Urteil des BSG vom 14.02.2018

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen - Leistungsversagung bzw -entziehung für das volljährige Kind als Mitglied der Bedarfs- bzw Haushaltsgemeinschaft aufgrund fehlender Mitwirkung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.2.2018, B 14 AS 17/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:140218UB14AS1717R0
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Aufteilung der
Unterkunftskosten nach Kopfteilen - Leistungsversagung
bzw -entziehung für das volljährige Kind als Mitglied der
Bedarfs- bzw Haushaltsgemeinschaft aufgrund fehlender
Mitwirkung
Leitsätze
Allein die Versagung von Leistungen für eine von mehreren in
einer Wohnung lebenden Personen wegen deren fehlender
Mitwirkung bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit rechtfertigt keine
Abweichung vom Kopfteilprinzip zugunsten der anderen
Personen.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des
Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Februar 2017
aufgehoben und die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des
Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2014 zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des
Widerspruchsverfahrens zu zwei Dritteln, im Übrigen keine
Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1
Umstritten sind - nach einem Teilvergleich der Beteiligten im Termin
vor dem Senat - höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die
Kläger im Januar und Februar 2011.
2
Die miteinander verheirateten Kläger lebten gemeinsam mit ihrem
unverheirateten 21-jährigen Sohn in einer nur von ihnen gemieteten
Wohnung. Alle drei bezogen zunächst als Bedarfsgemeinschaft
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
vom beklagten Jobcenter. Nachdem der Sohn ein Gewerbe
angemeldet hatte, war er vom Beklagten vergeblich zur Abgabe einer
Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit aufgefordert
worden. Wegen fehlender Mitwirkung des Sohns versagte der
Beklagte zunächst allen dreien Leistungen ab Oktober 2010
(Bescheid vom 29.9.2010). Auf die Widersprüche der Kläger
hiergegen bewilligte er ihnen vorläufig Alg II
(Bescheid vom 15.10.2010 für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011,
Änderungsbescheide vom 10.2.2011 und 26.3.2011)
. Dabei berücksichtigte der Beklagte bei den Leistungen für
Unterkunft und Heizung weiterhin nur den jeweiligen Kopfteil der
Kläger an den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, nicht den
"fehlenden" Kopfteil ihres Sohns. Deren hiergegen erhobene
Widersprüche, mit denen sie höhere Leistungen für Unterkunft und
Heizung für sich wegen der Leistungsversagung gegenüber ihrem
Sohn begehrten, blieben erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 30.3.2011). Für Januar und Februar
2011 bewilligte der Beklagte den Klägern abschließend Alg II
(Änderungsbescheid vom 31.3.2011), erneut ohne Berücksichtigung
des Kopfteils des Sohns als Bedarf der Kläger. Seit März 2011 leben
die Kläger ohne ihren Sohn in einer anderen Wohnung.
3
Die auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftsaufwendungen
gerichteten Klagen hat das SG abgewiesen (Urteil vom 10.2.2014).
Auf die Berufungen der Kläger hat das LSG das SG-Urteil
aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Klägern weitere
Leistungen für Unterkunft und Heizung zu bewilligen
(Urteil vom 9.2.2017): Deren Anspruch auf Leistungen für die
tatsächlichen, angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung sei nicht durch das Kopfteilprinzip begrenzt. Zur Vermeidung
einer Bedarfsunterdeckung sei wie bei einem Wegfall der Leistungen
für Unterkunftsaufwendungen im Rahmen von Sanktionen
(§§ 31 ff SGB II; Hinweis auf BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R -
BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68)
auch bei einer Versagung wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 SGB I)
eine Abweichung vom Kopfteilprinzip erforderlich.
4
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine
Verletzung des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Entgegen der Auffassung
des LSG sei die Rechtsprechung des BSG zur Abweichung vom
Kopfteilprinzip bei Sanktionen vorliegend nicht auf die Versagung
übertragbar, denn wegen seiner fehlenden Mitwirkung sei ungewiss,
ob der Sohn seinen Kopfteil an den Unterkunftsaufwendungen aus
eigenem Einkommen habe tragen können.
