Urteil des BSG vom 24.02.2004

BSG: unternehmen, veranlagung, altlasten, beweismittel, befragung, verwaltung, daten, beweiswürdigung, beweisantrag, zwang

Bundessozialgericht
Urteil vom 24.02.2004
Sozialgericht Koblenz
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Bundessozialgericht B 2 U 17/03 R
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. Februar 2003
wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 22. April 1999
in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 27. April 1999 und gegen die Beitragsbescheide vom 25. April 2000 und
vom 25. April 2001 als unzulässig abgewiesen wird. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) ab
dem Jahre 1998 und die Beiträge der Klägerin zu der BG in den Jahren 1998 bis 2000. Die Klägerin betreibt als
Hauptunternehmen gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung und ist Mitglied der Beklagten (Mitgliedschein von 26.
Januar 1993). Diese erhob ihre Beiträge ab 1. Januar 1998 aufgrund ihres ab diesem Zeitpunkt geltenden Gefahrtarifs
(im Folgenden Gefahrtarif 1998), der für die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung folgende
Gefahrtarifstellen enthielt:
Gefahrtarifstelle Unternehmensart Gefahrklasse
Gefahrtarifstelle:48* Unternehmensart: Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung - Beschäftigte,
die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt
sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten Gefahrklasse: 0,57
Gefahrtarifstelle: 49* Unternehmensart: Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung - Beschäftigte,
die nicht die in der Gefahrtarifstelle 48 genannten Voraussetzungen erfüllen Gefahrklasse:10,66
*Jedes Unternehmen wird zu den zwei Gefahrklassen 48 und 49 veranlagt.
Insgesamt reichen die Gefahrklassen dieses Gefahrtarifes von 0,35 bis 45,40. Grundlage des Gefahrtarifs waren alle
gezahlten Leistungen sämtlicher Versicherungsfälle sowie die beitragspflichtigen Entgelte der Jahre 1994 bis 1996 (so
genannter Beobachtungszeitraum).
Mit Bescheid vom 8. September 1998 veranlagte die Beklagte die Klägerin hinsichtlich deren Unternehmensteils
gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zu den Gefahrtarifstellen 48 und 49 ihres Gefahrtarifs 1998 mit den
entsprechenden Gefahrklassen und legte letztere ihrem Beitragsbescheid für das Jahr 1998 vom 22. April 1999 sowie
dessen Änderungsbescheid vom 27. April 1999 zugrunde. Sowohl gegen den Veranlagungs- als auch gegen den
Änderungsbescheid wurde Widerspruch eingelegt und mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1999 wurde der
Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid zurückgewiesen.
Während des sich anschließenden und nur gegen den Veranlagungsbescheid vom 8. September 1998 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1999 gerichteten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Kiel (SG) hat die
Beklagte mit Beitragsbescheid für das Jahr 1999 vom 25. April 2000 und Beitragsbescheid für das Jahr 2000 vom 25.
April 2001 weitere Beiträge gegenüber der Klägerin festgesetzt. Durch Urteil vom 15. Mai 2002 hat das SG die Klage
abgewiesen und es dahingestellt lassen, ob die Beitragsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 Gegenstand des
Vorverfahrens bzw Klageverfahrens geworden seien.
Die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom
12. Februar 2003 zurückgewiesen, denn der Veranlagungsbescheid sowie "die darauf beruhenden Beitragsbescheide
für die Jahre 1998 bis 2000" seien rechtmäßig. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei
aufgrund des Mitgliedsscheins die zuständige BG für die Klägerin. Die Bildung der Gefahrtarifstelle 49 sei nicht zu
beanstanden, da für die Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung eine gemeinsame
gewerbetypische Unfallgefahr zu bejahen sei. Eine Zertifizierung oder ein Qualitätsmanagement führten zu keinen
gravierenden unterschiedlichen Gefährdungen für sie. Die Berechnung der Gefahrklasse sei nicht mit gravierenden
Fehlern behaftet. Für die Behauptung der Klägerin, die Vertreterversammlung der Beklagten sei vor der
Beschlussfassung über den Gefahrtarif 1998 unvollständig oder unrichtig informiert worden, gebe es keine
Anhaltspunkte. Die Berücksichtigung der so genannten DDR-Altlasten entsprechend § 157 Abs 2 des Siebten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VII) sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Es fehle bereits an der
Zuständigkeit der Beklagten für die Klägerin als Zeitarbeitsunternehmen. Die Berechnung der Gefahrklassen verstoße
gegen § 157 Abs 3 SGB VII. Die Abgrenzung der Gefahrtarifstellen der Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung sei im Beobachtungszeitraum nicht deckungsgleich gewesen und die Nacherhebung der
Beklagten sei unverwertbar. Die Zuordnung der Lohnsummen zu den beiden Gefahrtarifstellen sei nicht korrekt erfolgt.
