Urteil des BSG vom 15.02.2006
BSG (besondere härte, härte, versicherungspflicht, verwertung, höhe, lebensversicherung, tätigkeit, umstände, grund, vollendung)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 7.5.2009, B 14 AS 35/08 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Vermögensberücksichtigung - private
Lebensversicherung - besondere Härte - Einkommensberücksichtigung - Renten
wegen Berufsunfähigkeit - Privilegierung staatlich geförderten
Altersvorsorgevermögens bei Befreiung von der Rentenversicherungspflicht -
Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze
Der Zwang zur Verwertung von privaten Lebensversicherungen für Empfänger der
Grundsicherung für Arbeitsuchende kann für einen langjährig Selbständigen bei Vorliegen einer
Kumulation von Belastungen (Versorgungslücke; Behinderung; Lebensalter; Berufsausbildung)
eine besondere Härte darstellen.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 1. Januar 2006.
2 Die am 1950 geborene Klägerin war zuletzt 1977 versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem
übte sie eine selbständige Tätigkeit aus. Zuletzt betrieb sie ein Fachgeschäft für
Tierbedarfsartikel. Sie entrichtete keine freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Von 1972 bis 1982 und von 1988 bis 1997 war sie verheiratet. Beide
Ehen wurden geschieden. Ein Versorgungsausgleich wurde nur nach der ersten Ehe
durchgeführt. Nach einer Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 15.
Februar 2006 hatte die Klägerin auf Grund ihres Versicherungsverlaufs und des
Versorgungsausgleichs eine Altersrente von monatlich 257,10 Euro (nach Vollendung des
65. Lebensjahres) zu erwarten. Die Klägerin gab zum 1. Januar 2006 ihr Ladengeschäft auf
und betrieb zunächst eine selbständige Tätigkeit als Hundepflegerin. Hierfür hatte sie im
Jahr 2006 noch einen Raum in ihrem ehemaligen Ladenlokal angemietet, für das sie
umsatzabhängig Miete bezahlte. Die Tageseinnahmen hierfür lagen zwischen 5 und 58
Euro. Danach betrieb die Klägerin eine ambulante Hundepflege im Rahmen von
Hausbesuchen. Seit 1. Februar 2006 mietete sie eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer
Wohnfläche von 58,04 m² und einer Kaltmiete von 304 Euro (zuzüglich Betriebskosten in
Höhe von 100 Euro und Heizkosten in Höhe von 60 Euro monatlich).
3 Am 21. Dezember 2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Bewilligung von
Leistungen nach dem SGB II. Dabei gab sie als Vermögen Sparguthaben in Höhe von
1.012,43 Euro an. Weiterhin gab sie an, über insgesamt sieben
Kapitallebensversicherungen zu verfügen. Hinsichtlich dieser Kapitallebensversicherungen
sind folgende Werte festgestellt:
4
Versicherungsschein
Nr
Rückkaufswert
Euro
eingezahlte Beiträge
Euro
Fälligkeit
411136861
2.155,58 (1.1.06)
1.792,56
(beitragsfrei
seit
1982)
1.12.2010
411592590
9.643,90 (1.1.06)
9.729,65 (1.7.06)
4.021,38 (bis 1.2.06)
1.7.2010
425056148
8.593,16 (1.1.06)
9.228,84 (1.4.07)
7.493,54 (1.4.06)
1.4.2010
414519927
6.245,56 (1.1.06)
6.330,94 (1.8.06)
4.548,89 (1.8.06)
1.8.2010
414892898
6.633,78 (1.1.06)
6.924,65 (1.5.07)
4.470,75 (1.5.06)
1.5.2011
22054120
32.249,15 (1.1.06)
34.215,40
(1.12.07)
19.123 (1.12.06)
1.12.2010
421120007
13.694,77 (1.8.05)
5 Daneben verfügte die Klägerin über eine weitere Kapitallebensversicherung
(Versicherungsschein Nr 411592589) mit einer Versicherungssumme in Höhe von 30.000
DM, die zum 1. April 1980 begann und bis zum 1. April 2010 läuft, die sie bei der
Antragstellung nicht angab.
