Urteil des BSG vom 19.06.2018

Urteil vom 19.06.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 19.6.2018, B 1 KR 26/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:190618UB1KR2617R0
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Juli 2017
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5596,24 Euro
festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer
Krankenhausbehandlung.
2
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen
psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhauses mit einem
Zentrum Suchtmedizin und einer Tagesklinik. Der bei der beklagten
Krankenkasse (KK) versicherte C. S. (im Folgenden: Versicherter)
erhielt vom 25.7. bis zum 15.8.2011 eine vollstationäre
Krankenhausbehandlung (Entgiftungsbehandlung) in einem anderen
Krankenhaus. Die Klägerin behandelte ihn vom 16.8. bis zum
6.10.2011 teilstationär in ihrer Tagesklinik und berechnete hierfür mit
mehreren Teilrechnungen insgesamt 5596,24 Euro. Die Beklagte
lehnte die Zahlung des geforderten Betrags unter Hinweis auf eine
Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) ab und widerrief eine zunächst bis zum 26.8.2011 erteilte
Kostenzusage. Eine vertragsärztliche Verordnung der teilstationären
Behandlung lag nicht vor. Das SG hat die Klage auf Zahlung der
berechneten Vergütung abgewiesen (Urteil vom 4.12.2014). Das LSG
hat die Beklagte zur Zahlung von 5596,24 Euro nebst Zinsen
verurteilt: Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung
entstehe unabhängig von einer Kostenzusage der KK unmittelbar mit
der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft
Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen
Krankenhaus erfolge und iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich
und wirtschaftlich sei. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden
Fall gegeben. Eine vertragsärztliche Verordnung sei keine formale
Voraussetzung für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses
(Urteil vom 25.7.2017).
3
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 3 Abs 2 S 1
des Landesvertrags nach § 112 SGB V zwischen der
Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und ua der Beklagten
(im Folgenden: KHBV), § 12 Abs 1, § 39 Abs 2, § 73 Abs 2 S 1 Nr 7
SGB V, § 3 Krankenhauseinweisungs-Richtlinie (KE-RL) sowie § 2
Abs 1 S 1 und § 70 Abs 1 SGB V. Der Vergütungsanspruch für eine
teilstationäre Krankenhausbehandlung setze eine vertragsärztliche
Verordnung voraus.
4
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25.
Juli 2017 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil
des Sozialgerichts Hannover vom 4. Dezember 2014
zurückzuweisen.
5
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der
Klägerin das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur
Zahlung von 5596,24 Euro Krankenhausvergütung nebst Zinsen
verurteilt. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist
im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig
(stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9
mwN; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12; BSGE
114, 209 = SozR 4-2500 § 115a Nr 2, RdNr 8)
und begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Vergütungsanspruch gegen die Beklagte zu.
8 Der in der Höhe unstreitige, rechnerisch anhand der teilstationären
Pflegesätze und Zuschläge nachvollziehbare Vergütungsanspruch
setzt voraus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer
teilstationären Behandlung erfüllt sind (hierzu 1.) und die
Behandlung iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich und
wirtschaftlich ist (hierzu 2.). So liegt es hier. Eine vertragsärztliche
Verordnung ist hingegen nicht Voraussetzung des
Vergütungsanspruchs (hierzu 3.).
9
1. Die Klägerin konnte die beabsichtigte Therapie des Versicherten
teilstationär erbringen. Nur soweit das Gesetz eine teilstationäre
Therapie ermöglicht und diese erfolgt ist, greift das hierfür
vorgesehene Vergütungsregime. Teilstationäre Behandlung
unterscheidet sich nach der gesetzlichen Gesamtkonzeption von
vollstationärer Behandlung im Krankenhaus im Wesentlichen
dadurch, dass sie nicht auf eine Aufnahme rund um die Uhr
ausgerichtet ist, sondern nur jeweils zumindest einen Teil eines
Tages umfasst
(BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 12). Teilstationäre
Krankenhausversorgung unterfällt - als im Vergleich zu
vollstationärer Krankenhausbehandlung wesensgleiche Teilleistung
- dem Rechtsregime des Qualitätsgebots für Krankenhausleistungen
(insbesondere § 2 Abs 1 S 3, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1, § 137c SGB
V)
und ist durch zugelassene Krankenhäuser (§§ 107 bis 109 SGB V)
und zweiseitige Verträge (§ 112 SGB V) sicherzustellen
(vgl zur Abgrenzung zu ambulanter, vor- und nachstationärer
Behandlung ausführlich BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54,
RdNr 13 ff mwN).