§ 157 Abs 2 SGB VII sei verletzt, weil die Gefahrtarifstellen in erster Linie nach Gefährdungsrisiken zu bilden seien.
Da bis Ende des Jahres 1997 für ca 20 % der Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung mit ca 40
% der Arbeitnehmer, zu denen die Klägerin gehört habe, eine Herabsetzung der Gefahrklassen um 40 % erfolgt sei,
weil diese bestimmte Kriterien der Beklagten erfüllt und ein Qualitätsmanagementsystem vorgehalten hätten, wäre es
geboten gewesen, für diese Unternehmen aufgrund ihres wesentlich niedrigeren Gefährdungsrisikos eine eigene
Gefahrtarifstelle zu bilden. Die Verwaltung der Beklagten habe deren Vertreterversammlung nicht ordnungsgemäß
informiert, so dass kein ordnungsgemäßer Beschluss der Vertreterversammlung über den Gefahrtarif vorliege. Die
Beitragsbescheide seien entgegen der Entscheidung des Senats vom 24. Juni 2003 - B 2 U 21/02 R - (BSGE 91, 128
= SozR 4-2700 § 157 Nr 1) Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden, zumindest die nach Klageerhebung
ergangenen für die Jahre 1999 und 2000. Die Berücksichtigung der Altlasten-Ost bei der Beitragsberechnung verstoße
gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und § 157 Abs 2 SGB VII sei entgegen der Entscheidung des Senats
vom 24. Juni 2003 (aaO) ebenfalls verfassungswidrig. Schließlich habe das LSG Beweisanträge der Klägerin zur
Gefahrklassenberechnung verfahrensfehlerhaft übergangen.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. Februar 2003 und des
Sozialgerichts Kiel vom 15. Mai 2002 sowie den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 8. September 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1999, den Beitragsbescheid vom 22. April 1999, nebst
Änderungsbescheid vom 27. April 1999 und die Beitragsbescheide vom 25. April 2000 und vom 25. April 2001
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist unbegründet. Die Veranlagung der Klägerin durch die Beklagte mittels Bescheid vom 8. September
1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1999 ab dem Jahre 1998 ist rechtmäßig. Hinsichtlich
der Beitragsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 ist die Klage als unzulässig abzuweisen.
Der Beitragsbescheid für das Jahr 1998 vom 22. April 1999 sowie dessen Änderungsbescheid vom 27. April 1999 sind
nicht von Gesetzes wegen gemäß § 86 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des bei ihrem Erlass
anhängigen Vorverfahrens gegen den Veranlagungsbescheid geworden, denn sie bauen zwar auf der Veranlagung auf,
haben den Veranlagungsbescheid selbst aber nicht abgeändert. Die Klägerin hat zwar gegen den Änderungsbescheid
Widerspruch eingelegt; eine Entscheidung darüber ist aber bisher nicht ergangen. Schließlich hat die Beklagte die
Einwendungen gegen den Beitragsbescheid auch nicht von sich aus in das Vorverfahren gegen den
Veranlagungsbescheid einbezogen, sondern in dem Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1999 ausdrücklich nur über
die Rechtmäßigkeit des Veranlagungsbescheides vom 8. September 1998 entschieden. Eine unmittelbare Klage
gegen den Beitragsbescheid für das Jahr 1998 sowie dessen Änderungsbescheid ist nicht zulässig, weil es insoweit
an der gemäß § 78 Abs 1 SGG obligatorischen Überprüfung im Rahmen eines Vorverfahrens und damit an einer
Prozessvoraussetzung für die Anfechtungsklage fehlt.
Die Beitragsbescheide für die Jahre 1999 und 2000 vom 25. April 2000 und vom 25. April 2001 sind ebenfalls nicht
gemäß § 96 Abs 1 SGG ohne gesonderte Anfechtung kraft Gesetzes Gegenstand des gegen den
Veranlagungsbescheid anhängigen Klageverfahrens geworden. Durch die auf der Veranlagung beruhenden
Beitragsbescheide wurde der Veranlagungsbescheid weder geändert noch ersetzt. Wie der Senat entschieden hat,
kann die Einbeziehung der Beitragsbescheide auch nicht auf eine analoge oder entsprechende Anwendung der § 86
Abs 1 bzw § 96 Abs 1 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der
Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen (Urteil vom 24. Juni 2003 - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 §
157 Nr 1, jeweils RdNr 8). Direkte Klagen gegen die genannten Bescheide sind unzulässig, weil sie nicht innerhalb der
Frist von einem Monat nach Bekanntgabe der Verwaltungsakte (§ 87 Abs 1 SGG) erhoben worden sind.
