Urteil des BSG vom 14.03.2017

BSG (versorgung, krankenhaus, klage auf zahlung, rehabilitation, finanzielle beteiligung, medizinische rehabilitation, zusammenarbeit, behandlung, gegenstand, finanzierung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 6.2.2008, B 6 KA 6/07 R
Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 6.2.2008 - B 6 KA 5/07 R.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für den Einbehalt von
Gesamtvergütungsanteilen zur Finanzierung von Verträgen der integrierten Versorgung erfüllt
sind.
2 Die beklagte Ersatzkasse schloss im Jahr 2004 mit Leistungserbringern aus dem Bereich der
ehemaligen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Nordbaden vier Verträge, die als Verträge
der integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bezeichnet waren. Zwei dieser Verträge
- im Folgenden: Vertrag Nr 2 bzw Nr 4 - haben als einzigen Vertragspartner ein Krankenhaus
bzw einen Krankenhausverbund. Sie betreffen Koronarangiographien, Schrittmacherwechsel
und Kataraktoperationen (Nr 2) oder bestimmte operative Eingriffe auf dermatologischem,
gynäkologischem, proktologischem und orthopädischem Gebiet (Nr 4) und haben eine
bessere Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen zum Ziel. Zur Vergütung dieser
Leistungen sind Komplexfallpauschalen vereinbart, die von der Krankenkasse unabhängig
von der im Einzelfall stationär oder ambulant erfolgten Behandlung unter Verzicht auf eine
Nachprüfung der Behandlungsform gezahlt werden. Die anderen Verträge - Nr 1 und Nr 3 -
beziehen zusätzlich zum Krankenhaus Einrichtungen der stationären Rehabilitation ein. In
ihnen sind umfassende Behandlungen von Patienten bei bestimmten Eingriffen an Hüft- oder
Kniegelenk (Nr 1) oder an Arm, Hüfte oder Bein (Nr 3) geregelt, für die eine am
Versorgungsbedarf orientierte Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung Beteiligten
sicherzustellen ist. Als Vergütung hierfür sind ebenfalls Komplexfallpauschalen vorgesehen,
die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachte Leistungen - einschließlich derjenigen der
kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.
3 Die Beklagte meldete die genannten Verträge als solche der integrierten Versorgung an die
von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und
den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingerichtete gemeinsame Registrierungsstelle
und behielt von der Gesamtvergütungszahlung, die sie für das Quartal III/2004 zu entrichten
hatte, einen Betrag von 32.484,86 Euro ein.
4 Die KÄV Baden-Württemberg, welche zum 1.1.2005 die Rechtsnachfolge der KÄV
Nordbaden antrat, hat Klage auf Zahlung der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile
erhoben. Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt ( Urteil vom 12.12.2005).
Das Landessozialgericht (LSG) hat deren Berufung zurückgewiesen ( Urteil vom 13.12.2006 -
juris; Parallelentscheidung veröffentlicht in SGb 2007, 621 = MedR 2007, 318 = GesR 2007,
125) . Es ist der Ansicht der Klägerin gefolgt, die von der Beklagten zur Rechtfertigung des
Gesamtvergütungseinbehalts in Bezug genommenen Verträge seien keine
Integrationsverträge im Sinne des § 140a SGB V. Nach § 140d SGB V stehe die
Anschubfinanzierung nur für die Finanzierung von zulässigen Integrationsverträgen zur
Verfügung. Dazu gehörten die von der Beklagten abgeschlossenen Verträge nicht, weil in
ihnen weder eine interdisziplinär-fachübergreifende noch eine verschiedene
Leistungssektoren übergreifende Versorgung gestaltet werde. Eine interdisziplinär-
fachübergreifende Versorgung im Sinne der gesetzlichen Regelung liege nicht vor, da keine
Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder auch von Fachärzten unterschiedlicher
Gebiete erfolge; hierunter falle weder die traditionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher
Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses noch die Einbeziehung nachfolgender
Rehabilitationsbehandlungen. Auch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende
Versorgung werde nicht organisiert. Leistungssektoren im Sinne des § 140a SGB V seien die
Versorgungssektoren, die das Leistungserbringerrecht in seiner jeweils spezifischen
Ausprägung geschaffen habe. Hierzu zählten die akutstationäre Versorgung, die Heil- bzw
Hilfsmittelversorgung, die Arzneimittelversorgung sowie die vertragsärztliche und
vertragszahnärztliche Versorgung. Für eine sektorenübergreifende Versorgung müsse der
vertraglich vereinbarte Versorgungsauftrag mindestens zwei dieser Sektoren umfassen. Dies
sei hinsichtlich der beiden lediglich mit Krankenhäusern abgeschlossenen Verträge (Nr 2 und
4) nicht der Fall, da sie niedergelassene Vertragsärzte nicht einbezögen. Dasselbe gelte für
die Verträge Nr 1 und 3; diese umfassten allerdings auch Rehabilitationskliniken, doch könne
den gesetzlichen Regelungen nicht entnommen werden, dass die - ambulante oder stationäre
- Rehabilitation als eigenständiger Leistungssektor zu qualifizieren sei.
