Urteil des BSG vom 20.03.2018

Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Verletztenrente - selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer - Mindest-MdE gem § 80a Abs 1 SGB 7 - Verfassungsmäßigkeit

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.3.2018, B 2 U 6/17 R
ECLI:DE:BSG:2018:200318UB2U617R0
Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Verletztenrente -
selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer - Mindest-
MdE gem § 80a Abs 1 SGB 7 - Verfassungsmäßigkeit
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 2016 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand
1
Der Kläger ist selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer. Er
wendet sich dagegen, dass ihm wegen der Sonderregelung in § 80a
Abs 1 S 1 SGB VII kein Anspruch auf eine Verletztenrente zusteht,
obwohl die Beklagte wegen der gesundheitlichen Folgen einer
anerkannten Berufskrankheit (BK) eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH anerkannt hat.
2
Der 1953 geborene Kläger war bis zum 31.12.2012 als
selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer tätig. Zum 1.1.2013
gab er seine Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten und in
extremer Rumpfbeugehaltung endgültig auf. Die Beklagte erkannte
das Bestehen einer BK nach Nr 2108/2110 der Anlage 1 zur BKV mit
einem am 1.1.2013 eingetretenen Versicherungsfall an, lehnte jedoch
die Gewährung einer Verletztenrente ab, weil die gesundheitlichen
Folgen der BK lediglich eine MdE von 20 vH bedingten. Nach § 80a
Abs 1 S 1 SGB VII dürfe eine Rente erst beim Vorliegen einer MdE
von wenigstens 30 vH gewährt werden
(Bescheid vom 16.6.2015 und Widerspruchsbescheid vom
29.7.2015)
. Das SG hat die Klage abgewiesen
(Gerichtsbescheid vom 30.11.2015), das LSG die Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 25.7.2016). Zur Begründung hat das LSG
ausgeführt, zwar sei der Versicherungsfall einer BK am 1.1.2013
eingetreten, die anerkannten Folgen der Wirbelsäulenerkrankung
bedingten aber lediglich eine MdE von 20 vH, sodass gemäß § 80a
Abs 1 S 1 SGB VII ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente
ausscheide. Jedenfalls für landwirtschaftliche Unternehmer wie den
Kläger sei die Erhöhung der Mindest-MdE von 20 vH auf 30 vH für
einen Anspruch auf Verletztenrente durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII
verfassungsgemäß und insbesondere mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Die landwirtschaftliche
Unfallversicherung habe genossenschaftlichen Charakter. Deshalb
komme dem Umstand, dass der Berufsstand der Landwirte selbst die
Leistungseinschränkung vorgeschlagen habe, um die Landwirte als
Beitragszahler finanziell zu entlasten, besondere Bedeutung als
Rechtfertigungsgrund zu. Auch ein Verstoß gegen das in Art 14 GG
verankerte Eigentumsgrundrecht sei nicht ersichtlich.
3
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1
GG und der Art 14 iVm Art 20 GG. Landwirte würden durch § 80a Abs
1 S 1 SGB VII gegenüber allen anderen Unfallversicherten
ungerechtfertigt benachteiligt. Ein Vorschlag des Berufsstandes der
Landwirte könne die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Eine
Entlastung der Beitragszahler sei nicht ersichtlich. Auch verstoße die
Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegen das
Rechtsstaatsprinzip, weil jegliche Vertrauensschutz- und
Übergangsregelung fehle.
4
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
1. das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 25.7.2016, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Freiburg vom 30.11.2015 sowie den Bescheid vom
16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 29.7.2015 aufzuheben,
2. das Verfahren auszusetzen und dem
Bundesverfassungsgericht gemäß Art 100 GG
vorzulegen.
5
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision zurückzuweisen.
6
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat
das LSG die Berufung gegen den die Klage abweisenden
Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Der Bescheid der
Beklagten vom 16.6.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 29.7.2015 ist rechtmäßig, denn der
Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer
Verletztenrente, weil bei ihm die von § 80a Abs 1 S 1 SGB VII
geforderte MdE von 30 vH nicht vorliegt.
