Urteil des BSG vom 24.04.2018

Krankenversicherung - verzögerte Entscheidung einer Krankenkasse über Widerspruch des Versicherten gegen fristgerechte Ablehnung des Antrags auf Krankenbehandlung - fiktive Genehmigung - kein Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung mit Methoden, die

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 24.4.2018, B 1 KR 10/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:240418UB1KR1017R0
Krankenversicherung - verzögerte Entscheidung einer
Krankenkasse über Widerspruch des Versicherten gegen
fristgerechte Ablehnung des Antrags auf
Krankenbehandlung - fiktive Genehmigung - kein Anspruch
auf stationäre Krankenhausbehandlung mit Methoden, die
lediglich Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bieten
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31. August 2016
wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für selbst
beschaffte Liposuktionen.
2
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet
an einem Lipödem beider Beine und Arme. Sie beantragte
befundgestützt die Versorgung mit stationären Liposuktionen
(13.6.2014). Die Beklagte lehnte dies nach Einholung einer
Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) ab
(Bescheid vom 24.6.2014; Widerspruchsbescheid vom 21.1.2015).
Das SG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen
(Urteil vom 19.1.2016). Die Klägerin hat sich eine erste Liposuktion
auf eigene Kosten selbst beschafft (4.4.2016;4416,37 Euro). Das
LSG hat die auf Kostenerstattung und auf Versorgung mit zwei
weiteren stationären Liposuktionen gerichtete Berufung
zurückgewiesen. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf
Liposuktion als Sachleistung noch einen Kostenerstattungsanspruch
für die bereits durchgeführte Liposuktion. Die Liposuktion entspreche
nicht den Qualitätsanforderungen, die an eine zulasten der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchzuführende
Behandlungsmethode zu stellen seien, und biete daher nicht das
Potential einer erfolgreichen Behandlungsalternative. Ein
Erstattungsanspruch komme auch deshalb nicht in Betracht, weil die
Klägerin die Liposuktion nicht in einem Vertragskrankenhaus,
sondern in einer Privatklinik habe durchführen lassen
(Urteil vom 31.8.2016).
3
Die Klägerin hat sich nach Verkündung des LSG-Urteils zwei weitere
stationäre Liposuktionen auf eigene Kosten selbst beschafft
(12.9.2016 und 19.6.2017; 4341,37 Euro und 2605,97 Euro).Sie
begehrt mit ihrer Revision, ihr die Kosten der durchgeführten
Liposuktionen zu erstatten, und rügt eine Verletzung des § 137c Abs
3 SGB V und des § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V. Das Qualitätsgebot
gelte nicht bei stationärer Krankenhausbehandlung. Der
Kostenerstattungsanspruch setze nicht Behandlung mit
Liposuktionen in einem Vertragskrankenhaus voraus.
4
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31.
August 2016 und des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Januar 2016
sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 11 363,71 Euro zuzüglich
Zinsen in Höhe von 4 vH aus einem Betrag von 4416,37 Euro ab 21.
April 2016, zudem in Höhe von 4 vH aus einem Betrag von 4341,37
Euro ab 29. September 2016 und zusätzlich in Höhe von 4 vH aus
einem Betrag von 2605,97 Euro ab 5. Juli 2017 zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31.
August 2016 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
5
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu
Recht zurückgewiesen. Die nunmehr ausschließlich auf
Kostenerstattung gerichtete Klage ist zulässig (dazu 1.), aber
unbegründet. Die Klägerin hat weder Anspruch gegen die beklagte
KK auf Erstattung der Kosten, die für die selbst beschafften
Liposuktionen entstanden, noch auf Zinsen wegen Eintritts einer
Genehmigungsfiktion (dazu 2.)oder wegen Systemversagens
(dazu 3.).
8
1. Die zuletzt auf Kostenerstattung gerichtete Klage wegen
Systemversagens ist als kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zulässig. Auch die ursprünglich
erhobene allgemeine Leistungsklage auf Naturalleistung wegen
Eintritts einer Genehmigungsfiktion
(§ 54 Abs 5 SGG; zur allgemeinen Leistungsklage als einschlägige
Klageart bei der Genehmigungsfiktion vgl BSG Urteil vom 11.7.2017
- B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 8 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE
und SozR 4-2500 § 13 Nr 36 vorgesehen)
ist zulässig mit einer Anfechtungsklage gegen die
Leistungsablehnung kombiniert. Die Klägerin hat zulässig ihren
Klageantrag im Revisionsverfahren vollständig auf Kostenerstattung
umgestellt. Dies ist keine in der Revisionsinstanz unzulässige
Klageänderung (vgl § 168 S 1 SGG). Als eine Änderung der Klage
ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später
eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird
(§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG). So liegt es bei der Umstellung eines
Sachleistungsbegehrens auf einen Kostenerstattungsanspruch
(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 RdNr 9).