5 Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V. Das
Berufungsgericht verkenne, dass als Leistungssektor im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die
ambulante und stationäre Versorgung, sondern auch die Rehabilitation anzusehen sei; darauf
deute die Regelung in § 137d Abs 3 SGB V gleichfalls hin. Gerade im Bereich der
Endoprothetik-Versorgung bestünden Schnittstellenprobleme beim Übergang vom
Krankenhaus zur Rehabilitationseinrichtung, die mit Hilfe der integrierten Versorgung besser
als in der Regelversorgung zu bewältigen seien. Dem stehe weder die Gliederung des Vierten
Kapitels des SGB V noch die Regelung in § 107 SGB V entgegen. Maßgeblich sei vielmehr,
dass die in der Regelversorgung existierenden unterschiedlichen Vergütungssysteme für den
Akutbereich einerseits und für den Bereich der stationären Rehabilitation andererseits zu
Fehlanreizen führen könnten, die eine qualitativ hochwertige und den Bedürfnissen der
Patienten entsprechende Versorgung behinderten. Speziell zur Überwindung solcher
Probleme sei die integrierte Versorgung geschaffen worden, und dem dienten die Verträge Nr
1 und Nr 3. Aber auch die Versorgung mit ambulanten Leistungen der
Krankenhausbehandlung sei ein gegenüber der Versorgung mit Leistungen der stationären
Krankenhausbehandlung eigenständiger Leistungssektor. Mithin erfüllten die Verträge Nr 2
und Nr 4 gleichfalls das Erfordernis einer leistungssektorenübergreifenden Versorgung; eine
Zusammenarbeit mehrerer Leistungserbringer sei hierfür nicht notwendig.
6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2006 und des
Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Ansicht, dass die
Abgrenzung zwischen einer interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung und einer
Leistungssektoren übergreifenden Versorgung unzulässig verwischt würde, wenn die
Versorgung mit Leistungen der Rehabilitation einerseits und sämtliche Leistungsarten des
SGB V andererseits als jeweils eigenständige Leistungssektoren behandelt werden.
Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen stünden gemäß §§ 111, 111b SGB V
gemeinsam im stationären Sektor; ihre Verzahnung begründe deshalb keine integrierte
Versorgung. Allein die Notwendigkeit eines Schnittstellenmanagements eröffne noch nicht die
Möglichkeit, Verträge der integrierten Versorgung im Sinne von § 140a SGB V abzuschließen.
9 Die Beklagte hat auf Anfrage mitgeteilt, dass der von ihr einbehaltene Teil der
Gesamtvergütung (32.484,86 Euro) in Höhe von 26.042,72 Euro die Verträge Nr 1 und 3 und
ansonsten die Verträge Nr 2 und 4 betreffe. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat erklärt, dass sie die Richtigkeit dieser Berechnungen nicht anzweifele.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend
entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von
Gesamtvergütungsanteilen hat, soweit diese zur Finanzierung der ausschließlich mit einem
Krankenhausträger bzw einem Krankenhausverbund geschlossenen Verträge Nr 2 und 4
einbehalten wurden. Die von der Beklagten zur Finanzierung der Verträge Nr 1 und 3
vorgenommenen Einbehalte sind hingegen nicht zu beanstanden. Hinsichtlich dieser
Verträge war die Beklagte berechtigt, Beträge "zur Förderung der integrierten Versorgung"
gemäß § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190)
von der an die Rechtsvorgängerin der Klägerin gemäß § 85 Abs 1 SGB V zu entrichtenden
Gesamtvergütung einzubehalten.
