Urteil des BSG vom 25.02.2010

BSG: rente, sozialleistung, bemessungsgrundlage, arbeitsentgelt, erwerbsfähigkeit, nachzahlung, reform, umdeutung, sozialversicherung, anfang

Bundessozialgericht
Urteil vom 25.02.2010
Sozialgericht für das Saarland S 6 R 414/04
Landessozialgericht für das Saarland L 1 R 13/06
Bundessozialgericht B 13 R 130/08 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Mai 2007
abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten
nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Der Kläger begehrt die volle Auszahlung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) für die Monate Juli bis
Dezember 2000. Streitig ist, ob die Hinzuverdienstgrenzen auf Grund der Berücksichtigung von Arbeitslosengeld (Alg)
sich nach dessen Bemessungsgrundlage (und nicht nach seiner tatsächlichen Höhe) richten.
2
Auf Grund eines angenommenen Anerkenntnisses bewilligte die Beklagte dem 1944 geborenen Kläger mit
Ausführungsbescheid vom 27.5.2002 Rente wegen EU auf Zeit vom 20.8.1999 (Rentenbeginn) bis 31.7.2003. Der
Zahlbetrag ab 1.7.2002 betrug monatlich 1.260,71 Euro und die - vorläufig einbehaltene - Nachzahlung für die Zeit vom
20.8.1999 bis 30.6.2002 12.820,26 Euro. Im Bescheid ist ausgeführt, dass "unter Berücksichtigung der individuellen
Hinzuverdienstgrenzen" die Rente für die Zeit vom 20.8.1999 bis 30.6.2000 in voller Höhe, vom 1.7.2000 bis
31.7.2000 nur in Höhe von einem Drittel der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU), für die Zeit vom 1.8.2000 bis
30.6.2002 nicht und ab 1.7.2002 (wieder) in voller Höhe gezahlt werde. Als Hinzuverdienst berücksichtigte die
Beklagte monatliche Arbeitsentgelte ab 6.7.2000 von 5.001,75 DM, ab 1.8.2000 von 5.963,62 DM, ab 1.7.2001 von
6.032,63 DM, ab 1.8.2001 von 6.045,91 DM und ab 1.1.2002 bis 30.6.2002 von 3.091,23 Euro, die der Bemessung
des vom Kläger während der genannten Zeiträume bezogenen Alg zugrunde lagen.
3
Unter "Rechtsbehelfsbelehrung" heißt es im Bescheid vom 27.5.2002:
"Dieser Bescheid ergeht aufgrund des Anerkenntnisses vom 15.04.2002 im sozialgerichtlichen Verfahren. Der
Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid ist nur zulässig, soweit er sich gegen die Ausführung des Anerkenntnisses
richtet."
4
Auf Grund eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse zahlte die Beklagte an den Kläger aus der Nachzahlung nur
einen Betrag von 226,32 Euro, was sie dem Kläger mit Schreiben vom 10.7.2002 mitteilte. Hiergegen legte der Kläger
am 6.8.2002 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wertete die Beklagte als Antrag auf Überprüfung des (ihrer Ansicht
nach bereits bestandskräftigen) Bescheids vom 27.5.2002 nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X).
Den Antrag lehnte sie mit Bescheid vom 28.11.2002 ab, wogegen der Kläger Widerspruch erhob. Mit
Widerspruchsbescheid vom 15.12.2004 wies die Beklagte den "Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.5.2002"
zurück. Als Hinzuverdienst sei das der Sozialleistung zugrunde liegende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen (sog
Bemessungsgrundlage) zu berücksichtigen. Dem Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom
17.12.2002 (SozR 3-2600 § 96a Nr 1), wonach in der Zeit vom 1.1.1999 bis 31.12.2000 nur der tatsächliche Betrag der
gezahlten Sozialleistung als rentenschädlicher Hinzuverdienst zu berücksichtigen sei, werde nicht gefolgt.
