Urteil des BSG vom 15.05.2012

BSG: Gesetzliche Unfallversicherung, Unfallversicherungsschutz, Fiktion einer Beschäftigung, Freistellung wegen Altersteilzeit, Vorausbescheinigung, Abgabe einer Bescheinigung beim Arbeitgeber

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 15.5.2012, B 2 U 8/11 R
Gesetzliche Unfallversicherung - Unfallversicherungsschutz - Fiktion einer Beschäftigung -
Freistellung wegen Altersteilzeit - Vorausbescheinigung - Abgabe einer Bescheinigung beim
Arbeitgeber - Haupt- und Nebenpflicht einer Beschäftigung
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8.
Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls.
2 Am 5.5.2006 brachte sie während ihrer Freistellungsphase aufgrund vereinbarter
Altersteilzeit ihrem Arbeitgeber ein von ihm auszufüllendes Formular für eine sog
Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt, um sie sodann beim Rentenversicherungsträger
vorzulegen, damit dieser ihr nahtlos zum Eintritt in den Ruhestand Rente wegen Alters in
richtiger Höhe zahlen sollte. Dabei stolperte sie auf einer Treppe im Betriebsbereich, stürzte
auf ihr linkes Handgelenk und erlitt dadurch einen Speichenbruch des linken Unterarms.
3 Die Beklagte lehnte es ab, deswegen einen Arbeitsunfall festzustellen (Bescheid vom
17.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 17.1.2007). Von einer versicherten Tätigkeit sei
nicht auszugehen, da die Abgabe der Bescheinigung im eigenwirtschaftlichen Interesse der
Klägerin gelegen habe.
4 Die Klagen und die Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Landshut
vom 29.3.2010 und Urteil des Bayerischen LSG vom 8.2.2011). Das LSG hat ausgeführt:
Ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte und
der Überbringung des Formulars liege nicht vor. Das private Interesse der Klägerin im
Rahmen ihrer Sozialversicherungsangelegenheit stehe hierbei im Vordergrund. Soweit
auch Belange des Arbeitgebers berührt seien, beträfen diese weder seine unmittelbaren
Pflichten aus dem Arbeitsvertrag noch seine allgemeine Fürsorgepflicht. Dass die
Gewährung von Altersrente zugleich Voraussetzung für die Gewährung einer Betriebsrente
sei und dass der Arbeitgeber bei fehlerhafter oder verspäteter Ausstellung der
Bescheinigung sich möglicherweise schadensersatzpflichtig mache, rechtfertige kein
anderes Ergebnis. Zwar habe das BSG einen Arbeitnehmer auf dem Weg zum
Personalbüro als versichert angesehen, wenn er dort eine Arbeitsbescheinigung abholen
wollte, die er für die weitere Aufenthaltserlaubnis benötige (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU
76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78). Während der Arbeitgeber die Ausstellung der
Arbeitsbescheinigung aufgrund seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis schulde,
diene die Vorausbescheinigung jedoch wesentlich dem eigenwirtschaftlichen Interesse der
Realisierung von Sozialleistungsansprüchen.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs 1
SGB VII. Das Überbringen des Formulars für eine Vorausbescheinigung des Arbeitgebers
stehe im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die ordnungsgemäße
Ausfüllung einer Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI stelle neben der Erfüllung
seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis eine eigene gesetzliche Verpflichtung des
Arbeitgebers dar und habe daher nicht ausschließlich in ihrem privaten Interesse gelegen.
Eine unrichtige oder verspätete Ausstellung der Bescheinigung hätte nicht nur dazu geführt,
dass die Klägerin nicht nahtlos die rentenversicherungsrechtliche Altersrente erhalten hätte.
Der Bezug der Altersrente sei auch Voraussetzung für den Bezug der betrieblichen
Altersrente gewesen. Die Ausstellung der Bescheinigung habe also im Hinblick auf ihre
möglicherweise entstehenden Schadensersatzansprüche im wirtschaftlichen Interesse des
Arbeitgebers gelegen. Sie habe ohne weiteres der Auffassung sein können, mit der
Überbringung des Formulars und der beabsichtigten gemeinsamen Ausfüllung desselben
mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitgebers, eine sich aus ihrem Arbeitsverhältnis
ergebende Nebenpflicht zu erfüllen. Schließlich müsse die Entscheidung des BSG (Urteil
vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78) - anders als das LSG meint -
aufgrund der in beiden Fällen vergleichbaren Motivation der Arbeitnehmer zur Zurechnung
der Abgabe des Formulars zur versicherten Tätigkeit führen. In beiden Fällen bestehe eine
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis.
6 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 und den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 29. März 2010 aufzuheben und
unter Aufhebung der die Feststellung eines Versicherungsfalls ablehnenden
Entscheidung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. August 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2007 festzustellen, dass das Ereignis vom 5.
Mai 2006 ein Arbeitsunfall der Klägerin ist.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Entscheidung des BSG vom
29.1.1986 - 9b RU 76/84 - sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe die
Vorausbescheinigung zur Berechnung ihrer Altersrente und nicht für ihre Arbeitstätigkeit
benötigt. Mangels Aufforderung zum Tätigwerden sei auch die Motivationslage in beiden
Fällen unterschiedlich gewesen.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die zulässige Berufung
der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, da das SG ihre zulässigen Klagen zutreffend als
unbegründet abgewiesen hat.
