Urteil des BSG vom 15.03.2018

Urteil vom 15.03.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 15.3.2018, B 3 KR 12/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:150318UB3KR1217R0
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 15.3.2018 - B 3
KR 18/17 R.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen
Landessozialgerichts vom 31. Januar 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem
Elektrorollstuhl.
2
Der 1958 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte
Kläger leidet seit 2012 ua an einem Zustand nach
Oberschenkelamputation. Er ist seitdem mit einem handbetriebenen
Rollstuhl mit E-Fix-Zusatzantrieb ausgestattet.
3
Am 1.12.2014 ging bei der Beklagten eine ärztliche Verordnung über
einen Elektrorollstuhl zusammen mit einem Kostenvoranschlag eines
zugelassenen Hilfsmittelerbringers über eine Fallkostenpauschale
von 3199,30 Euro für den begehrten Elektrorollstuhl B 500 des
Herstellers Otto Bock ein. Die Beklagte holte Auskünfte bei der
verordnenden Ärztin sowie einen Erprobungsbericht des
Hilfsmittelerbringers ein und veranlasste am 6.2.2015 eine Prüfung
durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der
am 10.2.2015 eine Stellungnahme fertigte. Mit Bescheid vom
11.2.2015 lehnte sie die Gewährung eines Elektrorollstuhl mangels
medizinischer Indikation ab. Das Widerspruchsverfahren des Klägers
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.6.2015).
4
Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, den Kläger mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen,
weil die beantragte Leistung gemäß § 13 Abs 3a SGB V als
genehmigt gelte (Urteil vom 24.9.2015). Am 3.12.2015 hat die
Beklagte (vorsorglich) einen Bescheid zur Rücknahme der
Genehmigungsfiktion nach § 45 SGB X erlassen.
5
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und den
Bescheid vom 3.12.2015 aufgehoben. Zur Begründung hat es
ausgeführt, die Beklagte habe die Fristen iS von § 13 Abs 3a S 1 bis
4 SGB V nicht eingehalten und dem Kläger dies nicht rechtzeitig und
ordnungsgemäß mitgeteilt. Deshalb gelte die Leistung nach § 13 Abs
3a S 6 SGB V als genehmigt und dem Kläger stehe daraus ein
Sachleistungsanspruch zu. Der Ausnahmetatbestand des § 13 Abs
3a S 9 SGB V stehe dem nicht entgegen. Hilfsmittel seien
grundsätzlich keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im
Sinne dieser Vorschrift. Denn anders als im Anwendungsbereich von
§ 14 SGB IX sei der Begriff der medizinischen Rehabilitation iS von §
13 Abs 3a S 9 SGB V im Hinblick auf die Funktion und den
Ausnahmecharakter dieser Vorschrift eng auszulegen. Die
eingetretene Genehmigungsfiktion sei durch den
Rücknahmebescheid der Beklagten vom 3.12.2015, der in analoger
Anwendung von § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des
Berufungsverfahrens geworden sei, nicht wirksam beseitigt worden,
weil er wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig sei
(Urteil vom 31.1.2017).
6
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts,
ua einen Verstoß gegen §§ 12, 13 Abs 3a SGB V und §§ 14, 15 SGB
IX. § 13 Abs 3a SGB V verlange keinen Hinweis auf das Bestehen
einer gesetzlichen Frist oder die Mitteilung einer taggenauen
Fristverlängerung. Die Vorschrift erfasse nur notwendige und
geeignete Leistungen entsprechend dem Qualitäts- und
Wirtschaftlichkeitsgebot und sei zudem auf Kostenerstattung
beschränkt. Sachleistungsansprüche begründe die Vorschrift nicht.
Ein Elektrorollstuhl gehöre als Hilfsmittel außerdem zu den
Leistungen der medizinischen Rehabilitation und schon deshalb nicht
in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Der Kläger sei mit dem
vorhandenen Leichtgewichtsrollstuhl mit E-Fix-Zusatzantrieb
ausreichend versorgt.
7
Die Beklagte beantragt sinngemäß schriftsätzlich,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar
2017 sowie des Sozialgerichts Nürnberg vom 24. September 2015
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
9
Der Kläger hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Revision der beklagten Krankenkasse ist im Sinne der
Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
(§ 170 Abs 2 S 2 SGG) begründet.
11
Die Versorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl lässt sich
nicht mit Erfolg auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6
SGB V stützen, weil S 9 dieser Vorschrift Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation dem Regelungssystem des SGB IX
zuweist und diese Leistungen daher insgesamt nicht vom
sachlichen Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion sowie der
Regelungen aus § 13 Abs 3a SGB V erfasst werden
(hierzu im Folgenden 1.).
12
Ansprüche auf Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V, für die
der 3. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG in
Revisionsverfahren allein zuständig ist, fallen nur dann unter den
Begriff der "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation", wenn das
Hilfsmittel dem Ausgleich oder der Vorbeugung einer Behinderung
dienen soll (§ 33 Abs 1 S 1 Var 2 und 3 SGB V). Der sachliche
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ist deshalb lediglich für
Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung iS von
§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V eröffnet. Bei dem hier im Streit
stehenden Elektrorollstuhl handelt es sich jedoch um ein Hilfsmittel
zum Behinderungsausgleich, sodass § 13 Abs 3a SGB V für eine
darauf gerichtete Leistungsgewährung keine Anwendung findet
(hierzu 2.).
13
Es fehlen indessen hinreichende Feststellungen des LSG - von
seinem Lösungsansatz aus konsequent - sowohl zu den
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit einem
Elektrorollstuhl nach § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V als auch zu den
Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs aus dem Bereich
eines anderen Rehabilitationsträgers (vgl § 6 Abs 1 SGB IX),für den
die Beklagte als erstangegangene Rehabilitationsträgerin iS von §
14 Abs 2 S 1 SGB IX
(idF des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, BGBl I 606, gültig bis
31.12.2017 )
mangels Weiterleitung des Antrags im Verhältnis zum Kläger
umfassend zuständig geworden ist. Daher kann der Senat nicht
abschließend selbst in der Sache entscheiden (hierzu 3.).
14
1. Die Genehmigungsfiktion sowie die Regelungen aus § 13 Abs 3a
SGB V insgesamt sind auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation nicht anwendbar. Denn § 13 Abs 3a S 9 SGB V
(hier heranzuziehen in der seit 26.2.2013 geltenden Fassung von
Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von
Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl I
277, gültig bis 31.12.2017 )
verweist für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf das
Rehabilitations- und Teilhaberecht, das in §§ 14 und 15 SGB IX
(in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung durch Art 1 und 68 des
Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch - Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046, gültig
bis 31.12.2017 , sowie in §§ 14 bis 24 SGB IX
idF von Art 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen
vom 23.12.2016, BGBl I 3234,
mWv 1.1.2018 )
ein eigenständiges, in sich geschlossenes System bei
Überschreitung von Entscheidungsfristen mit entsprechenden
Sanktionen vorhält. Eine Kombination dieser Regelungssysteme ist
nicht möglich (hierzu im Folgenden a). Die Systemzuweisung nach §
13 Abs 3a S 9 SGB V knüpft an den allgemeinen und schon vor
Inkrafttreten von § 13 Abs 3a SGB V bestehenden Begriff der
medizinischen Rehabilitation an (hierzu b). Maßgeblich für die
Systemabgrenzung ist insoweit allein das objektive Recht, nicht
dagegen, ob der Versicherte die Leistung (als nichtrehabilitative
Leistung) iS von § 13 Abs 3a S 7 SGB V für erforderlich halten durfte
(hierzu c).
