Urteil des BSG vom 04.06.2009

BSG: aufnahme einer erwerbstätigkeit, krankenversicherung, rahmenfrist, versicherungspflicht, rentner, mitgliedschaft, verheiratete person, erfüllung, gsg, altersrente

Bundessozialgericht
Urteil vom 04.06.2009
Sozialgericht Bayreuth S 9 KR 126/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 52/05
Bundessozialgericht B 12 KR 26/07 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. April 2006 aufgehoben
und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 9. Februar 2005
zurückgewiesen. Kosten sind für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung.
2
Die am 13.2.1936 geborene Klägerin nahm am 1.1.1951 erstmals eine Erwerbstätigkeit auf. Bis zum 29.2.1996 war
sie mit Unterbrechungen beschäftigt und wegen ihrer Beschäftigung jeweils in der gesetzlichen Krankenversicherung
versicherungspflichtig. In der Zeit vom 1.5.1958 bis zum 31.3.1977 war ihr Ehemann Mitglied bei der Beklagten. Seit
Rentenbeginn im März 1996 ist die Klägerin bei dieser freiwillig krankenversichert.
3
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vom 24.10.1995 Altersrente für
Frauen vom 1.3.1996 an. Nachdem die Beklagte bereits mit Bescheid vom 25.10.1995 eine Pflichtversicherung der
Klägerin als Rentnerin mangels Erfüllung der Vorversicherungszeit (bestandskräftig) abgelehnt hatte, trat sie im
Januar 2002 im Hinblick auf die erwartete Rechtsänderung ab 1.4.2002 erneut in eine Prüfung der
Zugangsvoraussetzungen ein. Mit Bescheid vom 18.2.2002 stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für die
Pflichtversicherung der Klägerin weiterhin nicht erfüllt seien, weil mindestens 7.360 Tage Vorversicherungszeit hätten
nachgewiesen werden müssen, sich indessen anrechenbare Versicherungszeiten von nur 6.862 Tagen ergäben.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und legte erstmals eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft ihres
Ehemannes bei der Beklagten in der Zeit vom 1.5.1958 bis zum 31.3.1977 vor. Mit Bescheid vom 28.2.2002 lehnte
die Beklagte erneut eine Pflichtversicherung ab und wies darauf hin, dass auch unter Berücksichtigung von Zeiten der
Familienversicherung die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erreicht werde, weil nur 7.352 Tage als
Versicherungszeiten anrechenbar seien. Mit ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend,
dass der Berechnung der Vorversicherungszeit auch die Zeiten der Beschäftigung zwischen Rentenantragstellung und
Rentenbezug zugrunde zu legen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 7.5.2002 wies die Beklagte beide
Widersprüche zurück.
4
Die Klägerin hat Klage erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 9.2.2005 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen.
Mit Urteil vom 4.4.2006 hat das Landessozialgericht (LSG) der Berufung der Klägerin stattgegeben, die
erstinstanzliche Entscheidung und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin ab
1.4.2002 Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner ist. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die
notwendige Vorversicherungszeit sei erfüllt, weil die Rahmenfrist nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V nicht bereits mit der
Rentenantragstellung am 24.10.1995, sondern erst mit der Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung im
Februar 1996 geendet habe. Der Zeitpunkt der Rentenantragstellung sei nicht maßgeblich, wenn wie hier die
Versicherungspflicht als Rentenantragsteller aufgrund einer vorrangigen Versicherungspflicht wegen Beschäftigung
ausgeschlossen sei. Es erscheine gerechtfertigt, die Versicherungszeiten zwischen Rentenantragstellung und
Rentenbewilligung der Vorversicherungszeit hinzuzurechnen, wenn die Erfüllung der Vorversicherungszeit an lediglich
acht Tagen scheitere, tatsächlich aber über den Zeitpunkt der Rentenantragstellung hinaus monatelang
Versicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Weshalb es der Klägerin zum Nachteil gereichen solle, dass sie den
Rentenantrag nicht erst kurz vor Vollendung des 60. Lebensjahres im Februar 1996, sondern bereits im Oktober 1995
gestellt habe, sei nicht ersichtlich.
