Urteil des BSG vom 07.08.2002

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 22.9.2009, B 2 U 4/08 R
Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - sachlicher Zusammenhang -
Beschäftigung - betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung - objektive
Teilnahmemöglichkeit der gesamten Belegschaft - objektivierte Zielsetzung des
Arbeitgebers - Ballonfahrt
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
2 Der Kläger ist Mitarbeiter der Privatbrauerei W. KG (W KG). In der unternehmenseigenen
"Mitarbeiterinfo" wurde darauf hingewiesen, dass die nicht zum Unternehmen gehörende
Firma E. allen Mitarbeitern der Brauerei ein einmaliges Angebot unterbreite und ca 30
Personen zu einem Sonderpreis von 50 DM an einem Ballonfahrertreffen teilnehmen könnten.
Die Vorbereitung und Organisation übernahm die Assistentin der Geschäftsleitung der W KG.
An der am 3. Februar 2000 durchgeführten Fahrt mit fünf Ballons nahmen von 110
Vollzeitbeschäftigten der W KG 17 Mitarbeiter, darunter der Kläger und ein Geschäftsführer,
17 Angehörige sowie weitere 28 Personen teil.
3 Der Kläger wurde bei der Landung des von ihm genutzten Ballons aus dem Korb
geschleudert. Dabei verletzte er sich am Rücken. Die Beklagte lehnte die Anerkennung als
Arbeitsunfall ab, weil sich der Unfall nicht während eines Betriebsausflugs oder einer
betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, sondern eines Freizeitvergnügens zur
Befriedigung persönlicher Bedürfnisse ereignet habe (Bescheid vom 7. August 2002;
Widerspruchsbescheid vom 26. November 2002).
4 Das Sozialgericht München hat die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 3. Februar 2000 als
Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil
vom 1. Juli 2004). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit der
Maßgabe zurückgewiesen, dass das Geschehen vom "04.02.2002" (richtig: 3. Februar 2002)
als Arbeitsunfall festgestellt wird. Die Ballonfahrt sei Teil einer betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltung gewesen, die der Pflege der Verbundenheit unter den
Betriebsangehörigen gedient habe. Die Teilnahme daran sei nicht auf 30 Personen
beschränkt gewesen, sondern habe allen Beschäftigten offen gestanden. Da die
Betreiberfirma mit fünf Ballons und 62 Personen gestartet sei, hätten bei entsprechender
Meldung ebenso viele Betriebsangehörige mitfahren können. Ob allen 110 Mitarbeitern die
Teilnahme möglich gewesen wäre, könne dahinstehen. Aufgrund der Erfahrung in der
Vergangenheit sei bei der Planung von vornherein eine verringerte Teilnehmerzahl
berücksichtigt worden. Aus einer realistischen Planung könne nicht geschlossen werden,
dass die Veranstaltung nur einer begrenzten Teilnehmerzahl offen gestanden habe. Die
Ballonfahrt sei von der Unternehmensleitung geplant, organisiert und gefördert worden und
damit von deren Autorität getragen gewesen. Daher falle nicht ins Gewicht, dass der
Geschäftsführer nicht habe teilnehmen können. Die Programmgestaltung sei auch geeignet
gewesen, zur Förderung des Gemeinschaftsgedankens im Unternehmen beizutragen.
5 Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine
Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Eine betriebliche
Gemeinschaftsveranstaltung scheide aus, da nicht geplant gewesen sei, sämtliche
Betriebsangehörigen an der Ballonfahrt teilnehmen zu lassen.
6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2007 und des Sozialgerichts
München vom 1. Juli 2004 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
7 Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision ist begründet. Die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls
im Bescheid der Beklagten vom 7. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. November 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Bei
seinem Unfall vom 3. Februar 2002 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall.
9 Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer
den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte
Tätigkeit). Der Kläger hat zwar bei der missglückten Landung des Ballons, die zu
Verletzungen seines Rückens führte, einen Unfall iS von § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten.
