Urteil des BSG vom 20.03.2018

Urteil vom 20.03.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.3.2018, B 1 KR 25/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:200318UB1KR2517R0
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Hamburg vom 17. Mai 2017 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2861,64 Euro
festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären
Krankenhausbehandlung.
2
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen
Krankenhauses. Sie behandelte den bei der beklagten Krankenkasse
(KK) versicherten C. A. (im Folgenden: Versicherter) vollstationär vom
3. bis 6.3.2009, kodierte nach dem in diesem Jahr geltenden ICD-10-
GM als Hauptdiagnose G90.41
(Autonome Dysreflexie als Schwitzattacken) sowie als
Nebendiagnose R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben),berechnete die
Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2009 ) B06B
(Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder
Neuropathie, Alter < 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter > 15 Jahre)
und erhielt hierfür von der Beklagten 5437,91 Euro. Die Beklagte
forderte später vergeblich 2861,64 Euro zurück. Abzurechnen sei die
geringer vergütete DRG J10B
(Plastische Operationen an Haut, Unterhaut und Mamma außer bei
bösartiger Neubildung)
, da Hauptdiagnose R61.0 sei. Die Beklagte rechnete 2861,64 Euro
gegenüber unstreitigen Vergütungsforderungen der Klägerin für die
Behandlung anderer Versicherter auf. Das SG hat die Klage
abgewiesen (Urteil vom 14.4.2014). Das LSG hat auf die Berufung
der Klägerin das SG-Urteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an
die Klägerin 2861,64 Euro nebst 5 vH Zinsen seit dem 22.9.2009 zu
zahlen. Zu kodieren sei als Hauptdiagnose G90.8
(Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems),die ebenfalls
zur DRG B06B hinführe. Die primäre fokale Hyperhidrose des
Versicherten beruhe auf einer Fehlsteuerung des Sympathikusnervs,
die eine "die Symptomatik erklärende Diagnose" sei und nach den
Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) die Kodierung eines Symptoms als
Hauptdiagnose ausschließe. Die durchgeführte Sympathektomie
habe diese zugrunde liegende Erkrankung und nicht nur das
Symptom "Schwitzen" behandelt (Urteil vom 17.5.2017).
3
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 S
3 SGB V, § 7 Abs 1 S 1, § 9 Abs 1 S 1 Nr 1
Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Abs 1 S 10
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), der
Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2009 iVm Kapitel XVIII ICD-10-
GM, G90.8, DKR D002f und dem (Landes-)Vertrag nach § 112 SGB V
Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der
Hamburgischen Krankenhausgesellschaft eV und (ua) der Beklagten.
Nach der durch DKR D002f in Bezug genommenen Anmerkung zu
Beginn von Kapitel XVIII ICD-10-GM sei R61.0 zu kodieren.
4
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 17. Mai 2017
aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des
Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2014 zurückzuweisen.
5
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7
Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat zu Recht auf die Berufung der
Klägerin das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur
Zahlung weiterer 2861,64 Euro nebst 5 vH Zinsen ab 22.9.2009
verurteilt. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist
im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig
(stRspr; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE
104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12; zuletzt BSG Urteil
vom 26.9.2017 - B 1 KR 9/17 R - Juris RdNr 7, vorgesehen für SozR
4-5562 § 9 Nr 7)
und begründet. Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf
Vergütung von Krankenhausbehandlung anderer Versicherter in
Höhe von 2861,64 Euro (dazu 1.) bislang nicht erfüllt. Dieser
Anspruch erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte insoweit wegen
vermeintlicher Überzahlung der Vergütung für die Behandlung des
Versicherten die Aufrechnung in dieser Höhe erklärte. Die
Aufrechnung ging ins Leere. Der Klägerin standen wegen der
stationären Behandlung des Versicherten die von der Beklagten
gezahlten 5437,91 Euro zu (dazu 2.). Die Klägerin hat für den
bislang nicht erfüllten Vergütungsanspruch in Höhe von 2861,64
Euro für die Behandlung anderer Versicherter der Beklagten auch
einen Zinsanspruch von 5 vH hierauf seit 22.9.2009 (dazu 3.).
