Urteil des BSG vom 14.03.2017

BSG (bvg, verlegung des wohnsitzes, bundesrepublik deutschland, gebiet, rente, anlage, wohnsitz, kapitel, freibetrag, höhe)

BUNDESSOZIALGERICHT Beschluß vom 29.11.2007, B 13 RJ 25/05 R
Vorlagebeschluss an den Großen Senat - Zusammentreffen von Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung mit Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung -
abgesenkter Freibetrag für das Beitrittsgebiet - Verfassungsmäßigkeit
Gründe
1
I. Die Beteiligten streiten, ob bei der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf die von der Beklagten
gewährte Regelaltersrente (RAR) aus der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) ein abgesenkter Freibetrag
in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist.
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Der 1925 geborene Kläger bezog seit Oktober 1967 eine Unfallteilrente aus der Sozialversicherung der DDR.
Diese wurde ab 1.1.1992 als Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH von
der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Berlin (nunmehr: Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft
Mittel- und Ostdeutschland) weitergezahlt.
3
Der Kläger bezog außerdem seit Februar 1984 eine Invalidenrente aus der Sozialversicherung und der
Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der DDR. Diese wertete die Beklagte ab Januar 1992 in eine RAR nach
dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) um (Bescheid vom 14.12.1992) . Dabei rechnete sie auf die
RAR die vom Kläger bezogene Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) an. Von der
Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger am 18.5.1990 seinen Wohnsitz im Gebiet der neuen
Bundesländer hatte, minderte die Beklagte diesen Freibetrag in dem Verhältnis, in dem der aktuelle
Rentenwert (Ost) zum aktuellen Rentenwert stand. In einem Bescheid vom 8.7.1994 berechnete sie die Rente
ab Juli 1994 erneut nach diesen Grundsätzen.
4
Im August 2003 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom
10.4.2003 (B 4 RA 32/02 R, SozR 4-2600 § 93 Nr 2) einen Überprüfungsantrag für die Zeit ab Januar 1999.
Diesen lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.9.2003; Widerspruchsbescheid vom 1.6.2004) , weil ihre
bisherige Verfahrensweise korrekt gewesen sei; die Rentenversicherungsträger folgten der Auffassung des
BSG nicht.
5
Die auf die Verurteilung zur Gewährung einer Altersrente unter Anrechnung einer Unfallrente ohne Minderung
des Zahlbetrags nach § 84a Satz 1 und 2 BVG zielende Klage hat das Sozialgericht Altenburg (SG) mit Urteil
vom 3.5.2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Rücknahme
des Bescheides vom 8.7.1994 nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der
Anrechnung der Verletztenrente bestehe nicht. Die Beklagte habe den Anrechnungsbetrag gemäß § 93 Abs 2
Nr 2 Buchst a SGB VI in zutreffender Höhe festgestellt. Insbesondere sei der Freibetrag nach der Neufassung
dieser Bestimmung durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der
gesetzlichen Rentenversicherung (vom 21.7.2004, BGBl I 1791 - RV-Nachhaltigkeitsgesetz ) nach der
Grundrente aus § 31 BVG iVm § 84a Satz 1 und 2 BVG errechnet worden. Mit dieser Neufassung sei
klargestellt, dass bei der Ermittlung des Freibetrags der § 84a Satz 1 und 2 BVG zu berücksichtigen sei. Dieser
bestimme, dass für Berechtigte, die am 18.5.1990 ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern hatten, die für
dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag (EinigVtr) geltenden Maßgaben zu berücksichtigen seien. Nach
EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a sei daher eine Minderung der Grundrente
des § 31 BVG entsprechend den dortigen Maßgaben vorzunehmen. Entsprechend der nunmehr eindeutigen
gesetzlichen Regelung könne die hiervon abweichende Auslegung durch das BSG nicht mehr herangezogen
werden. Diese Neufassung begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil eine Änderung des
Gesetzestextes im Wege einer authentischen Interpretation auch Rückwirkung entfalten könne, wenn der
Gesetzgeber durch eine eigene nachträgliche Interpretation seiner selbst anordne, wie die schon bisher
bestehenden gesetzlichen Bestimmungen von Anfang an zu verstehen seien. Um einen solchen Fall handele
es sich bei der Neufassung durch das RVNG. Da die Klarstellung unmittelbar nach Ergehen der Urteile des
BSG eingeleitet worden sei und die Verwaltungspraxis von Anfang an der jetzt erfolgten Klarstellung
entsprochen habe, würden Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht berührt. Die damit verbundene
Ungleichbehandlung sei auch nicht willkürlich, sondern durch die unterschiedlichen Lebensverhältnisse
gerechtfertigt. Die Freibetragsregelung berücksichtige nicht allein immaterielle Schäden, sondern auch
behinderungsbedingte Mehraufwendungen. Außerdem würde angesichts des im Osten niedrigeren
Rentenniveaus der immaterielle Schadensanteil anderenfalls überbewertet. Die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14.3.2000 (BVerfGE 102, 41) betreffe nur Kriegsopfer, mit welchen
die Gruppe der Verletztenrentner nicht vergleichbar seien.
6
Mit der vom SG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verfassungswidrigkeit des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst
a SGB VI idF des RVNG. Mit der rückwirkenden Neufassung dieser Vorschrift ab 1.1.1992 verstoße der
Gesetzgeber gegen die Verfassung. Die einschlägigen Entscheidungen des BSG aus dem Jahr 2003
begründeten einen Vertrauenstatbestand. Das geltende Recht sei weder unklar noch verworren gewesen. Die
frühere Regelung sei nicht ungültig gewesen, und es handele sich nicht um eine Bagatelle. Auch die
Gesetzesmotive zeigten keine zwingenden Gründe des Allgemeinwohls auf, welche eine solche Rückwirkung
rechtfertigen könnten. Eine authentische Interpretation könne im Übrigen nur für die Zukunft wirken. Für die
Vergangenheit müsse Vertrauensschutz gewährt werden, da die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz
gebunden sei und damit auch an Richterrecht. Andernfalls könne der Bürger nicht auf die Rechtsprechung der
obersten Gerichte des Bundes vertrauen, wenn die Versicherungsträger beschlössen, dieser nicht zu folgen.
Nach mehr als zwei Wahlperioden sei eine rückwirkende Klarstellung belastender Regelungen zudem zeitlich
unzulässig. Hier handele es sich letztlich nur um eine Kundgabe, wie der Gesetzgeber damalige
Bestimmungen aus heutiger Sicht geregelt hätte. Zumindest in offenen Verfahren müsse daher ein Anspruch
bis zum 21.7.2004 gegeben sein.
