Urteil des BSG vom 09.12.2010

BSG: widerspruchsverfahren, verwaltungsverfahren, beweismittel, behörde, bestätigung, hörgerät, entstehungsgeschichte, vorverfahren

Bundessozialgericht
Urteil vom 09.12.2010
Sozialgericht Trier S 4 R 287/06
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 6 R 435/08
Bundessozialgericht B 13 R 63/09 R
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Trier vom 24. Juli 2007 und des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Juli 2009 geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger lediglich
weitere 185,60 Euro an Rechtsanwaltsgebühren zu erstatten; die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen. Im
Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger 3/5 der außergerichtlichen
Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I
1
Im Streit steht, in welcher Höhe die Beklagte Rechtsanwaltsgebühren im Rahmen eines isolierten Vorverfahrens zu
erstatten hat.
2
Der Kläger beantragte im Dezember 2005 mit Schreiben seines bevollmächtigten Rechtsanwalts die Übernahme von
Kosten für eine berufsbedingte Hörgeräteversorgung über die Festbetragsgrenze der gesetzlichen
Krankenversicherung hinaus. Diesem Antrag war ua eine Schilderung über hörbedingte Probleme des Klägers am
Arbeitsplatz beigefügt. Der Antrag blieb zunächst erfolglos, weil die Hörgeräteversorgung nicht ausschließlich zur
Ausübung seiner Berufstätigkeit erforderlich sei (Bescheid vom 12.1.2006). Mit dem Widerspruch trug der
Bevollmächtigte vor, dass das beantragte Hörgerät nicht zur Herstellung der Kommunikationsfähigkeit im Alltag
bestimmt sei und fügte eine weitere - inhaltlich identische - Stellungnahme des Klägers über "Hörprobleme am
Arbeitsplatz" vom 9.2.2006 bei. Die Richtigkeit dieser Angaben bestätigte der Arbeitgeber im ebenfalls beigefügten
Schreiben vom 10.2.2006. Die von der Beklagten eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme vom 23.2.2006
empfahl die Abhilfe des Widerspruchs, weil ein höherwertiges Hörgerät zur Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz
erforderlich sei.
3
Den Ablehnungsbescheid vom 12.1.2006 nahm die Beklagte daraufhin zurück. Sie half dem Widerspruch in vollem
Umfang ab und erklärte sich bereit, die beantragten Kosten für die Beschaffung des Hörgeräts antragsgemäß zu
übernehmen und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren notwendigen
Aufwendungen voll zu erstatten (Bescheid vom 3.3.2006).
4
Mit Schriftsatz vom 10.3.2006 stellte der Bevollmächtigte Rechtsanwaltsgebühren iHv insgesamt 626,40 Euro der
Beklagten in Rechnung. Hierin war ua eine Erledigungsgebühr (280 Euro) zzgl Umsatzsteuer von 16 % (= 324,80
Euro) nach Nr 1002, 1005, 7008 Vergütungsverzeichnis (VV) gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)
enthalten, deren Erstattung die Beklagte ablehnte, weil ein Erhöhungstatbestand nach § 3 Abs 2 RVG iVm Nr 1005
VV RVG bei voller Abhilfe nicht vorliege. Sie erstattete daher lediglich einen Betrag iHv 301,60 Euro (626,40 Euro
abzüglich 324,80 Euro). Im Erstattungsbetrag waren eine Geschäftsgebühr nach Nr 2500 (jetzt Nr 2400) VV RVG aF
(240 Euro), die Postpauschale nach Nr 7002 VV RVG (20 Euro) und die Umsatzsteuer nach Nr 7008 VV RVG (41,60
Euro) enthalten (Bescheid vom 21.3.2006). Der auf die Erstattung auch der Erledigungsgebühr zzgl Umsatzsteuer
(324,80 Euro) gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.6.2006).
5
Im Klageverfahren hat das SG die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheids verurteilt, dem Kläger
antragsgemäß den Betrag iHv 324,80 Euro zu erstatten (Urteil SG Trier vom 24.7.2007).