6 Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. April 2006 die Bewilligung von Leistungen ab. Die
Klägerin sei nicht hilfebedürftig. Ihr zu berücksichtigendes Vermögen betrage 80.283 Euro.
Abzüglich der Grundfreibeträge verfüge sie mithin über verwertbares Vermögen in Höhe von
57.133 Euro. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie machte ua geltend, die
Verwertung der Lebensversicherungen sei für sie offensichtlich unwirtschaftlich bzw stelle
eine besondere Härte dar. Weiterhin wies sie darauf hin, dass wegen eines Zustandes nach
Mamakarzinom mit Stauungsarm bei ihr eine Behinderung bestehe, die auf Dauer mit einem
Grad der Behinderung (GdB) von 50 vH eingestuft worden sei. Sie habe bereits das 55.
Lebensjahr überschritten und auf Grund ihrer Selbständigkeit lediglich eine geringe Rente zu
erwarten. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass sie erhebliche Schulden habe. Diese
Schulden seien zum Teil darauf zurückzuführen, dass sie die Bedienung ihrer
Lebensversicherungen durch Kredite fremdfinanziert habe.
7 Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2006). Die
Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben. Während des Klageverfahrens vor dem
SG hat die Klägerin aus zwei ihrer Lebensversicherungen Berufsunfähigkeitsrenten
zugesprochen erhalten. Seit dem 1. September 2006 bezieht sie Berufsunfähigkeitsrenten in
Höhe von monatlich 332,87 Euro und ab dem 1. Januar 2007 in Höhe von 335,30 Euro
monatlich.
8 Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 22. November 2006 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei nicht hilfebedürftig. Sie sei auf die vorrangige
Verwertung der Lebensversicherungen zu verweisen. Es liege auch keine besondere Härte
gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II vor. Ein atypischer Fall sei nicht erkennbar, weil die
Klägerin bei Antragstellung mit einem Lebensalter von 55 Jahren nicht kurz vor dem
Rentenalter gestanden habe.
9 Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Während des Rechtsstreits hat sie nach und
nach vier Lebensversicherungen mit einem Gesamtwert von 37.887,76 Euro an ihren
damaligen Prozessbevollmächtigten abgetreten, der ihr ua verschiedene Kredite gewährt
hatte.
10 Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat sodann durch Urteil vom 29. Januar
2008 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Klägerin sei nicht hilfebedürftig. Auch nach Abtretung von vier Lebensversicherungen an
ihren Prozessbevollmächtigten und Bezug von Berufungsunfähigkeitsrenten aus zwei ihrer
Lebensversicherungen verfüge sie noch über zwei weitere Lebensversicherungen mit einem
Rückkaufswert in Höhe von 34.215,40 Euro zum 1. Dezember 2007 sowie mit einem
Rückkaufswert in Höhe von 2.209,41 Euro zum 1. Dezember 2006. Hiervon seien lediglich
die Freibeträge gemäß § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II (750 Euro für einmalige Anschaffungen)
sowie nach § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II (200 bzw 150 Euro pro Lebensjahr) abzuziehen. Ein
Freibetrag nach § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II stehe der Klägerin nicht zu, weil sie die Verwertung
der Lebensversicherungen bis zum heutigen Tage nicht vertraglich ausgeschlossen habe.