8 1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die
Klägerin aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der
Beklagten Anspruch auf die dort abgerechnete Vergütung weiterer
2861,64 Euro hat; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats
erübrigt sich insoweit
(vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG SozR 4-2500 § 129
Nr 7 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17; BSG SozR 4-
5562 § 9 Nr 4 RdNr 8)
.
9
2. Dieser Vergütungsanspruch erlosch nicht infolge der
Aufrechnungserklärung der Beklagten. Die Voraussetzungen des §
387 BGB sind nicht erfüllt. Schulden danach zwei Personen
einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind,
so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des
anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung
fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Ein
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch wegen überzahlter
Vergütung für die Behandlung des Versicherten, mit dem die
Beklagte aufrechnete, besteht nicht. Die Klägerin hatte dem Grunde
nach Anspruch auf Vergütung für die stationäre Behandlung des
Versicherten (dazu a). Sie erfüllte auch die Voraussetzungen der
DRG B06B und rechnete sachlich-rechnerisch richtig 5437,91 Euro
ab, die die Beklagte auch zahlte (dazu b).
10
a) Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von
einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung
durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in
einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von §
39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist
(stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr
11; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 15; BSGE 109,
236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13; alle mwN)
. Diese Voraussetzungen waren nach dem Gesamtzusammenhang
der unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG
(§ 163 SGG) erfüllt.
11
b) Die Klägerin erlangte durch die stationäre Behandlung des
Versicherten einen nach DRG B06B abrechenbaren
Vergütungsanspruch. Die Klägerin durfte nach dem maßgeblichen
Recht und den dabei anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen
(dazu aa) als Hauptdiagnose iS einer die Symptomatik des
Versicherten erklärenden definitiven Diagnose (dazu bb) G90.9
(Krankheiten des autonomen Nervensystems, nicht näher
bezeichnet)
kodieren (dazu cc). Diese Diagnose steuert die von der Klägerin
abgerechnete DRG B06B an (dazu dd).
12
aa) Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten
bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach
vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die
Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter
in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs 4 S 3 SGB
V
(idF durch Art 1 Nr 3 Gesetz zur Einführung des diagnose-
orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser
vom 23.4.2002, BGBl I 1412)
iVm § 7 KHEntgG
(idF durch Art 2 Nr 5 Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz <2.
FPÄndG> vom 15.12.2004, BGBl I 3429)
und § 17b KHG
(idF durch Art 18 Nr 4 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
WSG> vom 26.3.2007, BGBl I 378; vgl entsprechend BSGE 109,
236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 f; BSG SozR 4-2500 § 109
Nr 14 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 58 RdNr 12; BSG SozR
4-2500 § 109 Nr 61 RdNr 10, auch für BSGE vorgesehen)
. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge
(Normenverträge, FPV) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der
KKn und der Verband der privaten Krankenversicherung
gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG
(idF durch Art 19 Nr 3 GKV-WSG)mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene"
mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG
(idF durch Art 2 Nr 8 2. FPÄndG) einen Fallpauschalen-Katalog
einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur
Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu
zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner
vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV
auf der Grundlage des § 9 Abs 1 S 1 Nr 3 KHEntgG
(idF durch Art 19 Nr 3 GKV-WSG).
13
Die vertraglichen Fallpauschalen ergeben sich daraus, dass die
nach den aufgezeigten gesetzlichen Regelungen hierzu berufenen
Vertragspartner eine FPV mit einem Fallpauschalen-Katalog als Teil
derselben und Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die
Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche
Kodierrichtlinien ) vereinbart haben. DKR und FPV bilden den
konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine
Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt
(vgl näher dazu BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr
17)
. Im vorliegenden Fall sind maßgebend - jeweils normativ wirkend
(vgl dazu BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 18) - die
am 23.9.2008 getroffene Vereinbarung zum Fallpauschalensystem
für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (FPV 2009) einschließlich der
Anlagen 1 bis 6
(insbesondere: Anlage 1
S 1> und dort Teil a
Hauptabteilungen>)
und die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene
Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2009
(Vereinbarung zu den DKR Version 2009 für das G-DRG-System
gemäß § 17b KHG vom 17.9.2008, )
.
