Urteil des BSG vom 12.12.2007
BSG (entgelt, arbeit, erfüllungs statt, wartezeit, zwangsarbeit, form, israel, beg, werken, rente)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 2.6.2009, B 13 R 139/08 R
Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto -
rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis - Ghettoarbeit -
Entgeltlichkeit
Leitsätze
Eine Altersuntergrenze für die Berücksichtigung der Beschäftigung eines Verfolgten in einem
Ghetto in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht nicht.
Tatbestand
1 Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von im
Ghetto Starachowice (Polen) von April 1941 bis Oktober 1942 zurückgelegten Ghetto-
Beitragszeiten.
2 Die 1928 in Starachowice geborene Klägerin ist Jüdin und wurde aus diesem Grunde Opfer
der nationalsozialistischen Verfolgung. Sie ist als Verfolgte nach dem
Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt eine Entschädigung für ihren in
der Zeit von Dezember 1939 bis April 1945 erlittenen Freiheitsschaden. Seit Juni 1949 lebt
sie in Israel; sie besitzt die dortige Staatsangehörigkeit. Nach einem vom israelischen
National Insurance Institute bestätigten Versicherungsverlauf verfügt sie über insgesamt 94
Versicherungsmonate in der israelischen Rentenversicherung.
3 Im Oktober 2002 stellte die Klägerin einen Antrag auf Altersrente unter Berücksichtigung von
Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in
einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2074). Sie gab an, während ihres Aufenthalts
im Ghetto Starachowice durch eigene Bemühungen von 1940 bis Ende Oktober 1942 in der
Munitionsfabrik der Hermann-Göring-Werke MG-2-Abteilung gearbeitet und hierfür als
Entgelt Lebensmittelcoupons und Zloty erhalten zu haben. Die Beklagte lehnte den Antrag
nach Einsichtnahme in die beim Amt für Wiedergutmachung in Saarburg geführten
Entschädigungsakten der Klägerin mit Bescheid vom 18.10.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 21.6.2005 mit der Begründung ab, es habe sich bei der
Arbeitsverrichtung im Ghetto Starachowice um eine für die damalige Zeit
nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit gehandelt; auch gebe es
keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Lohn erhalten habe.
4 Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide am
8.6.2007 verurteilt, der Klägerin ab dem 1.7.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung
von Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von November 1940 bis zum 27.10.1942 nach
Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (Urteil vom 8.6.2007) .
5 Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten nach Einholung und
Auswertung eines zeitgeschichtlichen Gutachtens des Historikers Dr. Z. mit Urteil vom
12.12.2007 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor neu gefasst werde. Aufgrund
des im Berufungsverfahren zeitlich eingeschränkten Klageantrags hat es die Beklagte unter
Aufhebung des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids zu
einer Gewährung von Altersrente unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit erst vom
2.4.1941 bis zum 27.10.1942 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Jedenfalls ab
April 1941 könne in Starachowice von einem Ghetto im Sinne des ZRBG ausgegangen
werden. Glaubhaft sei, dass sich die Klägerin in der streitbefangenen Zeit im Ghetto
Starachowice aufgehalten habe und in den außerhalb des Ghettos gelegenen Hermann-
Göring-Werken in der MG-2-Abteilung beschäftigt gewesen sei. Abgesehen davon, dass
auch eine Beschäftigung beim Judenrat einen Anspruch nach dem ZRBG begründen könne,
habe der örtliche Judenrat in Starachowice nach Auswertung des Gutachtens von Dr. Z. bei
der Organisation der Arbeit nur eine Vermittlerrolle inne gehabt, so dass das
Beschäftigungsverhältnis der jüdischen Arbeiter zu den Hermann-Göring-Werken bestanden
habe. Dass die Klägerin selbst in einem solchen Verhältnis gestanden habe, sei durch ihre
eigene Aussage sowie durch die Bekundungen glaubwürdiger Zeuginnen im BEG-
Verfahren glaubhaft. Auch das damals jugendliche Alter der Klägerin von zwölf Jahren
spreche nicht gegen ihre Beschäftigung. Diese sei ferner nach allen zum ZRBG vertretenen
höchstrichterlichen Auffassungen aus eigenem Willensentschluss verrichtet worden.