8
1. Zu entscheiden war im Revisionsverfahren über die
Rechtmäßigkeit der Verfügung in dem Bescheid der Beklagten vom
16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
29.7.2015, mit der die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente
abgelehnt und die der Kläger mit einer zulässigen Anfechtungsklage
(§ 54 Abs 1 SGG)angegriffen hat, sowie über den Anspruch des
Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente. Sein im
Revisionsverfahren verfolgtes Begehren war gemäß § 123 SGG
dahin auszulegen, dass er neben der Anfechtungsklage auch seine
in den Vorinstanzen ausdrücklich erhobene zulässige
Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG aufrechterhalten hat. Allein
daraus, dass der Kläger in seinem schriftsätzlichen Antrag nicht
ausdrücklich die Gewährung einer Verletztenrente benannt hat,
kann nicht geschlossen werden, dass er sein Leistungsbegehren
nicht mehr verfolgt, weil er nur mit einer Leistungsklage die
Verurteilung der Beklagten zu der von ihm begehrten
Verletztenrente erreichen konnte. Ein Klageantrag ist unabhängig
von seinem Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens
so auszulegen, dass das Begehren des Klägers weitgehend zum
Tragen kommt
(vgl zB BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 =
SozR 4-1500 § 54 Nr 21 RdNr 29 mwN)
.
9
2. Der Kläger hat gemäß § 80a Abs 1 S 1 SGB VII keinen Anspruch
auf Gewährung einer Verletztenrente, weil seine Erwerbsfähigkeit
infolge der durch die anerkannte BK Nr 2108/2110 verursachten
Gesundheitsstörungen nicht um wenigstens 30 vH gemindert ist.
Anspruch auf Verletztenrente haben gemäß § 56 Abs 1 S 1 SGB VII
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls
über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um
wenigstens 20 vH gemindert ist. Abweichend von § 56 Abs 1 S 1
SGB VII haben gemäß der durch Art 1 Nr 7 des Gesetzes zur
Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung (LSVMG - vom 18.12.2007, BGBl I 2984) mit
Wirkung zum 1.1.2008 geschaffenen Regelung des § 80a Abs 1 S 1
SGB VII Versicherte nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII
nur Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge
eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem
Versicherungsfall hinaus um wenigstens 30 vH gemindert ist.
Gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII versichert sind
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im
Betrieb mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner (Buchst a)
sowie die im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur
vorübergehend mitarbeitenden Familienangehörigen (Buchst b). §
80a SGB VII ist auf Versicherungsfälle anzuwenden, die nach dem
31.12.2007 eingetreten sind (§ 221 Abs 2 SGB VII). Die für einen
Anspruch auf Verletztenrente erforderlichen Voraussetzungen
dieser Vorschriften erfüllt der Kläger nicht.
10
Beim Kläger liegt zwar eine BK und damit ein Versicherungsfall vor.
Die Folgen der als BK anerkannten Wirbelsäulenerkrankung
bedingen auch eine MdE von 20 vH. § 80a Abs 1 S 1 SGB VII
schließt jedoch einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente aus.
Der Kläger gehörte als selbstständig tätiger Landwirt zum Kreis der
Versicherten nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII, die nach § 80a
Abs 1 S 1 SGB VII einen Anspruch auf Rente erst ab einer MdE in
Höhe von mindestens 30 vH haben, sodass ein Anspruch auf eine
Verletztenrente nicht besteht (dazu unter a). Die Regelung des §
80a Abs 1 S 1 SGB VII begegnet auch keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter b).
11
a) Beim Kläger liegt als Versicherungsfall nach § 9 Abs 1 SGB VII
eine BK nach Nr 2108/2110 der Anlage 1 zur BKV vor. Dieser
Versicherungsfall ist am 1.1.2013 eingetreten, was die Beklagte
bindend festgestellt hat (vgl § 77 SGG). Nach den tatsächlichen
Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten
Verfahrensrügen angegriffen worden sind (§ 163 SGG), bedingen
die Folgen der als BK anerkannten Wirbelsäulenerkrankung eine
MdE des Klägers von 20 vH.
(vgl dazu BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - BSGE 122, 232 =
SozR 4-2700 § 56 Nr 4, RdNr 15 f mwN)
. § 80a Abs 1 S 1 SGB VII ist im vorliegenden Fall gemäß § 221 Abs
2 SGB VII anwendbar, weil der Versicherungsfall am 1.1.2013
eingetreten ist.
12
Der Kläger hat die BK als nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII
Versicherter erlitten. Er war als Unternehmer eines
landwirtschaftlichen Betriebes Versicherter iS des § 2 Abs 1 Nr 5
Buchst a SGB VII, weil er nach den bindenden Feststellungen des
LSG bis zum 31.12.2012 als Landwirt selbstständig tätig war.
Dementsprechend hat die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr
2108/2110 der Anlage 1 zur BKV aufgrund dieser Tätigkeit und der
Versicherteneigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer
anerkannt. Unerheblich ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt des
Eintritts des Versicherungsfalls am 1.1.2013 seine Tätigkeit als
selbstständiger Landwirt bereits aufgegeben hatte. Gemäß § 80a
Abs 1 S 1 SGB VII setzt der Verletztenrentenanspruch für als
selbstständige Landwirte nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII
Versicherte eine MdE von mindestens 30 vH voraus, unabhängig
davon, ob der Versicherte während des Rentenbezugs noch als
Landwirt selbstständig tätig ist. Weder dem Wortlaut noch der
Entstehungsgeschichte des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII (vgl hierzu
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum LSVMG BT-Drucks
16/6520 S 1 ff, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales BT-Drucks 16/6984 S 1 ff)
ist zu entnehmen, dass für dessen Anwendung die Eigenschaft als
Versicherter nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII auch während
des Leistungszeitraums einer Verletztenrente fortbestehen müsste.
