Urteil des BSG vom 19.04.2007

BSG (wohnung, zuschuss, kläger, umzug, verschlechterung des gesundheitszustandes, ehefrau, verbesserung, höhe, vvg, pflege)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 19.4.2007, B 3 P 8/06 R
Wiederholte Gewährung eines Zuschusses für eine noch behindertengerecht
auszustattende Wohnung nach einem Umzug
Leitsätze
Der Umzug aus einer bereits mit einem Zuschuss behindertengerecht gestalteten Wohnung in
eine erst noch behindertengerecht auszustattende Wohnung kann einen Anspruch eines
pflegebedürftigen Versicherten auf einen zweiten Zuschuss für Maßnahmen zur Verbesserung
seines individuellen Wohnumfeldes begründen.
Tatbestand
1 Es ist streitig, ob der Kläger von der beklagten "Gemeinschaft Privater
Versicherungsunternehmen zur Durchführung der Pflegeversicherung nach dem
Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) vom 26.5.1994 für die Mitglieder der
Postbeamtenkrankenkasse und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten" (GPV),
einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, einen zweiten Zuschuss für Maßnahmen zur
Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes beanspruchen kann.
2 Der 1936 geborene, als Ruhestandsbeamter bei der Beklagten zu einem Satz von 30 %
privat pflegeversicherte Kläger ist nach mehreren Schlaganfällen sowie wegen einer
Multiplen Sklerose ständig auf einen Rollstuhl angewiesen und pflegebedürftig. Bis Ende
2004 war der Kläger der Pflegestufe II zugeordnet; seit Januar 2005 erhält er Leistungen
nach der Pflegestufe III. Er wird von seiner Ehefrau sowie von Mitarbeitern eines
Pflegedienstes, die zweimal täglich ins Haus kommen, betreut und gepflegt.
3 Zunächst hatte der Kläger mit seiner Ehefrau in dem von ihm erbauten Einfamilienhaus in
der Erdgeschosswohnung gewohnt. Für den Einbau einer behindertengerechten Dusche
hatte er im März 2002 einen Zuschuss zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in
Höhe des Höchstbetrages von 2.557 Euro erhalten. Davon trug die Beihilfestelle einen Anteil
von 70 % und die Beklagte entsprechend dem Versicherungsvertrag einen Anteil von 30 %.
4 Im August 2003 zog der Kläger mit seiner Ehefrau, bei der einen Monat später eine
Krebserkrankung diagnostiziert wurde, in die im Keller des Hauses gelegene
Einliegerwohnung, in der bis dahin seine Tochter und sein Schwiegersohn wohnten, die im
Gegenzug in die größere Erdgeschosswohnung wechselten. Zugleich wurde das Eigentum
an dem Haus auf die Tochter übertragen. In der Einliegerwohnung musste das Badezimmer
behindertengerecht umgestaltet und ein Treppenlift eingebaut werden, um die vier Stufen
zwischen dem Wohnzimmer und den höher gelegenen anderen Räumen zu überbrücken.
Der Umbau des Badezimmers ist bereits erfolgt; der Treppenlift ist noch nicht eingebaut
worden.
5 Im Oktober 2003 beantragte der Kläger unter Vorlage von Kostenvoranschlägen einen
zweiten Zuschuss in Höhe von 2.557 Euro für die Anpassungsmaßnahmen in der neuen
Wohnung, wovon die Beihilfestelle wiederum 70 % und die Beklagte 30 % (= 767,10 Euro)
tragen sollten. Nach Einholung eines Gutachtens der Pflegefachkraft H von der M GmbH
(Hausbesuch am 25.10.2003) wurde der Leistungsantrag abgelehnt, weil bereits der Umbau
des Badezimmers in der alten Wohnung im höchstmöglichen Umfang bezuschusst worden
sei und der Umzug zwar nachvollziehbar, nicht aber wegen einer Änderung des
Pflegebedarfs erforderlich gewesen sei (Schreiben vom 19.11.2003). Der "Widerspruch" des
Klägers blieb erfolglos (Schreiben vom 21.1.2004).