15
a) Die Regelungssysteme von § 13 Abs 3a SGB V einerseits und
von §§ 14, 15 SGB IX aF andererseits kollidieren miteinander und
lassen sich daher weder miteinander kombinieren noch gleichzeitig
anwenden
(so auch BSG <1. Senat> Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R -
BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 15)
. Sie schließen sich vielmehr gegenseitig aus. Daher findet § 13 Abs
3a SGB V insgesamt auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation keine Anwendung
(so auch vgl Knispel, GesR 2017, 749, 756; Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, K § 13 RdNr 58 q
2016>; Helbig in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, §
13 RdNr 76; Hahn, SGb 2015, 144, 147 f)
. Nicht zu folgen ist demgegenüber der teilweise vertretenen Ansicht,
dass die Zuweisungsnorm von § 13 Abs 3a S 9 SGB V aF nur
bezüglich der Zuständigkeitsklärung und der Erstattung selbst
beschaffter Leistungen auf die Regelungen des SGB IX verweise,
sich aber der aus der Genehmigungsfiktion resultierende
Sachleistungsanspruch nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V
(vgl dazu ua BSG <1. Senat> Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R
- Juris RdNr 12 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-
2500 § 13 Nr 36 vorgesehen)
auch für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ergeben
könne
(so aber ua Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2017 - L 5 KR 471/15 -
Juris RdNr 57 f; SG Speyer Urteil vom 18.11.2016 - S 19 KR 329/16
- Juris LS 2 und RdNr 27 f)
. Dieser Ansicht stehen sonst nicht auflösbare Normkonflikte
entgegen.
16
Während nach § 13 Abs 3a S 6 iVm S 1 SGB V die Leistung bereits
drei Wochen nach Antragseingang als genehmigt gilt, falls die
Krankenkasse ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes und
ohne Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme nicht darüber
entschieden hat, tritt nach dem bis zum 31.12.2017 geltenden Recht
der Rehabilitation und Teilhabe bei Überschreitung der
vorgesehenen Fristen keine Genehmigungsfiktion ein. Vielmehr
kann sich ein Leistungsberechtigter nach § 15 Abs 1 S 2 und 3 SGB
IX aF die Leistung nur dann gegen Kostenerstattung selbst
beschaffen, wenn er dem Rehabilitationsträger zuvor eine
angemessene Frist unter Androhung der Selbstbeschaffung nach
Fristablauf gesetzt hat. Diese Regelung liefe bei Eintritt einer
Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V leer. Wird eine
gutachtliche Stellungnahme eingeholt, gilt nach § 13 Abs 3a S 1
SGB V grundsätzlich eine Fünf-Wochenfrist ab Antragseingang,
während der Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 S 4 SGB IX aF
innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens
entscheiden muss. Bei paralleler Anwendung beider Normsysteme
könnte in diesen Fällen die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a
S 6 SGB V selbst dann eintreten, wenn sich der
Rehabilitationsträger noch im Rahmen der nach § 14 Abs 2 S 4 SGB
IX aF vorgegebenen Fristen hält. Schließlich könnte es zum Eintritt
der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V auch dann
kommen, wenn die Krankenkasse einen Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe rechtmäßig nach § 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX aF
innerhalb von zwei Wochen an den zuständigen
Rehabilitationsträger weiterleiten, dies dem Versicherten aber nicht
innerhalb der Drei-Wochenfrist des § 13 Abs 3a SGB V mitteilen
würde.
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Die vorstehenden Erwägungen schließen ein Nebeneinander beider
Normkomplexe ersichtlich aus und fordern eine klare
Systemabgrenzung, die nach den Vorschriften zur Kostenerstattung
nach § 13 Abs 3 SGB V nicht notwendig war und ist. Zwar verweist
auch § 13 Abs 3 S 2 SGB V
(idF von Art 5 Nr 7 Buchst b nach Maßgabe des Art 67 SGB IX, aaO,
mWv 1.7.2001)
hinsichtlich der Kosten für selbst beschaffte "Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation nach dem SGB IX" auf die
Erstattungsregelung von § 15 SGB IX aF
(bzw seit 1.1.2018 Verweisung auf § 18 SGB IX idF des BTHG),
allerdings ist insoweit aufgrund der Parallelität der Ansprüche und
ihrer Voraussetzungen eine kollidierende Systemabgrenzung nicht
erforderlich (vgl BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 42).
18
b) Den mit der Schaffung von § 13 Abs 3a SGB V entstandenen
Konflikt kollidierender Systeme löst § 13 Abs 3a S 9 SGB V durch
eine generelle Zuweisung in das System des SGB IX auf. Dies hat
zur Folge, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im
Sinne des SGB V und des SGB IX von vornherein nicht vom
sachlichen Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a S 6 und S 7 SGB
V erfasst werden
(bzw sind sie hiervon "ausgeklammert", so bereits BSG Urteil vom
8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr
33, RdNr 15)
. Derartige Leistungen sind vielmehr allein dem Regelungsgefüge
des Teilhaberechts
(§§ 14, 15 SGB IX aF bzw seit 1.1.2018 §§ 14 bis 24 SGB IX idF des
BTHG)
unterstellt. Es handelt sich um eine Systemabgrenzung, wie sie für
die nach dem SGB V zu gewährenden Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) schon vor Inkrafttreten von § 13 Abs 3a
SGB V bestand, und an die § 13 Abs 3a S 9 SGB V anknüpft. Denn
die Regelungen des SGB IX gelten für alle Leistungen der
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, und zwar auch,
soweit es sich dabei um Leistungen der GKV nach dem SGB V
handelt. Die SGB IX-Regelungen gelten hingegen ausschließlich für
Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen,
dh nicht für die sonstigen Leistungen der GKV (vgl § 11 SGB V),
insbesondere nicht für solche zur kurativen (Akut-)Behandlung einer
Krankheit
(zur Abgrenzung allgemein vgl zB Noftz in Hauck/Noftz, aaO, K § 11
RdNr 48 ff )
.
19
Während das für Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen geschaffene SGB IX eigenständig
Gegenstände, Umfang und Ausführungen von Teilhabeleistungen
regelt, wird hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen
für die Leistungen zur Teilhabe nach § 7 S 2 SGB IX aF
ausschließlich auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger
geltenden Leistungsgesetze verwiesen. Die Vorschriften des SGB
IX sind maßgebend, soweit etwa im SGB V nichts Abweichendes
vorgesehen ist (vgl § 7 S 1 SGB IX aF). Die Krankenkassen sind in
ihrer Eigenschaft als Träger von Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation (vgl § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX) nach den
Vorschriften des SGB V zur Erbringung solcher
Rehabilitationsleistungen unter den dort genannten
Voraussetzungen verpflichtet
(vgl § 11 Abs 2, § 40 SGB V; stRspr; vgl nur BSGE 98, 277 = SozR
4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 18)
. Deshalb verliert die GKV ihre originäre Leistungszuständigkeit für
Hilfsmittel nach § 33 SGB V nicht, selbst wenn die Hilfsmittel im
Einzelfall als Folge der hier vorzunehmenden Systemzuordnung als
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu qualifizieren sind.