5
Auf die Klage auf Zahlung der Rente wegen EU für die Zeit vom 1.7.2000 bis 30.6.2002 in voller Höhe hat das
Sozialgericht (SG) mit Gerichtsbescheid vom 12.1.2006 die Beklagte unter "Abänderung der Bescheide vom
27.5.2002 und 28.11.2002 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2004" verurteilt, "der Berechnung des
Hinzuverdienstes anstelle des der Arbeitslosengeldberechnung zugrunde liegenden Entgeltes das tatsächlich
bezogene Arbeitslosengeld zugrunde zu legen". Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der
Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 24.5.2007 den Gerichtsbescheid abgeändert und die
Beklagte "unter Abänderung der Bescheide vom 27.5.2002 und 28.11.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.12.2004" verurteilt, die Rente wegen EU für die Zeit vom 1.7.2000 bis 31.12.2000
unter Berücksichtigung des in dieser Zeit dem Kläger tatsächlich gewährten Alg als Hinzuverdienst neu zu berechnen
und ihm die danach sich ergebende Rentennachzahlung zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Der Senat schließe sich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 17.12.2002
(SozR 3-2600 § 96a Nr 1) an. Danach dürfe für Zeiten des Bezugs einer nach 1998 beginnenden Rente wegen BU
vom Januar 1999 bis Dezember 2000 bei gleichzeitigem Bezug einer Sozialleistung, wie hier des Alg, nur der
Geldwert der Leistung, nicht ihre Bemessungsgrundlage, als erzielter Hinzuverdienst berücksichtigt werden. Dies gelte
gleichermaßen für die Rente wegen EU, wenn diese - wie hier - mit Alg zusammentreffe.
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Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, dass in den Jahren 1999 und 2000 auf eine
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei parallelem Bezug von Alg nicht der Zahlbetrag als Hinzuverdienst
anzurechnen sei, sondern das dem Alg zugrunde liegende Bemessungsentgelt. Die gegenteilige Rechtsprechung des
4. Senats des BSG, auf die sich das LSG gestützt habe, sei aufgegeben (Hinweis auf Urteil des Senats vom
21.8.2008 - SozR 4-2600 § 96a Nr 12, Antwortbeschluss des 5a. Senats vom 22.4.2008 - B 5a R 8/08 S - BeckRS
2008-55671, sowie den Anfragebeschluss des Senats vom 31.1.2008 - B 13 RJ 44/05 R - veröffentlicht in Juris).
Unerheblich sei, dass es hier um Zahlung von Alg neben einer Rente wegen EU gehe und nicht - wie in den zitierten
Entscheidungen - um die Zahlung von Alg neben einer Rente wegen BU, weil insoweit kein gravierender Unterschied
bestehe.
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Die Beklagte hat ferner den Bescheid vom 28.11.2002 zurückgenommen. Zur Begründung führt sie aus: Der Bescheid
vom 27.5.2002 habe eine unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Die deshalb geltende Jahresfrist habe der
Kläger mit dem ursprünglich gegen die Mitteilung vom 10.7.2002 gerichteten Widerspruch eingehalten. Der
Widerspruch hätte daher nicht in der Form eines "Bescheides" vom 28.11.2002 zurückgewiesen werden dürfen,
sondern ausschließlich in der Form des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2004.
8
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG für das Saarland vom 24.5.2007 abzuändern und den Gerichtsbescheid
des SG für das Saarland vom 12.1.2006 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
10
Er ist der Meinung, die von der Beklagten zitierte BSG-Rechtsprechung könne nicht unmittelbar herangezogen
werden, weil es hier um das Zusammentreffen einer Rente wegen EU und Alg gehe.
11
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§§ 165, 153
Abs 1, 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) einverstanden erklärt.
II
12
Die Revision der Beklagten ist begründet.