Ein Unfall ist aber nur dann ein Arbeitsunfall, wenn er sich im Wesentlichen deswegen
ereignet hat, weil der Versicherte zur Zeit des Unfalls seine versicherte Tätigkeit verrichtet
hat (zu den weiteren Voraussetzungen vgl BSG vom 17. Februar 2009 - B 2 U 26/07 R - zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
10 Der Kläger war zwar als Beschäftigter nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert. Sein Unfall ist
jedoch kein Arbeitsunfall, weil die Teilnahme an der unfallbringenden Ballonfahrt, also seine
Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, in keinem sachlichen Zusammenhang mit seiner
Beschäftigung stand, ihr damit nicht zuzurechnen war. Der innere Zusammenhang mit der
versicherten Beschäftigung ist gegeben, wenn die zum Unfall führende Verrichtung der
Erfüllung der geschuldeten Dienstleistung des Beschäftigten dient (BSG vom 18. März 2008
- B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14) . Der Kläger ist mit der Teilnahme an der
Ballonfahrt aber keiner Verpflichtung aus seinem Beschäftigungsverhältnis nachgekommen
und hat dieses auch nicht gewollt.
11 Die Teilnahme an der unfallbringenden Ballonfahrt kann auch nicht ausnahmsweise aus
anderen Gründen seiner versicherten Beschäftigung zugerechnet werden. Eine Verrichtung,
die nicht der Erfüllung einer Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis dient oder dienen soll,
kann nur dann im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, wenn
der Beschäftigte sie wegen des Beschäftigungsverhältnisses vornimmt, um durch sie
zumindest auch dem Unternehmen in nicht offensichtlich untauglicher Weise zu dienen.
Diese Zurechnung kann bei der freiwilligen, dh rechtlich nicht geschuldeten und vom
Unternehmen nicht abverlangten Teilnahme an einer sog betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltung in Betracht kommen, weil der Beschäftigte wegen seiner
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers (§ 7 Abs 1 Satz 2
Sozialgesetzbuch Viertes Buch) durch seine freiwillige, aber vom Unternehmer erbetene
Teilnahme das erklärte Unternehmensinteresse unterstützt, durch die
Gemeinschaftsveranstaltung den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der
Unternehmensführung zu fördern.
12 Eine Teilnahme an Betriebsfesten, Betriebsausflügen oder ähnlichen betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltungen kann der versicherten Beschäftigung aber nur zugerechnet
werden, wenn wenigstens folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der Arbeitgeber will die
Veranstaltung als eigene betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zur Förderung der
Zusammengehörigkeit der Beschäftigten untereinander und mit ihm durchführen. Er hat zu
ihr alle Betriebsangehörigen oder bei Gemeinschaftsveranstaltungen für organisatorisch
abgegrenzte Abteilungen des Betriebs alle Angehörigen dieser Abteilung eingeladen oder
einladen lassen. Mit der Einladung muss der Wunsch des Arbeitgebers deutlich werden,
dass möglichst alle Beschäftigten sich freiwillig zu einer Teilnahme entschließen. Die
Teilnahme muss ferner vorab erkennbar grundsätzlich allen Beschäftigten des
Unternehmens oder der betroffenen Abteilung offen stehen und objektiv möglich sein. Es
reicht nicht aus, dass nur den Beschäftigten einer ausgewählten Gruppe die Teilnahme
angeboten wird oder zugänglich ist (vgl BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 5/04 R - SozR 4-
2700 § 2 Nr 4 RdNr 16 mwN; BSG vom 7. Dezember 2004 - B 2 U 47/03 R - SozR 4-2700 §
8 Nr 11 RdNr 7 und 9 mwN; BSG vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 16/04 R - SozR 4-1500 §
163 Nr 1 RdNr 7 und 9 mwN). Nur in Ausnahmefällen, in denen Beschäftigte von vornherein
nicht teilnehmen können, weil etwa aus Gründen der Daseinsvorsorge der Betrieb
aufrechterhalten werden muss oder wegen der Größe der Belegschaft aus organisatorisch-
technischen Gründen eine gemeinsame Betriebsveranstaltung ausscheidet, muss die
umfassende Teilnahmemöglichkeit nicht für alle Mitarbeiter bestehen; dann sind aber alle
diejenigen Beschäftigten einzuladen, deren Teilnahme möglich ist (vgl BSG vom 14.