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Die in § 13 Abs 3a SGB V eingefügte Genehmigungsfiktion für selbst
beschaffte Leistungen hat die aufgezeigten Systemgrenzen im
Grundsatz unberührt gelassen. Dies belegen die
Gesetzesmaterialien zu dieser Regelung, die ausdrücklich (bloß)
klarstellen, dass für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die
§§ 14, 15 SGB IX aF zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung
selbst beschaffter Leistungen gelten und dass Spezialregelungen im
SGB V wie zB § 32 Abs 1a (Genehmigungsfiktion bei Heilmitteln)
vorrangig anzuwenden sind
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PatRVerbG, BT-
Drucks 17/10488 S 32 zu Art 2 Nr 1)
. Überdies bestätigt auch die Neuregelung des § 13 Abs 3a S 9 SGB
V (idF des BTHG),dass für Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation die im SGB IX neu geregelten Vorschriften der §§ 14
bis 24 SGB IX (idF des BTHG) zur Koordinierung der Leistungen
und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen gelten. Hierzu
enthalten die Gesetzesmaterialien den Hinweis, dass es sich um
eine rein redaktionelle Folgeänderung aufgrund der Neufassung der
vorgenannten Vorschriften handele
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG, BT-Drucks
18/9522 S 322 zu Art 6 Nr 5 Buchst b).
21
Nach dieser Systemzuweisung gelten die Vorschriften des SGB IX
für die GKV grundsätzlich nur, soweit die Krankenkasse als
Rehabilitationsträgerin für Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation, unterhaltssichernde und andere ergänzende
Leistungen (§ 6 Abs 1 Nr 1, § 5 Nr 1 SGB IX) originär zuständig ist
(vgl § 11 Abs 2 S 1 und 3 SGB V, § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V, § 40
SGB V)
oder soweit die Krankenkasse im Außenverhältnis zum
Leistungsberechtigten für Teilhabeleistungen nach § 14 Abs 2 SGB
IX zuständig geworden ist. Für Leistungen zur Teilhabe nach den in
§ 5 SGB IX aufgeführten Leistungsgruppen, für welche originär ein
anderer Rehabilitationsträger zuständig ist, kann der
erstangegangene Rehabilitationsträger zuständig werden, wenn er
den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen an den zuständigen
Rehabilitationsträger weiterleitet (§ 14 Abs 2 S 1 SGB IX). Außerdem
kann ein originär unzuständiger Rehabilitationsträger für eine
Leistung (bindend) zuständig werden, wenn ein Antrag trotz seiner
Unzuständigkeit an ihn weitergeleitet wurde
(§ 14 Abs 1 S 3 und 5 SGB IX aF bzw § 14 Abs 2 S 4 iVm Abs 3
SGB IX idF des BTHG)
. In diesen Fällen gelten die Vorschriften zur Koordinierung der
raschen Zuständigkeitsklärung und zur Kostenerstattung nach §§
14, 15 SGB IX aF
(bzw seit 1.1.2018 §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG), an die die
Krankenkasse als Rehabilitationsträgerin nach dem SGB IX
gebunden ist, nicht aber § 13 Abs 3a SGB V.
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c) Maßstab für die Systemabgrenzung ist bei alledem allein das
objektive Recht. Denn eine Systemabgrenzung lässt sich aus
Gründen der gebotenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht
anhand subjektiver (Rechts-)Vorstellungen der Betroffenen
vornehmen. Die damit ggf (allein) für die Leistungsberechtigten
verbundene Unsicherheit bezüglich des Eintritts einer
Genehmigungsfiktion und eines möglichen Anspruchs auf
Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung ist hinzunehmen. Dies gilt
ungeachtet der Rechtsprechung sowohl des 1. Senats
(BSG Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 = SozR
4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25 f)
als auch des 3. Senats des BSG
(vgl Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - Juris RdNr 39, zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 34 vorgesehen
- Kopforthese)
, nach der es für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs
3a S 6 SGB V und den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs
3a S 7 SGB V grundsätzlich nicht auf die objektive Erforderlichkeit
der Leistung, sondern lediglich darauf ankommt, ob der Versicherte
sie subjektiv für erforderlich halten durfte
(vgl Werner, SGb 2015, 323, 325; aA Knispel, SGb 2014, 374, 376;
von Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 604)
. Der Ausschluss des Anwendungsbereichs von § 13 Abs 3a SGB V
für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
(§ 13 Abs 3a S 9 SGB V) ist gegenüber diesem Grundsatz vorrangig
und schließt eine Leistungsgewährung über § 13 Abs 3a SGB V
aus, unabhängig davon, ob sie der Versicherte für eine
nichtrehabilitative Leistung halten durfte und sie iS von § 13 Abs 3a
S 7 SGB V als erforderlich ansehen durfte.
23
2. Zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem
SGB V kann zwar nach ständiger Rechtsprechung auch die
Versorgung mit sächlichen Hilfsmitteln der GKV nach § 33 SGB V
gehören
(vgl zuletzt BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 21 mwN
- Hörgerät)
. Gleichwohl wird die Versorgung mit Hilfsmitteln der GKV
systematisch der Krankenbehandlung zugeordnet
(§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V). Daraus ergeben sich zwangsläufig bei
der Auslegung des § 13 Abs 3a SGB V Abgrenzungsfragen. Mit
Rücksicht auf die schon in § 33 Abs 1 S 1 SGB V angelegte
unterschiedliche Zielrichtung von Hilfsmitteln sind allerdings nicht
sämtliche Hilfsmittel der GKV gleichermaßen vom
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V erfasst bzw
ausgeklammert. Für eine systemgerechte Zuordnung des jeweils zu
beurteilenden Hilfsmittels bedarf es vielmehr einer Differenzierung
nach dessen Funktionalität und Zwecksetzung
(hierzu im Folgenden a), die im Wesentlichen auf die
Unterscheidung zwischen den Begriffen "Krankheit" und
"Behinderung" zurückzuführen ist (hierzu b). Nach dieser
Abgrenzung finden die Regelungen des § 13 Abs 3a SGB V allein
auf Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung
(§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V) Anwendung, denn als Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation sind alle anderen Hilfsmittel vom
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ausgenommen
(hierzu c). Diese Unterscheidung wird durch das Richtlinienrecht des
Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) bestätigt (hierzu d) und
ist sachlich gerechtfertigt und daher nicht gleichheitswidrig (hierzu e).
Der im vorliegend zu entscheidenden Fall vom Kläger begehrte
Elektrorollstuhl ist auf den Zweck des Behinderungsausgleichs und
nicht auf Krankenbehandlung gerichtet, sodass § 13 Abs 3a SGB V
keine Anwendung findet (hierzu f).
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a) Hilfsmittel können nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V drei
unterschiedlichen Zielrichtungen dienen: der "Sicherung des Erfolgs
der Krankenbehandlung" (Var 1), dem "Vorbeugen vor
Behinderung" (Var 2) oder dem "Behinderungsausgleich" (Var 3).