10 Gemäß § 54 Abs 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG ist die Kombination einer Anfechtungs-
mit einer Feststellungsklage zulässig.
11 Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des von der Klägerin bei
der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Feststellung des geltend gemachten
Arbeitsunfalls.
12 Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten
Rechtsverhältnisses iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, nämlich des geltend gemachten
Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 SGB
VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den
Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten
und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf
Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen.
13 Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen
Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht.
Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil sie nach ständiger Rechtsprechung des
BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des
Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der
prozessuale Nachrang der Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und)
Leistungsklagen (Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn
das jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser spezieller
ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist aber gerade bei
der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls jedenfalls gleich
rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls mit Eintritt
ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs 1,
179, 180 SGG). Allerdings kann die Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG)
Begehren des Verletzten im Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein
Wahlrecht des Verletzten zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen
Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 =
SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9
mwN - UV-Recht Aktuell 2010, 897 und BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-
2700 § 8 Nr 25 RdNr 8 mwN).
14 Die Klagen sind, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht begründet.
15 Die Anfechtungsklage ist unbegründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines
Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in einem ihr
zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Sie hat
nämlich gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, da kein
Arbeitsunfall vorliegt. Deswegen ist der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und
auch die Feststellungsklage unbegründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis nicht
besteht.
16 Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines
Arbeitsunfalls vom 5.5.2006.
17 Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII
die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB
VII, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist (vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11
R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B
2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).
18 Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den
Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte
Tätigkeit, S 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2).
19 Ein Arbeitsunfall setzt danach voraus: Eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen
Unfallereignis muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt
haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper
einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität).
Diese Einwirkung muss schließlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des
Versicherten wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl ua BSG
vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 16;
BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG
vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17, RdNr 10; BSG
vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).
20 Die Klägerin hat keine versicherte Tätigkeit verrichtet, war also keine Versicherte und hat
deshalb keinen Arbeitsunfall erlitten, als sie ihrem Arbeitgeber das Formular für eine
Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt für den Rentenversicherungsträger brachte und
dabei auf einer Treppe im Betriebsbereich stürzte. Versicherter ist jemand nur, wenn,
solange und soweit er den Tatbestand einer (in der freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs
1 SGB VII nur kraft Antrags iS des Abs 2 aaO) versicherten Tätigkeit durch eigene
Verrichtungen erfüllt.
21 Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art
nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr
39 RdNr 22) und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der
jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz"
bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist
eine innere Tatsache.
22 Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion
unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht
ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen
Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz),
die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine
niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht.
23 Zwar liegt die objektive Grundvoraussetzung der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit,
das von außen beobachtbare Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit,
mit dem Begehen der Treppe vor. Dieses sehr unspezifische Verhalten lässt aber aus sich
heraus keinen Schluss auf die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes einer
versicherten Tätigkeit zu. Jedoch steht es in natürlicher Handlungseinheit mit der
Überbringung des Formulars, dessen Ausfüllung als Vorausbescheinigung die Klägerin
von ihrem Arbeitgeber beanspruchte. Daher kommt, wie die Vorinstanzen zutreffend
angesprochen haben, als einziger Tatbestand einer versicherten Tätigkeit der der
Beschäftigtenversicherung, also die Tätigkeit als "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB
VII in Betracht.
24 Die Klägerin hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beschäftigung iS des § 2
Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind "Beschäftigte" versichert.
25 Das Gesetz stellt für die Versicherteneigenschaft nicht abstrakt auf einen rechtlichen
"Status" als "Beschäftigter" ab. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Rechte auf
Versicherungsleistungen nach den §§ 26 ff SGB VII bei Arbeitsunfällen iS des § 8 Abs 1 S
1 SGB VII nur wegen solcher Unfälle vorgesehen, die infolge "einer den
Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)"
entstanden sind. Die Tatbestände der versicherten Tätigkeiten sind jeweils gesondert
materiell gesetzlich bestimmt und begründen eigenständige "Sparten" der gesetzlichen
Unfallversicherung mit eigenen Schutzbereichen. Nur wenn, solange und soweit jemand
den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eine eigene Verrichtung erfüllt, ist er
gegen Unfälle (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII) versichert, die rechtlich wesentlich durch diese
Verrichtung verursacht werden.
26 Deswegen reicht die Fiktion einer Beschäftigung für Personen nach § 7 Abs 1a SGB IV,
die wegen Altersteilzeit von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sind, zur Begründung
der Versicherteneigenschaft nicht aus. § 7 Abs 1 und 1a SGB IV lassen die
unfallversicherungsrechtliche Bedeutung des Rechtsbegriffs "Beschäftigte" iS des § 2 Abs
1 Nr 1 SGB VII unberührt, soweit sie davon abweichen (§ 1 Abs 3 SGB IV). Erforderlich ist
auch bei solchen Freigestellten stets die tatsächliche Verrichtung einer Beschäftigung.
27 1. Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als "Beschäftigter" setzt
tatbestandlich voraus, dass der Verletzte eine eigene Tätigkeit (vgl auch § 121 Abs 1 SGB
VII) in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem
Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst
unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII).
28 Das ist nur der Fall, wenn
-
seine Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene
objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis
zu erfüllen,
-
er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht
aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen
Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn
treffe eine solche Pflicht,
-
er eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt.
29 a) Für die Verrichtung einer Tätigkeit als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII
kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift im Zusammenhang des SGB VII objektiv
auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen
und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die
eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile nur für das Unternehmen des anderen bringen soll.
Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist nicht der die Tätigkeit Verrichtende selbst
Unternehmer im unfallversicherungsrechtlichen Sinne (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII),
sondern der andere, der durch sie unmittelbar begünstigt wird. Der "Beschäftigte"
verrichtet seine Beschäftigung also nur, wenn er Handlungen in Unterordnung zur
selbständigen Tätigkeit eines anderen und zu deren unmittelbaren Förderung vornimmt.
30 b) Auch die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII führt zu diesem Ergebnis.
31 Nach den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen
Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz
) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) erfasst § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII die Beschäftigten iS
des § 7 Abs 1 SGB IV (vgl BT-Drucks 13/2204, S 74 zu § 2 Abs 1 SGB VII). Danach ist
Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1).
Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2).
32 § 7 Abs 1 SGB IV ist mit Wirkung vom 1.7.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976 (BGBl I
3845, 3846) eingeführt worden. Eine entsprechende Vorschrift gab es bis dahin nicht. Der
Begriff der Beschäftigung war jedoch Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung
zu allen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, die mit der Begriffsbestimmung zu § 7
SGB IV im Wesentlichen übereinstimmt. Nach § 7 Abs 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung
zwar immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht; sie kann allerdings auch ohne
ein Arbeitsverhältnis gegeben sein (vgl BT-Drucks 7/4122, S 31). Hierin ist eine
Konkretisierung und behutsame Weiterentwicklung der in der Rechtsprechung bereits
vorher herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze zu sehen (vgl Knospe in Hauck/Noftz, SGB
IV, Stand August 2009, K § 7 RdNr 9 unter Hinweis auf BSGE 37, 10, 13; 41, 24, 25; 41,
41, 53; vgl zur Entwicklung des § 7 SGB IV in der Folgezeit: Seewald in Kasseler
Kommentar, § 7 SGB IV RdNr 1, Stand April 2012 sowie Rittweger in BeckOK SGB IV, § 7
RdNr 1, Stand 1.3.2012). Auch Dienstleistungsverhältnisse anderer Art werden erfasst,
soweit das Handeln des Dienstverpflichteten sich in das Unternehmen des
Dienstberechtigten einfügt und dessen unmittelbarer Förderung dient.
33 Ein Verletzter hat nach den allgemeinen Anhaltspunkten des § 7 Abs 1 SGB VII dann eine
Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII ausgeübt, wenn er sich in ein fremdes
Unternehmen (eine fremde Arbeitsorganisation) eingliedert und seine konkrete Handlung
sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und
Art der Verrichtung, unterordnet (vgl hierzu etwa BSG vom 29.1.1981 - 12 RK 63/79 -
BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16 mwN sowie BSG vom 17.3.1992 - 2 RU 22/91 -
SozR 3-2200 § 539 Nr 16 S 57). Naturgemäß ist dieses Weisungsrecht besonders bei
Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt; es genügt für die Unterordnung unter die
Tätigkeit des anderen die "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" (vgl
hierzu schon BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R - BSGE 85, 214, 216 = SozR 3-2200 §
539 Nr 48 S 202 mwN).
34 c) Ferner sind die unfallversicherungsrechtlichen Bedeutungen der Begriffe des
"Beschäftigten" und der Verrichtung einer Beschäftigung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII
eigenständig nach dem Zweck dieses Versicherungstatbestandes im Gefüge des SGB VII
zu bestimmen.
35 Die Schutzzwecke der Beschäftigtenversicherung und ihre Stellung im Rechtssystem
begrenzen den Anwendungsbereich des Versicherungstatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII gleichfalls auf die oben umschriebenen Voraussetzungen.
36 Zweck der Beschäftigtenversicherung ist vor allem anderen der umfassende
Unfallversicherungsschutz aller Beschäftigten vor und bei Gesundheitsschäden (oder Tod)
infolge der Verrichtung der Beschäftigung, unabhängig davon, ob ein anderer den Unfall
überhaupt mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.
37 Die Versicherung zielt primär auf die Verhütung von Gesundheitsschäden und Tod infolge
der Gefahren ab, denen die Beschäftigten gerade durch die Verrichtung der Beschäftigung
in Eingliederung in den fremdbestimmten Unternehmensbereich ausgesetzt sind
(Prävention nach §§ 14 ff SGB VII). Ferner wird ihnen, falls die Prävention versagt, bei
Gesundheitsschäden eine umfassende medizinische Rehabilitation sowie berufliche und
soziale Teilhabe gesichert. Zudem werden sie gegen die wirtschaftlichen Folgen einer
unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit geschützt. Bei
unfallbedingtem Tod sollen auch ihre Familienangehörigen gegen den Unterhaltsverlust
abgesichert werden.
38 Daneben soll die Beschäftigtenversicherung auch den sog Betriebsfrieden nach Unfällen
infolge der Verrichtung der Beschäftigung schützen, wenn umstritten sein könnte, ob der
Unternehmer (oder ein ihm gesetzlich gleichgestellter Dritter) den Gesundheitsschaden
oder den Tod mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und fahrlässig oder sogar grob
fahrlässig gehandelt hat und dem Verletzten deswegen nach Zivilrecht/Arbeitsrecht haftet.
