Urteil des BSG vom 10.04.2008

BSG (versorgung, verhältnis zwischen, klage auf zahlung, baden, leistungserbringer, krankenkasse, württemberg, hilfsmittel, gesetzliche grundlage, leistung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 10.4.2008, B 3 KR 8/07 R
Krankenversicherung - Vergütungsanspruch - Hilfsmittelerbringer -
landesgrenzenüberschreitende Versorgung - keine Verbindlichkeit des
Hilfsmittelverzeichnisses für Gericht - öffentlich-rechtlicher Beschaffungsvertrag -
Entscheidung über nicht revisible Rechtsnormen - Einreichung - Kostenvoranschlag -
zwingendes Element für Beschaffungsweg
Leitsätze
Ein Hilfsmittelerbringer kann auch ohne Beteiligung an dem maßgeblichen Rahmenvertrag
einen Vergütungsanspruch gegen eine Krankenkasse aus einem anderen Bundesland haben
(Fortführung von BSG vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr
1).
Tatbestand
1
Streitig ist die Vergütung einer Hilfsmittelversorgung.
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Die Klägerin ist eine gemäß § 126 SGB V zugelassene Hilfsmittellieferantin mit Sitz in
Bayern. Sie belieferte die bei der Beklagten - Sitz in Baden-Württemberg - versicherte
Beigeladene am 11.8.2004 mit einer motorgetriebenen Schulterbewegungsschiene
(CPM-Schiene), nachdem sich die Beigeladene am Tag zuvor einer ambulanten
Schulterarthroskopie unterzogen hatte. Erstmals am 19.8.2004 wandte sich die
Klägerin mit einem Kostenvoranschlag vom 17.8.2004 an die Beklagte und begehrte
die Zahlung von 415,28 Euro für die Überlassung der CPM-Schiene über einen
Zeitraum von drei Wochen. Die Beklagte lehnte dies ab, weil CPM-Schienen nicht
mehr als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnungsfähig
seien; die Produkte seien aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen worden.
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Nach weiterem Schriftwechsel und zwischenzeitlicher Einschaltung des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung hat die Klägerin Klage auf Zahlung
von 415,28 Euro erhoben. Die Beklagte hat eingewendet, den nach § 127 Abs 1 SGB
V - hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2004 und bis 31.3.2007 geltenden Fassung
(aF) des "Gesetzes zur Modernisierung der GKV" vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) - von
den Landesverbänden der Krankenkassen mit den Verbänden der Leistungserbringer
abzuschließenden Landesverträgen komme eine Wirkung für Krankenkassen und
Leistungserbringer in anderen Bundesländern nicht zu. Deshalb fehle es an einer
wirksamen vertraglichen Abrede zwischen der Klägerin und ihr. Zudem sei der
therapeutische Nutzen einer CPM-Schiene entgegen § 135 SGB V nicht
nachgewiesen. Im Übrigen hätten alternative Therapien wie passive
Bewegungsübungen und Krankengymnastik zur Verfügung gestanden.
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Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte nach Einholung ua eines chirurgischen
Gutachtens zur Zahlung von159,89 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen
abgewiesen (Urteil vom 14.11.2005). Rechtsgrundlage der Vergütung sei die auf der
Grundlage des § 127 Abs 1 SGB V aF getroffene "Vereinbarung über die Lieferung
von Rollstühlen und Rehabilitationsmitteln zwischen der AOK Bayern und dem
zuständigen Fachverband" vom 23.10.2003 (BayRahmenV). Die Klägerin sei Mitglied
dieses Fachverbandes und die BayRahmenV entfalte einen Rechtsreflex auch gegen
die Beklagte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Einsatz der CPM-
Schiene aber nur für die Dauer einer Woche notwendig gewesen, weshalb die
Klägerin lediglich einen entsprechend anteiligen Anspruch habe. Das
Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
abgewiesen (Urteil vom 8.3.2007): Es fehle an einer Anspruchsgrundlage für die
Forderung der Klägerin. § 127 Abs 1 Satz 1 SGB V aF entfalte Bindungswirkung nur
für die Mitgliedskassen der Landesverbände. Die vom Bundessozialgericht (BSG) mit
Urteil vom 17.1.1996 (BSGE 77, 194, 200 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 7 f) zur
Arzneimittelversorgung aufgestellten Grundsätze seien auf die Hilfsmittelversorgung
nicht übertragbar, weil die bei der Arzneimittelversorgung zu berücksichtigende hohe
Mobilität der Bevölkerung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln, insbesondere mit
Bewegungsschienen, nicht gegeben sei. Auf die Erforderlichkeit der
Hilfsmittelversorgung komme es im vorliegenden Einzelfall deshalb nicht an.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sinn und
Zweck von § 127 SGB V aF bestehe nicht darin, gemäß § 126 SGB V aF bundesweit
zugelassene Hilfsmittellieferanten auszugrenzen. Die vom BSG zur
Arzneimittelversorgung entwickelten Grundsätze träfen auch im Hilfsmittelbereich zu.
