Urteil des BSG vom 20.03.2018

Urteil vom 20.03.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.3.2018, B 2 U 5/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:200318UB2U516R0
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen
Landessozialgerichts vom 4. November 2015 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf
Feststellung einer Gonarthrose des linken Knies als Berufskrankheit
nach Nr 2112 der Anl 1 zur BKV (in Zukunft: BK 2112) ab dem
30.1.2004 hat.
2
Der im Juli 1947 geborene Kläger war während des Arbeitslebens bis
Anfang September 2002 Kniebelastungen mit einer kumulativen
Einwirkungsdauer von 14 840 Stunden ausgesetzt. Im September
2002 lagen bei ihm ua nach der Klassifikation von Kellgren eine
lateral betonte Gonarthrose Grad III des rechten Knies sowie
Retropatellararthrosen Grad III bis IV beiderseits vor. Chronische
Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen des linken Knies
ließen sich erst nach dem 30.9.2002 nachweisen. Im Jahre 2010
beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung einer BK
2112.
3
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, ua weil die
Gonarthrose bereits vor dem Stichtag (30.9.2002) vorgelegen habe
(Bescheid vom 11.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 24.8.2011)
. Das SG hat beide Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der
Kläger seit dem 30.1.2004 an einer BK 2112 am linken Kniegelenk
leide (Urteil vom 27.8.2013).
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Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche
Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4.11.2015).
Am rechten Kniegelenk sei eine Gonarthrose bereits vor dem
1.10.2002 sowohl in röntgenologischer als auch in klinischer Hinsicht
gesichert. Dieser Erkrankungsbeginn wirke auch auf das linke Knie,
obgleich Beschwerden und Funktionsstörungen dort erst nach dem
30.9.2002 belegt seien. Nach der Rechtsprechung des BSG handele
es sich um eine einheitliche BK, wenn gleichartige
Gesundheitsschäden an verschiedenen Organen auf dieselbe
gefährdende Tätigkeit zurückzuführen seien. Führe eine einheitliche
berufliche Belastung (Exposition), die sich gleichermaßen auf
mehrere Zielorgane auswirke, zu einem Erkrankungsbeginn an einem
Zielorgan vor dem Stichtag, sei die Annahme eines
"Versicherungsfalls" nach dem Stichtag ausgeschlossen. Für diese
Auffassung spreche auch, dass bei Feststellung einer BK 2112
aufgrund zunächst einseitig bestehender Symptomatik und späterem
Hinzutreten einer klinischen und röntgenologischen Symptomatik am
anderen Kniegelenk auch keine weitere BK anzuerkennen. Es wäre
dann aufgrund einer wesentlichen Änderung nach § 48 SGB X
lediglich eine weitere Folge des Versicherungsfalls anzuerkennen
(und allenfalls eine ggf gewährte Verletztenrente zu erhöhen). Nur in
Ausnahmefällen sei es zu rechtfertigen, das Vorliegen einer weiteren,
gleichen BK festzustellen, etwa wenn nach dem Eintritt der
Erkrankung an einem Zielorgan noch zusätzliche berufliche
Einwirkungen im Sinne der entsprechenden BK erfolgten und dann im
weiteren Verlauf an einem anderen Zielorgan eine entsprechende
Erkrankung auftrete.
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Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 9 Abs 1 S 1,
Abs 5 SGB VII iVm § 6 BKV. Das Wesen paariger Gelenke sei es
eben, nicht eins zu sein. Selbst wenn in der Regel davon auszugehen
sei, dass bei beidseitigem Knien und vergleichbarer Kniebelastung
eine Gonarthrose beidseitig auftrete, sei auch eine ungleiche
Betroffenheit möglich und schließe nicht per se die Anerkennung der
BK 2112 im Einzelfall aus. Daher sei die Manifestation des
Beschwerdebildes am rechten Kniegelenk vor dem 1.10.2002 nicht
als einheitliche Erkrankung beider Kniegelenke vor dem Stichtag
aufzufassen, sodass der unstreitig nicht anerkennungsfähige
Schaden rechts nicht zum Ausschluss bzw "Verbrauch" des erst nach
dem Stichtag eingetretenen Schadens links führe.
6
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4.
November 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27. August
2013 zurückzuweisen.
7
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat
das LSG das Urteil des SG aufgehoben und entschieden, dass
keine BK 2112 des linken Kniegelenks ab dem 30.1.2004
festzustellen ist. Der Versicherungsfall der Gonarthrose ist beim
Kläger am rechten Knie bereits vor dem 1.10.2002 eingetreten,
sodass eine Anerkennung der Gonarthrose am linken Knie nach der
Übergangsvorschrift des § 6 BKV nicht mehr möglich ist.