5
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Februar
2017 aufzuheben und die Berufungen der Kläger gegen das Urteil
des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2014 zurückzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet und das Urteil
des LSG ist aufzuheben. Auf die Revision des Beklagten sind die
Berufungen der Kläger gegen das Urteil des SG zurückzuweisen
(§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG), weil ihnen kein Anspruch auf höhere
Leistungen für Unterkunft und Heizung zusteht.
8
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des
LSG, das auf die Berufungen der Kläger das Urteil des SG
aufgehoben und den Beklagten zur Bewilligung weiterer Leistungen
verurteilt hat, und das klageabweisende Urteil des SG, dessen
Wiederherstellung der Beklagte durch Zurückweisung der
Berufungen der Kläger erstrebt. Mit ihren Klagen begehren die
Kläger höhere als die ihnen zuletzt bewilligten Leistungen für
Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II
(zur Zulässigkeit der Beschränkung des Streitgegenstands auf die
Leistungen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II vgl nur BSG vom
4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 ff)
. Streitiger Zeitraum ist nach dem Teilvergleich der Beteiligten vor
dem Senat nur noch Januar und Februar 2011.
9 Gegenstand des Verfahrens ist insoweit allein der Bescheid vom
31.3.2011, durch den der Beklagte trotz seiner Bezeichnung als
Änderungsbescheid für Januar und Februar 2011 eine
abschließende Entscheidung über Alg II getroffen hat
(zur Auslegung eines Änderungsbescheids als "abschließende
Entscheidung" vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-
4200 § 40 Nr 9 RdNr 26; BSG vom 5.7.2017 - B 14 AS 36/16 R -
SozR 4-1500 § 86 Nr 3 RdNr 14)
, die die letzte vorläufige Entscheidung für diese Monate durch
Änderungsbescheid vom 26.3.2011 nach Erlass des
Widerspruchsbescheids vom 30.3.2011 und noch vor
Klageerhebung ersetzte und erledigte
(§ 96 Abs 1 SGG, § 39 Abs 2 SGB X; vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4
AS 54/15 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 3 RdNr 14; BSG vom 5.7.2017 - B
14 AS 36/16 R - SozR 4-1500 § 86 Nr 3 RdNr 15; zur Einbeziehung
auch von Bescheiden zwischen Erlass des Widerspruchsbescheids
und Klageerhebung vgl Klein in jurisPK-SGG, 2017, § 96 RdNr 22;
B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl
2017, § 96 RdNr 2, 3a)
.
10
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die für Januar und Februar
2011 mit den insoweit statthaften kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) begehrten
höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Abweichung
vom Kopfteilprinzip.
11
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs der
Kläger, die nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen
des LSG die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II,
aber keinen Ausschlusstatbestand erfüllten und in
Bedarfsgemeinschaft miteinander lebten, ist § 19 Abs 1 Satz 1 und 3
iVm § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II
(in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453;
Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15
R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f)
. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen
sind.
12
3. Nach den Feststellungen des LSG waren die tatsächlichen
Aufwendungen für die (auch) von den Klägern genutzte Wohnung
angemessen und sind vom Beklagten in voller Höhe im Bescheid
vom 31.3.2011 als Bedarf anerkannt sowie der Berechnung des
Leistungsanspruchs zugrunde gelegt worden. Indes lebten die
beiden Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht allein in der
Wohnung, sondern gehörte dem Haushalt als Dritter ihr
gemeinsamer volljähriger, unter 25 Jahre alter Sohn an, weshalb
ihnen als ihre beiden Kopfteile zu Recht nur zwei Drittel der
gesamten Unterkunftsaufwendungen bewilligt worden sind.