Anzuwenden sei hier konkret der Rahmenvertrag, dem der Hilfsmittellieferant
beigetreten sei.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. März 2007 zu ändern
und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend
entschieden, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin nicht besteht. Für die
Versorgung der Versicherten kann die Klägerin weder eine vertragliche Vergütung
nach dem SGB V noch eine Zahlung aus einem anderen Rechtsgrund
beanspruchen.
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1. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch kommt nur
ein öffentlich-rechtlicher Gebrauchsüberlassungsvertrag zwischen der Klägerin und
der beklagten Krankenkasse in Betracht. Dieser beruht auf § 2 Abs 2 Satz 3 SGB V
in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung des "Gesetzes zur Einordnung des
Sozialhilferechts in das SGB" vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) iVm § 69 SGB V in der
ab 1.1.2004 geltenden Fassung des "Gesetzes zur Modernisierung der GKV" vom
14.11.2003 (BGBl I 2190) und §§ 126 f SGB V aF. Nach diesen Vorschriften
schließen die Krankenkassen über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen
nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2
Abs 2 Satz 3 SGB V) , die dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind (§ 69 Satz 1
SGB V; vgl dazu BSGE 89, 24, 32 = SozR 3-2500 § 69 Nr 1 S 9 f) . Für die
Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V richtet sich die Konkretisierung des
Leistungserbringerrechts nach §§ 126 f SGB V aF: Danach durften Hilfsmittel nur von
zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden (§ 126 Abs 1 Satz 1 SGB V
aF). Über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln sowie über die Preise und
deren Abrechnung hatten die Landesverbände der Krankenkassen sowie die
Verbände der Ersatzkassen mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen Verträge mit
Verbänden der Leistungserbringer zu schließen, soweit Festbeträge noch nicht
festgelegt waren oder nicht festgelegt werden konnten (§ 127 Abs 1 Satz 1 SGB V
aF) . Die Klägerin hat einen Anspruch auf Vergütung der von ihr erbrachten Leistung
demnach nur erworben, wenn zwischen ihr und der Beklagten ein Vertrag über die
Gebrauchsüberlassung der CPM-Schiene an die Beigeladene zustande gekommen
ist und die Klägerin daraus einen Vergütungsanspruch herleiten kann. Dies ist hier
indes nicht der Fall.
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2. Dem Zustandekommen eines Vertrages über die Versorgung mit einer CPM-
Schiene steht - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht bereits entgegen,
dass dieses Hilfsmittel aus dem Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V aF
gestrichen worden ist. Wie das BSG bereits wiederholt festgestellt hat, steht den
Spitzenverbänden der Krankenkassen keine gesetzliche Ermächtigung zu, ihre
Leistungspflicht gegenüber den Versicherten durch das Hilfsmittelverzeichnis im
Sinne einer Positivliste abschließend festzulegen( vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16,
20 und 27 <3. Senat> sowie SozR 3-2500 § 33 Nr 25 <8. Senat> ). Demzufolge
können durch das Hilfsmittelverzeichnis keine Hilfsmittel von der Versorgung der
Versicherten ausgeschlossen werden, die den gesetzlichen Anforderungen des § 33
SGB V genügen. Das Hilfsmittelverzeichnis schafft lediglich eine Auslegungshilfe,
die zudem im Streitfall für die Gerichte unverbindlich ist (BSG, aaO).
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3. Das Zustandekommen eines Vertrages über Leistung - Gebrauchsüberlassung der
CPM-Schiene an die Beigeladene - und Gegenleistung - Vergütungspflicht der
Beklagten an die Klägerin - verlangt eine entsprechende Einigung zwischen der
Klägerin und der Beklagten. Daran fehlt es hier.