6 Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.12.2005). Das
Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil auf die Berufung des Klägers nach
Beweisaufnahme geändert und die Beklagte verurteilt, über den Leistungsantrag unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 4.5.2006). Zur
Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe grundsätzlich ein Anspruch auf einen
zweiten Zuschuss zu, weil er im Wesentlichen wegen einer Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes im Sommer 2003 die Wohnung getauscht habe. Der Kläger habe die
bisherige Wohnung im Erdgeschoss nur über eine Treppe und eine Rampe verlassen
können, was ihm nach der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht mehr
möglich gewesen sei, während die Einliegerwohnung im Keller einen ebenerdigen Ausgang
habe. Die Krankheit seiner Ehefrau sei für den Umzugsentschluss nicht ausschlaggebend
gewesen, hätte aber ebenfalls zu einer Änderung der Pflegesituation geführt und damit einen
erneuten Anspruch auf einen Zuschuss für die Umbaumaßnahmen ausgelöst, weil dadurch
auch die Pflege durch die Ehefrau erleichtert werde. Eine unmittelbare Verurteilung zur
Zahlung scheide aber aus, weil nach den Vertragsbedingungen die Gewährung eines
solchen Zuschusses im Ermessen der Beklagten stehe, was der Ermessensregelung des §
40 Abs 4 SGB XI für den Bereich der sozialen Pflegeversicherung entspreche.
Anhaltspunkte für eine Reduzierung des Ermessens auf Null seien nicht ersichtlich.
7 Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung
materiellen Rechts (§ 23 Abs 1 und § 40 Abs 4 SGB XI). Sie macht geltend, der Umzug in die
Einliegerwohnung sei nicht aus pflegerischen Gründen erforderlich geworden, weil die
Pflege in der alten Wohnung nach der damaligen Umbaumaßnahme sichergestellt gewesen
sei. Auch der Zugang zu dieser Wohnung sei nicht unzumutbar erschwert gewesen. Der
Wohnungstausch sei vielmehr auf den Wunsch nach einem Generationswechsel im Hause
zurückzuführen, wodurch ein erneuter Anspruch auf einen Zuschuss nicht begründet werde.
Die krankheitsbedingte Einschränkung der pflegerischen Fähigkeiten der Ehefrau sei nicht
zu berücksichtigen.
8 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 4.5.2006 zu ändern und die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 8.12.2005
zurückzuweisen.
9 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.
11 Das beihilferechtliche Verfahren ruht bis zum Abschluss dieses Rechtsstreits.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger erfüllt dem Grunde nach die
vertraglichen Voraussetzungen für die Gewährung eines zweiten Zuschusses zu einer
Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes. Die Beklagte hat deshalb,
wie vom LSG zutreffend erkannt, über den Leistungsantrag des Klägers neu zu entscheiden,
wobei sie allerdings bei der Ausübung des Ermessens die Rechtsauffassung des
erkennenden Senats zu beachten hat.
