Urteil des BSG vom 19.06.2018

Urteil vom 19.06.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 19.6.2018, B 2 U 9/17 R
ECLI:DE:BSG:2018:190618UB2U917R0
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen
Landessozialgerichts vom 30. November 2016 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind
nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in
der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) als selbstständige geistige
Heilerin sowie die Festsetzung von Beiträgen.
2
Die 1942 geborene Klägerin bezieht seit Juli 2002 eine Altersrente
und betreibt seitdem selbstständig eine Praxis für "energetische
Körperarbeit". Schwerpunkte der Praxis sind die "Reconnective
Therapy" nach H. S., die "russischen Heilweisen" nach G. G. und A.
P., das "Total Touch Pulsing" nach B. T., "Qi Gong" sowie die
"Fernsitzung bzw Geistheilung".
3
Durch insgesamt elf Bescheide vom 14.2.2013 stellte die Beklagte
ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin fest, veranlagte
dieses für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2012 sowie für den
Zeitraum ab 1.1.2013 bis 31.12.2018 zum Gefahrtarif und stellte fest,
dass für die Klägerin eine Unternehmerpflichtversicherung bestehe.
Weiterhin bestätigte die Beklagte die Zugehörigkeit der Klägerin als
Unternehmerin zur Beklagten und stellte die Versicherungssummen
für die einzelnen Beitragsjahre fest. Schließlich veranlagte sie die
Klägerin "zur Unternehmerversicherung" vom 1.1.2007 bis
31.12.2012 und "für ihre persönliche Versicherung" ab 1.1.2013 bis
31.12.2018 zu Gefahrklassen und erhob Beiträge für die Jahre 2008
bis 2011. Nach Einlegung eines Widerspruchs erläuterte die Beklagte
der Klägerin schriftlich die Gründe für die Veranlagung und die
Beitragshöhe (Schreiben vom 13.3.2013). Sodann erließ die Beklagte
einen weiteren Beitragsbescheid vom 24.4.2013 für das Jahr 2012,
gegen den die Klägerin ebenfalls Widerspruch einlegte. Die Beklagte
erläuterte daraufhin erneut schriftlich die Gründe für die
Pflichtversicherung sowie die Höhe der Beitragsforderung
(Schreiben vom 2.5.2013). Nachdem die Klägerin Gewinn- und
Verlustberechnungen eingereicht hatte, legte die Beklagte durch
weiteres Schreiben erneut die Beitragsberechnung dar. Durch
Widerspruchsbescheid vom 5.9.2013 wies die Beklagte die
Widersprüche gegen die "Bescheide vom 14.02.2013 über die
Feststellung der Unternehmerversicherung und die Beiträge für die
Jahre 2008 - 2011" sowie gegen den Beitragsbescheid zur
Unternehmerversicherung vom 24.4.2013 für das Jahr 2012 zurück.
4
Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 13.12.2013). Das
LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen
(Urteil vom 30.11.2016) und zur Begründung ausgeführt, Geistheiler
seien im Gesundheitswesen tätig iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII. Die
Praxis der Klägerin für energetische Körperarbeit sei dem
Gesundheitswesen zuzuordnen. Denn dieses Unternehmen diene
nach seiner Zwecksetzung der Heilbehandlung der Patienten, indem
durch Übungen, Methoden und Ratschläge die Selbstheilungskräfte
der Patienten aktiviert werden sollten. Dies ergebe sich auch aus dem
Internetauftritt der Klägerin. Hierfür sei nicht maßgebend, dass die
Behandlungen medizinisch-wissenschaftlich nicht anerkannt seien.
5
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 9
SGB VII. Die Tätigkeit eines Geistheilers sei nicht darauf ausgerichtet,
die physische oder psychische Gesundheit des Einzelnen zu wahren.
Zwar solle durch die Förderung der spirituellen Entwicklung mittelbar
auf die Gesundheit der Menschen eingewirkt werden. Dies sei
allerdings nicht der Hauptzweck der Tätigkeit eines Geistheilers.