Der 3. Senat hat in seiner Rechtsprechung hierzu bereits ausgeführt,
dass es sich bei der Versorgung mit einem sächlichen Hilfsmittel
nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation iS von § 13
Abs 3a S 9 SGB V handelt, wenn der Einsatz des Hilfsmittels der
"Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" dient
(vgl BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - Juris RdNr 35 ff,
auch für BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 34 vorgesehen -
Kopforthese)
. Hieran hält der Senat fest. Hilfsmittel dienen dann der "Sicherung
des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn sie im Rahmen einer
Krankenbehandlung, dh zu einer medizinisch-therapeutischen
Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der GKV nach
dem SGB V eingesetzt werden. Krankenbehandlung umfasst dabei
nach der Definition des § 27 Abs 1 S 1 SGB V die notwendigen
Maßnahmen, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu
lindern. Das umschreibt die kurative Therapie einer Krankheit, wozu
auch medizinische Untersuchungs- und Diagnostikverfahren
gehören. Insoweit unterliegt auch das Hilfsmittel selbst den
Vorschriften zur Qualitätssicherung vertragsärztlicher
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, insbesondere dem
Erfordernis der positiven Empfehlung durch den GBA, soweit die
Verwendung des Hilfsmittels untrennbar mit einer neuen Methode
verbunden ist
(vgl nur BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 LS und RdNr 26 ff - CGMS-
Gerät).
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Dem steht nicht entgegen, dass nach dem SGB IX Hilfsmittel zur
Sicherung des Erfolgs einer Heilbehandlung zu den Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation gehören
(§ 26 Abs 2 Nr 6 SGB IX iVm § 31 Abs 1 Nr 2 SGB IX aF, bzw § 42
Abs 2 Nr 6 SGB IX iVm § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG)
. Denn nach dem insoweit unterschiedlichen Wortlaut erfasst § 31
Abs 1 Nr 2 SGB IX aF(bzw § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG)
gerade nicht die kurative Krankenbehandlung iS von § 27 Abs 1 S 1
SGB V, sondern die "Heilbehandlung", die als Leistung zur
medizinischen Rehabilitation zB im Rahmen einer stationären oder
ambulanten medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs 1 und 2
SGB V von der GKV erbracht wird. Solche
Rehabilitationsmaßnahmen werden durch Vorsorge- und
Rehabilitationseinrichtungen erbracht, in denen nach § 107 Abs 2 Nr
2 SGB V die Anwendung von Heilmitteln (§ 32 SGB V) im
Vordergrund des ärztlichen Behandlungsplans steht. Durch den
vorrangig auf den Teilhabeausgleich gerichteten Zweck der durch
eine Rehabilitationseinrichtung erbrachten medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme wird auch das zur Sicherung dieser
Behandlung eingesetzte Hilfsmittel eine Leistung zur medizinischen
Rehabilitation.
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Ein Hilfsmittel wird aber auch losgelöst von einem kurativen
Untersuchungs- oder Behandlungskonzept als Mittel der
medizinischen Rehabilitation eingesetzt, wenn es der Vorbeugung
vor oder dem Ausgleich von Behinderung dient. Es zielt in solchen
Fällen nicht primär auf das Erkennen, Heilen, Verhüten oder Lindern
von "Krankheit" iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V, sondern in erster Linie
darauf, eine "Behinderung" oder "Pflegebedürftigkeit" abzuwenden,
zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder ihre "Folgen" zu mildern
(vgl § 11 Abs 2 SGB V; § 4 Abs 1 Nr 1, § 26 Abs 1 Nr 1 SGB IX aF).
Als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist das Hilfsmittel dann
unter Beachtung der Regelungen des SGB IX zu erbringen
(§ 11 Abs 2 S 3 SGB V). Maßgeblich ist demnach - vereinfacht
gesagt -, ob entweder mit dem Hilfsmittel positiv auf eine Krankheit
eingewirkt werden soll oder ob vielmehr eine Behinderung
ausgeglichen oder sonst günstig beeinflusst oder ihr Eintritt
verhindert werden soll. Diese Differenzierung basiert im
Wesentlichen auf der Unterscheidung zwischen Krankheit und
Behinderung
(vgl zB Noftz in Hauck/Noftz, aaO, K § 11 SGB V RdNr 50 f
Einzelkommentierung Oktober 2017>; Welti, Rehabilitation 2010,
537 ff; ders, Sozialrecht aktuell, Sonderheft 2013, 1 ff)
.
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b) Der Begriff der Krankheit ist im SGB V nicht näher definiert. Nach
ständiger Rechtsprechung des BSG ist Krankheit ein regelwidriger
körperlicher oder geistiger Zustand, der behandlungsbedürftig ist
oder den Versicherten arbeitsunfähig macht
(so schon BSGE 26, 240, 242 = SozR Nr 23 zu § 182 RVO; BSGE
30, 151, 152 f = SozR Nr 37 zu § 182 RVO)
. Dies hat die höchstrichterliche Rechtsprechung im Laufe der Zeit
dahingehend präzisiert, dass nicht schon jeder körperlichen
Unregelmäßigkeit Krankheitswert zukommt. Erforderlich ist vielmehr
zusätzlich, dass der Versicherte dadurch in seinen Körperfunktionen
beeinträchtigt wird oder die Abweichung vom Regelzustand
entstellende Wirkung hat
(stRspr; vgl nur BSG <3. Senat> Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15
R - Juris RdNr 22, auch für BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 34
vorgesehen - Kopforthese;
BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10; BSGE 100, 119 = SozR 4-
2500 § 27 Nr 14, RdNr 11; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3,
RdNr 5 f; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, RdNr 16; vgl auch
Hauck, NJW 2016, 2695, 2696 f; zur Unterscheidung zwischen
Krankheit und Behinderung ferner bereits BSG SozR 4-2500 § 33 Nr
48 RdNr 19, 29 f).
28
Nach § 2 Abs 1 SGB IX in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung
(Fundstelle s oben unter 1. vor a) sind demgegenüber Menschen
behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder
seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen
und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt
ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu
erwarten ist. Seit 1.1.2018 erfasst § 2 Abs 1 S 1 SGB IX
(idF des BTHG) als Menschen mit Behinderungen solche, die
körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen
haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und
umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an
der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der
Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter
typischen Zustand abweicht (§ 2 Abs 1 S 2 SGB IX idF des BTHG).
Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine
Beeinträchtigung zu erwarten ist
(§ 2 Abs 1 S 3 SGB IX idF des BTHG).
29
Erschwert wird eine Abgrenzung zwischen Krankheit und
Behinderung durch die Parallelen beider Begriffe, insbesondere die
Maßgeblichkeit einer (Funktions-)Abweichung vom Regelzustand
als dem für das Lebensalter typischen Zustand. Bei chronischen
Krankheiten besteht Parallelität auch bezüglich der Dauerhaftigkeit,
weshalb auch dieses Kriterium zur Abgrenzung ausscheidet. Als
maßgebliches Unterscheidungskriterium ist deshalb in erster Linie
die auf der (Funktions-)Abweichung beruhende
Teilhabebeeinträchtigung heranzuziehen, die sich aus der
Wechselwirkung des Gesundheitsproblems mit inneren und
äußeren Kontextfaktoren ergibt. Denn die Teilhabebeeinträchtigung
gehört ausschließlich zur Charakteristik der Behinderung, nicht der
Krankheit. Der 3. Senat des BSG hat bereits in seinem Urteil vom
30.9.2015 die besondere Bedeutung der Teilhabebeeinträchtigung
für den Begriff der Behinderung nach dem SGB IX mit Rücksicht auf
die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und insbesondere
den sich aus Art 1 Abs 2 UN-BRK ergebenden Begriff der
Behinderung betont
(SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 19 - Fingerendgliedprothese).