13 1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
14 a) Die erhobene isolierte Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG ist die zulässige Klageart.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), zu der sich durch Vertrag vom
10.11./5.12.1994 diejenigen privaten Krankenversicherungsunternehmen
zusammengeschlossen haben, die auch die private Pflegeversicherung (PPV) für Mitglieder
der Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) und der Krankenversorgung der
Bundesbahnbeamten (KVB) anbieten. Sie fungiert gegenüber den Versicherten als
Versicherer. Nach dem von den beteiligten Unternehmen untereinander abgeschlossenen
"Mitversicherungsvertrag" haftet jeder der beteiligten Mitversicherer gegenüber jedem
Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner; die Vertretung und die Geschäftsführung der
GbR wurde generell dem Verband der privaten Krankenversicherung eV, die praktische
Durchführung der PPV aber durch einen weiteren Vertrag auf die PBeaKK und die KVB
übertragen. Hierzu zählen insbesondere das Leistungswesen mit der Feststellung der
bedingungsgemäßen Leistungsvoraussetzungen und die Auszahlung der beantragten
Tarifleistungen. Die Vereinbarung umfasst auch die Abwehr vermeintlich unbegründeter
Leistungsbegehren durch die PBeaKK und die KVB unter Einschluss der gerichtlichen
Verfahren. Die PBeaKK und die KVB erfüllen damit ihre vertraglichen Verpflichtungen
gegenüber der GPV als Treuhänder (BSGE 86, 94 = SozR 3-3300 § 77 Nr 3) . Da im
vorliegenden Fall die KVB die für den Kläger zuständige Beihilfestelle ist, obliegt ihr auch
die Durchführung der PPV gegenüber dem Kläger in Treuhandschaft für die Beklagte. Als
Treuhänderin privater Versicherungsunternehmen ist sie nicht befugt, zur Regelung der
zwischen diesen Unternehmen bzw der Beklagten und den Versicherungsnehmern
bestehenden Rechtsverhältnisse Verwaltungsakte zu erlassen (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr
3) . Daran hat sich die KVB gehalten. Die Ablehnung des Leistungsantrags ist für den
Bereich der PPV nicht durch förmlichen Bescheid (Verwaltungsakt), sondern durch schlichte
Mitteilung erfolgt. Dies gilt auch für die Entscheidung über den "Widerspruch" des Klägers.
15 b) Die nach § 12 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und nach der inhaltsgleichen
Regelung des § 17 Abs 2 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die PPV/Bedingungsteil MB/PPV 1996 bestimmte Klagefrist
von sechs Monaten nach Ablehnung des Leistungsantrags hat der Kläger eingehalten. Die
Klagefrist wurde erst durch das mit Rechtsfolgenbelehrung versehene Schreiben der KVB
vom 21.1.2004 in Lauf gesetzt (§ 12 Abs 3 Satz 2 VVG); sie ist deshalb durch die
Klageerhebung am 1.6.2004 gewahrt worden.
16 Dem steht nicht entgegen, dass die Klage seinerzeit gegen die KVB gerichtet war. Erst im
November 2004 ist auf Antrag des Klägers der Wechsel auf Beklagtenseite von der KVB zur
jetzigen Beklagten erfolgt. Dennoch wirkte die Klageerhebung im Juni 2004 fristwahrend,
weil die KVB im vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls als Beklagte hätte fungieren können,
und zwar im Wege gewillkürter Prozessstandschaft für die jetzige Beklagte (BSGE 86, 94 =
SozR 3-3300 § 77 Nr 3 und BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 3) . Zudem muss die Beklagte nach §
2 Abs 4 des Vertrages vom 10.11./5.12.1994 alle im Rahmen des
Pflegeversicherungsvertrages gegenüber der PBeaKK und der KVB abgegebenen
Erklärungen der Versicherten gegen sich gelten lassen, was auch für die mit der Klageschrift
verkörperte Erklärung gilt. Einwände gegen die Wahrung der Klagefrist hat die Beklagte zu
Recht nicht erhoben.
17 2. Die Klage ist auch begründet. Rechtsgrundlage des Begehrens ist der
Versicherungsvertrag iVm § 178b Abs 4 VVG. Für die Bezuschussung der Kosten für
behinderungs- und pflegebedingte bauliche Maßnahmen in einer Wohnung ist die § 40 Abs
4 SGB XI nachgebildete Regelung des § 4 Abs 7 MB/PPV 1996 maßgebend, in der es heißt:
"Für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der versicherten
Person, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, können gemäß Nr 4.3 des Tarifs
PV subsidiär finanzielle Zuschüsse gezahlt werden, wenn dadurch im Einzelfall die
häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige
Lebensführung der versicherten Person wiederhergestellt wird." Nach Nr 4.3 des Tarifs PV
ist der Zuschuss für jede Maßnahme einkommensabhängig, stets aber auf 2.557 Euro
begrenzt, was bei einem Versicherungsschutz in Höhe von 30 % einem Höchstbetrag von
767,10 Euro entspricht. Wie sich aus der auch insoweit § 40 Abs 4 SGB XI entsprechenden
Regelung in § 4 Abs 7 MB/PPV 1996 ergibt ("können"), handelt es sich dabei aber nicht um
eine Pflichtleistung, sondern nur um eine Ermessensleistung. Daher hat der Träger der PPV,
sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen des Zuschusses für eine solche Maßnahme
erfüllt sind, Ermessen auszuüben (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 3) . Dies gilt sowohl für das Ob
der Leistung als auch für deren Höhe. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die
tatbestandlichen Voraussetzungen für einen zweiten Zuschuss im vorliegenden Fall erfüllt.