Da die Versicherung dem Verletzten die Schadensfolgen weitgehend ausgleicht, besteht
insoweit kein Bedarf für einen Rechtsstreit zwischen dem Verletzten und dem
Unternehmer (oder ihm gleichgestellten Dritten), wenn dieser nicht vorsätzlich gehandelt
hat. Deshalb entzieht das SGB VII dem Verletzten insoweit seine ggf nach Zivilrecht
entstandenen Schadensersatzansprüche (einschließlich der Schmerzensgeldansprüche)
gegen den Unternehmer (§§ 104 bis 109 SGB VII).
39 Schließlich bezweckt sie auch eine gerechte Lastenverteilung unter den
beitragszahlenden Unternehmern, die durch ihre Umlagebeiträge zu ihrer
Berufsgenossenschaft den Versicherungsschutz in der Beschäftigtenversicherung
bezahlen. Ein Unternehmer, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig
mitverursacht hat, haftet dem Unfallversicherungsträger (also mittelbar auch den anderen
Unternehmern) auf Ersatz der Ausgaben für Versicherungsleistungen an den Verletzten
(§§ 110 bis 113 SGB VII).
40 Die Beschäftigtenversicherung hat also in diesem Sinne und in diesen Grenzen eine
möglicherweise gegebene zivilrechtliche Haftung der Unternehmer (oder gleichgestellter
Dritter) gegenüber den Beschäftigten aus Gefährdungshaftung, Delikt oder aus der
Verletzung von arbeitsrechtlichen Schutz- oder Fürsorgepflichten ersetzt (vgl BSG vom
19.12.2000 - B 2 U 37/99 R - BSGE 87, 224 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41; Gitter/Nunius in
Schulin, HS-UV, § 5 RdNr 28, 51, 119; zu §§ 539 Abs 1 Nr 1, 636 ff RVO: BSG vom
25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; ferner auch BSG vom 26.6.2007 - B 2
U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16 ff).
41 Sie bildet jeher den Kern des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl schon §
95 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom
19.7.1911, RGBl 509; die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO). Sie versichert im
genannten Sinn die Beschäftigten unter weitgehendem Ausschluss ihrer zivilrechtlichen
Schadensersatzansprüche nur gegen solche Gesundheits- und Lebensgefahren, die sich
spezifisch daraus ergeben, dass sie Tätigkeiten für einen anderen unter Eingliederung in
dessen Tätigkeit und nur zu dessen unmittelbarem Vorteil verrichten.
42 2. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung des BSG zu § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und
dessen Vorgängervorschriften führt zu dem Ergebnis, dass nur unter den drei oben
genannten Voraussetzungen eine Beschäftigung verrichtet wird.
43 a) Nach der Rechtsprechung des BSG wird eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB
VII verrichtet, wenn der Verletzte zumindest dazu ansetzt, eine ihn gegenüber dem
Unternehmer treffende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis
tatsächlich zu erfüllen.
44 aa) Dies ist dann der Fall, wenn die Verrichtung eine Hauptpflicht des Beschäftigten erfüllt,
weil sie die vertragsgemäß geschuldete Arbeits- oder Dienstleistung ist (vgl BSG vom
31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 18; BSG
vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19; BSG vom 18.3.2008 - B
2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R -
Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).
45 bb) Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird auch
erfüllt, wenn die Verrichtung eine Nebenpflicht des Beschäftigten gegenüber dem
Unternehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen soll.
46 Als Nebenpflichten kommen vor allem die Mitwirkungspflichten des Beschäftigten als
Gläubiger von Leistungspflichten des Unternehmers (§§ 293 ff BGB) und die Pflichten zur
Rücksichtnahme auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen in Betracht. Diese seit
dem 1.1.2002 in § 241 Abs 2 BGB ausdrücklich normierte Pflicht wurde zuvor aus § 242
BGB hergeleitet (BAG vom 22.1.2009 - 8 AZR 161/08 - Juris RdNr 27, NZA 2009, 608; vgl
auch Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 985 f).
Arbeitsrechtlich muss jeder Vertragspartner seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so
erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis
stehenden Interessen des Vertragspartners so wahren, wie dies unter Berücksichtigung
der wechselseitigen Belange verlangt werden kann (vgl BAG vom 16.2.2012 - 6 AZR
553/10 - Juris RdNr 12, zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen; BAG vom 13.8.2009 - 6
AZR 330/08 - Juris RdNr 31 - BAGE 131, 325; BAG vom 19.5.2010 - 5 AZR 162/09 - Juris
RdNr 26 - BAGE 134, 296; Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr
984, 1074). Gleiches gilt für Beschäftigte und Unternehmer, die nicht durch ein
Arbeitsverhältnis, sondern durch ein anderes Beschäftigungsverhältnis miteinander
verbunden sind. Auch für den Beschäftigten zählt dazu die sog Treuepflicht, sich im
Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum
und sonstige absolute Rechtsgüter des Unternehmers nicht verletzt werden (vgl dazu BSG
vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16).
47 Das BSG hat bisher zumeist nicht zwischen Haupt- oder Nebenpflichten des Beschäftigten
unterschieden. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (bzw nach
früherem Sprachgebrauch: der innere Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der
versicherten Tätigkeit) wurde als gegeben erachtet, wenn die Verrichtung Teil der
vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Beschäftigten war, bzw dann, wenn der
Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung
handelte (vgl BSG vom 30.6.2009 - B 2 U 22/08 R - Juris RdNr 14 - UV-Recht Aktuell
2009, 1040; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R - Juris RdNr 11 - UV-Recht Aktuell
2009, 485; so auch noch einleitend, später aber differenzierend BSG vom 18.3.2008 - B 2
U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R - Juris
RdNr 12 - UV-Recht Aktuell 2007, 860; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94,
262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr
26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).