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Die Vergütungsstruktur für teilstationäre Krankenhausbehandlung
der Versicherten ist an jene für vollstationäre Behandlung angelehnt.
Sie bemisst sich grundsätzlich bei Krankenhäusern, die nicht nach
Fallpauschalen abrechnen dürfen wie jenem der Klägerin, nach
krankenhausindividuellen Pflegesätzen für teilstationäre Leistungen.
Rechtsgrundlage der Pflegesatzvereinbarung (PSV) für 2011 ist §
17 Abs 1 Bundespflegesatzverordnung
(BPflV - idF durch Art 4 Nr 9 des Gesetzes zum ordnungspolitischen
Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009
vom 17.3.2009,
BGBl I 534)
auf der Grundlage von §§ 16, 17 und 18 Abs 2
Krankenhausfinanzierungsgesetz
(KHG - § 16 KHG idF durch Art 8 Nr 3 Zweites Gesetz zur
Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der
gesetzlichen Krankenversicherung vom 23.6.1997, BGBl I 1520; §
17 KHG idF durch Art 1 Nr 2 Buchst b KHRG vom 17.3.2009, BGBl I
534; § 18 KHG idF durch Art 2 Nr 6 des Gesetzes zur Einführung
534; § 18 KHG idF durch Art 2 Nr 6 des Gesetzes zur Einführung
des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für
Krankenhäuser vom 23.4.2002,
BGBl I 1412).
Für die Klägerin gelten die Leistungs- und Vergütungsregelungen
der BPflV (idF durch Art 4 FPG vom 23.4.2002, BGBl I 1412). Nach §
1 BPflV werden nach dieser Verordnung die vollstationären und
teilstationären Leistungen der Krankenhäuser oder
Krankenhausabteilungen vergütet, die nach § 17b Abs 1 S 1 Halbs
2 KHG nicht in das Diagnosis Related Group (DRG)-
Vergütungssystem einbezogen sind. Das DRG-Vergütungssystem
gilt danach nicht für die Leistungen der in § 1 Abs 2 Psychiatrie-
Personalverordnung (Psych-PV - vom 18.12.1990, BGBl I 2930)
genannten Einrichtungen und der Einrichtungen für Psychosomatik
und Psychotherapeutische Medizin, soweit in der BPflV nichts
Abweichendes bestimmt wird. Das Krankenhaus der Klägerin war in
dem hier betroffenen Zeitraum eine psychiatrische Einrichtung iS
des § 1 Abs 2 Psych-PV. Die Anwendung der BPflV war nicht nach
§ 1 Abs 2 BPflV ausgeschlossen. Das Krankenhaus der Klägerin ist
als Plankrankenhaus in den niedersächsischen Krankenhausplan
(KHNR 241 016 01) aufgenommen und gehört auch nicht zu den
Krankenhäusern, auf die das KHG gemäß § 3 KHG keine
Anwendung findet.
