Urteil des BSG vom 13.03.2018

Teilarbeitslosengeldanspruch - Erfüllung der Anwartschaftszeit - Berücksichtigung zweier Teilzeitbeschäftigungen - keine Einbeziehung von vorangegangener Vollzeitbeschäftigung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.3.2018, B 11 AL 23/16
R
ECLI:DE:BSG:2018:130318UB11AL2316R0
Teilarbeitslosengeldanspruch - Erfüllung der
Anwartschaftszeit - Berücksichtigung zweier
Teilzeitbeschäftigungen - keine Einbeziehung von
vorangegangener Vollzeitbeschäftigung
Leitsätze
Zeiten einer Vollzeitbeschäftigung führen nicht zur Erfüllung der
spezifischen Anwartschaftszeit für das Teilarbeitslosengeld,
wenn zeitgleich keine weitere beitragspflichtige Beschäftigung
ausgeübt wird.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Februar 2016 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren
außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Im Streit ist ein Anspruch auf Teilarbeitslosengeld (Teil-Alg) für die Zeit
vom 15.9.2012 bis 31.12.2012.
2
Die 1966 geborene Klägerin ist von Beruf Diplom-Sozialarbeiterin. Sie
war vom 1.2.2006 bis 31.7.2010 als pädagogische Fachkraft
versicherungspflichtig beschäftigt, bezog vom 2.8.2010 bis 9.9.2010
Alg und übte sodann vom 10.9.2010 bis 27.7.2011 eine
versicherungspflichtige Beschäftigung als wissenschaftliche Lehrkraft
in Vollzeit aus. Anschließend bezog sie vom 28.7.2011 bis
31.12.2011 aus dem zum 2.8.2010 entstandenen Anspruch
wiederum Alg. Am 1.1.2012 begann die Klägerin zwei jeweils
versicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigungen als Sozialarbeiterin.
Aus gesundheitlichen Gründen gab sie am 10.9.2012 eine dieser
Tätigkeiten auf.
3
Am 15.9.2012 meldete sich die Klägerin wegen des Verlustes einer
Teilzeittätigkeit teilarbeitslos und beantragte die Zahlung von Teil-Alg.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin in den letzten
beiden Jahren vor Antragstellung weniger als zwölf Monate
versicherungspflichtig teilzeitbeschäftigt gewesen sei und daher die
Anwartschaftszeit für Teil-Alg nicht erfülle
(Bescheid vom 2.10.2012; Widerspruchsbescheid vom 8.11.2012).
Zum 31.12.2012 endetet auch die zweite Teilzeittätigkeit der Klägerin.
Diese bezog vom 1.1.2013 bis 19.3.2013 (Voll-) Alg und nahm
danach wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Vollzeit
auf. Klage und Berufung der Klägerin wegen der Versagung von Teil-
Alg blieben erfolglos
(Urteil des SG vom 5.12.2013; Urteil des LSG vom 26.2.2016). Ein
Anspruch auf Teil-Alg bestehe nicht, weil die Klägerin nicht für
mindestens zwölf Monate neben der aufgegebenen
versicherungspflichtigen Beschäftigung eine weitere
versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Die Regelung
zur Anwartschaftszeit bei Teil-Alg verstoße auch nicht gegen
Grundrechte.
4
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine
Verletzung von § 162 Abs 1 und Abs 2 Nr 2 SGB III. Nach Sinn und
Zweck der Anwartschaftszeit für das Teil-Alg werde diese auch erfüllt,
wenn eine versicherungspflichtige Beschäftigung zwar weniger als
zwölf Monate durch nebeneinander ausgeübte Teilzeitverhältnisse,
insgesamt aber länger als zwölf Monate ausgeübt worden sei. Nach
den Gesetzesmaterialien sei allein eine "längere" parallele Ausübung
bzw die Ausübung über "einige Zeit" erforderlich.
5
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Februar
2016 und des Sozialgerichts Speyer vom 5. Dezember 2013 sowie
den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2012 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8. November 2012 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, ihr vom 15. September bis 31. Dezember
2012 Teilarbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
7
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung der
Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG
zurückgewiesen, denn es besteht kein Anspruch auf Teil-Alg.
9
Streitgegenstand ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen
der die Zahlung von Teil-Alg ablehnende Bescheid vom 2.10.2012
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.11.2012, den die
Klägerin zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4 SGG) angreift. Sie begehrt
zulässigerweise dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) die
Zahlung der Geldleistung Teil-Alg für die Zeit vom 15.9.2012 bis
31.12.2012.