9 2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Erstattung der durch die selbstbeschafften Liposuktionen
entstandenen Kosten wegen Eintritts einer Genehmigungsfiktion.
Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung des Antrags der
Klägerin sind nicht erfüllt
(vgl § 13 Abs 3a SGB V idF durch Art 2 Nr 1 Gesetz zur
Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten
vom 20.2.2013, BGBl I 277, mWv 26.2.2013).
Danach hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig,
spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme,
insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen
nach Antragseingang zu entscheiden (S 1). Kann die KK Fristen ua
nach S 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten
unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (S 5). Erfolgt
keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach
Ablauf der Frist als genehmigt (S 6). Beschaffen sich
Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche
Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche
Leistung selbst, ist die KK zur Erstattung der hierdurch
entstandenen Kosten verpflichtet (S 7). Die Regelung erfasst zwar
die von der Klägerin im Juni 2014 beantragte Leistung der
stationären Krankenbehandlung sowohl zeitlich als auch ihrer Art
nach
(vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 14 f
mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 36
vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9 und
11 ff)
. Die Beklagte beschied den Antrag jedoch mit Bescheid vom
24.6.2014 innerhalb der am 13.6.2014 beginnenden und am
4.7.2014 endenden Drei-Wochen-Frist (vgl § 13 Abs 3a S 1 SGB V).
Unerheblich ist, dass die Beklagte den Widerspruch der Klägerin
vom 18.7.2014 erst mit Widerspruchsbescheid vom 21.1.2015
zurückwies. § 13 Abs 3a SGB V und die darin normierten Fristen zur
Entscheidung über den Leistungsantrag des Versicherten sind nicht
entsprechend auf den hierauf bezogenen nachfolgenden
Widerspruch des Versicherten anwendbar
(so aber Vogl, NZS 2014, 210). Die als Ausnahmeregelung eng
auszulegende Vorschrift erfasst schon nach ihrem Wortlaut lediglich
die Entscheidung der KK über den Leistungsantrag. Die Fristen
laufen ab Antragseingang (vgl § 13 Abs 3a S 1 SGB V).Zweck des §
13 Abs 3a SGB V ist es überdies, die Bewilligungsverfahren bei den
KKn zu beschleunigen und damit eine schnelle Klärung der
Leistungsansprüche herbeizuführen
(vgl Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks
17/10488 S 32; vgl auch Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem Entwurf
eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 29 f;
vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 26
mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 36
vorgesehen; BSG Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - Juris
RdNr 16, 30, für BSG und SozR vorgesehen)
. Dieser Zweck ist mit der Entscheidung der KK über den
Leistungsantrag innerhalb der ab Antragstellung laufenden Frist
erreicht. Grundlose Verzögerungen im Widerspruchsverfahren
unterliegen allein den Sanktionen der Untätigkeitsklage
(vgl § 88 Abs 2 SGG).
10
3. Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf
Kostenerstattung wegen Systemversagens
(§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz
zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom
21.12.1992, BGBl I 2266)
sind nicht erfüllt. Die Norm bestimmt: Hat die KK "eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die
selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der
Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die
Leistung notwendig war." Der Kostenerstattungsanspruch reicht
nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt
daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den
Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach-
oder Dienstleistung zu erbringen haben
(stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 30/16 R - Juris
RdNr 8, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 27 Nr 29
vorgesehen; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 15;
BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13; vgl zum
Ganzen: Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd
1, Stand November 2017, § 13 SGB V RdNr 233 ff)
. Die Klägerin hatte weder zur Zeit der Ablehnung noch im Zeitpunkt
der Selbstbeschaffung
(vgl zur Maßgeblichkeit zB BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 56;
BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 25)
einen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten
Liposuktion als Naturalleistung, weil diese Behandlungsmethode
nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)
entspricht und die Voraussetzungen grundrechtsorientierter
Leistungsauslegung (iS von § 2 Abs 1a SGB V)nicht erfüllt sind.