Andere medizinische Hilfsberufe wie Bademeister, Hebammen oder
Diätassistenten seien nicht mit Geistheilern vergleichbar, weil die
Angehörigen dieser Berufe eine staatlich anerkannte Ausbildung
durchlaufen müssten und der ärztlichen Aufsicht unterstünden. Das
BVerfG habe entschieden, dass Geistheiler keiner Zulassung als
Heilpraktiker bedürften, weshalb auch eine Zwangsversicherung in
der GUV ausscheide.
6
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30.11.2016
und des Sozialgerichts Augsburg vom 13.12.2013 sowie die
Bescheide der Beklagten vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer
Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der
Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre
2008 bis 2011 sowie den Bescheid vom 24.4.2013 über die
Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für das
Umlagejahr 2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 5.9.2013 aufzuheben.
7
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die
Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Bescheide
über die Pflichtversicherung der Klägerin als selbstständige
Geistheilerin (Unternehmerin) sowie die zu zahlenden Beiträge
rechtmäßig waren.
9 Gegenstand des Klageverfahrens sind ausschließlich die Bescheide
der Beklagten vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer
Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der
Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre
2008 bis 2011 sowie der Bescheid vom 24.4.2013 über die
Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für
das Umlagejahr 2012. Nur über diese wurde im
Widerspruchsbescheid vom 5.9.2013 entschieden. Dahinstehen
kann, ob hinsichtlich der übrigen die Zuständigkeit der Beklagten
sowie die Veranlagung des Unternehmens betreffenden
Regelungen das Widerspruchsverfahren abgeschlossen worden ist.
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Die angefochtenen Bescheide erweisen sich formell (dazu unter A.)
und materiell (dazu unter B.) als rechtmäßig.
11
A. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte hier ein
Anhörungsverfahren gemäß § 24 SGB X hätte durchführen müssen
Denn die Anhörung wurde jedenfalls vor Erlass des
Widerspruchsbescheids vom 5.9.2013 und damit innerhalb der
zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X wirksam
nachgeholt. Der Senat weist lediglich beiläufig erneut darauf hin,
dass die Beklagte mit den durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X)
festgestellten Beitragsforderungen zumindest in die allgemeine
Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) eingreift, sodass ein
anhörungspflichtiger "Eingriff" iS des § 24 Abs 1 SGB X vorliegt
(BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in SozR
vorgesehen; vgl BSG vom 25.1.1979 - 3 RK 35/77 - SozR 1200 § 34
Nr 7; Mutschler in Kasseler Komm, SGB X, § 24 RdNr 7; Siefert in
von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 8)
. Dahinstehen kann, ob bei Beitragsbescheiden auf eine Anhörung
nach § 24 Abs 1 SGB X verzichtet werden kann, weil es sich um
Massenverwaltungsakte iS des § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X handelt oder
weil sie im allgemeinen auf Entgeltangaben des Unternehmers
beruhen, ohne hiervon zu seinen Ungunsten abzuweichen
(§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X; Höller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 168
RdNr 3).
Auch dies erfordert allerdings nach § 24 Abs 2 SGB X eine - hier
offensichtlich nicht getroffene - Ermessensentscheidung der
Beklagten
(vgl BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in
SozR vorgesehen; Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September
2017, § 168 SGB VII RdNr 2)
.