Die vom SG ausdrücklich dahingestellt gelassene und vom LSG nicht weiter begründete, fehlerhafte Einbeziehung der
Beitragsbescheide ist auch nicht durch rügelose Einlassung der Beteiligten "geheilt" worden. Ob neben dem
Ausgangsbescheid weitere, nach Klageerhebung ergangene Verwaltungsakte gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand
des Gerichtsverfahrens geworden sind und das Berufungsgericht über sie entscheiden durfte, ist in der
Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Denn es geht dabei um die Zulässigkeit der gegen die Folgebescheide
gerichteten Klage und damit um das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens
gegeben sein müssen und nicht zur Disposition der Beteiligten stehen (Urteil des Senats vom 9. Dezember 2003 - B 2
U 54/02 R - mit weiteren Nachweisen, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 160 Nr 1 vorgesehen).
Die Beklagte ist aufgrund ihres bindenden Bescheides vom 26. Januar 1993 (Mitgliedschein) über die Aufnahme der
Klägerin in ihr Unternehmerverzeichnis der zuständige Unfallversicherungsträger für die Klägerin.
Der Veranlagungsbescheid vom 8. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1999 ist
rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII, nach dem der
Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Der von
der Beklagten der Veranlagung der Klägerin zugrunde gelegte, ab 1. Januar 1998 geltende Gefahrtarif der Beklagten
ist hinsichtlich der zwischen den Beteiligten umstrittenen Gefahrtarifstellen 48 und 49 rechtlich nicht zu beanstanden
(Urteil des Senats vom 24. Juni 2003, BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1 mit weiteren Nachweisen und
ausführlicher Begründung).
Daran ist trotz der von der Klägerin vorgebrachten Revisionsrügen festzuhalten. Dass der Gefahrtarif 1998 und die
Rechtsgrundlagen, auf denen er beruht, entgegen der nicht weiter begründeten Ansicht der Klägerin
verfassungsgemäß ist, ergibt sich ebenfalls aus der soeben genannten Entscheidung (BSG, aaO jeweils RdNr 30 f).
Die Behauptung der Klägerin, der Gefahrtarif 1998 sei von der Vertreterversammlung der Beklagten nicht
ordnungsgemäß gemäß § 33 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) beschlossen worden, weil die
Verwaltung der Beklagten deren Vertreterversammlung vor der Beschlussfassung über den Gefahrtarif 1998 nicht
ordnungsgemäß informiert habe, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Denn der Senat ist an die
tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden, soweit nicht zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht
sind (§ 163 SGG). Das LSG hat festgestellt, es sei nicht erkennbar, dass die Vertreterversammlung vor der
Beschlussfassung unvollständig oder unrichtig informiert worden sei, und für die entsprechende Behauptung der
Klägerin ließen sich keine tatsächlichen Anknüpfungspunkte finden. Hinsichtlich dieser Feststellungen des LSG hat
die Klägerin keine zulässige und begründete Verfahrensrüge vorgebracht, sondern nur ihre abweichenden
Behauptungen zum Sachverhalt wiederholt.