11
Nach § 17 Abs 1 S 1 Halbs 1 BPflV regeln die Vertragsparteien in
der PSV das Budget sowie Art, Höhe und Laufzeit der tagesgleichen
Pflegesätze sowie die Berücksichtigung der Ausgleiche und
Berichtigungen nach dieser Verordnung. Die PSV muss auch
Bestimmungen enthalten, die eine zeitnahe Zahlung der Pflegesätze
an das Krankenhaus gewährleisten; hierzu sollen insbesondere
Regelungen über angemessene monatliche Teilzahlungen und
Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung getroffen werden
(vgl § 17 Abs 1 S 3 BPflV). Die PSV kommt durch Einigung zwischen
den Vertragsparteien zustande, die an der Pflegesatzverhandlung
teilgenommen haben; sie ist schriftlich abzuschließen
(vgl § 17 Abs 1 S 4 BPflV). Parteien der PSV (Vertragsparteien) sind
der Krankenhausträger und 1. Sozialleistungsträger, soweit auf sie
allein, oder 2. Arbeitsgemeinschaften von Sozialleistungsträgern,
soweit auf ihre Mitglieder insgesamt im Jahr vor Beginn der
Pflegesatzverhandlungen mehr als fünf vom Hundert der
Belegungs- und Berechnungstage des Krankenhauses entfallen
(vgl § 18 Abs 2 KHG). Der Gesetzgeber hielt die Beschränkung der
Vertragschließenden für erforderlich, "um die Zahl der
Vertragspartner des Krankenhauses nicht unpraktikabel hoch
werden zu lassen"
(vgl Begründung zu Art 1 Nr 18 des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der
Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze
, BT-Drucks 9/570 S 26).
12
Die Klägerin behandelte den Versicherten nach den aufgezeigten
Kriterien seit dem 16.8.2011 teilstationär. Er erhielt nach dem
Gesamtzusammenhang der unangegriffenen, den erkennenden
Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nach einem
zuvor festgelegten Therapieschema in der Tagesklinik der Klägerin
suchtspezifische Akupunktur, Entspannungs- und Körpertherapie,
Ergotherapie, stützende Einzelgespräche und verschiedene
Medikamente.
13
2. Das Gesetz fordert auch bei teilstationärer Behandlung als
Vergütungsvoraussetzung, dass jede Aufnahme eines Versicherten
nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sein muss, weil
das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder
ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege
erreicht werden kann
(vgl zu teilstationären Leistungen zB BSGE 121, 87 = SozR 4-2500
§ 109 Nr 54, RdNr 20; entsprechend auch BSGE 102, 172 = SozR
4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 11; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109
Nr 17, RdNr 15, alle mwN)
. Das folgt aus Regelungssystem (dazu a), Wortlaut (dazu b) und
Regelungszweck (dazu c). Die Klägerin erfüllte die aufgezeigte
Voraussetzung (dazu d).
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a) Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von
einer Kostenzusage - auch bei teilstationärer
Krankenhausbehandlung unmittelbar mit Inanspruchnahme der
teilstationären Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes,
wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus - wie
hier bei der Klägerin - durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 S 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist
(stRspr, vgl zB BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 20;
BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 11; BSGE 104,
15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 15, alle mwN).
Die Zahlungsverpflichtung dient als Gegenleistung für die Erfüllung
der Pflicht des zugelassenen Krankenhauses,
Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten im Rahmen
des Versorgungsauftrags zu leisten. Die Leistung des
Krankenhauses ist nämlich zur Erfüllung des Leistungsanspruchs
des Versicherten bestimmt
(vgl BSG Großer Senat BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10,
RdNr 10).
Den Leistungsanspruch der Versicherten regelt ua § 39 SGB V.
15
b) Nach dem Gesetzeswortlaut wird das Krankenhaus mit einem
Versorgungsvertrag (vgl § 109 Abs 1 SGB V) für die Dauer des
Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten
zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines
Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der
Versicherten verpflichtet. Die KKn sind verpflichtet, unter Beachtung
der Vorschriften des SGB V mit dem Krankenhausträger
Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des KHG, des
Krankenhausentgeltgesetzes und der BPflV zu führen
(§ 109 Abs 4 S 1 bis 3 SGB V). Die Krankenhausbehandlung wird
vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V)
sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht. Versicherte haben
Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen
Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung
durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel
nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante
Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht
werden kann (vgl § 39 Abs 1 S 1 und 2 SGB V).