November 1996 - 2 RU 1/96 -; BSG vom 25. August 1994 - 2 RU 23/93 - SozR 3-2200 § 548
Nr 21 S 64).
13 Bei der Ballonfahrt am 3. Februar 2002 hat es sich nicht um eine betriebliche
Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Arbeitgeber
des Klägers sie überhaupt als eigene betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gewollt und
zu einer solchen eingeladen hat. Jedenfalls stand sie von vornherein nicht allen
Betriebsangehörigen der W KG offen. Die Brauerei hatte 110 Vollzeitbeschäftigte. Über die
unternehmenseigene "Mitarbeiterinfo" wurde hingegen nur ca 30 Personen die Teilnahme
an der Ballonfahrt angeboten. Besondere Umstände, die es rechtfertigen würden, von dem
Erfordernis einer allen Beschäftigten zugänglichen Veranstaltung abzusehen, sind weder
vom LSG festgestellt worden noch erkennbar.
14 Dass die Teilnahme an einer Ballonfahrt nicht allen Beschäftigten angeboten worden ist,
steht nicht in Widerspruch zu den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163
Sozialgerichtsgesetz ) . Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, dass sich das
Angebot an alle Beschäftigte des Unternehmens gerichtet habe. Gleichzeitig wurde aber
auch festgestellt, dass in der Mitarbeiterzeitung eine Teilnehmerzahl von ca 30 Personen
genannt worden sei, bei entsprechender Meldung für 62 Beschäftigte eine Ballonfahrt in
Betracht gekommen wäre und dahinstehen könne, ob ggf für sämtliche Mitarbeiter eine
Teilnahme möglich gewesen wäre. Damit hat das LSG bei einer Gesamtbetrachtung dieser
Ausführungen lediglich festgestellt, dass evtl die gesamte Belegschaft im Nachhinein hätte
teilnehmen können, nicht aber, dass die Möglichkeit zur Teilnahme von vornherein allen
Betriebsangehörigen eröffnet worden ist.
15 Die Auffassung des LSG, es genüge dem Erfordernis der geplanten und möglichen
Teilnahme grundsätzlich aller Beschäftigten, dass das unterbreitete Angebot auf einer
realistischen Einschätzung beruhe, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. An betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltungen nehmen erfahrungsgemäß nicht alle Betriebsangehörigen
teil. Für eine vom Arbeitgeber getragene betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ist aber
dessen objektivierte Zielsetzung entscheidend, mit der Veranstaltung die Verbundenheit
aller Betriebsangehörigen untereinander und mit ihm zu fördern und zu pflegen. Dieser
Zweck wird nicht erreicht, wenn die Veranstaltung so geplant ist, dass - wie hier - aufgrund
ihrer Eigenart und der Einladung von vornherein ersichtlich ist, dass ein nennenswerter Teil
der Belegschaft nicht teilnehmen wird. Eine Zurechnung der Teilnahme eines Beschäftigten
an einer geselligen Veranstaltung (des Arbeitgebers) zu seiner versicherten Beschäftigung
ist nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber erklärtermaßen an einer auch objektiv möglichen
Teilnahme der gesamten Belegschaft gelegen ist. Daran fehlt es, wenn er die Teilnahme an
einer Veranstaltung von vornherein nur einem Teil der Belegschaft ermöglicht. Dies ist
gerade auch dann der Fall, wenn die Veranstaltung mit Gefahren verbunden ist, die erwarten
lassen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft von einer Teilnahme Abstand
nehmen wird (vgl BSG vom 16. Mai 1984 - 9b RU 6/83 - BSGE 56, 283, 284 = SozR 2200 §
548 Nr 65 S 181) .Hier konnten schon nach der Einladung nicht alle Beschäftigten, sondern
sogar nur weniger als ein Drittel teilnehmen. Dass die Ballonfahrt nicht für alle Beschäftigten
geplant und ausgerichtet wurde, ergibt sich auch daraus, dass wegen der mit einer
Ballonfahrt bekanntermaßen einhergehenden Gefahren von Anfang an damit zu rechnen
war, nur ein begrenzter Teil der Beschäftigten werde teilnehmen.
16 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.