Urteil des BSG vom 11.09.2001

BSG: versicherungsschutz, wohnung, besuch, unfallversicherung, anerkennung, anzeichen, beendigung, arbeitsunfall, wahlfreiheit, versicherter

Bundessozialgericht
Urteil vom 11.09.2001
Sozialgericht Heilbronn
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Bundessozialgericht B 2 U 34/00 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. September
2000 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall (Wegeunfall) und die hierfür zu
gewährenden gesetzlichen Leistungen.
Der im Jahre 1963 geborene, in K wohnhafte Kläger arbeitet als Fachlehrer im Ausbildungscenter der F AG in H. Am
1. April 1998 verließ er mit seinem Motorrad um 16.55 Uhr seine Arbeitsstätte und fuhr auf Bundes- und Nebenstraßen
über Neuenstadt nach Stein. Dort stattete er seinem kranken Vater einen kurzen Besuch ab, der nach seinen
Angaben etwa 10 Minuten gedauert hat. Danach fuhr er nach Widdern ins Jagsttal, folgte bis Krautheim der Jagst und
bog dann dort rechts nach Oberginsbach ab. Hinter diesem Ort auf dem Weg nach Stachenhausen an der
Bundesstraße 19, die von Norden nach Künzelsau führt, stürzte er mit seinem Motorrad - ohne Fremdeinwirkung - um
17.50 Uhr (und nicht - wie im Gegensatz dazu im Tatbestand des angefochtenen Urteils dargestellt "gegen 17.30 Uhr")
auf der Landstraße 515 und erlitt dabei schwere Verletzungen. Die Länge der am Unfalltag vom Kläger gewählten
Strecke von Heilbronn bis Künzelsau beträgt einschließlich des Umweges über Stein etwa 73 km; hiervon hatte er am
Unfallort etwa 65 km zurückgelegt. Die genannte Route ist nach seinen Angaben eine von zwei Varianten, die er - je
nach Verkehrslage - für den Hin- und Rückweg zur Arbeitsstätte wählt. Die andere Variante führt von Künzelsau auf
der Bundesstraße Nr 19 bis Kupferzell, sodann auf die Bundesautobahn A 6 bis Heilbronn und hat eine Länge von
etwa 51 km.
Mit Bescheid vom 9. Juli 1998 und Widerspruchsbescheid vom 4. September 1998 lehnte es die Beklagte ab, dem
Kläger wegen des Verkehrsunfalls vom 1. April 1998 Entschädigung zu gewähren. Der Kläger habe sich aus privaten,
eigenwirtschaftlichen Gründen nicht auf dem üblichen, direkten Weg von der Arbeitsstätte zu seiner Wohnung
befunden, als er den Verkehrsunfall erlitten habe. Hierfür könne er den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung
nicht beanspruchen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. März 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat das
Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger unter
Anerkennung des Unfalls vom 1. April 1998 als Arbeitsunfall hierfür die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil
vom 28. September 2000). Es habe sich um einen versicherten Wegeunfall gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 des Siebten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) gehandelt, für dessen Auslegung die zu § 550 Abs 1 der
Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze heranzuziehen seien. Danach sei
zunächst zu beachten, daß die von der Beklagten und dem SG zugrunde gelegten Berechnungen zum längeren Weg
falsch seien. Der Mehrweg gegenüber der kürzesten Strecke (etwa 51 km) betrage nicht 32 km sondern nur 22 km.
Berücksichtige man die permanente Überlastung der A 6 und die grundsätzliche Wahlfreiheit des Versicherten
bezüglich des konkreten Weges sowie die heute üblicherweise zurückgelegten Strecken zwischen Wohnort und
Arbeitsort, erscheine diese Wegeverlängerung als unerheblich. Somit sei auch dieser längere Weg als unmittelbarer
Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zu qualifizieren. Dabei sei auch die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) zu Wegen vom sog "dritten Ort" zu beachten, wo zB Wegeverlängerungen um 30 km als unschädlich
angesehen worden seien. Das müsse auch für die hier vorliegende Wegeverlängerung von etwa 51 km auf 73 km
gelten.