5
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V. Der vom
Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung stehe bereits der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift entgegen. Sinn
und Zweck des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V ermöglichten kein anderes Ergebnis. Der Tag der Rentenantragstellung
markiere typisierend und generalisierend das Ende einer vorausgegangenen Erwerbsbiografie, während der eine
ausreichend lange Zeit der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden
haben müsse. Diesen vom Gesetzgeber gewählten und perpetuierten Maßstab, am Tag der Rentenantragstellung zu
prüfen, ob der Versicherte ausreichend lang am sog intertemporalen Solidarausgleich teilgenommen habe, verletze
das LSG, wenn es für das Ende der Rahmenfrist auf den Rentenbezugsbeginn abstelle. In gesetzessystematischer
Hinsicht sei es bedenklich, wenn bei Rentnern die de lege lata an den Tag der Rentenantragstellung anknüpfende
fingierte Mitgliedschaft davon abhängig gemacht werde, ob danach weitere Versicherungszeiten wegen Beschäftigung
zurückgelegt worden seien. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung werfe Gleichheitsprobleme auf, während
sich ihre Ansicht in die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einfüge.
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Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4.4.2006 aufzuheben und die Berufung
der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 9.2.2005 zurückzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom
4.4.2006 zurückzuweisen.
8
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist daraufhin, dass bei ihr ab 24.10.1995 keine
(Formal)Mitgliedschaft als Rentenantragstellerin bestanden habe, sondern eine Mitgliedschaft als Beschäftigte.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
II
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des
SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin als Rentnerin ab 1.4.2002
"Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung" ist. Die Bescheide vom 18.2. und 28.2.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7.5.2002 sind rechtmäßig. Zutreffend hat die Beklagte darin festgestellt, dass die
Klägerin auch nach dem 31.3.2002 nicht ihr Pflichtmitglied ist, weil sie die Voraussetzungen für die
Versicherungspflicht von Rentnern in der gesetzlichen Krankenversicherung auch über diesen Zeitpunkt hinaus nicht
erfüllt.
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1. Gegenstand des Verfahrens ist das mit der Anfechtungsklage verfolgte Begehren der Klägerin auf Aufhebung
ausschließlich der Bescheide vom 18.2. und 28.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.5.2002 und
das daneben zulässigerweise verfolgte Begehren auf Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung auf der Grundlage des ab 1.4.2002 wieder anzuwendenden § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der schon
vom 1.1.1989 bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988
(BGBl I 2477).
12
2. Nach dem für die Versicherungspflicht von Rentnern in der gesetzlichen Krankenversicherung allein in Betracht
kommenden § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der seit dem 1.1.1993 und jedenfalls bis zum 31.3.2002 anzuwendenden
Fassung des Art 1 Nr 1 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) waren
versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung erfüllten und diese Rente beantragt hatten, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums aufgrund einer
Pflichtversicherung Mitglied oder aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert waren; als Zeiten der
Pflichtversicherung galten auch Zeiten einer freiwilligen Versicherung wegen des Bezugs von Anpassungsgeld für
entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus oder von Überbrückungsgeld aus der Seemannskasse. Vor Änderung der
Vorschrift durch das GSG zum 1.1.1993 setzte § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der seit dem 1.1.1989 geltenden Fassung
des GRG für die Pflichtmitgliedschaft lediglich voraus, dass seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis
zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraumes eine Mitgliedschaft oder eine
Versicherung nach § 10 SGB V bestanden hatte. Die erforderliche sog 9/10-Belegung konnte deshalb auch mit Zeiten
einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt werden. Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) hat § 5 Abs 1 Nr 11 Halbsatz 1 idF des GSG für mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt, soweit die
erforderliche sog 9/10-Belegung nicht mehr durch Zeiten einer freiwilligen Versicherung erfüllt werden konnte, und
entschieden, dass die Vorschrift dennoch bis zum 31.3.2002 angewendet werden konnte, sich bei fehlender
gesetzlicher Neuregelung bis zu diesem Datum der Zugang von Rentnern zur Krankenversicherung ab 1.4.2002 wieder
nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des GRG bestimmt (Beschluss vom 15.3.2000, 1 BvL 16/96 ua, BVerfGE 102, 68 =
SozR 3-2500 § 5 Nr 42; vgl hierzu auch Urteil des Senats vom 7.12.2000, B 12 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 5 Nr 44).
