Urteil des BSG vom 20.03.2007

BSG: grundsatz der gleichbehandlung, umschulung, berufliche eingliederung, berufliche ausbildung, diplom, rehabilitation, arbeitsmarkt, wirtschaftlichkeit, aufwand, ingenieur

Bundessozialgericht
Urteil vom 20.03.2007
Sozialgericht Mannheim S 9 U 1376/02
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 1 U 2127/03
Bundessozialgericht B 2 U 18/05 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten wegen der Höhe der Teilförderungsleistungen für eine Maßnahme der Teilhabe des Klägers am
Arbeitsleben.
2
Der 1967 geborene Kläger ist (in der ehemaligen DDR) ausgebildeter Krankenpfleger. Diese Tätigkeit gab er am 20.
März 1998 wegen einer Hauterkrankung auf, welche die Beklagte als Berufskrankheit (BK) nach Nr 5101 der Anlage
zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannte (Bescheid vom 22. Mai 1998). Da die Beklagte eine Aufgabe der
Tätigkeit des Klägers im medizinischen Bereich für erforderlich hielt, wurden mit ihm die Möglichkeiten einer
Umschulung erörtert, wobei er sich zunächst für ein Hochschulstudium zum Diplom-Pflegelehrer bzw überhaupt ein
Fachhochschulstudium interessierte, schließlich aber für eine Umschulung zum Sozialversicherungsfachangestellten
beim Berufsförderungswerk (BFW) Stralsund entschied. Eine Maßnahme der Berufsfindung ging dieser Entscheidung
nicht voraus. Die gewählte Umschulung begann nach einem erfolgreich besuchten
Rehabilitationsvorbereitungslehrgang am 1. Februar 1999, sollte 24 Monate dauern und wurde ihm von der Beklagten
als berufsfördernde Maßnahme bewilligt (Bescheid vom 1. Dezember 1998), wobei die Kosten der Ausbildung, der
internatsmäßigen Unterbringung, der planmäßigen Familienheimfahrten sowie der Beiträge zur gesetzlichen Kranken-,
Pflege- und Rentenversicherung von der Beklagten übernommen und Übergangsgeld gezahlt wurde. Außerdem
wurden dem Kläger für den Zeitraum vom 21. März 1998 bis 20. März 2003 Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 BKV
ohne Staffelung der Leistungshöhe bewilligt.
3
Obwohl seine Leistungen im ersten Semester in allen Fächern mit der besten Note bewertet wurden, brach der Kläger
die Maßnahme nach Gesprächen vornehmlich mit dem Psychologischen Dienst des BFW am 26. August 1999 ab; als
Grund gab er gegenüber der Beklagten persönliche Probleme, Unterforderung und mangelndes Interesse an den
Themen sowie fehlende berufliche Sicherheit an und erklärte, seine berufliche Zukunft sehe er in der Fachrichtung
Datenverarbeitung / Informatik, mit der er erst beim BFW in Verbindung gekommen sei. Das BFW empfahl unter
Hinweis auf eine dahingehende Stellungnahme seines Psychologischen Dienstes eine Berufsfindung. Die Beklagte
hob den Bescheid über die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme vom 1. Dezember 1998 auf und stellte fest,
dass Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld (nur noch) bis zum 26. August 1999 bestand (Bescheid vom 29.
September 1999).
4
Nachdem der Kläger nunmehr an einer Berufsfindung und Arbeitserprobung vom 23. Mai bis 19. Juni 2000 auf Kosten
der Beklagten teilgenommen hatte, bei der sich seine Eignung für ein von ihm angestrebtes Fachhochschulstudium
ergeben hatte, nahm er am 4. Oktober 2000 an der Fachhochschule Heidelberg ein Studium im Studiengang
Elektronik auf. Vorgesehen waren eine Studienzeit von drei Jahren und der Abschluss mit der Prüfung zum Diplom-
Ingenieur für Elektrotechnik.