Der innere Zusammenhang des hier eingeschlagenen Weges mit der versicherten Tätigkeit sei auch nicht deswegen
zu verneinen, weil der Kläger auf dem Weg kurz seinen kranken Vater in Stein besucht habe. Der Besuch könne
angesichts des Endes der Arbeit (16.55 Uhr) und des Unfallzeitpunktes (17.50 Uhr) nur sehr kurz gewesen sein, da
der Kläger am Unfallort etwa 65 km von der Gesamtstrecke von 73 km zurückgelegt gehabt habe. Der Besuch habe
zwar zu einem unversicherten Abweg von Neuenstadt nach Stein geführt, nicht aber dazu, dem Gesamtweg die
Qualität eines Heimweges iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zu nehmen, da wesentlicher Zweck des Weges die
Rückkehr von der Arbeit zur Wohnung gewesen und der Kläger nicht auf dem Weg nach Stein, sondern auf dem
üblichen Wege verunglückt sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Der Kläger
sei auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängenden Weg verunglückt. Wähle der Versicherte
nicht die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, komme es darauf an, ob nach den Umständen
des Einzelfalles auch für den weiteren Weg der ursächliche Zusammenhang gegeben sei. Das BSG habe in ständiger
Rechtsprechung bei privaten Verrichtungen dienenden Umwegen nach und von dem Ort der Tätigkeit den ursächlichen
Zusammenhang lediglich durch "unbedeutende" Umwege als nicht ausgeschlossen angesehen. Damit solle aber im
wesentlichen der Versicherungsschutz nur bei privaten Verrichtungen nicht ausgeschlossen sein, die "so im
Vorbeigehen" erledigt würden. Dabei komme es nicht allein auf einen Längenvergleich zwischen der direkten und der
gewählten Strecke an. Als maßgeblicher Gesichtspunkt komme etwa die Notwendigkeit oder die Zweckmäßigkeit, im
Hinblick auf das gewählte Verkehrsmittel einen bestimmten Weg einzuschlagen, in Betracht, um möglichst zügig und
sicher die Wohnung zu erreichen. Statt darzulegen, weshalb vom Kläger am Unfalltag die längere Wegstrecke gewählt
worden sei, habe das LSG in diesem Zusammenhang lediglich allgemeine Erwägungen in unsystematischer Weise
angestellt. So möge zwar die A 6 permanent überlastet sein, am konkreten Unfalltag sei dies jedenfalls nicht
ausschlaggebend für die Wahl des längeren Weges gewesen. Abgesehen davon wäre es bei "permanenter
Überlastung der A 6" logisch gewesen, daß der Kläger immer den längeren Weg genommen hätte. Die grundsätzlich
bestehende Wahlfreiheit könne nicht als Argument dafür herangezogen werden, daß der vom Kläger tatsächlich
gewählte Weg im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Das LSG hätte daher nicht auf die
allgemeine Verkehrssituation abstellen dürfen.
Auch habe das LSG zur Begründung, daß Wegverlängerungen von 22 km unerheblich seien, zu Unrecht die
Rechtsprechung des BSG zum "dritten Ort" herangezogen. Denn ob die Wegstrecke von oder zum "dritten Ort" unter
Versicherungsschutz stehe, werde im wesentlichen nicht, wie bei der Beurteilung eines Umweges, aufgrund der
Handlungstendenz des Versicherten ermittelt. Vielmehr stünden bei der Prüfung des Versicherungsschutzes von oder
zum "dritten Ort" objektive Kriterien im Vordergrund.
Vorliegend gehe es aber um die Frage, ob ein aus privatem Grund veranlaßter Umweg (Besuch des Vaters) in den
Versicherungsschutz mit einzubeziehen sei. Ein Umweg, der einer privaten Verrichtung diene, sei nur dann vom
Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen, wenn es sich um einen "unbedeutenden" Umweg handele, dh wenn die
private Verrichtung "so im Vorbeigehen" erledigt werden könne. Im Verhältnis zur kürzeren Strecke sei ein Weg, der
um 22 km länger sei als der direkte, jedoch nicht unbedeutend in diesem Sinne. Hier habe der Weg dazu dienen
sollen, einen - wenn auch nur kurzen - Krankheitsbesuch zu erledigen, so daß nicht von einem unbedeutenden
Umweg ausgegangen werden könne. Diese Problematik habe das LSG überhaupt nicht erkannt. Es berücksichtige
vielmehr den Besuch des Vaters nur objektiv als kurze Unterbrechung eines unmittelbaren Weges.