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a) Der Einigung über die erfolgte Gebrauchsüberlassung steht allerdings nicht schon
entgegen, dass die Klägerin als in Bayern ansässige Leistungserbringerin dem
Grunde nach keinen Vertrag über eine Hilfsmittelversorgung mit einer Krankenkasse
aus Baden-Württemberg schließen kann, wie die Beklagte im Verfahren geltend
gemacht hat. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus § 127 Abs 1 Satz 1 SGB V aF.
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Nach dieser Regelung waren die Rahmenverträge über Einzelheiten der Versorgung
mit Hilfsmitteln, über Preise und Abrechnung zwischen den Verbänden der
Leistungserbringer und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den
Verbänden der Ersatzkassen jeweils "mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen" zu
schließen, soweit Festbeträge noch nicht festgelegt waren oder nicht festgelegt
werden konnten. Dem Wortlaut nach konnten danach Rahmenverträge über die
Versorgung mit Hilfsmitteln als der ersten Ebene der vertraglichen Ausgestaltung der
Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen (vgl zu den
verschiedenen Ebenen der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und
Leistungserbringern noch zum früheren Rechtszustand vor Änderung des § 69 SGB
V: BSGE 79, 28, 29 = SozR 3-2500 § 125 Nr 5 S 10 f) für landesunmittelbare Kassen
- wie hier die Beklagte - nur im Verhältnis zwischen dem betreffenden
Landesverband der Krankenkassen und dem Verband der Leistungserbringer
geschlossen werden, hier also zwischen der AOK Baden-Württemberg und dem für
Baden-Württemberg zuständigen Verband der Orthopädietechniker sowie der
Bayerischen AOK und dem dortigen Verband der Orthopädietechniker.
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b) Es braucht jedoch nicht entschieden zu werden, wie die Rahmenverträge bei
landesgrenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich wirken und ob das
Leistungsbeschaffungsverhältnis auf der Ebene des konkreten Leistungsaustauschs
- der zweiten Ebene der Vertragsgestaltung - in entsprechender oder unmittelbarer
Wirkung entweder des einen oder des anderen Rahmenvertrages abzuwickeln ist.
Denn selbst bei auf Landesebene geschlossenen Rahmenverträgen wäre ein
Leistungserbringer nicht gehindert, Versicherte einer in einem anderen Bundesland
ansässigen Krankenkasse mit einem Hilfsmittel zu versorgen. In der Rechtsprechung
des erkennenden Senats ist geklärt, dass die Zulassung eines Hilfsmittelerbringers
durch die für die Betriebsstätte örtlich zuständigen Landesverbände der
Krankenkassen bundesweit wirkt ( vgl BSGE 90, 220, 226 ff = SozR 4-2500 § 33 Nr 1
RdNr 18 ff ). Diese bundesweite Berechtigung zur Teilnahme an der
Hilfsmittelversorgung dürfte selbst dann nicht leer laufen, wenn die der Abwicklung
der Versorgung dienenden landesrechtlichen Rahmenverträge als Grundlage der
einzelvertraglichen Beschaffungsverhältnisse keine landesgrenzüberschreitenden
Rechtswirkungen entfalten würden. Zudem wäre kein Grund dafür ersichtlich, nur
den Versicherten der bundesunmittelbaren (Ersatz-)Kassen den Zugang zu allen im
Bundesgebiet zugelassenen Leistungserbringern von Hilfsmitteln zu eröffnen und die
Versicherten der landesunmittelbaren Krankenkassen auf Leistungserbringer
ausschließlich aus ihrem Bundesland zu beschränken.
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c) Eine Entscheidung, welcher der beiden in Betracht kommenden
Landesrahmenverträge im vorliegenden Fall anwendbar ist, braucht der Senat nicht
zu treffen. Denn es ist weder unter Geltung des baden-württembergischen noch des
bayerischen Rahmenvertrages ein Einzelvertrag über die hier im Streit stehende
Versorgung zustande gekommen. Die Klägerin durfte die Beigeladene nach keinem
der beiden Rahmenverträge zu Lasten der Beklagten mit einer CPM-Schiene
versorgen, weil sie nicht vorab einen Kostenvoranschlag eingereicht und die
Beklagte diese konkrete Versorgung genehmigt hat; die Beklagte ist nämlich
erstmals am 19.8.2004 mit dem Versorgungsvorgang befasst worden, obwohl die
CPM-Schiene bereits am 11.8.2004 zur Verfügung gestellt worden war.