18 Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Zuschussgewährung liegen vor,
weil es sich um eine neue Maßnahme handelt, die durch den Umzug erforderlich geworden
ist. Der begehrte Zuschuss zum Umbau der Dusche und zum Einbau eines Treppenlifts
würde dazu dienen, dem Kläger eine größere Selbstständigkeit in der Wohnung zu
verschaffen und seine Pflege zu erleichtern. Das LSG hat bindend festgestellt, dass der
erneute Zuschussbedarf auf einer Änderung des Pflegebedarfs beruht und nicht erst durch
die Krankheit der Ehefrau ausgelöst worden ist. Das reicht nach der bisherigen
Rechtsprechung des erkennenden Senates aus, um einen erneuten Anspruch auf einen
Zuschuss dem Grunde nach zu bejahen. Aber auch andere nachvollziehbare Erwägungen
des Pflegebedürftigen, die zu einer neuen Umbaumaßnahme führen, können einen erneuten
Zuschuss rechtfertigen, solange der Bedarf nicht mutwillig herbeigeführt wird.
19 a) Der Senat hatte sich bisher erst einmal mit der Frage einer zweiten Zuschussgewährung
nach § 40 Abs 4 SGB XI zu befassen. Es ging um einen Fall, in dem der nach einem
Sportunfall querschnittgelähmte und pflegebedürftige Versicherte in seinem angemieteten
Haus etwa zeitgleich sowohl einen Außen- als auch einen Innentreppenlift hatte einbauen
lassen, deren Gesamtkosten von der Pflegekasse mit dem Höchstbetrag von 5.000 DM (jetzt:
2.557 Euro) bezuschusst worden waren. Der Versicherte forderte einen zweiten Zuschuss in
gleicher Höhe, weil er meinte, es handele sich um zwei separate "Maßnahmen" iS des § 40
Abs 4 SGB XI. Der Senat hat seinerzeit die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz
bestätigt (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 2) , weil die Installierung beider Treppenlifte eine
einheitliche "Maßnahme" darstellte, die deshalb auch nur einmal bezuschusst werden
konnte. Eine "Maßnahme" iS des § 40 Abs 4 SGB XI bzw des § 4 Abs 7 MB/PPV 1996
umfasst sämtliche Umbauten und technischen Hilfen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zur
Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen objektiv erforderlich
sind (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 2 und 3) , was in jenem Fall für die Installierung beider
Treppenlifte zutraf, weil beide Baumaßnahmen auf dem damals gegebenen objektiven
Pflegebedarf beruhten. Maßgebend ist insoweit der Zeitpunkt der Durchführung der
Umbauarbeiten, wenn der Zuschuss nachträglich beantragt wird, bzw der Zeitpunkt der
Antragstellung, wenn die Umbauarbeiten erst danach durchgeführt worden sind oder werden
sollen. Die Zusammenfassung mehrerer Einzelmaßnahmen, die zu einem bestimmten
Zeitpunkt zur Verbesserung des individuellen Umfeldes eines Pflegebedürftigen notwendig
sind, zu einer Gesamtmaßnahme im Rechtssinne gilt auch dann, wenn die
Einzelmaßnahmen nicht in einem Auftrag gemeinsam vergeben oder zeitlich nacheinander
durchgeführt werden. Die Gewährung eines zweiten Zuschusses kommt danach also erst in
Betracht, wenn sich die Pflegesituation objektiv ändert und dadurch im Lauf der Zeit Schritte
zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes erforderlich werden, die im Zuge der
ersten Umbaumaßnahme noch nicht notwendig waren (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 2).