6 Der Sachverständige Dr. Z. habe überzeugend dargestellt, dass der Judenrat und die
Ghettobewohner in Starachowice-Wierzbnik die Deutschen um Arbeitsgelegenheiten hätten
bitten müssen und ständig auf ihre Ausweitung gedrängt hätten. Auch die Tatsache, dass
alle im BEG-Verfahren zum Schicksal der Klägerin gehörten Zeuginnen deutlich zwischen
der Zeit des Ghettos und des Zwangsarbeitslagers von Starachowice unterschieden hätten,
spreche dafür, dass es im Charakter der Beschäftigung tatsächlich einen Bruch gegeben
haben müsse. Allein die Verwendung des Begriffs der Zwangsarbeit im BEG-Verfahren
stehe der Annahme eines eigenen Willensentschlusses ebenso wenig entgegen wie die
Bewachung auf dem Weg vom Ghetto zu den Werken und zurück sowie die Sicherung des
Werks durch einen Werkschutz aus Ukrainern. Überdies sei das Entgelt regelmäßig
(monatlich) gezahlt worden. Die Beweisaufnahme ergebe ein klares Bild über die in bar bzw
in Natur für die Beschäftigung im Ghetto als Entgelt gewährte Gegenleistung. Insbesondere
habe die Klägerin im ZRBG-Grundfragebogen ausdrücklich den Erhalt von
"Lebensmittelcoupons und Zloty" angegeben. Dass es möglicherweise gelegentlich zu
teilweiser Abzweigung von Lohnbestandteilen an den Judenrat gekommen sei, stehe der
Entgeltlichkeit der Beschäftigung nicht entgegen. Hinsichtlich der Höhe des Entgelts sei
maßgebend, dass eine Entgeltlichkeit nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) und
dem ZRBG jedenfalls bis zu einer Untergrenze von einem Sechstel des Ortslohns gegeben
sei. Unterhalb dieser Grenze sei im Einzelfall und ohne starre Regeln zu prüfen, ob die
Geringfügigkeit des Entgelts ein Indiz für Zwangsarbeit darstelle. Unter Anrechnung ihrer
israelischen Versicherungszeiten nach dem Deutsch-Israelischen
Sozialversicherungsabkommen (Abk Israel SozSich, BGBl 1975 II 246) habe die Klägerin
die erforderliche Wartezeit von 60 Monaten erfüllt.
7 Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen
Rechts (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG - gegen Entgelt). Es sei nicht festgestellt
worden, dass die Klägerin ein ausreichendes Entgelt im Sinne des ZRBG erhalten habe. Sie
habe keine Entlohnung erhalten, die nach Maßgabe der §§ 1226, 1227 RVO aF zur
Versicherungspflicht geführt hätte. Das LSG habe festgestellt, dass der Judenrat die Löhne
zentral in Empfang genommen habe und die Auszahlung des Barlohns nicht immer
gewährleistet gewesen sei, weil der Judenrat nicht selten einen Teil davon in Lebensmittel
für die Allgemeinheit investiert habe. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung liege aber
nur dann vor, wenn die Entlohnung dem Beschäftigten selbst zugeflossen sei. Eine Zahlung
an den Judenrat könne auch nicht als Zahlung an Erfüllungs statt gewertet werden. Das LSG
habe offen gelassen, ob und für welche Zeiträume der an die Klägerin ausgezahlte
Geldbetrag das Ortslohnsechstel erreicht habe. Zu niedrige Zahlungen überschritten die
Geringfügigkeitsgrenze nicht. Ferner sei die Lebensmittelversorgung der Klägerin nicht über
die Grenze des nicht versicherungspflichtigen freien Unterhalts im Sinne des § 1227 RVO aF
hinausgegangen.
8 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2007 sowie
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 2007 aufzuheben und die Klage
insgesamt abzuweisen.
9 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend; hilfsweise stellt sie Anträge zur
Beweiserhebung.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
12 Die Klägerin hat Anspruch auf Regelaltersrente (§ 35 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch
allgemeine Wartezeit (als Voraussetzung für eine Rente aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten:
Senatsurteil vom 26.7.2007, SozR 4-5075 § 1 Nr 4 LS 1, RdNr 25 ff; Urteil des 5. Senats des
Bundessozialgerichts vom 12.2.2009 - B 5 R 70/06 R, zur Veröffentlichung
vorgesehen) erfüllt (§ 35 SGB VI) .
13 Gemäß §§ 50 Abs 1 Nr 1, 51 Abs 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit
Kalendermonate mit Beitragszeiten und nach § 51 Abs 4 SGB VI solche mit Ersatzzeiten
angerechnet. Nach § 55 Abs 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht
Beiträge gezahlt worden sind oder aber als gezahlt gelten. Zwar hat die Klägerin keine
Beiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet. Jedoch gelten für die Zeit von April
1941 bis Oktober 1942 nach § 2 Abs 1 des - als Art 1 des "Gesetzes zur Zahlbarmachung
von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch" vom 20.6.2002 (ZRBG/SGB VI-ÄndG) verkündeten - ZRBG Beiträge als
gezahlt. Zusammen mit den in der israelischen Nationalversicherung zurückgelegten
Beitragszeiten wird damit die Wartezeit erfüllt (hierzu unter 5) .
