Urteil des BSG vom 17.06.2008

BSG: krankenkasse, schwangerschaft, künstliche befruchtung, leistungserbringer, erfüllung, ivf, naturalleistung, veröffentlichung, ausschluss, krankenversicherer

Bundessozialgericht
Urteil vom 17.06.2008
Sozialgericht Magdeburg S 16 KR 255/03
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 KR 53/03
Bundessozialgericht B 1 KR 24/07 R
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Mai 2007 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. November 2003 wird
zurückgewiesen. Der Tenor des sozialgerichtlichen Urteils wird klarstellend wie folgt gefasst: Die Beklagte wird unter
Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2003
verurteilt, der Klägerin 1.550,92 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen
sowie die Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mittels
intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) in Höhe von 1.550,92 Euro.
2
Die 1964 geborene Klägerin ist bei der beklagten Ersatzkasse gesetzlich krankenversichert. Ihr 1956 geborener
Ehegatte ist bei der beigeladenen Allianz Private Krankenversicherungs-AG privat krankenversichert. Er leidet an
einer hochgradigen Fruchtbarkeitsstörung (Subfertilität im Sinne eines Oligoasthenoteratozoospermie-Syndroms III.
Grades). Zur Herbeiführung einer Schwangerschaft waren deshalb nach ärztlicher Feststellung eine ICSI in
Kombination mit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) erforderlich. Hierbei werden nach Hormonbehandlung durch
Follikelpunktion gewonnene Eizellen durch Einführung eines Spermiums mit Hilfe einer mikroskopischen Nadel
befruchtet und der so erzeugte Embryo in den Körper der Frau übertragen (Embryotransfer). Nach ärztlicher
Feststellung bestand eine hinreichende Aussicht, dass durch diese Maßnahmen eine Schwangerschaft ausschließlich
durch Ei- und Samenzellen der Ehegatten herbeigeführt würde. Die Klägerin und ihr Ehegatte ließen sich von einem
Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführte, hierüber unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und
psychosozialen Gesichtspunkte unterrichten. Der Arzt überwies sie an nach § 121a SGB V zugelassene
Leistungserbringer. Bei der Klägerin kam es zum Eintritt einer Schwangerschaft mit Spontangeburt einer Tochter im
Jahr 2000 aufgrund eines ICSI-Versuchs sowie zu einer zweiten Schwangerschaft aufgrund eines ICSI-Versuchs
Anfang März 2002 mit Fehlgeburt im dritten Schwangerschaftsmonat.
3
Den Antrag der Klägerin vom 13. und 27.5.2002, die Kosten eines weiteren ICSI-Versuchs zu übernehmen, lehnte die
Beklagte ab, da die private Versicherung ihres Ehegatten die Kosten zu übernehmen habe (Bescheid vom 30.5.2002).
Die Klägerin und ihr Ehegatte ließen daraufhin privatärztlich von Prof. Dr. K. einen weiteren ICSI-Versuch durchführen.
Sie zahlten hierfür auf die Rechnung vom 28.10.2002 im November 2002 unter Ausschluss von Maßnahmen
unmittelbar am Körper des Ehemannes 1.550,92 Euro. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück
(Widerspruchsbescheid vom 9.4.2003). Während des Klageverfahrens beim Sozialgericht (SG) hat die Beigeladene
(Private Krankenversicherungs-AG) mit der Klägerin und ihrem Ehegatten im Juli 2003 vereinbart, zur Abgeltung
sämtlicher Ansprüche aus dem privaten Krankenversicherungsvertrag hinsichtlich der künstlichen Befruchtung bei
medizinischer Notwendigkeit neben maximal drei Zyklen ICSI (Behandlungsanteile des Mannes) "im Wege der
Kulanz" auch maximal drei Zyklen Behandlungsanteile der Klägerin für die Vergangenheit und Zukunft unter
folgendem "Vorbehalt" zu übernehmen. Die Voraussetzungen des § 27a SGB V müssten von der Klägerin eingehalten
werden. Sie müsse ihre Krankenkasse (= die Beklagte) auf Übernahme der IVF verklagen. Die Beigeladene behalte
sich vor, den Betrag für die IVF-Leistungen zurückzufordern, sollte sich herausstellen, dass die gesetzliche
Krankenkasse der Klägerin zur Leistung verpflichtet sei. Die Beigeladene hat unter diesen Prämissen der Klägerin
1.478,72 Euro gezahlt. Das SG hat die Beklagte unter Einbeziehung der Kosten weiterer Maßnahmen der künstlichen
Befruchtung und Klageabweisung im Übrigen verurteilt, der Klägerin 2.713,66 Euro zu zahlen (Urteil vom 6.11.2003).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin im Rahmen eines Teilvergleichs und einer Teilklagerücknahme ihre
Klageforderung auf 1.550,92 Euro für die extrakorporalen Maßnahmen und Leistungen an ihrem Körper begrenzt. Das
Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ua ausgeführt, zwar habe die Beklagte eine Kostenübernahme rechtswidrig abgelehnt. Wegen
der Leistung der Beigeladenen seien der Klägerin aber keine Kosten entstanden (Urteil vom 23.5.2007).