5
Die Beklagte bot dem Kläger unter Hinweis auf einen erläuternden Aktenvermerk den Abschluss eines öffentlich-
rechtlichen Vertrages an, nach dem sie diese Ausbildung durch Zuschüsse bis zu einem Betrag in Höhe von
93.406,82 DM abzüglich bereits erbrachter Leistungen in Höhe von 67.216,13 DM, verbleibend 26.190,69 DM,
unterstützen sollte. Nachdem der Kläger dieses Angebot abgelehnt hatte, teilte ihm die Beklagte mit, er habe dem
Grunde nach Anspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation. Ihm werde Teilförderung gemäß § 35 Abs 3
des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) gewährt; die Maßnahme werde bis zu einem Betrag in Höhe von
27.642,67 DM bezuschusst (Bescheid vom 10. Juli 2001). Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe weiterhin
Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, da mit dem Abbruch der Umschulungsmaßnahme zum
Sozialversicherungsfachangestellten eine dauerhafte berufliche Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht
erreicht worden sei. Da keine gegen die vorgeschlagene berufliche Neuorientierung sprechenden Gründe ersichtlich
seien, werde hierfür Teilförderung gewährt. Mit der jetzigen beruflichen Neuorientierung strebe der Kläger einen
Abschluss zum Diplom-Ingenieur an; damit werde er künftig eine höherwertige Tätigkeit als bisher ausüben. Diese
könne als beruflicher Aufstieg nur bis zur Höhe des Aufwands gefördert werden, der bei einer angemessenen
Maßnahme (Referenzmaßnahme) entstehen würde. Bei der Ermittlung des angemessenen Aufwandes seien die
Kosten festzustellen, welche bei der Durchführung einer bis zu zweijährigen Umschulung entstehen würden, die der
Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit des Versicherten entsprächen. Dies sei adäquat zum gewählten
Studiengang eine Facharbeiterausbildung zum Systemelektroniker. Die vom Kläger selbst gewählte
Umschulungsmaßnahme zum Sozialversicherungsfachangestellten sei der bisherigen Tätigkeit als Krankenpfleger
adäquat gewesen und hätte zur Eingliederung geführt. Mit dem Abbruch dieser Maßnahme habe der Kläger den
Wegfall seines Interesses daran dokumentiert; es sei daher nur fach- und sachgerecht, wenn die bisher angefallenen
Kosten auf die neue Maßnahme, die er nur aufgrund seiner persönlichen Interessen aufgenommen habe, angerechnet
würden. Die Beiträge der Mitglieder dürften nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nur
zweckbestimmt und zweckentsprechend verwendet werden, was umso mehr bei der allgemein bekannten schlechten
finanziellen und wirtschaftlichen Situation gelte, in der sich die Kommunen, kreisfreien Städte und das Land Sachsen-
Anhalt befänden. Eine Nichtanrechnung wäre auch eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Besserstellung gegenüber
den anderen Rehabilitanden. Bei dem ermittelten Förderbetrag der Referenzmaßnahme sei zu Gunsten des Klägers
der höchstmögliche förderungsfähige Betrag angesetzt worden. Nach alledem sei der bereits durch die
Umschulungsmaßnahme verbrauchte Betrag in Höhe von 65.764,15 DM von dem errechneten
Förderungsgesamthöchstbetrag von 93.406,82 DM abzuziehen, sodass noch 27.642,67 DM gewährt werden könnten.
Dieser Förderbetrag werde über die Dauer der zu erwartenden Ausbildung in monatlichen Raten von 767,85 DM
ausgezahlt.
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Der Widerspruch des Klägers wurde von der Beklagten nach Beiziehung der Aufzeichnungen des Psychologischen
Dienstes des BFW Stralsund über die mit dem Kläger im Juni und Juli 1999 geführten Gespräche zurückgewiesen
(Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2002). Für den Abbruch der Maßnahme seien Interessenkonflikte sowie der
Wunsch nach beruflicher Neuorientierung verbunden mit einer Höherqualifizierung, damit vom Kläger zu vertretende
Gründe, ursächlich gewesen.
7
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Während des Klageverfahrens hat die
Beklagte die Übergangsleistungen für die Zeit ab September 2000 neu festgesetzt. Auch hiergegen hat der Kläger
Klage erhoben. Das SG hat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die
Beklagte unter Aufhebung der betreffenden Bescheide verurteilt, die Teilförderungsleistungen und die
Übergangsleistungen für den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen; im
Übrigen hat es die Klagen abgewiesen, soweit sie über die Verpflichtung zur Neubescheidung hinausgingen (Urteil
vom 29. April 2003). Bei der Ermessensentscheidung über die Bemessung der Teilförderungsleistungen sei es nicht
statthaft, die für die frühere fehlgeschlagene Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten entstandenen
Aufwendungen anzurechnen. Der Bewilligungsbescheid über diese Leistungen sei für die Vergangenheit nicht
zurückgenommen worden, ein entsprechender Anspruchsgrund nicht ersichtlich und der Kläger somit auch nicht zur
Rückerstattung verpflichtet. Bei der Neufestsetzung des Leistungsanspruchs des Klägers werde die Beklagte auch zu
beachten haben, dass es nahe liegend sei, sich an den bei einer erfolgreichen Fortsetzung der abgebrochenen
Maßnahme beim BFW Stralsund entstandenen Kosten zu orientieren, und dass eine Bezugnahme auf die
Förderungssätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nicht statthaft sei.