Letzteres kommt nicht in Betracht, denn das Lipödem ist weder eine
lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit
wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Es ist ohne Belang, dass
der GBA nach den Selbstbeschaffungen beschlossen hat, das
Verfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem auszusetzen
und eine entsprechende Erprobungsrichtlinie nach § 137e SGB V
zu erlassen
(20.7.2017; vgl www.g-ba.de/informationen/beschluesse/3013/; zur
grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Rechtsänderungen
grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Rechtsänderungen
im Revisionsverfahren vgl Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand
August 2017, § 162 Anm 10b und § 163 Anm 4f mwN)
.
11
a) Der Anspruch Versicherter auf stationäre
Krankenhausbehandlung aus § 27 Abs 1 S 2 Nr 5, § 39 Abs 1 S 1
SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden
Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für
die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential
einer Behandlungsalternative ergibt sich nicht aus § 137c Abs 3
SGB V
(idF durch Art 1 Nr 64 Buchst b Gesetz zur Stärkung der Versorgung
in der gesetzlichen Krankenversicherung
Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I
1211, 1230, mWv 23.7.2015)
. Allein Hinweise in den Gesetzesmaterialien genügen nicht, um das
Ergebnis aller anderen Auslegungsmethoden zu überspielen.
12
Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass der
Leistungsanspruch der Versicherten auf Krankenhausbehandlung
ein Individualanspruch und nicht lediglich ein bloßes subjektiv-
öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder ein bloßer Anspruch dem
Grunde nach ist. Seine Reichweite und Gestalt ergibt sich erst aus
dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und
untergesetzlichen Rechtsnormen
(stRspr; vgl zB BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11
mwN; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 8; BSGE 117,
236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 13; BSG Urteil vom 11.7.2017 -
B 1 KR 30/16 R - Juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und
SozR 4-2500 § 27 Nr 29 vorgesehen; vgl auch Hauck in Peters,
Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, Stand November 2017,
§ 13 SGB V RdNr 53 f).
Hierzu gehören auch Regelungen des Leistungserbringungsrechts.
13
Funktionell dient das Leistungserbringungsrecht der Erfüllung der
Naturalleistungsansprüche der Versicherten. Die KKn gewähren
medizinische Sach- und Dienstleistungen, soweit sie nicht
ausnahmsweise Eigeneinrichtungen betreiben
(vgl zB § 132a Abs 4 S 13, § 140 SGB V), nicht unmittelbar in Natur,
sondern bedienen sich regelmäßig der zugelassenen
Leistungserbringer, um die Naturalleistungsansprüche der
Versicherten zu erfüllen. Deshalb schließen sie über die Erbringung
der Sach- und Dienstleistungen nach den Vorschriften des Vierten
Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern
(vgl § 2 Abs 2 S 3 SGB V idF durch Art 4 Nr 1 Gesetz zur
Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003, BGBl
I 3022; zuvor § 2 Abs 2 S 2 SGB V; vgl zum Ganzen BSGE 99, 180
= SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 30 f; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500
§ 28 Nr 8, RdNr 12; BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 30/16 R -
Juris RdNr 9, für BSGE und SozR 4-2500 § 27 Nr 29 vorgesehen)
.
14
aa) Schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes haben
Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig
ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern
(§ 27 Abs 1 S 1 SGB V). Nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V umfasst
die Krankenbehandlung auch die Krankenhausbehandlung.
Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem
zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme
nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das
Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre
oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher
Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 1 S 2 SGB V). Die
Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des
Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im
Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische
Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind
(§ 39 Abs 1 S 3 SGB V).
15
bb) Krankenhausbehandlung ist iS von § 39 SGB V konform mit
dem Regelungssystem grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn
die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist
(stRspr; vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 14).Der
Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung
unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem
wie jeder Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich
aus dem Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden
Einschränkungen (vgl § 2 Abs 1 S 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V).
Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die
zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen
(BSGE 117, 10 = SozR 4-1500 § 13 Nr 32, RdNr 11; BSGE 113, 241
= SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 13 mwN; Hauck, NZS 2007, 461,
466 ff)
. Ausnahmen vom Qualitätsgebot bestehen im Rahmen
grundrechtsorientierter Leistungsauslegung - sei es
verfassungsunmittelbar oder nach § 2 Abs 1a SGB V - und bei
Seltenheitsfällen
(stRspr; vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 27
mwN)
mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der
Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten der
Leistungserbringer als auch der KKn.
