Urteil des BSG vom 20.03.2018

Urteil vom 20.03.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.3.2018, B 1 KR 4/17 R
ECLI:DE:BSG:2018:200318UB1KR417R0
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar
2017 aufgehoben und der Rechtstreit zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf
Versorgung mit Fertigarzneimitteln, die intravenös zu applizierendes
Immunglobulin (IVIG) enthalten.
2
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, 1937 geborene
Kläger leidet seit 1992 unter zum Teil jährlich mehrfach
rezidivierenden, seit 1998 nur noch stationär behandelten
Pneumonien (insgesamt mehr als 30 Krankenhausaufenthalte). Prof.
Dr. S. ( Hochschule H.) behandelt ihn seit 1998 fortlaufend -
abgesehen von einer Unterbrechung von August 2009 bis Anfang
März 2010 - auch in den infektfreien Intervallen ambulant mit
Immunglobulinen (Octagam, Intratect, Privigen) unter der Diagnose
Antikörpermangelsyndrom (Immunglobulinmangel) bei monoklonaler
Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS), um die Häufigkeit
und Schwere der Infekte zu reduzieren. Der von der Beklagten
beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK)
verneinte eine akut lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich
verlaufende Erkrankung. Die Beklagte teilte Prof. Dr. S. mit, die IVIG-
Behandlung dürfe nicht zu ihren Lasten fortgeführt werden (9.2.2009).
Den Antrag des Klägers auf Fortführung der IVIG-Behandlung lehnte
die Beklagte ab
(Bescheid vom 19.2.2009, Widerspruchsbescheid vom 6.8.2009).
Nach Klageerhebung hat der Kläger im einstweiligen Rechtsschutz
obsiegt (LSG Beschluss vom 3.3.2010 - L 4 KR 44/10 B ER)und
erhält seither weiterhin die IVIG-Behandlung zu Lasten der Beklagten.
erhält seither weiterhin die IVIG-Behandlung zu Lasten der Beklagten.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Die IVIG-Fertigarzneimittel seien
für die Erkrankung des Klägers nicht zugelassen, seine Pneumonien
noch mit einer Standardtherapie (Antibiotikagabe) beherrschbar
(Urteil vom 23.9.2014). Das LSG hat die Beklagte verurteilt, den
Kläger mit IVIG-Fertigarzneimitteln nach ärztlicher Verordnung zu
versorgen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf die begehrte
Versorgung mit Octagam, Intratect und seit 2012 mit Privigen sowie
auf zukünftige etwaige andere intravenös zu verabreichende
Arzneimittel mit dem Wirkstoff Immunglobulin nach § 2 Abs 1a SGB V
zu. Abzustellen sei auf die schwer eingeschränkte gesundheitliche
Konstitution des Klägers, nicht auf die einzelne mit Antibiotika
behandelbare Pneumonie. Der Kläger leide unter einer signifikanten
Erniedrigung der polyklonalen Immunglobuline (sekundärer
Immunglobulinmangel), die zu einer erhöhten Infektanfälligkeit mit
nicht alterstypischer Häufung von schwersten rezidivierenden
Pneumonien mit Todesgefahr führe. Dafür gebe es keine
Standardtherapie. Die IVIG-Behandlung bewirke beim Kläger eine
Reduktion der krankenhausbedürftigen Infektionen
(Urteil vom 24.1.2017).
3
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte zuletzt noch eine Verletzung von §
2 Abs 1a SGB V. Es fehle an der notstandsähnlichen Situation einer
lebensbedrohlichen Erkrankung. Ferner rügt sie die Verletzung von §
136 Abs 1 Nr 6 iVm § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, §
103 SGG. Das LSG habe die Grenzen freier richterlicher
Beweiswürdigung überschritten und sich ihm aufdrängende
Ermittlungen unterlassen. Dem Urteil fehle es an Gründen.
4
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24.
Januar 2017 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. September 2014
zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24.
Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das
Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
5
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen unter Klarstellung des Tenors,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24.
Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das
Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
6
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung
und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
8
Klageziel ist ein im Wege der kombinierten Anfechtungs- und
Feststellungsklage für die Vergangenheit und der kombinierten
Anfechtungs- und Leistungsklage für die Zukunft zulässig geltend
gemachter Anspruch des Klägers auf Versorgung mit ärztlich
verordneten IVIG-Fertigarzneimitteln (dazu 1.). Ob dem Kläger ein
solcher Anspruch zusteht, kann der Senat mangels ausreichender
Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das
angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das
LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung materiellen
Rechts. Im Ergebnis kommt nur ein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V
in Betracht. Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise einen Anspruch auf IVIG-Therapie nach
allgemeinen Grundsätzen der Krankenbehandlung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV), nach Off-Label-Use-Grundsätzen und
wegen Seltenheit verneint, ohne Anlass zu Ausführungen zu
anderen Rechtsgrundlagen zu haben (dazu 2.). Der erkennende
Senat kann aber auf der Grundlage der LSG-Feststellungen nicht
entscheiden, ob ein Anspruch aus grundrechtsorientierter
Auslegung des Leistungsrechts, vom Gesetzgeber positiviert in § 2
Abs 1a SGB V
(in Kraft seit 1.1.2012; Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur
Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen
Krankenversicherung
VStG> vom 22.12.2011, BGBl I 2983)
, besteht (dazu 3.). Das angefochtene Urteil kann sich in einem
solchen Fall nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen. Das
LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben
(dazu 4.).
9
1. Die erhobene Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist für den
Zeitraum vom 24.9.2014 bis zum 24.1.2017 die (kombinierte)
Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Kläger begehrt die
Feststellung erst ab diesem Zeitpunkt, da die Beklagte eine
Rückforderung der zuvor dem Kläger vorläufig erbrachten IVIG-
Therapie ausgeschlossen hat. Ziel ist, den Rechtsgrund für das
"Behaltendürfen" der aufgrund einstweiliger Anordnung nur vorläufig
erbrachten Sachleistungen feststellen zu lassen. Bei einem
Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der
erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs 2 iVm § 50 Abs 1
S 2 SGB X und/oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs
2 S 4 SGG iVm § 945 ZPO in Betracht. Hieran ändert die im
einstweiligen Rechtsschutz ausgesprochene Verpflichtung der
Beklagten nichts, IVIG als Sachleistung zu erbringen
(LSG Beschluss vom 3.3.2010). Die Maßnahme ist für die
Vergangenheit korrigierbar. Dies ergibt sich schon aus § 50 Abs 1 S
2 SGB X, der bei Sachleistungen, die nicht herausgegeben werden
können, eine Erstattung in Geld vorsieht
(vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris
RdNr 8 mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen)
. Der LSG-Beschluss weist ausdrücklich auf eine mögliche
Rückforderung der der Beklagen entstehenden Kosten hin. Dies
begründet auch das Feststellungsinteresse des Klägers. Für die
Zukunft (ab 25.1.2017)ist eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) richtige Klageart, da die IVIG-
Behandlung des Klägers noch andauert.
10
2. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung ärztlich verordneter
IVIG-Fertigarzneimittel weder nach allgemeinen Grundsätzen der
Krankenbehandlung (dazu a) noch nach den Grundsätzen des Off-
Label-Use (dazu b) oder des Seltenheitsfalls (dazu c). Andere
Rechtsgrundlagen als § 2 Abs 1a SGB V kommen nicht in Betracht
(dazu d).
11
a) Der Kläger kann von der Beklagten die Behandlung seines
sekundären Immunglobulinmangels, assoziiert mit MGUS und
rezidivierenden Pneumonien, mit einem IVIG-Fertigarzneimittel als
Krankenbehandlung
(§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V) mangels
indikationsbezogener Zulassung nicht beanspruchen. Nach § 27
Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf
Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu
erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung
umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln
(§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung
mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der
GKV grds nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche
Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet
werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und
Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht
von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, §
31 Abs 1 S 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche
(§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz)arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt
(stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22
mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 15 -
Ilomedin; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 12 -
Avastin; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 11,
für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen -
Intratect). Die begehrten IVIG-Fertigarzneimittel sind
zulassungspflichtig. Sie haben weder in Deutschland noch EU-weit
die erforderliche Arzneimittelzulassung für eine Therapie des
sekundären Immunglobulinmangels als solchen noch unter
Berücksichtigung von MGUS und rezidivierenden Pneumonien. Das
steht nach den unangegriffenen, den Senat bindenden
Feststellungen des LSG fest (§ 163 SGG).
12
b) Der Kläger kann eine Versorgung mit IVIG-Fertigarzneimittel auch
im Rahmen eines Off-Label-Use auf Kosten der GKV weder nach §
35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von
Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des Gemeinsamen
Bundesausschusses (GBA) und im Falle von klinischen Studien
regelt (dazu aa), noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rspr
beanspruchen (dazu bb).
