Urteil des BSG vom 15.07.2009
BSG (berufsausbildung, sozialversicherung, entgelt, arbeitgeber, ausbildung, beginn, versicherungspflicht, arbeitsentgelt, voraussetzung, monat)
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 15.7.2009, B 12 KR 14/08 R
Sozialversicherungspflicht - Beitragspflicht - betriebliche Berufsausbildung -
geringfügiges Entgelt - Beitragsbemessung - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze
1. Gegen die Sozialversicherungspflicht der zu ihrer Berufsausbildung betrieblich Beschäftigten
und ihre Belastung mit Beiträgen bestehen auch bei einem monatlichen Entgelt im Bereich der
Geringfügigkeitsgrenze keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Ebenso begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Beitragsanteil, den die
zu ihrer Berufsausbildung betrieblich Beschäftigten zu tragen haben, nicht nach den
Regelungen über die sog. Gleitzone bemessen wird.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt für die Zeit ihres Berufsausbildungsverhältnisses die Feststellung, dass
sie während des ersten Ausbildungsjahres (vom 1.8.2005 bis 31.7.2006) nach Maßgabe der
Regelungen für geringfügig entlohnte Beschäftigte versicherungsfrei ist bzw Beiträge nur
nach den für diesen Personenkreis anzuwendenden Regelungen zu tragen hat. Für das
zweite (vom 1.8.2006 bis 31.7.2007) und dritte (vom 1.8.2007 bis 31.7.2008) Ausbildungsjahr
begehrt sie die Feststellung des von ihr zu tragenden Beitragsanteils zur Sozialversicherung
in der Höhe, die sich bei Anwendung der Regelungen über die sog Gleitzone ergibt.
2 Die am 1987 geborene Klägerin nahm am 1.8.2005 eine bis zum 31.7.2008 noch
andauernde Ausbildung als Friseurin bei der Beigeladenen zu 4. mit einer regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auf. Als monatliche Ausbildungsvergütung erhielt
die Klägerin im ersten Ausbildungsjahr (bis 31.7.2006) 396 Euro, anschließend im 2.
Ausbildungsjahr (bis 30.9.2007) 420 Euro, ab 1.10.2007 430 Euro und im dritten
Ausbildungsjahr (ab 1.8.2007) bis 31.7.2008 520 Euro. Im Dezember 2007 hat die Klägerin
eine Einmalzahlung von 104 Euro erhalten. Aus der Ausbildungsvergütung errechnete die
Beklagte jeweils den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (Beiträge zur Krankenversicherung
3 Die Beigeladene zu 4. führte ab Beginn des Ausbildungsverhältnisses monatlich folgende
Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beklagte bzw deren Rechtsvorgängerin, bei der
die Klägerin krankenversichert war und ist, als Einzugsstelle ab:
4
1.8. bis 31.12.2005
162,36 Euro
1.1. bis 31.7.2006
170, 48 Euro
1.8. bis 31.10.2006
180,81 Euro
1.11. bis 30.11.2006 185,15 Euro
1.12. bis 31.12.2006 178,27 Euro
1.1. bis 31.7.2007
176,55 Euro
1.8. bis 30.9.2007
222,30 Euro
1.10. bis 30.11.2007 215,70 Euro
1.12. bis 31.12.2007 257,30 Euro
ab 1.1.2008
212,06 Euro
5 Dem lagen folgende Beitragssätze zugrunde:
6
KV
PV
AV
RV
1.8. bis 31.12.2006
12,4% + 0,9% 1,7% 6,5% 19,5%
1.1.2007 bis 31.7.2007
13,1% + 0,9% 1,7% 4,2% 19,9%
1.8.2007 bis 30.9.2007
14,8% + 0,9% 1,7% 4,2% 19,9%
1.10.2007 bis 31.12.2007 13,3% + 0,9% 1,7% 4,2% 19,9%
ab 1.1.2008
13,8% + 0,9% 1,7% 3,3% 19,9%
7
Zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses wandte sich die
Klägerin an die Beklagte und bat um Auskünfte zur
Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Sie
machte geltend, für die Ausbildungsvergütung im ersten
Lehrjahr seien keine Beiträge zu erheben, die Beiträge für
die Ausbildungsvergütung im zweiten Lehrjahr seien
entsprechend
den
Bestimmungen
zur
sog
Gleitzonenregelung niedriger festzusetzen. Die Beklagte
erließ den Bescheid vom 20.1.2006:
"Festsetzung der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge
Ihre KV-Nr.: 0118796002
Sehr geehrte Frau Kern,
seit dem 01.08.2005 sind sie bei dem Friseursalon Erika Balogh als
Auszubildende nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beschäftigt.