16
Das SGB V sichert auch im Recht der Leistungserbringung in
seinem Vierten Kapitel "Beziehungen der Krankenkassen zu den
Leistungserbringern" die Beachtung des Qualitätsgebots. So haben
die KKn und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und
gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu
gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend
und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie
wirtschaftlich erbracht werden (vgl § 70 Abs 1 S 1 und 2 SGB V).Die
Pflicht des zugelassenen Krankenhauses im Rahmen seines
Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V)der
Versicherten richtet sich hieran aus (vgl § 109 Abs 4 S 2 SGB V).
17
Gleiches gilt für die Bewertung von Untersuchungs- und
Behandlungsverfahren im Krankenhaus: Der GBA (Gemeinsamer
Bundesausschuss nach § 91 SGB V) überprüft auf Antrag des
Spitzenverbandes Bund der KKn, der Deutschen
Krankenhausgesellschaft oder eines Bundesverbandes der
Krankenhausträger Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
die zulasten der gesetzlichen KKn im Rahmen einer
Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt
werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter
Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der
Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die
Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend
belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder
unwirksam ist, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie,
wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung
nicht mehr zulasten der KKn erbracht werden darf. Ergibt die
Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht
hinreichend belegt ist, sie aber das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bietet, beschließt der GBA eine Richtlinie
zur Erprobung nach § 137e SGB V. Nach Abschluss der Erprobung
erlässt der GBA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen
einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der KKn
erbracht werden darf, wenn die Überprüfung unter Hinzuziehung der
durch die Erprobung gewonnenen Erkenntnisse ergibt, dass die
Methode nicht den Kriterien nach S 1 entspricht. Ist eine Richtlinie
zur Erprobung nicht zustande gekommen, weil es an einer nach §
137e Abs 6 SGB V erforderlichen Vereinbarung fehlt, gilt S 4
entsprechend (vgl § 137c Abs 1 S 1 bis 5 SGB V).Die zugrunde
liegende Änderung des § 137c SGB V und Einfügung der Regelung
des § 137e SGB V durch das Gesetz zur Verbesserung der
Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
(Art 1 Nr 54 und Nr 56 GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG
- vom 22.12.2011, BGBl I 2983)
hat insofern an der bisherigen Grundkonzeption nichts geändert. Sie
hat lediglich Raum für den GBA geschaffen, Richtlinien zur
Erprobung nach § 137e SGB V zu beschließen, wenn die
Überprüfung im Rahmen des § 137c SGB V ergibt, dass der Nutzen
einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet.
Abgesehen von der speziell geregelten Modifizierung durch die
zeitlich begrenzte Erprobung (§ 137e SGB V) noch nicht dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechender Methoden verbleibt es auch im stationären Sektor
beim Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 S 3 SGB V
(vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 19; BSG,
Beschluss vom 15.7.2015 - B 1 KR 23/15 B - Juris RdNr 8).
Eine weitere Ausnahme hat der Gesetzgeber mit dem Anspruch auf
zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln im
zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln im
Rahmen klinischer Studien in § 35c SGB V geregelt
(vgl BSG Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - für BSGE und
SozR 4 vorgesehen, Juris RdNr 22)
.
18
Nach Wortlaut und Regelungssystem ändert auch die Norm des §
137c Abs 3 S 1 und 2 SGB V an den Anforderungen des Anspruchs
Versicherter auf Krankenhausbehandlung nichts. Danach dürfen
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA
bisher keine Entscheidung nach Abs 1 getroffen hat, im Rahmen
einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre
Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also
insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt
sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs 1 S 1
gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs 1
noch nicht abgeschlossen ist (vgl § 137 Abs 3 S 1 und 2 SGB V).
Die Regelung trifft bereits nach ihrem Wortlaut ("dürfen …
angewendet werden") - anders als zB jene des § 2 Abs 1a SGB V
(Versicherte "können … beanspruchen") - keine Aussage zu
Leistungsansprüchen der Versicherten; sie setzt diese vielmehr
voraus. Sie können sich etwa aus Ansprüchen Versicherter auf
Krankenhausbehandlung bei grundrechtsorientierter
Leistungsauslegung
(vgl zB § 2 Abs 1a iVm § 27 Abs 1 S 1, § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 und § 39
Abs 1 SGB V)
ergeben.