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Öffentlich-rechtliche Beschaffungsverträge zur Versorgung von Versicherten mit
Hilfsmitteln nach § 33 SGB V kommen wie Verträge des Zivilrechts durch Angebot
und Annahme zustande. Im vorliegenden Fall ist eine bindende Vereinbarung der
Parteien indes weder nach dem Landesvertrag für Baden-Württemberg - nämlich
dem "Rahmenvertrag über die Lieferung von Hilfsmitteln gemäß § 127 SGB V
zwischen der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Baden Württemberg und der AOK
Baden-Württemberg und der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Baden-
Württemberg" vom 2.2.2004 (BaWüRahmenV) - noch nach dem Landesvertrag für
Bayern - BayRahmenV - zustande gekommen. Denn nach beiden Landesverträgen
ist die Versorgung mit Hilfsmitteln der hier vorliegenden Art von der vorherigen - nicht
eingeholten - Zustimmung der Krankenkasse abhängig.
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aa) Das Zustimmungserfordernis ergibt sich für Baden-Württemberg aus § 11 Abs 1
und 2 BaWüRahmenV. Danach ist für die Versorgung mit einer CPM-Schiene vorab
mit der vertragsärztlichen Verordnung ein Kostenvoranschlag zur Genehmigung
vorzulegen (§ 11 Abs 2 Satz 1 BaWüRahmenV) . § 11 Abs 1 Satz 1 BaWüRahmenV
erlaubt die Abgabe eines Hilfsmittels grundsätzlich nur nach vorheriger
Genehmigung durch den jeweiligen Leistungsträger im Einzelfall. Dies gilt nach
dessen Satz 2 nur dann nicht, wenn der Leistungsträger auf die Genehmigung
verzichtet hat. Ein solcher Verzicht besteht hier nicht. Im Gegenteil ergibt sich aus der
"Vereinbarung gemäß § 127 SGB V über den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln" vom
30.4.2004, dass wieder verwendbare Hilfsmittel grundsätzlich genehmigungspflichtig
sind und die Genehmigungsfreigrenzen (§ 11 Abs 1 Satz 2, 2. Halbsatz, und Abs 3
BaWüRahmenV) nicht für derartige Hilfsmittel gelten (§ 2 Abs 1 Vereinbarung vom
30.4.2004) . Die zugelassenen Ausnahmen von der Kostenvoranschlagspflicht sind
in Anlage 1 zur Vereinbarung vom 30.4.2004 enumerativ aufgeführt und erfassen
CPM-Schienen nicht.
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bb) Nichts anderes gilt für das Bundesland Bayern. Nach § 4 Abs 1 Satz 1
BayRahmenV hat der Lieferant einen Kostenvoranschlag einzureichen, es sei denn,
das Hilfsmittel ist als nicht genehmigungspflichtig gekennzeichnet. Bei der
gelieferten CPM-Schulterschiene handelt es sich weder um ein nicht
genehmigungspflichtiges Hilfsmittel noch um ein solches, das nach § 4 Abs 1 Satz 3
BayRahmenV trotz des Erfordernisses eines Kostenvoranschlages vorab geliefert
werden durfte ( Anlage 3n zum BayRahmenV ). Ein Kostenvoranschlag war auch
nicht nach § 4 Abs 7 BayRahmenV entbehrlich, weil der Versorgungsauftrag nicht
direkt von der Beklagten erteilt worden war. Nach § 6 Abs 7 BayRahmenV hätte
überdies eine Versorgungsanzeige erfolgen müssen; dies ergibt sich ausdrücklich
aus der oa Anlage 3n, welche auch die Produktgruppe der fremdkraftbetriebenen
Schulterbewegungsschienen umfasst.
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cc) An diesen Feststellungen ist der erkennende Senat nicht deshalb gehindert, weil
das LSG den Inhalt der beiden Verträge nicht ermittelt hat. Das würde selbst dann
gelten, wenn es sich insoweit um nicht revisibles Recht iS des § 162 SGG handelte.
Die Vorschrift des § 162 Abs 2 SGG steht der Anwendung einer nicht revisiblen
Rechtsnorm durch das Revisionsgericht dann nicht entgegen, wenn das
Berufungsgericht diese Rechtsnorm - wie hier - unberücksichtigt gelassen hat (vgl
BSGE 7, 122, 125; 53, 242, 245 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 S 87; BSGE 62, 131, 133
= SozR 4100 § 141b Nr 40 S 151; SozR 4-2500 § 33 Nr 14 RdNr 12 stRspr; vgl auch
Lüdtke, Handkommentar zum SGG, 2. Aufl 2006, § 162 RdNr 13, und
Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, IX.