20 b) Eine solch nachträgliche "Änderung der Pflegesituation" lag hier vor. Das LSG hat
festgestellt, dem Kläger sei es nach der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im
Sommer 2003 nicht mehr möglich gewesen, die von ihm und seiner Ehefrau bis dahin
bewohnte Erdgeschosswohnung über die nach außen führende Treppe und Rampe zu
verlassen und zu erreichen. Bis dahin habe er den Weg über die Treppe und die Rampe
noch mit einem Rollator oder mit Stützung durch eine Begleitperson bewältigen können. Aus
diesem Grunde sei es im August 2003 zum Umzug in die ebenerdig gelegene
Einliegerwohnung gekommen. Diese von der Beklagten nicht mit Verfahrensrügen
angegriffene und daher für den erkennenden Senat bindende Feststellung (§ 163 SGG) stellt
eine nachträgliche Änderung der Pflegesituation dar, auf der die in der neuen Wohnung
notwendigen Umbaumaßnahmen (Herrichtung des Badezimmers, Einbau eines
Treppenlifts) beruhen. Es handelt sich im Vergleich zu der bezuschussten ersten
Umbaumaßnahme, dem Einbau einer behindertengerechten Dusche in der
Erdgeschosswohnung im Jahre 2002, um eine zweite Maßnahme iS des § 40 Abs 4 SGB XI
bzw § 4 Abs 7 MB/PPV 1996, weil sie wegen einer erst im Jahre 2003 eingetretenen
Ausweitung des Pflegebedarfs und des dadurch veranlassten Umzugs erforderlich
geworden ist.
21 c) Der Feststellung des LSG, die krankheitsbedingte Ausweitung des Pflegebedarfs des
Klägers im Sommer 2003 sei der Grund für den Wohnungswechsel gewesen, steht auch
nicht die Einschätzung des Sachverständigen H im M-Gutachten vom 25.10.2003 entgegen,
der Umzug in die Einliegerwohnung stehe nicht in erster Linie im Zusammenhang mit dem
Pflegebedarf, sondern mit dem Umstand, dass die Ehefrau des Klägers der Versorgung des
Hauses nicht mehr gewachsen gewesen sei und das Haus an die Tochter übergeben
werden sollte. Nach § 64 Abs 1 Satz 1 VVG sind Versicherer und Versicherungsnehmer bei
entsprechender Vereinbarung (so hier: § 6 Abs 2 MB/PPV 1996) grundsätzlich an die
Feststellungen des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der
Versicherung oder zur Höhe des Schadens gebunden; diese sind nur dann nicht verbindlich,
wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen (vgl BSGE 88, 262 und
88, 268 = SozR 3-3300 § 23 Nr 5 und 6 sowie SozR 4-7690 § 64 Nr 1) . Der Einschätzung
des Sachverständigen, der Generationenwechsel im Hause sei der eigentliche Grund für
den Umzug in die Einliegerwohnung, kommt eine Bindungswirkung nach § 64 Abs 1 Satz 1
VVG nicht zu. Die Bindungswirkung betrifft nur die medizinischen und pflegefachlichen
Feststellungen zu den für den Grund und die Höhe eines Anspruchs aus der PPV
maßgeblichen Tatsachen. Dies betrifft zB die Frage, ob die im Leistungsantrag genannten
Umbaumaßnahmen geeignet und notwendig sind, die Pflege des Klägers in der neuen
Wohnung zu ermöglichen bzw erheblich zu erleichtern oder ihm eine möglichst
selbstständige Lebensführung zu sichern. Einschätzungen und Wertungen zu der Frage,
weshalb es zum Wohnungstausch mit der Tochter und dem Schwiegersohn gekommen ist
und welche rechtlichen Überlegungen der Zuschussgewährung entgegenstehen könnten,
werden von der Bindungswirkung des § 64 Abs 1 Satz 1 VVG nicht erfasst, wie das LSG
zutreffend ausgeführt hat.