13
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Bescheid der Beklagten vom 27.5.2002 und der
Widerspruchsbescheid vom 15.12.2004, nachdem die Beklagte den Bescheid vom 28.11.2002, mit dem sie den
Bescheid von 27.5.2002 auf der Grundlage des § 44 SGB X überprüft hatte, zurückgenommen hat. Streitig ist, ob die
Beklagte berechtigt war, die Rente wegen EU unter Berücksichtigung des Bemessungsentgelts des Alg als
Hinzuverdienst im Juli 2000 nur in Höhe von einem Drittel der Rente wegen BU und von August 2000 bis Dezember
2000 gar nicht zu leisten.
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1. Entgegen der Rechtsmeinung der Vorinstanzen betrifft das Gerichtsverfahren nicht die nur im Rahmen eines
Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X mögliche Überprüfung eines bereits bestandkräftig gewordenen
Verwaltungsakts. Denn der Bescheid vom 27.5.2002 war nicht in Bestandskraft erwachsen (§ 77 SGG). Die in diesem
Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ist nämlich unvollständig und damit unrichtig. Es fehlt die Belehrung, bei
welcher Verwaltungsstelle der Rechtsbehelf einzulegen ist, binnen welcher Frist und in welcher Form dies geschehen
muss (vgl § 66 Abs 1 SGG). Wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung war die Einlegung des Widerspruchs
innerhalb eines Jahres seit seiner Bekanntgabe zulässig (§ 66 Abs 2 Satz 1 SGG). Diese Frist hatte der Kläger mit
seinem Widerspruch vom 6.8.2002 eingehalten. Die Beklagte hätte den Widerspruch daher nicht in einen Antrag nach
§ 44 SGB X umdeuten, sondern über ihn sogleich in der Sache entscheiden müssen. Zwar ist nach dem Wortlaut des
§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht Voraussetzung des Zugunstenverfahrens, dass der zu überprüfende Verwaltungsakt
bereits unanfechtbar ist ("auch nachdem er unanfechtbar geworden ist"). Wenn die Rechtsbehelfsfristen noch laufen,
wird aber das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt (vgl BSG vom 27.7.2004 - SozR 4-4300 § 330 Nr
2 RdNr 8 mwN). Dass die Beklagte zunächst rechtsirrtümlich meinte, die Sachentscheidung über den Widerspruch nur
noch nach dessen Umdeutung in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X mit Bescheid vom 28.11.2002
treffen zu können, ist vorliegend jedoch unschädlich. Jedenfalls hat sie mit dem Widerspruchsbescheid vom
15.12.2004 (auch) den "Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.5.2002" zurückgewiesen.
15
2. In der Sache hat das LSG die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die Rente wegen EU für die Zeit von Juli bis
Dezember 2000 unter Berücksichtigung lediglich des Zahlbetrags des Alg als Hinzuverdienst zu leisten. Denn die
Rechtsanwendung der Beklagten, in dem genannten Zeitraum den Hinzuverdienst auf der Grundlage des
Bemessungsentgelts und nicht auf der Grundlage der Sozialleistung (hier: Alg) in tatsächlich erfolgter Höhe zu
ermitteln, entspricht der damaligen Gesetzeslage.
16
a) Der Kläger hat ab 20.8.1999 eine Rente wegen EU bezogen. Für diese galt im streitigen Zeitraum des
Kalenderjahres 2000 die durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze (SGB VI-ÄndG) vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) mit Wirkung vom 1.1.1996 eingefügte Regelung des § 96a
SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 (BGBl I 388).