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c) Sinngemäß gilt nach dem Regelungszweck Entsprechendes für
den Anspruch Versicherter auf teilstationäre Behandlung in einem
zugelassenen Krankenhaus: In diesem Fall muss die Aufnahme
nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sein, weil das
Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder
ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege
erreicht werden kann. Die gesetzliche Regelung des § 39 Abs 1 S 2
SGB V spricht nur beispielhaft die vollstationäre Behandlung an. Die
Regelung ist Ausdruck des umfassend geltenden
Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V). Dementsprechend hat
zB das Krankenhaus, dem ein Versicherter zur vorstationären
Behandlung überwiesen wird, die Erforderlichkeit dieser Behandlung
- schon im Eigeninteresse - vorab zu prüfen
(vgl BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 22; BSGE
114, 199 = SozR 4-2500 § 115a Nr 4, RdNr 25 mwN; BSG SozR 4-
2500 § 115a Nr 5 RdNr 17 mwN).
Ebenso muss nachstationäre Behandlung erforderlich sein, um
abgerechnet werden zu können
(vgl BSGE 114, 209 = SozR 4-2500 § 115a Nr 2, RdNr 17 mwN).
Alle arbeitsteilig in die Krankenbehandlung eingebundenen
Leistungserbringer sind im Interesse des Patienten, zur Sicherung
eines geeigneten Vorgehens und zwecks Achtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet, im Rahmen ihrer
professionellen Kompetenz laufend zu prüfen, ob der ursprünglich
aufgestellte Therapieplan weiter zu verfolgen ist
(vgl BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 22;
entsprechend zu Heilmittelerbringern zB BSGE 109, 116 = SozR 4-
2500 § 125 Nr 7, RdNr 20).
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d) Nach dem Gesamtzusammenhang der den erkennenden Senat
bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war die
teilstationäre Behandlung des Versicherten mit den Mitteln eines
Krankenhauses erforderlich. Die Beklagte stellt die Erforderlichkeit
der teilstationären Behandlung auf der Grundlage eines nach
Einsicht in die Behandlungsdokumentation der Klägerin erstellten
MDK-Gutachtens zu Recht auch nicht (mehr) in Frage.
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3. Der Vergütungsanspruch für teilstationäre
Krankenhausbehandlung setzt nach Bundesrecht keine vorherige
vertragsärztliche Verordnung teilstationärer Behandlung voraus
(hierzu a). Die hiervon abweichende Vereinbarung im Vertrag nach §
112 SGB V ist unwirksam (hierzu b).
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a) Der Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung und
damit der Vergütungsanspruch des Krankenhauses hängt nicht
formal von einer vorherigen vertragsärztlichen Verordnung ab,
sondern davon, dass Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit
besteht. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem sowie Sinn und
Zweck des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung
(vgl insbesondere §§ 39, 27, 12 Abs 1, § 2 Abs 1 und Abs 1a, § 109
Abs 4 S 2, § 137c SGB V).
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Versicherte haben - wie dargelegt - Anspruch auf teilstationäre
Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassenes
Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das
Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch
vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich
häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann
(vgl zu dieser sinngemäßen Auslegung des § 39 Abs 1 S 2 SGB V
oben, RdNr 16; zutreffend § 2 Abs 4 S 1 KE-RL in der Neufassung
vom 22.1.2015, BAnz AT 29.4.2015 B2)
. Der Leistungsanspruch knüpft entsprechend dem
Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) an die Erforderlichkeit
von Krankenhausbehandlung an, die das Krankenhaus vor der
teilstationären Aufnahme und fortlaufend während der teilstationären
Behandlung zu prüfen hat
(vgl BSGE 121, 87 = SozR 4-2500 § 109 Nr 54, RdNr 22 mwN). Ein
Krankenhaus, das die Erforderlichkeit von Krankenhausbehandlung
nach eigener Prüfung (vgl § 39 Abs 1 S 2 SGB V) bejaht, ist
verpflichtet, den Versicherten aufzunehmen und zu behandeln
(vgl § 109 Abs 4 S 2 SGB V). Die Verweigerung notwendiger
Behandlung kann Haftungsansprüche gegenüber dem Versicherten
auslösen.