Die Verwendung des Begriffs "Versicherte" in § 80a Abs 1 S 1 SGB
VII spricht gerade nicht für eine solche Auslegung der Vorschrift.
Denn auch in § 56 Abs 1 S 1 SGB VII, auf den § 80a Abs 1 S 1 SGB
VII verweist, ist dieser Begriff enthalten. § 56 Abs 1 S 1 SGB VII
knüpft mit dem Begriff "Versicherte" aber an das Vorliegen eines
Versicherungsfalls an, der seinerseits in ursächlichem
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen muss, ohne
dass nach Eintritt des Versicherungsfalls für den fortlaufenden
Bezug einer Verletztenrente die versicherte Tätigkeit weiterhin
ausgeübt werden muss. Dafür, dass der Verwendung des Begriffs
"Versicherte" in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII, der sich auf § 56 Abs 1
SGB VII bezieht, eine andere Bedeutung als in § 56 Abs 1 S 1 SGB
VII zukommt, fehlt es an Anhaltspunkten.
13
b) § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verstößt nach Überzeugung des Senats
nicht gegen höherrangiges Recht, sodass eine Vorlage an das
BVerfG gemäß Art 100 GG ausscheidet. Ebenso bedarf es keiner
verfassungskonformen Auslegung der Norm zugunsten des
Klägers, denn die Regelung ist in ihrer Anwendung auf den Kläger
verfassungsgemäß. Insbesondere ist er nicht in seinem
Eigentumsgrundrecht (Art 14 Abs 1 GG) verletzt (dazu unter aa). Der
Ausschluss der Rentenansprüche für landwirtschaftliche
Unternehmer, deren Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 30 vH
gemindert ist, berührt zwar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs 1 GG. Die Regelung ist jedoch durch sachliche Gründe
gerechtfertigt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen
(dazu unter bb). Schließlich ist durch die Neuregelung in § 80a Abs
1 S 1 SGB VII auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes
(Art 14 Abs 1 S 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) nicht verletzt
(dazu unter cc).
14
aa) Anders als Ansprüche und Anwartschaften aus der gesetzlichen
Rentenversicherung
(BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09 - BVerfGE
128, 128 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9; BVerfG vom 28.2.1980 - 1 BvL
17/77 ua - BVerfGE 53, 257; BVerfG vom 1.7.1981 - 1 BvR 874/77
ua - 58, 81 <109>; BVerfG vom 4.6.1985 - 1 BvL 12/83 - BVerfGE
70, 101 <110>; stRspr)
oder Ansprüche auf Arbeitslosengeld
(BVerfGE vom 10.2.1987 - 1 BvL 15/83 - BVerfGE 74, 203; BVerfG
vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9)
, die teilweise durch einkommensbezogene eigene Beiträge der
Versicherten finanziert werden, ist zweifelhaft, ob Ansprüche auf
Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt
dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG unterliegen
(wie hier offen gelassen BVerfG vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1
BvR 593/08 - NZS 2011, 895; BVerfG vom 18.2.1988 - 1 BvR
1017/87 - SozR 2200 § 568 Nr 9; BSG vom 10.10.2002 - B 2 U
10/02 R - HVBG-INFO 2002, 3454; bejahend Papier in Maunz/Dürig,
GG, Stand September 2017, Art 14 RdNr 142)
. Dies kann jedoch offen bleiben, denn selbst wenn man unterstellt,
dass der Kläger durch die langjährige Versicherung und die Zahlung
von Beiträgen ein geschütztes Anwartschaftsrecht erworben hat,
wäre sein Eigentumsgrundrecht nicht verletzt, denn § 80a Abs 1 S 1
SGB VII stellt jedenfalls eine zulässige Inhalts- und
Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG dar.
15
Die Einbeziehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung in den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG
bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber nicht befugt wäre, in
gewissem Umfange in eine dem Anspruchsberechtigten bereits
erwachsene Position einzugreifen. Denn die konkrete Reichweite
des Schutzes der Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der
Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art
14 Abs 1 S 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers ist
(BVerfG vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 ua - BVerfGE 53, 257; BVerfG
vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; BVerfG vom
11.1.2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09 - BVerfGE 128, 128 =
SozR 4-2600 § 77 Nr 9 mwN)
.