12
Jedenfalls wurde die Anhörung vor Erlass des
Widerspruchsbescheids und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen
des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X wirksam nachgeholt. Die
Beklagte hat mit den Schreiben vom 13.3.2013, 2.5.2013 und
3.6.2013 der Klägerin alle Haupttatsachen mitgeteilt, auf die sie die
belastende Entscheidung stützen wollte, und ihr eine angemessene
Frist zur Äußerung gesetzt
(vgl die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23.1.2018 - B 2
U 4/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; sowie vom
18.9.2012 - B 2 U 15/11 R - SozR 4-5671 § 3 Nr 6; BVerwG vom
17.8.1982 - 1 C 22.81 - BVerwGE 66, 111)
. Ferner hat sie das Vorbringen der Klägerin zur Kenntnis
genommen und abschließend zu erkennen gegeben, dass sie nach
erneuter Prüfung an dem bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält
(BSG vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R - Juris; BSG vom 9.11.2010 -
B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 15 und vom 7.7.2011
- B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2,
RdNr 26; BVerwG vom 10.3.1971 - VIII C 210.67 - BVerwGE 37,
307)
.
13
B. Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell rechtmäßig
und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte war
gemäß § 3 Abs 1 ihrer Satzung vom 1.1.2011 für Unternehmen des
Gesundheitswesens sachlich zuständig. Die Beklagte war auch
befugt, das Versicherungsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin
auf Grundlage des § 136 Abs 1 S 1 SGB VII durch Verwaltungsakt
festzustellen
(vgl zur freiwilligen Versicherung BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10
R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 31).
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Die Klägerin betreibt mit ihrer Praxis für energetische Körperarbeit
ein Unternehmen des Gesundheitswesens nach § 2 Abs 1 Nr 9
SGB VII und ist deshalb Mitglied der Beklagten sowie als
selbstständige Unternehmerin iS des § 150 Abs 1 S 1 SGB VII
verpflichtet, Beiträge zur GUV zu entrichten. Gemäß § 2 Abs 1 Nr 9
SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Personen, die selbstständig
oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im
Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Die
Klägerin ist selbstständig tätig (dazu unter 1.). Sie ist auch im
Gesundheitswesen tätig (dazu unter 2.).Die Veranlagung zur
Pflichtversicherung der Klägerin verletzt sie nicht in ihren
Grundrechten (dazu unter 3.). Sie verstößt auch nicht gegen
Europarecht (dazu unter 4.). Auch hinsichtlich der festgesetzten
Beitragshöhe sind die Beitragsbescheide nicht zu beanstanden
(dazu unter 5.).
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1. Die Klägerin ist selbstständig tätig. Selbstständig iS des § 2 Abs 1
Nr 9 SGB VII ist derjenige, dem das Ergebnis seines Unternehmens
unmittelbar zum Vor- und Nachteil gereicht
(zur selbstständigen Tätigkeit einer Tagesmutter vgl BSG vom
31.1.2012 - B 2 U 3/11 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 18; vgl zum Begriff
der Selbstständigkeit auch BSG vom 20.3.2018 - B 2 U 13/16 R - zur
Veröffentlichung vorgesehen).
Dies ist bei der Klägerin nach den insoweit nicht angegriffenen
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Fall.
16
2. Die Klägerin ist auch im Gesundheitswesen tätig. Nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats, die insoweit an die
Spruchpraxis des Reichsversicherungsamts anknüpft
(vgl RVA, EuM 28, 437;
RVA, AN 1930, Heft Nr 12, S 506 Nr 3916; RVA, AN 1930, Heft Nr 1,
S 22 Nr 3598; RVA, EuM 30, 484)
, fallen unter den Begriff Gesundheitswesen iS der GUV
Einrichtungen und Tätigkeiten, welche die Beseitigung oder
Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines
pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die
eigens den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der
Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, dh
einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in
absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit
vorzubeugen. Dabei muss es sich aber um Einrichtungen und
Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den
Hauptzweck bildet; es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder
bzw krankheitsverhütender Erfolg lediglich als eine zwar praktisch
bedeutsame, aber doch nur nebenher erzielte Begleiterscheinung
bewirkt wird
(BSG vom 27.10.1961 - 2 RU 115/60 - BSGE 15, 190 = SozR Nr 7
zu 5. BKVO Anl Nr 39, Juris RdNr 15; RVA, EuM 28, 437; BSG vom
25.8.1961 - 2 RU 106/59 - BSGE 15, 41, 44 = SozR Nr 5 zu 5. BKVO
Anl Nr 39, SozR Nr 15 zu § 106 SGG)
. Diese Rechtsprechung ist zwar zu § 537 Nr 2 RVO als
Vorgängernorm des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII ergangen, jedoch gelten
trotz des leicht abweichenden Wortlautes (Gesundheitswesen statt
Gesundheitsdienst) auch für § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII die bisherigen
Grundsätze fort
(vgl Amtliche Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines
Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen
Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch
Einordnungsgesetz - UVEG> BT-Drucks 13/2204 S 75 zu § 2 Abs 1;
Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 2 RdNr 119; Lauterbach-
Schwerdtfeger, UV-SGB VII, § 2 RdNr 331; Leube in Kater/Leube,
SGB VII, § 2 RdNr 230; Kruschinsky in
Krasney/Becker/Burchardt/Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, SGB VII,
§ 2 RdNr 532)
.