13
aa) Der GBA hat eine IVIG-Therapie zur Behandlung des
sekundären Immunglobulinmangels mit MGUS und rezidivierenden
Pneumonien nicht empfohlen. Nach § 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB V
beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung
erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit
Arzneimitteln. Gemäß § 91 Abs 6 SGB V sind die Beschlüsse des
GBA mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach §
136d SGB V (vor dem 1.1.2016: § 137b SGB V) für die Träger iS des
§ 91 Abs 1 S 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie
für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. Gestützt
auf § 35c Abs 1 SGB V enthalten Abschnitt K und Anlage VI der
Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung
(Arzneimittel-Richtlinie vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz
2009, Nr 49a , zuletzt geändert am 21.12.2017, BAnz AT
06.02.2018 B2, mWv 7.2.2018)
Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen
Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" und
führen Wirkstoffe als verordnungsfähig (Anlage VI Teil A) bzw als
nicht verordnungsfähig (Anlage VI Teil B) auf. Die AM-RL sieht
bislang in Anlage VI Teil A eine IVIG-Therapie nur bei den
Diagnosen Polymyositis, Dermatomyositis und Myasthenia gravis
vor. Auf die Frage einer verzögerten Bearbeitung kommt es insoweit
nicht an (vgl § 35c Abs 1 SGB V gegenüber § 135 Abs 1 S 4 SGB V)
. Eine Verzögerung in der Bearbeitung könnte nur zur Anwendung
der allgemeinen Regeln des Off-Label-Use führen
(vgl dazu unten, bb), nicht aber zu einer Zulassungsfiktion
(vgl BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - Juris RdNr 13, für
SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen - Intratect; BSGE
109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 14 - BTX/A; vgl ähnlich
bereits BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 44)
.
14
Auch die Voraussetzungen des § 35c Abs 2 SGB V sind nicht erfüllt.
Danach haben Versicherte außerhalb des Anwendungsbereichs
des Abs 1 unter weiteren Voraussetzungen Anspruch auf
Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien.
Der Kläger beansprucht die Versorgung indes nicht im Rahmen
einer klinischen Studie.
15
bb) Die Voraussetzungen der allgemeinen, vom erkennenden Senat
entwickelten Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV
sind ebenfalls nicht erfüllt. Sie bleiben unberührt, wenn - wie hier -
ein nicht in der AM-RL geregelter Off-Label-Use betroffen ist
(zutreffend Anmerkung zu Abschnitt K AM-RL). Ein Off-Label-Use
kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer
schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf
Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine
andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die
begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat
ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann
(vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f -
Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN
- BTX/A)
. Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der
Behandlung vorliegenden Erkenntnisse
(vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN
- Wobe-Mugos E; im Falle des Systemversagens s BSG SozR 4-
2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - neuropsychologische Therapie)
.
16
An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht fehlt
es. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen,
wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass
das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen
werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer
kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard
oder Placebo) veröffentlicht sein
(allgemein zur Bedeutung der Phasen-Einteilung vgl BSGE 97, 112
= SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin)
und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken
belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene
Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein
(vgl zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f -
Ilomedin; BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17 mwN
- BTX/A)
. Solche Erkenntnisse mit Relevanz für die Erkrankung des Klägers
bestehen nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG
(§ 163 SGG) bislang nicht.
17
c) Auch ein Seltenheitsfall besteht nicht. Hierzu darf das festgestellte
Krankheitsbild (Immunglobulinmangel, assoziiert mit MGUS und
rezidivierenden Pneumonien) aufgrund seiner Singularität
medizinisch nicht erforschbar sein
(vgl auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14 -
Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19)
. Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen
Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit
verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung
ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der
Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei
ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind,
deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 S 1 SGB
V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann
(vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Das
festgestellte Krankheitsbild des Klägers ist nach dem
Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG systematisch
erforschbar, was auch geschieht.
18
d) Zu Recht ist das LSG nicht darauf eingegangen, ob der Kläger die
IVIG-Therapie als neue Behandlungsmethode oder wegen
Behandlung durch Ärzte einer Hochschulambulanz beanspruchen
kann. Die Zulässigkeit einer Behandlungsmethode nach dem SGB V
kann keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel begründen, sondern
nur zusätzliche Hürden für ihren Einsatz beseitigen
(vgl dazu ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R -
Juris RdNr 23 f, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE vorgesehen
-
Intratect). Sie überspielt nicht die besonderen Voraussetzungen für
den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Die
Behandlung durch Ärzte der Hochschulambulanz erweitert nicht den
Anspruch Versicherter auf vertragsärztliche Versorgung mit
Arzneimitteln zu Lasten der GKV
(vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 25 f - BTX/A;
vgl dazu und zur - hier vom LSG nicht festgestellten - teilstationären
Behandlung ausführlich BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R
- Juris RdNr 25 ff mwN, für SozR 4-2500 § 31 Nr 28 und BSGE
vorgesehen - Intratect; nichts geändert hieran hat das Inkrafttreten
des § 117 Abs 4 SGB V mWv 11.4.2017 aufgrund Art 1 Nr 6a, Art 3
Abs 1 Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung
und Hilfsmittelverordnungsgesetz - HHVG> vom 4.4.2017, BGBl I
778)
.