16
Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentumsrechts ist auf den
Kernbereich der erworbenen öffentlich-rechtlichen Rechtsposition
beschränkt, weil ein starres Festhalten an den jeweils durch Gesetz
oder Satzung festgelegten Beträgen oder Leistungen die einfache
Gesetzgebung weitgehend blockieren und eine Anpassung des
Rechts an die Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen
Verhältnisse verhindern würde, auch wenn eine solche Veränderung
im Interesse der Verbesserung oder Erhaltung der
Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung
unerlässlich erscheint
(zur gesetzlichen Rentenversicherung BVerfG vom 28.2.1980 - 1
BvL 17/77 - BVerfGE 53, 257; vgl Wannagat, BArbl 1974, 261, 264)
. Wird in bestehende Anwartschaften eingegriffen, ist zu
berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit einer
Änderung angelegt ist
(BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78; BVerfG
vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 ua - BVerfGE 122, 151)
. Eine Unabänderlichkeit der bei ihrer Begründung bestehenden
Bedingungen widerspräche dem Sozialversicherungsverhältnis, das
im Unterschied zu einem privaten Versicherungsverhältnis von
Anfang an nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch
auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs
beruht
(vgl BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78;
BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96; BVerfG
vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 ua - BVerfGE 122, 151)
.
17
Durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII wird der Rentenanspruch für
landwirtschaftliche Unternehmer zwar eingeschränkt, er wird aber
nicht gänzlich entzogen. Es handelt sich mithin lediglich um die
inhaltliche Modifikation einer Anwartschaft. Eine solche Regelung ist
zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
gerechtfertigt ist
(BVerfG vom 14.2.1967 - 1 BvL 17/63 - BVerfGE 21, 150 <155>;
BVerfG vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9; BVerfG vom
8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78;
Maunz/Herzog/Dürig/Scholz, Kommentar zum GG, Stand
September 2017, Art 14 RdNr 38)
. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Regelung dient einem
legitimen Ziel, der Eingriff ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet
und erforderlich und die Einschränkung ist für den Kläger nicht
unzumutbar.
18
§ 80a Abs 1 SGB VII wurde durch Art 1 des LSVMG vom
18.12.2007 in das SGB VII eingefügt und trat zum 1.1.2008 in Kraft.
Zweck des Gesetzes war eine Weiterentwicklung und Reform des
Rechts der landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit den Zielen
einer angemessenen Beitragsbelastung und
innerlandwirtschaftlicher Beitragsgerechtigkeit im Hinblick auf den
sich beschleunigenden landwirtschaftlichen Strukturwandel und im
Gesamtkontext der Reformen der sozialen Sicherungssysteme in
Deutschland. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung erhält seit
1963 Bundeszuschüsse, um die Beiträge der zuschussberechtigten
land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer zu senken und zu einer
Annäherung der Belastungsunterschiede zwischen den Regionen
beizutragen
(Gesetzentwurf der Bundesregierung - BT-Drucks 16/6520, S 2 f). Im
Interesse der Haushaltskonsolidierung sollte das weitere finanzielle
Engagement des Bundes in der mittelfristigen Finanzplanung von
200 Mio Euro auf 100 Mio Euro abgesenkt werden. Zielsetzung der
gesetzgeberischen Entscheidung war somit, Spielräume zu
schaffen, damit die Beiträge der Landwirtschaft ab 2011 trotz eines
auf 100 Mio Euro reduzierten Bundeszuschusses zur
landwirtschaftlichen Unfallversicherung entweder konstant gehalten
oder sogar gesenkt werden könnten. Hierbei handelt es sich um ein
legitimes Ziel, das im öffentlichen Interesse liegt. Denn die Regelung
dient dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Interesse der versicherten
landwirtschaftlichen Unternehmer und ihrer Familienangehörigen im
Kontext veränderter Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft zu
erhalten (BT-Drucks 16/6520, S 1).