11 1. Wie der Senat grundlegend im Urteil vom 6.2.2008 zum Barmer Hausarztvertrag
ausgeführt hat (Az B 6 KA 27/07 R - RdNr 10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR
vorgesehen) , dürfen die von einer Krankenkasse nach § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V
einbehaltenen Mittel gemäß Satz 3 aaO ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c
Abs 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Nach dieser Vorschrift
legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung der in diesem Rahmen
erbrachten Leistungen fest.
12 Die Regelung des § 140d Abs 1 SGB V über die Anschubfinanzierung der integrierten
Versorgung ist seit ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2004 mehrfach geändert worden (vgl
Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11) . Zum einen ist durch das
Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG vom 22.12.2006, BGBl I 3439) die ursprünglich
bis Ende 2006 befristete Anschubfinanzierung bis Ende 2008 verlängert und die Pflicht zur
Rückzahlung nicht zweckentsprechend verbrauchter Mittel bis zum 31.3.2009 aufgeschoben
worden. Zum anderen sind durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.4.2007 in
§ 140d Abs 1 SGB V die Sätze 2 bis 4 eingefügt worden. Danach dürfen die Mittel der
Anschubfinanzierung, bei deren Einsatz die Partner der Integrationsverträge in der
Anfangsphase großen Spielraum haben sollten (Begr des Gesetzentwurfs zum GKV-WSG,
BT-Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 121, Zu Buchst a, Zu Doppelbuchst aa) , nur noch für voll-
und teilstationäre Leistungen der Krankenhäuser und für ambulante vertragsärztliche
Leistungen verwendet werden, soweit nicht "Aufwendungen für besondere
Integrationsaufgaben" betroffen sind.
13 Über diese Änderungen hinaus sind die Regelungen über die integrierte Versorgung in den
§§ 140a bis 140h SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (GKVRefG 2000)
vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) in einem weiteren Punkt verschärft worden. Diese
Bestimmungen waren durch eine enge Verzahnung von Regel- und Integrationsversorgung
gekennzeichnet (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 21) . Der Sicherstellungsauftrag
der KÄVen sollte durch die integrierte Versorgung unberührt bleiben (Begr des
Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen, BT-Drucks 14/1245, S 92, Zu § 140b, Zu Abs 6) .
Deshalb mussten nach § 140b Abs 6 SGB V idF des GKVRefG 2000 die KÄVen
Integrationsverträgen zustimmen, soweit Vertragsärzte daran beteiligt waren. Diese
"Verschränkung zwischen dem Sicherstellungsauftrag und der einzelvertraglichen
Absprache zur integrierten Versorgung" (Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks
15/1525, S 129, Zu Nr 113, Zu Buchst a) hat der Gesetzgeber durch das GMG beseitigt.
Nach § 140a Abs 1 Satz 2 SGB V (seit der Neufassung durch das GKV-WSG zum 1.4.2007
Satz 3) ist der Sicherstellungsauftrag der KÄVen eingeschränkt, "soweit die Versorgung der
Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird". Integrierende Versorgungsformen
umfassen nach der Konzeption des Gesetzes regelmäßig die ambulante Versorgung durch
Vertragsärzte und die voll- oder teilstationäre Behandlung im Krankenhaus, was zugleich die
finanzielle Beteiligung der KÄVen und der Krankenhäuser bei der Bereitstellung der Mittel
für die Anschubfinanzierung nach § 140d Abs 1 SGB V rechtfertigt.
14 Die verschärften Anforderungen an Abschluss und Gegenstand von Verträgen der
integrierten Versorgung gelten für die hier zu beurteilenden nicht, weil diese bereits im Jahr
2004 abgeschlossen wurden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11, 21) . Auch die
oben genannte - seit dem 1.4.2007 durch § 140d Abs 1 Satz 2 SGB V enger gefasste -
Vorgabe für die Verwendung von Mitteln der Anschubfinanzierung ist auf die hier zu
beurteilenden Verträge nicht anzuwenden; denn in § 140d Abs 1 Satz 3 SGB V ist
ausdrücklich bestimmt, dass dies nicht für Verträge gilt, die vor dem 1.4.2007 abgeschlossen
wurden (hierzu s auch BSG, aaO, RdNr 11) .