10
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Teil-Alg liegen nicht
vor, denn die Klägerin erfüllt nicht die spezifische Anwartschaftszeit
für diese Leistung. Nach § 162 Abs 1 SGB III
(in der ab 1.4.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur
Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom
20.12.2011 - BGBl I 2854 -, die § 150 SGB III in der bis zum
31.3.2011 geltenden Fassung entspricht)
hat Anspruch auf Teil-Alg, wer als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer
teilarbeitslos ist, sich teilarbeitslos gemeldet und die
Anwartschaftszeit für Teil-Alg erfüllt hat. Nach § 162 Abs 2 SGB III
gelten für das Teil-Alg die Vorschriften über das Alg bei
Arbeitslosigkeit sowie für Empfängerinnen und Empfänger dieser
Leistung entsprechend, soweit sich aus den Besonderheiten des
Teil-Alg nichts anderes ergibt. Für die Anwartschaftszeit für das Teil-
Alg gilt die Maßgabe, dass diese erfüllt hat, wer in der Teil-Alg-
Rahmenfrist von zwei Jahren neben der weiterhin ausgeübten
versicherungspflichtigen Beschäftigung mindestens zwölf Monate
eine weitere versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat;
die Regelungen zum Alg über die Rahmenfrist gelten entsprechend
(§ 162 Abs 2 Nr 2 SGB III).
11
Bei Eintritt von Teilarbeitslosigkeit am 15.9.2012 hat die Klägerin in
der Teil-Alg-Rahmenfrist von zwei Jahren, die am 14.9.2012 beginnt
und bis 15.9.2010 zurückreicht
(§ 162 Abs 2 Nr 2 SGB III iVm § 143 Abs 1 SGB III; vgl J Schneider
in jurisPK-SGB III, 2014, § 162 RdNr 26)
, neben der beendeten versicherungspflichtigen Beschäftigung
keine zwölf Monate eine weitere versicherungspflichtige
Beschäftigung ausgeübt. Denn die zum 15.9.2012 beendete
Teilzeitbeschäftigung hatte sie gleichzeitig mit der weiteren von ihr
ausgeübten Teilzeitbeschäftigung erst am 1.1.2012 aufgenommen.
Nur für diesen Zeitraum von weniger als zehn Monaten hat sie zwei
versicherungspflichtige Beschäftigungen nebeneinander ausgeübt.
12
Zuvor war sie zwar in der Zeit vom 10.9.2010 bis zum 27.7.2011 in
Vollzeit beschäftigt. Doch schon nach dem Wortlaut des § 162 Abs 2
Nr 2 SGB III kann eine Beschäftigungszeit nur dann zur Erfüllung der
spezifischen Anwartschaftszeit für das Teil-Alg führen, wenn im
selben Zeitraum eine weitere beitragspflichtige Beschäftigung
ausgeübt wird
(vgl R Becker in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 162 RdNr 77a, Stand
September 2017; Peters-Lange in Gagel, SGB II/SGB III, § 162 SGB
III RdNr 21b, Stand Juni 2017)
. Denn "neben" bedeutet in dem Sinne, in dem es in § 162 Abs 2 Nr
2 SGB III verwendet wird, dass mehrere versicherungspflichtige
Beschäftigungen zeitgleich, also parallel verrichtet werden. Daran
fehlt es, wenn - wie hier in der Zeit vom 10.9.2010 bis zum 27.7.2011
- nur ein Beschäftigungsverhältnis besteht.
13
Dieses Ergebnis wird, anders als es die Revision meint, gestützt
durch Sinn und Zweck der Regelungen zum Teil-Alg, welche nur
einen begrenzten Schutz gewährleisten. Teilarbeitslosigkeit soll
allein dann zu Ansprüchen führen, wenn und solange mehrere
versicherungspflichtige Beschäftigungen nebeneinander ausgeübt
worden sind, von denen eine entfällt, während die andere fortgeführt
wird (vgl BT-Drucks 13/4941 S 181).Die weitere Ausübung nur noch
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung soll für einen
begrenzten Zeitraum jedenfalls für einen Anspruch auf Teil-Alg nicht
anspruchsvernichtend sein
(R Becker in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 162 RdNr 55, Stand April
2014)
. Weitere Fallgruppen hat der Gesetzgeber in das
Regelungskonzept nicht einbezogen, selbst wenn dies
sozialpolitisch wünschenswert sein könnte
(dazu Peters-Lange in Gagel, SGB II/SGB III, § 162 SGB III RdNr 51,
Stand Juni 2017; zur derzeit geringen praktischen Bedeutung des
Teil-Alg J Schneider in jurisPK-SGB III, 2014, § 162 RdNr 9, 44).