Das LSG habe am Ende seiner Entscheidungsgründe den längeren Weg sogar als "üblichen Weg" bezeichnet, obwohl
der Kläger sich hierzu widersprüchlich eingelassen gehabt habe. Einerseits habe dieser angegeben, der längere Weg
sei der gewöhnliche Weg, andererseits, der Weg entspreche nicht dem gewöhnlichen Weg, sondern nur dann, wenn er
die Eltern besuche. Weiterhin habe der Kläger angegeben, die Strecken variierten je nach Verkehrssituation. Obwohl
das LSG diese Feststellungen getroffen habe, sei es zugunsten des Klägers davon ausgegangen, daß er den
längeren Weg allein wegen der Verkehrssituation genommen habe, ohne dessen weitere Angaben zu würdigen. Daß
der Anlaß für die Wahl des längeren Weges am Unfalltage jedenfalls der Besuch des Vaters gewesen sei, habe es
unberücksichtigt gelassen. Es hätte aber prüfen müssen, ob der Weg aufgrund der tatsächlichen Motivation des
Klägers als "unmittelbarer Weg" qualifiziert werden könne.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. September 2000
aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. März 1999
zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§
124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
II
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG getroffenen tatsächlichen
Feststellungen reichen nicht aus, um in der Sache abschließend entscheiden zu können.
Ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus Anlaß des Unfalls vom 1. April 1998 Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zu gewähren, hängt davon ab, ob dieser an dem genannten Tage einen Arbeitunfall erlitten hat.
Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz
ua nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (Beschäftigte) begründenden Tätigkeit. § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII erstreckt diesen
Schutz auch auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach
und von dem Ort der Tätigkeit. Da diese Vorschriften inhaltlich im wesentlichen mit den früheren Regelungen des §
548 Abs 1 Satz 1 RVO und des § 550 Abs 1 RVO übereinstimmen (vgl Begründung zu Art 1, 2 Abs 1 und § 8 Abs 2
der Regierungsvorlage eines Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, BT-Drucks 13/2204 S 74 und S 77), können
zu ihrer Auslegung die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den genannten Regelungen der RVO
grundsätzlich herangezogen werden. Danach ist Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, daß das
Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit
steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere
Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw nach
Beendigung dieser Tätigkeit der Erreichung der Wohnung oder eines dritten Ortes dient. Bei der Feststellung des
inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die
Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist
daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw - wie hier
- zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSG SozR 3-2200 §
550 Nr 1 und 14). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch
objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und 16, jeweils mwN). Fehlt es an
einem inneren Zusammenhang in diesem Sinne, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der
Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit
gewöhnlich benutzt (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und 16, jeweils mwN).
Andererseits folgt aus dem vom Gesetz geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Weg und versicherter
Tätigkeit nicht, daß der Versicherte ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der
Arbeitsstätte geschützt ist. Ganz kleine, privaten Zwecken dienende Umwege, die nur zu einer unbedeutenden
Verlängerung des Weges führen, sind für den Versicherungsschutz unschädlich (BSGE 4, 219, 222; BSG SozR Nr
33, 42, 61 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 2200 § 550 Nr 44). Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß die private
Besorgung im Bereich der Straße selbst, mithin "so im Vorbeigehen" erledigt wird (BSG Urteile vom 30. März 1982 - 2
RU 5/81 - USK 8299 und vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 52/81 - USK 82210). Ein vom Versicherten eingeschlagener
Weg, der nicht nur unbedeutend länger als der kürzeste Weg ist, ist als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn die Wahl
der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten dem Zurücklegen
des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause oder einem anderen, sog dritten Ort zuzurechnen wäre, um etwa
eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller
befahrbare Straße zu benutzen (BSGE 4, 219, 222; BSG SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 2200 § 550 Nr 10;
BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7 mwN), um als Kraftfahrer vor Erreichen des verkehrsmäßig überfüllten Stadtzentrums
an geeigneter Stelle zu parken (BSG SozR Nr 8 zu § 550 RVO), um den Schlüssel zum Werkzeugschrank zu holen
(BSG Urteil vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 52/81 - USK 82210), um einem durch die Länge des Weges bedingten
Bedürfnis nach Erfrischung zu folgen (BSG Urteil vom 25. Mai 1961 - 2 RU 41/58 -) oder weil sich der Versicherte
verfahren hat (BSG SozR Nr 13 zu § 543 RVO aF; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7). Ist demnach ein eingeschlagener
Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit insbesondere weniger zeitaufwendig, sicherer, übersichtlicher, besser
ausgebaut oder kostengünstiger (bei Wahl eines bestimmten Verkehrsmittels) als der entfernungsmäßig kürzeste
Weg, steht auch dieser längere Weg unter Versicherungsschutz. Läßt sich allerdings nicht feststellen, ob der Umweg
im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stand oder nur geringfügig war, besteht
dagegen kein Versicherungsschutz (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7).