17
Die seitens der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit angebotenen
Behandlungsmethoden erfolgen primär zur Heilung oder Verhütung
von Krankheiten (dazu unter a). Unerheblich ist, ob diese Methoden
nach dem insbesondere im SGB V normierten Recht der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnungsfähig sind
(dazu unter b). Unerheblich ist für den Schutzbereich der GUV
schließlich auch, ob die Klägerin für ihre Tätigkeiten einer Zulassung
nach dem Heilpraktikergesetz bedarf (dazu unter c).
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a) Die von der Klägerin angebotenen Leistungen dienen der Heilung
bzw Verhütung von Krankheiten. Nach der subjektiven Vorstellung
der Klägerin sollen sämtliche Methoden - wie das LSG bindend
festgestellt hat (§ 163 SGG) - Selbstheilungskräfte des Körpers
stimulieren, Traumata auflösen bzw die geistige und körperliche
Gesundheit unterstützen. Damit entspricht es dem erklärten Willen
der Klägerin, die Gesundheit ihrer Kunden zu schützen bzw
wiederherzustellen. Die Handlungstendenz der Klägerin ist nach den
Feststellungen des LSG auf die Erreichung eines Heilerfolgs
ausgerichtet, weshalb sie in einem gegen die Veranlagung und
Erhebung von Beiträgen gerichteten Rechtsstreit nicht einwenden
kann, sie handele ohne Heilungsabsichten.
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Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der
Klägerin angebotenen Behandlungsmethoden nicht auch objektiv
einen Heilungszweck verfolgen, ohne dass für die Frage der
Beitragspflicht in der GUV hierbei eine Bewertung der Qualität und
Erfolgsaussichten dieser Methoden vorgenommen werden muss.
Zur Verhütung einer Krankheit dienen alle Behandlungen, die der
Vermeidung eines regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden
Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustands dienen, der
ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig
macht
(BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98
= SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN)
. Dass die im Angebot der Klägerin enthaltenen
Behandlungsmethoden objektiv dem Ziel dienen,
Selbstheilungskräfte des Körpers zu mobilisieren, lässt sich den
einschlägigen Informationsquellen wie insbesondere den
Internetauftritten ihrer Entwickler entnehmen. Bei diesen Inhalten
öffentlich angebotener Behandlungsmethoden handelt es sich,
soweit sie sich unter eine begriffliche Definition fassen lassen, um
generelle Tatsachen, über die sich jedermann aus allgemein
zugänglichen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten
kann
(s BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10
RdNr 24 mwN = SGb 2012, 285).
Bei fehlenden Feststellungen der Tatsacheninstanz zu diesen
allgemeinen Tatsachen ist das BSG auch als Revisionsinstanz
befugt, diese selbst zu ermitteln und festzustellen
(BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-
5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 33; BSG vom 13.12.2005 - B 1 KR
21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18 = SGb 2006, 689)
.