Danach zählen zu den "Menschen mit Behinderungen" Menschen,
die langfristige körperliche, seelische, geistige oder
Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit
verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und
gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. An
diesem Begriff orientiert sich auch die Rechtsprechung des EuGH
(vgl Urteil vom 18.12.2014 - C-354/13-
RdNr 59 - Kaltoft - Kündigung wegen Adipositas). Danach wird
Behinderung nicht als ein fest definiertes Konzept verstanden,
sondern ist dynamisch und von den jeweiligen
sondern ist dynamisch und von den jeweiligen
Wechselbeziehungen mit umweltbezogenen und
personenbedingten Kontextfaktoren abhängig
(Präambel lit e und Art 1 Abs 2 UN-BRK). Der Behinderungsbegriff
entwickelt sich somit fortlaufend weiter und passt sich an die
jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen an. Daher ist jeweils im
konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine Beeinträchtigung der vollen,
wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe vorliegt. Schließlich ist
zwar die Regelwidrigkeit und die Funktionsstörung nach
medizinischen Maßstäben zu beurteilen, die Beeinträchtigung der
Teilhabe kann jedoch auch nach soziologischen und
pädagogischen Maßstäben bestimmt werden
(vgl hierzu auch Papadopoulou, Anmerkung zu EuGH, aaO, Forum
B, Beitrag B9-2015 unter www.reha-recht.de, 10.7.2015; zum Begriff
der Behinderung vgl auch Löbner, Behindertenrecht 2015, 1
ff sowie BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 RdNr 21, 28 - Perücke).
30
Leistungen zur Rehabilitation werden deshalb nach dem SGB IX
auch als Leistungen zur Teilhabe bezeichnet. Sie zielen auf die
Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 1 SGB IX). Wegen der
fließenden Übergänge und Überschneidungsbereiche zwischen
Krankenbehandlung und Rehabilitation ist auf den Schwerpunkt und
die Zielrichtung der jeweiligen Maßnahme abzustellen.
31
c) Im Bereich der Hilfsmittel gehören vor diesem Hintergrund - neben
den Hilfsmitteln zur Sicherung einer Heilbehandlung iS von § 31 Abs
1 Nr 2 SGB IX aF
(bzw § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG, vgl hierzu oben 2.a) -
sowohl Hilfsmittel zur Vorbeugung vor Behinderung iS von § 33 Abs
1 S 1 Var 2 SGB V als auch Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich
iS von § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V zu den Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation und zwar unabhängig davon, ob sie
dem unmittelbaren oder dem mittelbaren Behinderungsausgleich
dienen.
32
Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich und zur Vorbeugung vor
Behinderung werden nicht mit dem vorrangigen Ziel eingesetzt, auf
die Krankheit, dh auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand
als solchen, kurativ-therapeutisch einzuwirken. Sie sollen vielmehr in
erster Linie die mit diesem regelwidrigen Zustand bzw mit der
Funktionsbeeinträchtigung verbundene (oder im Falle der
Vorbeugung zu erwartende) Teilhabestörung ausgleichen, mildern,
abwenden oder in sonstiger Weise günstig beeinflussen, um die
Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen von Menschen mit
Behinderungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken
(vgl § 1 SGB IX). Bei der Beurteilung eines Anspruchs auf
Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich und
zur Vorbeugung einer Behinderung ist daher dem Teilhabeaspekt
die nach dem SGB IX vorgesehene Bedeutung zuzumessen. Ein
Einsatz im Rahmen einer ambulanten oder stationären
Rehabilitationsmaßnahme in einer entsprechenden
Rehabilitationseinrichtung ist nicht erforderlich.
33
An dieser Stelle bedarf es im Übrigen keiner weiteren
Differenzierung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren
Behinderungsausgleich eines Hilfsmittels nach § 33 SGB V
(vgl dazu bereits näher BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 18 -
Fingerendgliedprothese).
Denn auch beim unmittelbaren Behinderungsausgleich steht nicht
die Krankheitsbehandlung iS von § 27 Abs 1, § 28 Abs 1 S 1 SGB V
im Vordergrund (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 10),
sondern der Bezug zur Behinderung und seiner teilhabeorientierten
Begriffsbestimmung nach dem SGB IX.
34
Zwar ersetzt das Hilfsmittel beim unmittelbaren
Behinderungsausgleich die ausgefallene oder beeinträchtigte
Körperfunktion unmittelbar selbst, während es beim mittelbaren
Behinderungsausgleich nur die direkten und indirekten
Behinderungsfolgen ausgleicht
(stRspr; vgl nur zuletzt BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42,
RdNr 16; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 44 RdNr 19; BSG SozR 4-2500
§ 33 Nr 48 RdNr 18)
. Das Funktionsdefizit wird aber auch bei Hilfsmitteln zum
unmittelbaren Behinderungsausgleich (im Schwerpunkt) nicht kurativ
behandelt, sondern lediglich möglichst weitreichend kompensiert.
Denn es wird mit dem Hilfsmittel nicht in erster Linie auf den
regelwidrigen bzw funktional beeinträchtigten Körperzustand mit
dem Ziel der Heilung oder Besserung in einem kurativ-
therapeutischen Sinne eingewirkt. Vielmehr bleibt der vom Regelfall
abweichende Körper- oder Geisteszustand als solcher trotz
Einsatzes des Hilfsmittels im Wesentlichen unverändert. Das
Vorgehen beim Einsatz von Hilfsmitteln gleicht vielmehr
hauptsächlich die Funktionsbeeinträchtigung aus oder ersetzt die
beeinträchtigte Funktion, um dem Versicherten wieder eine
vollständige oder zumindest weniger beeinträchtigte Teilhabe in der
Gesellschaft zu ermöglichen. Es setzt mithin - selbst wenn es dem
unmittelbaren Behinderungsausgleich zuzurechnen ist - vorrangig
erst an den Folgen des medizinisch dann häufig schon
austherapierten regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands an und
dient nicht (mehr) dessen Behandlung oder gar Wiederherstellung.
35
d) Diese systematische Abgrenzung und teilweise Zuordnung der
Hilfsmittel zum Bereich der medizinischen Rehabilitation wird
bestätigt durch die - auf § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V beruhende -
Reha-RL des GBA vom 16.3.2004
(BAnz Nr 63 S 6769, in Kraft getreten am 1.4.2004, zuletzt geändert
durch Beschluss vom 16.3.2017, BAnz AT 8.6.2017 B1, in Kraft
getreten am 9.6.2017)
sowie die - durch § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ermächtigte - Richtlinie
des GBA über die Verordnung von Hilfsmitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung
(HilfsM-RL vom 21.12.2011/15.3.2012, BAnz AT 10.4.2012 B2, in
Kraft getreten am 1.4.2012, zuletzt geändert durch Beschluss des
GBA vom 24.11.2016, BAnz AT 16.2.2017 B3, in Kraft getreten am
17.2.2017)
.