4
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V. Sie trägt vor, die
Behandlungskosten seien ihr entstanden. Die Beklagte könne sich nicht auf die Leistungspflicht der Beigeladenen
berufen, um sich ihrer eigenen Verpflichtung zu entziehen.
5
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Mai 2007 aufzuheben und die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. November 2003 mit der Maßgabe
zurückzuweisen, dass dessen Tenor wie folgt klargestellt wird: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides
vom 30. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2003 verurteilt, der Klägerin 1.550,92 Euro
zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
8
Die Beigeladene schließt sich den Anträgen der Klägerin an.
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Sie trägt vor, es sei treuwidrig, wenn bei einer Mehrheit von Schuldnern der eine Schuldner solange seine eigene
Leistungsverpflichtung negiere, bis der andere Schuldner aufgrund eigener Leistungsverpflichtung leiste.
II
10
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das LSG-Urteil ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das SG-Urteil ist zurückzuweisen, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von
1.550,92 Euro. Der Tenor des SG-Urteils ist insoweit klarzustellen, da sich im Berufungsverfahren die Klageforderung
auf diesen Betrag reduziert hat. Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V (dazu
1.) sind erfüllt. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Kosten der ICSI vorab zu übernehmen und unmittelbar
mit dem Leistungserbringer abzurechnen (dazu 2.). Die Klägerin hat sich deshalb die notwendige Behandlung selbst
beschafft. Dadurch sind ihr die geltend gemachten Kosten entstanden (dazu 3.). Die Beklagte kann die Klägerin nicht
auf die Leistungen der Beigeladenen (Private Krankenversicherungs-AG; im Folgenden: PKV) verweisen (dazu 4.).
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1. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V (hier anzuwenden in der seit
1.7.2001 geltenden Fassung des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom
19.6.2001, BGBl I 1046). Die Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind
dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der
entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der in Betracht kommende
Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als
Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f
mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 12 RdNr 11 mwN - LITT; zuletzt zB BSG, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 16/07 R -
RdNr 13, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
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2. Die Klägerin hatte zwar keinen Naturalleistungsanspruch auf die ICSI, als die Beklagte den Antrag ablehnte. Sie
hatte aber einen Anspruch gegen die Beklagte darauf, die Kosten der ICSI vorab zu übernehmen und unmittelbar mit
dem Leistungserbringer abzurechnen. Zu Unrecht hat es die Beklagte abgelehnt, der Klägerin die ICSI zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft in diesem Sinne zu gewähren.
13
a) Als die Klägerin im Mai 2002 die Übernahme einer weiteren ICSI-Behandlung bei der Beklagten beantragte, konnte
die Beklagte diese Behandlung noch nicht als Naturalleistung zur Verfügung stellen. Das beruhte darauf, dass nach §
27a Abs 4 SGB V der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (ab 1.1.2004: Gemeinsamer
Bundesausschuss; im Folgenden Bundesausschuss) Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der
Maßnahmen nach § 27a Abs 1 SGB V in Richtlinien zu bestimmen hat. Diese Richtlinien hat der Bundesausschuss
erstmals am 14.8.1990 erlassen (BArbBl Nr 12 vom 30.11.1990) und seither mehrfach geändert. Nr 10.5 der Richtlinie
des Bundesausschusses über "ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung" in ihrer ab 1.1.1998 geltenden
Fassung vom 1.10.1997 (BAnz Nr 243 vom 31.12.1997, 15232) schloss die ICSI aus dem Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus. Dieser Ausschluss verstieß gegen höherrangiges Recht (vgl BSGE 88,
62, 67 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 27 f; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 7; BSG, Urteil vom 21.2.2006 - B 1 KR
29/04 R - RdNr 11). Versicherte konnten daher von ihrer Krankenkasse bis zur Neuregelung der Richtlinie und der
Schaffung der leistungserbringungsrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung der ICSI als Naturalleistung
verlangen, dass sie die Kosten vorab übernimmt und unmittelbar mit dem Leistungserbringer abrechnet. Dies setzte
voraus, dass im Zeitpunkt des Behandlungsbeginns - oder hier: zu dem die Leistung vorab zu bewilligen gewesen
wäre - feststand, dass die Leistung unabhängig von der zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in
jedem Fall von der Krankenkasse zu gewähren war.