7
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 3.5.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung
ihres Bescheids vom 24.9.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2004 zu verpflichten, die
Regelaltersrente ab 1.1.1999 unter Berücksichtigung eines nicht für das Beitrittsgebiet abgesenkten
Freibetrags neu zu berechnen, sowie die Beklagte zu verurteilen, entsprechend höhere monatliche
Geldbeträge zu zahlen und ihre entgegenstehenden Bescheide zurückzunehmen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9
Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend und führt aus: Im Übrigen vermöge sie keine doppelte
Benachteiligung der Rentner im Beitrittsgebiet zu erkennen. Der Anteil der Rente Ost aus der gesetzlichen UV
und der gesetzlichen RV habe 1992 57 bis 58 % der jeweiligen Leistung West betragen. Dieser Anteil bleibe
durch die Berücksichtigung eines Freibetrags Ost etwa gleich (58 %). Würde der Freibetrag West angesetzt,
läge der Anteil bei 69 %. Nach der Entscheidung des BVerfG beinhalte die Grundrente nach dem BVG nicht
nur immaterielle Schäden, sondern auch Entschädigung für Mehraufwendungen. Auch sei § 84a BVG nicht
insgesamt für verfassungswidrig erklärt worden, sondern nur bezüglich der Kriegsopfer. Daraufhin habe der
Gesetzgeber diese Vorschrift auch nicht gestrichen, sondern nur geändert und bezüglich der übrigen
Personengruppen an der Differenzierung festgehalten. Diese Einschätzung werde auch durch die
Rechtsprechung des 9. Senats des BSG gestützt. Dieser Sachlage habe der Gesetzgeber durch die erste
Neufassung des § 84a BVG ab 1.1.1999 Rechnung getragen. § 93 SGB VI betreffe keine Kriegsopfer und sei
daher von der Entscheidung des BVerfG nicht direkt betroffen. Es sei nicht erkennbar, wo Vertrauen des
Klägers in den Fortbestand des § 93 SGB VI aF verletzt sei. Der Berechnung seiner Rente liege von Anfang an
der Freibetrag Ost zu Grunde. Da die Rentenversicherungsträger der Rechtsprechung des BSG einheitlich
nicht gefolgt seien, könne auch daraus kein Vertrauenstatbestand erwachsen sein.
10 II. Die Entwicklung der Rechtslage
11 1. Rentenreformgesetz 1992
12
Mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992)
vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) gliederte der Gesetzgeber das Recht der gesetzlichen RV, welches bislang in
der Reichsversicherungsordnung geregelt war, als Sechstes Buch in das Sozialgesetzbuch ein. In diesem
Rahmen wurden auch die Vorschriften zum Zusammentreffen einer Rente aus der RV mit Leistungen aus der
UV ohne grundsätzliche Änderung neu formuliert (BT-Drucks 11/4124, zu § 92 S 174) . Neu war
jedoch die Bestimmung des Grenzbetrags sowie die Freistellung eines Betrags der Verletztenrente
entsprechend dem Grad der MdE. Hierzu heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP (BT-Drucks 11/4124, aaO) :
"In Nummer 2 Buchstabe a ist vorgesehen, dass ... entsprechend dem Grad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit ein Teil der Verletztenrente der Unfallversicherung, von dem angenommen wird, dass
er nicht Lohnersatzfunktion hat, sich nicht rentenmindernd auswirkt. Dadurch wird erreicht, dass
Versicherte mit gleich hohem Bruttoverdienst als Schwerbehinderte im Vergleich zu Leichtverletzten eine
höhere Gesamtleistung erhalten."
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Der Gesetzestext lautet, soweit erheblich:
"§ 93 Rente und Leistungen aus der Unfallversicherung
...
(2) Bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleiben unberücksichtigt
1. ...
2. bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung
a) der Betrag, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz geleistet würde, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom
Hundert zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um zehn vom
Hundert ein Drittel der Mindestgrundrente, und
b) ..."
14 2. Bundesversorgungsgesetz
15 Die Bekanntmachung der Neufassung des BVG vom 22.1.1982 (BGBl I 21) , zuletzt geändert durch Art 1 des
KOV-Anpassungsgesetzes 1990 vom 26.6.1990 (BGBl I 1211) enthielt noch keinen § 84a. Unter der
Kapitelüberschrift "Übergangsvorschriften" folgte auf § 84 unmittelbar § 85.
16 3. Einigungsvertrag und Einigungsvertragsgesetz
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Art 8 des EinigVtr lautet:
"Mit dem Wirksamwerden des Beitritts tritt in dem in Artikel 3 genannten Gebiet Bundesrecht in Kraft,
soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der Bundesrepublik
Deutschland beschränkt ist und soweit durch diesen Vertrag, insbesondere dessen Anlage I, nichts
anderes bestimmt wird."
18 Nach dem EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 1 tritt das RRG 1992 im Beitrittsgebiet mit
den dort genannten Maßgaben am 1.1.1992 in Kraft (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens vgl Art 85 Abs 1 RRG
1992 iVm Buchst a aaO ). Von den folgenden Maßgaben wird § 93 SGB VI nichterfasst.
19
Nach EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt II wird das BVG in der oa (s oben 2) Fassung
ergänzt und nach § 84 eingefügt:
"§ 84a. Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel
3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom Zeitpunkt der Verlegung des
Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, frühestens vom 1. Januar 1991
BVG im Beitrittsgebiet> an, Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet
nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben, auch wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem dieses Gesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat. Satz 1 gilt
entsprechend für Deutsche und deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der
Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die nach dem 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet
haben."
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Nach EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 tritt das BVG in der oa Fassung mit
folgenden Maßgaben im Beitrittsgebiet in Kraft:
"a) Die in den §§ ..., § 31 Abs. 1 und 5, ... in der jeweils geltenden Fassung genannten Deutsche Mark-
Beträge sind mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der
verfügbaren Standardrente (§ 68 Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) in dem in Artikel
3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das
Bundesversorgungsgesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt. ... Die sich ergebenden
Beträge sind auf volle Deutsche Mark abzurunden, und zwar bis 0,49 Deutsche Mark nach unten
und von 0,50 Deutsche Mark an nach oben. ... Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
gibt den maßgebenden Vomhundertsatz und den Veränderungstermin jeweils im Bundesanzeiger
bekannt. ...
l) Die in den Buchstaben a bis k genannten Maßgaben gelten für Berechtigte, die am 18. Mai 1990
ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet
hatten. Satz 1 gilt entsprechend für Deutsche und deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der
Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die nach dem 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet begründet
haben.
m) Das Bundesversorgungsgesetz findet in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet mit den
vorgenannten Maßgaben vom 1. Januar 1991 an Anwendung."
21 Gemäß Art 1 des Einigungsvertragsgesetzes (vom 23.9.1990, BGBl II 885) wird der EinigVtr nebst
Anlagen Bundesgesetz (zur Umstellung der zitierten Bestimmungen von Deutsche Mark auf Euro vgl § 66a
BVG).
22 4. Renten-Überleitungsgesetz
23 Die Einzelheiten der Überleitung des DDR-Rentenrechts hat der Gesetzgeber durch das Renten-
Überleitungsgesetz vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) geregelt. In Art 1 dieses Gesetzes werden Änderungen des
SGB VI aus Anlass der Rentenüberleitung vorgenommen; § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI ist nicht betroffen.
24 5. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.3.2000
25
Mit Urteil vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96, BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3; Tenor in
BGBl I 445) hat das BVerfG mit Gesetzeskraft entschieden:
"§ 84a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in Verbindung mit Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K
Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag -
vom 31. August 1990 (Bundesgesetzblatt II Seite 889, 1067) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
unvereinbar und nichtig, soweit die Beschädigtengrundrente nach § 31 Absatz 1 Satz 1 des
Bundesversorgungsgesetzes auch nach dem 31. Dezember 1998 im Beitrittsgebiet anders berechnet
wird als im übrigen Bundesgebiet."
26 Den Gründen ist zu entnehmen, dass es mit dem Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG)
unvereinbar ist, dass die den Kriegsopfern nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG gewährte Beschädigtengrundrente in
den alten und neuen Ländern über den 31.12.1998 hinaus bei gleicher Beschädigung ungleich hoch ist.