14 Zu Recht hat das LSG eine Ghetto-Beitragszeit der Klägerin im zugesprochenen Umfang
festgestellt. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die die
Revision nicht angegriffen hat, sind für den Zeitraum von April 1941 bis Oktober 1942 die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt
das ZRBG
"für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort
zwangsweise aufgehalten haben , wenn
1. die Beschäftigung
a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist <2> ,
b) gegen Entgelt ausgeübt wurde <3> und
2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder
diesem eingegliedert war < 1> ,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen
Sicherheit erbracht wird < 1> ".
Das ZRBG ist auch nicht verfassungswidrig <4> . Auf seiner Grundlage ergibt sich für die
Klägerin der Anspruch auf eine nach Israel zu zahlende Rente <5> .
15 1. Die Klägerin ist Verfolgte iS des BEG. Sie hat sich, wie vom LSG festgestellt, im Zeitraum
von April 1941 bis Oktober 1942 zwangsweise im Ghetto Starachowice aufgehalten, das
damals im deutsch besetzten Gebiet (Generalgouvernement) lag.
16 Es liegt ferner eine "Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto" iS des § 1 Abs 1 Satz 1
ZRBG vor. Der Senat liest diese Formulierung so, dass jegliche Beschäftigung innerhalb
und außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos darunter fällt, die von Verfolgten
ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben (vgl
Senatsurteil vom 2.6.2009 - B 13 R 81/08 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).
17 Schließlich werden die geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten auch nicht in der
israelischen Nationalversicherung oder in einem anderen System der sozialen Sicherheit
rentensteigernd berücksichtigt (§ 1 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz ZRBG).
18 2. Die Klägerin hat im fraglichen Zeitraum auch eine aus eigenem Willensentschluss
zustande gekommene Beschäftigung ausgeübt (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG) .
Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG.
19 a) Nach der Rechtsprechung des Senats (ausführlich Senatsurteil vom 2.6.2009 - B 13 R
81/08 R) ist die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung iS des
§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG von einer Zwangsarbeit iS des Gesetzes über die
Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) vom 2.8.2000
(BGBl I 1263) abzugrenzen (ebenso BSG 4. Senat vom 14.12.2006, BSGE 98, 48 = SozR 4-
5075 § 1 Nr 3, RdNr 100 f) .
20 Zwangsarbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie
zB bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei zB die obrigkeitliche
Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf
Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-
/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, je weiter sie
durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann
(Senatsurteil vom 14.7.1999, SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 8 f mwN; so auch Senatsurteil vom
2.6.2009 - B 13 R 81/08 R).
21 Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt hingegen vor,
wenn der Ghetto-Bewohner hinsichtlich des Zustandekommens oder der Durchführung der
Arbeit noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder
Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen
konnte (Senatsurteil vom 2.6.2009 - B 13 R 81/08 R, mwN).
22 Auch die Annahme einer vom Judenrat angebotenen Arbeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal
der "aus eigenem Willensentschluss" zustande gekommenen Beschäftigung (Senatsurteil
vom 2.6.2009 - B 13 R 81/08 R -, vgl auch schon Urteil des 5. Senats des BSG vom
18.6.1997 - 5 RJ 68/95 - in Juris nicht dokumentiert). Sofern dem Urteil des Senats vom
7.10.2004 (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 26) strengere Anforderungen zu
entnehmen sind, hält er hieran nicht fest.
23 b) Die tatsächlichen Feststellungen des LSG tragen seine Schlussfolgerung, die streitige
Beschäftigung der Klägerin in der Munitionsfabrik der Hermann-Göring-Werke sei aus
eigenem Willensentschluss zustande gekommen. Das LSG hat sich insoweit auf die eigenen
Angaben der Klägerin gestützt, wonach sie ua durch eigene Bemühungen in den Hermann-
Göring-Werken gearbeitet habe. Ferner hat das LSG festgestellt, dass der Judenrat in
Starachowice nach dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. Z. bei der
Arbeitsorganisation eine Vermittlerrolle eingenommen hat. Auch ist seitens des Judenrats
und der Ghettobewohner auf die Schaffung weiterer Arbeitsgelegenheiten gedrängt worden.