19
3. Der erkennende Senat kann mangels hinreichender
Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit IVIG-
Fertigarzneimitteln seit 24.9.2014 aus § 2 Abs 1a SGB V erfüllt sind
(dazu a). Es fehlen hinreichende Feststellungen dazu, dass der
Kläger an einer lebensbedrohlichen Krankheit im Rechtssinne leidet
(dazu b), dass keine dem allgemein anerkannten, dem
medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung
steht und dass weitere Voraussetzungen erfüllt sind (dazu c).
20
a) Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 geben die
Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem
Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf
Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung
nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere
Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz
fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine
spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht
(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Gemäß der Rspr des
BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die
Grundsätze des Beschlusses vom 6.12.2005 auf Erkrankungen zu
erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind.
Dies würde dem Ausnahmecharakter eines solchen
verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht
werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche
Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer
krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt
(vgl BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Der
Gesetzgeber hat demgegenüber im Anschluss an die Rspr des
erkennenden Senats
(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSGE 100, 103 =
SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSGE 106, 81 =
SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31 - Kuba-Therapie)
die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig
vergleichbare Erkrankungen erstreckt
(vgl § 2 Abs 1a SGB V; dazu Begründung des GKV-VStG-Entwurfs,
BT-Drucks 17/6906 S 53)
. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest
wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein
anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 S 3 SGB V
abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt
liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
21
Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer
Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche
Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren
medizinischen Hilfen greifen müssen
(BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18). Es genügt
hierfür nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies
trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische
Einwirkung zu
(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 -
neuropsychologische Therapie; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2
Nr 4, RdNr 29 - SAA)
. Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom
Leistungskatalog der GKV regulär umfassten Mitteln
lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln
hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus
grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts
(vgl BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 -
NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 26).
Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten
Umständen des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit
einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen
Verlaufs genügt hierfür nicht. So reicht es zB nicht aus, dass
allgemein Pneumonien unter den Infektionskrankheiten in den
industrialisierten Ländern die häufigste Todesursache darstellen
(vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014, Stichwort
Pneumonie)
. Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem
gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik
vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden
akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den
konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich
der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines
kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit
verwirklichen wird
verwirklichen wird
(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20 - Mnesis
; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris
RdNr 23 = USK 2007-25 - Polyglobin; BSGE 100, 103 = SozR 4-
2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr
16 RdNr 34 - Venimmun; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/07
KR R - Juris RdNr 32 = USK 2008-73; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500
§ 2 Nr 4, RdNr 29 - SAA; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18,
RdNr 59 - Iscador)
. Diese Rspr mit seinen Formulierungen hat das BVerfG aufgegriffen
und am Maßstab des Verfassungsrechts nicht in Zweifel gezogen
(BVerfG Beschluss vom 26.3.2014 - 1 BvR 2415/13 -
Juris = NJW 2014, 2176, RdNr 14; BVerfG Beschluss
vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096, RdNr 25 = NZS
2017, 582, RdNr 25; BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18,
RdNr 17, dort nur referierend)
. Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr
gekennzeichnete individuelle Notlage handeln
(BVerfG BVerfGK 14, 46, 48 = SozR 4-2500 § 31 Nr 17
RdNr 10, Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde, nachgehend
zu BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris = USK 2007-
25 - Polyglobin; BVerfG Beschluss vom 26.3.2014 - 1
BvR 2415/13 - Juris = NJW 2014, 2176, RdNr 14; BVerfGE 140, 229
= SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18;
BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - NJW
2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 22)
. Erforderlich ist die Gefahr, dass die betroffene Krankheit in
überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben
beenden kann, sodass die Versicherten nach allen verfügbaren
medizinischen Hilfen greifen müssen
(vgl BVerfG Beschluss vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 -
NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582, RdNr 25).