19
Eine Verringerung der Ausgaben der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung stellt ein geeignetes Mittel dar, dieses Ziel zu
erreichen. Bei der Feststellung der Eignung steht dem Gesetzgeber
ein weiter prognostischer Spielraum zu. Ihm obliegt dabei die
Einschätzung der Lage und der zukünftigen Entwicklung sowie der
Zweckmäßigkeit des Mittels. Auch die Bemessung der zu
erwartenden Einsparungen stellt eine prognostische Wertung des
Gesetzgebers dar
(vgl BVerfG vom 12.2.1986 - 1 BvL 39/83 - BVerfGE 72, 9; BVerfG
vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerGE 105, 17)
. Kernstücke der Reform waren die Kapitalisierung von
Bestandsrenten, was zu einer Reduzierung der Ausgaben im Jahr
2011 um rund 140 Mio Euro führen sollte - bis 2014 auf 150 Mio
Euro ansteigend - (Ausschuss-Drucks 16(11)754, S 33 ff), sowie
Maßnahmen zur Reduzierung von Verwaltungskosten. Nach dem
Bericht des Haushaltsausschusses vom 8.11.2007
(BT-Drucks 16/7018) konnten die geplanten Änderungen im
Leistungsrecht kurzfristig zu jährlichen Minderbelastungen in Höhe
von 30 bis 40 Mio Euro für die landwirtschaftlichen Unternehmen
führen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch auch darauf
hingewiesen
(insbesondere Stellungnahme Dr. Peter Mehl Braunschweig -
Ausschuss-Drucks 16(11)752; Stellungnahme des Deutschen
Bauernverbands vom 17.10.2007 - Ausschuss-Drucks 16(11)747)
, dass allein die Abgeltung von Bestandsrenten und die
vorgesehenen Maßnahmen zur Reduzierung von
Verwaltungskosten nicht ausgereicht hätten, um das angestrebte
Ziel der Beitragsstabilität zu erreichen. Der Deutsche
Bauernverband forderte deshalb in seiner Stellungnahme vom
17.10.2007 (Ausschuss-Drucks 16(11)747) als weitere
ausgabenrelevante Maßnahme, einen Unfallrentenanspruch erst ab
einer MdE von 30 vH anzuerkennen. Diese Maßnahme durfte der
Gesetzgeber zur Erreichung des genannten Ziels mithin insgesamt
betrachtet als geeignet ansehen.
20
Unter dem Gesichtspunkt des aufgezeigten Sparziels sind die
angegriffenen Regelungen auch erforderlich. An der Erforderlichkeit
der Maßnahmen würde es nur fehlen, wenn evident wäre, dass die
angestrebten Einsparungen mit weniger eingreifenden Mitteln hätten
erreicht werden können
(BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78). Solche
weniger belastenden Maßnahmen sind nicht erkennbar. In Betracht
wäre allenfalls die Streichung anderer Leistungen der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu ziehen gewesen, die
jedoch mit mindestens vergleichbaren Belastungen verbunden
wären.
21
Schließlich belastet die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII den
Kläger auch nicht in unzumutbarer Weise. Eine Gesamtabwägung
der öffentlichen, im Gemeinwohl stehenden Belange mit den
privaten Interessen des Klägers ergibt, dass dessen Rechte nicht in
einer außer Verhältnis zu den Zielen der Einschränkung stehenden
Weise - und damit unverhältnismäßig - beeinträchtigt werden. Die
Gewährung einer Verletztenrente erst ab einer MdE von wenigstens
30 vH betrifft nur einen kleinen Teilbereich des durch die Entrichtung
von Beiträgen erworbenen Versicherungsschutzes, der regelmäßig
weder die Lohnersatzfunktion noch den existenziellen Kernbereich
der sozialen Absicherung betrifft. Eine Rente nach einer MdE von 20
vH hatte ausgehend von dem ab 1.7.2012 geltenden pauschalierten
Jahresarbeitsverdienst nach dem Revisionsvortrag der Beklagten
einen monatlichen Zahlbetrag von 127,18 Euro, der aufgrund der
jährlichen Anpassung
(§ 93 Abs 1 S 2, 1. Halbs SGB VII iVm § 95 SGB VII) auf einen
monatlichen Zahlbetrag von 140,59 Euro ab 1.7.2017 angestiegen
wäre. Alle übrigen vom SGB VII vorgesehenen Leistungen zur
Kompensation von Erwerbsschäden bleiben dem
landwirtschaftlichen Unternehmer vollständig erhalten; dies sind
insbesondere die ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Heil-
und Hilfsmitteln, die Behandlung in Krankenhäusern und
Rehabilitationseinrichtungen, Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben sowie ggf zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft,
Haushalts- und Betriebshilfen, Reisekosten und Pflegeleistungen.
Der durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII vorgenommene Eingriff in die
Ansprüche des Einzelnen durch eine Heraufsetzung der Mindest-
MdE auf 30 vH ist demgegenüber eher untergeordnet. Der
Gesetzgeber durfte für die landwirtschaftlichen Unternehmer zudem
typisierend davon ausgehen, dass bei einer MdE von weniger als 30
vH kein oder allenfalls ein geringer materieller Schaden für den
Betroffenen insgesamt entsteht. Diese relativ geringfügige
Reduzierung der Leistungen für den Einzelnen führt jedoch zu
einem substanziellen Einsparvolumen für die Gesamtheit der
Beitragszahler.