Gegen die Gliederung des Gefahrtarifs 1998 und die Bildung der Gefahrtarifstellen 48 und 49 hat die Klägerin keine
zulässige und begründete Revisionsrüge erhoben. Denn sie macht insofern keine Bedenken geltend mit Ausnahme
des Vorbringens, bis Ende des Jahres 1997 sei für ca 20 % der Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung mit ca 40 % der Arbeitnehmer, zu denen die Klägerin gehört habe, eine Herabsetzung der
Gefahrklasse um 40 % erfolgt, weil diese bestimmte Kriterien der Beklagten erfüllt und ein Qualitätsmanagement-
System vorgehalten hätten. Daher wäre es geboten gewesen, in dem neuen ab dem Jahr 1998 geltenden Gefahrtarif
für diese Unternehmen aufgrund ihres wesentlich niedrigeren Gefährdungsrisikos eine eigene Gefahrtarifstelle zu
bilden. Aus der früher erfolgten Herabsetzung der Gefahrklasse für einen Teil der von einer Gefahrtarifstelle umfassten
Unternehmen folgt jedoch ebenso wenig wie aus den unterschiedlichen Tätigkeiten und Gefährdungsrisiken innerhalb
dieses Gewerbezweiges ein Zwang für die Selbstverwaltung der Beklagten, diese zu unterteilen (BSGE 91, 128 =
SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 19 f). Denn als autonom gesetztes objektives Recht (vgl § 157 SGB VII, §§ 33
ff SGB IV) ist der Gefahrtarif 1998 der Beklagten durch die Sozialgerichte nur daraufhin überprüfbar, ob er mit dem
SGB VII und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens war der
Beklagten bei der Aufstellung des Gefahrtarifs ein nicht zu eng bemessener Entscheidungs- und
Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste
Regelung trifft, ist nicht Aufgabe der Gerichte (BSG, aaO, jeweils RdNr 12). Im Übrigen ist zu beachten, dass die
Herabsetzung der Gefahrklasse regelungssystematisch völlig andere Fragen betrifft als die Gliederung des
Gefahrtarifs nach Gefahrtarifstellen (vgl zur Herabsetzung § 162 SGB VII sowie Urteil des Senats vom 5. Mai 2003 -
SozR 4-2700 § 162 Nr 1).
Die von der Klägerin gegen die Berechnung der Gefahrklassen der Gefahrtarifstellen 48 und 49 erhobenen Rügen
greifen nicht durch. Zwar sind die den jeweiligen Gefahrtarifstellen zuzuordnenden Gefahrklassen "aus dem Verhältnis
der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten zu berechnen" (§ 157 Abs 3 SGB VII). Dass dies aber kein reiner
Rechenakt ist, entspricht der bisherigen, vom Gesetzgeber (vgl BT-Drucks 13/2204 S 73, 110 ff) kodifizierten Praxis
der Unfallversicherungsträger, die auch vom Bundessozialgericht ((BSG) Urteil vom 18. Oktober 1994 - 2 RU 6/94 -,
SGb 1995, 253 ff) gebilligt wurde ("kein bloßes Rechenwerk, sondern ein Zusammenfluss rechnerischer und wertender
bzw gewichtender Faktoren" - "nicht nachrechenbar, wohl aber nachvollziehbar"). Aufgrund der eingeschränkten
Überprüfungsbefugnis der Gerichte bei Gefahrtarifen (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 12) kann
nicht jeder Fehler bei der Aufteilung der Lohnsummen oder Unfalllasten Beachtung finden, andererseits muss das
Zahlenmaterial als solches gesichert sein. Entgegen dem Revisionsvorbringen wurden die Einwände gegen das der
Berechnung zugrunde liegende Zahlenmaterial und vor allem die geänderte Definition der Gefahrtarifstellen in dem
Urteil des Senats vom 24. Juni 2003 (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 26 f) geprüft mit dem
Ergebnis, dass sich das Berufungsgericht im damaligen Verfahren aufgrund seiner ausführlichen Würdigung des
Zahlenmaterials nicht zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt sehen musste. Auch vorliegend hat das LSG sich mit
den in diesem Zusammenhang von der Klägerin geäußerten Bedenken gegen die Vorgehensweise der Beklagten
ausführlich beschäftigt und nachvollziehbar dargelegt, wieso es keine Veranlassung für eine weitere Beweiserhebung
sah.
Soweit die Klägerin weitere Ermittlungen zu den Grundlagen der Gefahrklassenberechnung vermisst und meint, das
Berufungsgericht habe seine Pflichten aus § 103 SGG verletzt, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn das
Revisionsvorbringen gibt nichts dafür her, dass sich das LSG zu der beantragten Beweiserhebung hätte veranlasst
sehen müssen. Durch die in Rede stehenden Ermittlungen sollte bewiesen werden, dass infolge falscher Zuordnung
eines Teils der bei den Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung beschäftigen Arbeitnehmer für
die Gefahrtarifstelle 49 eine erheblich zu hohe Gefahrklasse errechnet worden sei. Dieser Nachweis scheitert jedoch
von vornherein an der Ungeeignetheit der benannten Beweismittel. Denn es ist nicht ersichtlich, wie durch ein
Sachverständigengutachten, ein berufskundliches Gutachten, eine Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit oder ein
versicherungsmathematisches Gutachten bewiesen werden soll, wie viel Prozent der Beschäftigten der Unternehmen
der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung durch die geänderte Definition der Gefahrtarifstellen von der
Gefahrtarifstelle 48 nun der Gefahrtarifstelle 49 zuzuordnen waren. Soweit die von der Beklagten insofern erhobenen
Daten zugrunde gelegt werden, hat die Klägerin nicht dargelegt, wieso eines dieser Beweismittel zu nachvollziehbaren
anderen Ergebnissen als die Beklagte kommen soll. Soweit die Klägerin meint, die Daten könnten heute neu erhoben
werden, mangelt es an einer Darlegung, wieso eine Datenerhebung heute zu richtigeren Zahlen führen soll, als die von
der Klägerin kritisierte zeitnähere Nacherhebung der Beklagten.