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Die Voraussetzungen dafür, ICSI als Naturalleistung zu erbringen, waren erst am 1.7.2002 erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt
trat nicht nur die neue Richtlinie des Bundesausschusses zu ICSI in Kraft (vgl Richtlinie über künstliche Befruchtung
idF vom 26.2.2002, BAnz Nr 92 vom 22.5.2002, 10941). Vielmehr wurde auch die Leistungslegende des einheitlichen
Bewertungsmaßstabs durch den Bewertungsausschuss gemäß § 87 Abs 3 SGB V geändert (vgl Beschlüsse des
Bewertungsausschusses, 74. und 75. Sitzung, Deutsches Ärzteblatt 2002, A-1860).
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b) Als die Beklagte die ICSI-Leistung ablehnte, stand fest, dass sie die Leistung ihrer Art nach unabhängig von der zu
treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in jedem Fall hätte erbringen müssen. Auch die ab 1.7.2001
geltenden Sachleistungsvoraussetzungen wären erfüllt gewesen. Nach § 27a Abs 1 SGB V (eingefügt durch Art 2 Nr 2
KOV-AnpG 1990 vom 26.6.1990, BGBl I 1211; inzwischen geändert durch Art 1 Nr 14 Gesetz vom 14.11.2003, BGBl
I 2190) umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft, wenn diese Maßnahmen 1. nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. eine hinreichende
Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird, 3. die Personen, die die
Maßnahmen beanspruchen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten
verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung
nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen
Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen
hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist. Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin
und ihrem Ehegatten nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt. Aufgrund der
Fertilitätsstörung des Ehegatten der Klägerin war die ICSI-Behandlung indiziert und zur Erfüllung des Kinderwunsches
notwendig.
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c) Die Beklagte hätte der Klägerin ICSI auch in dem geltend gemachten Umfang gewähren müssen, nämlich
Maßnahmen unmittelbar am Körper der Klägerin sowie die extrakorporalen Maßnahmen. Der Anspruch eines
Versicherten gegen seine Krankenkasse gemäß § 27a SGB V umfasst zunächst alle Maßnahmen, die "bei ihm", dh
unmittelbar an oder in seinem Körper erforderlich sind (vgl BSGE 88, 51, 54 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 13; BSG
SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 11). Hierzu gehörten bei der Klägerin die Hormonbehandlung, die Entnahme von
Eizellen (Follikelpunktion) und das Verbringen der befruchteten Eizellen in ihren Körper (Embryotransfer).
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Der Versicherte hat unabhängig davon, bei welchem Ehegatten die Unfruchtbarkeit vorliegt, gegen seine
Krankenkasse darüber hinaus einen Anspruch auf extrakorporale Behandlungsmaßnahmen. Das sind Maßnahmen,
die nicht unmittelbar bei dem Versicherten selbst oder bei seinem Ehegatten, dh unmittelbar an bzw in dessen Körper
durchzuführen sind. Die Krankenkasse darf ihrem Versicherten nicht entgegenhalten, die Kosten dieser
extrakorporalen Maßnahmen seien von der Versicherung des anderen Ehegatten zu tragen (vgl BSGE 88, 51, 57 =
SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 16; BSG SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 26; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 12 mwN). In
diesen "Zwischenbereich" fallen insbesondere die IVF sowie die ICSI.
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Eine Krankenkasse ist gegenüber ihrem Versicherten hingegen nicht leistungspflichtig für Maßnahmen, die
unmittelbar und ausschließlich am Körper des (nicht bei ihr versicherten) Ehegatten ihres Versicherten ausgeführt
werden (vgl BSGE 88, 51, 54 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 14; BSG SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 26; BSG SozR 4-
2500 § 27a Nr 1 RdNr 13). Es ist dann ggf Sache des Ehegatten, bei seiner eigenen Krankenkasse, privaten
Versicherung oder Beihilfestelle die unmittelbar und ausschließlich seinen Körper betreffende Behandlung zur
künstlichen Befruchtung geltend zu machen.
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3. Wesentlich dadurch bedingt, dass die Beklagte die begehrte ICSI abgelehnt hatte, hat sich die Klägerin mit ihrem
Ehegatten die Leistung selbst privatärztlich beschafft (dazu a). Dadurch sind ihr 1.550,92 Euro Kosten entstanden
(dazu b).