22
bb) Auch eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Zwar
wird der Kläger und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe der
pflichtversicherten landwirtschaftlichen Unternehmer durch die
Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegenüber den übrigen
Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung ungleich
behandelt, da ein Rentenanspruch erst ab einer MdE von 30 vH und
nicht wie nach § 56 Abs 1 S 1 SGB VII bereits ab einer MdE von 20
vH besteht. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch im Hinblick auf die
Besonderheiten der Versicherung landwirtschaftlicher Unternehmer
gerechtfertigt.
23
Der allgemeine Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar,
alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem
Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er
verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von
Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders
behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede
von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten
(BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 = SozR 4-
2600 § 58 Nr 7 - stRspr)
. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die
Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen
unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten,
auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen
Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können
(BVerfG vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 ua - BVerfGE 88, 87; BVerfG
vom 8.4.1997 - 1 BvR 48/94 - BVerfGE 95, 267; BVerfG vom
6.7.2010 - 1 BvL 9/06; BVerfG vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -
BVerfGE 130, 240)
. Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende,
an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen
Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen. Denn
die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII behandelt verschiedene
Personengruppen ungleich. Zudem berührt die
Zwangsmitgliedschaft der landwirtschaftlichen Unternehmer in der
Sozialversicherung den Schutzbereich des Art 2 Abs 1 GG
(BVerfG vom 11.1.1995 - 1 BvR 892/88 - BVerfGE 92, 53).
24
Gemessen am folglich anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger
Gleichbehandlung bestehen für die Einschränkung des
Rentenanspruchs landwirtschaftlicher Unternehmer durch § 80a Abs
1 S 1 SGB VII auch Gründe von solcher Art und solchem Gewicht,
dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. Die
Einschränkung der Leistungen auf der Ausgabenseite ist geeignet,
das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der kurz- oder mittelfristigen
Senkung des Umlagesolls der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft trotz reduzierter Bundeszuschüsse zu
erreichen. Der hinreichende Sachgrund für die Ungleichbehandlung
folgt aus der Besonderheit der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung, die der Pflichtversicherung der
landwirtschaftlichen Unternehmer einen weitgehenden
Unfallversicherungsschutz bei festgeschriebenem
Jahresarbeitsverdienst gegenüber stellt.
25
Grundsätzlich sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die
Unternehmer selbst nicht kraft Gesetztes versichert
(vgl § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII - Versicherung kraft Satzung bzw § 6
Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VII - freiwillige Versicherung)
. Eine Ausnahme bilden die landwirtschaftlichen Unternehmer. Dabei
wird der ursprüngliche Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung,
nämlich die Ablösung der gesetzlichen Haftpflicht des Unternehmers
gegenüber den im Unternehmen Tätigen bei alleiniger
Beitragstragung, durchbrochen. Dem selbst versicherten
Unternehmer stehen keine Schadenersatzansprüche gegen sich
selbst zu. Es handelt sich vielmehr um eine gemeinschaftliche
Absicherung von Gesundheitsgefahren, welche die bei einem
Versicherungsträger zusammengeschlossenen Unternehmer selbst
begünstigt
(Angermaier in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 3
RdNr 24)
und mit Steuermitteln bezuschusst wird. Der Zweck der
Versicherung besteht in einer genossenschaftlichen, auf
versicherungsrechtlicher Basis aufbauenden Eigenhilfe der
landwirtschaftlichen Unternehmen
(Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 2
RdNr 108; Schwerdtfeger in Lauterbach, SGB VII, Stand 6/2014, § 2
RdNr 193)
.
26
Gleichzeitig wird der Unfallversicherungsschutz auf Tätigkeiten
erweitert, die außerhalb der landwirtschaftlichen Unfallversicherung
nicht versichert wären. Welche Tätigkeiten dem landwirtschaftlichen
Unternehmen dienen, ist stark von den Besonderheiten der
bäuerlichen Arbeit geprägt. Neben den klassischen Bestellungs-,
Bearbeitungs- und Aberntungstätigkeiten eines Landwirtes gehören
insbesondere die maschinelle Nachbarschaftshilfe, die Teilnahme
an berufsbezogenen Versammlungen, der Besuch von Messen und
Ausstellungen, die Teilnahme an Demonstrationen des
Berufsstandes, die Kindererziehung als Teil der landwirtschaftlichen
Haushaltstätigkeit, verwaltende Tätigkeiten im Wohnhaus, das
sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken dient, zu den
versicherten Tätigkeiten
(Koch, LSV im Wandel - Änderungen im agrarsozialen
Sondersystem, WzS 2008, 257, 269)
.