14
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich
aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem
automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem
zertifizierten Programm basiert
(vgl § 1 Abs 6 S 1 FPV 2009; zur rechtlichen Einordnung des
Groupierungsvorgangs vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr
2, RdNr 19 ff)
. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH -
Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus -, einer gemeinsamen
Einrichtung der in § 17b Abs 2 S 1 KHG und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1
KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert
worden sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 58 RdNr 13). Das den
Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei
auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des
Programms mit vereinbart sind
(zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu
bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden
Entscheidungsbaum)
oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu
letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die
Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der
jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation
und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für
Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung
( hier in der Version 2009 idF der Bekanntmachung
des BMG gemäß §§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des
Diagnosenschlüssels vom 28.10.2008, BAnz Nr 170 vom 7.11.2008,
S 4016, in Kraft getreten am 1.1.2009)
, die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG
herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS;
hier in der Version 2009 idF der Bekanntmachung des BMG gemäß
§§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des OPS vom 28.10.2008,
BAnz Nr 170 vom 7.11.2008, S 4016, in Kraft getreten am 1.1.2009;
zur Grundlage der Rechtsbindung vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-
5560 § 17b Nr 2, RdNr 24)
sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene
Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2009 (s oben).
15
Die Anwendung der normenvertraglichen
Abrechnungsbestimmungen ist nicht automatisiert und unterliegt als
Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im
Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits
grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der
Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind
gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des
Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen
Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch
systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung,
die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen
Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen,
wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu
vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen
Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt.
Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem
Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen
Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und
Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht
(vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 17 mwN; BSGE 109, 236 =
SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 51
RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-5562 § 2 Nr 1 RdNr 15; zur Auslegung
von medizinischen Begriffen im OPS vgl BSG SozR 4-1500 § 160a
Nr 32 RdNr 12 ff)
.
16
bb) Grundsätzlich ist - vorbehaltlich spezieller abweichender
Regelungen - die "Krankheit" zu kodieren und nicht ein durch sie
ausgelöstes Symptom. Die Krankheit meint insbesondere eine die
Symptomatik erklärende definitive Krankheitsdiagnose. Eine
erklärende definitive Diagnose schließt den Anwendungsbereich
des Kapitels XVIII ICD-10-GM und damit auch die Kodierung des
Symptoms R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) aus. Ob eine
Diagnose eine die Symptomatik erklärende definitive Diagnose ist,
bestimmt sich nicht nach einem außerhalb der
Abrechnungsbestimmungen liegenden Maßstab iS eines besonders
qualifizierten medizinisch-wissenschaftlichen Verständnisses des
Krankheitsgeschehens. Insbesondere geht es auch nicht um die
Feststellung einer "Letztursache". Maßstab sind allein die
Abrechnungsbestimmungen selbst. Ist eine zutreffend erhobene
Diagnose einer Diagnose im ICD-10-GM zuzuordnen, die dort als
erklärende definitive Diagnose eingeordnet ist, schließt sie
ungeachtet ihrer Erklärungstiefe die Kodierung einer
Symptomdiagnose aus. Dies folgt aus Wortlaut und
Regelungssystem von DKR D002f und Kapitel XVIII ICD-10-GM.
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Nach DKR D002f ist Hauptdiagnose die "Diagnose, die nach
Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die
Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des
Patienten verantwortlich ist". In den Erläuterungen hierzu heißt es
weiter: "Der Begriff 'nach Analyse' bezeichnet die Evaluation der
Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige
Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die
Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. (…)
Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde
liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und
behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes
diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als
diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als
Hauptdiagnose zu kodieren. (…) Wenn sich ein Patient mit einem
Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum
Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist, jedoch nur das Symptom
behandelt wird, ist das Symptom als Hauptdiagnose und die
zugrunde liegende Krankheit als Nebendiagnose zu kodieren."