36
Die Reha-RL bezieht sich nur auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation nach § 11 Abs 2 SGB V iVm §§ 40, 41 SGB V, die in
oder durch Einrichtungen erbracht werden, mit denen ein
Versorgungsvertrag besteht (vgl § 2 Abs 2 und 3 Reha-RL) und
nimmt andere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation - zB
solche, die in den Zuständigkeitsbereich anderer
Rehabilitationsträger fallen, oder die Früh- und
Anschlussrehabilitation - ausdrücklich von ihrem Geltungsbereich
aus (vgl § 3 Reha-RL). Es handelt sich daher insoweit um die
Bestimmung des Geltungsbereichs der Richtlinie, nicht um eine
Begriffsbestimmung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Soweit nach § 4 Abs 3 Reha-RL "einzelne Leistungen der kurativen
Versorgung (z.B. Heil- oder Hilfsmittel) oder deren Kombination … für
sich allein noch keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im
Sinne dieser Richtlinie" darstellen, entspricht die darin enthaltene
Unterscheidung zwischen Leistungen der kurativen Versorgung und
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der hier
vorgenommenen Abgrenzung.
37
Auch bei Erlass der HilfsM-RL ging der GBA ersichtlich davon aus,
dass es sich bei der Verordnung eines Hilfsmittels in der
vertragsärztlichen Versorgung durchaus auch um eine Leistung zur
medizinischen Rehabilitation handeln kann. Nach § 3 Abs 1 S 2
HilfsM-RL sind bei der Verordnung von Hilfsmitteln die in § 26 Abs 1
SGB IX aF genannten Rehabilitationsziele zu beachten, soweit eine
Zuständigkeit der GKV besteht. § 10 Abs 2 HilfsM-RL normiert
ausdrücklich eine Beratungspflicht der Vertragsärzte und
Krankenkassen über Leistungen zur Teilhabe und die Möglichkeit
einer trägerübergreifenden Beratung, wenn Hilfsmittel als Leistung
zur medizinischen Rehabilitation verordnet werden sollen.
Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit für die Verordnung von
Hilfsmitteln (konkrete Indikation) nach § 6 Abs 3 HilfsM-RL nicht
allein aus der Diagnose. Vielmehr sind unter Gesamtbetrachtung der
funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen
der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), der noch verbliebenen
Aktivitäten und einer störungsbildabhängigen Diagnostik der Bedarf,
die Fähigkeit zur Nutzung, die Prognose und das Ziel einer
Hilfsmittelversorgung auf der Grundlage realistischer, für die
Versicherten alltagsrelevanter Anforderungen zu ermitteln. Dabei
sind die individuellen Kontextfaktoren in Bezug auf Person und
Umwelt als Voraussetzung für das angestrebte Behandlungsziel
(§ 3 Abs 1 HilfsM-RL iVm § 26 SGB IX aF) zu berücksichtigen.
38
e) Die damit nach alledem erfolgende Zuordnung von Hilfsmitteln,
die der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dienen, zum
Fristen- und Rechtsfolgenregime des § 13 Abs 3a SGB V unter
Ausschluss aller übrigen Hilfsmittel von dessen Anwendungsbereich
ist nicht gleichheitswidrig, sondern im Hinblick auf die
unterschiedliche Ausgestaltung des Regelungssystems der §§ 14,
15 SGB IX aF (bzw §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) sachlich
gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG scheidet daher aus.
39
Die im Vergleich zu § 13 Abs 3a SGB V grundsätzlich längeren
Fristen nach §§ 14, 15 SGB IX aF
(bzw der §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) halten sich in einem
Rahmen, der der Koordinierung der Teilhabeleistungen als
Komplexleistungen zwischen mehreren Rehabilitationsträgern
Rechnung trägt - auch soweit es (lediglich) um die Versorgung mit
Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich oder zur Vorbeugung vor
Behinderung geht. Allein die Vielzahl der Akteure des gegliederten
Systems und die Komplexität der Aufgabe macht auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln außerhalb von Einrichtungen zu einer
Komplexmaßnahme, für welche ausschließlich die Anwendung des
Regelungs- und Fristenregimes nach §§ 14, 15 SGB IX aF
(bzw nach §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) angemessen ist
(vgl zum Ganzen auch Schütze, SGb 2013, 147 ff; Welti,
Rehabilitation 2010, 537 ff; ders, Sozialrecht aktuell, Sonderheft
2013, 1 ff)
. Hilfsmittel können Bestandteil der Krankenbehandlung sein
(vgl § 33 SGB V; § 31 SGB VII; § 48 SGB XII; § 13 BVG), aber
(vgl § 33 SGB V; § 31 SGB VII; § 48 SGB XII; § 13 BVG), aber
ebenso der Pflege
(vgl § 44 SGB VII; § 61 SGB XII; § 26c BVG; § 40 SGB XI), der
medizinischen Rehabilitation
(vgl § 31 SGB IX aF; § 33 SGB V; § 15 SGB VI; § 54 SGB XII; § 35a
SGB VIII; § 13 BVG)
, der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
(vgl § 33 SGB IX
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl
I 2854, mWv 1.4.2012, im Folgenden aF>; § 16 SGB VI; § 35 SGB
VII; § 112 SGB III; § 16 SGB II; § 54 SGB XII; § 35a SGB VIII; § 26
BVG)
und der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
(vgl § 55 SGB IX aF; § 39 SGB VII; § 54 SGB XII; § 35a SGB VIII; §
27d BVG)
. Hierfür kommen allgemein Leistungsträger aus acht
unterschiedlichen Sozialleistungsbereichen in Betracht
(vgl auch § 6 SGB IX). Dem soll durch die Anwendung der
Vorschriften des SGB IX
(hier §§ 14, 15 SGB IX aF bzw §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG)
zur möglichst umfassenden Feststellung verschiedener, individueller
Teilhabebedarfe und zügigen Zuständigkeitsklärung durch die
Träger ohne Nachteile für die Leistungsberechtigten Rechnung
getragen werden. Überdies ist die seit 1.1.2018 geltende Vorschrift
des § 18 SGB IX idF des BTHG, die § 15 SGB IX aF abgelöst hat, im
Hinblick auf die Selbstbeschaffung von Teilhabeleistungen
zugunsten der Leistungsberechtigten gesetzlich weiterentwickelt
worden
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG, BT-Drucks
18/9522 S 238 zu § 18)
. Die in § 18 Abs 1 und 3 SGB IX idF des BTHG vorgesehene Zwei-
Monatsfrist, die abgelaufen sein muss, bevor im Teilhaberecht eine
gesetzliche Genehmigungsfiktion und bei Selbstbeschaffung der
Leistung ein Kostenerstattungsanspruch eingreifen können, trägt -
im Vergleich zur weit kürzeren Drei-Wochenfrist nach § 13 Abs 3a
SGB V - dem Umstand Rechnung, dass Teilhabeleistungen nach
dem SGB IX zwar in der Regel umfangreicher und langfristiger
Planungen verschiedener Träger bedürfen
(vgl §§ 19 ff SGB IX idF des BTHG), typischerweise aber weniger
eilbedürftig sind, als Maßnahmen der kurativen (Akut-)Behandlung
eilbedürftig sind, als Maßnahmen der kurativen (Akut-)Behandlung
nach dem SGB V.