15 2. Wie der Senat zur Auslegung und Anwendung der vorgenannten Regelungen ausgeführt
hat (BSG, Urteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 12) , sind die Krankenkassen auf der Grundlage
des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung
konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit
aus der Formulierung der Vorschrift, "soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von
nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind". Mit dieser Regelung wäre es nicht
vereinbar, wenn Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und
finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile
einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 5 SGB V nach drei
Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (zutreffend Felix/Brockmann, NZS 2007, 623,
630; insoweit unzutreffend LSG Brandenburg, Beschluss vom 1.11.2004 - L 5 B 105/04 KA
ER - MedR 2005, 62) .
16 3. Verträge zur integrierten Versorgung iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V können nur über
eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren
übergreifende" Versorgung geschlossen werden.
17 Der Begriff der interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung setzt eine Kooperation von
Hausärzten und Fachärzten (hierzu s Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 13) oder von
Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen die
Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem
im ambulanten Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an
Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw im stationären Bereich über die traditionelle
Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines
Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend ist insbesondere die Zusammenarbeit
zwischen dem Arzt bzw der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem
Anästhesisten bzw seinem Fachgebiet, wie sie traditionellerweise ohnehin in jeder
Einrichtung stattfindet. Erforderlich ist vielmehr, wie im Urteil des LSG zutreffend ausgeführt
ist, ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen von
Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete, wobei die
Anforderungen im Einzelnen keiner Entscheidung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens
bedürfen. Das Vorliegen einer dieser Formen interdisziplinär-fachübergreifender Versorgung
hat das LSG hinsichtlich der hier zu beurteilenden Verträge im Ergebnis verneint (LSG-Urteil
unter C. 2.). Die Beklagte hat dies in ihrer Revisionsbegründung auch nicht mehr
angegriffen.
18 Zu den Voraussetzungen einer "verschiedene Leistungssektoren übergreifenden"
Versorgung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 6.2.2008 Stellung genommen (vgl
Senatsurteil, aaO, RdNr 13, 15, 16) . Der Begriff der Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1
Satz 1 SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so Senatsurteil, aaO, RdNr 15 mit Hinweis auch
auf die Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113 <§ 140a>,
Zu Buchst a) . Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung
orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003,
S 25) . Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht vor allem darin, die starren Grenzen
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen
die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative
Versorgungsstruktur zu entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen
Leistungssektoren stattfinden, zum einen, um eine wirtschaftlichere Versorgung zu
ermöglichen, zum anderen aber auch, um für die Versicherten die medizinischen
Behandlungsabläufe zu verbessern, zB Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und
Behandlungsdiskontinuitäten zu vermeiden (vgl Baumann , JurisPK-SGB V, §
140a RdNr 2). Ausgehend von dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes ist der Begriff
der "leistungssektorenübergreifenden Versorgung" funktionell zu bestimmen.
Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher Schwerpunkt.
"Übergreifend" ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der
traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nunmehr verknüpft.
Behandlungsansatz und Ausrichtung des einzelnen Leistungsprozesses (zB hausärztliche
Versorgung, ambulante Versorgung insgesamt, operative Behandlung, medizinische
Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf, ob einzelne
Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen
Sektoren angehören. Eine Operation (zB Implantation eines neuen Gelenks) und die
anschließende Rehabilitation (zB Mobilisierung) dienen unterschiedlichen medizinischen
Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit betreffen sie
(auch) verschiedene Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 SGB V.
19 Wichtigster Anwendungsfall einer Versorgung, die verschiedene Leistungssektoren
miteinander verknüpft, ist die Verzahnung von ambulanten und stationären Behandlungen
(vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 17) . Diese Art von Verknüpfungen wird bei der
Erläuterung der Ziele der Integrationsversorgung bereits in der Überschrift besonders
hervorgehoben (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 , BT-Drucks
14/1245 S 55) . Diese Versorgungsstruktur soll "Brücken über die Gräben der Versorgung
schlagen". Neben das mehr als 100 Jahre bestehende Versorgungssystem alter Art soll eine
Innovation gestellt werden, in der eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren
integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird (von
Schwanenflügel, NZS 2006, 285, 287) .
20 Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von § 140a Abs 1
SGB V erfasst, die Leistungen aus den beiden "Hauptsektoren" anbieten (vgl Senatsurteil
vom 6.2.2008, aaO, RdNr 18) . Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen
Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors
weitere Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von Integrationsverträgen sein
können. Beispiel für ein integriertes Versorgungsangebot ohne Einbeziehung des
stationären Sektors ist etwa die Verzahnung von ambulanten Operationen und
anschließender Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Die
Ziele der integrierten Versorgung, nämlich ua die Vermeidung unnötiger
Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von
Wartezeiten, können durch ein derartiges Angebot erreicht werden. Auch innerhalb des
stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende
Versorgung möglich und bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften für die integrierte
Versorgung geboten. So kann etwa die Verknüpfung der Akutbehandlung in einem
Krankenhaus - zB Durchführung einer Operation oder Behandlung eines Schlaganfalls - mit
der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand
eines Integrationsvertrages sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger
einer stationären Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen Versorgungssystem
Schnittstellenprobleme, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein
Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können.