Der vom Kläger am Unfalltag gewählte Weg von Heilbronn nach Künzelsau, der nach den bindenden Feststellungen (§
163 SGG) des LSG 22 km länger als die kürzeste Strecke über die A 6 ist, stellt keine unbedeutende Verlängerung
des Heimwegs in dem Sinne dar, daß es auf die Gründe für die Wahl dieser Strecke nicht ankäme. Eine dem
Versicherten uneingeschränkt eingeräumte freie Wahl des Weges von und zur Arbeitsstätte von 73 km anstelle einer
Strecke von 51 km würde nicht nur der nunmehr ausdrücklich in § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII aufgeführten Voraussetzung
des "unmittelbaren Weges" zuwiderlaufen, sondern im Regelfall auch das Risiko eines Wegeunfalls unangemessen
erhöhen, was von der Rechtsprechung des BSG als ein beachtliches Kriterium bei der Auslegung von § 550 Abs 1
RVO, der Vorgängervorschrift des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII, angesehen worden (BSGE 52, 38, 39 = SozR 2200 § 550
Nr 47) und daher auch bei der Auslegung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII heranzuziehen ist.
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des LSG, die Rechtsprechung des BSG zu Wegen vom sog "dritten Ort"
sei bei der Frage der Zulässigkeit von Wegeverlängerungen zu beachten. Denn bei der vom LSG zitierten
Rechtsprechung (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 2 RU 10/89 - USK 8995; BSG Urteil vom 27. August 1987 - 2 RU
15/87 - USK 87121; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78) geht es nicht um die Verlängerung des kürzesten Weges zwischen
dem "dritten Ort" und der Arbeitsstätte, für welche die gleichen Kriterien gelten wie für Verlängerungen des kürzesten
Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 7). Vielmehr geht es in den genannten
Entscheidungen um die Frage, ob der (unmittelbare) Weg zwischen dem "dritten Ort" und der Arbeitsstätte auch dann
noch unter Versicherungsschutz steht, wenn er entfernungsmäßig in einem unangemessenen Verhältnis zum üblichen
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steht. Diese Rechtsprechung betrifft mithin ein grundlegend anderes
Problem und kann daher zu der Frage, ob ein vom Versicherten eingeschlagener Weg ein unmittelbarer Weg iS des
Gesetzes ist, nicht herangezogen werden.
Ergibt sich im Einzelfall, daß der kürzeste Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit aus objektiven, nicht
rein privaten Gründen nicht genommen zu werden braucht, ein nicht unbedeutend längerer Weg grundsätzlich also
noch unter Versicherungsschutz steht, kann dies allerdings nicht dazu führen, daß der Versicherte dann unter
Beibehaltung des Versicherungsschutzes einen beliebig langen anderen Weg benutzen darf. Vielmehr gilt für den
konkret eingeschlagenen längeren Weg, daß er wesentlich der Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der
versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt sein muß und somit für die Wahl dieses Weges keine Gründe maßgebend
sind, die wesentlich allein dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzuordnen sind. Bieten sich daher anstelle
des kürzesten Weges mehrere zumutbare Wegealternativen an, ist zum Erhalt des Versicherungsschutzes in der
Regel der nächstkürzere Weg zu wählen, wobei unbedeutende Umwege nicht ins Gewicht fallen. Ist aber der gewählte
alternative Weg nicht unbedeutend länger als ein anderer alternativer Weg, steht ersterer Weg nur unter
Versicherungsschutz, wenn die kürzere Alternative aus den oben genannten Gründen nicht zum Erhalt des
Versicherungsschutzes benutzt zu werden braucht, weil also insbesondere der gewählte Weg weniger zeitaufwendig,
sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger ist als die nicht gewählte alternative Strecke. Wegen
der Besonderheiten des Straßen- und Wegenetzes, der unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten und der
Vielfalt der Lebenssachverhalte, die bei der Wahl des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit bedeutsam sind,
lassen sich keine allgemeingültigen Regeln hinsichtlich der Länge des Weges, der in Anspruch genommen Geh- oder
Fahrzeit oder sonstiger einschlägiger Kriterien festlegen. Ob ein gewählter längerer Weg noch ein unmittelbarer Weg
iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist der gewählte alternative
Weg nach und zum Ort der Tätigkeit hinsichtlich Entfernung und Zeit erheblich länger als eine andere alternative
Wegstrecke, stellt dies allerdings ein Indiz dafür dar, daß für die Wahl des Weges Gründe maßgebend waren, die
wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Je länger und zeitaufwendiger der gewählte alternative Weg daher
im Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigen alternativen Weg ist, um so höhere Anforderungen sind
an den Nachweis zu stellen, daß der erforderliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg
nach oder vom Ort der Tätigkeit besteht.