Die Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung werden durch die
Beiträge der Versicherten, der Arbeitgeber und Dritter aufgebracht (§
20 Abs. 1 SGB IV).
Die Beiträge werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen
bemessen und werden von den versicherungspflichtig Beschäftigten
nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und ihren Arbeitgebern jeweils zur
Hälfte getragen (vgl. § 223 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 249 Abs. 1 SGB
V).
Die besondere Regelung zur "Gleitzone" gilt ausdrücklich nicht für
Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 20 Abs.
2 SGB IV i.V.m. § 249 Abs. 4 SGB V).
Ihre Sozialversicherungsbeiträge werden korrekt jeweils von Ihnen
und von Ihrem Arbeitgeber getragen."
8 Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben
(Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16.3.2006, Urteil des Sozialgerichts
Freiburg vom 30.11.2006, Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 10.6.2008). Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das SG zutreffend entschieden,
dass die Klägerin versicherungspflichtig ist. Bei der Beitragsberechnung der
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung seien die Vorschriften für geringfügig entlohnte
Beschäftigte und ab dem 1.8.2006 die Vorschriften der Gleitzonenregelung nicht
anzuwenden. Die Klägerin werde hierdurch nicht verfassungswidrig ungleich behandelt.
9 Die Klägerin hat hiergegen Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von Verfassungsrecht
und trägt hierzu im Wesentlichen vor: Ihre Versicherungspflicht im ersten Ausbildungsjahr sei
mit dem allgemeinen Gleichbehandlungssatz nicht vereinbar. Für eine besondere
Behandlung derjenigen Personengruppe, der sie zugehöre, gegenüber sonstigen
entgeltgeringfügig Beschäftigten fehle es an einem rechtfertigenden Sachgrund. Damit
scheide insofern gleichzeitig eine Belastung mit Beiträgen aus. Im weiteren Verlauf ihrer
Ausbildung werde die Klägerin zu Unrecht nicht nach den Regelungen über die sog
Gleitzone behandelt und auch hier unter Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichbehandlungsgrundsatz stärker mit Sozialversicherungsbeiträgen belastet als andere
Beschäftigte.
10 Sie hat den Antrag gestellt:
Der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10.6.2008 und das Urteil
des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2006 sowie der Bescheid der Revisionsbeklagten
vom 20.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.3.2006 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beitragsberechnung der Arbeitnehmeranteile der
Revisionsklägerin zur Sozialversicherung für die Zeit vom 1.8.2005 bis 31.7.2006 nach den
Vorschriften für geringfügig Beschäftigte und für die Zeit vom 1.8.2006 bis 31.7.2008 nach
der Gleitzonenregelung zu erfolgen hat.
11 Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
12 Sie halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
13 Die Beigeladene zu 1. hält den angefochtenen Beschluss ebenfalls für zutreffend. Für die
Frage der Vereinbarkeit der in Frage stehenden Regelungen mit Art 3 Abs 1 GG sei
zusätzlich das Leistungsrecht in den Blick zu nehmen.
14 Die Beigeladene zu 3. stimmt den Ausführungen im angefochtenen Beschluss und
denjenigen der Beklagten in der Revisionserwiderung zu.