Auch scheide eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3
SGB II aus. Nach dieser Vorschrift seien nur erwerbsfähige Hilfebedürftige privilegiert, die
von der Rentenversicherungspflicht befreit worden seien. Für sonstige Selbständige, die von
vornherein nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen
seien, habe der Gesetzgeber die Härtefallregelung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II
vorgesehen. Diese scheide hier jedoch aus, weil in jedem Fall Voraussetzung sei, dass das
Vermögen tatsächlich für die Altersvorsorge bestimmt sei. Das Gesetz spreche in § 12 Abs 3
Nr 3 Satz 1 SGB II von als "für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete
Vermögensgegenstände". Hieraus folge, dass allein die Behauptung, es handele sich bei
einem bestimmten Vermögensgegenstand um ein Element der Altersvorsorge, nicht
ausreiche. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass in § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II nunmehr die
Möglichkeit vorgesehen sei, gemäß § 165 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) aF
einen Verwertungsausschluss zu vereinbaren. Schließlich sei auch § 851c
Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung des Gesetzes zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge vom 26. März 2007 (BGBl I 368) zu berücksichtigen. Seit dem Inkrafttreten
dieses Gesetzes bestehe für Hilfebedürftige die Möglichkeit, einen Verwertungsausschluss
auch über die Grenzen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II hinaus vorzunehmen. Im Fall der Klägerin
sei dies für einen Betrag von bis zu 143.500 Euro möglich. Auf Grund dieser Neuregelungen
sei an der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Arbeitslosenhilfe
(Alhi), die bei Lebensversicherungen lediglich verlangt habe, dass das Vertragsende in etwa
mit dem möglichen Eintritt in das Rentenalter zusammentreffe, nicht jedoch eine besondere,
vor Eintritt des Ruhestands nur unter erschwerten Voraussetzungen und Verlusten kündbare
Anlageform vorliege, nicht festzuhalten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass eine alleinige
Bestimmung des Vermögens zur Altersvorsorge gerade nicht bestehe, wenn der Betroffene
von den gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten zur Vereinbarung eines
Verwertungsausschlusses keinen Gebrauch gemacht habe, um weiterhin jederzeit über
seine Lebensversicherung verfügen zu können. Insbesondere habe die Klägerin es
versäumt, ihre Lebensversicherung entsprechend den Voraussetzungen des § 851c ZPO
umzuwandeln.
11 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II sowie des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II. Soweit § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II lediglich erwerbsfähige Hilfebedürftige privilegiere, die von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit gewesen seien, stelle
dies eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar. Zwar sei sie nicht von der
Rentenversicherungspflicht befreit gewesen. Der Wortlaut sowie die
Gesetzgebungsgeschichte dieser Norm geböten jedoch eine erweiternde Auslegung im
Sinne der Berücksichtigung aller Selbständiger. Andernfalls würde der Personenkreis der
von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht Befreiten gegenüber denjenigen, die aus
anderen Gründen - wie zB wegen langjähriger selbständiger Erwerbstätigkeit - keine
Rentenanwartschaften begründet hätten, in nicht zu rechtfertigender Weise bevorzugt.
Insofern treffe den Staat auch eine Schutzpflicht zum Erhalt der Lebensversicherung
Betroffener aus Art 14 Grundgesetz (GG). Das LSG überdehne darüber hinaus die
Anforderungen, wann eine Lebensversicherung "tatsächlich für die Altersvorsorge bestimmt"
sei, wenn es davon ausgehe, dass auch in ihrem Falle ein Verwertungsverbot iS des § 12
Abs 2 Nr 3 SGB II nach § 165 Abs 3 VVG eingetragen hätte werden müssen. Es sei dann
nicht nachvollziehbar, wieso der Gesetzgeber in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II die dort
genannten Vermögensgegenstände nochmals gesondert geregelt habe. Hilfsweise werde
der Anspruch auf Leistungen auf § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II gestützt. Sie - die Klägerin -
stehe nunmehr im 59. Lebensjahr und gehöre damit zu den rentennahen Jahrgängen, zumal
mit den privaten Lebensversicherern als Ablaufdatum das 61. Lebensjahr vereinbart worden
sei.
12 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Januar 2008 und den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 22. November 2006 sowie den Bescheid
des Beklagten vom 5. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli
2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab dem 1. Januar 2006 Leistungen
nach dem SGB II zu gewähren.