48 Es hat aber seit dem genannten Urteil vom 18.3.2008, insbesondere in seinen
Entscheidungen vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - (SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19) und
vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - (Juris RdNr 18 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen -
SGb 2012, 148 ), ausdrücklich die Erfüllung beider Pflichtenarten aus
dem Beschäftigungsverhältnis als Verrichtung einer versicherten Beschäftigung anerkannt
(vgl auch BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 21). Es hat
schon im Urteil vom 18.3.2008 (B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff)
entschieden, dass auch die Erfüllung allein einer Nebenpflicht aus dem
Beschäftigungsverhältnis den Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII zu erfüllen vermag. Den Arbeitnehmer treffe die aus § 241 Abs 2 BGB folgende
Nebenpflicht, sich bei der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses so zu verhalten, dass
Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Arbeitgebers nicht
verletzt werden. Das Aufstellen eines Warndreiecks sei eine Nebenpflicht eines
Beschäftigten, der in Verrichtung der Beschäftigung mit dem Pkw des Unternehmers an
einem Verkehrsunfall beteiligt sei. Dadurch würden die Unfallstelle gesichert, der
nachfolgende Verkehr gewarnt und damit Folgeschäden vermieden, die sich zu Lasten
des Unternehmers auswirken könnten (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-
2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff). Es hat dazu festgestellt, dass der Verletzte durch sein
Handeln objektiv seine Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hatte. Daher
kam es nicht darauf an, ob er dabei das Rechtsbewusstsein hatte, auch einer Nebenpflicht
aus dem Beschäftigungsverhältnis nachzukommen, oder ob er in erster Linie sich und
andere schützen und seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht genügen wollte. Das
Bewusstsein, dem Unternehmer rechtlich zu der Handlung verpflichtet zu sein, ist weder
notwendige subjektive Voraussetzung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung
noch einer Verrichtung einer Beschäftigung. Es reicht, wenn die Intention auch darauf
gerichtet war, etwas zu tun, das objektiv dem Unternehmer geschuldet war.
49 cc) Eigene Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem
Unternehmer erfüllt der Verletzte auch, wenn er Mitwirkungshandlungen vornimmt, die ihm
zu dem Zweck obliegen (vgl §§ 241 Abs 2, 293 ff BGB), dass der Unternehmer seine ihm
aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Beschäftigten treffenden Haupt- oder
Nebenpflichten erfüllen kann.
50 Das ist der Fall bei Handlungen des Verletzten zwecks Empfangnahme des Lohnes (BSG
vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO unter
Bezugnahme auf RVA EuM Bd 20, 31; 26, 165; 33, 270) oder zur Geltendmachung von
(vermeintlichen) Fehlern bei der Lohnabrechnung (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 -
BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO) oder zum Abtransport von Deputatholz als
Teil der Vergütung (BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34). In
diesen Fällen ist der Beschäftigte zivilrechtlich gehalten, dem Unternehmer zu
ermöglichen, seine Hauptpflicht (§ 611 Abs 1 BGB) zu erfüllen, die Vergütung zur rechten
Zeit, am rechten Ort, in rechter Weise und in richtiger Höhe zu leisten (vgl BSG vom
4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34 ua unter Hinweis auf BSGE 13, 178 =
SozR Nr 31 zu § 543 RVO aF; BSGE 41, 207 = SozR 2200 § 548 Nr 16; BSGE 43, 119,
121 = SozR 2200 § 548 Nr 28).
51 Gleiches gilt für eine ggf bestehende Obliegenheit des Beschäftigten, dem Unternehmer
die Erfüllung seiner Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen.
Solche Nebenpflichten des Beschäftigten können sich aus § 241 Abs 2 BGB, der nicht nur
in Arbeitsverhältnissen gilt, ergeben. Voraussetzung ist, dass eine solche Haupt- oder
Nebenpflicht des Unternehmers bereits entstanden ist und er sie nur erfüllen kann, wenn
der Beschäftigte in bestimmter und ihm zumutbarer Weise mitwirkt. Denn der Beschäftigte
und der Unternehmer müssen bei ihrem Zusammenwirken jeweils auf das Wohl und die
berechtigten Interessen des anderen Rücksicht nehmen (vgl BAG vom 16.11.2010 - 9 AZR
573/09 - BAGE 136, 156 mwN; vgl zu den Einzelheiten Preis in Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 12. Aufl 2012, § 611 BGB RdNr 610 ff).
52 In diesem Sinn hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung in einer
Mitwirkungshandlung gesehen, als ein Beschäftigter den Weg zum Ort seiner bisherigen
Tätigkeit zurücklegte, um sich dort seine Arbeitspapiere aushändigen zu lassen. Der
Beschäftigte hatte den Unternehmer in gebotener Rücksichtnahme auf die Belange seines
bisherigen Arbeitgebers durch die (beabsichtigte) Empfangnahme der Arbeitspapiere von
der diesem obliegenden (nachgehenden) Nebenpflicht entlastet, ihm seine Arbeitspapiere
- nach erfolglosem ersten Abholversuch - auf seine Rechnung und Gefahr zu übersenden
(BSG vom 30.8.1963 - 2 RU 68/60 - BSGE 20, 23, 25 = SozR Nr 43 zu § 543 RVO aF). Die
Verrichtung einer Beschäftigung lag auch bei einer Mitwirkungshandlung des Verletzten
vor, der vom Arbeitgeber eine Arbeitsbescheinigung abholte, die er auf Verlangen der
Ausländerbehörde für seine weitere Aufenthaltserlaubnis und damit für die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses benötigte. Er hat vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die
dieser ihm aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war
vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (BSG vom 29.1.1986 -
9b RU 76/84 - Juris RdNr 11 - SozR 2200 § 548 Nr 78).