Speziell für "Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde,
die anderenorts nicht klassifiziert sind", aufgelistet im Kapitel XVIII
ICD-10-GM (R00-R99), bestimmt D002f: "Schlüsselnummern für
Symptome, Befunde und ungenau bezeichnete Zustände aus
Kapitel XVIII (…) sind nicht als Hauptdiagnose zu verwenden,
sobald eine die Symptomatik, etc. erklärende definitive Diagnose
ermittelt wurde. Die Anmerkungen zu Beginn von Kapitel XVIII in der
ICD-10-GM helfen bei der Bestimmung, wann Schlüsselnummern
aus den Kategorien R00-R99 dennoch angegeben werden." In der
in Bezug genommenen Anmerkung zu Beginn des Kapitels XVIII
ICD-10-GM heißt es: "Die Kategorien dieses Kapitels enthalten im
allgemeinen weniger genau bezeichnete Zustände und Symptome,
die ohne die zur Feststellung einer endgültigen Diagnose
notwendigen Untersuchungen des Patienten mit etwa gleicher
Wahrscheinlichkeit auf zwei oder mehr Krankheiten oder auf zwei
oder mehr Organsysteme hindeuten. Im Grunde genommen
könnten alle Kategorien in diesem Kapitel mit dem Zusatz 'ohne
nähere Angabe', 'unbekannter Ätiologie' oder 'vorübergehend'
versehen werden." Weiter benennt die Anmerkung zu Beginn dieses
Kapitels Fallgruppen von Zuständen und Symptomen, die die
Kategorien R00-R99 betreffen, ua: "a. Patienten, bei denen keine
genauere Diagnose gestellt werden kann, obwohl alle für den
Krankheitsfall bedeutungsvollen Fakten untersucht worden sind; (…)
e. Patienten, bei denen aus irgendeinem anderen Grunde keine
genauere Diagnose gestellt wurde (…)". Wann eine "genauere
Diagnose" in diesem Sinne vorliegt, definiert die ICD-10-GM-
Klassifikation nicht ausdrücklich. Aus dem
Regelungszusammenhang wird allerdings deutlich, dass
Bezugspunkt des Komparativs "genauere Diagnose" die in der "R-
Kategorie" benannten Symptome und Zustände sind. Eine
"genauere Diagnose", die der Verwendung der "R-Kategorie"
entgegensteht, muss deshalb genauer sein als die dort
bezeichneten Symptome. Charakteristikum der in Kapitel XVIII
aufgeführten Symptome ist, dass sie Krankheitsanzeichen
aufgeführten Symptome ist, dass sie Krankheitsanzeichen
unbekannter Ätiologie darstellen. Dementsprechend sind die
Schlüsselnummern der in Kapitel XVIII ICD-10-GM gelisteten
Symptome nicht zu verwenden, wenn die zugrunde liegende
Krankheit iS der Abrechnungsbestimmungen bekannt ist.
18
Danach schließen auch erklärende definitive Diagnosen, die einer
Resteklasse (vgl dazu sogleich)zuzuordnen sind, die Kodierung
eines Symptoms als Hauptdiagnose aus, soweit nicht - wie
aufgezeigt - ausnahmsweise ein Symptom trotz bekannter
Krankheitsursache vorrangig als Hauptdiagnose zu kodieren ist oder
eine andere vorrangige spezielle Regelung eingreift. Hinsichtlich der
Schlüsselnummern "Sonstige" und "nicht näher bezeichnet"
bestimmt die DKR D009a: "Die Resteklasse 'Sonstige …' ist dann
bei der Kodierung zu verwenden, wenn eine genau bezeichnete
Krankheit vorliegt, für die es aber in der ICD-10 keine eigene Klasse
gibt. Die Resteklasse 'Nicht näher bezeichnete …' ist dann zu
verwenden, wenn eine Krankheit nur mit ihrem Oberbegriff (…)
beschrieben ist und/oder eine weitere Differenzierung nach den
Klassifikationskriterien der ICD-10 an entsprechender Stelle nicht
möglich ist. (…) Die Resteklassen dürfen nicht verwendet werden,
um Diagnosen 'aufzufangen', die scheinbar nicht anderenorts
klassifiziert sind. Die ICD-10-Verzeichnisse sind zu verwenden, um
die korrekte Schlüsselnummer-Zuordnung zu bestimmen (…)." DKR
D014d bestimmt ergänzend den Vorrang des Systematischen
Verzeichnisses vor dem Alphabetischen Verzeichnis, wenn
Letzteres zu einem unspezifischen Kode (zB einem "9-Kode") führt.