15 Die Beigeladene zu 4. hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Entscheidungsgründe
16 Die Revision ist nur teilweise begründet. Das LSG hat gegen Bundesrecht verstoßen, indem
es die Entscheidung des SG über die Anfechtungsklage der Klägerin gegen die
beitragsrechtlichen Regelungen in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten bestätigt
hat. Die Entscheidungen der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten waren jeweils
insofern aufzuheben (nachfolgend 1.). Im Übrigen war die Revision zurückzuweisen. Die
Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Klägerin auch während ihres ersten
Ausbildungsjahres vom 1.8.2005 bis 31.7.2006 sozialversicherungspflichtig war
(nachfolgend 2.). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der von ihr zu
tragenden Beitragsanteile zur Sozialversicherung in Höhe des Anteils, der sich im ersten
Ausbildungsjahr in Anwendung der für geringfügig Beschäftigte sowie im zweiten (vom
1.8.2006 bis 31.7.2007) und dritten Ausbildungsjahr (vom 1.8.2007 bis 31.7.2008) nach den
Regelungen über die sog Gleitzone ergibt (nachfolgend unter 3. und 4.).
17 1. Die Beklagte hat sich in den angegriffenen Bescheiden zu Unrecht auf allgemeine
rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung
beschränkt. Krankenkassen ist in ihrer Funktion als Einzugsstelle unter anderem die
Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur
Entwicklung Bundessozialgericht vom 1.7.1999, B 12 KR 2/99 R, SozR 3-2400 §
28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu
entscheiden (§ 28h Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV) . Gegenüber Pflichtversicherten, die -
wie die Klägerin - nicht selbst Beitragsschuldner sind, kommt bei der Entscheidung über die
Beitragspflicht als festzusetzende Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung
der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG vom 29.11.2006, B 12 RJ
4/05 R, BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1) . Die hierfür relevanten Umstände wie die
beitragspflichtigen Einnahmen, der Beitragssatz und die quotenmäßige Verteilung der
Beitragslast, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen
gemacht hat, sind jeweils reine Berechnungselemente und daher in der Regel auch nicht
selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) zugänglich. Insoweit
waren die angefochtenen Bescheide deshalb aufzuheben. Unter diesen Umständen ist
vorliegend nicht näher darauf einzugehen, dass etwa der Hinweis der Beklagten darauf,
dass Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer "zur Hälfte getragen" werden ("§ 20 Abs. 2
SGB IV i.V.m. § 249 Abs. 4 SGB V") unter anderem die zum 1.7.2005 eingetretenen
Verschiebungen in der paritätischen Finanzierung der GKV durch die Einführung von § 241
SGB V bzw durch die Änderung von § 249 Abs 1 SGB V unbeachtet lässt.
18 2. Die Beklagte hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Klägerin mit dem 1.8.2005
als im Betrieb der Beigeladenen zu 4. entgeltlich zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte in
der gesetzlichen KV, sozialen Pflegeversicherung (sPV), gesetzlichen RV und nach dem
Recht der AV versicherungspflichtig geworden ist. Die Angriffe der Klägerin gegen ihre
Pflichtversicherung kraft Gesetzes - und ebenso gegen ihre Verpflichtung zur
Beitragstragung nach Grund und Höhe (hierzu nachfolgend unter 3. und 4.) sind
unbegründet. Die Anträge, festzustellen, dass die Beitragsberechnung nach den Vorschriften
für geringfügig Beschäftigte bzw der Gleitzonenregelung zu erfolgen habe, waren deshalb
erfolglos. Die Klägerin erfüllt jeweils die Voraussetzungen der entsprechenden
Grundtatbestände (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr 1
Halbsatz 1 SGB VI, § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI) , ohne sich auf eine Ausnahmeregelung
berufen zu können. Insbesondere liegen die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit
wegen sog Entgeltgeringfügigkeit (§ 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV, § 27 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB
III, § 7 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 20 Abs 1 Satz 1 SGB
XI) nicht vor, weil diese Regelungen für Personen, die im Rahmen betrieblicher
Berufsausbildung beschäftigt sind, jeweils ausdrücklich nicht gelten (§ 27 Abs 2 Satz 2 Nr 1
SGB III, § 7 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr 1 SGB V, § 5 Abs 2 Satz 3 SGB VI, § 20 Abs 1 Satz 1
SGB XI).