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Auf die vom LSG zugelassene Berufung hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (LSG Rheinland-Pfalz
Urteil vom 15.7.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Eine Erledigungsgebühr entstehe, wenn
eine anwaltliche Tätigkeit erbracht werde, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen
Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten sei. Es
schließe sich der Auffassung des 2. Senats des LSG im Urteil vom 27.10.2008 - L 2 R 49/08 - (nachgehend
Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R) und des BSG vom 7.11.2006 (SozR 4-1300 § 63 Nr 8) an. Eine über die
Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts des Klägers
liege hier vor. Der Bevollmächtigte habe sich im Widerspruchsverfahren mit den Gründen des Ablehnungsbescheids
auseinandergesetzt und im Einzelnen dargelegt, warum der Kläger unter Berücksichtigung der vorgelegten
Arbeitsplatzbeschreibung einen Anspruch auf Kostenübernahme für die begehrte Hörgeräteversorgung habe. Als
weiteres Beweismittel sei eine Bestätigung des Arbeitgebers vorgelegt worden. Der qualifizierte Vortrag und das
weitere Beweismittel hätten zur Erledigung des Widerspruchsverfahrens beigetragen. Insoweit könne auf das Urteil
des BSG vom 2.10.2008 (SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1) verwiesen werden, wo eine Erledigungsgebühr nach Vorlage
neuer (medizinischer) Beweismittel im Widerspruchsverfahren zugesprochen worden sei. Unschädlich für das
Entstehen der Erledigungsgebühr sei, dass das Widerspruchsverfahren durch Widerspruchs- und nicht durch
Abhilfebescheid erledigt worden sei.
7
Mit der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 2.10.2008 und 5.5.2009) sei davon auszugehen, dass für das
Entstehen der Erledigungsgebühr kein beiderseitiges Nachgeben erforderlich sei. Für eine solche einengende
Auslegung ließen sich weder Wortlaut noch Sinn und Zweck von Nr 1002 VV RVG heranziehen. Auch der
Vorläuferregelung von § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) lasse sich dies dem Wortlaut nach nicht
entnehmen. Die Zielsetzung von Nr 1002 VV RVG, namentlich die anwaltliche Mitwirkung an einer insbesondere die
Gerichte entlastenden Erledigung von Streitigkeiten besonders zu honorieren, liefe nach der von der Beklagten
vertretenen Ansicht leer. Die Erledigungsgebühr falle selbst dann an, wenn sich der mit einem Rechtsbehelf
angefochtene Verwaltungsakt teilweise erledige, zB durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen
Verwaltungsakts.
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Die parallele Regelung zur Einigungsgebühr in Nr 1000 VV RVG honoriere jegliche vertragliche Beilegung des
Rechtsstreits und fordere auch nicht mehr das für die Vergleichsgebühr seinerzeit noch erforderliche Nachgeben (§ 23
BRAGO iVm § 779 BGB). Nach den Gesetzesmaterialien sollte Streit darüber vermieden werden, welche Abreden als
Nachgeben zu bewerten seien. Für das Entstehen der Erledigungsgebühr komme es allein darauf an, ob eine
qualifizierte anwaltliche Mitwirkung vorgelegen habe.
9
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 63
Abs 2 SGB X und § 2 Abs 2 Satz 1 RVG iVm Nr 1002 VV RVG. Zwar stimme sie dem LSG insofern zu, als der
Bevollmächtigte des Klägers eine anwaltliche Tätigkeit erbracht habe, die über das Maß hinausgehe, das schon durch
den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Verfahren abgegolten sei.