13 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
14 Er beruft sich auf das angefochtene Urteil des LSG. Darüber hinaus führt er aus, § 12 Abs 3
Satz 1 Nr 3 SGB II könne über seinen eindeutigen Wortlaut hinaus nicht auf alle
Selbständigen ausgedehnt werden. Auch könne die Klägerin nicht eine besondere Härte iS
des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II für sich beanspruchen. Die Klägerin habe
sich während ihres Erwerbslebens gerade nicht der gesetzlichen Rentenversicherung
zugewandt, sodass dieser Privilegierungstatbestand nicht zu ihren Gunsten eingreifen
könne. Das Begehren der Klägerin scheitere bereits daran, dass sie als Inhaberin der im
Streit stehenden Vermögensgegenstände diese nicht für die Altersvorsorge zweckbestimmt
habe.
Entscheidungsgründe
15 Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung
der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Auf
Grund der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, ob
die geforderte Verwertung der Lebensversicherungen der Klägerin für diese eine besondere
Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II bedeuten würde. Bei langjährig
Selbständigen kann eine Pflicht zur Verwertung von Lebensversicherungen ausscheiden,
wenn im Einzelfall eine Kumulation von Umständen und Belastungen vorliegt, die
zusammengenommen eine besondere Härte für den Betroffenen bedeuten. Die besondere
Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II kann hier möglicherweise noch
nicht zu Beginn des Bewilligungszeitraums vorgelegen haben, gegebenenfalls aber später
im Verlauf des Rechtsstreits eingetreten sein. Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen,
dass der streitige Zeitraum sich hier vom 1. Januar 2006 bis zur letzten mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz, dem 29. Januar 2008, erstreckt, weil insoweit eine
Leistungsablehnung im Streit steht (vgl bereits BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3,
jeweils RdNr 19). Nach der erfolgten Zurückverweisung erstreckt sich der streitige Zeitraum
folglich sodann bis zur letzten mündlichen Verhandlung der insoweit neu eröffneten
Tatsacheninstanz.
16 1. Es kann nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin hilfebedürftig iS des § 7
Abs 1 Nr 3 SGB II iVm §§ 9, 11, 12 SGB II war. Nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer
seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm
in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Das LSG hat zum
Bedarf der Klägerin - etwa auch zu den Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II - und zu
deren zu berücksichtigenden Einkommen gemäß § 11 SGB II keine näheren Feststellungen
getroffen, was von dem rechtlichen Ausgangspunkt des LSG, bereits vom Vorhandensein
verwertbarer Vermögensgegenstände in einem die Hilfebedürftigkeit ausschließenden
Umfang auszugehen, konsequent war. Sollte sich im Einzelnen erweisen, dass die
Verwertung der Lebensversicherungen für die Klägerin eine besondere Härte iS des § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II darstellt, wird jedoch noch im Einzelnen zu prüfen
sein, über welche Einkünfte die Klägerin (ua aus ihrer selbständigen Tätigkeit) verfügt.
Hierbei wird auch zu berücksichtigen sein, dass die Renten wegen Berufsunfähigkeit in
vollem Umfang als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen sind (vgl BSG SozR
4-4200 § 11 Nr 6). Diesem noch zu ermittelnden Einkommen wird der Bedarf der Klägerin
gegenüberzustellen sein, um den konkreten Umfang der Hilfebedürftigkeit feststellen zu
können.
17 2. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Lebensversicherungen der Klägerin
nicht von den in § 12 Abs 2 und 3 SGB II enthaltenen, speziell die Verschonung von
Altersvorsorgewerten bei der Feststellung von Vermögen betreffenden Regelungen erfasst
werden. Die Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II (jetzt: § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB
II), der einen weiteren Freibetrag für geldwerte Ansprüche, die der Altersversorgung dienen,
vorsieht, lagen im streitigen Zeitraum offensichtlich nicht vor, weil die Klägerin mit ihrem
Versicherungsgeber keine den Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II genügende
Vereinbarung geschlossen hat.