Entgegen der Rechtsauffassung des LSG ist vorliegend von dem
hinter dieser Aufteilung der Unterkunftsaufwendungen stehenden
Kopfteilprinzip nicht deshalb zugunsten der Kläger abzuweichen,
weil ihrem Sohn wegen dessen fehlender Mitwirkung bei der
Einkommensprüfung Leistungen versagt worden sind.
13
a) Das im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II anzuwendende
Kopfteilprinzip zielt bei der gemeinsamen Nutzung einer Wohnung
durch mehrere Personen auf die grundsicherungsrechtliche
Zuweisung individueller Bedarfe für alle Personen. Danach werden
Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht nur für Personen
anerkannt, soweit diese zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung
schuldrechtlich gegenüber Dritten verpflichtet sind, während für
rechtlich hierzu nicht Verpflichtete keine Bedarfe anerkannt werden.
Vielmehr soll durch die Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung nach Kopfteilen für alle gemeinsam eine Wohnung
nutzenden Personen die Zuweisung eines individuellen Bedarfs für
Unterkunft und Heizung in grundsätzlich gleicher Höhe erreicht
werden
(vgl dazu und zu den Folgen für den individuellen
Leistungsanspruch insbesondere von Kindern Harich in jurisPR-
SozR 17/2013 Anm 1)
.
14
b) Diese bedarfsbezogene Herleitung ist prägend für die
Rechtsprechung des BSG zur Anwendung des Kopfteilprinzips im
SGB II wie auch zu dessen Ausnahmen
(zur Rechtsprechung des BVerwG, an die das BSG anknüpfte, vgl
BVerwG vom 21.1.1988 - 5 C 68.85 - BVerwGE 79, 17)
.
15
Nach dieser sind die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
ohne Rücksicht darauf, wen insoweit die vertraglichen
Zahlungsverpflichtungen treffen, im Regelfall unabhängig von Alter
und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn die
leistungsberechtigte Person eine Unterkunft gemeinsam mit anderen
Personen, insbesondere mit anderen Familienangehörigen, nutzt,
und es gilt dies unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer
Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Die individuelle
Bedarfszuweisung nach Kopfteilen ist verwaltungspraktikabel und
folgt der Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer
Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf
insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen
Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen
für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt
(stRspr seit BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265
= SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 28 f; vgl nur BSG vom 23.5.2013 - B
4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 18;
BSG vom 22.8.2013 - B 14 AS 85/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 71
RdNr 20 ff; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 §
22 Nr 82 RdNr 16; zur Anwendung des Prinzips auch bei
Nachforderungen für Unterkunft und Heizung und selbst nach
Auszug: BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 13/16 R - SozR 4-4200 § 22
Nr 92 RdNr 16; anders, wenn der Nutzung andere bindende
vertragliche Regelungen zugrunde liegen: BSG vom 29.11.2012 - B
14 AS 36/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 63 RdNr 25 ff;
BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 161/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 66
RdNr 16; zur Kritik am Kopfteilprinzip vgl Schürmann, SGb 2010,
166; zur vom Kopfteilprinzip abweichenden Aufteilung beim
Kinderzuschlag nach § 6a BKGG vgl BSG vom 9.3.2016 - B 14 KG
1/15 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 6 RdNr 23 ff)
.
16
c) Bei der Bedarfszuweisung durch Aufteilung der Aufwendungen
nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II handelt es
sich um eine generalisierende und typisierende Annahme, die
jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Leistungen für
Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist
(BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-
4200 § 22 Nr 68, RdNr 19; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R -
SozR 4-4200 § 22 Nr 82 RdNr 17)
. Demgemäß hat das BSG schon mehrfach Abweichungen vom
Kopfteilprinzip als möglich und notwendig angesehen
(vgl BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR
4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 20 mwN; BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS
3/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 80 RdNr 27 f)
.