8
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG mit der
Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung des Senats zu beachten
habe (Urteil vom 22. April 2005). Dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf die Förderung des Studiums der
Elektrotechnik als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben habe, stehe auf Grund des Bescheides vom 10. Juli 2001,
den der Kläger insoweit nicht angefochten habe, bindend fest. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nicht
die vollständigen Kosten des Studiums fördere, sondern nur die Kosten einer Maßnahme auf der Ebene der in der
ehemaligen DDR erworbenen Ausbildung zum Krankenpfleger, die der Kläger mit dem Fachschulabschluss beendet
habe. Mit der Ausbildung zum Diplom-Ingenieur strebe er dagegen einen Fachhochschulabschluss und damit eine
höherwertige Tätigkeit an. Es stehe im Ermessen des Unfallversicherungsträgers, in welcher Höhe er diese fördern
wolle, wobei der Aufwand aber nicht den einer angemessenen Maßnahme (Referenzmaßnahme) übersteigen dürfe.
Dass die Beklagte im Rahmen ihres Auswahlermessens als Referenzmaßnahme mit der Umschulung zum
Systemelektroniker eine solche aus der Fachrichtung des vom Kläger gewählten Hochschulstudiums und nicht die
zunächst begonnene Umschulung zum Sozialversicherungsfachangestellten gewählt habe, sei nicht zu beanstanden.
Die Beklagte sei aber nicht berechtigt, die Aufwendungen der gescheiterten Umschulungsmaßnahme anzurechnen,
weil sie damit die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens über die Bemessung der Teilförderung überschreite; hierfür
gebe es keine Rechtsgrundlage und eine Anrechnung widerspreche auch der Verpflichtung des
Unfallversicherungsträgers, mit allen geeigneten Mitteln die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer zu
sichern. Mit einer gescheiterten Maßnahme - wie hier der abgebrochenen Umschulung zum
Sozialversicherungsfachangestellten - sei dieses Ziel nicht erreicht und der Träger müsse versuchen, dies durch
Bewilligung einer weiteren Maßnahme zu bewirken. Davon sei auch die Beklagte ausgegangen, da sie Teilförderung
für das dem bereits bei den Gesprächen am 12. Mai 1997 geäußerten Wunsch des Klägers nach einer höherwertigen
Ausbildung entsprechende Studium bewilligt habe. Dies zeige, dass die zunächst begonnene Umschulung zum
Sozialversicherungsfachangestellten nicht geeignet gewesen sei, die Eingliederung des Klägers auf Dauer zu
erreichen, was auch durch die Stellungnahme des Psychologischen Dienstes des BFW Stralsund bestätigt werde. Es
sei nicht zu entscheiden, ob die Beklagte die mit 93.406,82 DM ermittelten Kosten für die Referenzmaßnahme
erhöhen müsse, weil der errechnete monatliche Betrag die Sätze des BAföG unterschreite, da eine solche Erhöhung
die Grenze der Kosten für die Referenzmaßnahme überschreiten würde. Ohne Anrechnung der Aufwendungen der
gescheiterten Umschulung könne sich hier möglicherweise ein über den Sätzen des BAföG liegender Betrag ergeben.
9
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision wendet sich die Beklagte allein gegen ihre Verurteilung zur
Neufestsetzung der Teilförderungsleistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des LSG; dessen Entscheidung
zur Übergangsleistung greift sie ausdrücklich nicht an. Sie rügt eine Verletzung des § 35 Abs 3 SGB VII. Die
Vorinstanzen hätten den Ermessensspielraum des Unfallversicherungsträgers unzulässig beschränkt. Das LSG habe
zwar das ihr zustehende Auswahlermessen hinsichtlich einer Referenzmaßnahme zutreffend dargestellt, nicht jedoch
die im Rahmen der Festsetzung der Höhe der Teilförderung anzustellenden Ermessenserwägungen. Es wäre
ermessensfehlerhaft, nach Abbruch der ersten erfolgversprechenden Fördermaßnahme durch den Kläger für die
zweite Maßnahme wiederum pauschal den Höchstbetrag ansetzen zu müssen ohne die Möglichkeit einer
Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles. Eine erneute pauschale Höchstförderung würde dem die
Sozialversicherung tragenden und prägenden Rechtsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht gerecht.