Dies entspreche den Vorgaben des BSG (SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 und Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R
137/08 R). Darüber hinaus müsse ein gegenseitiges Nachgeben der Beteiligten zur Erledigung des
Widerspruchsverfahrens geführt haben. Nach der og Rechtsprechung werde nicht deutlich, weshalb die frühere
Rechtsprechung zu § 116 Abs 3 Satz 2 und § 24 BRAGO, die auf ein beiderseitiges Nachgeben als Voraussetzung
des Entstehens einer Erledigungsgebühr abstellte, nunmehr überholt sei. Schließlich sei der Wortlaut der Nr 1002
Satz 1 VV RVG nahezu identisch mit dem des § 24 BRAGO. Der Wortlaut der neuen Nr 1002 Satz 2 VV RVG sei
jedoch nicht eindeutig. Für ihre Meinung spreche, dass der Gesetzgeber eine Gleichbehandlung von Anfechtungs- und
Verpflichtungswiderspruch beabsichtigt habe. Hierfür sei auch der enge systematische Zusammenhang zur Nr 1000
VV RVG anzuführen, wonach die Einigungsgebühr nur bei gegenseitigem Nachgeben entstehe. Unter
Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1971, S 204) spreche auch der Regelungszweck von Nr
1002 VV RVG für diese Auffassung. Danach solle eine verfahrensvermeidende bzw -beendende Tätigkeit des
Bevollmächtigten als Anreiz für die Erledigung gefördert werden. Hierfür reiche eine bloße Abhilfeentscheidung der
Behörde nicht aus. Dem entspreche die Entstehungsgeschichte. Nr 1002 VV RVG sei die Nachfolgevorschrift zu § 24
BRAGO. Letztere habe ein gegenseitiges Nachgeben der Beteiligten vorausgesetzt, um die Erledigungsgebühr
entstehen zu lassen. Hingegen könne diese bei voller Abhilfe bzw Stattgabe des Widerspruchs nicht beansprucht
werden.
10
Die Beklagte trägt ferner vor, dass dem Kläger auch kein Anspruch auf eine Regelgeschäftsgebühr nach Nr 2500
(jetzt Nr 2400) VV RVG aF, sondern nur ein Anspruch auf eine verminderte Geschäftsgebühr nach Nr 2501 (jetzt Nr
2401) VV RVG aF zustehe, weil der Bevollmächtigte bereits bei Antragstellung im Verwaltungsverfahren tätig
geworden sei. Hierfür beruft sie sich auf das Urteil des BSG vom 25.2.2010 (BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr
12). Die reduzierte Geschäftsgebühr sei iHv 120 Euro nebst Umsatzsteuer in Höhe von 16 % angefallen. Selbst unter
Zugrundelegung der streitigen Erledigungsgebühr iHv 280 Euro plus 16 % Umsatzsteuer verbleibe lediglich noch ein
Betrag von 185,60 Euro, der allenfalls an den Kläger zu erstatten sei.
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Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 15. Juli 2009 und des SG Trier vom 24. Juli 2007
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte habe eingeräumt, dass der Bevollmächtigte eine
anwaltliche Tätigkeit erbracht habe, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen
Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten sei. Dass
darüber hinaus ein gegenseitiges Nachgeben erforderlich sei, stehe im Widerspruch zu den Entscheidungen des BSG
vom 7.11.2006 (SozR 4-1300 § 63 Nr 8; B 1 KR 13/06 R; B 1 KR 22/06 R). Eine Korrektur des Ansatzes für die
Geschäftsgebühr sei im Revisionsverfahren nicht mehr möglich.
14
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden
erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).
II
15
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet, soweit die Vorinstanzen dem Kläger zu Unrecht einen
Kostenerstattungsanspruch von mehr als 185,60 Euro zuerkannt haben. Die Urteile des SG und des LSG waren daher
abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen. Die weitergehende Revision war zurückzuweisen.
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1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Revision und
Berufung sind durch ausdrückliche Zulassung der Vorinstanz statthaft. Das Rechtsmittel ist nicht ausgeschlossen,
wenn in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird. Es handelt sich dann nicht um
Kosten des sozialgerichtlichen Verfahren iS von § 144 Abs 4, § 165 Satz 1 SGG (stRspr, vgl BSG SozR 3-1500 §
144 Nr 13 S 30; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 1 RdNr 6; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 11; BSGE 104, 30 = SozR 4-
1935 § 14 Nr 2, RdNr 9; BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 11; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R -
Juris RdNr 12).
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2. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).
