SGB VI gegen Art
3 Abs 2 GG kommt daher nicht in Betracht.
33
c) Ein Verstoß von § 307d Abs 2 S 1 SGB VI gegen Art 6 Abs 1 GG
iVm dem Sozialstaatsprinzip liegt ebenfalls nicht vor.
34
Art 6 Abs 1 GG enthält eine wertentscheidende Grundsatznorm, die
für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und
zu fördern (vgl BVerfGE 80, 81, 92 f; 105, 313, 346; 131, 239, 259).
Allerdings ist der Staat nicht gehalten, jegliche die Familie treffende
Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu
entlasten. Der Gesetzgeber ist aufgrund des Schutzauftrags aus Art
6 Abs 1 GG dazu verpflichtet, durch die Kindererziehung
entstehende Benachteiligungen in der Alterssicherung von
kindererziehenden Familienmitgliedern auszugleichen. Allerdings
verfügt er dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen
(vgl BVerfGE 87, 1, 39). Der Gesetzgeber darf nicht nur die jeweilige
Haushaltslage und die finanzielle Situation der gesetzlichen
Rentenversicherung (vgl BVerfGE 87, 1, 41), sondern auch über
Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen
System der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigen. Das
BVerfG ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon
ausgegangen, dass durch Kindererziehung entstehende Nachteile
innerhalb der Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung
ausgeglichen werden (vgl BVerfGE 94, 241, 263 f) und sich die
Anerkennung von KEZ in die Struktur der Rentenversicherung
einfügt (vgl BVerfGE 87, 1, 39 f).
35
Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber bei seinen Maßnahmen
zur erweiterten Anerkennung der Kindererziehungsleistung in der
gesetzlichen Rentenversicherung seit der Einführung der
Anrechnung von KEZ durch das am 1.1.1986 in Kraft getretene
HEZG regelmäßig innerhalb des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung geblieben ist. KEZ erhalten für die ersten drei
Lebensjahre von ab dem 1.1.1992 geborenen Kindern EP.
Berücksichtigungszeiten bis zur Vollendung des zehnten
Lebensjahres eines Kindes wurden durch das Rentenreformgesetz
1992 systemkonform eingeführt. Die Bewertung der KEZ hat der
Gesetzgeber bis zu einem Wert an EP entsprechend der
Beitragsleistung eines Durchschnittsverdieners in der gesetzlichen
Rentenversicherung durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen
Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999) vom 16.12.1997
(BGBl I 2998) angehoben.
36
Aus der in Art 6 Abs 1 GG enthaltenen Verpflichtung des Staats zur
Förderung der Familie ergibt sich kein gesetzliches Gebot, die
Erziehungsleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung stärker
leistungssteigernd zu berücksichtigen. Dies hat das BSG bereits
mehrfach im Zusammenhang mit der Begrenzung der Bewertung
zeitgleich zurückgelegter KEZ und sonstiger Beitragszeiten auf die
Höchstwerte der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze
entschieden
(vgl BSG Urteile vom 17.12.2002 - B 4 RA 46/01 R - SozR 3-2600 §
70 Nr 6 S 12 ff; und vom 18.5.2006 - B 4 RA 36/05 R - BSGE 96,
218 = SozR 4-2600 § 70 Nr 1 RdNr 18 f)
. Aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG iVm dem
Sozialstaatsgebot (Art 20 Abs 1 GG) lässt sich zwar die allgemeine
Pflicht des Staats zu einem Familienlastenausgleich entnehmen,
nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in
welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus
dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich
zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen
Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der
Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, oder konkrete
Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen nicht ableiten.
Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers
(vgl BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; BVerfGE 103,
242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 107, 205, 212
= SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445)
.
37
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.