19
cc) Zweck der Ausrichtung der Leistungsansprüche der
Versicherten am Qualitätsgebot ist es, im Interesse des
Patientenschutzes und des effektiven Einsatzes der Mittel der
Beitragszahler zu gewährleisten, dass eine nicht ausreichend
erprobte Methode nicht zulasten der KKn abgerechnet werden darf
(vgl BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris RdNr 21 =
USK 2007-25 - Polyglobin, zustimmend BVerfG Beschluss vom
30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 RdNr 10 und
Gesetzesbegründung im Entwurf der Bundesregierung eines GKV-
VStG, BR-Drucks 456/11 S 74, zum Off-Label-Use von
Arzneimitteln; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 21 zur Reichweite
der grundrechtsorientierten Auslegung; BSGE 115, 95 = SozR 4-
2500 § 2 Nr 4, RdNr 22; zum effizienten Einsatz der der GKV zur
Verfügung stehenden finanziellen Mittel, indem nur wirksame
Leistungen auf Kosten der GKV erbracht werden sollen, vgl
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines
Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen
Reformgesetz - GRG>, BT-Drucks 11/2237 S 157 zu Artikel 1 <§ 2
Abs 1>)
. Eine Behandlungsmethode gehört dementsprechend grundsätzlich
erst dann zum Leistungsumfang der GKV, wenn die Erprobung
abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen
Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
gemacht werden können. Das setzt einen Erfolg der
Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung
ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen voraus. Dabei muss
sich der Erfolg aus wissenschaftlich einwandfrei geführten
Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit
der neuen Methode ablesen lassen
(stRspr; vgl BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 = Juris RdNr 22
ff; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 21; BSG Urteil vom
19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - für BSGE und SozR 4 vorgesehen,
Juris RdNr 14)
. Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen
missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen
Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt
(vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 21).
20
Das Gesetz garantiert zugleich mit der Sicherung des
Qualitätsgebots die Gleichbehandlung der Versicherten, um den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG)zu beachten. Der
Gesetzgeber muss den Versicherten Rechtsanwendungsgleichheit
im Leistungsrecht gewährleisten
(vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 23 zur Auslandsbehandlung;
BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 23; Hauck, Festschrift
für Kohte, 2016, 577, 585, 587; vgl auch Udsching, VSSR 1996,
271, unter III.1)
. Es wäre vor dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu
rechtfertigen, würde der Gesetzgeber natürliche Personen zwar in
gleicher Weise dem Versicherungs- und Beitragszwang der GKV
unterwerfen, ihnen aber trotz gleicher Erkrankung und gleichem
Anspruch auf Krankenbehandlung rechtlich unterschiedliche
Chancen eröffnen, ihren Anspruch zu verwirklichen. Der allgemeine
Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu
behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber zwar nicht jede
Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht, wenn er eine
Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher
Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen
(BVerfGE 117, 316, 325 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 31; BSGE
99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 26)
.
21
Um das Ziel der Rechtsanwendungsgleichheit im Leistungsrecht der
GKV zu erreichen, regelt das Gesetz nicht nur gleiche
Rechtsansprüche der Versicherten auf Krankenbehandlung. Es
garantiert den Versicherten auch deren Realisierung, nach Wortlaut,
Regelungssystem und Regelungszweck einheitlich und eindeutig
ausgerichtet am Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V), erweitert um
die Fälle grundrechtsorientierter Auslegung
die Fälle grundrechtsorientierter Auslegung
(vgl zB BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - für SozR
vorgesehen)
: Kommt es entgegen der Gewährleistungspflicht der KKn für eine
bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung
(vgl § 70 Abs 1 S 1 SGB V) zu einer Lücke im Versorgungssystem,
hat der betroffene Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung
wegen Systemversagens (vgl § 13 Abs 3 S 1 SGB V).Ist eine dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem anderen
Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) möglich, kann die KK die Kosten der
erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen
(vgl § 13 Abs 4 S 6 SGB V). Besteht innerhalb der EU, des EWR
und der Schweiz ein qualitatives oder quantitatives
Versorgungsdefizit, sodass eine Krankenbehandlung nach
allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse nur
im Ausland möglich ist, hat der Versicherte hierauf Anspruch
(vgl näher zB BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 12 ff; Hauck, GesR
2017, 19, 22 sowie ders in Festschrift für Kohte, 2016, 577, 590 f,
dort auch zur Garantie bei Leistungsmöglichkeit nur in einem
anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des
EWR, vgl § 13 Abs 4 S 6 SGB V; lediglich andere Teilaspekte
beleuchtend Stallberg, NZS 2017, 332).