18
a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Entscheidung der Beklagten, in welcher Höhe der Betrag der zu
erstattenden Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren festzusetzen ist (§ 63 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X). Sie
hat entschieden, dass dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind (Bescheid vom
3.3.2006, § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X). Zwar hat das LSG nicht festgestellt, ob die Beklagte die Zuziehung eines
Rechtsanwalts für notwendig erklärt hat (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X); allerdings liegt eine solche Feststellung
konkludent in der Festsetzung des Erstattungsbetrags iHv 301,60 Euro (Bescheid vom 21.3.2006;
Widerspruchsbescheid vom 22.6.2006). Einer weitergehenden Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) bedurfte
es daher nicht (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 12; BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14
Nr 2, RdNr 12; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 12).
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b) Die angefochtene Kostenentscheidung hat den Erstattungsbetrag auf 301,60 Euro festgesetzt. Im Streit steht die
Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, weitere 324,80 Euro an Rechtsanwaltsgebühren des isolierten Vorverfahrens zu
erstatten.
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Anders als der Kläger meint, kann die Anfechtung des Kostenfestsetzungsbescheids nicht auf die Höhe der
Erledigungsgebühr wirksam begrenzt werden. Vielmehr steht die Höhe der Geschäftsgebühr ebenfalls zur
Überprüfung; dies gälte auch dann, wenn sie nicht - erstmals im Revisionsverfahren - von der Beklagten gerügt
worden wäre. Die Erledigungs- und die Geschäftsgebühr sind lediglich einzelne Berechnungsfaktoren der
Kostenfestsetzung, aus denen sich die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs neben anderen Faktoren insgesamt
zusammensetzt. Die isolierte Festsetzung einer Erledigungsgebühr sieht das Gesetz hingegen nicht vor; sie enthielte
auch keine Regelung, die Bindungswirkung entfalten könnte. Obwohl die Beklagte die Geschäftsgebühr antragsgemäß
in voller Höhe erstattet hat, haben die Gerichte eigenständig nach Maßgabe des Gesetzes unter Berücksichtigung der
Berechnungsfaktoren zu entscheiden, ob dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf höhere Kostenerstattung zusteht,
als die Behörde bislang festgesetzt hat. Der Kläger ist insofern allerdings durch das prozessuale Verböserungsverbot
vor einer im Ergebnis niedrigeren Kostenerstattung geschützt (vgl zur Höhe der Bestimmung der Rahmengebühr bzw
des Gegenstandswerts als Berechnungsfaktor der Kostenfestsetzung: BSG vom 9.4.2008 - B 6 KA 3/07 B - Juris
RdNr 12; BSG SozR 1300 § 63 Nr 8 S 25 ff, jeweils mwN; zustimmend Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, §
63 RdNr 45).
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3. Der Kläger hat gemäß § 63 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X Anspruch auf Erstattung seiner
Aufwendungen auf der Grundlage der Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 iVm Nr 1005 und Nr 1002 VV RVG.
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a) Nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X hat bei einem erfolgreichen (isolierten) Vorverfahren der Rechtsträger, dessen
Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dabei sind nach § 63 Abs 2 SGB X die Gebühren und
Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten
notwendig war. Gemäß § 63 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen
hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest.
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b) Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte richtet seit dem 1.7.2004
nach dem RVG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5.5.2004 (BGBl
I 2004, 718; vgl § 1 Abs 1 Satz 1 RVG). Der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit ist dem Bevollmächtigten nach
dem 30.6.2004 erteilt worden.
24
aa) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 RVG nach dem VV der Anlage 1 zum RVG. Eine
Erledigungsgebühr nach Nr 1005 VV RVG kommt bei einer "Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen
Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen," in Betracht.
Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG)
nicht anzuwenden ist (§ 3 Abs 1 Satz 1 RVG). Abs 1 gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen
Verfahrens (§ 3 Abs 2 RVG). Ginge es hier um ein gerichtliches Verfahren, wäre gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 RVG eine
Betragsrahmengebühr entstanden. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Versorgung mit
einem Hörgerät als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben behauptet. Hierfür wäre im Fall der Klageerhebung gemäß §
51 Abs 1 Nr 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Dann entstünden auch Betragsrahmengebühren,
da der Kläger den Anspruch als Versicherter geltend macht (§ 3 Abs 1 Satz 1 RVG, § 183 Satz 1 SGG).