21 Über das Erfordernis einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung
hinaus sind Verträge der in § 140b Abs 1 SGB V - idF des GMG - genannten Vertragspartner
nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang
Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden. Das ergibt sich
aus der Konzeption der Integrationsversorgung als einer Alternative zur Regelversorgung,
wie sie den Vorschriften der §§ 140a bis 140d SGB V seit ihrer Neufassung durch das GMG
zugrunde liegt (vgl dazu insbes Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 14, 20 ff) .
22 4. Diese Grundsätze bedürfen für den Fall der Verknüpfung verschiedener
Leistungsangebote von und mit Krankenhäusern weiterer Differenzierung. Solche
Verzahnungen reichen, da - wie unter 2. ausgeführt - eine integrierte Versorgung die
Verknüpfung verschiedener Leistungssektoren bedeutet, die in der traditionellen
Regelversorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nur unter bestimmten
Voraussetzungen für die Anerkennung als integrierte Versorgung im Sinne der §§ 140a ff
SGB V aus.
23 Eine integrierte Versorgung kann zB - wie schon oben erwähnt - durch Verknüpfung von
stationärer Akutbehandlung und stationärer Rehabilitation erreicht werden, weil diese
Leistungssektoren in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell typischerweise
getrennt sind. Diese Trennung ist in den bisherigen Strukturen immer dann gegeben, wenn
es sich um unterschiedliche Einrichtungen handelt, sodass sich deren Verknüpfung für eine
verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung eignen kann. Aber auch in den
selteneren Fällen, in denen ein Träger übergreifend sowohl ein Krankenhaus als auch eine
Rehabilitationseinrichtung betreibt, können Verknüpfungen dieser unterschiedlichen
Angebote eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer
integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bilden. Denn Art und Inhalt der jeweils zu
erbringenden Leistungen sind im Krankenhaus einerseits und in der
Rehabilitationseinrichtung andererseits unterschiedlich; insoweit werden im Übrigen im
Regelfall auch verschiedene Leistungserbringer tätig, selbst wenn einzelne Personen in
beiden Bereichen zum Einsatz kommen sollten.
24 Unzureichend für eine integrierte Versorgung ist es dagegen, wenn innerhalb eines
Krankenhauses nur die stationär und die ambulant erbrachten ärztlichen Behandlungen
miteinander verknüpft werden, es sei denn, dass die Verzahnung deutlich über das Maß
hinaus geht, das normalerweise in der traditionellen Versorgung besteht. Grundsätzlich
unzureichend sind die krankenhaustypischen Verknüpfungen zwischen einerseits der
stationären Krankenversorgung und andererseits den ambulanten Behandlungen, die im
Krankenhaus durch Hochschul- und Institutsambulanzen und durch ermächtigte Ärzte
erfolgen. Verknüpfungen zwischen der im Krankenhaus stattfindenden ambulanten und der
hier erfolgenden stationären Versorgung können nur in besonderen Fällen für eine
Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V geeignet sein,
etwa bei Krankheitsbildern, bei denen ein Wechsel zwischen der zB in der Institutsambulanz
regelmäßig stattfindenden ambulanten und den zwischenzeitlich erforderlichen stationären
Behandlungen typischerweise gehäuft vorkommt. Dies kann möglicherweise bei
psychiatrischen Patienten in Betracht kommen, bei denen kontinuierliche ambulante
Betreuungen stattfinden, aber in Abständen bei Schüben der Grunderkrankung auch
stationäre Betreuungen erforderlich werden. Wird hier eine reibungslose Verzahnung der
unterschiedlichen Behandlungen in den verschiedenen Phasen zB durch eine einheitliche
Fallpauschale erreicht und werden zusätzlich weitere Verbindungen geschaffen, deren
nähere Bestimmung hier offenbleiben kann, so kann eine solche Verknüpfung als eine
verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V
zu qualifizieren sein.