19 Gegen diese auch von der Klägerin zugrunde gelegte einfachgesetzliche Rechtslage
bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Durch die ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist geklärt, dass es im Spannungsverhältnis zwischen
der (Vorsorge-)Freiheit des einzelnen (Art 2 Abs 1 GG) und den Anforderungen einer
sozialstaatlichen Ordnung weitgehend in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt, ob
er eine Pflichtversicherung begründen will und wen diese erfassen soll. Die Einbeziehung in
die Versicherung erfolgt nach Maßgabe einer typisierten Schutzbedürftigkeit ohne Rücksicht
auf die individuellen Verhältnisse (vgl etwa für die gesetzliche RV: BSG, Urteil vom 5.7.2006,
B 12 KR 20/04 R, SozR 4-2600 § 157 Nr 1 und BVerfG, Beschluss vom 14.10.1970, 1 BvR
753/68 ua, SozR Nr 8 zu Art 2 GG; für das Recht der Arbeitsförderung: BVerfG,
(Kammer)Beschluss vom 3.7.1989, 1 BvR 1487/88, SozR 4100 § 168 Nr 21 und BSG, Urteil
vom 29.7.2003, B 12 KR 15/02 R, SozR 4-4100 § 169 Nr 1) .
20 Der Gesetzgeber darf dabei die Sozialversicherung primär an der Schutzbedürftigkeit der
abhängig Beschäftigten ausrichten (BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987, 1 BvR 564/84 ua,
BVerfGE 75, 78 , 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142) , ist aber dennoch im Rahmen seines
weiten Gestaltungsspielraums durch Art 3 Abs 1 GG bereits nicht gehalten, deshalb jede
denkbare Form von Beschäftigung in den Schutz der Sozialversicherung einzubeziehen
(BVerfG, Urteil vom 1.7.1998, 2 BvR 441/90 ua, BVerfGE 98, 169) . Erst recht ist er
grundsätzlich nicht zu einer Gleichbehandlung unterschiedlicher Versichertengruppen
gezwungen.
21 Keinen Bedenken begegnet im Blick auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers danach,
dass die Klägerin in die Beschäftigtenversicherung einbezogen bleibt, obwohl ihr vom LSG
festgestelltes monatliches Entgelt im ersten Ausbildungsjahr die Geringfügigkeitsgrenze des
§ 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV von 400 Euro monatlich unterschreitet. Diese Norm, die entgegen der
Revision keine eigenständige Regelung mit Tatbestand und Rechtsfolge verkörpert,
beschränkt sich "vor die Klammer gezogen" unter anderem auf die abstrakte und allgemeine
Bestimmung des Begriffs der geringfügigen Beschäftigung, der erst als Element des
Tatbestandes von Bestimmungen in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung
Bedeutung erlangt. Erst die dort vorgesehenen Rechtsfolgen können folglich auch jeweils zu
der von der Klägerin behaupteten Belastung führen.
22 Die Rechtsfolgenanordnungen der § 27 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB III, § 7 Abs 1 Satz 1
Halbsatz 1 SGB V, § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 20 Abs 1 Satz 1 SGB XI führen jeweils
dazu, dass die betroffenen geringfügig Beschäftigten, trotz Erfüllung des Grundtatbestandes
der abhängigen Beschäftigung von der Beschäftigtenversicherung (§ 25 Abs 1 SGB III, § 5
Satz 1 Nr 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) nicht erfasst werden. Dem liegt erkennbar die
Wertung zu Grunde, dass unter anderem entgeltgeringfügige Beschäftigungen mangels
ausreichender wirtschaftlicher Bedeutung in aller Regel keinen ausreichenden Anlass für
eine zwangsweise öffentlich-rechtliche Sicherung des Arbeitnehmers im Krankheitsfall oder
für das Risiko der Arbeitslosigkeit und eine eigenständige Absicherung in der gesetzlichen
Rentenversicherung darstellen. Grundlegende Bedenken hiergegen haben weder das
BVerfG (Kammerbeschlüsse vom 21.4.1989, 1 BvR 678/88, SozR 2100 § 8 Nr 6; vom
21.4.1989, 1 BvR 1591/87, SGb 1989, 386; vom 20.4.1999, 1 BvQ 2/99, NZA 1999, 583; vom
28.7.1999, 1 BvQ 5/99, NZA 1999, 973) , noch das BSG (Urteil vom 26.3.1996, 12 RK 5/95,
SozR 3-2500 § 5 Nr 26) , noch - unter dem Aspekt der mittelbaren Diskriminierung von
Frauen - der Europäische Gerichtshof (Urteile vom 14.12.1995, C-317/93, SozR 3-6083 Art 4
Nr 11 und vom 14.12.1995, C-444/93, SozR 3-6083 Art 4 Nr 12) erhoben.