22
Für die Anwendung von § 2 Abs 1a SGB V auf Sachverhalte ab
1.1.2012 gilt insoweit nichts anderes. § 2 Abs 1a SGB V enthält
nach der Begründung des GKV-VStG-Entwurfs eine Klarstellung
zum Geltungsumfang des sog Nikolaus-Beschlusses des BVerfG
vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) für das
Leistungsrecht der GKV
(BT-Drucks 17/6906 S 52; vgl auch BSGE 120, 170 = SozR 4-2500
§ 34 Nr 18, RdNr 59 - Iscador)
.
23
Das BSG hat dementsprechend das Vorliegen einer
lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder
wertungsmäßig hiermit vergleichbaren Erkrankung ua verneint bei
einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf
metastatische Absiedlungen
(BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 - Interstitielle Brachytherapie), bei
einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-
Syndrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden
erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sowie
Suizidandrohung
(BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 11, 18 - Cabaseril), bei
Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des
Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig
eingeschränkter Lebenserwartung
(BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 ff - Mnesis) und bei
Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von
Urtikaria-Episoden, die medikamentös mit Hilfe eines stets
mitgeführten Notfallsets zu beherrschen waren
(vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 28, zur Veröffentlichung auch in
BSGE vorgesehen, RdNr 21; zustimmend BVerfG Beschluss vom
11.4. 2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 = NZS 2017, 582).
Dagegen hat es bei einem zunächst operativ und dann
chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich
bereits mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer
lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht
(BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 30 - Tomudex; zu
unabdingbaren Tatsachenfeststellungen für die Beurteilung von Art
und Schwere einer Krebserkrankung vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-
2500 § 27 Nr 12, RdNr 29 - LITT; s ferner BSGE 97, 112 = SozR 4-
2500 § 31 Nr 5, dort zur pulmonalen Hypertonie Stadium NYHA IV,
vom LSG nach § 163 SGG bindend bejaht; BSGE 115, 95 = SozR 4-
2500 § 2 Nr 4, RdNr 29, Zurückverweisung an das LSG zur weiteren
Aufklärung im Falle der schweren aplastischen Anämie)
.
24
b) Für den Kläger kommt nur ein Anspruch wegen einer
lebensbedrohlichen Erkrankung in Betracht. Weder ergeben sich
nach den Feststellungen des LSG noch aus den Akten Hinweise auf
eine regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit oder eine
wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung iS eines nicht
kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder
einer herausgehobenen Körperfunktion
(vgl Begründung des GKV-VStG-Entwurfs, BT-Drucks 17/6906 S 53)
. Der erkennende Senat kann aufgrund der Feststellungen des LSG
nicht entscheiden, dass der Kläger tatsächlich an einer
lebensbedrohlichen Erkrankung im Rechtssinne leidet. Denn die
getroffenen Feststellungen sind unklar und widersprüchlich. Das
Revisionsgericht ist in einem solchen Fall auch ohne Rüge eines
Beteiligten an die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht
gebunden (vgl § 163 SGG; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 16).
Es muss dementsprechend eine Sache, die sich nicht aus anderen
Gründen als richtig erweist, in die Tatsacheninstanz
zurückverweisen
(vgl Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 163 Anm 4a
mwN).
25
Das LSG hat den oben aufgezeigten, vom erkennenden Senat in
stRspr angewandten Maßstab für die Lebensbedrohlichkeit einer
Erkrankung iS der grundrechtorientierten Auslegung und des § 2
Abs 1a SGB V ausdrücklich zitiert, aber hierzu widersprüchliche,
unklare Feststellungen getroffen. Es hat ausgeführt, es stelle nicht
allein auf die einzelnen, unzweifelhaft noch mit Antibiotika zu
behandelnden Infektionen ab, sondern "auf die aus der
Grunderkrankung resultierende Schwächung des körpereigenen
Abwehrsystems mit der daraus resultierenden Gefahr" des Exitus "
(etwa nach Sepsis)". Diese beinhalte - auch noch unter Gabe des
Immunglobulins - in Zusammenschau mit der Summe der bislang
schon seit Erstdiagnose der Erkrankung im Jahr 1996
durchgemachten Infektionen die "eigentliche lebensbedrohliche
Gefährdung des Klägers, bei der definitiv nicht absehbar ist, ob sich
ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren,
überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit
verwirklichen" werde. Das "Risiko mit etwaiger Todesfolge eines
dauerhaften Entzugs des Immunglobulins und der Umstellung auf
eine ausschließliche Antibiotikatherapie" sei "nicht abschätzbar".