Weil der Gesetzgeber bis zum 1.4.2002 eine Neuregelung, mit der der Verfassungsverstoß behoben wird, unterlassen
hat, kommt seitdem wieder § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des GRG zur Anwendung. Seitdem genügen deshalb für die
sog 9/10-Belegung wieder auch Beiträge aufgrund einer freiwilligen Versicherung. Durch Art 1 Nr 2 Buchst a aa) des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) hat der Gesetzgeber den Wortlaut des § 5 Abs 1 Nr
11 SGB V mit Wirkung ab 1.4.2007 der materiell-rechtlichen Rechtslage angepasst, die infolge der Rechtsprechung
des BVerfG seit dem 1.4.2002 besteht.
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Die Klägerin als Rentnerin erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der ab 1.4.2002 geltenden
Fassung des GRG und in der ab 1.4.2007 geltenden - gleichlautenden - Fassung des GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetzes nicht. Danach ist für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung ua erforderlich, dass der Rentner seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur
Stellung des Rentenantrags (sog Rahmenfrist) mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach §
10 SGB V versichert war. Der erforderlichen Mitgliedszeit steht die Zeit der Ehe mit einem Mitglied gleich, wenn die
mit dem Mitglied verheiratete Person nicht mehr als geringfügig beschäftigt oder geringfügig selbstständig tätig war (§
5 Abs 2 SGB V). Maßgebend ist also die Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung in mindestens 9/10
der zweiten Hälfte des Erwerbslebens. Diese notwendige Vorversicherungszeit hat die Klägerin nicht zurückgelegt.
Sie hat am 1.1.1951 erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und am 24.10.1995 ihren auf Bewilligung einer
Altersrente für Frauen gerichteten Rentenantrag gestellt. Von diesen insoweit mit der Revision nicht angegriffenen
Feststellungen des LSG hat der Senat auszugehen (§ 163 SGG). Innerhalb der zweiten Hälfte dieses Zeitraums hat
die Klägerin mit geeigneten Vorversicherungszeiten einschließlich der Mitgliedschaftszeiten ihres Ehemannes eine
Vorversicherungszeit von 7.352 Tagen aufzuweisen. Die sog 9/10-Belegung wäre jedoch erst durch eine
entsprechende Vorversicherungszeit von 7.360 Tagen erreicht. Gegen die von der Beklagten vorgenommene
rechnerische Ermittlung der zwischen der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und der Rentenantragstellung
liegenden Frist und der daraus zu bestimmenden zweiten Hälfte dieses Zeitraums sowie der auf diese Hälfte
bezogenen sog 9/10-Belegung einerseits und der tatsächlichen Belegung mit geeigneten Vorversicherungszeiten in
ihrem Fall andererseits werden Einwendungen von der Klägerin nicht erhoben.
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Die notwendige Vorversicherungszeit kann hier nicht über den Zeitpunkt der Rentenantragstellung hinaus mit der
Begründung als erfüllt angesehen werden, die sog Rahmenfrist verlängere sich bis zum Rentenbeginn, wenn zwischen
Rentenantragstellung und Rentenbeginn geeignete Vorversicherungszeiten, etwa Versicherungszeiten auf Grund einer
Pflichtversicherung wegen abhängiger Beschäftigung, zurückgelegt werden, oder jedenfalls reiche ein solcher nach
dem Ende der sog Rahmenfrist infolge Rentenantragstellung vorliegender Tatbestand für die Erfüllung der
Vorversicherungszeit aus. Entgegen der vom LSG und der Klägerin vertretenen Auffassung ist die Zeit der
Beschäftigung als Verkäuferin zwischen Rentenantragstellung und Rentenbeginn der Vorversicherungszeit nicht
"hinzuzurechnen" bzw bei der Entscheidung über die Krankenversicherung der Rentner nicht "zu berücksichtigen".