9
Maßgeblich ist hier die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 3 S 1 BKV
idF der Vierten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-
Verordnung (4. BKVÄndVO) vom 10.7.2017 (BGBl I 2299), die
während des Revisionsverfahrens am 1.8.2017 (Art 2 aaO) in Kraft
trat und § 6 Abs 2 S 1 BKV idF der 3. BKVÄndVO vom 22.12.2014
(BGBl I 2397) ersetzte, der noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung der Tatsacheninstanz gegolten hatte. Treten - wie hier
- Rechtsänderungen nach der letzten mündlichen Verhandlung in
der Tatsacheninstanz ein, so sind sie in der Revisionsinstanz zu
berücksichtigen, wenn das neue Gesetz nach seinem zeitlichen
Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will
(stRspr, vgl Senatsurteil vom 27.10.1976 - 2 RU 127/74 - BSGE 43,
1,5 = SozR 1500 § 131 Nr 4 sowie BSG vom 18.2.2016 - B 3 P 2/14
R - SozR 4-3300 § 42 Nr 1 mwN)
. Das ist vorliegend der Fall. Denn mit Art 1 Nr 1 Buchst b der 4.
BKVÄndVO verschob die Verordnungsgeberin den bisherigen § 6
Abs 2 S 1 BKV ohne geltungserhaltende Übergangsregelung
wortidentisch in den § 6 Abs 3 S 1 BKV, der seitdem alle streitigen
Rechtsverhältnisse, soweit sie BKen nach Nr 2112 betreffen, regelt.
10
§ 6 Abs 3 S 1 BKV idF der 4. BKVÄndVO lautet: "Leiden Versicherte
am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder
4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit
anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.
September 2002 eingetreten ist." Bei dem Kläger lag der
Versicherungsfall der BK 2112 bereits im September 2002 - und
damit vor dem Stichtag des § 6 Abs 3 S 1 BKV - vor, weil zu diesem
Zeitpunkt eine Gonarthrose am rechten Knie bereits voll ausgeprägt
war (vgl hierzu unter 1.). Damit kommt im vorliegenden Fall eine
Anerkennung eines (weiteren) Versicherungsfalls der Gonarthrose
zum 30.1.2004 bezogen nur auf das linke Knie nicht mehr in
Betracht (hierzu unter 2.).
11
1. Bei dem Kläger lag bereits im September 2002 der
Versicherungsfall der Gonarthrose am rechten Knie vor.
12
Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB
VII iVm BK 2112. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur
diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche
bezeichnet hat (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer
den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII
begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger
Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK
(Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer
grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu
Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf
den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese
Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben
(haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte
Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit"
im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der
wesentlichen Bedingung zu beurteilenden
Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende
Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit
(BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-
2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 und vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR
4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE
118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U
20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr
10 jeweils mwN)
. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt,
wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht
(BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909, Juris RdNr
34 mwN)
und ernste Zweifel ausscheiden
(BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr
20)
. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall
auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität),
ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung
(Leistungsfall).
13
Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt somit voraus, dass die
Bundesregierung als Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in
der Anl 1 der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses
Tatbestandes erfüllt sind
(vgl BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5
RdNr 11 und vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17
RdNr 12)
. Die Bundesregierung hat die BK 2112 mit Art 1 Nr 3 Buchst c der
Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-
Verordnung (2. BKVÄndVO) vom 11.6.2009 (BGBl I 1273) mit
Wirkung zum 1.7.2009 (Art 2 aaO) in die Anl 1 der BKV eingefügt.
Die BK 2112 hat folgenden Wortlaut: "Gonarthrose durch eine
Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer
kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von
mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer
von insgesamt einer Stunde pro Schicht".
14
Eine Gonarthrose iS der BK 2112 iVm § 6 Abs 3 S 1 BKVO lag nach
dem Gesamtzusammenhang der den Senat gemäß § 163 SGG
bindenden, weil nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen
Feststellungen des LSG bereits im September 2002 und damit vor
dem maßgeblichen Stichtag 30.9.2002 vor.