Außerdem müsse bei den Ermessensabwägungen auch der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Rehabilitanden
Berücksichtigung finden, die grundsätzlich nur eine berufliche Umschulungsmaßnahme gefördert bekämen. Auch
wenn der Umschulungsmaßnahme keine Berufsfindung vorausgegangen sei, könne dies nicht dazu führen,
verschiedene Ausbildungen anzufangen und diese jeweils bis zum möglichen Höchstförderungsbetrag gefördert zu
bekommen. Ihre grundsätzliche Entscheidung, die Teilförderung für das Studium dem Grunde nach zu bewilligen,
beschränke sie nicht in ihrem Ermessen bei der Feststellung des notwendigen und angemessenen Förderbetrages. In
diesem Rahmen sei eine Betrachtung der bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen zulässig, wobei gleichwohl
zur Sicherstellung des Erreichens des Ausbildungsziels die tatsächliche Bedarfslage des Versicherten berücksichtigt
werden müsse. Tatsächlich habe der Kläger die gewährte Höherqualifizierung abschließen können und sei auch
aufgrund weiterer Leistungen erfolgreich in das Berufsleben eingegliedert worden. Dass der gewährte
Teilförderungsbetrag den tatsächlichen Bedarf des Klägers nicht abgedeckt hätte, sei dem angefochtenen Urteil nicht
zu entnehmen.
10
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2005
sowie des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2003 aufzuheben, soweit es ihre Verurteilung zur Neufestsetzung
der Teilförderungsleistungen betrifft, und die Klage insoweit abzuweisen.
11
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
12
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt unter Vorlage einer Aufstellung über seine Einnahmen und
Fixkosten während der Ausbildungszeit ergänzend vor, er habe die erfolgreiche Höherqualifizierung nur aufgrund der
finanziellen Unterstützung durch seine Eltern und seine Großmutter sowie der eigenen Nebenerwerbstätigkeit und der
Auflösung seiner Ersparnisse erreichen können. Mit dem von der Beklagten gewährten Teilförderungsbetrag wäre ein
erfolgreicher Abschluss nicht möglich gewesen.
II
13
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Ihre Verurteilung zur Neufestsetzung der dem Kläger gewährten
Teilförderung unter Beachtung der Rechtsauffassung des LSG lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
14
Der von dem Kläger verfolgte Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher berufliche Rehabilitation)
richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (vgl § 214 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Der diesem Anspruch
zugrundeliegende Versicherungsfall einer BK nach Nr 5101 der Anlage zur BKV ist nach den nicht mit zulässigen und
begründeten Revisionsrügen angefochtenen und daher gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für den Senat
bindenden Feststellungen des LSG mit der Aufgabe der belastenden Tätigkeit durch den Kläger am 20. März 1998,
also nach In-Kraft-Treten des SGB VII (1. Januar 1997) eingetreten.
15
Nach § 26 Abs 1 Satz 1 SGB VII in der hier maßgeblichen Fassung des Art 7 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB IX) haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des SGB IX Anspruch
auf ua Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln
möglichst frühzeitig den Versicherten einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben
zu sichern (§ 26 Abs 2 Nr 2 SGB VII). Diese Regelungen geben einen Anspruch dem Grunde nach; die
Anspruchsgrundlagen für die einzelnen Leistungen sind im Dritten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Dritten
Kapitels des SGB VII (§ 35 SGB VII iVm §§ 33 bis 38 SGB IX) festgelegt, die hinsichtlich der
Teilförderungsmöglichkeit gegenüber den Vorgängervorschriften (§§ 35 ff SGB VII idF vom 7. August 1996) keine
inhaltliche Änderung gebracht haben.