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d) In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der 4. Senat des BSG
für den Sonderfall, dass bei einem Mitglied einer
Bedarfsgemeinschaft aufgrund einer Sanktion nach §§ 31 ff SGB II
die Leistungen für Unterkunft und Heizung weggefallen sind, eine
Abweichung vom Kopfteilprinzip hinsichtlich der weiteren
Bedarfsgemeinschaftsmitglieder aus bedarfsbezogenen Gründen
bejaht. Diese könnten nicht darauf verwiesen werden, von einem
Dritten seinen Anteil zu verlangen, wenn das Jobcenter mit
bestandskräftigem Bescheid den vollständigen Wegfall der
Leistungen für Unterkunft und Heizung verfügt und der Dritte auch
kein Einkommen oder Vermögen habe, aus dem er seinen Anteil an
den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bestreiten könne
(BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-
4200 § 22 Nr 68, RdNr 14, 21 f)
. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen
(BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82
RdNr 19)
.
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Diese Abweichung vom Kopfteilprinzip und die aus ihr folgende
Erhöhung der Einzelansprüche auf Leistungen für Unterkunft und
Heizung setzt voraus, dass sie aus bedarfsbezogenen Gründen
geboten ist
(BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-
4200 § 22 Nr 68, RdNr 21 f; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R -
SozR 4-4200 § 22 Nr 82 RdNr 14)
. Verfügt das dritte Bedarfsgemeinschaftsmitglied, für das
Leistungen für Unterkunftsaufwendungen nicht erbracht werden,
über Einkommen oder Vermögen, aus dem es seinen Kopfteil - oder
ggf Teile davon - bestreiten kann, ist insoweit eine Abweichung vom
Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen nicht geboten, denn
es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
wirtschaftlich leistungsfähigen Dritten ein kostenfreies Wohnen zu
ermöglichen
(BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82
RdNr 14, 22)
.
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Zur Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens oder
Vermögens des Dritten ist auf §§ 11 ff SGB II abzustellen, weil nur in
Höhe der Differenz zwischen seinem Kopfteil und des von ihm
einzusetzenden Einkommens oder Vermögens ein ungedeckter
Bedarf vorliegt, der eine entsprechende Abweichung vom
Kopfteilprinzip und höhere Leistungen an die anderen Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft aus den genannten bedarfsbezogenen
Gründen rechtfertigt
(BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82
RdNr 23)
.
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e) Aufgrund des Versagungsbescheids des Beklagten vom
29.9.2010 sind dem Sohn der Kläger zwar im Januar und Februar
2011 keine Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht worden.
Doch war nach den Feststellungen des LSG Anlass hierfür dessen
fehlende Mitwirkung bei der Prüfung, ob und ggf in welchem Umfang
er über zu berücksichtigendes Einkommen aus seiner
selbstständigen Tätigkeit verfügte. Aufgrund dieser fehlenden, nach
dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG zudem
nicht nachgeholten Mitwirkung ist ungewiss, ob überhaupt und ggf in
welchem Umfang der Kopfteil des Sohns bei einer Abweichung vom
Kopfteilprinzip bei den Klägern zu berücksichtigen sein könnte, ob
und ggf inwieweit bei ihnen also ein ungedeckter Bedarf verblieben
ist
(vgl zum Kindergeld des sanktionierten volljährigen Kindes BSG
vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82 RdNr
24)
.
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f) Diese Ungewissheit über die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II
bei Versagungen nach § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung bei
der Feststellung zu berücksichtigenden Einkommens rechtfertigt,
anders als beim durch das Jobcenter verfügten Wegfall des
Anspruchs auf Leistungen für Unterkunftsaufwendungen nach §§ 31
ff SGB II, keine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus
bedarfsbezogenen Gründen. Ist die Hilfebedürftigkeit eines dritten
Haushaltsmitglieds, bei deren Vorliegen dessen Kopfteil als Bedarf
anerkannt und übernommen würde, ungeklärt, lässt dies den Bedarf
der anderen Mitglieder unberührt. Dies unterscheidet Versagungen
von Sanktionen, weil aufgrund dieser vorübergehend trotz
Hilfebedürftigkeit des Dritten dessen Bedarf für Unterkunft und
Heizung nicht übernommen wird. Die Folgen des "fehlenden"
Kopfteils für die anderen Mitglieder des Haushalts aufgrund einer
Versagung gegenüber einem dritten Mitglied, weil dieses die ua in
§§ 60 ff SGB I iVm § 9 und §§ 11 ff SGB II zum Ausdruck
kommenden Verhaltenserwartungen nicht erfüllt, sind nicht durch
höhere Einzelansprüche der anderen Haushaltsmitglieder
auszugleichen (dazu im Einzelnen 4. und 5.).