18 Der Ausnahmetatbestand des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II greift ebenfalls nicht zu Gunsten
der Klägerin ein. Hiernach sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen vom Inhaber als für
die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände in angemessenem
Umfang, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige oder sein Partner von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Die Klägerin
unterfällt nicht § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II, weil sie nicht nach §§ 6, 231 (231a) des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) von der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung befreit gewesen ist. Die Klägerin unterlag auf Grund ihrer
selbständigen Tätigkeit vielmehr von vornherein nicht der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin ist auch aus
Gleichbehandlungsgesichtspunkten dem in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II benannten
Personenkreis nicht gleichzustellen (vgl insbesondere Senatsurteil vom 15. April 2008 - B
14/7b AS 68/06 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 8 RdNr 23 ff). Der erkennende Senat hat bereits
mehrfach entschieden, dass die Privilegierung des für die Altersvorsorge bestimmten
Vermögens eines von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
Befreiten gegenüber sonstigen Sicherungsformen von Personen, die mit der von ihnen
ausgeübten Tätigkeit niemals der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung unterlagen, keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung iS des Art 3
Abs 1 GG darstellt. Es bestehen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von
Normadressaten im Hinblick auf die von ihnen gewählten Versicherungsformen, die eine
Ungleichbehandlung rechtfertigen. Denn der nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II privilegierte
Personenkreis umfasst eine Gruppe von Menschen, die im Grunde der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen, jedoch insbesondere aus Gründen der
anderweitigen Vorsorge für das Alter von der Versicherungspflicht befreit worden sind, wobei
das anderweitige Vorsorgesystem bestimmten Kriterien im Hinblick auf den Umfang des
Invaliditäts- und Hinterbliebenenschutzes entsprechen muss. Wie der Senat im Einzelnen
(aaO, RdNr 24) ausgeführt hat, unterscheidet sich die Situation der nach § 6 SGB VI von der
Versicherungspflicht Befreiten grundlegend von der der Selbständigen, die nie der
Versicherungspflicht unterlagen und denen es von vornherein oblag, sich eigenständig um
eine entsprechende Sicherung für das Alter zu bemühen. Insofern hält der Senat auch unter
Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Vorbringens der Klägerin an dieser
Rechtsauffassung fest. Soweit die Altersvorsorgesituation der Klägerin aufgrund ihrer
Erwerbsbiografie mit derjenigen vergleichbar ist, die bei denjenigen besteht, die von der
Versicherungspflicht befreit sind, ergibt sich hieraus noch nicht die Notwendigkeit, § 12 Abs
3 Satz 1 Nr 3 SGB II aus verfassungsrechtlichen Gründen über seinen Wortlaut hinaus auf
ihre Lebensversicherungsverträge anzuwenden.
19 3. Für die Berücksichtigung der konkret individuellen Vorsorgesituation von langjährig
Selbständigen steht vielmehr die Härteregelung in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB
II zur Verfügung. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung verfassungsrechtliche Bedenken
des BSG gegenüber § 1 Abs 3 Nr 4 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (aF)
aufgegriffen, die sich darauf stützten, dass die von vornherein nicht versicherungspflichtigen
Selbständigen sich nach der damaligen Fassung der AlhiV generell nicht mehr auf das
Vorliegen einer besonderen Härte berufen konnten (BSGE 94, 121 = SozR 4-4300 § 193 Nr
3, jeweils RdNr 10). Diesen aus der Rechtsprechung zur AlhiV 2002 herleitbaren
Zusammenhang zwischen dem Ausschluss der selbständigen Klägerin aus der
Privilegierungsnorm des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II und dem (Auffang-
)Tatbestandsmerkmal der besonderen Härte in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II
hat auch das LSG hervorgehoben; es hat diesen Ausnahmetatbestand dann jedoch zu
restriktiv ausgelegt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der vom LSG geforderten
Zweckbestimmung des Vermögens zur Alterssicherung im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1
Nr 6 2. Alternative SGB II.
20 a) Nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II sind als Vermögen nicht zu
berücksichtigen Sachen oder Rechte, soweit ihre Verwertung für den Betroffenen eine
besondere Härte bedeuten würde. Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um
einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl
BSG Urteil vom 8. Februar 2007 - B 7a AL 34/06 R - SozR 4-5765 § 9 Nr 1 RdNr 13 mwN).