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Nach Abs 1 Satz 1 dieser Bestimmung in ihrer seit 1.1.1996 geltenden Fassung wird eine Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit (wozu eine Rente wegen EU gehört) nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten
wird. Die Hinzuverdienstgrenze beträgt nach Abs 2 Nr 1 aaO in seiner hier maßgeblichen vom 1.4.1999 bis 31.12.2000
geltenden Fassung bei einer Rente wegen EU 630 Deutsche Mark und nach Nr 2 aaO in seiner vom 1.1.1996 bis
31.12.2000 geltenden Fassung bei einer Rente wegen BU a) in Höhe von einem Drittel das 87,5fache, b) in Höhe von
zwei Dritteln das 70fache, c) in voller Höhe das 52,5fache des aktuellen Rentenwerts (§ 68 SGB VI), vervielfältigt mit
den Entgeltpunkten (§ 66 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB VI) des letzten Kalenderjahres vor Eintritt der BU, mindestens jedoch
mit 0,5 Entgeltpunkten.
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Für die Rente wegen EU hat der durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung
(Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 16.12.1997 (BGBl I 2998) mit Wirkung vom 1.1.1999 eingefügte - und bis
zum 31.12.2000 geltende - § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI geregelt, dass bei der Feststellung eines neben dieser
Rente erzielten Hinzuverdienstes dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen der Bezug von Alg, das - wie im hier
streitigen Zeitraum beim Kläger - nicht nur vorläufig bis zur Feststellung der EU geleistet wird, gleichsteht.
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Abs 3 Satz 3 aaO, ebenfalls eingefügt durch das RRG 1999 mit Wirkung vom 1.1.1999, hat hierzu bestimmt, dass als
Hinzuverdienst das der Sozialleistung zu Grunde liegende monatliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu
berücksichtigen ist (s zur Gesetzeshistorie Senatsurteil vom 21.8.2008 - SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 29). Diese
Bestimmung ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wie der Senat bereits mit Urteil vom 31.1.2008 entschieden hat (B 13
R 23/07 R - Juris RdNr 37 ff; s auch Senatsurteil vom 26.6.2008 - BSGE 101, 92 = SozR 4-2600 § 96a Nr 11, RdNr
27).
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In Anwendung der genannten Vorschriften hat die Beklagte in den Bescheiden vom 27.5.2002 und 15.12.2004 das
Bemessungsentgelt des vom Kläger im streitigen Zeitraum bezogenen Alg als Hinzuverdienst zugrunde gelegt. Im
Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Rente wegen EU deshalb im Juli 2000 wegen des Überschreitens der
(individuellen) Hinzuverdienstgrenze des § 96a Abs 2 Nr 2 Buchst b SGB VI nur in Höhe von einem Drittel der Rente
wegen BU und von August bis Dezember 2000 wegen des Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze des § 96a Abs 2
Nr 2 Buchst a SGB VI gar nicht mehr zu leisten war. Dass die Beklagte die genannten Vorschriften rechnerisch richtig
umgesetzt hat, steht zwischen den Beteiligten außer Streit.
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b) Entgegen der Ansicht des LSG war in den Kalenderjahren 1999 und 2000 beim Zusammentreffen einer Rente
wegen EU mit Alg nicht dessen Zahlbetrag, sondern dessen Bemessungsgrundlage als Hinzuverdienst zu Grunde zu
legen.
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Dem steht insbesondere die durch das SGB VI-ÄndG vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) mit Wirkung vom 1.1.1996
eingefügte Bestimmung des § 44 Abs 5 SGB VI (im Folgenden: aF) nicht entgegen. In ihr war geregelt, dass die
Rente wegen EU "unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen des § 96a Abs 2 Nr 2 SGB VI in Höhe der Rente wegen
BU zu leisten" ist, wenn bei weiterhin vorliegender EU die Hinzuverdienstgrenze des § 96a Abs 2 Nr 1 SGB VI
überschritten wird. § 44 Abs 5 SGB VI aF blieb bis zum 31.12.2000 in Kraft (Art 1 Nr 20 iVm Art 33 Abs 13a Nr 2
RRG 1999 idF des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte
(SVKorrG) vom 19.12.1998, BGBl I 3843). Auch diese Bestimmung hat die Beklagte in gesetzmäßiger Weise "unter
Beachtung" der dort genannten Hinzuverdienstgrenzen umgesetzt.