27 6. Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze
28
Als Reaktion auf die vorgenannte Entscheidung des BVerfG brachte die Bundesregierung unter dem 8.9.2000
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze (BT-
Drucks 14/4054) in das Gesetzgebungsverfahren ein. In der Begründung hierzu heißt es im Allgemeinen Teil
(S 7):
"Bei der Ergänzung des § 84a BVG handelt es sich in der Hauptsache, soweit die
Kriegsbeschädigtengrundrenten betroffen sind, um eine notwendige Klarstellung im Hinblick auf die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 2000."
29 Weitere Erläuterungen finden sich nicht. Die Begründung zu Art 6 (Änderung des BVG; S 9 f) ist im
Wesentlichen gleichlautend, weshalb eine Wiedergabe unterbleibt.
30
Durch Art 6 (Änderung des BVG) des Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes und anderer
Gesetze vom 6.12.2000 (BGBl I 1676) wurde § 84a BVG folgender Satz angefügt:
"Die Sätze 1 und 2 gelten ab dem 1. Januar 1999 nicht für die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1
Satz 1 von Berechtigten nach § 1 sowie für die Beschädigtengrundrente von Berechtigten nach dem
Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und nach dem Verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz, die in entsprechender Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 gezahlt werden."
31 Nach Art 7 Abs 1 ist Art 6 mit Wirkung vom 1.1.1999 in Kraft getreten. EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet
K Abschnitt III Nr 1 Buchst a wurde nicht geändert.
32 7. Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts im Jahr 2003
33 Bei diesem Stand der Gesetzgebung erkannte das BSG (Urteil vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R = SozR 4-
2600 § 93 Nr 2; Urteil vom 20.11.2003 - B 13 RJ 5/03 R = SozR 4-2600 § 93 Nr 3) im Jahr 2003 in zwei
Entscheidungen, dass § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI mit der Bezugnahme auf die "Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz" eine solche nach § 31 BVG meine. Eine Differenzierung der Höhe dieser Rente
nach dem Wohnort sei weder vom Wortlaut ("... geleistet würde ...") noch vom Sinn und Zweck der Regelung,
dem Ausgleich immaterieller Schäden zu dienen, gefordert. Beide Entscheidungen stellen nicht auf das Urteil
des BVerfG ab; vielmehr habe Auslegung und Anwendung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI durch die
Rentenversicherungsträger von Beginn (1992) an nicht dem geltenden Recht entsprochen, weil diese für
Berechtigte des Beitrittsgebiets einen abgesenkten Freibetrag berücksichtigt hätten. Allerdings entschieden
beide Urteile des BSG nicht über den Zeitraum vor 1999. Im Fall des 4. Senats war der Anspruch auf
Altersrente erst im Dezember 2000 entstanden; in dem des 13. Senats hatte der Kläger das erst für die Zeit ab
1.1.1999 zusprechende SG-Urteil nicht selbst mit der Berufung angefochten, insofern war Rechtskraft
eingetreten.
34 8. RV-Nachhaltigkeitsgesetz
35
Unter dem 9.12.2003 brachten die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Entwurf eines RVNG
(BT-Drucks 15/2149) ein. Dieser wurde im Ausschussverfahren (Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung <13. Ausschuss> vom 10.3.2004, BT-Drucks 15/2678)
ergänzt. Das Gesetz vom 21.7.2004 (BGBl I 1791) bestimmt ua:
"Artikel 1 Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch
19. In § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a werden die Wörter 'dem Bundesversorgungsgesetz' durch die
Wörter '§ 31 in Verbindung mit § 84a Satz 1 und 2 des Bundesversorgungsgesetzes' ersetzt.
Artikel 11 Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
3. § 84a Satz 3 wird wie folgt gefasst:
Die Sätze 1 und 2 gelten ab dem 1. Januar 1999 nicht für die Beschädigtengrundrente nach § 31
Abs. 1 Satz 1 und die Schwerstbeschädigtenzulage nach § 31 Abs. 5 von Berechtigten nach § 1
sowie für die Beschädigtengrundrente und die Schwerstbeschädigtenzulage von Berechtigten nach
dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und nach dem
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die in entsprechender Anwendung des § 31 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 5 gezahlt werden.
Artikel 15 Inkrafttreten
(2) Artikel 1 (Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) Nr. ... 19 (§ 93) tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1992 in
Kraft.
...
(5) Artikel 11 Nr. 3 (§ 84a des Bundesversorgungsgesetzes) tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in
Kraft."
36 Nach der Begründung der Beschlussempfehlung (aaO S 19) des 13. Ausschusses handelt es sich bei den
aufgeführten Änderungen um eine "rückwirkende Klarstellung zur Berücksichtigung der Grundrente (Ost) als
Freibetrag bei der Anrechnung von Renten aus der Unfall- und Rentenversicherung".
37
In der Begründung zu Nr 17a der Beschlussempfehlung (aaO S 22 f) heißt es dementsprechend, es werde
"klargestellt, dass die dort seit 1992 geregelte Verweisung - entsprechend der bisherigen Praxis der
Träger der Rentenversicherung - sowohl die Vorschrift des § 31 BVG als auch die in § 84a geregelten
Besonderheiten für Berechtigte im Beitrittsgebiet umfasst. Damit gilt bei der Anrechnung einer
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung in den neuen Ländern weiterhin ein niedrigerer Freibetrag als in den alten Ländern."
38
Hiermit sollten die unter 7. zitierten Entscheidungen des BSG aus dem Jahr 2003 korrigiert werden, weil deren
Auffassung "nicht dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers" entspreche und "keine allgemeine Geltung
beanspruchen" könne. Die alte Fassung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI "Grundrente nach dem BVG"
verweise sowohl auf die Bestimmung des § 31 BVG als auch auf § 84a BVG. Laut BSG sei "§ 84a BVG ... in
diesen Fällen nicht anwendbar, da eine Verweisung in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI nicht erfolge".
Wörtlich heißt es:
"Die Anwendung des § 84a BVG ist daher keine Benachteiligung der Ost-Rentner, sondern vermeidet
eine nicht begründbare Begünstigung. ... Die Grundrente nach dem BVG stellt zwar eine Entschädigung
für die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit dar; zudem sollen allerdings die Mehraufwendungen
ausgeglichen werden ... Wäre das Bundesverfassungsgericht wie der 4. und 13. Senat des
Bundessozialgerichts der Auffassung gewesen, dass die Grundrente ausschließlich dem Ausgleich
eines immateriellen Schadens diene und hier eine Differenzierung unzulässig sei, hätte es
konsequenterweise die Regelung des § 84a BVG für alle Beschädigtengrundrenten ... für
verfassungswidrig erklären müssen. Eine solche generelle Aussage hat das BVerfG nicht getroffen, weil
es nicht ausschließlich die Genugtuungsfunktion der Beschädigtengrundrente gesehen hat, sondern
daneben auch noch die materielle Ausgleichsfunktion und als weitere entscheidungserhebliche Kriterien
das hohe Alter und das Sonderopfer der Kriegsbeschädigten hervorgehoben hat."
39 Die Änderung des BVG in Art 11 (Art 10 des Entwurfs) begründet der 13. Ausschuss mit der Fortentwicklung
der Rechtsprechung des BVerfG durch den 9. Senat des BSG durch Ausdehnung der Ausnahmevorschrift des
§ 84a Satz 3 BVG auf die Schwerstbeschädigtenzulage (aaO S 25) .