Daran ändert nichts, dass vorliegend die notwendige Vorversicherungszeit nur um acht Tage unterschritten wird. Die
sog Rahmenfrist endet auch in einem solchen Fall mit der Stellung des Rentenantrags und ist über diesen Zeitpunkt
hinaus nicht verlängerbar. Ebenso wenig kann der dadurch begrenzte Zeitraum, wie das Berufungsgericht offenbar
annimmt, im Hinblick auf die Erfüllung der Vorversicherungszeit durch einen weiteren Zeitraum geeigneter
Vorversicherungszeiten ergänzt werden. Dies ergibt eine Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V nach seinem
Wortlaut, gegen die Einwände weder unter Hinweis auf den Zweck der Vorschrift noch die Gesetzessystematik
erhoben werden können (dazu a). Eine davon abweichende Auslegung, wie sie das LSG und die Klägerin vertreten, ist
auch von Verfassungs wegen nicht geboten (dazu b).
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a) Zutreffend weist auch das Berufungsgericht darauf hin, dass der Wortlaut des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V mit seiner
Bestimmung der Rentenantragstellung als des Endes der sog Rahmenfrist eindeutig ist. Entgegen der von ihm
vertretenen Auffassung ist der Anwendungsbereich der Vorschrift indessen nicht im Hinblick auf den ihr beigelegten
Zweck und systematische Gesichtspunkte (teleologisch) auf Fälle einzuschränken, in denen nach der
Rentenantragstellung keine geeigneten Vorversicherungszeiten mehr zurückgelegt werden, im Übrigen aber bei der
Prüfung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V geeignete Vorversicherungszeiten bis längstens zum
Rentenbeginn einzubeziehen sind.
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Der Gesetzgeber hat den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung für Rentner auf Personengruppen
beschränken wollen, die vorher eine ausreichend lange Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied waren.
Soweit auch schon in der Vergangenheit eine Vorversicherungszeit erforderlich war (vgl zur Gesetzesentwicklung
ausführlich Urteil des Senats vom 26.6.1996, 12 RK 8/95, BSGE 78, 297, 298 ff = SozR 3-2500 § 5 Nr 29 S 102 ff;
zuletzt auch Urteil vom 24.6.2008, B 12 KR 28/07 R, Umdruck RdNr 20 ff, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen,
und Urteil vom 5.7.2006, B 12 KR 15/05 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 4 RdNr 13 ff), war diese wie heute aus einer sog
Rahmenfrist zu errechnen, die das vorangegangene Erwerbsleben erfassen sollte. Das Gesetz hat dabei für das Ende
der sog Rahmenfrist stets an den Zeitpunkt der Rentenantragstellung angeknüpft. Der Senat folgt der von der
Revision vorgenommenen Beurteilung, wonach dieser Zeitpunkt der Rentenantragstellung in den Fällen der
Altersrente, um die es auch hier geht, in einer für alle Rentner gleichen Weise (vgl insoweit - zur Rechtslage unter
Geltung der Reichsversicherungsordnung - Urteil des Senats vom 22.2.1996, 12 RK 33/94, SozR 3-2200 § 165 Nr 15
S 33) typisierend das Ende einer vorausgegangenen eigenen oder abgeleiteten Erwerbsbiografie markieren soll. Durch
den Rentenantrag gibt der Versicherte zu erkennen, dass er aus dem Erwerbsleben ausscheiden will (vgl etwa Klose
in: Jahn, SGB V, § 5 RdNr 202). Diesen auf das Ende des Erwerbslebens bezogenen Maßstab hat der Gesetzgeber
bis heute beibehalten, auch wenn er ein anderes Enddatum für die sog Rahmenfrist hätte festlegen, etwa den
Rentenbeginn als ein solches hätte bestimmen können. Soweit sich in Einzelfällen aus einer (verfrühten bzw frühen)
Rentenantragstellung für den Versicherten hinsichtlich seiner Krankenversicherung nachteilige Folgen ergeben, weil er
infolgedessen die notwendige Vorversicherungszeit iS des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V nicht erfüllt, ist ihm regelmäßig -
gewissermaßen flankierend - die Möglichkeit der Beratung (vgl § 14 SGB I) über die Voraussetzungen der
Krankenversicherungspflicht eröffnet, auf deren Grundlage er einen bereits gestellten Rentenantrag ggf zurücknehmen
und später neu stellen kann.