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Das LSG hat sich demgegenüber zu Unrecht der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 17.12.2002 (SozR 3-
2600 § 96a Nr 1) angeschlossen, nach der für Zeiten des Bezugs einer nach 1998 beginnenden Rente wegen BU vom
Januar 1999 bis Dezember 2000 bei gleichzeitigem Bezug einer Sozialleistung mit Lohnersatzfunktion, wie hier Alg,
nur deren Geldwert und nicht ihre Bemessungsgrundlage als Hinzuverdienst zu berücksichtigen war. Sofern das LSG
unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung meint, dass dies gleichermaßen für die Rente wegen EU gelten müsse,
weil § 44 Abs 5 SGB VI aF ebenso wie der durch das SGB VI-ÄndG vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) mit Wirkung vom
1.1.1996 eingefügte und bis zum 31.12.2000 geltende § 43 Abs 5 SGB VI (im Folgenden: aF; zur Gesetzeshistorie s
Senatsurteil vom 21.8.2008 - SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 29) "statisch" auf die Hinzuverdienstgrenzen des § 96a
Abs 2 Nr 2 SGB VI zur Zeit seines Inkrafttretens (1.1.1996) und nicht auf den erst mit Wirkung zum 1.1.1999 durch
das RRG 1999 eingefügten § 96a Abs 3 SGB VI verweise, trifft dies in mehrfacher Hinsicht nicht zu.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der 4. Senat in seinem Antwortbeschluss vom 26.6.2007 (B 4 R 11/07 S -
veröffentlicht in Juris) auf den Anfragebeschluss des erkennenden Senats vom 27.3.2007 (B 13 RJ 44/05 R -
veröffentlicht in Juris) von seiner Argumentation, § 43 Abs 5 SGB VI aF enthalte mit seiner Regelung, dass eine
Rente wegen BU "abhängig vom erzielten Hinzuverdienst (§ 96a Abs 2 Nr 2)" geleistet werde, eine statische
Verweisung auf § 96a Abs 2 Nr 2 SGB VI zur Zeit seines Inkrafttretens, abgerückt ist. Im Ergebnis hat er zwar an
seiner im Ursprungsurteil vom 17.12.2002 vertretenen Rechtsansicht festgehalten, zur Begründung aber nunmehr
ausgeführt, § 43 Abs 5 SGB VI aF und § 96a Abs 3 SGB VI seien für den maßgeblichen Rechtszustand der Jahre
1999 und 2000 gleichzeitig auf Grund des SVKorrG vom 19.12.1998 (BGBl I 3843) in Kraft getreten (s
Antwortbeschluss 4. Senat - Juris RdNr 27 ff, 62 ff). § 96a SGB VI sei jedoch eine "bloße Ergänzungsnorm" und
keine "Ermächtigungsgrundlage". Deshalb sei der Widerspruch zwischen § 43 Abs 5 SGB VI aF (der von einem
"erzielten" Hinzuverdienst spricht) und § 96 Abs 3 Satz 3 SGB VI (der bei Bezug von Sozialleistungen auf das
zugrunde liegende Arbeitsentgelt abstellt) zugunsten der (höherrangigen) "Ermächtigungsgrundlage" des § 43 Abs 5
SGB VI aF aufzulösen (s Antwortbeschluss 4. Senat - Juris RdNr 24 ff, 38 f, 53, 59). Diese Rechtsprechung und die
ihr tragend zugrunde liegende Argumentation ist jedoch nicht zutreffend; sie ist zudem nicht mehr maßgeblich.