40
Zur Rückwirkung der Änderung des § 93 SGB VI heißt es (S 25 zu Art 13 des Entwurfs) :
"Klarstellung zu dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen § 93 SGB VI im Sinne einer authentischen
Interpretation (...). Soweit im Einzelfall ein begünstigender Verwaltungsakt vorliegen sollte, sind mögliche
Betroffene durch die Vertrauensschutzregelungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vor einer
rückwirkenden Anwendung geschützt."
41 9. Die Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts im Jahr 2005
42 Der 4. Senat des BSG hat in fünf Urteilen vom 20.10.2005 (B 4 RA 27/05 R, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93
Nr 7; B 4 RA 24/05 R; B 4 RA 18/05 R; B 4 RA 13/05 R; B 4 RA 12/05 R) entschieden, dass § 93 Abs 2 Nr 2
Buchst a SGB VI auch idF des RVNG nicht ermächtige, hinsichtlich des Freibetrags zwischen unfallverletzten
Rentnern in den alten und neuen Bundesländern zu unterscheiden. Der nach dem Grundrentenbetrag des § 31
BVG zu bestimmende Freibetrag sei für Rentner aus den neuen Bundesländern nicht zu kürzen. Die
ausdrückliche Verweisung auf § 84a Satz 1 und 2 BVG in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RVNG
habe kein anwendbares Recht geschaffen, sondern gehe ins Leere, denn das BVerfG habe diese Vorschrift mit
Urteil vom 14.3.2000 (s oben 5) für nichtig erklärt. Diese Vorschrift könne daher keine Rechtsfolgen mehr
auslösen, insbesondere seien die Sätze 1 und 2 des § 84a BVG auch nicht durch den Gesetzgeber erneut
beschlossen und verkündet worden. Bei direkter Anwendung des § 84a Satz 1 und 2 BVG sei im Übrigen nur
die dort genannte kleine Gruppe der Um- und Zuzügler von der Maßgabe betroffen, nicht aber die Mehrzahl der
Verletztenrentner, welche am maßgeblichen Stichtag ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatten und dort auch
behalten haben. Eine Verweisung auf die Grundregelung zur Kürzung in den neuen Bundesländern in EinigVtr
Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 fehle in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI. Es verbleibe
daher bei der Verweisung auf § 31 BVG. Diese beinhalte eine bloße Rechtsfolgenverweisung, wie dies bereits
Gegenstand der Rechtsprechung zu der alten Fassung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI aus dem Jahr
2003 gewesen sei (s oben 7) und entspreche damit dem Sinn und Zweck der Freibetragsregelung, im
Wesentlichen der Entschädigung immaterieller Schäden zu dienen. Diesen Zweck erfülle nur ein einheitlicher
Freibetrag für alle unfallverletzten Rentenberechtigten.
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10. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen
Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
44
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des sozialen Entschädigungsrechts und des
Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (BT-Drucks 16/444) sollte
zunächst den Urteilen des BSG zur Erhöhung des Dienstbeschädigungsausgleichs vom 7.7.2005 (B 4 RA
58/04 R) und vom 20.7.2005 zur Alterszulage nach § 31 Abs 1 Satz 2 BVG (B 9a/9 V 6/04 R) sowie des
Beschlusses des BVerfG vom 9.11.2004 (1 BvR 684/98) zur Gewährung von Versorgungsleistungen für den
Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft in besonderen Fällen Rechnung getragen werden. Mit
seiner Beschlussempfehlung reagierte der Ausschuss für Arbeit und Soziales (BT-Drucks 16/1162 vom
5.4.2006, S 2, 11 f) auf die zwischenzeitlich bekannt gewordene Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (s
oben 9) zur Änderung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI durch das RVNG:
"Mit der rückwirkend zum 1. Januar 1991 in Kraft tretenden Neufassung des § 84a BVG wird klargestellt,
dass Satz 1, der auf die Maßgaben des Einigungsvertrags verweist, von Anfang an alle Berechtigten
erfasst, die am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet wohnten, unabhängig davon, ob sie nach diesem
Zeitpunkt in die alten Länder umgezogen sind. Die Neufassung entspricht nicht nur der ständigen
Rechtsprechung des für das Versorgungsrecht zuständigen 9a. Senats des Bundessozialgerichts,
sondern auch der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 14. März 2000 (1
BvR 284/96, 1 BvR 1659/96), in der das Gericht die Frage der Gleichbehandlung von im Beitrittsgebiet
wohnhaften Kriegsopfern nicht ausschließlich am Einigungsvertrag, sondern an § 84a BVG i.V.m. dem
Einigungsvertrag gemessen hat. Der Gesetzgeber reagiert mit der Klarstellung auf die in den
Entscheidungen des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 20. Oktober 2005 (Az.: B 4 RA 13/05 R u.
a.) im Widerspruch zu der genannten Rechtsprechung vertretenen Ansicht, wonach § 84a BVG nur
'Umzügler' erfasse, nicht aber diejenigen, die seit dem 18. Mai 1990 dauerhaft im Beitrittsgebiet wohnen.
Mit der Neufassung wird somit für die Zeit vor dem 1. Januar 1999 mehr Rechtssicherheit geschaffen.
Dies gilt auch für jene Rechtsbereiche, in denen Vorschriften auf § 84a BVG verweisen, wie dies bei § 93
Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI und bei der vorgesehenen Neufassung von § 2 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DbAG) der Fall ist."
45
Mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über
einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet vom 19.6.2006 (BGBl I 1305)
erhielt § 84a BVG folgende Neufassungen:
"Artikel 01
Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ...
46
'§ 84a Leistungshöhe für Berechtigte im Beitrittsgebiet
Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom1. Januar 1991 an
frühestens vom 1. Januar 1991 an>
Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag
geltenden Maßgaben ; dies gilt auch vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen
Aufenthalts, frühestens vom 1. Januar 1991 an,
wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem dieses Gesetz
schon vor dem Beitritt gegolten hat. Satz 1 gilt entsprechend für Deutsche und deutsche Volkszugehörige
aus den in § 1 der Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die nach dem 18. Mai 1990
ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten
Gebiet begründet haben.'
47
Artikel 1
Weitere Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ...
48
'§ 84a Leistungshöhe für Berechtigte im Beitrittsgebiet
Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom1. Januar 1991 an Versorgung nach dem
Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben;
dies gilt auch vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, frühestens
zum 1. Januar 1991 an, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen,
in dem dieses Gesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat. Satz 1 gilt entsprechend für Deutsche und
deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die
nach dem 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet haben. Die Sätze 1 und 2 gelten ab dem 1. Januar
1999 nicht für die Beschädigtengrundrente einschließlich des Alterserhöhungsbetrages nach § 31 Abs. 1
und die Schwerstbeschädigtenzulage nach § 31 Abs. 5 von Berechtigten nach § 1 sowie für die
B eschädi gtengrundrente einschließlich
des
Alterserhöhungsbetrages
und
die
Schwerstbeschädigtenzulage von Berechtigten nach dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz und nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die in
entsprechender Anwendung des § 31 Abs. 1 und 5 gezahlt werden.'
49
Artikel 9
Inkrafttreten
...
(1a) Artikel 01 tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1991 in Kraft.
...
(4) Artikel 1 tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in Kraft."