27
Der pflichtversicherte landwirtschaftliche Unternehmer, der
gleichzeitig Beitragsschuldner ist
(vgl § 150 Abs 1 S 1 iVm § 183 Abs 5 SGB VII), profitiert somit
einerseits vom umfassenden Schutz der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung, andererseits hat er Interesse an einem möglichst
niedrigen Umlagesoll. Stabile Beiträge gereichen zu seinem
unmittelbaren finanziellen Vorteil. Dies unterscheidet ihn von den in
der Landwirtschaft Beschäftigen iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, aber
auch von den in landwirtschaftlichen Unternehmen in der
Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften
regelmäßig wie Unternehmer selbstständig Tätigen
(§ 2 Abs 1 Nr 5 Buchst c SGB VII), die zwar in der Regel
maßgebenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft
haben, die aber nicht unmittelbar am Ertrag des Unternehmens
teilhaben.
Schließlich durfte der Gesetzgeber hinsichtlich der Funktion der
28
Schließlich durfte der Gesetzgeber hinsichtlich der Funktion der
Verletztenrente zutreffend davon ausgehen, dass beim
Personenkreis der landwirtschaftlichen Unternehmer und ihrer
Ehegatten oder Lebenspartner regelmäßig bei Verletzungen, die
eine MdE von weniger als 30 vH bedingen, kein Erwerbsschaden
durch die Verletzungsfolgen eintritt, sondern bei den niedrigen
Erwerbsminderungsstufen (MdE 20 vH und 25 vH) ausschließlich
immaterielle Schäden ausgeglichen werden
(Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales,
Drucks 16/6984 S
15; vgl hierzu auch BVerfG vom 7.11.1972 - 1 BvL 4/71 ua -
BVerfGE 34,118 = SozR Nr 95 zu Art 3 GG)
. Die Verletztenrente kompensiert neben ihrer
Einkommensersatzfunktion auch immaterielle Schäden. Der
monatliche Wert des Rechts auf Verletztenrente wird nach dem sog
Prinzip der abstrakten Schadensberechnung
(vgl hierzu und zur Rechtsnatur der Verletztenrente umfassend
Scholz in Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014 § 56
RdNr 17 ff und Kranig in Hauck/Noftz, K § 56 SGB VII, Stand
Februar 21018, RdNr 3 ff)
allein nach dem Maß der eingetretenen Beeinträchtigung der
Gesundheit (Verlust an körperlicher, geistiger oder seelischer
Integrität) unabhängig davon ermittelt, ob und inwieweit konkrete
materielle und immaterielle Schäden infolge der
Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten sind. Von den konkreten
Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen auf
Erwerbseinkommen oder Vermögen etc wird also "abstrahiert",
insbesondere davon, welche Verdiensteinbußen tatsächlich durch
den Versicherungsfall hervorgerufen werden
(vgl zB BSG vom 24.2.1977 - 8 RU 58/76 - BSGE 43, 208, 209 =
SozR 2200 § 581 Nr 10)
. Ausgehend von einem landwirtschaftlichen Betrieb, der als
Familienbetrieb geführt wird, durfte der Gesetzgeber typisierend
davon ausgehen, dass eine geringe MdE von weniger als 30 vH in
der Regel noch keine Auswirkungen auf die konkrete
Einkommenssituation dieses Betriebs hat. Dafür spricht auch, dass
für Landwirte und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten
bzw Lebenspartner Grundlage für die Bemessung der Höhe der
Verletztenrente - abweichend von der gewerblichen
Verletztenrente - abweichend von der gewerblichen
Unfallversicherung - nicht der tatsächliche Jahresarbeitsverdienst,
sondern gemäß § 93 Abs 1 SGB VII ein Festbetrags-
Jahresarbeitsverdienst ist, der grundsätzlich jährlich angepasst wird
und weit unter dem tatsächlichen Ertrag des Betriebs liegen kann.
29
cc) Der Gesetzgeber war bei Zugrundelegung des Maßstabs des Art
14 GG iVm dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG)
abgeleiteten Vertrauensschutzprinzip verfassungsrechtlich auch
nicht gehalten, von der Anwendung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII
diejenigen Unternehmer auszunehmen, bei denen die der BK
zugrunde liegende Erkrankung bereits vor Inkrafttreten des LSVMG
und Eintritt des Versicherungsfalls eingetreten ist. Der
Anwendungszeitpunkt der Norm beruht auf einer
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Abwägung zwischen
den öffentlichen Belangen und den schutzwürdigen Interessen des
betroffenen Personenkreises und ist nicht unverhältnismäßig
(vgl BVerfG vom 10.5.1983 - 1 BvR 820/79 - BVerfGE 64, 87;
BVerfG vom 16.7.1985 - 1 BvL 5/80 ua - BVerfGE 69, 272)
.