40
f) Ein Anspruch des Klägers kann vor dem aufgezeigten Hintergrund
nicht auf § 13 Abs 3a SGB V gestützt werden. Der von ihm begehrte
Elektrorollstuhl dient keiner (kurativen) Krankenbehandlung, sondern
allein dem Behinderungsausgleich und hat daher medizinisch-
rehabilitativen Charakter.
41
3. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen des LSG,
auf die es ausgehend von seinem abweichenden rechtlichen
Standpunkt nicht ankam, allerdings nicht abschließend entscheiden,
ob sich der geltend gemachte Versorgungsanspruch des Klägers
aus § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V (hierzu im Folgenden a)oder - was
ebenso in Betracht kommt - mangels Weiterleitung des Antrags
seitens der Beklagten aus § 14 Abs 2 S 1 SGB IX aF iVm einem
Sachleistungsanspruch aus dem Bereich eines anderen
Rehabilitationsträgers (hierzu b) ergibt. Dies führt zur
Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das LSG.
42
a) Nach § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V haben Versicherte Anspruch
auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als
allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der
vom Kläger begehrte Elektrorollstuhl ist weder ein
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens noch nach § 34 Abs 4
SGB V ausgeschlossen.
43
aa) Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs sind aber
nicht unbegrenzt von der GKV zu erbringen. Vielmehr ist der
Aufgabenbereich der GKV im Rahmen der medizinischen
Rehabilitation von den Aufgabenbereichen anderer
Rehabilitationsträger und der Eigenverantwortung abzugrenzen
(vgl insoweit bereits BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 18 -
Fingerendgliedprothese)
. Die GKV hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen
Lebensbereichen - etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder
Freizeitinteressen - durch Hilfsmittel auszugleichen und der
Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen fällt in den
Aufgabenbereich anderer Sozialleistungssysteme. Auch nach den
Regelungen des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX ist die GKV nur für
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für
unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zuständig
(§ 6 Abs 1 Nr 1, § 5 SGB IX), nicht aber für die übrigen
Teilhabeleistungen nach dem SGB IX
(Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der
Gemeinschaft - § 5 Nr 2 und 4 SGB IX aF bzw Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung und Leistungen zur sozialen
Teilhabe - § 5 Nr 2, 4 und 5 SGB IX idF des BTHG)
. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist nach
ständiger Rechtsprechung des Senats von der Krankenkasse nur
zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im
gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein
allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Deshalb
ist der Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich im
Rehabilitationsrecht nach § 47 Abs 1 Nr 3 SGB IX idF des BTHG
(entspricht § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX aF) ausdrücklich auf solche zur
Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens
begrenzt. Denn unter dem Oberbegriff der Rehabilitation als
Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft (vgl zB § 5 SGB IX) ist
die medizinische Rehabilitation - in Abgrenzung zur beruflichen,
sozialen und neuerdings auch der die Bildung betreffenden
Rehabilitation - auf die Teilhabe am täglichen Leben, einschließlich
der mit medizinischen Mitteln zu bewirkenden Selbstbestimmung
und Selbstversorgung gerichtet.
44
bb) Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens
gehören danach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen,
Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die
elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das
Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums
(stRspr; vgl zB BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 30 RdNr 12 -
Lichtsignalanlage; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47
- CGMS, jeweils mwN). Die durch den unmittelbaren
Behinderungsausgleich bewirkte Erhaltung, Wiederherstellung oder
Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion stellt
regelmäßig bereits als solche ein Grundbedürfnis des täglichen
Lebens dar. Für den Versorgungsumfang, insbesondere die
Qualität, Quantität und Diversität der Hilfsmittelausstattung kommt es
sowohl beim unmittelbaren als auch beim mittelbaren
Behinderungsausgleich allein auf den Umfang der mit dem
begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an
(vgl zB BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44, S 248 ff - C-Leg). Ohne
Wertungsunterschiede besteht in beiden Bereichen Anspruch auf
die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit
die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten
Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist
(stRspr; vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26; BSG SozR
3-2500 § 33 Nr 44 - C-Leg; BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr
42, RdNr 16 ff - Rauchwarnmelder; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 44
RdNr 19 ff - Autoschwenksitz; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr
18 - Fingerendgliedprothese, jeweils mwN)
; anderenfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 S 5 SGB V
von dem Versicherten selbst zu tragen
(§ 33 Abs 1 S 6 SGB V
Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung, Heil- und
Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG, vom 4.4.2017, BGBl I 778,
mWv 11.4.2017> iVm § 47 Abs 3 SGB IX idF des BTHG)
.
45
cc) Danach wird das Berufungsgericht festzustellen haben, ob der
Kläger mit dem vorhandenen Leichtgewichtsrollstuhl mit E-Fix-
Antrieb bereits ausreichend versorgt ist. Insoweit wird insbesondere
den Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor
dem LSG nachzugehen sein, dass er im Zeitpunkt der Versorgung
mit dem Leichtgewichtsrollstuhl aufgrund seines Nierenleidens sehr
abgemagert gewesen sei, bevor er im Laufe der medizinischen
Behandlung - auch durch eine vermehrte Wasseransammlung im
Körper - an Gewicht zugenommen habe, weshalb der
Leichtgewichtsrollstuhl zu schmal geworden sei. Der lediglich auf der
Aktenlage beruhende Einwand des MDK, eine Gewichtszunahme
sei unter Berücksichtigung der Begleitdiagnosen medizinisch nicht
nachvollziehbar, ist bislang ungeprüft geblieben und kann insoweit
tatsächliche Ermittlungen nicht ersetzen.
46
Dabei muss das LSG mit Blick auf zwischenzeitlich eingetretene
Rechtsänderungen Folgendes beachten: Zwar gelten die §§ 14 bis
24 SGB IX idF des BTHG lediglich für solche Anträge, die seit dem
Inkrafttreten dieser Regelungen am 1.1.2018 gestellt wurden
(vgl hierzu ua BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9).
Allerdings ist für die materiell-rechtliche Beurteilung des vom Kläger
erhobenen auf Anfechtung der Leistungsablehnung in Verbindung
mit einem konkreten Leistungsbegehren gerichteten Klage auch
nach einer Zurückverweisung die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz
maßgebend
(vgl stRspr; z.B. BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 mit
umfassenden Nachweisen; Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr
34)
. Für den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V ist daher
nunmehr im Falle einer neuen berufungsgerichtlichen Entscheidung
mit zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber inzwischen mit dem
BTHG vom 23.12.2016 den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX
ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-BRK neu
gefasst und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht
gefasst und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht
beigemessen hat als nach dem bis dahin geltenden Recht
(vgl hierzu bereits näher oben unter 2. b). Danach kommt es nicht
allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen
Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das Ziel der Teilhabe
(Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen
(zur alten Rechtslage vgl bereits Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum SGB IX, BT-Drucks
14/5074 S 94 unter II. 1.; zum BTHG vgl Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 192 unter II. 1 S 227 zu § 2)
sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den
persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -
gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 3 unter
A., S 191 unter 1.5)
und der individuellen Bedarfe zu wohnen
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 4
drittletzter Absatz)
.