23 Die Anordnung der Versicherungsfreiheit ist indes ausnahmsweise nicht gerechtfertigt, wo
einem - am allgemeinen Erwerbsleben gemessen - geringen Entgelt gruppenspezifisch
typisierend dennoch entscheidende wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Das Gesetz nimmt
dies unter anderem beim Vorliegen einer Beschäftigung auf der Grundlage des Erwerbs
beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher
Berufsbildung (§ 7 Abs 2 SGB IV) an. Auch insofern bestehen im Blick auf Art 3 Abs 1 GG
keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Senat hat im Urteil vom 25.1.2006 (B 12 KR
27/04 R, SozR 4-2500 § 249b Nr 2 RdNr 30 ff) bereits im Einzelnen den sachlichen,
historischen und rechtssystematischen Hintergrund der zum 1.4.1999 geänderten
Regelungen zu den sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Vorliegens einer
entgeltgeringfügigen Beschäftigung dargestellt. Hiernach geht das Gesetz in zulässiger
Typisierung und Pauschalierung vor allem von solchen geringfügigen Beschäftigungen aus,
die - häufig von verheirateten Frauen - im Rahmen des Neu- und Wiederzugangs zu einer
Berufstätigkeit isoliert ausgeübt werden.
24 Gerade unter anderem die Gruppe der zu ihrer Ausbildung Beschäftigten weicht von diesem
angenommenen "Regelfall des Ausnahmetatbestandes" in wesentlichen Punkten mit der
Folge ab, dass bei ihnen die für Beschäftigte grundsätzlich angeordnete
Sozialversicherungspflicht bestehen bleibt. Bei diesem Personenkreis handelt es sich
außerdem typischerweise nicht um Berufsrückkehrer. Vielmehr liegt bei den zu ihrer
Berufsausbildung betrieblich Beschäftigten ein Sonderfall innerhalb der Gruppe der
entgeltgeringfügig Beschäftigten vor. Das besondere Schutzbedürfnis dieses
Personenkreises kommt bereits darin zum Ausdruck, dass hier im Rahmen von § 7 SGB IV
in begrenztem Umfang Bildungsvorstufen zur beruflichen Betätigung erst aufgrund
spezialgesetzlicher Gleichstellung in Abs 2 fiktiv ("gilt") der Beschäftigung im Sinne von Abs
1 zugeordnet werden. Die normative Anordnung lässt dabei im Ergebnis unberücksichtigt,
dass die zugrunde liegende Tätigkeit zweckgebunden im Rahmen der Berufsbildung erfolgt
und damit weniger die Erbringung produktiver Arbeit als vielmehr die Vermittlung beruflicher
Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen im Vordergrund steht. Hervorgehoben wird der
Personenkreis, dem die Klägerin zugehört, zudem auch dadurch, dass er in den
Grundtatbeständen der Versicherungspflicht (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB
V, § 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 1 SGB VI, § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI) jeweils besonders
aufgeführt wird, obwohl es dessen im Blick auf die allgemeine Anordnung in § 7 Abs 2 SGB
IV gerade nicht bedürfte. Im Hinblick auf die stärkere soziale Schutzwürdigkeit zu ihrer
Berufsausbildung betrieblich Beschäftigter liegt deshalb keine gegen Art 3 Abs 1 GG
verstoßende Ungleichbehandlung vor, wenn dieser Personenkreis von Regelungen über die
Versicherungsfreiheit bei Entgeltgeringfügigkeit ausgenommen bleibt. Vielmehr findet
hierdurch gerade sachgerecht Berücksichtigung, dass die Betroffenen am Beginn einer
typischerweise von weiteren entgeltlichen Beschäftigungen gefolgten Berufslaufbahn stehen
und Entgelte am Beginn der Berufsbiografie typischerweise niedriger sind, ohne dass
hierdurch zugleich ein Mangel an sozialer Schutzbedürftigkeit seinen Ausdruck findet. Erst
recht besteht in Fällen der vorliegenden Art kein Anlass für die Annahme, dass auf der
Grundlage von Bagatellbeschäftigungen Rechte und Ansprüche auf Sozialleistungen
begründet werden könnten.