22
4. Dies gilt auch dann, wenn die Mitglieder des Haushalts mit dem
Dritten, ist dieser hilfebedürftig, eine Bedarfsgemeinschaft bilden
würden. Werden die mit dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft im
SGB II verbundenen rechtlichen Erwartungen nicht erfüllt,
"funktioniert" die Bedarfsgemeinschaft nicht
(zum Begriff "funktionierende" Bedarfsgemeinschaft vgl BSG vom
7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr
1, RdNr 15; BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100,
186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, RdNr 41; BSG vom 15.4.2008 - B
14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 48; zum Begriff
"nicht-funktionierende" Bedarfsgemeinschaft vgl Peters in
Estelmann, SGB II, § 9 RdNr 62, Stand März 2016; jeweils zur Frage
der Verteilung der Mittel in der Bedarfsgemeinschaft)
. Mit dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft im SGB II als typisierte
. Mit dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft im SGB II als typisierte
Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft ist verbunden, dass
die häusliche familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft
Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen sein kann, weil
anzunehmen ist, dass deren Mitglieder in besonderer Weise
füreinander einstehen und bereit sind, ihren Lebensunterhalt auch
jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu
sichern
(vgl BVerfG vom 27.7.2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353
RdNr 53, 63; zu den Anforderungen an einen Haushalt von Eltern
mit einem volljährigen Kind als eine Bedarfsgemeinschaft vgl BSG
vom 14.3.2012 - B 14 AS 17/11 R - BSGE 110, 204 = SozR 4-4200
§ 9 Nr 10, RdNr 23 ff)
. Werden diese rechtlichen Erwartungen tatsächlich nicht erfüllt, führt
dies grundsätzlich nicht zu höheren Leistungsansprüchen für
einzelne Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Doch berechtigt dies
zur Auflösung des gemeinsamen Haushalts und damit der
Bedarfsgemeinschaft, selbst wenn das im Einzelfall zu höheren
individuellen Leistungsansprüchen führen kann
(vgl dazu BVerfG, aaO, RdNr 64 ff; BSG, aaO, RdNr 30). Hierbei
kommt auch die Inanspruchnahme der Beratung und Unterstützung
durch das Jobcenter, insbesondere in den Fällen eines Eltern-Kind-
Konflikts, in Betracht
(vgl dazu Breitkreuz in BeckOK, SGB II, § 22 RdNr 8b, Stand
September 2017)
.
23
Dies gilt auch vorliegend: Würde der Sohn der Kläger über seinen
Bedarf deckendes Einkommen verfügt haben, wäre er nach § 7 Abs
3 Nr 4 SGB II nicht Mitglied ihrer Bedarfsgemeinschaft gewesen,
gleichwohl aber Mitglied des gemeinsamen Haushalts, weshalb die
Kläger weiterhin nur einen Anspruch auf zwei Drittel der
Unterkunftsaufwendungen gehabt hätten - soweit dem aufgrund der
Einkommenshöhe nicht die Vermutung nach § 9 Abs 5 SGB II
entgegen gestanden hätte, dass sie Leistungen vom Sohn erhalten.