47
Deshalb wird das LSG im wiederöffneten Berufungsverfahren nicht
nur zu ermitteln haben, ob aufgrund von Änderungen der
körperlichen Bedingungen des Klägers eine Neuversorgung
erforderlich ist, sondern auch, ob das Grundbedürfnis nach Mobilität
eine Versorgung mit dem begehrten Elektrorollstuhl erforderlich
macht. Diesbezüglich wird aufzuklären sein, ob der Kläger mit dem
vorhandenen Leichtgewichtsrollstuhl mit E-Fix-Antrieb tatsächlich
alle existenziellen Wege zur Gesundheits- und Selbstversorgung
zurücklegen kann, woran es jedenfalls mangelt, wenn - wie der
Kläger vorträgt - dessen Reichweite aufgrund der Akkuleistung
möglicherweise auch witterungsbedingt so begrenzt ist, dass damit
der Nahbereich nicht hinreichend erschlossen werden kann.
Daneben kann der begehrte Elektrorollstuhl im Hinblick auf das
Grundbedürfnis des Klägers nach Selbstbestimmung und
selbständigem Wohnen erforderlich sein. In diesem Zusammenhang
wird das LSG dem Einwand des Klägers nachgehen müssen, dass
er bei der Nutzung des Leichtgewichtsrollstuhls ständig eine
Begleitperson benötige und daher sein Selbstbestimmungsrecht und
seine Selbständigkeit seitens der Beklagten nicht hinreichend
berücksichtigt werde.
48
b) Die Feststellungen des LSG reichen ebenso wenig aus zur
abschließenden Entscheidung des Senats über eine
Leistungspflicht der Beklagten in aufgedrängter Zuständigkeit nach
§ 14 Abs 2 S 1 SGB IX aF iVm einer Anspruchsgrundlage eines
anderen zuständigen Rehabilitationsträgers.
49
Die mangels Weiterleitung des Rehabilitationsantrags nach § 14 Abs
2 S 1 SGB IX aF begründete umfassende Prüfungs- und ggf auch
Leistungszuständigkeit der beklagten Krankenkasse als zuerst
angegangene Leistungsträgerin (sog leistende
Rehabilitationsträgerin; vgl Legaldefinition in § 14 Abs 2 S 1 SGB IX
idF des BTHG seit 1.1.2018) erstreckt sich im Außenverhältnis zum
Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser
Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind
(vgl BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 15 ff; BSGE 98,
267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 14; BSGE 102, 90 = SozR 4-
2500 § 33 Nr 21, RdNr 23)
.
50
Wenn daher der vom Kläger begehrte Elektrorollstuhl nach den
obigen Ausführungen unter 3.a) nicht bereits zur medizinischen
Rehabilitation nach den Kriterien des § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V
erforderlich sein sollte, wird das LSG weiter aufzuklären haben, ob
dieses Hilfsmittel spezielle Gebrauchsvorteile zwar nicht für das
Alltagsleben des Klägers, aber zu seiner beruflichen oder sozialen
Teilhabe oder zur Teilhabe an Bildung bietet, und ob der Kläger
diese Vorteile nach seinen individuellen Fähigkeiten und seiner
privaten und beruflichen Lebensgestaltung tatsächlich nutzen kann.
Zwar bietet der bisher erkennbare Sachverhalt keine Anhaltspunkte
dafür, dass der Kläger den begehrten Elektrorollstuhl zur beruflichen
oder sozialen Teilhabe oder zur Teilhabe an Bildung benötigen
könnte, allerdings ist nach den bisherigen Feststellungen auch der
Bedarf noch nicht entsprechend ermittelt worden
(vgl §§ 12, 13 SGB IX idF des BTHG) und die Versorgung mit einem
Elektrorollstuhl kann grundsätzlich alle Teilhabebereiche betreffen.
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Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft iS von § 55
SGB IX aF bzw die Leistungen zur sozialen Teilhabe iS von § 76
SGB IX (idF des BTHG) einschließlich der Leistungen zur Teilhabe
an Bildung (§ 75 SGB IX idF des BTHG) haben die Aufgabe, dem
behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der
Gemeinschaft zu ermöglichen und schließen ausdrücklich subsidiär
an die vorrangigen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an.
Deshalb gehören zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft solche Hilfsmittel, die den Ausgleich einer
gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
bezwecken und daher zwar regelmäßig - ebenso wie die Hilfsmittel
zur medizinischen Rehabilitation - die Alltagsbewältigung betreffen,
aber nicht mehr von der medizinischen Teilhabe umfasst sind
(wie beispielsweise die in § 83 Abs 1 Nr 2 SGB IX
ausdrücklich aufgeführten Leistungen für ein Kraftfahrzeug)
. Es handelt sich dabei insbesondere um Hilfsmittel, die dem
behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit
Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen
und kulturellen Leben ermöglichen
(vgl § 55 Abs 2 Nr 1 und Nr 7 SGB IX aF, § 58 SGB IX aF; vgl dazu
BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5, RdNr 17).
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In diesem Rahmen muss das LSG auch die betroffenen anderen
Rehabilitationsträger notwendig beiladen, damit der Sachverhalt
auch im Hinblick auf die Teilhabeziele der beruflichen und sozialen
Rehabilitation (einschließlich der Bildung) und das Vorliegen der
Voraussetzungen für einen Anspruch auf die Versorgung mit dem
begehrten Elektrorollstuhl nach den für diese Rehabilitationsträger
geltenden Leistungsgesetzen umfassend aufgeklärt werden kann.
Zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen für
Eingliederungsleistungen nach dem SGB XII wird insbesondere zu
prüfen sein, ob dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der
finanziellen Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den
Vorschriften des 11. Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist
(vgl § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII). Dabei ist auf die
Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten abzustellen
(vgl BSG Urteil vom 23.8.2013 - B 8 SO 24/11 R - Juris RdNr 20).
Auch wenn im Verhältnis zum Kläger im Ergebnis grundsätzlich
allein die Beklagte leistungspflichtig sein kann, ist die Beiladung aller
originär als leistungspflichtig in Betracht kommenden
Rehabilitationsträger notwendig iS von § 75 Abs 2 Alt 1 SGG, weil
diese der Beklagten als erstangegangener (leistender)
Rehabilitationsträgerin nach Maßgabe des § 15 Abs 2 SGB IX
(idF des BTHG) erstattungspflichtig wären
(vgl nur BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 9;
BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, RdNr 29 mwN).
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4. Der vorsorglich auf die Rücknahme einer vermeintlich
eingetretenen fiktiven Genehmigung gerichtete Bescheid der
Beklagten vom 3.12.2015 geht mangels Eintritts einer gesetzlichen
Genehmigungsfiktion - wie unter 1. dargelegt - letztlich ins Leere. Er
hat sich auf sonstige Weise erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X), denn
einem gar nicht auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6
SGB V stützbaren möglichen Versorgungsanspruch des Klägers
nach den oben genannten Vorschriften des materiellen Rechts steht
der Bescheid jedenfalls nicht entgegen.
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5. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über
die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.