53 b) Keine Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII durch Erfüllung
einer Nebenpflicht liegt hingegen dann vor, wenn der Verletzte zur Mitwirkungshandlung
bei der Pflichtenerfüllung des Unternehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht
verpflichtet war. Dasselbe gilt, wenn die Pflicht des Unternehmers nur entstanden ist, weil
der Beschäftigte nach freiem Ermessen ein Recht gegen ihn ausgeübt hatte, das nicht auf
die Förderung des Unternehmens gerichtet ist und auf einer gesetzlichen Grundlage
beruht, die den Unternehmer hoheitlich für den Staat zugunsten von Verwaltungsverfahren
in Dienst nimmt. In beiden Fällen erfüllt nämlich der Beschäftigte keine Haupt- oder
Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern begibt er sich freiwillig in den
unternehmerischen Gefahrenbereich, um daraus unmittelbar nur eigene Vorteile zu
erlangen (sog eigenwirtschaftliche Verrichtung).
54 War er zur Mitwirkung nicht verpflichtet, unterlag er dem unternehmerischen
Gefahrenbereich nicht kraft des Beschäftigungsverhältnisses, sondern kraft freien
Entschlusses, wie zB bei einer Gefälligkeit. Entstand die Pflicht des Unternehmers nicht
aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern durch die freiwillige Ausübung eines
anderweitig begründeten Rechts des Beschäftigten, ist seine Mitwirkungshandlung an der
Durchsetzung seines eigenen Rechts nicht "der Beschäftigung geschuldet", sondern allein
der Verfolgung eigener Interessen, also gleichfalls ein freiwilliger Eintritt in den
unternehmerischen Gefahrenbereich. Das wird durch die Beschäftigtenversicherung nicht
versichert. Denn sie soll nur gegen solche Gefahren begründet werden, denen der
Beschäftigte wegen der Ausübung seiner Beschäftigung im fremden Gefahrenbereich,
nicht aber aus eigenem Entschluss in Verfolgung nur eigener Belange ausgesetzt ist.
Haupt- und Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis sind also nur solche, die
das Zusammenwirken des Unternehmers mit dem Beschäftigten zur Förderung der
Unternehmenszwecke betreffen. In beiden Fallgruppen fehlt es an der aus der
Beschäftigung entstehenden Nebenpflicht des Beschäftigten, in der zweiten außerdem an
der Förderung der Unternehmenszwecke.
55 In der arbeitsrechtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt,
dass den Arbeitgeber treffende öffentlich-rechtliche Pflichten (zumeist aus dem Steuer-
und Sozialversicherungsrecht), die an das Arbeitsverhältnis tatbestandlich anknüpfen und
durch die der Arbeitgeber hoheitlich für den Staat in Dienst genommen wird, zugleich
zivilrechtliche (arbeitsrechtliche) Nebenpflichten des Arbeitgebers aus dem
Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer sind. Sie werden arbeitsrechtlich als
Konkretisierungen der privatrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden (vgl
die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen; BAG vom 29.3.2001 - 6 AZR 653/99 -
NZA 2003, 105; BAG vom 11.6.2003 - 5 AZB 1/03 - BAGE 106, 269
; BAG vom 15.1.1992 - 5 AZR 15/91 - BAGE 69, 204, 210
; BAG vom 13.5.1970 - 5 AZR 385/69 - BAGE 22, 332
; BAG vom 30.1.1969 - 5 AZR 229/68 - BB 1969, 407
; BAG vom 2.6.1960 - 2 AZR 168/59 - BB 1960, 983
; Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl 2011, § 106,
RdNr 56 mwN; Ring in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr
658; vgl zum Begriff der Fürsorgepflicht auch Boemke in Handkommentar zum
Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 378 mwN, danach stellt die Fürsorgepflicht
selbst keine eigenständige Pflicht, sondern ein Bündel einzelner Nebenpflichten dar und
soll nach im Vordringen befindlicher Auffassung sogar ganz fallen gelassen werden).
56 Hierauf ist nicht näher einzugehen, da es für die Verrichtung einer Beschäftigung iS des §
2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht entscheidend auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers oder deren öffentlich-rechtliche "Konkretisierungen" ankommt. Entscheidend
ist, ob der Beschäftigte zur Mitwirkung an der Erfüllungshandlung des Arbeitgebers aus
dem Beschäftigungsverhältnis verpflichtet war. Falls überhaupt eine Mitwirkungspflicht
bestand, ist er nicht "aus dem Beschäftigungsverhältnis" zur Mitwirkung verpflichtet, wenn
der Arbeitgeber seine Handlung nur deshalb vornehmen muss, weil der Beschäftigte ein
Recht ohne Bindungen aus dem Beschäftigungsverhältnis im ausschließlich eigenen
Interesse ausgeübt hat, das ihm durch öffentliches Recht verliehen wurde.