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Bei der "Reconnective Therapy" nach H. S. geht es nach dem
Internetauftritt ihres Entwicklers
(https://www.reconnectivetherapy.com/deutschland) um die
Erzielung von Heilerfolgen. Auch die "russischen Heilweisen" von G.
G. und A. P. dienen nach dem Internetauftritt des "G.-Zentrums" in
erster Linie Heilerfolgen (https://g.-zentrum-). Das "Total Touch
Pulsing" nach B. T. dient nach den allgemein zugänglichen
Angaben der Erfinderin ebenfalls der Förderung von
Selbstheilungskräften
(http://www.b.-t. de/therapien/therapien/therapie_ttp.html) und "Qi
Gong" bezweckt laut der "Deutschen Qigong - Gesellschaft e.V." ua
die Gesunderhaltung auf der körperlichen Ebene
(https://www.qigong-gesellschaft.de/qigong/wirkung-qigong). Der
Senat verwendet diese Angaben der Entwickler bzw Vertreter dieser
Methoden, um den Subsumtionsschluss zu rechtfertigen, dass die
Klägerin im Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII tätig
und damit in der GUV beitragspflichtige selbstständige
Unternehmerin ist. Der Senat trifft damit keine Aussage über die
Wirkungsweise oder die objektive Eignung dieser Methoden zur
Gesunderhaltung bzw Heilung. Im Recht der GUV wird wesentlich
auf die Handlungstendenz des Versicherten abgestellt, die hier bei
der Klägerin unzweifelhaft auf "Heilung" im weiteren Sinne gerichtet
ist. An diese Handlungstendenz knüpft das System des SGB VII den
Versicherungsschutz und ggf auch die Beitragspflicht. Dabei geht
der Versicherungsschutz der GUV soweit, dass sogar
verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt
(vgl § 7 Abs 2 SGB VII).
21
b) Folglich kommt es für die Frage, ob ein Unternehmen dem
Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zuzurechnen ist,
nicht darauf an, ob dieses ärztliche Behandlungen anbietet, die nach
den Regeln der ärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und
Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig bzw ob
diese als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen in dem
Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen nach
§ 87 SGB V enthalten sind
(vgl dazu BSG vom 27.9.2005 - B 1 KR 28/03 R - Juris). Die
Beschränkung auf die ärztliche Kunst sieht § 28 SGB V für den
Bereich der GKV vor und ist letztlich Ausfluss des in § 12 Abs 1 S 1
SGB V verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots, das im Sinne eines
Übermaßverbots die Grenzen des Behandlungsanspruchs regelt.
Diese Beschränkungen des Leistungsrechts im Recht der GKV
(s nur BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 62/12 R-
BSGE 116, 138 = SozR 4-2500 § 12 Nr 4, RdNr 18; BSG vom
BSGE 116, 138 = SozR 4-2500 § 12 Nr 4, RdNr 18; BSG vom
1.7.2014 - B 1 KR 15/13 R
-
BSGE 116, 153 = SozR 4-2500 § 137 Nr 4, RdNr 11; BSG vom
14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R
-
BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 23; BSG vom
7.5.2013 - B 1 KR 53/12 R - Juris RdNr 19; BSG vom 3.7.2012 - B 1
KR 6/11 R - BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 16;
BSG vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R
-BSGE 106, 214
= SozR 4-2500 § 275 Nr 3; BSG vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/08 KR
R - SozR 4-2500 § 275 Nr 2; BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 10/12 R
- SozR 4-2500 § 275 Nr 6; BSG vom 21.3.2013 - B 3 KR 2/12 R
-
BSGE 113, 167, 173 = SozR 4-2500 § 137c Nr 6 S 23, 29; BSG vom
13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R
-
BSGE 112, 141, 150 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8 S 29, 39; BSG vom
7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr
12, RdNr 12; zur Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots im
Vertragsarztrecht BSG vom 19.6.1996 - 6 RKa 40/95
-
BSGE 78, 278, 283 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 193, 198; BSG
vom 28.4.2004 - B 6 KA 24/03 R
-MedR 2004, 577; vgl auch BSG vom 15.12.1987 - 6 RKa 19/87-
BSGE 63, 6, 8 = SozR 2200 § 368n Nr 52 S 178, 179 f) sind nicht
übertragbar auf die GUV. Hier beurteilt sich - wie ausgeführt - der
Versicherungsschutz für Anbieter von Gesundheitsleistungen nach
der Handlungstendenz bei der Vornahme vom Gesetzgeber für
schutzbedürftig erachteter Verrichtungen - hierzu auch unter 3. -,
ohne dass es auf eine sonstige, etwa
krankenversicherungsrechtliche Zulassung ankommt.