22 d) Damit sind die Voraussetzungen für einen zweiten Zuschuss dem Grunde nach erfüllt.
Dass die Umbauarbeiten nicht in der bisherigen, sondern in der neuen Wohnung
durchzuführen sind, steht dem Anspruch nicht entgegen. Der erkennende Senat hat bereits
entschieden, dass auch die behindertengerechte Anpassung bzw Ausstattung einer nach
Umzug bezogenen bzw noch zu beziehenden neuen Wohnung bezuschusst werden kann (
Urteil vom 26.4.2001 - B 3 P 24/00 R - SozR 3-3300 § 40 Nr 5 zum Zuschuss für den Neubau
eines behindertengerecht gestalteten Eigenheimes) . Ferner kommt es nicht darauf an, ob
und in welchem Umfang durch den Umzug oder die Umbaumaßnahme die Pflege bei einer
der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten, für die Bemessung des täglichen Pflegebedarfs und
die Einstufung in einer der Pflegestufen relevanten Verrichtungen im Ablauf des täglichen
Lebens ermöglicht oder erheblich erleichtert wird. Die Regelung des § 40 Abs 4 SGB XI bzw
des § 4 Abs 7 MB/PPV 1996 knüpft die Zuschussfähigkeit einer Umbaumaßnahme nur
daran, dass "die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst
selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird", ohne auf den
Verrichtungskatalog des § 14 Abs 4 SGB XI Bezug zu nehmen. Deshalb ist der Einwand der
Beklagten unerheblich, nach der - aus ihrer Sicht gemäß § 64 VVG insoweit bindenden -
Feststellung des Sachverständigen H im M-Gutachten vom 25.10.2003 falle die Hilfe bei der
Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" (§ 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI) nur
zweimal im Monat an, sodass diese Hilfestellung bei der Bemessung des täglichen
Pflegebedarfs nicht zu berücksichtigen sei, weil sie nicht in jeder Woche mindestens einmal
erforderlich werde. Maßgebend ist allein, dass hier dem Kläger durch den Umzug ein
jederzeitiges selbstständiges Verlassen und Zurückkehren in die neue Wohnung - aus
welchem Anlass auch immer - ermöglicht worden ist, und dass die Umbaumaßnahme das
selbstständige Überwinden der Stufen zwischen dem Wohnzimmer und den anderen
Räumen ermöglicht, die Hilfe bei der Körperpflege im Badezimmer erheblich erleichtert und
dem Kläger insgesamt eine selbstständigere Lebensführung gesichert wird.