50 III. Der 13. Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Er sieht sich hieran jedoch durch die
entgegenstehende Rechtsprechung des 4. Senats (s II 7 und 9) gehindert. Gemäß § 41 Abs 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) legt er daher nach Durchführung des Anfrageverfahrens nach § 41 Abs 3 SGG
(Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 12.12.2006, Antwortbeschluss des 4. Senats vom 26.6.2007 -
B 4 R 1/07 S) dem Großen Senat die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Rechtsfrage vor.
51 Der vorlegende Senat beantwortet diese Frage mit "ja" und will im Einzelnen wie folgt entscheiden:
52 A. Die (Sprung-)Revision ist zulässig.
53 1. Obwohl das SG in den Gründen seines Urteils die Revision auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des §
93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RVNG beschränkt hat, ist sie als unbeschränkt zugelassen anzusehen.
Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neufassung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI handelt es sich
nicht um einen prozessual selbständigen Streitgegenstand, sondern um eine bestimmte Rechtsfrage bei
Anwendung der Vorschriften des SGB VI zum Zusammentreffen von Leistungen aus der gesetzlichen UV und
RV. Auf die fehlerhaft beschränkte Zulassung ist die Höhe der RAR daher unbeschränkt zu überprüfen.
54 2. Der Erlass eines Grundurteils iS des § 130 Abs 1 SGG ist zulässig, wenn zwar über die Leistungshöhe
gestritten wird, aber - wie vorliegend - nur ein Berechnungsfaktor streitig ist (BSG SozR 4-2600 § 93 Nr 3 mwN
). Dabei handelt es sich hier um den Anrechnungsbetrag nach § 93 SGB VI. Die übrigen Berechnungsfaktoren
für den monatlichen Zahlbetrag der RAR des Klägers sind - zu Recht - zwischen den Beteiligten unstreitig.
55 3. Richtigerweise entspricht der Antrag des Klägers einer Kombination aus Anfechtungs-, Verpflichtungs- und
Leistungsklage, denn er begehrt eine Zugunstenentscheidung der Beklagten.
56 B. Die Revision des Klägers ist unbegründet.
57 Die Ablehnung einer Änderung der Anrechnungs-(grund-)entscheidung durch die Beklagte ist rechtmäßig. Der
Kläger hat keinen Anspruch nach § 44 SGB X auf Neufeststellung der RAR unter Berücksichtigung eines
einheitlichen, für das gesamte Bundesgebiet geltenden Freibetrags (West) nach § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB
VI. Die Höhe der von der Beklagten ermittelten und vom SG geprüften Anrechnungs- und Zahlbeträge ist nicht
zu beanstanden.
58 Die Anspruchsgrundlage bildet § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall
ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
59 Prüfungsgegenstand ist die Anrechnungs-(grund-)entscheidung in dem Bescheid vom 14.12.1992. In der
Folgezeit ergangene weitere Anrechnungsentscheidungen (zB im Bescheid vom 8.7.1994) haben den
Anrechnungsmodus nicht neu geregelt, sondern lediglich das Rechenwerk an die neuen Werte (geänderte
Rentenhöhen) angepasst.
60 1. Bei Erlass des Bescheids vom 14.12.1992 ist die Vorschrift des § 93 SGB VI richtig angewandt worden.
Deren Abs 1 bestimmt, dass beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung und einer
Verletztenrente aus der gesetzlichen UV die Rente insoweit nicht geleistet wird, als die Summe der
zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Die
Beklagte hat in diese Summe zu Recht die Verletztenrente in Anwendung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB
VI entsprechend dem Wohnsitz im Beitrittsgebiet unter Berücksichtigung - lediglich - eines abgesenkten
Freibetrages Ost eingestellt. Dabei ist es für die Entscheidung unerheblich, welche Fassung des § 93 Abs 2 Nr
2 Buchst a SGB VI und des § 84a BVG als Prüfungsmaßstab herangezogen wird, ob also die im
Erlasszeitpunkt einzig existente Fassung des RRG 1992 heranzuziehen ist oder wegen der ausdrücklichen
Anordnung der zeitlichen Rückwirkung auf den 1.1.1992 die (eine der) später verkündeten Neufassungen im
RVNG (s II 8) oder im SER-ÄndG (s II 10). Denn der erkennende Senat geht unter Aufgabe seiner bisherigen
Rechtsprechung (s II 7) davon aus, dass § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI bereits idF des RRG 1992 (s II 1)
eine Differenzierung der Höhe des Freibetrags nach dem Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in den alten
oder neuen Bundesländern vorausgesetzt hat (s unten 2). Daran ändert auch die Entscheidung des BVerfG
vom 14.3.2000 (s II 5) nichts (s unten 3). Da die Anrechnungsregelung für Verletztenrenten im Hinblick auf die
Höhe des Freibetrags durch die späteren Gesetzesfassungen nicht geändert worden ist, scheitert der Anspruch
aus § 44 SGB X unabhängig davon, welches Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen maßgeblich
anzuwenden ist (s unten 4). Dementsprechend liegt auch keine unzulässige echte Rückwirkung
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen) dieser Neufassungen vor (s unten 5). Die Anwendung der weiteren
Bestimmungen des § 93 SGB VI - insbesondere die Bestimmung des Grenzbetrags - ist hier nicht
problematisch.
61 2. Für den Zeitraum ab 1.1.1992 bewirkt bereits § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RRG 1992 (aF) eine
Differenzierung der Höhe des Freibetrags nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in den alten
oder neuen Bundesländern zum Stichtag am 18. Mai 1990.
62
a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 93 Abs 2 SGB VI aF:
"Bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleiben unberücksichtigt ...
2. bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung
a) der Betrag, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz geleistet würde, ..."
63 Zwar unterscheidet der Wortlaut nicht ausdrücklich zwischen einer anrechnungsfreien "Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz" in den alten und neuen Bundesländern. Dessen bedurfte es auch nicht. Denn die
Verwendung des Konjunktivs "würde" stellt auf den Betrag ab, der dem konkreten Versicherten als "Grundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz" gezahlt würde, wäre er Berechtigter nach dem BVG. Nur die nicht
gewählte Formulierung "wird" könnte nahe legen, dass sich die Vorschrift abstrakt auf den gesetzlich
geregelten Betrag (§ 31 BVG in der jeweiligen Fassung) bezieht.
64 b) Dann aber gilt für "Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt" im
Beitrittsgebiet hatten, die (abgesenkte) Grundrente Ost (EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III
Nr 1 Buchst l iVm Buchst a) . Diese war nach der ursprünglichen Regelung sowohl für Kriegsopfer als auch für
Berechtigte nach dem übrigen Sozialen Entschädigungsrecht, zB nach dem Opferentschädigungsgesetz
(OEG) bzw dem Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG; seit 2001: Impfschadensgesetz - IfSG), zu zahlen. Ein
Grund für eine abweichende Behandlung im Rahmen des § 93 SGB VI bestand nicht.
65 Im Beitrittsgebiet war das BVG nämlich von vornherein nur mit den Maßgaben des EinigVtr vom 31.8.1990
(BGBl II 889) in Kraft getreten. Die Verweisung auf das "Bundesversorgungsgesetz" in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst
a SGB VI erfasst damit für dieses Gebiet die Rechtsgrundlagen für eine Absenkung der Grundrente nach § 31
Abs 1 Satz 1 BVG. Diese finden sich in EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a
und Buchst l (nicht jedoch in "§ 84a BVG iVm EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1
Buchst a" - so jedoch offenbar BSG 9. Senat vom 10.8.1993, BSGE 73, 41, 42 = SozR 3-3100 § 84a Nr 1,
sowie vom 12.12.1995 - 9 BV 113/95; beide Entscheidungen betreffen, soweit ersichtlich, keine Personen, die
nach dem 18.5.1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in die alten
Bundesländer oder aus Staaten des Ostblocks in das Beitrittsgebiet verlegt hatten - "Umzügler" bzw
"Zuzügler") . Dies folgt aus der Systematik der Überleitung des BVG im Beitrittsgebiet durch den EinigVtr.