57 c) Ferner verrichtet der Verletzte eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wenn
er in der vertretbaren, aber objektiv irrigen Annahme handelt, dazu aufgrund des
Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet zu sein. Die Annahme dieser Pflicht ist vertretbar,
wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit
der Verrichtung (ex ante) und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine
solche Pflicht. Die durchgeführte Verrichtung muss objektiviert darauf ausgerichtet sein,
die angenommene Pflicht zu erfüllen.
58 Die Einbeziehung dieser Fallgruppe der vermeintlichen Pflichterfüllung durch den
Beschäftigten rechtfertigt sich aus dem genannten ersten Schutzzweck der
Beschäftigtenversicherung. Jeder, der etwas in Eingliederung in das Unternehmen eines
anderen zu dessen unmittelbarem Vorteil tut, muss, außer bei völliger
Weisungsabhängigkeit, seine Pflichten kennen. Er kann durch die Beschäftigung aber
auch in Umstände geraten, in denen er sofort entscheiden muss, ob ihn eine Haupt- oder
Nebenpflicht zur Vornahme bestimmter Handlungen trifft. Dies ist ggf Teil seiner Pflichten
aus seiner Beschäftigung.
59 In diesem Sinne hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII bejaht, als ein Versicherter aus gutem Grund der Auffassung sein konnte, sich
"betriebsdienlich" zu verhalten (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135
Nr 2 RdNr 14 unter Verweis auf BSGE 20, 215, 218 = SozR Nr 67 zu § 542 RVO aF; BSG
SozR Nr 30 zu § 548 RVO; BSGE 52, 57, 59 = SozR 2200 § 555 Nr 5). Daher liegt bei
einem "nur" eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Verhalten, also bei einer Handlung
mit der Absicht (dolus directus ersten Grades), nur andere Zwecke zu verfolgen als die
Erfüllung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung, auch dann keine Verrichtung
einer Beschäftigung vor, wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich
ist (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter
Bezugnahme auf BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; BSG vom
20.1.1987 - 2 RU 15/86 - SozR 2200 § 539 Nr 119). Entscheidend ist nur, ob der Verletzte
von seinem Standpunkt aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein durfte,
seine Verrichtung sei von ihm geschuldet, um den Interessen des Unternehmens zu
dienen. Dafür reichen aber subjektive Vorstellungen ohne bestätigende objektive
Anhaltspunkte nicht aus.
60
60 d) Den Tatbestand einer versicherten Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt
ein Verletzter schließlich auch dann, wenn er handelt, um eigene
unternehmensbezogene Rechte wahrzunehmen. Dabei handelt es sich um die
Wahrnehmung von Rechten, die die Regelung innerbetrieblicher Belange zum
Gegenstand haben und/oder den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der
Unternehmensführung fördern. Hierzu zählen ua:
die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl hierzu etwa Keller in Hauck/Noftz, SGB
VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59,
Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in
Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 179, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8
RdNr 103, Stand Mai 2010),
die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bei der Ausübung der im Betriebsverfassungsgesetz
vorgesehenen Aufgaben (vgl etwa BSG vom 20.5.1976 - 8 RU 76/75 - BSGE 42, 36, 37 =
SozR 2200 § 539 Nr 19 RdNr 18 und BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 7/00 R - SozR 3-2200 §
539 Nr 54; vgl ferner Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011;
Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3.
Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 38; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180,
Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 102, Stand Mai 2010),
und die Tätigkeiten zur Vorbereitung und Durchführung der zur Bildung der Räte
erforderlichen Wahlen (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011;
Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3.
Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180,
Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010; vgl
hierzu insgesamt zuletzt auch Krasney, SGb 2012, 130).
61 3. Die Klägerin hat vor ihrem Treppensturz keine versicherte Beschäftigung im Sinne der
abschließend aufgeführten Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet.
62 Nach § 194 Abs 1 S 1 SGB VI (in der bis zum 31.12.2007 geltenden und damit hier
maßgeblichen Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der
nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
Nachhaltigkeitsgesetz> vom 21.7.2004 - BGBl I 1791 - erhalten hatte ) haben die
Arbeitgeber auf Verlangen des Beschäftigten, der für die Zeit nach dem Ende des
Beschäftigungsverhältnisses eine Altersrente beantragt hat, die Pflicht, das
voraussichtliche Arbeitsentgelt bis zu drei Monate im Voraus zu bescheinigen (vgl Finke in
Hauck/Noftz, SGB VI, K § 194 RdNr 1, Stand Juli 1996).
63 Die Klägerin beabsichtigte, von ihrem Arbeitgeber eine sog Vorausbescheinigung iS des §
194 SGB VI zu verlangen. Dazu wollte sie ihm das einschlägige Formular vorlegen und
hatte sich deshalb auf das Betriebsgelände begeben. Sie hatte also mit der Verrichtung,
deren unfallversicherungsrechtliche Bedeutung hier umstritten ist, begonnen.
64 Die Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung erfüllt aber weder eine
vertragliche Haupt- oder Nebenleistungspflicht der Klägerin aus ihrem
Beschäftigungsverhältnis (s sogleich unter a>). Ferner durfte die Klägerin nicht annehmen,
sie treffe eine solche Pflicht (dazu unter b>). Schließlich hat sie auch keine
unternehmensbezogenen Rechte wahrgenommen (dazu unter c>).