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c) Auch das Fehlen der Heilpraktikererlaubnis nach § 1 des
Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne
Bestallung (Heilpraktikergesetz - HeilprG) und/oder einer ärztlichen
Approbation führt nicht dazu, dass geistiges Heilen nicht unter den
Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zu
subsumieren ist. Im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII kommt es
nicht darauf an, ob die Tätigkeit einer beruflichen Zulassung bedarf
oder ob der Selbstständige qualitativ in der Lage ist, die
Behandlungsmethoden anzuwenden. Die seitens der Revision
angeführte Entscheidung des BVerfG vom 2.3.2004 - 1 BvR 784/03
- (NJW-RR 2004, 705) bezieht sich allein auf den Umfang der
Erlaubnispflicht nach dem HeilprG in einem Fall des sog geistigen
Heilens. Nach § 1 Abs 1 HeilprG vom 17.2.1939, zuletzt geändert
durch Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl I 3191), bedarf der Erlaubnis,
wer die Heilkunde ohne Bestallung als Arzt ausüben will, wobei die
Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers darauf überprüft
werden, ob die Ausübung der Heilkunde eine Gefahr für die
Volksgesundheit bedeutet. Bei der Erlaubnispflicht nach dem
HeilprG handelt es sich mithin um eine Norm, die den Schutz der
Gesundheit der Bevölkerung bezweckt und damit vorrangig der
Gefahrenabwehr dient. Bei der Frage der Versicherungspflicht nach
§ 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII geht es hingegen (auch) um die
Privilegierung einer Bevölkerungsgruppe, die - wie oben ausgeführt -
im Interesse der Allgemeinbevölkerung Leistungen zum Schutz der
Gesundheit erbringt. Die eher ordnungsrechtliche Zielrichtung des
HeilprG ist damit nicht auf die GUV übertragbar. Das Fehlen der
Heilpraktikererlaubnis und der ärztlichen Approbation bei ritueller
Heilung kann nicht dazu führen, dass deshalb geistiges Heilen nicht
unter den Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 Nr 9
SGB VII zu subsumieren ist.
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3. Grundrechte der Klägerin werden durch die Versicherungs- und
Beitragspflicht nicht verletzt. Hinsichtlich der Eigentumsgarantie
(Art 14 Abs 1 GG) ist keine erdrosselnde oder konfiskatorische
Wirkung eines Beitrags iHv ca 137 Euro pro Jahr erkennbar
(vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-
2700 § 182 Nr 1, RdNr 25; BVerfG vom 8.4.1987 - 2 BvR 909/82 ua -
BVerfGE 75, 108 = Juris RdNr 116).
Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ist
jedenfalls nicht unverhältnismäßig
(hierzu BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 10/16 R). Sinn und Zweck
dieses Versicherungstatbestands war im Übrigen der Schutz solcher
Personen, die sich im Besonderen um die Allgemeinheit verdient
machen und gerade deshalb besonderen Risiken wie zB
Ansteckungsgefahren ausgesetzt sind
(vgl Begründung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes über
Änderungen in der Unfallversicherung vom 11.7.1928
vom 22.12.1928> zu § 537 Nr 4b S 12 zur Einführung des
Versicherungsschutzes für Krankenhäuser, Heil- und
Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die
Personen zur Kur oder Pflege aufnehmen, der durch das 6.