66 Art 8 EinigVtr bestimmt, dass mit dem Wirksamwerden des Beitritts in dem in Art 3 genannten Gebiet
Bundesrecht in Kraft tritt, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der
Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist und soweit durch diesen Vertrag, insbesondere dessen Anlage I,
nichts anderes bestimmt wird. In der "Vorbemerkung" zur Anlage I heißt es: "Gemäß Abschnitt III des
jeweiligen Kapitels treten die Rechtsvorschriften mit den dort bestimmten Maßgaben in dem in Art 3 des
Vertrages genannten Gebiet in Kraft." Im Beitrittsgebiet sind also die jeweiligen bundesrechtlichen Vorschriften
von vornherein nur mit der im Abschnitt III des jeweiligen Kapitels der Anlage I genannten Maßgaben in Kraft.
Eine danebenstehende andere Fassung der Vorschriften gibt es dort nicht.
67 Zu diesen Maßgaben zählt nach EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a die
Absenkung der Höhe der Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG für solche Personen (aaO Buchst l) , welche am
18.5.1990 - dem Tag des Abschlusses des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl II
537) - ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten, wie der Kläger des vorliegenden
Falles. Für diesen Personenkreis sind die in § 31 Abs 1 und 5 BVG in der jeweils geltenden Fassung
genannten DM-Beträge mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der
verfügbaren Standardrente (§ 68 Abs 3 SGB VI) in dem in Art 3 EinigVtr genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) zur
verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt. Der
weitere Text des Buchst a ist hier ebenso unerheblich wie der der Buchst b bis k dieser Nummer.
68 Die Einfügung der Bestimmung des § 84a BVG (aF) durch EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K
Abschnitt II ergänzt diesen Grundsatz nur ua für die Personen, welche nach diesem Stichtag in die alten
Bundesländer umgezogen sind (insoweit richtig BSG 9. Senat vom 9.4.1997, BSGE 80, 176 = SozR 3-3100 §
84a Nr 2 für einen Umzügler) . Diese sollen weiterhin nur die abgesenkte Grundrente erhalten.
69 Dieses Anpassungskonzept ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 102, 41, 55 ff) und wird vom
EinigVtr ausdrücklich auf andere Gebiete des sozialen Entschädigungsrechts ausgedehnt (etwa: EinigVtr
Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 18 für Berechtigte nach dem OEG; EinigVtr Anlage I Kapitel
XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nr 1 sieht für das Soldatenversorgungsgesetz eine Übergangsregelung durch
Einfügung des § 92a und Maßgaben in Abschnitt III Nr 5 vor; BSeuchG : EinigVtr Anlage I
Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c; § 10 Abs 1 Unterstützungsabschlussgesetz;
Häftlingshilfegesetz: EinigVtr Anlage I Kapitel II Sachgebiet D Abschnitt III Nr 3 Buchst c; § 24 Strafrechtliches
Rehabilitierungsgesetz; § 6 Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz) .
70 c) Dieses Ergebnis entspricht Sinn und Zweck der Freibetragsregelung; es bedeutet auch keine
unangemessene Benachteiligung der Betroffenen.
71 aa) § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI soll den Teil der Unfallrente anrechnungsfrei stellen, "von dem
angenommen wird, dass er nicht Lohnersatzfunktion hat" (BT-Drucks 11/4124, S 174) . Hieraus ist allerdings
nicht zu schließen, dass dem anrechnungsfreien Betrag ausschließlich der Charakter des Ersatzes eines
immateriellen Schadens zukäme (wie zB BVerfG Kammerbeschluss vom 8.2.1995, SozR 3-2200 § 636 Nr 1 S
2 und BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 § 93 Nr 2 RdNr 26 ff anzunehmen scheinen) . Denn der
Nichterwerbsschaden umfasst daneben auch verletzungsbedingte Mehraufwendungen (s § 843 Abs 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches : "Vermehrung der Bedürfnisse"; vgl BSG 2. Senat vom 22.6.2004, SozR 4-
2700 § 31 Nr 1 RdNr 9 mwN) , also materielle Schäden (auch BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 § 93
Nr 2 RdNr 28 begreift die "Mehraufwendungen" als "materiellen Schaden"; s auch unten bei RdNr 81) .
72 Dass die Verletztenrente als Nichterwerbsschaden ausschließlich immaterielle Schäden abgelten soll, kann
auch nicht daraus gefolgert werden, dass die Grundrente nach dem BVG - inzwischen - (praktisch) allein den
immateriellen Schaden abdecke (so jedoch BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 § 93 Nr 2 RdNr 29; zur
Funktion der Grundrente noch anders BSG 4. Senat vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 99 f = SozR 3-2600 § 93 Nr
7; vorsichtiger insoweit auch BVerfG vom 14.3.2000, BVerfGE 102, 41, 60 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) . Dies
läge zwar nahe, weil gemäß § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sich der als Anteil des Nichterwerbsschadens
innerhalb der Verletztenrente nicht anrechenbare Betrag nach der BVG-Grundrente bemisst. Eine derartige
(teilweise) Gleichsetzung der Funktionen wäre jedoch allenfalls dann berechtigt, wenn auch in der
gesetzlichen UV verletzungsbedingte Mehraufwendungenähnlich zusätzlich kompensiert würden wie (gemäß
der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und über Ersatzleistungen nach dem BVG vom 4.10.1989,
BGBl I 1834) in der Kriegsopferversorgung. Dies aber ist zweifelhaft. Würden derartige Leistungen zwar für
Kriegsbeschädigte gesondert gewährt, in der gesetzlichen UV jedoch nicht, müssten jedenfalls insoweit die
wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt werden.
73 bb) Überdies ist die Gleichsetzung der Funktion des Teils der Verletztenrente, der den Nichterwerbsschaden
abdecken soll, mit der Funktion der Grundrente nach dem BVG auch in anderer Hinsicht zweifelhaft. Nach dem
BVerfG ( BVerfGE 102, 41, 60 ff = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) erfüllt die Grundrente, stellt man auf den
immateriellen Schaden ab, eine "Genugtuungsfunktion", die vom "ideellen Ausgleich eines vom Einzelnen im
Militärdienst für die staatliche Gemeinschaft erbrachten gesundheitlichen Sonderopfers" geprägt sei. Insoweit
sei eine Differenzierung Ost/West (ab 1999) nicht (mehr) angebracht. Diese Überlegung aber kann
denknotwendigerweise nicht für die Verletztenrente der gesetzlichen UV (oder einen Teil dieser Leistung)
gelten. Denn dieser liegt kein derartiges Sonderopfer zu Grunde.
74 Damit aber kann aus Natur und Funktion der Grundrente von vornherein kein Argument für die Behandlung des
Freibetrags nach § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI hergeleitet werden. Diese Vorschrift enthält demnach nur
eine Verweisung auf die Höhe eines als solchen wertfreien Betrags (der zB auch durch eine Verweisung auf
bestimmte Prozentsätze der Bezugsgröße - § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - ersetzt werden
könnte) .