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bb) Zutreffend hat das LSG festgestellt, dass auch die weiteren Voraussetzungen für das Entstehen einer
Erledigungsgebühr nach Nr 1005 iVm Nr 1002 VV RVG erfüllt sind. Nach den amtlichen, vom Gesetzestext
umfassten Erläuterungen zu Nr 1002 Satz 1 VV RVG setzt diese Vorschrift voraus, dass "sich eine Rechtssache
ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts
durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt". Dem steht nach Satz 2 gleich, dass "sich eine Rechtssache ganz oder
teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt". Das LSG hat zutreffend festgestellt, dass
sich das isolierte Vorverfahren "durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt" hat.
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Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG kann eine Erledigungsgebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines
isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid nur beansprucht werden, wenn der Anwalt eine über die Einlegung und
Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat. Nach dem Wortlaut der Erläuterungen
zu Nr 1002 (Satz 2) VV RVG kommt es hiernach für das Entstehen einer Erledigungsgebühr sowohl in einer
Anfechtungssituation als auch bei einem Verpflichtungsrechtsbehelf auf die auf Erledigung gerichtete Mithilfe des
Anwalts an. Auch die Regelungssystematik, der Sinn und Zweck der Regelung sowie ihre Entstehungsgeschichte
erfordern eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über das Maß desjenigen
hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen
Widerspruchsverfahren abgegolten wird (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr 16; BSG vom
5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 22; BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 42; BSG SozR 4-1935 VV
Nr 1002 Nr 1 RdNr 14; BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - Juris RdNr 15; BSG vom 21.3.2007 - B 11a AL 53/06
R - Juris RdNr 16; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 20 ff; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 22/06 R - und B 1 KR 13/06
R, jeweils RdNr 20 ff; für die Literatur zustimmend: Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, Anhang zu § 63 RdNr
43b; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl 2010, Nr 1002 VV RdNr 38; Straßfeld, NZS 2010, 253, 259;
dieselbe, Brennpunkte des Sozialrechts 2009, 219, 247; dieselbe, SGb 2008, 635, 641; Köhler, ZFSH/SGB 2009, 67,
76; Becker in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB X, Stand 2010, K § 63 RdNr 98; Curkovic in Bischof, RVG-
Kompaktkommentar, 2. Aufl 2007, Nr 1002 VV RdNr 9 f, Nr 1005 VV RdNr 3; Mayer in Mayer/Kroiß (Hrsg), RVG-HK,
2. Aufl 2006, Nr 1002 VV RdNr 18).
27
Eine solche qualifizierte, eine Erledigungsgebühr begründende Tätigkeit liegt zB vor, wenn der Rechtsanwalt zum
Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue, bisher noch nicht bekannte
Beweismittel im Widerspruchsverfahren beibringt (zB neu erstattete Befundberichte, vgl BSG SozR 4-1935 VV Nr
1002 Nr 1 RdNr 15). Anders verhält es sich bei der Vorlage schon präsenter Beweismittel im Rahmen der dem
Widerspruchsführer ohnehin obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X), deren unaufgeforderte Vorlage
bereits mit der Geschäftsgebühr bzw der Auslagenpauschale abgegolten ist (vgl BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB
3/07 R - Juris RdNr 16 f; vgl auch BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 22).
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cc) Wie die Beklagte selbst einräumt, liegt im vorliegenden Fall eine über die Einlegung und Begründung des
Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit im Sinne einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des
Rechtsanwalts vor, die ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens durch Abhilfebescheid war.
Ungeachtet dessen tragen die für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG dieses
Ergebnis unter Zugrundelegung der aufgezeigten Maßstäbe. Der Bevollmächtigte des Klägers hat den Widerspruch
nicht nur eingelegt und begründet, sondern darüber hinaus zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher
Tatsachen unaufgefordert die Bestätigung des Arbeitgebers vom 10.2.2006 beigebracht, in der dieser die Richtigkeit
der vom Kläger gemachten Angaben vom 9.2.2006 zu den "Hörprobleme(n) am Arbeitsplatz" bestätigte. Das während
des laufenden Widerspruchsverfahrens zur Glaubhaftmachung der Angaben des Klägers erstellte Schreiben hat die
Beklagte im Wege des Urkundsbeweises (§ 21 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 416 ZPO) verwertet.