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a) Für die notwendige Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung der ICSI ab August
2002 ist es ohne Belang, dass die Beklagte - wie dargelegt - ab Juli 2002 ICSI als Naturalleistung hätte gewähren
können. Denn die Beklagte hatte sich nicht auf ihr Unvermögen zur Leistungsgewährung in natura berufen, sondern
auf die angeblich vorrangige Leistungspflicht der beigeladenen PKV gegenüber dem Ehegatten der Klägerin. Weder
hatte die Klägerin Grund, am Fortbestehen der Leistungsablehnung der Beklagten zu zweifeln, noch nahm die
Beklagte die Rechtsänderung zum 1.7.2002 zum Anlass, ihre Ablehnungsentscheidung zu überprüfen.
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b) Der Klägerin sind durch die rechtswidrige Verweigerung der ICSI-Behandlung die geltend gemachten Kosten -
1.550,92 Euro - in vollem Umfang entstanden. Diese Kosten beziehen sich - entsprechend der dargelegten
Leistungsverpflichtung der Beklagten - auf unmittelbar bei der Klägerin durchgeführte sowie auf extrakorporale
Behandlungsmaßnahmen, nicht aber auf solche Maßnahmen, die unmittelbar und ausschließlich am Körper des
Ehegatten der Klägerin ausgeführt worden sind.
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Der private Behandlungsvertrag mit Prof. Dr. K. war nicht etwa nichtig, weil dieser die Klägerin in eine
Privatbehandlung gedrängt hätte (vgl dazu zB BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, jeweils RdNr 26). Vielmehr
erfolgte die Privatbehandlung, nachdem die Beklagte der Klägerin die ihr zustehende Leistung verweigert hatte und
diese keinen Anlass hatte, am Fortbestand der Weigerung zu zweifeln. In einem solchen Fall ist es ohne Bedeutung,
dass der behandelnde Arzt eventuell - wie von der Klägerin angedeutet - die unzutreffende Rechtsansicht vertreten
hat, die von der Klägerin gewünschten, indizierten Maßnahmen könnten stets nur als Privatleistung beansprucht
werden. Nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 30.5.2002 konnte die Klägerin die begehrte
Behandlung nur als privatärztliche Leistung erlangen.
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Ebenso ist es ohne Bedeutung, dass die Klägerin ihre Kostenbelastung im Verlauf des Rechtsstreits dadurch
verringert hat, dass sie durch Leistungen der beigeladenen PKV vorübergehend entlastet worden ist. Insoweit hat es
sich nur um eine zeitweise Entlastung durch einen Dritten, nicht aber etwa durch den Leistungserbringer gehandelt
(vgl dagegen zu Letzterem BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, jeweils RdNr 24 mwN; zur Unerheblichkeit von
Leistungen Unterhaltspflichtiger vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 13 RdNr 10; BSGE 93, 176, 177 = SozR 4-2500 § 33
Nr 7). Die Leistung hat die Beklagte nicht endgültig von ihren Verpflichtungen freigestellt (vgl dazu unten, 4b).
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4. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es für den Anspruch der Klägerin unerheblich, dass nicht nur die Klägerin
den Anspruch auf Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V hatte, sondern zusätzlich
der Ehegatte der Klägerin von der beigeladenen PKV Erstattung der Gesamtheit der ärztlichen Maßnahmen (dazu a)
entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) verlangen konnte (vgl BGH, Urteil vom 3.3.2004 -
IV ZR 25/03; BGHZ 99, 228, 233). Die Leistungsverpflichtung der Beklagten ist auch nicht durch Erfüllung der
beigeladenen PKV erloschen (dazu b).
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a) Das SGB V sieht es nicht als Ausschlussgrund an, dass Versicherte oder ihre Ehegatten zusätzlich zum Anspruch
nach dem SGB V einen entsprechenden weiteren Anspruch gegen einen privaten Krankenversicherer auf Maßnahmen
zur Herbeiführung einer Schwangerschaft haben. Deshalb ist auch das Bundessozialgericht (BSG) bisher davon
ausgegangen, dass eine Krankenkasse den bei ihr Versicherten nicht entgegenhalten kann, die Leistung könne von
der privaten Versicherung des Ehegatten beschafft werden (vgl BSG, Beschluss vom 22.3.2005 - B 1 KR 32/03 R;
BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 12; BSGE 88, 51, 57 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 16).