24 c) Darüber hinaus steht das Alter der Klägerin im streitigen Zeitraum von zwölf bis vierzehn
Jahren der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung
iS des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG nicht entgegen. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom
14.7.1999 (SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 4 f) deutlich gemacht, dass im Zuge der Ghetto-
Rechtsprechung keine Lebensalters-Untergrenze von vierzehn Jahren, wie nach der BSG-
Rechtsprechung zu Ersatzzeiten, zugrunde zu legen ist. Ein Mindestalter war überdies seit
dem Gesetz über Änderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der
Reichsversicherungsordnung vom 10.11.1922 (RGBl I 849) auch nicht mehr in der RVO (§
1226 RVO ) geregelt, weil wegen des Schutzcharakters der
Rentenversicherungspflicht auch verbotswidrige Kinderarbeit zur Versicherungspflicht führen
sollte (vgl Hanow/Lehmann, RVO/Invalidenversicherung, Berlin 1925, § 1226 Anm 2 V, 9).
25 3. Die Klägerin hat die Beschäftigung auch "gegen Entgelt" ausgeübt (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1
Buchst b ZRBG) .
26 Das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin für ihre Tätigkeit regelmäßig (monatlich) Bargeld
sowie Lebensmittelcoupons erhielt. Eine Entlohnung in dieser Form reicht als Entgelt im
obigen Sinne aus.
27 Denn "Entgelt" iS von § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG ist jede Entlohnung, nicht nur in
Geld, sondern auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Gutscheinen
(Coupons). Weitergehende Erfordernisse (zB Einhaltung einer Mindesthöhe; Miternährung
einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist,
-
ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem
angemessenen Verhältnis stand,
-
ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon)
gewährt wurden,
-
ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer
anderen Instanz (zB dem Judenrat) gewährt wurde.
28 Nur auf dieser Grundlage können Sinn und Zweck des ZRBG erfüllt werden. Das Gesetz soll
Verfolgten für deren Beschäftigung während ihres Zwangsaufenthalts in einem vom
Deutschen Reich zu verantwortenden Ghetto eine Rente aus der deutschen
Rentenversicherung ermöglichen. Es knüpft an die sog Ghetto-Rechtsprechung des BSG an,
erweitert jedoch in mehrfacher Hinsicht deren Reichweite (Senatsurteil vom 2.6.2009 - B 13
R 81/08 R, mwN). Nach wie vor bleibt jedoch erheblich, ob die Ghetto-Beschäftigung
"gegen" Entgelt ausgeübt wurde, also ob ein Austauschverhältnis bestand. Hiervon ist
auszugehen. Denn das LSG hat - unangegriffen - festgestellt, dass die Klägerin für ihre
Arbeit in Form von Bargeld und Lebensmittelcoupons vergütet wurde.
29 Die Lösung des Senats trägt auch dem Anliegen Rechnung, in Anbetracht des vorgerückten
Alters der Berechtigten über ihre Leistungsansprüche möglichst bald und ohne langwierige
Ermittlungen entscheiden zu können (hierzu bereits Senatsurteil vom 26.7.2007, BSGE 99,
35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4, RdNr 20 mwN ) .
30 Sein Auslegungsergebnis enthebt den Senat ferner der verfassungsrechtlichen Prüfung, ob
eine unterschiedliche Behandlung der für Ghettobeschäftigungen vorstellbaren Arten von
"Entgelt" (zB Barlohn, um Essensgeld gekürzter Barlohn, lediglich Nahrungsmittel am
Arbeitsplatz) oder auch seiner Höhe dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des
Grundgesetzes ) widerspricht (Senatsurteil vom 2.6.2009 - B 13 R 81/08 R - zur
Veröffentlichung vorgesehen, mwN ).
31 4. Überdies hat der Senat - anders als der 4. Senat des BSG im Urteil vom 14.12.2006
(BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3 RdNr 118) keine Bedenken an der
Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung der ZRBG-Leistungen (Senatsurteil vom 2.6.2009 -
B 13 R 81/08 R, mwN).
32 5. Auf der geschilderten Grundlage ist der Klägerin eine auf Ghetto-Beitragszeiten
beruhende Regelaltersrente zu zahlen.
33 Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (60 Monaten) erfüllt sie mit 19 Monaten (April 1941
bis Oktober 1942) an Ghetto-Beitragszeiten nicht. Ungeachtet der noch von der Beklagten
festzustellenden Ersatzzeiten erfüllt sie die Wartezeit jedoch zusammen mit ihren in Israel
erworbenen Versicherungszeiten von 94 Monaten. Beide Zeiten sind gemäß Art 20 Abs 1
Abk Israel SozSich für die Wartezeit zusammen zu berücksichtigen.
34 Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.