75 cc) Ob hinsichtlich des Freibetrags eine Differenzierung Ost/West angebracht ist, hängt deshalb allein von der
Funktion des Teils der Verletztenrente ab, der der Kompensation des Nichterwerbsschadens dient,
zusammengesetzt (in einem noch ungeklärten Verhältnis) aus den verletzungsbedingten Mehraufwendungen
und dem immateriellen Schaden.
76 Hinsichtlich der verletzungsbedingten Mehraufwendungen liegt eine Differenzierung nach den
unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in Ost und West auf der Hand.
77 Aber auch hinsichtlich des immateriellen Schadens ist die Vorstellung unrichtig, ein solcher müsse aus
Gleichheitsgesichtspunkten sowohl in Ost als auch in West in gleicher Höhe ausgeglichen werden, ohne die
unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Zwar kann der Wohnsitz des Opfers den
immateriellen Schaden iS des Ausmaßes der seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen nicht
beeinflussen (so BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 § 93 Nr 2 RdNr 44; entsprechend auch BSG 4.
Senat vom 20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 73: "kein ökonomischer Bezug"; ob dies
auch für die weiteren Aspekte des immateriellen Schadens "Einbußen an körperlicher und geistiger Integrität"
und "immaterielle Fortkommensnachteile" - BSG 4. Senat vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 99 f = SozR 3-2600 §
93 Nr 7 - in gleichem Maße zutrifft, wäre ggf zu prüfen) . Hier geht es jedoch um den Ersatz, den Ausgleich
eines derartigen Schadens. Dieser aber hat notwendigerweise die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre
Unterschiede zu berücksichtigen.
78
Dies wird deutlich aus der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld. Das Schmerzensgeld
(früher § 847 Abs 1 BGB: "Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ... kann der Verletzte
auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld
verlangen"; jetzt § 253 Abs 2 BGB: "Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, ...
Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine
billige Entschädigung in Geld gefordert werden.")
79 ist der Prototyp der Kompensation immateriellen Schadens - und es ist ja gerade die
"Schmerzensgeldfunktion", die die Verletztenrente nunmehr (nach Einführung der Regelung des § 93 Abs 2 Nr
2 Buchst a SGB VI) neben der des Ersatzes des Erwerbsschadens erfüllen soll (BVerfG Kammerbeschluss
vom 8.2.1995, SozR 3-2200 § 636 Nr 1 S 2; vgl ferner BSG 4. Senat vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 100 = SozR
3-2600 § 93 Nr 7) .
80 Die Zivilrechtsprechung unterscheidet bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zwischen dessen zwei
Funktionen: der Ausgleichs- und der Genugtuungsfunktion (Bundesgerichtshof Großer Senat für
Zivilsachen vom 6.7.1955, BGHZ 18, 149, 154; s ferner BVerfG vom 11.7.2006, BVerfGE 116, 229, 240) . Eine
Genugtuungsfunktion erfüllt das Schmerzensgeld vor allem abhängig vom Verschuldensgrad des Schädigers,
insbesondere also bei Vorsatz (BGH vom 29.11.1994, BGHZ 128, 117, 120 f) . Eine derartige Funktion kann
der Verletztenrente (auch im Rahmen ihrer Funktion, immaterielle Schäden auszugleichen) von vornherein
nicht zukommen, ist sie doch davon unabhängig, ob es überhaupt einen Schädiger gibt, und damit erst recht
auch von dessen Verschulden (in diesem Sinne auch BSG 4. Senat vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 100 f =
SozR 3-2600 § 93 Nr 7) .
81 Nach alledem bleibt für die in der Verletztenrente enthaltene Kompensation immaterieller Schäden die auch im
Zivilrecht im Vordergrund stehende Ausgleichsfunktion. Diese bezweckt, dem Verletzten, dem der Schädiger
"das Leben schwer gemacht hat", das Leben "wieder leichter zu machen" (BGHZ 18, 149, 154) , mit anderen
Worten: es ihm zu ermöglichen, für seine immaterielle Einbuße anderweit Annehmlichkeiten einzukaufen; auch
die Möglichkeit, Menschen durch Freigiebigkeit gewogen zu erhalten, oder die Freude daran, Geldgeschenke
zu machen, kann als Kompensation dienen (zB BGH vom 16.12.1975, NJW 1976, 1147, 1148; BGH vom
15.1.1991, NJW 1991, 1544, 1545 f) . All dies hat jedoch einen unmittelbaren Bezug zur wirtschaftlichen Lage
(und kann im Übrigen von den "schädigungsbedingten Mehraufwendungen", die zum "Vermögensschaden" iS
des BGB gehören, schwer abzugrenzen sein; vgl BGH NJW 1991 aaO: Bezahlung einer Pflegekraft für
Rollstuhlausfahrten: Vermögensschaden; Geldzuwendung an jemand, der solche Ausfahrten aus Gefälligkeit
übernimmt: immaterieller Schaden) .
82 Demnach stellt auch die Kompensation immaterieller Schäden notwendigerweise auf die für den Geschädigten
maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse ab. Diesem steht ein derartiger Ausgleich nicht etwa zu dem
Zweck zu, dass er sich - abstrakt - an einer bestimmten Summe Geldes erfreuen soll. Vielmehr soll er damit
Gegenstände erwerben oder aber Leistungen in Anspruch nehmen können, die ihm einen Ausgleich an
Lebensinhalt (Lebensfreude) bieten. Sind aber auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse
derartige Gegenstände und Leistungen (hier: im Beitrittsgebiet) günstiger zu erhalten, fällt demgemäß für den
gleichen immateriellen Schaden, in Geld ausgedrückt, eine geringere Kompensation an als dort, wo solche
Gegenstände und Leistungen mehr kosten (also in den alten Bundesländern; vgl BGH vom 22.6.1993, BGHZ
123, 65, 73) .
83 dd) Es begegnet schließlich keinen Bedenken, dass der Gesetzgeber die differenzierende Verweisung in § 93
Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI auf die Grundrente "West" bzw "Ost" trotz fortschreitender Angleichung der
Lebensverhältnisse zwischen den alten Bundesländern und dem Beitrittsgebiet bislang beibehalten hat. Denn
auch weiterhin bestehen in jenen Bereichen Unterschiede, die, wie beschrieben, für die Kompensation von
Nichterwerbsschäden relevant sind. So ist auch das BVerfG im Jahre 2003 in seinem Beschluss zur
"Beamtenbesoldung Ost" davon ausgegangen, dass sich die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen
Verhältnisse, darin eingeschlossen das allgemeine Preis- und Lohnniveau, nach wie vor in den neuen
Ländern erheblich von denen in den alten Ländern unterscheiden (BVerfG vom 12.2.2003, BVerfGE 107, 218,
248 ff, 250) . Es ist nicht ersichtlich, dass sich hieran seither wesentlich etwas geändert hätte.
84 ee) Ein weiterer Gesichtspunkt: Hätte der Gesetzgeber von Anfang an tatsächlich die Grundrente in West-Höhe
auch im Beitrittsgebiet anrechnungsfrei gestellt, hätte dies insbesondere bei dem damals (im Verhältnis zum
aktuellen Rentenwert <"West">) besonders niedrigen aktuellen Rentenwert (Ost) eine ungerechtfertigte
Bevorzugung der "Doppelrentner" (RV-Rente und Verletztenrente) im Beitrittsgebiet gegenüber denjenigen in
den alten Bundesländern (BT-Drucks 15/2678, S 23) sowie gegenüber den "Einfachrentnern" im Beitrittsgebiet
bedeutet. Dieses Missverhältnis wird dann deutlich, wenn man die Rentenbeträge Ost und West bei
übereinstimmenden Entgeltpunkten (EP) vergleicht.