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Fordert das SGB V ausnahmsweise eine vertragsärztliche
Verordnung für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung, regelt
es dies ausdrücklich. So setzt § 115a Abs 1 SGB V für vorstationäre
Behandlung eine "Verordnung von Krankenhausbehandlung" im
Sinne einer begründeten vertragsärztlichen Verordnung voraus
(vgl näher BSGE 114, 199 = SozR 4-2500 § 115a Nr 4; BSG Urteil
vom 17.9.2013 - B 1 KR 67/12 R - NZS 2014, 219 = GesR 2014,
169; zur Beschränkung auf vorstationäre Behandlung vgl BSGE
114, 209 = SozR 4-2500 § 115a Nr 2, RdNr 15)
.
22
Keine Verordnungsnotwendigkeit ergibt sich daraus, dass, wenn
Versicherte ohne zwingenden Grund ein anderes als ein in der
ärztlichen Einweisung genanntes Krankenhaus wählen, ihnen die
Mehrkosten ganz oder teilweise auferlegt werden können
(vgl § 39 Abs 2 SGB V).Diese Regelung für den Fall einer ärztlichen
Einweisung schließt die Auferlegung von Mehrkosten bei
Selbsteinweisern aufgrund analoger Anwendung der Norm nicht
aus. Auch die Vorschriften über das Verzeichnis der Leistungen und
Entgelte für die Krankenhausbehandlung in den zugelassenen
Krankenhäusern im Land oder in einer Region
(vgl § 39 Abs 3 SGB V)sehen nicht das Erfordernis vor,
Krankenhausbehandlung vertragsärztlich zu verordnen. Sie ordnen
lediglich an, dass die KKn darauf hinzuwirken haben, dass
Vertragsärzte und Versicherte das Verzeichnis bei der "Verordnung
und Inanspruchnahme" von Krankenhausbehandlung beachten
(vgl § 39 Abs 3 S 3 SGB V). Die vertragsärztliche Verordnung dient
hierbei dazu, dem Versicherten die nächstgelegenen
Krankenhäuser zu benennen, in denen er sich - ohne selbst zu
tragende zusätzliche Fahrkosten - stationär behandeln lassen kann
(vgl hierzu zB BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 3 RdNr 13; zur
Auferlegung von Mehrkosten vgl § 39 Abs 2 SGB V).
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Das Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung lässt sich auch
nicht aus dem sog Arztvorbehalt ableiten
(vgl § 15 Abs 1 S 1 SGB V, idF durch Art 6 Nr 4 Pflege-
Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008, BGBI I 874, mWv
1.7.2008).
Danach wird ärztliche oder zahnärztliche Behandlung von Ärzten
oder Zahnärzten erbracht, soweit nicht in Modellvorhaben nach § 63
Abs 3c SGB V etwas anderes bestimmt ist (Satz 1). Sind
Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie nur
erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet und von
ihm verantwortet werden (Satz 2). Bei der Krankenhausbehandlung
obliegt die Prüfung der Erforderlichkeit in vollem Umfang den
Krankenhausärzten (§ 39 Abs 1 S 2 SGB V).Es bedarf zur
Sicherung des Arztvorbehalts keiner über diese Prüfung
hinausgehenden ärztlichen Sachkunde in Form einer
vertragsärztlichen Verordnung. Der Arztvorbehalt ist bei
Krankenhäusern im Sinne des SGB V insbesondere dadurch
gesichert, dass sie fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher
Leitung stehen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden
arbeiten(vgl § 107 Abs 1 Nr 2 SGB V).Die Regelung des
Arztvorbehalts greift bei vertragsärztlichen Verordnungen von
nichtärztlichen Leistungen
(vgl zB BSGE 79, 257 = SozR 3-2500 § 13 Nr 13; BSGE 80, 181 =
SozR 3-2500 § 13 Nr 14 = Juris RdNr 14, 16; BSGE 109, 116 =
SozR 4-2500 § 125 Nr 7, RdNr 13; BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 §
42 Nr 1, RdNr 21; zur Inanspruchnahme von Leistungen im EU-
Ausland vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 LS 1).