Unerheblich ist, dass der Kläger eine inhaltlich identische Schilderung bereits bei Antragstellung im Dezember 2005
übersandt hatte. Denn erst die vom Kläger unaufgefordert vorgelegte Arbeitgeberbestätigung machte weitere
Sachverhaltsermittlungen der Beklagten, zB durch Nachfragen beim Arbeitgeber, entbehrlich. Deshalb kommt es auch
nicht auf den Umfang der Bestätigung (1,5 Zeilen) an. Entscheidend ist vielmehr der dem Anwalt entstandene
Aufwand, der ua durch das Bemühen entstanden ist, an den Arbeitgeber im aufgezeigten Sinne heranzutreten. Mit der
Vorlage dieser selbst beschafften Urkunde hat der Bevollmächtigte des Klägers den Rahmen der seinem Mandanten
obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X; § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Nr 3 SGB I) überobligatorisch
erfüllt (§ 21 Abs 2 Satz 3 SGB X).
29
Die Vorlage der Arbeitgeberbestätigung vom 10.2.2006 war im vorliegenden Fall auch ursächlich für die (unstreitige)
Erledigung des Vorverfahrens durch Abhilfebescheid. Denn die Beklagte hat unter Berücksichtigung der vom Kläger
geschilderten berufsbedingten Anforderungen an sein Hörvermögen und der Bestätigung der Richtigkeit dieser
Angaben durch den Arbeitgeber dem Widerspruch abgeholfen. Entgegen den Feststellungen des LSG erfolgte die
Erledigung nicht durch (stattgebenden) Widerspruchsbescheid.
30
dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten bedurfte es für das Entstehen der Erledigungsgebühr auch keines
zusätzlichen "beiderseitigen Nachgebens" der Beteiligten. Hierfür ergeben sich unter Geltung des RVG keine
tragfähigen rechtlichen Gesichtspunkte.
31
Der 9. Senat des BSG hat seine Rechtsprechung insoweit aufgegeben, als er vor dem Inkrafttreten des RVG die
Auffassung vertreten hatte, dass eine gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung eines Bevollmächtigten nach
§ 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO (idF des Gesetzes vom 20.8.1990, (BGBl I 1765)) nur dann vorlag, wenn sich die
Rechtssache durch beiderseitiges Nachgeben erledigt hatte (vgl BSG SozR 3-1930 § 116 Nr 7 S 23 f; BSGE 97, 153
= SozR 4-1500 § 183 Nr 4, RdNr 19). Diese Rechtsprechung ist aufgrund des Wortlauts der inhaltlich neuen
Erläuterung zu Nr 1002 (Satz 2) VV RVG überholt, mit welcher die teilweise und die vollständige Abhilfe gleichgestellt
werden (so BSG SozR 4-1935 VV Nr 1002 Nr 1 RdNr 14; BSG vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - Juris RdNr 15).
Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat bereits angeschlossen und ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass der geänderte Wortlaut von Nr 1002 Satz 2 VV RVG nicht mehr auf ein beiderseitiges Nachgeben abstellt,
sondern teilweise und vollständige Abhilfe gleichstellt (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr
16).