16
Nach § 35 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 33 Abs 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen
Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend
ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am
Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Diese Leistungen umfassen insbesondere berufliche Anpassung und
Weiterbildung (§ 33 Abs 3 Nr 3 SGB IX), berufliche Ausbildung (§ 33 Abs 3 Nr 4 SGB IX), Überbrückungsgeld (§ 33
Abs 3 Nr 5 SGB IX) sowie die Übernahme der erforderlichen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und für sonst damit
unmittelbar zusammenhängenden Aufwand (§ 33 Abs 7 SGB IX). Bei der Auswahl der Leistungen sind Eignung,
Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen zu berücksichtigen (§ 33
Abs 4 Satz 1 SGB IX).
17
Kommen nach diesen Grundsätzen bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch des Versicherten auf
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach verschiedene Maßnahmen in Betracht, die gleichermaßen
geeignet sind, die Teilhabe des Versicherten am Arbeitsleben zu sichern, hat der Unfallversicherungsträger ein
Auswahlermessen, welche Maßnahme er gewähren will. Falls der Versicherte die (aufwändigere) Ausbildung zu einer
höherwertigen Tätigkeit anstrebt, die unter Berücksichtigung von Eignung, Neigung und bisheriger Tätigkeit nicht
angemessen in diesem Sinne ist, so kann eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben bis zur Höhe des Aufwandes
gefördert werden, der bei einer - nach den obigen Kriterien - angemessenen Maßnahme entstehen würde (§ 35 Abs 3
SGB VII). Es steht im Ermessen des Unfallversicherungsträgers, ob und in welchem Umfang er bei Vorliegen der
genannten Voraussetzungen diese Teilförderung bewilligt.
18
Im vorliegenden Fall hat der Kläger dem Grunde nach Anspruch gegen die Beklagte auf Teilförderung des
Fachhochschulstudiums der Elektrotechnik. Denn die Beklagte hat dies mit ihrem Bescheid vom 10. Juli 2001
ausdrücklich bewilligt, und der Kläger hat diesen Bescheid insoweit nicht angefochten, sodass er hinsichtlich der
diesen Gegenstand betreffenden Verfügungssätze in der Sache bindend (§ 77 SGG) geworden ist. Daher ist nicht
mehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Teilförderung (Versicherungsfall, Notwendigkeit für Maßnahmen der
Teilhabe am Arbeitsleben, Zustimmung des Klägers, Ausbildung für eine höherwertige, nicht angemessene Tätigkeit)
vorliegen, woran allerdings auch nach den vom LSG festgestellten Tatsachen keine Zweifel bestehen dürften. Es
kann daher auch offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein willkürlicher, ohne nachvollziehbare
Gründe vorgenommener Abbruch einer an sich geeigneten Maßnahme zum Ausschluss der Gewährung weiterer
Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben führen kann.
19
Der Kläger wendet sich allein gegen die Höhe der ihm dem Grunde nach bindend zuerkannten Teilförderung; im
vorliegenden Verfahren ist daher nur über die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidungen hinsichtlich dieses
Gegenstandes zu befinden. Die Höhe der Teilförderung iS des § 35 Abs 3 SGB VII ist gesetzlich nicht näher geregelt.
Aus dem Wort "kann" ist zu entnehmen, dass neben der - hier nicht im Streit stehenden - Entscheidung über das "ob"
der Gewährung von Leistungen auch die des "wie" hinsichtlich der Höhe dieser Leistungen grundsätzlich im Ermessen
des Unfallversicherungsträgers steht.
20
Die Einräumung von Ermessen bedeutet, dass der Leistungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 39 Abs 1 Satz 1 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I); § 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Umgekehrt hat der Versicherte einen Anspruch
auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I), nicht aber einen Rechtsanspruch auf einen
bestimmten Betrag, sofern nicht eine "Ermessensreduzierung auf Null" hinsichtlich der Bewilligung der begehrten
Leistung eingetreten ist. Da der Kläger jedenfalls im Revisionsverfahren nicht behauptet, dass hier ein solcher
Ausnahmesachverhalt vorliegt, sondern nur geltend macht, dass die Beklagte über den streitigen Anspruch eine
(neue) Ermessensentscheidung treffen und dabei die Rechtsauffassung des LSG beachten soll, ist sein Begehren in
Form der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Bescheidungsklage) zulässig.
21
Die streitigen Verwaltungsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinem Recht auf fehlerfreien
Ermessensgebrauch, soweit sie die Höhe der ihm bewilligten Teilförderung betreffen, wie das LSG zutreffend durch
Bescheidungsurteil (§ 131 Abs 3 SGG) entschieden hat.