25 3. Keine Grundlage gibt es für das Begehren der versicherungspflichtigen Klägerin, den von
ihr zu tragenden Beitragsanteil im ersten Ausbildungsjahr entsprechend den für
versicherungsfreie (entgelt-)geringfügig Beschäftigte einschlägigen Regelungen, im
Ergebnis also mit "null", festzustellen. Grundsätzlich sind Beiträge in der gesetzlichen KV
und in der sPV für jeden Tag der Mitgliedschaft (§ 223 Abs 1 SGB V, § 54 Abs 2 Satz 2 SGB
XI) auf der Grundlage des Arbeitsentgelts aus dieser Beschäftigung (§ 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1
SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI) zu zahlen. Ebenso sind für versicherungspflichtig abhängig
Beschäftigte während der Dauer der Beschäftigung Beiträge nach dem Recht der
Arbeitsförderung und zur gesetzlichen RV auf der Grundlage des Arbeitsentgelts, bei zu ihrer
Berufsausbildung Beschäftigten wie der Klägerin mindestens 1 vH der Bezugsgröße zu
entrichten (§ 342 SGB III, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI) . Die wirtschaftliche Zuordnung
der Beitragslast im Innenverhältnis der Vertragsparteien (Beitragstragung) bestimmt sich
auch bei entgeltgeringfügig beschäftigten Pflichtversicherten wie der Klägerin, mit einem
monatlichen Entgelt von mehr als 325 Euro (§ 20 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB IV) nach den für
versicherungspflichtig Beschäftigte geltenden Regelungen. Dagegen kommt eine
Anwendung des § 249b Satz 1 SGB V und des § 172 Abs 3 Satz 1 SGB VI, die jeweils dem
Arbeitgeber von Beschäftigten nach § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV, die in dieser Beschäftigung
versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, dennoch die Tragung von
Beiträgen zur gesetzlichen KV und zur gesetzlichen RV auferlegen, vorliegend offenkundig
nicht in Betracht. Die Klägerin erfüllt bereits die Voraussetzung nicht, dass sie in der in Frage
stehenden Beschäftigung "versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit ist"
(vgl vorstehend unter 2.). Sie kann aus den genannten Vorschriften daher auch nicht
mittelbar ableiten, dass sie ihrerseits keine Beiträge zu tragen hat.
26 Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf § 20 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB IV berufen. Hiernach
trägt der Arbeitgeber abweichend von den besonderen Vorschriften für Beschäftigte für die
einzelnen Versicherungszweige den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein, wenn
Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, ein Arbeitsentgelt erzielen, das
auf den Monat bezogen 325 Euro nicht übersteigt. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzung
bei dem vom LSG festgestellten monatlichen Entgelt von 396 Euro nicht. Das Gesetz sieht
eine besondere Schutzbedürftigkeit der - trotz Entgeltgeringfügigkeit pflichtversicherten -
Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, nur betragsmäßig begrenzt als
gegeben an und erlegt demgemäß im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 20 Abs 3 SGB
IV auch nur insofern die alleinige Tragung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages auf.
Eine derartige typisierende und pauschalierende Unterscheidung ist im Blick auf Art 3 Abs 1
GG ebenso wie bei der Bestimmung des Kreises der Versicherten auch bei der Verteilung
der Beitragslast grundsätzlich möglich (vgl etwa BVerfG, Beschluss vom 22.5.2001, 1 BvL
4/96, SozR 3-2500 § 240 Nr 39) . Die besondere Grenze des § 20 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB IV
orientiert sich an der im Jahr 2002 geltenden Geringfügigkeitsgrenze und wurde nach
kurzfristiger Anhebung auf 400 Euro in der nicht streitbefangenen Zeit vom 1.4. bis 31.7.2003
wieder auf den bis heute maßgeblichen Wert reduziert. Der hierfür einschlägige
arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkt der Förderung der Bereitschaft, Arbeitsplätze zur
Verfügung zu stellen (vgl BT-Drucks 15/1199 S 19 rechte Spalte) lässt eine Überschreitung
des dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungsspielraums nicht erkennen.