15
Dem steht nicht entgegen, dass § 6 Abs 3 S 1 BKV von einem
"Versicherungsfall nach dem 30.9.2002" spricht. Denn die
Verordnungsgeberin verwendet den Begriff des Versicherungsfalls
nicht iSd gesetzlichen Bedeutung des § 7 Abs 1 SGB VII, sondern
untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung"
(BSG vom 17.5.2011- B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr
15)
. Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die
BK durch Aufnahme in die Anl 1 zur BKV überhaupt rechtlich
existent geworden ist. Die BK 2112 ist aber erst mit Wirkung zum
1.7.2009 (Art 2 der 2. BKVÄndVO) in die Anl 1 zur BKV
aufgenommen worden und damit in Kraft getreten, sodass ein davor
eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Folglich kann bei
wirkungserhaltender Auslegung
(vgl dazu zB Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff,
2. Aufl 1991, S 444; Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl
2016, S 109; Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, § 5 RdNr 53;
Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, RdNr 327)
des § 6 Abs 3 S 1 BKV mit dem dort verwendeten Begriff des
Versicherungsfalls nur der "Erkrankungsfall" gemeint sein
(BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr
15)
.
16
Der Erkrankungsfall der "Gonarthrose" tritt ein, sobald ein
Kniegelenk die diagnostischen Krite-rien dieser Krankheit erfüllt, weil
es sich bei den Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken um
einen einheitlichen Erkrankungsfall handelt. Der Versicherungsfall
der Gonarthrose setzt mithin nicht voraus, dass an beiden Knien
eine Erkrankung vorliegt. Dafür spricht bereits, dass der Tatbestand
der BK 2112 knieübergreifend von einer "Gonarthrose" spricht, ohne
dabei zwischen den beiden Kniegelenken zu differenzieren, und
gleichzeitig für die Verschleißerkrankung beider Kniegelenke
dieselbe Krankheitsbezeichnung verwendet. Zudem entspricht es
der Systematik der GUV, mehrere Gesundheitsstörungen - selbst
wenn es sich um medizinisch voneinander unabhängige
Gesundheitsschäden handelt - als eine einheitliche BK und damit
auch als einheitlichen Erkrankungsfall zu behandeln, wenn sie auf
derselben Ursache bzw wesentlichen Bedingung beruhen, dh auf
ein und dieselbe gefährdende Tätigkeit zurückzuführen sind
(BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und
vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1)
.
17
Der Erkrankungsfall der BK 2112 - die "Gonarthrose" - lag betreffend
das rechte Knie im September 2002 vor, was letztlich auch vom
Kläger selbst nicht in Frage gestellt wird. Hierfür müssen die Kriterien
vorliegen, die nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft die Diagnose sichern. Das Recht knüpft damit an den
medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien
an
(s BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102
Nr 1 sowie vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr
2108 Nr 7 RdNr 22, vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291
= SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20 und vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03
U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15
zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen)
. Dabei sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe die
Merkblätter heranzuziehen
(BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-
5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R -
SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8 vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR
3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R -
BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN)
, auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der
Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte
Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes
der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft
sind
(BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102
Nr 1 sowie vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999,
1373)
.
18
Nach
dem
Merkblatt
zur
BK
2112
(Bekanntmachung des BMGS vom 30.12.2009, GMBl 2010, 98)hat
die Diagnose einer Gonarthrose folgende Voraussetzungen, die
kumulativ vorliegen müssen:
- chronische Kniegelenksbeschwerden,
- Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in
Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im
Kniegelenk und
- die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose
entsprechend Grad 2 - 4 der Klassifikation von Kellgren ua.
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Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG wurden diese
Diagnosekriterien am Stichtag (30.9.2002) erfüllt, auch wenn das
LSG seine "Subsumtion" nicht in allen Nuancen im Urteil
wiedergegeben hat.
20
2. Dass beim Kläger später - zum 30.1.2004 - auch am linken Knie
ein voll ausgeprägtes Krankheitsbild der Gonarthrose auftrat,
vermag nichts daran zu ändern, dass der Versicherungsfall der
Gonarthrose iS des § 6 Abs 3 S 1 BKV bezogen auf das rechte Knie
bereits vor dem Stichtag vorlag, weshalb eine Anerkennung einer
BK 2112 nur des linken Knies zu diesem späteren Zeitpunkt nicht
mehr möglich ist. Zum Zustand des linken Knies am Stichtag hat das
LSG bindend festgestellt, dass "zeitnah zum röntgenologischen
Nachweis einer entsprechenden Arthrose im September 2002 keine
funktionellen Beeinträchtigungen in Form von chronischen
Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen aktenkundig"
sind und der Vollbeweis einer Gonarthrose links am 30.9.2002 somit
nicht erbracht ist.