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Denn das BSG hat mit Urteil des erkennenden Senats vom 21.8.2008 (SozR 4-2600 § 96a Nr 12) die Rechtsprechung
des 4. Senats zur Bemessung des Hinzuverdienstes bei gleichzeitigem Bezug von Alg und Rente wegen BU in den
Kalenderjahren 1999 und 2000 aufgegeben und entschieden, dass in der Zeit vom 1.1.1999 bis 31.12.2000 bei einem
Zusammentreffen einer Rente wegen BU mit Alg nicht dessen Zahlbetrag, sondern dessen Bemessungsentgelt als
Hinzuverdienst zugrunde zu legen war, und in diesem Zeitraum § 96a Abs 3 Satz 3 SGB VI der Vorschrift des § 43
Abs 5 SGB VI aF vorging. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diese Entscheidung und seine
dortige Auseinandersetzung mit der (aufgegebenen) Rechtsprechung des 4. Senats Bezug (s zur Argumentation im
dortige Auseinandersetzung mit der (aufgegebenen) Rechtsprechung des 4. Senats Bezug (s zur Argumentation im
Einzelnen SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 25 ff; vgl auch Anfragebeschluss des Senats vom 31.1.2008 - B 13 RJ
44/05 R - Juris RdNr 11 ff; Antwortbeschluss des 5a. Senats vom 22.4.2008 - B 5a R 8/08 S - BeckRS 2008-55671
RdNr 17 ff; vgl zusammenfassend auch Scharf, Kompass/KBS 1/2 2009, 6 ff, 29; Rennella/Scharf, RVaktuell 2009,
423 ff).
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Überdies ist entgegen der vom LSG vertretenen Rechtsmeinung bereits fraglich, ob sich die Rechtsprechung des 4.
Senats zu § 43 Abs 5 SGB VI aF überhaupt auf die Bestimmung des § 44 Abs 5 SGB VI aF übertragen ließe. Denn
schon der Wortlaut der beiden Normen unterscheidet sich. Anders als § 43 Abs 5 SGB VI aF enthält § 44 Abs 5 SGB
VI aF nicht den Ausdruck "erzielten Hinzuverdienst" (s oben b) am Anfang). Auf diesen Begriff hat jedoch der 4.
Senat sowohl in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 (SozR 3-2600 § 96a Nr 1 S 6 f) als auch in seinem
Antwortbeschluss vom 26.6.2007 (aaO) für seine erweiternde Auslegung des § 43 Abs 5 SGB VI aF entscheidend
abgestellt (vgl hierzu auch Scharf, RVaktuell 2007, 357, 360).
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Die Ausführungen im Senatsurteil vom 21.8.2008 (SozR 4-2600 § 96a Nr 12) gelten im Falle einer unterstellten
inhaltlichen Widersprüchlichkeit auch zwischen § 44 Abs 5 SGB VI aF und § 96a Abs 3 Satz 3 SGB VI entsprechend.
Selbst wenn sich also im hier streitigen Zeitraum zwischen diesen beiden Normen ein thematischer Widerspruch
dergestalt "konstruieren" ließe, dass § 44 Abs 5 SGB VI aF eine Minderung der Rente wegen EU nur unter
Berücksichtigung eines tatsächlich erzielten Hinzuverdienstes erlaubt, während § 96a Abs 3 Satz 3 SGB VI
demgegenüber die Höhe der Rente wegen EU von der Höhe des der Sozialleistung zugrunde liegenden
Bemessungsentgelts und damit einem nicht erzielten Verdienst abhängig macht, wäre ein etwaiger Konflikt zwischen
diesen Normen zugunsten von § 96a Abs 3 Satz 3 SGB VI aufzulösen. Denn insoweit gilt die "lex posterior-Regel",
wonach die themenidentische jüngere Norm die widerstreitende ältere verdrängt (s hierzu Senatsurteil vom 21.8.2008 -
SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 28 mwN).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG. Es bestand kein Anlass, die Beklagte wegen der
Rücknahme ihres Bescheids vom 28.11.2002 auch nur teilweise zur Kostenerstattung zu verpflichten, weil der Kläger
mit seinem Begehren in der Sache in vollem Umfang unterlegen ist.