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Das Berufungsgericht und die Klägerin stützen sich für ihre systematischen Bedenken gegen dieses Ergebnis unter
Bezugnahme auf Stimmen in der Literatur (etwa Peters, KassKomm, Stand April 2008, § 5 SGB V RdNr 137; ferner
Breuer in: von Maydell, GK-SGB V, Stand Oktober 2002, § 5 RdNr 376) darauf, dass in einem Fall wie dem
vorliegenden die Formalmitgliedschaft als Rentenantragsteller iS von § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V durch die vorrangige
Pflichtmitgliedschaft wegen Beschäftigung iS von § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V bis zum Zeitpunkt der
Beschäftigungsaufgabe nach § 5 Abs 8 SGB V verdrängt werde mit der Folge, dass für die Klägerin keine
Formalmitgliedschaft als Rentenantragstellerin bestanden habe, indessen aber ab Rentenbeginn eine Mitgliedschaft
als Rentnerin. In einem solchen Fall könne für das Ende der sog Rahmenfrist von vornherein nicht an die
Rentenantragstellung angeknüpft werden. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Dem Zeitpunkt der
Rentenantragstellung kommen insoweit unterschiedliche Funktionen zu. So bestimmt er mitgliedschaftsrechtlich den
Beginn einer bestehenden Pflichtmitgliedschaft als Rentenantragsteller (§ 189 Abs 2 Satz 1 SGB V) bzw Rentner (§
186 Abs 9 SGB V), also wenn die Voraussetzungen der Versicherungspflicht und für den Rentenbezug vorliegen.
Hiervon zu unterscheiden ist seine zweite, auf die Erfüllung der Voraussetzungen für das Bestehen dieser
Versicherungspflicht bezogene Funktion, im Zeitpunkt der Rentenantragstellung (und nicht etwa früher oder später) zu
prüfen, ob der Versicherte ausreichend lange Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied war. Aus dem
Umstand, dass seine Mitgliedschaft als Rentenantragsteller in Fällen wie dem hier zu beurteilenden im Zeitpunkt der
Rentenantragstellung nicht beginnen kann, weil eine Versicherungspflicht wegen Beschäftigung vorliegt, lässt sich
damit systematisch für die - auf einer früheren Stufe zu prüfenden - Frage des Endes der sog Rahmenfrist nichts
gewinnen. Schon gar nicht trägt der Hinweis des LSG auf die Kollisionsregel des § 5 Abs 8 SGB V. Soweit daraus
abgeleitet werden soll, dass auch für die Bestimmung des Endes der sog Rahmenfrist der Zeitpunkt der
Rentenantragstellung durch den Zeitpunkt der Beschäftigungsaufgabe "verdrängt" wird, hat die Revision zutreffend
eingewandt, dass § 5 Abs 8 SGB V das Vorliegen konkurrierender Versicherungspflichttatbestände voraussetze, ein
solches Zusammentreffen hier aber gerade nicht bestehe. Umgekehrt sind allerdings auch die Bedenken der Revision
nicht gerechtfertigt, die ihrerseits in gesetzessystematischer Hinsicht für problematisch hält, wenn die im Zeitpunkt
der Rentenantragstellung beginnende Mitgliedschaft als Rentenantragsteller bzw Rentner davon abhinge, ob danach
zurückgelegte Versicherungszeiten in die Vorversicherungszeit einzubeziehen seien. Im Hinblick auf die mit der
Prüfung der Versicherungspflicht verbundenen Unsicherheiten ist die Mitgliedschaft als Rentenantragsteller gerade
aus diesem Grund für die Zeit des Schwebezustandes fingiert. Ist diese Prüfung abgeschlossen und werden die
Voraussetzungen einer Versicherungspflicht als Rentner verneint oder bejaht mit der Folge, dass sich die
Formalmitgliedschaft als Rentenantragsteller mit Wirkung vom Zeitpunkt der Rentenantragstellung (§ 186 Abs 9 SGB
V) in eine Pflichtmitgliedschaft als Rentenbezieher umwandelt, besteht aber keine Unsicherheit mehr.