Kap RdNr 301 mwN) .
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4. Das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung der Krankenkasse zur Versorgung
ihrer Versicherten mit einer CPM-Schiene ist nicht ausnahmsweise deshalb
entbehrlich, weil die Versorgung eine iS von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V
unaufschiebbare Leistung betroffen hat. Dabei ist schon äußerst zweifelhaft, ob die
für das Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenkassen geltende
Kostenerstattungsnorm des § 13 Abs 3 SGB V für Leistungserbringer überhaupt
irgendwelche Rechtswirkungen entfalten kann. Denn hier ist jedenfalls nicht
erkennbar, dass die Versorgung mit der CPM-Schiene eine in diesem Sinne
unaufschiebbare Leistung betroffen hat, wie das SG sinngemäß angenommen hat.
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Eine Leistung ist iS von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB V unaufschiebbar, wenn es dem
Versicherten angesichts der Gesamtumstände nicht zumutbar ist, mit dem Beginn
einer Behandlung bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse zu warten ( vgl
BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 jeweils RdNr 13). Die Leistung muss im
Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich sein, dass aus medizinischer
Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes besteht ( vgl BSG SozR 3-
2500 § 13 Nr 22 S 105; BSGE 73, 271, 287 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 26 ). Diese
Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Für die Annahme, dass der Klägerin bei
rechtzeitiger Planung und Antragstellung die aus medizinischer Sicht notwendige
Mobilisation des Schultergelenks im Anschluss an eine mit zeitlichem Vorlauf
geplante Schulterarthroskopie nicht hätte zukommen können und deshalb nur unter
Umgehung der gesetzlich vorgesehenen Vorab-Befassung der Krankenkasse
unzumutbare gesundheitliche Folgen hätten vermieden werden können, fehlt jeder
Anhaltspunkt.
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5. Für die danach ohne gesetzliche Grundlage bewirkte Versorgung der Versicherten
kann auch unter entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe
einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff, 818 Abs 2 BGB) ein Ausgleich nicht
beansprucht werden.
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Einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung stehen übergeordnete
Gesichtspunkte entgegen. Nach der Rspr des BSG zum Leistungs- und
Leistungserbringerrecht in der GKV haben Bestimmungen, die die Vergütung
ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder
inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems die
Funktion zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art
der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht.
Deshalb kann zB der Vertragsarzt, der Apotheker oder ein sonstiger
Leistungserbringer auch bereicherungsrechtlich die Abgeltung von Leistungen, die
unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, selbst dann nicht
beanspruchen, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden
und für den Versicherten geeignet und nützlich sind (vgl BSG SozR 4-5570 § 30 Nr 1
RdNr 23; BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr 6 S 35 f; BSG SozR 4-2500 §
39 Nr 3 RdNr 14; stRspr) . Nur soweit bestimmte Vorschriften reine Ordnungsfunktion
haben, besteht kein Grund, dem Leistungserbringer trotz der Entlastung der
Krankenkasse eine Entschädigung zu versagen (BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39
Nr 1).
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Eine solch bloße Ordnungsfunktion haben die Vorschriften zur Notwendigkeit der
Einreichung eines Kostenvoranschlages indes nicht. Vielmehr dient das
Kostenvoranschlagsverfahren jeweils mit den weiteren für eine Genehmigung
einzureichenden Unterlagen der vollständigen Prüfung eines
Sachleistungsanspruches des Versicherten und der Prüfung, ob es sich um eine
wirtschaftliche Versorgung (§ 12 SGB V) handelt. Die Einreichung des
Kostenvoranschlages ist mithin zwingendes Element des einzuhaltenden
Beschaffungsweges zur Erlangung eines Vergütungsanspruches des
Hilfsmittelerbringers. Die Missachtung dieses Verfahrens schließt das Entstehen
eines Vergütungsanspruches aus. Der Zweck des Genehmigungsverfahrens würde
unterlaufen, wenn Versorgungen auch dann abzugelten wären, wenn sie ohne diese
Voraussetzungen durchgeführt werden.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2
Verwaltungsgerichtsordnung; die Streitwertfestsetzung aus §§ 63 Abs 2, 52 Abs 3, 47
Abs 1 Gerichtskostengesetz.