30
Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Abwägung sind die
Anforderungen, die an die Zulässigkeit einer tatbestandlichen
Rückanknüpfung zu stellen sind. Dieser Rückwirkungstatbestand ist
gegeben, wenn - im Gegensatz zur Rückbewirkung von
Rechtsfolgen (sog echte Rückwirkung) - die Rechtsfolgen eines
Gesetzes erst nach Verkündung der Norm eintreten, ihr Tatbestand
aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk
gesetzt" wurden
(BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BStBl II 1986, 628; BVerfG
vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105, 17)
. Ist ein Sachverhalt durch die Rechtsordnung geregelt, bezieht der
Einzelne in seine Überlegungen auch die Erwartung ein, dass diese
Regelung für die Zukunft verbindlich bleibt
(BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105,
17)
. Dieses Vertrauen der Versicherten auf den unveränderten
Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition ist
zwar grundsätzlich schützenswert
(BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 - BVerfGE
(BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 - BVerfGE
97, 271; BVerfG vom 24.3.1998 - 1 BvL 6/92 - BVerfGE 97, 378 -
RdNr 36)
. Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde
unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich jedoch nicht
geschützt
(BVerfG vom 5.2.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93 - BVerfGE 105,
17)
. Die Gewährung vollständigen Schutzes durch ein Fortbestehen der
jeweiligen bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl
verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen
lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der
Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick
auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer
Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen
(vgl BVerfG vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256
<348>)
. Daher ist gerade in der Sozialversicherung die Möglichkeit zur
Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt. Im Einzelfall bedarf
es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des
Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des
gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit
(BVerfG vom 16.7.1985 - 1 BvL 5/80 ua - BVerfGE 69, 272).
31
Das Inkrafttreten der Regelung am 1.1.2008 hat zur Folge, dass
diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer, bei denen zu diesem
Zeitpunkt der Versicherungsfall bereits eingetreten war, weiterhin
eine Verletztenrente auch bei einer MdE von weniger als 30 vH
beanspruchen können, während Versicherte, bei denen der
Versicherungsfall - möglicherweise allein deshalb, weil die Tätigkeit
noch nicht aufgegeben worden ist - noch nicht eingetreten ist, keine
Rente bei einer MdE von 20 vH erhalten. Das ist das Ergebnis der
vom Gesetzgeber gewählten Stichtagsregelung. Härten, die jeder
derartigen Regelung innewohnen, müssen dann hingenommen
werden, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die
Wahl des Zeitpunkts, orientiert am gegebenen Sachverhalt, damit
sachlich vertretbar ist
(BVerfG vom 1.7.1981 - 1 BvR 874/77 ua - BVerfGE 58, 81; BVerfG
vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78)
. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Damit die
gesetzliche Neuordnung ihr Ziel in absehbarer Zeit erreichen konnte,
bedurfte es einer Stichtagsregelung. Wenn der Gesetzgeber durch
die Wahl des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Regelung diejenigen
Versicherten, bei denen der Versicherungsfall bereits eingetreten
war gegenüber denjenigen, bei denen dies noch nicht der Fall war,
bevorzugte, so ist dies nicht zu beanstanden
(BVerfG vom 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78).
32
Dem Ziel des Gesetzgebers, Einsparungen bei den Leistungen der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung möglichst schnell
durchzusetzen, um auf die Reduzierung des Bundeszuschusses zu
reagieren, steht als allein denkbare Disposition der
landwirtschaftlichen Unternehmer das Unterlassen einer
anderweitigen privaten Absicherung gegenüber. Das bloße
Unterlassen einer Disposition ist jedoch qualitativ mit der aktiven
Gestaltung von Rechtsansprüchen und Vermögenspositionen im
Vertrauen auf eine bestehende Rechtslage nicht vergleichbar.
Zudem ist nicht erkennbar, inwieweit die alte Rechtslage, welche die
Zahlung einer Verletztenrente ab einer MdE von 20 vH vorgesehen
hätte, den Kläger daran hinderte, ohnehin ergänzend eine private
Versicherung abzuschließen, da auch in der Vergangenheit
Einbußen aufgrund einer MdE von weniger als 20 vH nicht
abgesichert waren. Zudem ist der von der tatbestandlichen
Rückanknüpfung betroffene Personenkreis eng abgegrenzt. In
Frage kommen nur diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmer,
deren BK bereits vor dem 31.12.2007 bekannt war, bei denen der
Versicherungsfall aber erst nach dem 1.1.2008 eintrat und denen
deshalb zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit zur privaten
Vorsorge verschlossen war. Es ist nicht zu beanstanden, dass der
Gesetzgeber dem Ziel der Einsparung von Aufwendungen in der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung den Vorrang vor dem
geringen wirtschaftlichen Interesse der von einer BK betroffenen
landwirtschaftlichen Unternehmer eingeräumt hat.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.