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Aus dem Urteil des Senats vom 26.6.1996 (aaO) lassen sich Anhaltspunkte für eine Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 11
SGB V, wie sie das Berufungsgericht für richtig hält, nicht entnehmen. Ohne sich inhaltlich festzulegen, hat der Senat
dort lediglich im Rahmen einer hypothetischen Prüfung nach dem Zeitpunkt des Rentenantrags zurückgelegte
Beschäftigungszeiten als anrechenbare Vorversicherungszeiten berücksichtigt, um dann aber festzustellen, dass
auch mit diesen Zeiten weder die sog 9/10-Belegung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V noch die sog Halbbelegung des Art
56 Abs 1 Satz 1 GRG erfüllt sei (BSGE 78, 297, 310 = SozR 3-2500 § 5 Nr 29 S 114 f).
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b) In dieser Auslegung ist § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V mit dem GG vereinbar. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass
der Ausschluss der von der Klägerin repräsentierten Rentner von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt. Der Senat hat die Zugangsvoraussetzungen zur
Rentnerkrankenversicherung auf der Grundlage des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des GRG bisher in unterschiedlichen
Zusammenhängen am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes geprüft und für verfassungsgemäß befunden (vgl
zuletzt Urteil vom 5.7.2006, B 12 KR 15/05 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 4 RdNr 18 f, mwN). Er hat insbesondere
ausgeführt, dass er es verfassungsrechtlich für nicht geboten hält, für Personen, die bisher nicht oder nur in geringem
zeitlichem Umfang in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren, mit Beginn des Rentenbezugs die
Möglichkeit der Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu schaffen. Der Senat hat weiter darauf
hingewiesen, dass der Gesetzgeber auch bei der dem zugrunde liegenden, verfassungsrechtlich grundsätzlich
zulässigen Systemabgrenzung der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Zugehörigkeit während des
Berufslebens (vgl Urteil vom 5.7.2006, aaO, RdNr 19) generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen
treffen darf, ohne allein wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen Art 3 Abs 1 GG zu verstoßen.
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Soweit das Gesetz für das Ende der sog Rahmenfrist an den Zeitpunkt der Rentenantragstellung anknüpft, ist dies am
Maßstab der für die Ordnung von Massenerscheinungen als notwendig anerkannten Regeln der Typisierung
verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass er mit dem von ihm zugrunde
gelegten, auf das Ende des Erwerbslebens bezogenen Maßstab dem Regelfall des Rentners Rechnung trug. Das gilt
in aller Regel - ggf nur zeitlich begrenzt (vgl § 102 Abs 2 SGB VI) - für Rentenanträge, die für Renten wegen
Erwerbsminderung gestellt werden. Diese gesetzliche Verallgemeinerung trifft aber auch zu, wenn Renten wegen
Erreichens der Altersgrenze beantragt werden und Versicherungspflicht allein wegen Bezugs der Rente in Betracht
kommt. Denn insoweit darf zugrunde gelegt werden, dass bei einer regelmäßig Jahrzehnte umfassenden
Erwerbsbiografie das Fehlen eines kurzen, nach wenigen Tagen, Wochen oder Monaten bemessenen Zeitraums nicht
entscheidend ins Gewicht fällt. Fälle wie den der Klägerin, in denen nach Rentenantragstellung noch geeignete
Versicherungszeiten zurückgelegt werden, die bei einer Verlängerung der sog Rahmenfrist für die notwendige
Vorversicherungszeit ausreichten, musste der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen. Sie hätten
im Übrigen eine komplizierte zusätzliche Regelung erfordert, weil nicht nur hätte geregelt werden müssen, wie zu
verfahren ist, wenn zwischen Rentenantrag und Rentenbeginn durchgehend geeignete Versicherungszeiten
zurückgelegt werden, sondern auch, wie zu verfahren ist, wenn dieser Zeitraum nur zum Teil mit Versicherungszeiten
belegt ist.