Ob von einer besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II
auszugehen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (so die
ständige Rechtsprechung des BSG, vgl BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4 sowie die
Urteile des erkennenden Senats vom 15. April 2008: B 14/7b AS 68/06 R - SozR 4-4200 §
12 Nr 8; B 14 AS 27/07 R und B 14/7b AS 56/06 R). Maßgebend sind dabei nur
außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen gesetzlichen
Freistellungen über das Schonvermögen (§ 12 Abs 3 Satz 1 SGB II, § 4 Abs 1
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung idF vom 20. Oktober 2004 ) und die
Absetzungsbeträge nach § 12 Abs 2 SGB II erfasst werden. § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2.
Alternative SGB II setzt daher solche Umstände voraus (Beispiele etwa auch bei Brühl in
LPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 12 RdNr 55 ff), die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer
abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung
stets verbundenen Einschnitte. In den Gesetzesmaterialien wird für das Vorliegen eines
Härtefalles iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II als Beispielsfall ausgeführt,
dass eine solche Härte dann vorliege, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem
Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsse, obwohl seine
Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweise (BT-Drucks 15/1749 S
32). Es kommt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers somit nicht allein auf den Verlust
der Altersvorsorge durch Verwertung und dessen Zeitpunkt an. Hinzu kommen muss
vielmehr noch eine Versorgungslücke.
21 Demnach sind nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende
Umstände beachtlich und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen. Gerade die Kumulation von
Risiken und Belastungen legt es im vorliegenden Fall nahe, vom Vorliegen einer
besonderen Härte für die Klägerin auszugehen. Das LSG hat dagegen im angefochtenen
Urteil bei seiner Prüfung eine entsprechende Wertung der Umstände des Einzelfalles gerade
unter dem Blickwinkel der Kumulation von Härtegesichtspunkten nicht vorgenommen.
Vielmehr hat es die Annahme eines Härtefalls schon deshalb abgelehnt, weil die Klägerin
eine Zweckbestimmung ihrer Lebensversicherungsverträge zur Altersvorsorge, die ohne
Abstriche den Anforderungen des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II genügt, nicht vorgenommen
habe. Insofern hat das LSG, wie noch darzulegen ist, das gesetzgeberische Ziel der
Härteklausel in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II nicht hinreichend beachtet.
22 Das LSG wird daher zunächst zu ermitteln haben, inwieweit bei der Klägerin nach einer
Verwertung ihrer Lebensversicherungen eine Versorgungslücke vorläge. Hierbei wird auch
zu berücksichtigen sein, in welchem Maße die zu erwartende relativ geringe Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung (bei Vollendung des 65. Lebensjahres monatlich 257,10
Euro) durch die der Klägerin gewährten Berufsunfähigkeitsrenten nach Erreichen der
Altersgrenze auf Dauer ergänzt wird.
23 Des weiteren wird das LSG zu ermitteln haben, inwieweit die Klägerin im streitigen Zeitraum
noch in der Lage war, durch Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt das
seinerzeit erreichte Niveau ihrer Altersvorsorge zu erhalten oder zu verbessern. Soweit die
Gesetzesmaterialien als Beispiel für einen Härtefall die Notwendigkeit einer Auflösung von
Altersvorsorgewerten "kurz vor Renteneintritt" nennen, ist der Einwand des Beklagten
beachtlich, dass die Klägerin bei Antragstellung 55 Jahre alt war. Angesichts der generell
angestrebten Verlängerung der Lebensarbeitszeit (vgl § 36 SGB VI nF mit seiner
Verlängerung des Renteneintrittsalters auf die Vollendung des 67. Lebensjahres) kann im
Hinblick auf den Altersrentenfall nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein
55jähriger Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II "kurz vor dem Rentenalter" steht.