14
Aus diesem Grund kann - wie das BSG bereits entschieden hat - ein
Anspruch auf Teil-Alg aus der Ausübung einer einzelnen
versicherungspflichtigen Beschäftigung auch dann nicht entstehen,
wenn in dieser Beschäftigung die Arbeitszeit reduziert wird
(BSG vom 6.2.2003 - B 7 AL 12/01 R - BSGE 90, 270 = SozR 4-
4300 § 150 Nr 1, juris RdNr 13 ff)
. Wenn neben einer die Vollarbeitslosigkeit ausschließenden
selbstständigen Tätigkeit eine versicherungspflichtige
Teilzeitbeschäftigung ausgeübt worden ist und diese Beschäftigung
entfällt, kann die Anwartschaftszeit ebenfalls nicht erfüllt werden
(BSG vom 3.12.2009 - B 11 AL 28/08 R - SozR 4-4300 § 150 Nr 3).
Auch dann fehlt es an zwei nebeneinander ausgeübten
versicherungspflichtigen Beschäftigungen.
15
Systematisch hat der Gesetzgeber das Teil-Alg zudem als eine
eigenständige Leistung ausgestaltet, wie sich schon aus der
Aufzählung in § 3 Abs 4 SGB III ergibt (vgl
R Becker in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 162 RdNr 4, 36, Stand
April 2014)
. Es ist durch ein eigenes Stammrecht gekennzeichnet, die Zahlung
von Teil-Alg vermindert die Dauer des Anspruchs auf Alg nur nach
Maßgabe der Sonderregelung des § 148 Abs 1 Nr 2 SGB III und die
Ansprüche schließen sich gegenseitig aus. Auch das spricht dafür,
Anspruchsvoraussetzungen für die jeweiligen Leistungen strikt
getrennt zu betrachten.
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Übertragen auf die spezifischen Anforderungen an die
Anwartschaftszeit für das Teil-Alg bedeutet dies, dass allein die
jeweiligen Teilarbeitsverhältnisse für die Bestimmung der
Anwartschaftszeit bei Teil-Alg maßgeblich sind. Aus diesem Grund
wird die Berechnung der spezifischen Rahmenfrist für das Teil-Alg
auch nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 143 Abs 2
SGB III begrenzt, wenn nach einer früheren Vollzeittätigkeit Alg
bezogen wurde
(BSG vom 17.11.2005 - B 11a AL 1/05 R - SozR 4-4300 § 150 Nr 2,
juris RdNr 17 f; zustimmend mit weiteren Beispielen Wank/Maties,
SGb 2006, 680 f)
. Nach dieser Vorschrift reicht die Rahmenfrist nicht in eine
vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine
Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Wäre die frühere Vollzeittätigkeit aber
- wie die Revision meint - geeignet, einen Anspruch auf Teil-Alg
auszulösen, müsste, nachdem die Klägerin aufgrund des Verlusts
dieser Vollzeitbeschäftigung Alg bezogen hat, die Rahmenfrist
entsprechend § 143 Abs 2 SGB III enden, weil die davorliegenden
Zeiten schon einen Leistungsanspruch auf Alg begründet haben.
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Die Berücksichtigung nur einer einzigen Tätigkeit, die nicht neben
einer weiteren ausgeübt wurde, bei Ermittlung der Anwartschaftszeit
für Teil-Alg würde zudem zu kaum lösbaren Problemen bei der
Bemessung des Teil-Alg führen. Es wäre offen, welches
Arbeitsentgelt der Bemessung zugrunde gelegt werden müsste.
Nicht sachgerecht dürfte es zB sein, den Verdienst einer
Vollzeittätigkeit vollständig bei der Bemessung des Teil-Alg zu
berücksichtigen. Daher sind jeweils zwei verschiedene Stränge von
Anwartschaftszeiten aus parallelen Beschäftigungen zu fordern, die
jeweils zu Teil-Alg führen können
(vgl Wank/Maties, SGb 2006, 680 f).
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Eine Verletzung von Art 14 Abs 1 GG liegt nicht vor. Der Klägerin ist
die unter bestimmten Voraussetzungen eigentumsrechtlich
geschützte Aussicht, einen Anspruch auf Teil-Alg erwerben zu
können, von vornherein nur mit der Beschränkung eingeräumt
worden, dass sie die spezifische Anwartschaftszeit erfüllen muss
(vgl BSG vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 56/06 R - SozR 4-4300 § 37b
Nr 5, juris RdNr 19)
.
19
Auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
(Art 3 Abs 1 GG) durch die Regelungen zum Teil-Alg ist nicht
ersichtlich
(so bereits BSG vom 3.12.2009 - B 11 AL 28/08 R - SozR 4-4300 §
118 Nr 5 RdNr 17)
. Es ist nicht zu erkennen, dass es Personengruppen gibt, die in
Bezug auf den Anspruch auf Teil-Alg unterschiedlich behandelt
werden. Die Anforderung vor Eintritt des Versicherungsfalls eine
spezifische Anwartschaftszeit (Wartezeit) erfüllen zu müssen, trifft
alle in der Arbeitslosenversicherung pflichtversicherten Personen in
gleicher Weise.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.