Das SGB V kennt nach Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck keine gleichen Garantien für Krankenbehandlung
Versicherter mit Methoden, die lediglich das Potential einer
Behandlungsalternative haben. Die Gerichte sind bei dieser klaren
Gesetzeslage an einer Rechtsfortbildung contra legem gehindert
(vgl zu den Grenzen Hauck in Masuch/Spellbrink/Becker/Leibfried
, Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats -
Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, Band 2:
Bundessozialgericht und die Sozialstaatsforschung - Richterliche
Wissensgewinnung und Wissenschaft, 2015, 299, 300 ff).
22
Wollte man entgegen Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck auch Potentialleistungen nach § 137c Abs 3 SGB
V in die Ansprüche Versicherter auf Regelversorgung einbeziehen,
wäre eine sachwidrige Ungleichbehandlung Versicherter die Folge.
Die Gruppe der Versicherten, die dem Qualitätsgebot
entsprechende Leistungen benötigt, hätte durch die aufgezeigten
einfachrechtlichen Garantien einen rechtlich gesicherten Zugang zu
diesen Leistungen auch dann, wenn sie im Inland überhaupt nicht
oder jedenfalls nicht innerhalb des Leistungserbringungssystems
zur Verfügung stehen oder rechtswidrig verweigert werden. Die
Gruppe der Versicherten, die Potentialleistungen als
Regelversorgung begehrte, hätte hingegen keinen rechtlich
gesicherten Anspruch auf die Potentialleistungen. Würde die
Potentialleistung im Inland nicht durch nach § 108 SGB V
zugelassene Krankenhäuser erbracht, könnte diese Gruppe sich die
Leistung zulasten der GKV weder in Krankenhäusern außerhalb des
Leistungserbringungssystems, sei es im Inland, sei es im Ausland,
beschaffen, noch wäre eine Leistungsablehnung durch die KK
rechtswidrig mit der Folge der Selbstbeschaffungsmöglichkeit
(§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V). Denn Ansprüche auf
Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1, S 2 Nr 5, § 39 SGB V)
umfassen grundsätzlich nur Leistungen, die dem Qualitätsgebot
entsprechen.
23
Das Gesetz sieht Abweichungen von den aufgezeigten Garantien
der Krankenbehandlung Versicherter nach dem Qualitätsgebot
(§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)nur außerhalb der Regelversorgung der GKV
bei einer Zusatzversorgung aus besonderen sachlichen Gründen
vor. So eröffnet die Regelung der Erprobungsrichtlinien
(vgl § 137e SGB V)des GBA den Versicherten - bei
überschießender Nachfrage im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens
der KKn
(vgl näher BSG Urteil vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) -
die Möglichkeit, trotz zur Verfügung stehender qualitätsgerechter
Leistungen an der Anwendung nicht dem allgemeinen
Erkenntnisstand entsprechender Methoden zulasten der GKV
teilzunehmen, um innovative Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden mit Potential zeitlich begrenzt zwecks
Erkenntnisgewinns zum Nutzen der Gesamtheit der Versicherten
und Beitragszahler unter strukturierten Bedingungen zu erproben
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung eines GKV-VStG, BT-
Drucks 17/6906 S 87 zu Nr 56 <§ 137e>; Hauck, GesR 2014, 257,
261)
. Die Gewährleistungspflicht und der dementsprechende
Sicherstellungsauftrag der KKn und Leistungserbringer erstreckt
sich nicht - von Fällen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung
und Seltenheitsfällen abgesehen - auf davon abweichende
Erprobungssituationen. Die Folge ist, dass sich auf der Landkarte
ein "Erprobungsflecken-Teppich" mit Regionen entwickelt, in denen
Krankenhäuser an der Erprobung teilnehmen, und anderen
Regionen, bei denen das nicht der Fall ist
(vgl Hauck, GesR 2014, 257, 261).Die Ungleichbehandlung
Versicherter, die sich aus der eingeschränkten Verfügbarkeit der
Leistung ergeben kann, ist wegen des mit der Erprobung
verknüpften wichtigen öffentlichen Zwecks und des nur
vorübergehenden Ausnahmefalls aufgrund notwendiger Befristung
der Erprobung verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
24
Auch die Regelung der Genehmigungsfiktion
(vgl § 13 Abs 3a SGB V und hierzu BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 §
13 Nr 33; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 36 und 37; BSG Urteile vom
26.9.2017 - B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R - beide Juris; BSG
Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - für BSGE und SozR
vorgesehen)
kann als durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare
Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen zu Abweichungen vom
Qualitätsgebot führen. Eine Gewährleistungspflicht entsprechend
jener für Leistungsansprüche Versicherter, die dem Qualitätsgebot
genügen, ist hierfür ausgeschlossen: Der Gesetzgeber will durch die
Androhung der Sanktion gerade verhindern, dass es zum Eintritt von
Genehmigungsfiktionen kommt. Wiederum rechtfertigen der
zugrunde liegende wichtige öffentliche Zweck und die Enge der
hierzu erforderlichen, vermeidbaren Ausnahme die darin liegende
Ungleichbehandlung Versicherter.