Andererseits sind auch weitere Umstände des Einzelfalls, wie etwa die beruflichen
Einsatzmöglichkeiten der Klägerin vor dem Hintergrund ihrer Ausbildung und ihrer
bisherigen Erwerbsbiografie sowie ihre gesundheitliche Leistungsfähigkeit zu
berücksichtigen. Die Klägerin war schwerwiegend erkrankt und verfügte nach einer
Operation über einen GdB von 50 vH. Da § 236a SGB VI und § 237a SGB VI weiterhin
frühere Renteneintrittsalter für Frauen und behinderte Menschen vorsehen, könnte auf Grund
der gesamten Umstände des Sachverhalts hier möglicherweise jedenfalls mit Vollendung
des 58. Lebensjahres davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die als maßgebend
erachtete "Rentennähe" erreicht hat.
24 b) Das LSG hat einen Härtefall zu Unrecht schon deshalb abgelehnt, weil es davon
ausgegangen ist, eine besondere Härte könne im Hinblick auf die Verpflichtung zur
Verwertung von zur Altersvorsorge bestimmten Lebensversicherungsverträgen nur
angenommen werden, wenn eine vertragliche Vereinbarung nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3
SGB II (iVm § 165 Abs 3 VVG aF bzw § 168 VVG) vorliege, nach der der Inhaber vor dem
Eintritt in den Ruhestand die geldwerten Ansprüche nicht verwerten könne. Eine solche
Auslegung höbe aber die vom Gesetzgeber beabsichtigte Auffangfunktion der Härteklausel
des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II für atypische Fälle gerade wieder auf. Dies
gilt auch hinsichtlich der vom LSG besonders betonten Möglichkeiten des § 851c ZPO iVm §
168 Abs 3 VVG.
25 Vielmehr ist im Rahmen des Härtetatbestands lediglich entsprechend der früheren
Rechtsprechung des BSG zum Recht der Alhi darauf abzustellen, ob der Hilfebedürftige das
Vermögen nach Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich
verwenden will und eine dieser Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen
hat (so bereits BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 56/06 R - RdNr 36; vgl auch BSG
SozR 4-4220 § 6 Nr 2, Brühl in LPK-SGB II, aaO, § 12 RdNr 39; Spellbrink, ZfS 2000, 193,
201 ff). Eine entsprechende Zweckbestimmung zur Altersvorsorge im Rahmen des § 12 Abs
3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II ist etwa dann zweifelhaft, wenn eine Rentenversicherung
bereits erheblich früher als zur üblichen Altersgrenze fällig gestellt ist (vgl BSG, Urteil vom
15. April 2008 - B 14 AS 27/07 R - RdNr 46: Fälligkeit im 54. Lebensjahr). Insofern liegt es
nahe, im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 2. Alternative SGB II, ebenfalls auf das 60.
Lebensjahr als frühesten Fälligkeitszeitpunkt einer Lebensversicherung abzustellen. Eine
entsprechende Altersgrenze wird jedenfalls im Rahmen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II für das
Kriterium des "Eintritts in den Ruhestand" allgemein akzeptiert (so Mecke in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 RdNr 52; Radüge in jurisPK-SGB II, 2. Aufl
2007, § 12 RdNr 73; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12 RdNr 151, Stand
September 2008; anders: Vollendung des 65. Lebensjahres Hänlein in Gagel, SGB II/SGB
III, § 12 SGB II RdNr 97, Stand Januar 2009). Da die Lebensversicherungen der Klägerin
offenbar auf die Vollendung des 60. bzw 61. Lebensjahres abgeschlossen waren, könnte
insofern von der objektiven Zweckbestimmung der Vermögenswerte zur Alterssicherung
auszugehen sein. Bedenken könnten hier allerdings bestehen, ob die
Lebensversicherungen der Klägerin auch subjektiv zur Alterssicherung zweckbestimmt
waren (dazu Urteil des Senats vom 15. April 2008, SozR 4-4200 § 12 Nr 8 RdNr 32). Hierzu
hat das LSG - von seiner Rechtsansicht her konsequent - keinerlei Feststellungen getroffen.
Beispielsweise fehlt es auch an Erkenntnissen dazu, inwiefern es der Klägerin rechtlich
möglich ist, die Lebensversicherungen nach deren Fälligkeit als fortlaufende, lebenslange
Rentenzahlungen geltend zu machen.
26 as LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs
des Revisionsverfahrens zu befinden haben.