Diese Feststellungen genügen nicht für die Annahme, dass dem
Kläger nach den konkreten Umständen des Falles bereits droht,
dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf ohne IVIG-
Therapie innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit
großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird.
26
Entgegen der Auffassung des LSG ist es hierbei ohne Belang, dass
die Beklagte von 1998 bis 2008 die begehrte Therapie gewährt hat.
Rechtlich begründet eine ggf rechtswidrige Leistung keinen
Vertrauensschutz auf deren Fortsetzung. Eine Gewöhnung im Sinne
einer medizinisch begründeten Abhängigkeit hat das LSG ebenfalls
nicht festgestellt.
27
Soweit das LSG dem Sachverständigen Prof. Dr. G. darin gefolgt ist,
dass die Erkrankung lebensbedrohlich sei, wirft dies Zweifel an der
Reichweite dieser Feststellung des LSG auf. Sie steht nicht in
Einklang mit den zitierten vorangegangenen Feststellungen zum
rechtsbedeutsamen Maßstab der Lebensbedrohlichkeit. Zudem hat
der Sachverständige seine Auffassung allein damit begründet, dass
"jede Lungenentzündung zum Tode führen kann"
(Gutachten vom 19.11.2013). Vergleichbares gilt, soweit sich das
LSG für seine Auffassung auch auf die Aussagen des den Kläger
behandelnden Arztes Prof. Dr. S. gestützt hat. Allein der Umstand,
dass dieser den Zustand des Klägers als lebensbedrohlich und
"extrem" beschreibt, genügt nicht, ohne dass diese Bewertung durch
nachvollziehbare, - vom LSG hier nicht festgestellte - medizinische
Befunde untermauert ist. Soweit das LSG Ausführungen von Prof.
Dr. S. referiert, dass sich im Zusammenhang mit den Pneumonien
auch immer wieder Septitiden entwickelt hätten, macht das LSG
nicht deutlich, dass es diese als festgestellt ansieht, und erst recht
nicht, von welchem Begriff oder Schweregrad der Sepsis es im
Anschluss an Prof. Dr. S. aufgrund welcher Befunde dabei ausgeht
(ältere Klassifizierungen: Systemisches inflammatorisches
Response-Syndrom , Sepsis, schwere Sepsis und
septischer Schock; zur darauf aufbauenden DRG-Kodierung vgl
Hanser in Zaiß, DRG: Verschlüsseln leicht gemacht, 14. Aufl 2016, S
101 ff; neuere Klassifizierungen: Sepsis-related organ failure
assessment score , insbesondere für Intensivstationen, und
quickSOFA außerhalb von Intensivstationen)
. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als sich in den dem LSG
vorliegenden Arztbriefen und sonstigen Befundbeschreibungen
schon keine Sepsis-Diagnose und erst recht keine Beschreibung
ihres Schweregrades findet.
28
Der erkennende Senat ist revisionsrechtlich nicht gehalten, die sich
widersprechenden Feststellungen des LSG durch eine eigene
Beweiswürdigung zu ersetzen. Ausgehend von dem oben
dargelegten rechtlich gebotenen Maßstab drängen sich zudem
weitere Ermittlungen auf. So hat das LSG genaue Feststellungen
weder zu konkreten Umständen getroffen, die Aufschluss über die
konkrete Lebensbedrohlichkeit früherer stationär behandelter
Pneumonien geben, noch etwa zu konkreten Umständen, die
Aussagen zum Ausmaß der Überlebenswahrscheinlichkeit des
Klägers bezogen auf die Grunderkrankung mit und ohne IVIG-
Behandlung erlauben. Hierzu liegt nahe, die vollständigen
Behandlungsunterlagen über den Kläger zumindest der letzten 15
Jahre beizuziehen und auf dieser Grundlage ergänzend Beweis
durch Sachverständige zu erheben.
29
c) Es fehlen auch Feststellungen des LSG dazu, dass eine
allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung - wie die verabreichte prophylaktische Antibiotikatherapie -
nicht als Standardtherapie zur Verfügung steht. Zudem fehlt es an
ausdrücklichen Feststellungen dazu, dass unter Berücksichtigung
des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der
Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf
den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von
Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegt. Auch
fehlen Feststellungen dazu, dass die - in erster Linie fachärztliche -
Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst
entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert wird und
worden ist
(vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 23 ff - Tomudex).
30
4. Das LSG wird die gebotenen Feststellungen nachzuholen haben.
31
5. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.