25
dd) Soweit die Gesetzesmaterialien zu einem von Vorstehendem
abweichenden Ergebnis führen, vermag der erkennende Senat dem
nicht zu folgen. Gesetzesmaterialien sind mit Vorsicht, nur
unterstützend und insgesamt nur insofern heranzuziehen, als sie auf
einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen und im
Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben. Daran fehlt
es. Nach den Gesetzesmaterialien sollten "Methoden mit dem
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative" im Rahmen
der Krankenhausbehandlung zulasten der KKn erbracht werden
können, insbesondere damit sie zur Versorgung typischerweise
schwerer erkrankter Versicherter mit besonderem Bedarf nach
innovativen Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden
(vgl Entwurf der Bundesregierung eines GKV-VSG, BR-Drucks
641/14 S 147 f zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b).
Dies gewährleiste die Teilhabe der Versicherten am medizinischen
Fortschritt auch außerhalb von Studien
(Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Gesundheit - 14. Ausschuss - zum Entwurf eines GKV-VSG, BT-
Drucks 18/5123 S 135 zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b).
Besteht - wie hier - eine Diskrepanz, muss dem Gesetzeswortlaut,
dem Regelungssystem und dem Regelungsziel der Vorrang
zukommen
(stRspr; vgl zB BVerfGE 62, 1, 45; BVerfGE 119, 96, 179; BSG
SozR 4-2500 § 62 Nr 8 RdNr 20 f; Hauck/Wiegand, KrV 2016, 1, 4).
Die Erweiterung der Regelversorgung der stationären
Krankenhausbehandlung auf Methoden mit Potential ohne die im
bisherigen System vorgesehenen Garantien, die ausdrücklich
lediglich für Leistungen entsprechend dem Qualitätsgebot gelten,
würde zudem den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG),
das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit für Versicherte
(vgl dazu oben, unter II. 3. a cc) verletzen.
26
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hatte die Klägerin
keinen Anspruch auf Versorgung mit einer unter stationären
Bedingungen durchzuführenden Liposuktion bei Lipödem. Die
begehrte Maßnahme entsprach nicht den Anforderungen des
Qualitätsgebots. Die Anforderungen des Qualitätsgebots werden
gewahrt, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute
(Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und
von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen
abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens
besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und
Wirksamkeit der Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in
Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige,
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können.
Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei
durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die
Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in
einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von
Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein
(stRspr; vgl zB BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29;
BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 10)
.
27
Die bei der Klägerin durchgeführten stationären Liposuktionen
erfüllen diese Voraussetzungen nach den den Senat bindenden
(vgl § 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht. Den LSG-
Feststellungen aufgrund des Gutachtens "Liposuktion bei Lip- und
Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des
MDK vom 6.10.2011 nebst Gutachtensaktualisierung
(15.1.2015; abrufbar unter www.mds-ev.de/richtlinien-
publikationen/gutachten-nutzenbewertungen.html dort Gutachten
Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen)
entspricht im Übrigen die Beurteilung des GBA in den "Tragenden
Gründen zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses
über eine Änderung der Richtlinie Methoden
Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom 20.7.2017"
(abrufbar unter www.g-ba.de/informationen/beschluesse/3013/; zur
Möglichkeit, Erkenntnisse auf Beschlüsse des GBA zu stützen:
BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 50)
.
28
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.