22
Das dem Unfallversicherungsträger in § 35 Abs 3 SGB VII hinsichtlich der Höhe der Teilförderung eingeräumte
Ermessen ist lediglich ausdrücklich insoweit begrenzt, als diese Leistung die Höhe des Aufwandes, der bei einer
angemessenen Maßnahme entstehen würde, nicht übersteigen darf. Die Feststellungen und Erwägungen, welche die
Beklagte bezüglich des Aufwandes für eine in diesem Sinne angemessene Maßnahme angestellt hat, sind auf der
Grundlage der vom LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellten Tatsachen rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ausübung
des Auswahlermessens dahin, dass die Beklagte als Referenzmaßnahme eine Umschulung zum Systemelektroniker
zugrunde gelegt hat, ist sachgemäß, da hier die im Rahmen des Ermessens entsprechend dessen Zweck einer
erfolgreichen Wiedereingliederung besonders zu berücksichtigenden Kriterien der Eignung und der Neigung (vgl § 33
Abs 4 Satz 1 SGB IX) beachtet werden; die ebenfalls als Referenzmaßnahme in Betracht kommende Umschulung
zum Sozialversicherungsfachangestellten wäre hierzu im Übrigen offensichtlich weniger geeignet, da der Kläger eine
entsprechende Maßnahme gerade im Hinblick auf seine fehlenden Neigung für eine solche Tätigkeit abgebrochen hat
und sie daher wegen der fehlenden Motivation für die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben für den Kläger nicht
geeignet ist. Die von der Beklagten ermittelte Höhe des - die oberste Grenze für die bewilligte Teilförderung bildenden
- Aufwands (93.406,82 DM) ist nach den Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden; in dieser Hinsicht hat der
Kläger auch keine Rügen erhoben.
23
Der Kläger wendet sich indes dagegen, dass die Beklagte die anhand der Referenzmaßnahme ermittelte
Höchstgrenze der Teilförderung um den Betrag für den Aufwand vermindert hat, der ihr durch die Förderung der
Maßnahme der Umschulung zum Sozialversicherungsfachangestellten bis zum Abbruch entstanden ist und danach
die Teilförderung bemessen hat. Mit der von ihr vorgenommenen Anrechnung und danach vorgenommenen
Festsetzung der Teilförderung hat die Beklagte die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens überschritten, wie SG
und LSG zutreffend entschieden haben. Beide Instanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es hierfür keinen
Rechtsgrund gibt und dass dies auch nicht dem Zweck der Ermächtigung zur Ausübung des Ermessens entspricht.
24
Durch den Abbruch der Maßnahme wegen fehlender Neigung durch den Kläger ist jedenfalls kein Erstattungsanspruch
der Beklagten gemäß § 50 SGB X gegen den Kläger hinsichtlich der bisher erbrachten Leistungen entstanden, mit
dem eine "Verrechnung" im Rahmen der Bewilligung einer Förderung für eine neue Maßnahme erfolgen könnte und der
im Übrigen durch Bescheid festgesetzt werden müsste (vgl Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 50 RdNr
11). Die Leistungen sind nicht ohne Rechtsgrund erbracht worden; die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 1.
Dezember 1998 sollte ersichtlich nicht den Rechtsgrund für die bis dahin erbrachten Leistungen mit Rückwirkung
beseitigen, sondern ist offensichtlich allein auf die Zukunft gerichtet. Dies ist auch daraus zu ersehen, dass im
Verfügungssatz des Bescheides vom 29. September 1999 ausdrücklich der 26. August 1998 - das Datum des
Abbruchs der Maßnahme - als Endpunkt des Anspruchs auf Übergangsgeld festgestellt wird.