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Der Revisionsvortrag - auch im Vergleich zur Revisionserwiderung der identischen Beklagten im entschiedenen
Verfahren B 13 R 137/08 R - enthält insofern keine neuen Argumente, die Anlass geben könnten, von dieser
gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Deshalb kann auf die vom 1. Senat des BSG getroffene Auslegung unter
Zugrundelegung des Wortlauts, der systematischen Zusammenhänge mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn
und Zweck der Regelung und der Entstehungsgeschichte von Nr 1005 iVm Nr 1002 VV RVG verwiesen werden,
wonach die Erledigungsgebühr "ein besonderes Bemühen" um eine Erledigung (nicht "Einigung") des Rechtsanwalts
im Widerspruchsverfahren voraussetzt. Nur insofern ist die zu § 24 BRAGO iVm § 116 Abs 4 Satz 2 BRAGO (idF des
Gesetzes vom 17.8.2001 (BGBl I 2144)) bzw § 116 Abs 3 Satz 2 BRAGO (idF des Gesetzes vom 20.8.1990 (BGBl I
1765)) ergangene Rechtsprechung auf Nr 1005 VV RVG noch übertragbar (BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr 25
mwN). Für ein beiderseitiges Nachgeben als Voraussetzung des Entstehens der Erledigungsgebühr lassen die
genannten neuen Vorschriften und mit ihnen die hierzu ergangene Rechtsprechung keinen Raum mehr. Allein
entscheidend ist vielmehr, ob eine Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Erledigung des (isolierten)
Widerspruchsverfahrens durch Abhilfebescheid vorliegt, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch
den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren
abgegolten wird (BSG aaO; zustimmend Straßfeld, NZS 2010, 253, 258 f; dieselbe, Brennpunkte des Sozialrechts
2009, 219, 248; Mayer in Mayer/Kroiß (Hrsg), RVG-HK, 2. Aufl 2006, Nr 1002 VV RdNr 12).
33
Auch auf den weiteren Revisionsvortrag, der danach differenziert, ob sich die Rechtssache erst nach Aufhebung bzw
Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Verwaltungsakt erledige, kommt es nach der vorliegenden
Rechtsprechung für das Entstehen einer Erledigungsgebühr nicht an; ebenso wenig darauf, ob die Nr 1002 VV RVG
eine teilweise und vollständige Abhilfe oder eine teilweise und vollständige Erledigung gleichstelle. Unerheblich ist
schließlich, ob eine verfahrensvermeidende oder -beendende Funktion der anwaltlichen Tätigkeit feststellbar sein
muss oder ob es "zufälliger" Erfolg einer eigentlich "verfahrensgewinnenden" Funktion der anwaltlichen Tätigkeit ist,
dass die Beklagte dem Widerspruch abgeholfen hat (vgl Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - Juris RdNr
20).
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ee) Die Höhe der Erledigungsgebühr als solche ist von der Beklagten nicht angegriffen worden. Sie entspricht der
Mittelgebühr von 280 Euro nach § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Nr 1005 VV RVG (Rahmengebühr zwischen 40 und 520 Euro).
Die Mittelgebühr errechnet sich aus der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschieds zwischen Mindest- und
Höchstgebühr. Sie kann auch ermittelt werden, indem man Mindest- und Höchstgebühr addiert und das Ergebnis
durch zwei dividiert (hier: 40 plus 520, geteilt durch 2 = 280 Euro; vgl allgemein zur Berechnung, BSGE 104, 30 =
SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 23 mwN).
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Innerhalb des Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG). Die Mittelgebühr ist auch unter Geltung des RVG im
Grundsatz in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten
vom Durchschnitt abhebt; sie gilt in "Normalfällen" als billige Gebühr (BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr
24 f mwN; BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 16 ff). Dass die anwaltliche Tätigkeit insbesondere
weder umfangreich noch schwierig, mithin durchschnittlicher Art gewesen ist, folgt aus den bindenden (§ 163 SGG)
Feststellungen des LSG.
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4. Der Kläger hat jedoch nur Anspruch auf Erstattung der reduzierten Geschäftsgebühr gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 RVG
iVm Nr 2500, 2501 VV RVG aF (als Nr 2400, 2401 VV RVG in der ab 1.7.2006 geltenden Fassung von Art 5 Abs 1 Nr
4 Buchst b KostRMoG fortgeführt). Nach der amtlichen Vorbemerkung zu Nr 2500 VV RVG aF entsteht die
Geschäftsgebühr ua für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information; sie beträgt in sozialrechtlichen
Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 40 bis 520 Euro,
wobei eine Gebühr von mehr als 240 Euro nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig
war. Zusätzlich bestimmt Nr 2501 VV RVG aF für den Fall des Vorausgehens einer Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren, dass die Gebühr für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende
Verwaltungsverfahren 40 bis 260 Euro beträgt, wobei eine Gebühr von mehr als 120 Euro nur gefordert werden kann,
wenn die Tätigkeit umfangreich und schwierig war (sog Schwellengebühr). Der durch die Vorbefassung der
Angelegenheit im Verwaltungsverfahren ersparte Aufwand soll durch einen geringeren Gebührenrahmen abgegolten
werden (vgl BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 20 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/1971 S 208).