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Das SGB V regelt die vertragsärztliche Verordnung von
Krankenhausbehandlung - das Gesetz spricht auch von
"Einweisung" (vgl § 39 Abs 2 SGB V) - als Teil der vertragsärztlichen
Versorgung (§ 73 Abs 2 Nr 7, Abs 4 SGB V), ohne den Anspruch auf
Krankenhausbehandlung hiervon abhängig zu machen. Die
vertragsärztliche Verordnung ("Einweisung") von
Krankenhausbehandlung hat eine bloße Ordnungsfunktion, soweit
das Gesetz nicht die Notwendigkeit einer Verordnung vorsieht. Der
Vertragsarzt bestätigt mit ihr, dass nach seiner Beurteilung eine
ambulante Behandlung des Versicherten einschließlich häuslicher
Krankenpflege nicht ausreichend und stationäre
Krankenhausbehandlung geboten ist
(vgl Gamperl in KassKom, Stand 1.12.2017, § 39 RdNr 107; zum
Entscheidungsgang vgl E. Hauck in H. Peters, Handbuch KV, Stand
1.3.2018, § 13 RdNr 53 f mwN)
. Die Verordnung informiert die Versicherten über geeignete
Krankenhäuser. Denn der Vertragsarzt hat das Verzeichnis der
Leistungen und Entgelte für die Krankenhausbehandlung in den
zugelassenen Krankenhäusern im Land oder in einer Region zu
beachten (vgl § 39 Abs 3 SGB V).
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Die Gesetzeskonzeption, die vertragsärztliche Verordnung von
Krankenhausbehandlung zu ermöglichen, aber grds nicht zur
Anspruchsvoraussetzung für Krankenhausbehandlung zu machen,
trägt der Interessenlage Rechnung. Die Versicherten sind regelhaft -
systemgerecht - wegen einer Krankheit in vertragsärztlicher
Behandlung, bevor sie hierfür der Krankenhausbehandlung
bedürfen. Die Verordnung von Krankenhausbehandlung hilft ihnen
bei der Entscheidung, sich in Krankenhausbehandlung zu begeben,
und bei der Suche nach dem geeigneten Krankenhaus. Die
Verordnung sichert - auch im Interesse der Beitragszahler - die
Prüfung, dass vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten
erschöpft sind. Sie vermittelt zugleich Informationen für das
aufnehmende Krankenhaus, das - wie dargelegt
(vgl oben, RdNr 16) - die Erforderlichkeit der Behandlung selbst zu
prüfen hat. Diese vielfältigen Steuerungs- und Entlastungseffekte
genügen dem Gesetz aber nicht für ein striktes Gebot,
Krankenhausbehandlung stets von einer vertragsärztlichen
Verordnung abhängig zu machen. Dies riefe Versorgungsmängel
hervor und setzte die Krankenhäuser bei der Aufnahmeprüfung
unzumutbaren Haftungsrisiken aus. So ist es allseits anerkannt,
dass jedes Krankenhaus bei ihm präsente Versicherte in Notfällen
unmittelbar behandeln muss
(Rechtsgedanke des § 76 Abs 1 S 2 SGB V, stRspr, vgl zB BSGE
119, 141 = SozR 4-2500 § 108 Nr 4, RdNr 13; BSGE 89, 39, 41 f =
SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 118 f; BSGE 112, 257 = SozR 4-2500 §
137 Nr 2, RdNr 16; BSGE 117, 94 = SozR 4-2500 § 137 Nr 5, RdNr
13)
. Ein zugelassenes Krankenhaus darf aber auch Versicherte, die
sich mit einer Akutsymptomatik vorstellen, ohne dass ein klarer
Notfall vorliegt, und die keine vertragsärztliche Verordnung von
Krankenhausbehandlung haben, nicht einfach ohne Untersuchung
wegschicken und auf vertragsärztliche Behandlung verweisen. Stellt
es bei der Untersuchung fest, dass Krankenhausbehandlung
erforderlich ist, soll und darf es den Versicherten behandeln, ohne
noch eine vertragsärztliche Verordnung abwarten zu müssen.