65 a) Die Abgabe des Formulars für die Ausstellung der Vorausbescheinigung iS des § 194
SGB VI ist augenfällig keine sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebende
Hauptpflicht der Klägerin.
66 Sie hat damit auch keine gegenüber dem Unternehmer treffende Nebenpflicht aus dem
Beschäftigungsverhältnis erfüllt, sondern, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nur
eigene Vorteile angestrebt. Mit ihrem Vortrag, sie habe auch abstrakt denkbare mittelbare
Schadensersatzansprüche aus verzögerter Betriebsrentenzahlung vom Arbeitgeber
abwehren wollen, hat sie keine solche eigene Nebenpflicht dargetan. Sie hat nicht zur
Abwendung von Gefahren, die absolut geschützte Rechtsgüter des Unternehmers
betrafen, gehandelt, sondern Gefahren bedacht, die allenfalls mittelbar seinen
Vermögensinteressen drohten. Nach den Feststellungen des LSG gab es aber keine
allgemeine oder spezielle Vermögensfürsorgepflicht der Klägerin für ihren Arbeitgeber.
Hierfür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.
67 Die beabsichtigte Vorlage des Formulars erfüllte auch keine sie treffende
Mitwirkungspflicht, dem Unternehmer dabei Hilfe zu leisten, eine ihm aus dem
Beschäftigungsverhältnis ihr gegenüber obliegende Haupt- oder Nebenleistungspflicht zu
erfüllen.
68 Die begehrte Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber ist für die
Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht gegenüber der Klägerin - nämlich seiner Pflicht zur
Vergütung iS des § 611 Abs 1 BGB - offensichtlich ohne rechtlichen Belang. Eine
Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Ermöglichung der Hauptleistung des Arbeitgebers
bestand somit nicht.
69 Sie hatte zudem keine Mitwirkungspflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber
ihrem Arbeitgeber, von diesem die Ausstellung einer Vorausbescheinigung zu verlangen
und ihm dies dann durch Vorlage des Formulars zu ermöglichen. Aufgrund ihrer
Beschäftigung war sie nicht verpflichtet, vom Unternehmer die Vorausbescheinigung zu
verlangen, die ausschließlich der Durchsetzung ihres allein gegen den
Rentenversicherungsträger gerichteten Rechts auf nahtlose richtige Zahlung der dort
beantragten Altersrente diente.
70 Dass der Unternehmer allein aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses, ohne § 194 SGB
VI, nicht verpflichtet war, eine Vorausbescheinigung zu erteilen, liegt auf der Hand. Daher
bestand allein auf dieser Grundlage keine Mitwirkungspflicht der Klägerin. Notwendige
Voraussetzungen der Entstehung dieser Pflicht waren das Bestehen einer gesetzlichen
Vorschrift, die dem Beschäftigten das Recht gegen den Arbeitgeber gewährt, nach freiem
Willen die Ausstellung der Bescheinigung zu verlangen, und die Ausübung dieses Rechts.
Dieses dient allein dem privaten Interesse der Klägerin an richtiger Rentenzahlung durch
den Rentenversicherungsträger. Dasselbe gilt daher auch für ihre Mitwirkung an der
Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber, dessen Unternehmen
dadurch nicht berührt wird.
71 Entgegen der Ansicht der Klägerin unterscheidet sich ihr Fall grundlegend von dem der
Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die auch
die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ermöglichte. Der Arbeitnehmer hat, wie
oben schon gesagt, vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm unmittelbar
aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war
vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (vgl BSG vom 29.1.1986
- 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78).
72 b) Die Klägerin hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der
vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem
Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn
der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der
Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben
annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R -
SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 18/85 - BSGE 59, 291 =
SozR 2200 § 539 Nr 115 und BSG vom 27.6.1991 - 2 RU 17/90 - Juris RdNr 15; vgl auch
Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 34 f, Stand Mai 2010).
73 Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin der Auffassung sein durfte, eine
vermeintliche eigene Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sind jedoch
nicht ersichtlich. Die von ihr angenommene Vermögensbetreuungspflicht für das
Vermögen des Arbeitgebers besteht nicht.
74 c) Schließlich hat die Klägerin durch die beabsichtigte Formularabgabe auch kein eigenes
unternehmensbezogenes Recht wahrgenommen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass
die Handlung die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand hatte oder sie
den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung förderte.
Vielmehr ging es nur um das eigenwirtschaftliche Interesse an der sofort richtigen
Altersrente.
75 4. Das Berufungsgericht hat schließlich auch zu Recht darauf hingewiesen, dass eine
versicherte Tätigkeit im Sinne einer sog gemischten Tätigkeit nicht vorliegt. Es liegt mit
dem Gehen auf der Treppe vor der Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung
nämlich nur eine einzige Verrichtung vor. Gemischte Tätigkeiten setzen (zumindest) zwei
gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine
den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt.
76 Das LSG hat schließlich auch richtig erkannt, dass diese einzige Verrichtung auch nicht
auf einer gemischten Motivationslage beruhte. Denn es hat schon nicht festgestellt, dass
die Klägerin mit dem Weg zur Vorlage des Formulars zusätzlich noch eine andere
Intention hatte als diejenige, die Vorausbescheinigung des Arbeitgebers und dadurch
sofort die angestrebte Rentenhöhe zu erhalten.
77 5. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.