Unfallversicherungsänderungsgesetz vom 9.3.1942
und den dadurch vollzogenen Übergang von der Betriebs- auf die
Personenversicherung in § 537 Nr 2 RVO aufging, vgl Begründung
zum 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom
9.3.1942, S 26)
.
24
Auch wird der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) im
Hinblick auf die Freistellung ua von selbstständigen Ärzten und
Heilpraktikern von der Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII
durch § 4 Abs 3 SGB VII nicht verletzt. Der allgemeine
Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen
vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber
allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das
Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten
im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl
zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung
rechtfertigen könnten
(BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 = SozR 4-
2600 § 58 Nr 7; stRspr)
. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die
Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen
unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten,
auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen
Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können
(BVerfG vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 ua - BVerfGE 88, 87; BVerfG
vom 8.4.1997 - 1 BvR 48/94 - BVerfGE 95, 267; BVerfG vom
6.7.2010 - 1 BvL 9/06 ua - BVerfGE 126, 233 = SozR 4-8570 § 6 Nr
5; BVerfG vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 = SozR
4-7835 Art 1 Nr 1)
. Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende,
an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen
Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen.
Gemessen am anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger
Gleichbehandlung bestehen aber Gründe von solcher Art und
solchem Gewicht, die die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. Bei
den von der Versicherungspflicht befreiten Berufsgruppen kann
typisierend unterstellt werden, dass sie aus ihrem Einkommen
eigenständig eine Versicherung finanzieren können
(vgl bereits BSG vom 30.1.1963 - 2 RU 35/60 - BSGE 18, 231 =
SozR Nr 3 zu § 541 RVO, SozR Nr 17 zu § 96 SGG, Juris RdNr 21,
sowie Begründung zum 6. Gesetz über Änderungen in der
Unfallversicherung vom 9.3.1942, S 26)
Unfallversicherung vom 9.3.1942, S 26)
, was bei der Gruppe der Klägerin typisierend betrachtet gerade
nicht der Fall ist.
25
4. Auch ein Verstoß gegen die europarechtlich garantierte
Wettbewerbsfreiheit (Art 106, 101 AEUV ff) bzw
Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) ist in der Zwangsversicherung
der Klägerin als selbstständiger Anbieterin von
Behandlungsmethoden der Geistheilung nicht zu sehen, was der
Senat bereits mehrfach klargestellt hat
(vgl BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 16/03 R - BSGE 91, 263 = SozR
4-2700 § 150 Nr 1; EuGH vom 5.3.2009 - C-350/07 - Juris; s auch
Bieresborn, jurisPR-SozR 14/2009 Anm 1; zuletzt BSG vom
19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - Juris; zusammenfassend Spellbrink,
SR 2012, 17, 34 ff)
.
26
5. Hinsichtlich der Beitragshöhe sind die Bescheide, soweit sie
Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, ebenfalls nicht zu
beanstanden. Die Festsetzung des Mindestbeitrags erfolgt gemäß §
44 der Satzung unter Festsetzung der Mindestversicherungssumme
auf 60 vH der Bezugsgröße gemäß § 18 Abs 1 SGB IV, aufgerundet
auf volle 1000 Euro
(vgl zur Unzulässigkeit der Festsetzung durch den Vorstand BSG
vom 4.12.2014 - B 2 U 11/13 R - BSGE 118, 9 = SozR 4-2700 § 161
Nr 1)
.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Die Klägerin,
die sich im vorliegenden Verfahren allein gegen die Feststellung
ihrer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII und die
daraus
resultierende
Festsetzung
der
Beiträge
zur
Unternehmerpflichtversicherung für bestimmte Umlagejahre wehrt,
klagt damit zumindest auch "in ihrer Eigenschaft als Versicherte"
und gehört deshalb zu den in § 183 SGG genannten
kostenprivilegierten Personen.