21
Dies ändert freilich nichts daran, dass bezogen auf das rechte Knie
der Erkrankungsfall der Gonarthrose vor dem Stichtag bindend
festgestellt ist (s soeben unter 1.) und damit die "Erkrankung
Gonarthrose" iS der BK 2112 insgesamt bereits vor dem Stichtag
vorlag. Wie ausgeführt, setzt die BK 2112 nicht zwingend voraus,
dass beide Knie gleichzeitig erkranken. Die Frage, ob bei einer
sukzessiven Erkrankung beider Knie versicherungsrechtlich ein
einheitlicher Erkrankungsfall vorliegt, kann nur mit Blick auf die
gefährdende Tätigkeit (die schädigenden Einwirkungen) beantwortet
werden
(BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und
vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1)
. Es kommt mithin darauf an, ob die Gonarthrose des einen Knies
auf denselben oder aber auf anderen, davon unabhängigen
Belastungen als die Gonarthrose des anderen Knies beruht. Auch
wenn faktisch und in aller Regel nur die gesamte Kniebelastung
während des Arbeitslebens zu "einer kumulativen Einwirkungsdauer
… von mindestens 13 000 Stunden und einer
Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht"
führen wird, ist - jedenfalls theoretisch - nicht völlig auszuschließen,
dass sich in besonders gelagerten Einzelfällen feststellen lässt, dass
die Schäden an den einzelnen Knien auf voneinander unabhängige
Einwirkungen zurückzuführen sind, sodass sie ausnahmsweise als
Einwirkungen zurückzuführen sind, sodass sie ausnahmsweise als
selbständige Erkrankungsfälle anzusehen wären. So erwähnt auch
das Merkblatt zur BK 2112 in der Bekanntmachung des BMGS vom
30.12.2009, GMBl 2010, 98, zB überwiegend einseitige
Kniebelastungen
(ebenso zutreffend SG München vom 23.9.2015 - S 33 U 572/12).Im
vorliegenden Fall trifft das jedoch nicht zu. Die vom Kläger
ausgeübten gefährdenden Tätigkeiten bilden eine Einheit und
können nur insgesamt sowohl für die Gonarthrose rechts als auch
links ursächlich sein, weil die kumulative Einwirkungsdauer von
mindestens 13 000 Stunden nach den unangefochtenen und damit
bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lediglich um 1840
Stunden überschritten ist und der Kläger nach dem Jahre 2002
seine Tätigkeit offenbar vollständig aufgegeben hat. Eine erneute
nur das linke Knie schädigende Exposition nach der Gonarthrose
am rechten Knie scheidet daher aus. Eine damit nur in Frage
kommende Belastungsdosis von 1840 Stunden genügt indes nicht,
um überhaupt denkbar einen eigenständigen Erkrankungsfall nach
dem 1.10.2002 isoliert herbeizuführen. Wären die Gonarthrosen an
beiden Knien hier sukzessive, aber beide nach dem Stichtag
eingetreten, so wäre für das linke Knie nur eine Erhöhung der MdE
gemäß § 48 Abs 1 SGB X als Folge der bereits anerkannten
Gonarthrose rechts in Betracht gekommen und gerade keine
Anerkennung einer zweiten, neuen BK 2112, weil es insofern an der
hinreichenden Kniebelastung (Exposition) gefehlt hätte.
22
Der Senat hat im Übrigen keine Bedenken hinsichtlich der
Rechtmäßigkeit der Übergangsvorschrift des § 6 Abs 3 S 1 BKV. Bei
der Einführung neuer BKen darf der Verordnungsgeber die
Anerkennung von Erkrankungen, die vor einem Stichtag liegen,
grundsätzlich ausschließen
(BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 - SozR 3-2200 § 551 Nr 14).Das
BVerfG hat
(Beschluss vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr
15)
die Vereinbarkeit solcher Stichtagsregelungen mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG grundsätzlich bestätigt
(vgl BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr
15; vgl auch BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00 - SozR 4-1100
Art 3 Nr 32 sowie Senatsurteil vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE
96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2).
Anhaltspunkte dafür, dass der hier gewählte Stichtag nicht
sachgemäß sein könnte, sind nicht ersichtlich; der Kläger hat hierzu
auch nichts vorgetragen. Vielmehr erscheint dieser Stichtag schon
wegen der schwierigen Feststellung medizinischer Sachverhalte "im
Nachhinein" sachgerecht. Dies zeigt auch die vorliegende
Fallgestaltung, denn das rechte Knie des Klägers wurde bereits
2003 vollständig prothetisch versorgt und weitere medizinische
Unterlagen waren nicht mehr vorhanden.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.