Würde dieser nicht oder nur teilweise über seinen Bedarf deckendes
Einkommen verfügt haben, wäre er nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II
Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Kläger gewesen und hätten
diese einen Anspruch auf ihre beiden Kopfteile der
Unterkunftsaufwendungen gehabt. Würde in der ersten Konstellation
der dem Haushalt angehörige, nicht hilfebedürftige Sohn seinen
Kopfteil aus Einkommen nicht beigetragen haben, hätte dies den
Leistungsanspruch der hilfebedürftigen Kläger nicht erhöht. Soweit
der Sohn selbst bei Hilfebedürftigkeit in der zweiten Konstellation
wegen der Versagung seinen Kopfteil aus Leistungen nicht
beigetragen hat, ändert auch dies nichts am Anspruch der Kläger
nur auf ihre Kopfteile. Auf den "fehlenden" Kopfteil, wenn dessen
Tragung durch den Sohn aus Einkommen oder aus Leistungen nicht
erreicht werden kann, ist in der einen wie der anderen Konstellation
nicht durch höhere Leistungen für die Kläger zu reagieren. Das LSG
musste deshalb auch keine Ermittlungen hinsichtlich des
Einkommens des Sohns anstellen.
24
5. Die Ablehnung eines höheren Anspruchs der Kläger auf
Leistungen für Unterkunft und Heizung in Abweichung vom
Kopfteilprinzip steht weder im Widerspruch zur dargestellten
Rechtsprechung des BSG, die vorübergehend höhere Ansprüche
bei Sanktionen gegenüber Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern unter
bestimmten Voraussetzungen zuerkannt hat, noch zur
Rechtsprechung des Senats, nach der vom Kopfteilprinzip
abzuweichen ist, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die
Wohnung über einen Zeitraum nicht nutzt, der auch zu einem
Ausschluss von Leistungen nach § 7 Abs 4, 4a SGB II führt
(Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds: BSG vom
19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 19;
im Pflegeheim lebendes Bedarfsgemeinschaftsmitglied: BSG vom
16.4.2013 - B 14 AS 71/12 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 12 RdNr 23)
.
25
Der Hintergrund für diese vom Kopfteil als Maßstab für die Aufteilung
der Unterkunftsaufwendungen bestehenden Ausnahmen ist die
Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen, die in diesen Fällen nur
über Ansprüche der jeweiligen leistungsberechtigten Person
sichergestellt werden kann
(BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 40/15 R - SozR 4-1500 § 75 Nr 24
RdNr 43)
. So liegt es vorliegend indes nicht. Denn in den streitigen Monaten
lebte der Sohn der Kläger weiterhin mit diesen in einem Haushalt
und nutzte gemeinsam mit ihnen die Wohnung, die seinen aktuellen
Unterkunftsbedarf deckte, und bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit
in diesen Monaten konnte sein aktueller anteiliger Unterkunftsbedarf
durch Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II
sichergestellt werden. Die Erbringung dieser Leistungen war zudem
trotz der Versagung noch durch Nachholung der Mitwirkung
erreichbar (§ 67 SGB I).
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6. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger aus anderen Gründen als
einer Abweichung vom Kopfteilprinzip Anspruch auf höhere als die
ihnen bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung haben
könnten, lassen sich weder den Feststellungen des LSG noch dem
Vorbringen der Beteiligten entnehmen. Insbesondere lässt sich den
ungerügt gebliebenen Feststellungen des LSG nicht entnehmen,
dass der gemeinsamen Nutzung der Wohnung durch die Kläger und
ihren Sohn bindende vertragliche Regelungen zwischen den
Familienmitgliedern zugrunde lagen, die für eine Abweichung vom
Kopfteilprinzip streiten könnten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Der
Teilkostenerstattung für das Widerspruchsverfahren liegt zugrunde,
dass der Beklagte zunächst auch gegenüber den Klägern wegen
fehlender Mitwirkung ihres Sohns Leistungen ganz versagt hatte,
weshalb die auf deren Widersprüche hiergegen ergangene
Leistungsbewilligung eine Teilabhilfe ist (vgl § 63 SGB X).