27 4. Die Klägerin kann schließlich für das 2. und 3. Ausbildungsjahr nicht mit Erfolg begehren,
dass insofern der von ihr zu tragende Beitragsanteil nach den Regelungen über die
Gleitzone festgestellt wird. Eine Gleitzone liegt nach § 20 Abs 2 Halbsatz 1 SGB IV bei
einem Beschäftigungsverhältnis vor, wenn das daraus erzielte Arbeitsentgelt zwischen
400,01 Euro und 800,00 Euro im Monat liegt und die Grenze von 800,00 Euro im Monat
regelmäßig nicht überschreitet. An das Vorliegen dieser Voraussetzung wird in den
einzelnen Zweigen der Sozialversicherung grundsätzlich die Rechtsfolge geknüpft, dass der
von versicherungspflichtig Beschäftigten zu tragende Beitragsanteil nach einem gegenüber
dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt geminderten Betrag zu bemessen ist, während der
Arbeitgeber den nach dem - tatsächlichen - Arbeitsentgelt zu bemessenden Beitrag zur
Hälfte trägt (§ 344 Abs 4 Satz 1, 2, § 346 Abs 1a SGB III, § 226 Abs 4 Satz 1 bis 6, § 249 Abs
4 SGB V, § 163 Abs 10 Satz 1 bis 7, § 168 Abs 1 Nr 1d SGB VI, § 57 Abs 1 Satz 1, § 58 Abs
5 Satz 2 SGB XI) . Die Regelungen über die besondere Bemessung der beitragspflichtigen
Einnahmen aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gelten indes jeweils
ausdrücklich nicht für Personen, die - wie die Klägerin - zu ihrer Berufsausbildung
beschäftigt sind (§ 344 Abs 4 Satz 3 SGB III, § 226 Abs 4 Satz 7 SGB V, § 163 Abs 10 Satz 8
SGB VI, § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI) .
28 Eine sachwidrige Ungleichbehandlung ist entgegen der Revision auch hierin nicht zu sehen.
Die Regelungen über die Gleitzone sehen die ausnahmsweise Bemessung von Beiträgen
auf der Grundlage eines niedrigeren als des tatsächlich erzielten Entgelts vor, um in einem
Übergangsbereich die Aufnahme solcher Beschäftigungen zu fördern, die gering entlohnt,
jedoch wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV von
400 Euro versicherungspflichtig sind und die mangelnde Attraktivität derartiger
Beschäftigungen für den dann mit Beiträgen belasteten Arbeitnehmer zu mildern. Auch von
dieser arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung ist nicht erfasst, wer - wie die Klägerin - von einer
zwar entgeltgeringfügigen, dennoch jedoch bereits versicherungs- und in vollem Umfang
beitrags- und beitragstragungspflichtigen Beschäftigung in den Bereich der Gleitzone
hineinwächst. Ein derartiger Arbeitnehmer kann von vorneherein kein geeigneter Adressat
für Maßnahmen der Verhaltenssteuerung auf dem Wege der Milderung einer erstmals
eintretenden Beitragstragungspflicht sein. Dem Personenkreis der Beschäftigten in der
Ausbildung steht entsprechend den vorstehend unter 2. bereits angeführten rechtlichen und
tatsächlichen Besonderheiten einer derartigen Beschäftigung eine Wahl zwischen einer
entgeltgeringfügigen und versicherungsfreien einerseits und einer mehr als
entgeltgeringfügigen und nur deshalb versicherungspflichtigen Beschäftigung
typischerweise nicht offen. Ihr Entgelt ist - worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist -
noch wesentlich durch den Ausbildungszweck mitbestimmt und nicht allein marktorientiert
ermitteltes Äquivalent einer Arbeitsleistung.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.