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b) Die landesvertragliche Regelung in § 3 Abs 2 S 1 KHBV fordert
demgegenüber stets eine vertragsärztliche Verordnung von
Krankenhausbehandlung, wenn kein Notfall vorliegt, um das
Krankenhaus zur Behandlung zu verpflichten (dazu aa). Diese
Regelung ist unwirksam, denn sie widerspricht Bundesrecht. Der
erkennende Senat gibt die hiervon abweichende frühere Auffassung
des 3. Senats des BSG auf
(vgl BSGE 86, 166, 169 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1 S 4 = Juris RdNr
17).
Der 3. Senat ist nicht mehr für das Leistungs- und
Leistungserbringungsrecht der Krankenhausbehandlung zuständig
(dazu bb).
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aa) Nach dem KHBV wird "Krankenhausbehandlung (stationär oder
teilstationär/vor- und nachstationär) (…) durchgeführt, wenn sie - von
Notfällen abgesehen - von einem Kassen-/Vertragsarzt verordnet ist
und nach Art oder Schwere der Krankheit die medizinische
Versorgung gemeinsam mit der pflegerischen Betreuung nur mit den
Mitteln eines Krankenhauses möglich ist, dh ambulante kassen-
/vertragsärztliche Versorgung nicht ausreicht"
(vgl § 3 Abs 2 S 1 KHBV). Ein Notfall iS des Abs 2 "liegt
insbesondere vor, wenn sich der Versicherte infolge von Verletzung,
Krankheit oder sonstigen Umständen in Lebensgefahr befindet oder
der Gesundheitszustand in kurzer Zeit eine wesentliche
Verschlechterung befürchten lässt, sofern nicht unverzüglich
stationäre Behandlung eingeleitet wird. Bei Einweisung durch einen
Notarzt des Rettungsdienstes liegt in jedem Fall ein Notfall vor"
(vgl § 3 Abs 4 KHBV). Auch das LSG zieht nicht in Zweifel, dass
diese vertragliche Regelung strikt außerhalb von Notfällen stets eine
vertragsärztliche Verordnung von Krankenhausbehandlung fordert,
um das Krankenhaus zur Behandlung zu verpflichten
(ebenso BSGE 86, 166, 169 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1 S 4 = Juris
RdNr 17)
.
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bb) Soweit der KHBV außerhalb von Notfällen stets zur Begründung
einer Behandlungspflicht von Krankenhäusern eine vertragsärztliche
Verordnung der Krankenhausbehandlung verlangt, ist er wegen
Verstoßes gegen die dargelegten abweichenden Vorgaben des
Bundesrechts nichtig. Verträge nach § 112 Abs 1 SGB V wie der
KHBV sollen sicherstellen, dass Art und Umfang der
Krankenhausbehandlung den Anforderungen des SGB V
entsprechen
(§ 112 Abs 1 SGB V; vgl BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 10 RdNr 18;
BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 31; BSGE 112, 156
= SozR 4-2500 § 114 Nr 1, RdNr 32).
Die Verträge dürfen die allgemeinen Bedingungen der
Krankenhausbehandlung ausschließlich innerhalb dieser
bundesgesetzlichen Grenzen regeln
(§ 112 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst a und b SGB V). Nur soweit diese
Vertragskompetenz reicht, besteht ein Gestaltungsspielraum der
Vertragspartner
(zur Möglichkeit der Verletzung durch untergesetzliche Normen vgl
BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 26 mwN).
Verstöße gegen bundesgesetzliche Vorgaben bewirken die
Unwirksamkeit der Verträge. Die Regelung des § 3 Abs 2 KHBV
führt mit dem Verordnungserfordernis außerhalb von Notfällen eine
zusätzliche, im SGB V nicht vorgesehene, sondern
ausgeschlossene Voraussetzung für Krankenhausbehandlung ein.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG
iVm § 154 Abs 2, § 161 Abs 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52
Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.