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Entsprechend hat der BGH entschieden, der Privatversicherer könne dem Anspruch seines Versicherungsnehmers
nicht entgegenhalten, dass seine Ehefrau einen entsprechenden Anspruch gegen ihre Krankenkasse aus § 27a SGB
V habe (vgl BGHZ 158, 166 = NJW 2004, 1658). Haben in einer solchen Situation die gesetzlich krankenversicherte
Ehefrau und der privat versicherte Ehemann sich überschneidende Leistungsansprüche gegen ihre Krankenkasse
einerseits und ihren privaten Krankenversicherer andererseits, so steht den Eheleuten die Wahl offen, auf welchem
Wege sie die Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in Anspruch nehmen wollen. Hat allerdings einer
der Schuldner den Leistungsanspruch erfüllt, so ist - soweit sich die Ansprüche gegen beide Schuldner in der Sache
überschnitten haben - ggf auch insoweit die Schuld des anderen Schuldners erloschen.
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b) Die Verpflichtung der Beklagten ist indes im vorliegenden Fall nicht durch Leistungen der beigeladenen PKV
erloschen. Die Klägerin konnte sich - wie dargelegt - nach der Leistungsablehnung die ICSI-Behandlung im Sommer
2002 nur privatärztlich verschaffen. Sie wählte zulässig nach Erhalt der Rechnung vom 28.10.2002 die Beklagte als
Schuldnerin, um von ihr Erstattung zu erhalten. Die beigeladene PKV hat diese Schuld der Beklagten nicht erfüllt.
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Der Klägerin und ihrem Ehegatten stand es allerdings auch nach Erhalt der Rechnung vom 28.10.2002 für die
nunmehr durchgeführten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung einschließlich der ICSI weiterhin frei, hierfür
entweder die beigeladene PKV oder die Beklagte in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis hat sich die Klägerin dafür
entschieden, die Beklagte als Schuldnerin auszuwählen. Denn sie hat von ihr die Erstattung der 1.550,92 Euro
begehrt.
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Dagegen vermag die Beklagte nicht mit Erfolg einzuwenden, dass die beigeladene PKV aufgrund der Vereinbarung
vom Juli 2003 die Klägerin klaglos gestellt habe. Vielmehr befreite die Vereinbarung nach dem erkennbaren Willen der
Vertragspartner die Klägerin nur von der Last der Zwischenfinanzierung der selbst beschafften, ihr rechtswidrig
vorenthaltenen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Denn die Klägerin, ihr Ehegatte und die beigeladene PKV
hatten vereinbart, dass die Klägerin ihre Rechte aus § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V iVm § 27a SGB V gegenüber der
Beklagten klageweise durchsetzen sollte, wie sie es auch in der Folgezeit praktiziert hat. Die Vereinbarung räumte der
beigeladenen PKV das Recht ein, ihre zunächst geleistete Zahlung in dem Umfang zurückzufordern, in dem der
Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenerstattung zustand. Der Leistungserfolg, die Erfüllung der
Pflichten der beigeladenen PKV, sollte erst mit Erfüllung der zusätzlichen Bedingungen eintreten (vgl entsprechend
BGHZ 92, 280 = NJW 1985, 376, 377 mwN).
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Eine solche Vereinbarung ist nicht etwa nach § 32 SGB I oder aus anderen Gründen nichtig (zu Nichtigkeitsgründen
vgl zB BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, jeweils RdNr 26; zuletzt BSG, Urteil vom 2.11.2007 - B 1 KR 14/07 R -
RdNr 14 ff mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen). Vielmehr dient sie dazu, die Probleme der Darlehensbeschaffung
abzumildern, die den Versicherten durch das rechtswidrige Vorenthalten einer eigentlich gebotenen Leistung
entstehen. Dass der Ehegatte der Klägerin von der beigeladenen PKV eine weitergehende Leistung hätte
beanspruchen können, wie später - nach Juli 2003 - die Rechtsprechung des BGH klargestellt hat, ist auch in diesem
Zusammenhang ohne Belang. Über Ausgleichsansprüche zwischen der Beklagten und der beigeladenen PKV hat der
Senat nicht zu entscheiden. Sie kommen ohne - hier nicht ersichtliche - gesetzliche oder vertragliche Grundlage nicht
in Betracht.
31
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 193 Abs 4 SGG steht der Verpflichtung der Beklagten nicht
entgegen, Kosten der Beigeladenen zu erstatten. Vielmehr sind nach dieser Regelung nur die Aufwendungen der in §
184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig. Das sind Kläger und Beklagte, die nicht zu den
in § 183 SGG genannten privilegierten Personen gehören, nicht aber Beigeladene (vgl auch BSG, Urteil vom 6.9.2007
- B 14/7b AS 60/06 R - RdNr 18, zur Veröffentlichung vorgesehen).