19
cc) Hiernach ist im Falle des Versicherten G90.9
(Krankheit des autonomen Nervensystems, nicht näher bezeichnet)
als erklärende definitive Hauptdiagnose zu kodieren,nicht hingegen
R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) als bloße Symptomdiagnose.
Nach den unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG)
Feststellungen des LSG lag dem Symptom Hyperhidrose eine
Erkrankung des autonomen Nervensystems in Form einer
Fehlsteuerung des Sympathikusnervs zugrunde. Die Fehlsteuerung
des Sympathikusnervs ist eine die Symptomatik erklärende definitive
Diagnose. Sie ist allerdings entgegen der Auffassung des LSG keine
in die Resteklasse G90.8
(Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems)
einzuordnende Diagnose. Das Alphabetische Verzeichnis des ICD-
10-GM führt zwar die "Reizung des sympathischen Nervensystems
a.n.k." und die "Kompression eines Nervus sympathicus a.n.k." auf
und ordnet beide G90.8 zu. Nach den Feststellungen des LSG ist
aber weder eine Reizung noch eine Kompression des
Sympathikusnervs gesichert, sondern eben nur eine Fehlsteuerung
aus insoweit unbekannter weiterer Ursache. Diese Fehlsteuerung
stellt eine im Alphabetischen Verzeichnis erfasste "Störung des
sympathischen Nervensystems" bzw eine "Störung eines
sympathischen Nerven" dar, die dort G90.9 zugeordnet ist. Eine
vorrangige anderweitige Einordnung dieser Störung erfolgt durch
das Systematische Verzeichnis nicht.
20
cc) Nach der Groupierungslogik steuert die Diagnose G90.9 die
MDC (Major Diagnostic Category) 01
(Krankheiten und Störungen des Nervensystems) an
(vgl G-DRG Version 2009, Definitionshandbuch Kompaktversion
Band 1, S 124)
. Dort führt OPS 5-043 (Sympathektomie) in der operativen Partition
zur ADRG B06
(Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder
Neuropathie, Alter < 19 Jahre oder mit schweren CC; vgl G-DRG
Version 2009, Definitionshandbuch Kompaktversion Band 1, S 144,
154)
und von dort zur DRG B06B, weil der am 21.8.1990 geborene
Versicherte im Zeitpunkt der Operation schon das 16., aber noch
nicht das 19. Lebensjahr vollendet hatte
(vgl G-DRG Version 2009, Definitionshandbuch Kompaktversion
Band 1, S 154)
. Hieraus und den weiteren - zwischen den Beteiligten im Übrigen
nicht streitigen - Vergütungsbestandteilen ergibt sich der von der
Klägerin in Rechnung gestellte Betrag.
21
3. Die Klägerin hat auch Anspruch auf Verzugszinsen im Umfang
der vom LSG zuerkannten Zinsen auf den nicht erfüllten
Vergütungsanspruch nach Maßgabe des § 288 Abs 1 BGB
(vgl BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 7; BSG Urteil vom 21.4.2015 - B 1
KR 10/15 R - Juris RdNr 18 = KHE 2015/29)
iVm mit §§ 12, 14 (Landes-)Vertrag nach § 112 SGB V Allgemeine
Bedingungen der Krankenhausbehandlung.
22
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG
iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a
Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47
Abs 1 GKG.