Nichts Anderes gilt für die Beweisanträge der Klägerin, die näheren Umstände der Nacherhebung der Beklagten
aufzuklären mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Befragung der Unternehmen der
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, hilfsweise durch Befragung derselben durch das Gericht sowie
Vernehmung der Abteilungsleiterin Gefahrtarif der Beklagten. Bei einem Erfolg dieser Beweiserhebungen stände nach
Auffassung der Klägerin fest, dass es zu falschen Zuordnungen von einer großen Anzahl von Beschäftigten
gekommen sei, das Ergebnis der Nacherhebung unverwertbar geworden sei, die Berechnung der Gefahrklassen an
einem schweren Fehler leide und nicht mehr nachvollziehbar sei. Dem kann so nicht gefolgt werden: Bei einer
erfolgreichen Beweiserhebung stände zunächst höchstens die falsche Zuordnung einer Anzahl von Beschäftigten fest.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin in ihrem Beweisantrag verwandten Begriffe "gewerbliche"
und "kaufmännische" Gefahrtarifstelle nicht den Beschreibungen der umstrittenen Gefahrtarifstellen 48 und 49 des
Gefahrtarifs 1998 der Beklagten entsprechen, wodurch die vom LSG berücksichtigten Schwierigkeiten bei der
Zuordnung der Lohnsummen und der Nacherhebung der Beklagten eindrucksvoll belegt werden. Alle weiteren auf der
Zuordnung der Lohnsummen aufbauenden Folgerungen, insbesondere zur Gewichtung möglicher Fehler, sind Fragen
der Bewertung dieses zuvor genannten Ergebnisses, also Fragen der Beweiswürdigung, mit denen sich das LSG
beschäftigt hat.
Zu dem weiteren Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, hilfsweise Vorlage der bei der
Beklagten eingegangenen Fragebögen sowie Lohnsummenmeldungen der Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung wird schlicht ausgeführt, dass die Klägerin davon ausgeht, dass die Aussage eines Zeugen
unrichtig war. Dies ist aber keine Darlegung, aufgrund der das LSG sich zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt
sehen müssen, weil jegliche Begründung fehlt. Im Übrigen hat das LSG im Rahmen seiner Beweiswürdigung und unter
Bezugnahme auf seine frühere Entscheidung vom 6. Februar 2002, die des Sächsischen LSG und die
Beweiserhebung des SG Duisburg ausgeführt, dass die Gefahrklassenberechnung keine gravierenden, zu ihrer
Fehlerhaftigkeit führenden Mängel ausweist. Gerade im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin, dass es sich bei der
Erhebung des Zahlenmaterials um einen komplexen Vorgang handelte, hätte von ihr nachvollziehbar dargelegt werden
müssen, auf welche Weise sichergestellt werden kann, dass die maßgeblichen Umstände der Wirklichkeit
entsprechend rekonstruierbar sind, so dass ein darauf beruhendes Gutachten als geeignetes Beweismittel angesehen
werden kann (vgl BSG SozR 3-1500 § 103 Nr 9). Zieht man in Betracht, dass eine heutige Befragung tendenziell keine
besseren Ergebnisse als eine zeitnähere erbringen kann, so wird deutlich, dass heute noch weniger als zur Zeit der
Nachbefragung der Beklagten im Jahr 1997 die Mängel einer derartigen Untersuchung nicht mehr mit der von der
Klägerin für erforderlich gehaltenen Zuverlässigkeit behebbar sind. Insofern hat die Klägerin auch in der
Revisionsbegründung keine weiterführenden Angaben gemacht.
Auf die hinsichtlich der konkreten Beitragshöhe aufgeworfenen Fragen zur Berücksichtung der so genannten Altlasten-
Ost kommt es für die vorliegende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Veranlagungsbescheides nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.