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a) Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 und Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB X lediglich die
geminderte Geschäftsgebühr nach Nr 2501 VV RVG aF iVm § 14 RVG zu erstatten. Nach den bindenden
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war der Bevollmächtigte des Klägers bereits im (selben) vorausgegangenen
Verwaltungsverfahren mit der Angelegenheit befasst, als er die Kostenübernahme für das digitale Hörgerät durch
Anwaltsschreiben im Dezember 2005 bei der Beklagten beantragt hat. Damit war das hierauf gerichtete
Verwaltungsverfahren eröffnet (§ 116 Abs 2 Nr 1 SGB VI; § 18 Satz 2 Nr 1 SGB X).
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Für die anwaltliche Tätigkeit im Verwaltungsverfahren besteht kein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten. Im
Hinblick auf das Gebührenrecht handelt es sich beim Verwaltungs- und beim Widerspruchsverfahren um
unterschiedliche Angelegenheiten. Für eine Kostenerstattung von Aufwendungen für das dem Widerspruchsverfahren
vorausgegangene Verwaltungsverfahren bietet § 63 SGB X keine Rechtsgrundlage (vgl BSGE 106, 21 = SozR 4-1300
§ 63 Nr 12, RdNr 14 ff, 19; BSGE 55, 92, 94 = SozR 1300 § 63 Nr 1 S 3; zustimmend Roos in von Wulffen, SGB X,
7. Aufl 2010, § 63 RdNr 6).
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b) Die Geschäftsgebühr nach Nr 2500 VV RVG aF iHv 240 Euro zzgl darauf entfallende Umsatzsteuer war daher im
angefochtenen Kostenbescheid unzutreffend festgesetzt. Dem Kläger stand nur die verminderte Geschäftsgebühr
nach Nr 2501 VV RVG aF zzgl Umsatzsteuer zu. Es handelt sich hierbei um die ausgehend von der Mittelgebühr (150
Euro) um den Schwellenwert (30 Euro) gekappte Schwellengebühr (120 Euro). Die Einführung der Schwellengebühr hat
zur Folge, dass die in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr in einem zweiten
Schritt in Höhe des Schwellenwertes gekappt wird, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit mehr als durchschnittlich ist (zur Berechnung vgl BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 22; BSG
vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - Juris RdNr 15 f; BSG vom 29.3.2007- B 9a SB 4/06 R - Juris RdNr 16).
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Wie bereits zur Erledigungsgebühr ausgeführt, bieten die bindenden Feststellungen des LSG keine greifbaren
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer überdurchschnittlich umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit des
Bevollmächtigten, die Anlass geben könnten, eine höhere Geschäftsgebühr als 120 Euro anzunehmen. Dies hat auch
der Kläger weder behauptet, noch ergibt sich dies aus der vom Bevollmächtigten vorgelegten Kostennote. Umstände,
die die Öffnung des Gebührenrahmens über die Schwellengebühr hinaus rechtfertigten (vgl dazu ausführlich BSGE
104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 22 ff), sind daher nicht ersichtlich.
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5. Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 21.3.2006 ist unter Berücksichtigung der entstandenen Erledigungsgebühr
einerseits und der reduzierten Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr andererseits zu korrigieren. Es verbleibt
ein noch an den Kläger zu erstattender Betrag von 185,60 Euro. Hierin enthalten ist die auf die Gebührenansätze
anfallende Umsatzsteuer (67,20 Euro) nach Nr 7008 VV RVG (iHv 16 %, § 12 Abs 1 Umsatzsteuergesetz idF vom
21.2.2005 (BGBl I 386)) und der Gebührenansatz für die Postpauschale nach Nr 7002 VV RVG (20 Euro).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das anteilsmäßige Unterliegen bzw Obsiegen der
Beteiligen.