23 e) Aber selbst wenn der Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt würde, der Zugang zur
alten Wohnung sei im Sommer 2003 durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes
des Klägers nicht unmöglich geworden, sondern allenfalls erschwert worden, und der
Generationenwechsel im Haus sei der eigentliche Grund für den Wohnungstausch gewesen,
wäre ein Anspruch auf einen zweiten Zuschuss dem Grunde nach zu bejahen. Der Einwand
der Beklagten, ein zweiter Zuschuss komme in einem solchen Fall nicht in Betracht, weil es
an einer nachträglichen Ausweitung des Pflegebedarfs als Grund für die weiteren
Umbauarbeiten fehle, trifft nicht zu. Der erkennende Senat hat das Hinzutreten einer
weiteren Behinderung oder die altersbedingte Ausweitung des Pflegebedarfs eines
Behinderten nur beispielhaft als Voraussetzung für die Gewährung eines zweiten
Zuschusses genannt (vgl BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 2 und 5) ; beim Verbleib des
Pflegebedürftigen in seiner bisherigen Wohnung, um den es damals ging, dürfte dies auch
die einzige Möglichkeit sein, damit weitere Umbauarbeiten eine gesonderte zweite
Maßnahme iS des § 40 Abs 4 SGB XI bzw § 4 Abs 7 MB/PPV 1996 darstellen und somit
erneut bezuschusst werden können. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Ausweitung des
Pflegebedarfs als einzige Möglichkeit zur Erlangung eines zweiten Zuschusses in Betracht
kommt. Maßgeblich ist allein die nachträgliche objektive Änderung der Pflegesituation (BSG
SozR 3-3300 § 40 Nr 2 und 5) , um abzugrenzen, ob verschiedene Einzelmaßnahmen eine
Gesamtmaßnahme darstellen, die nur einmal bezuschusst werden kann, oder ob es sich
rechtlich um zwei verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen
Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen handelt, die auch mehrfach bezuschusst werden
können. Weder das Gesetz noch der Versicherungsvertrag knüpfen die Zuschussfähigkeit
einer zweiten Maßnahme daran, dass sie allein oder im Wesentlichen auf einer Ausweitung
des Pflegebedarfs basiert. Die nachträgliche Ausweitung des Pflegebedarfs ist nur eine -
wenn auch wohl die bedeutendste - Variante einer nachträglichen Änderung der
Pflegesituation, schließt aber andere Varianten nicht aus. Nach dem Gesetz und dem
Versicherungsvertrag reichen auch andere nachvollziehbare Erwägungen eines
Pflegebedürftigen aus, die zu einer neuen Umbaumaßnahme führen, um einen erneuten
Zuschuss zu rechtfertigen, solange der Bedarf nicht mutwillig herbeigeführt wird. Ein Umzug
aus einer bereits behindertengerecht gestalteten Wohnung in eine nicht behindertengerecht
ausgestattete Wohnung kann deshalb eine nachträgliche Änderung der Pflegesituation
darstellen, auch wenn sich der Pflegebedarf nicht krankheits- oder behinderungsbedingt
verändert hat. Die Gewährung eines zweiten Zuschusses für Umbauarbeiten in der neuen
Wohnung hängt davon ab, ob der Umzug in diese Wohnung auf nachvollziehbaren
Erwägungen des Pflegebedürftigen beruht, was zB dann gegeben sein kann, wenn der
Umzug aus beruflichen Gründen erfolgt oder der Pflegebedürftige aus einer Mietwohnung in
geerbtes Wohneigentum umzieht (insoweit noch offen gelassen in BSG SozR 3-3300 § 40
Nr 5) . Zu den nachvollziehbaren Erwägungen für einen Umzug in eine noch nicht
behindertengerecht ausgestattete Wohnung zählt auch der Entschluss eines
Pflegebedürftigen, wegen des eigenen Alters und des Alters der Ehefrau sowie zur
Verringerung des Arbeitsaufwandes bei der Haushaltsführung in eine kleinere Wohnung im
eigenen Haus umzuziehen, einem erwachsenen Kind und dessen Ehepartner bzw Familie
die bisher genutzte größere Wohnung zu überlassen und auch eigentumsrechtlich einen
Generationenwechsel herbeizuführen.
24 3. Bei der Frage, ob ein dem Grunde nach gegebener Anspruch auf einen zweiten Zuschuss
überhaupt erfüllt werden soll und in welcher Höhe der Zuschuss gezahlt wird, steht der
Beklagten nach § 4 Abs 7 MB/PPV 1996 Ermessen zu. Die Gründe für den erneuten
Zuschussbedarf hat die Beklagte unter Würdigung der Gesamtsituation im Rahmen ihrer
Ermessensausübung zu berücksichtigen, wozu auch die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Klägers gehören. Da die Beklagte sich bislang aus
Rechtsgründen gehindert sah, einen Zuschuss zu bewilligen, und damit ihr Ermessen nicht
ausgeübt hat, war sie lediglich zur erneuten Entscheidung über den Leistungsantrag zu
verurteilen.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.