25
Die Festsetzung der Teilförderungsleistung unter Anrechnung für eine abgebrochene Maßnahme erbrachter
Aufwendungen widerspricht aber auch Sinn und Zweck der Bewilligung von Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleben
im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Durch alle geeigneten Mittel, insbesondere die Vermittlung von
Kenntnissen und Fähigkeiten sowie Bereitstellung weiterer Mittel soll die - auf Grund eines Versicherungsfalles
notwendig gewordene - Wiedereingliederung des Versicherten in das Arbeitsleben auf Dauer erreicht werden (vgl § 26
Abs 2 Nr 2 SGB VII und § 35 Abs 1 SGB VII iVm § 33 Abs 1 SGB IX); hierzu ist der Unfallversicherungsträger
gegenüber dem Versicherten verpflichtet. Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist zunächst, dass
der Versicherte durch eine entsprechende Maßnahme in den Stand versetzt wird, überhaupt wieder am Arbeitsleben
teilzunehmen. Dies ist mit Aussicht auf Erfolg nur möglich, wenn die durch die Teilnahme an der Maßnahme
erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten hierzu geeignet sind und ausreichen. Generell ist davon auszugehen, dass
nur eine abgeschlossene Maßnahme dies vermitteln kann. Für die hier vom Versicherten abgebrochene Umschulung
zum Sozialversicherungsfachangestellten dürfte dies jedenfalls zutreffen, was auch von der Beklagten nicht in Zweifel
gezogen wird. Ist aber eine bewilligte und begonnene Maßnahme nicht abgeschlossen, sondern abgebrochen worden
und sind damit die Voraussetzungen für eine Teilnahme des Versicherten am Arbeitsleben noch nicht erfüllt, kann
dies nicht zum Wegfall des Anspruchs auf Teilhabe am Arbeitsleben führen. Vielmehr bleibt der grundsätzliche
Anspruch des Versicherten auf solche Leistungen bestehen und es ist unter Berücksichtigung der zum Abbruch
führenden Umstände - hier etwa auch die nicht stattgefundene Berufsfindung - über die weiteren Leistungen, die zur
Erreichung des Ziels besser geeignet sind, zu entscheiden (vgl Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 2002, § 35
RdNr 33). Dies hat die Beklagte auch anerkannt. Der Anspruch und dementsprechend die Verpflichtung des
Unfallversicherungsträgers zur Erbringung entsprechender Leistungen bestehen so lange, bis das Ziel der dauerhaften
Eingliederung erreicht ist. Bei der Bewilligung einer neuen Maßnahme ist es jedoch ermessensfehlerhaft, bereits
erbrachte Leistungen für Maßnahmen, die nicht zur dauerhaften Eingliederung geführt haben, bei der Bemessung der
Leistungen für eine erneute Leistung zu berücksichtigen. Denn auf diese Weise würde eine erneut abgebrochene, sich
als ungeeignet herausstellende Maßnahme möglicherweise dazu führen, dass keine weitere Teilförderung mehr
bewilligt werden könnte, weil ein - im Gesetz nicht vorgesehenes - "Konto" des Versicherten durch die Anrechnung der
bereits erbrachten Leistungen völlig aufgebraucht wäre. Bei jeder neu zu bewilligenden Maßnahme ist die
Teilförderung vielmehr neu ohne Berücksichtigung früherer Leistungen allein danach zu bemessen, dass sie eine
erfolgreiche Wiedereingliederung in das Arbeitsleben auf Dauer ermöglicht, insbesondere also dem Versicherten einen
hierfür ausreichenden Lebensunterhalt verschafft und es ihm möglich macht, die weiteren mit der Ausbildung
verbundenen Aufwendungen zu tragen, soweit dies bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Obergrenze möglich ist; dabei
ist seine tatsächliche Lebens- und Einkommenslage zu berücksichtigen. Die von der Beklagten angewandte Methode
der Festsetzung der Höhe über die Feststellung der Höchstförderung abzüglich der bereits erbrachten Leistungen ist
sachfremd und daher vom Ermessen nicht gedeckt; sie ist daher auch durch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit nicht geboten, denn auch diese setzt eine sachbezogene Handlungsweise voraus. Dies besagt -
entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht, dass damit jede Teilförderung unterhalb der vom Gesetz vorgegebenen
Höchstgrenze untersagt wäre; aus dem Wortlaut des § 35 Abs 3 SGB VII folgt vielmehr, dass eine Förderung auch
unterhalb dieser Grenze erfolgen kann (vgl Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2006, K § 35 RdNr 56a).
Hierzu sind allerdings am Sinn der Ermächtigungsnorm orientierte sachgerechte Erwägungen anzustellen, zu denen
die von der Beklagten postulierte Anrechnungsmethode nicht zählt.
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Diese Auffassung verletzt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung aller
Rehabilitanden, da die Beklagte nicht nur im Falle des Klägers, sondern bei jedem Rehabilitanden in vergleichbarer
Situation bei aus nachvollziehbaren Gründen abgebrochener Maßnahme und insbesondere auch vor deren Beginn
trotz auseinander gehender Vorstellungen über die Art der Umschulung nicht stattgefundener Berufsfindung zu dieser
Verfahrensweise verpflichtet ist.
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Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
28
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.