25 5. Unter Zugrundelegung dieser Differenzierungen ergibt sich, dass die hier zu beurteilenden
Verträge Nr 2 und 4 weder unter dem Gesichtspunkt einer interdisziplinär-
fachübergreifenden Versorgung (hierzu s o 3., RdNr 17) noch unter dem einer
Leistungssektoren übergreifenden Versorgung eine integrierte Versorgung gemäß §§ 140a ff
SGB V zum Gegenstand haben, während die Verträge Nr 1 und 3 die Voraussetzungen
einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung in diesem Sinne erfüllen.
26 a) In den Verträgen Nr 2 und 4 sind Vertragspartner allein die Beklagte und jeweils ein
Krankenhaus bzw ein Krankenhausverbund. Sie betreffen Koronarangiographien,
Schrittmacherwechsel und Kataraktoperationen (Nr 2) oder bestimmte operative Eingriffe auf
dermatologischem, gynäkologischem, proktologischem und orthopädischem Gebiet (Nr 4).
Beide Verträge haben eine bessere Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen zum
Ziel. Zur Vergütung dieser Leistungen sind Komplexfallpauschalen vereinbart, die die
Krankenkasse unabhängig von der im Einzelfall stationär oder ambulant erfolgten
Behandlung - unter Verzicht auf eine Nachprüfung der Behandlungsform - zahlt.
27 Von diesem Inhalt her betreffen diese Verträge allein den Leistungssektor Krankenhaus und
verknüpfen innerhalb dieses Bereichs - bezogen auf bestimmte operative Leistungen -
lediglich die Erbringung ambulanter und stationärer Leistungen. Verzahnungen zwischen
diesen Bereichen bestehen, wie oben ausgeführt, bereits in der traditionellen Versorgung.
Von den vorliegenden Verträgen werden keine Fälle erfasst, in denen Verknüpfungen
wegen des typischerweise immer wieder notwendigen Wechsels zwischen ambulanter und
stationärer Behandlung besondere Bedeutung haben und sich dadurch für eine integrierte
Versorgung eignen können. Somit können die Verträge Nr 2 und 4 nicht als solche
qualifiziert werden, die eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im
Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V zum Gegenstand haben.
28 b) Demgegenüber verknüpfen die Verträge Nr 1 und 3, bei denen Vertragspartner der
Beklagten jeweils sowohl ein Krankenhaus als auch eine Rehabilitationseinrichtung sind,
die Bereiche der Akutbehandlung und der stationären Rehabilitation, die in der traditionellen
Versorgung typischerweise inhaltlich und institutionell getrennt sind.
29 Diese Verträge erfassen dadurch, dass sie zusätzlich zum Krankenhaus Einrichtungen der
stationären Rehabilitation und die dort anfallenden Behandlungen einbeziehen und insoweit
eine umfassende Behandlung der Patienten regeln, übergreifend verschiedene
Leistungssektoren. Der Vertrag Nr 1 sieht dies für bestimmte Eingriffe am Hüft- oder
Kniegelenk vor, der Vertrag Nr 3 enthält solche Bestimmungen für bestimmte Eingriffe an
Arm, Hüfte oder Bein. In beiden Verträgen ist bestimmt, dass eine zielgerichtete und
umfassende Versorgung der Versicherten im Rahmen einer integrierten Zusammenarbeit
zwischen allen an der Versorgung Beteiligten verwirklicht werden soll. Als Vergütung hierfür
sind jeweils Komplexfallpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen des Vertrags
erbrachten Leistungen - einschließlich derjenigen der kooperierenden
Rehabilitationskliniken - abgelten.
30 Von diesem Inhalt her regeln die Verträge Nr 1 und 3 jeweils eine verschiedene
Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß
§§ 140a ff SGB V.
31 6. Aus der Anerkennung der Verträge Nr 1 und 3 als integrierte iS der §§ 140a ff SGB V folgt,
dass die vorinstanzliche Verurteilung der Beklagten zur Zahlung in Höhe von 26.042,72
Euro unberechtigt ist. Dieser Betrag beruht auf den Angaben der Beteiligten, die einen
Anhaltspunkt für eine Unrichtigkeit nicht erkennen lassen.
32 Die Anerkennung der Verträge Nr 2 und 4 hat das LSG hingegen zu Recht versagt, sodass
insoweit die Revision der Beklagten erfolglos bleibt.
33 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung von § 155 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.