Ob der vom Kläger am Unfalltag (1. April 1998) gewählte Weg von seiner Arbeitsstätte in Heilbronn der unmittelbare
Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII war, kann der Senat mangels geeigneter Feststellungen nicht entscheiden. So ist
bereits ungeklärt, ob objektive, nicht dem privaten Lebensbereich zuzuordnende Gründe bestanden, den kürzesten
Weg über die Bundesautobahn A 6 bis Kupferzell und sodann über die Bundesstraße Nr 19 bis Künzelsau für die
Heimfahrt nicht zu nehmen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger die beiden Wegevarianten "je nach
Verkehrslage" benutzt. Dies kann nur so verstanden werden, daß er nach entsprechenden Hinweisen insbesondere im
Verkehrsfunk oder bei sonstigen Anzeichen für eine Überlastung der A 6 (zB Baustellen, Urlaubsverkehr) diese
Strecke nicht wählte, sie bei Nichtvorhandensein solcher Hinweise oder Anzeichen aber benutzte. Das LSG hat hierzu
- wohl aus eigener, nicht näher begründeter Sachkenntnis - festgestellt, daß die genannte Autobahn permanent
überlastet ist. Mit dieser Feststellung läßt sich jedoch nicht erklären, warum der Kläger diese Route an manchen
Tagen benutzte, an manchen nicht. Das LSG hat daher die Feststellung nachzuholen, welche Gründe gegen die
Benutzung der A 6 durch den Kläger gerade am Unfalltag sprachen. Sofern diese Gründe nicht im wesentlichen allein
dem privaten Lebensbereich, nämlich dem Wunsch, seinen kranken Vater zu besuchen, zuzuordnen sind, hat das
LSG weiterhin Feststellungen darüber zu treffen, wie der Verlauf des längeren Weges ist, den es als alternativen
"üblichen Weg" ansieht. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind nämlich nicht frei von Widersprüchen. Denn
einerseits wird im angefochtenen Urteil der Weg über Neuenstadt, Stein, Widdern, Krautheim und Oberginsbach als
eine von zwei Wegvarianten bezeichnet, die der Kläger je nach Verkehrslage für seine Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte wählt. Andererseits wird darin der Weg von Neuenstadt nach Stein als unversicherter Abweg
charakterisiert und dargelegt, daß der Kläger nicht auf dem Weg nach Stein, sondern auf dem "üblichen Weg"
verunglückt sei. Ergeben die Ermittlungen, daß die durch das Jagsttal führende Wegvariante stets über Stein führt, ist
dies ein deutliches Indiz dafür, daß der wesentliche Grund für die Auswahl dieser Strecke der Wunsch des Klägers
war, seinen Vater zu besuchen. Sollte aber unter diesen Voraussetzungen der längere Weg wesentlich allein privaten
Zwecken dienen, stünde der nach dem Besuch seines Vaters eingeschlagene Weg auch nicht deshalb unter
Versicherungsschutz, weil der Kläger dann unmittelbar zu seinem Wohnsitz fahren wollte. Ergeben die Ermittlungen,
daß die Wegvariante durch das Jagsttal nicht über Stein führt, daß also die Fahrt von Neuenstadt nach Stein nur ein
Abweg von einem sonst üblichen Wege ist, sind Feststellungen erforderlich, ob es für den Kläger - außer der A 6 -
eine andere zumutbare Straßenverbindung von Heilbronn nach Künzelsau gibt, die nach Entfernung und Zeitaufwand
erheblich kürzer als die Strecke über das Jagsttal ist, und ob bejahendenfalls weitere objektive Gründe im oben
genannten Sinne vorhanden sind, warum der Kläger diese kürzere Wegvariante nicht benutzt hat. Sofern diese
Voraussetzungen erfüllt sein sollten, könnte der infolge des Abweges von Neuenstadt nach Stein verlorengegangene
Versicherungsschutz nach Beendigung dieses Abwegs wiederaufgelebt sein (vgl BSG Nr 51 zu § 543 RVO aF; BSGE
63, 26, 27 mwN = SozR 2200 § 550 Nr 77).
Das LSG wird nunmehr die genannten fehlenden Feststellungen nachzuholen und unter Beachtung der hier
festgelegten Grundsätze neu zu entscheiden haben.
Auf die Revision der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), das auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.