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An dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung ändert nichts, dass die Klägerin zu einer Gruppe von Rentnern gehört,
die ihren Rentenantrag zu einem Zeitpunkt gestellt haben, als die nach dem 31.3.2002 geltende Rechtslage noch nicht
vorauszusehen und somit nicht erkennbar war, dass die notwendige Vorversicherungszeit nur um einen kurzen
Zeitraum verfehlt würde, und die deshalb nicht die Möglichkeit hatten, auf der Grundlage einer Beratung über die
krankenversicherungsrechtlichen Folgen ihrer Rentenantragstellung den Rentenantrag zurückzunehmen und zu einem
späteren Zeitpunkt mit dem Ziel neu zu stellen, durch Zuwarten in den Genuss der Pflichtversicherung zu kommen.
Das Gesetz hält sich auch insoweit im Rahmen zulässiger Typisierung, weil Rentner, die sich in der besonderen Lage
der Klägerin befinden und wegen der nicht vorhersehbaren Rechtsentwicklung (Vorlagebeschlüsse des Senats vom
26.6.1996, 12 RK 36/95, und 17.7.1997, 12 RK 36/96, Beschluss des BVerfG vom 15.3.2000, 1 BvL 16/96 ua;
Untätigkeit des Gesetzgebers bis zum 31.3.2002) nicht beraten werden konnten, wegen des Ausnahmecharakters
dieser Situation im Hinblick auf das - mit § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V ebenfalls verfolgte - Konzept, bezogen auf das
Fristende einen für alle Rentner gleichen Maßstab zu schaffen, vom Gesetzgeber als untypische Gruppe
vernachlässigt werden durften. Aber auch eine Kenntnis der nach dem 31.3.2002 geltenden Rechtslage unterstellt,
wäre zweifelhaft, ob sich die Klägerin gegenüber der Beklagten auf einen Beratungsfehler berufen könnte. Denn sie
hatte seinerzeit der Beklagten gegenüber die auch damals schon relevante Familienversicherung nicht offenbart und
für Zeiten, in denen sie bis 1977 nicht versicherungspflichtig war, die Versicherung bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen angegeben.
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Soweit Rentner wie die Klägerin infolge des Endes der sog Rahmenfrist mit Rentenantragstellung die
Vorversicherungszeit nur um wenige Tage verfehlen, liegt dieser Umstand im Übrigen allein im Bestehen dieser
gesetzlichen Frist begründet mit der Folge, dass bei einer Verkürzung dieser Frist im Einzelfall das Erfordernis einer
Vorversicherungszeit von bestimmter Länge nicht mehr gelten würde und für die Fristberechnung dann kein Maßstab
mehr bestünde (so - zur Vorversicherungszeit nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V - Urteil des Senats vom 19.6.2001,
B 12 KR 37/00 R, SozR 3-2500 § 9 Nr 3 S 10). Wie bei Stichtagsregelungen (vgl insoweit BVerfGE 44, 1, 21 f, ferner
BVerfGE 95, 64, 89, BVerfGE 87, 1, 47, und BVerfGE 80, 297, 311) muss sich auch bei solchen Fristen die
verfassungsrechtliche Prüfung darauf beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in
sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend
gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der
Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint. Wie eben dargelegt, kam es
dem Gesetzgeber mit der sog Rahmenfrist darauf an, das vorangegangene Erwerbsleben zu erfassen. Indem er für
das Ende dieser Frist an den Zeitpunkt der Rentenantragstellung angeknüpft hat, hat er letztlich auf den darin zum
Ausdruck kommenden Willen des Versicherten abgehoben, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Die Wahl des
Zeitpunktes der Rentenantragstellung für das Ende der sog Rahmenfrist orientiert sich insoweit am gegebenen
Sachverhalt und ist sachlich vertretbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.