85 Die folgende Vergleichsberechnung legt die Daten eines sog Eckrentners mit 45 EP mit einer MdE (iS der
gesetzlichen UV) um 50 vH zu Grunde. Im Januar 1992, zu Beginn der Geltung des SGB VI, betrug der aktuelle
Rentenwert DM 41,44, der aktuelle Rentenwert (Ost) DM 23,57, also lediglich ca 57 % des West-Wertes. Zum
1.1.1999 war das Verhältnis auf DM 47,65/ DM 40,87, also 86 % angestiegen; seit dem 1.7.2003 beträgt es
EUR 26,13/EUR 22,97, sodass der aktuelle Rentenwert (Ost) 88 % des aktuellen Rentenwerts ausmacht. Die
BVG-Grundrente ("West" oder "Ost") nach einer MdE von 50 vH entspricht ihrer Höhe nach jeweils ca 8,3 EP,
berücksichtigt man die unterschiedlichen aktuellen Rentenwerte.
86
RV-
Rente
West
45 EP
RV-
Rente
Ost
45 EP
Grundrente
West
MdE 50 vH
Grundrente
Ost
MdE 50 vH
RV-Rente
West und
Grundrente
West
ca 53,3 EP
RV-Rente
Ost und
Grundrente
Ost
ca 53,3 EP
RV-Rente
Ost und
Grundrente
West
entspr
"EP
(Ost)"
ca
1.1.1992
DM
1.865 1.061
349
199
2.214
1.260
1.410
59,8
1.1.1999 2.144 1.839
397
341
2.487
2.180
2.236
54,7
DM
1.7.2003
EUR
1.176 1.034
218
192
1.394
1.226
1.252
54,5
87 Die Spalten, welche die RV-Rente und die Grundrente addieren, geben jeweils den Mindestzahlbetrag einer
"Doppelrente" (RV-Rente plus Freibetrag nach § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI) wieder (unter der
Voraussetzung, dass RV-Rente und Verletztenrente zusammen diesen Betrag erreichen).
88 Das Missverhältnis der kumulativen EP bei der Kombination: RV-Rente Ost/Grundrente Ost (in allen Jahren
konstant 53,3 EP) zu der Kombination: RV-Rente Ost/Grundrente West (1992: 59,8 EP, 1999: 54,7 EP und
2003: 54,5 EP) hätte für den "Doppelrentner" aus den neuen Bundesländern eine zunächst überproportionale
Kompensation des Nichterwerbsschadens zur Folge. Er würde besonders in der ersten Zeit gegenüber dem
"Einfachrentner" unverhältnismäßig bevorzugt, denn er erhielte ab Januar 1992 durch die Anrechnungsfreiheit
an Stelle des Gegenwerts der 8,3 "EP (Ost)" für die BVG-Grundrente Ost 14,8 "EP (Ost)" (damals entsprechend
8,3 "EP "). Dem entspräche folgerichtig ein Absinken der Kompensationsleistung im weiteren
Zeitablauf. Gerade angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten im Beitrittsgebiet würde sich der Anteil
des Nichterwerbsschaden-Ausgleichs an der Gesamtleistung immer weiter vermindern.
89 Damit aber kann keine Rede davon sein, dass ein "nochmaliger 'Abschlag' " (nicht nur beim aktuellen
Rentenwert, sondern auch beim Freibetrag) Versicherte im Beitrittsgebiet unverhältnismäßig belasten würde
(so jedoch BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 § 93 Nr 2 RdNr 38; ebenso BSG 4. Senat vom
20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 71) . Im Gegenteil würde, wie aufgezeigt, die
Kombination RV-Rente Ost/Grundrente West in mehrerlei Hinsicht zu deutlich unangemessenen Ergebnissen
führen, die nur durch die Kombination RV-Rente Ost/Grundrente Ost vermieden werden können. Damit
entspricht allein diese dem Gleichheitssatz.
90 d) Auch im Übrigen geht der Senat von der Verfassungsmäßigkeit seiner Lösung aus.
91 aa) Die hier vertretene Auslegung kann von vornherein keinen Eingriff in "Renteneigentum" bedeuten. Denn,
wie bereits mehrfach auch in anderem Zusammenhang entschieden (BVerfG vom 28.4.1999, BVerfGE 100, 1,
33 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 3; BSG 5. Senat vom 1.12.1999, BSGE 85, 161, 168 f = SozR 3-5050 § 22 Nr 7 ),
unterliegen Rentenansprüche der ehemaligen DDR dem GG erst auf Grund der Anerkennung durch den
EinigVtr, der die Beitrittsbedingungen und -folgen festlegte, und mit den Maßgaben, die dieser im Rahmen der
Art 14 Abs 1 und 2 GG für sie festsetzt. Da er einen abgesenkten Freibetrag vorsieht, ist der jeweilige
Rentenanspruch nur mit dieser Maßgabe geschützt.
92
bb) Bedenken gegen die Anwendung des im obigen Sinne abgesenkten Freibetrags Ost ergeben sich auch
nicht aus den an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) gerichteten Ermächtigungen in
EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a (s oben II 3). Wenn hierin angeordnet
wird, dass
die in § 31 Abs 1 BVG "in der jeweils geltenden Fassung genannten Deutsche Mark-Beträge ... mit dem
Vomhundertsatz zu multiplizieren (sind), der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren
Standardrente (§ 68 Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) in dem in Artikel 3 des Vertrags
genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das Bundesversorgungsgesetz
schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt",
93
und ferner, dass
der "Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ... den maßgebenden Vomhundertsatz und den
Veränderungstermin jeweils im Bundesanzeiger bekannt" gibt,
94 so liegt hierin keine (Verordnungs-)Ermächtigung an den BMAS, einen nicht aus dem SGB VI ersichtlichen
Vomhundertsatz oder den Zeitpunkt seiner Wirksamkeit eigenmächtig festzusetzen (vgl jedoch BSG 4. Senat
vom 20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 63 ff) .
95 Vielmehr ist gemeint: Die Grundrente (Ost) soll stets im gleichen Maße niedriger sein als eine Grundrente
(West) wie eine RV-Rente (Ost) gegenüber einer RV-Rente (West), die ansonsten auf der gleichen
Berechnungsgrundlage beruht (so versteht auch das BVerfG im Beschluss vom 12.2.2003, BVerfGE 107, 218,
252 das Wort "Standardrente") . Dass § 68 Abs 3 SGB VI (seit 2001) nicht mehr von einer "verfügbaren
Standardrente" spricht, ist hierbei unerheblich, zumal dieser Begriff seither in § 154 Abs 3 Nr 2 Teilsatz 2 SGB
VI geregelt ist. Dafür, dass etwa der Vergleich von Durchschnittsrenten oder anderer Größen maßgebend sein
soll, können sachliche Gründe nicht ernsthaft geltend gemacht werden. Mit der Anordnung des EinigVtr,
maßgebend sei das "jeweilige" Verhältnis der verfügbaren Standardrenten, ist auch ohne Spielraum die
Geltungsdauer des jeweiligen Verhältnisses für die Berechnung der Grundrenten Ost geregelt. Demgemäß ist
deren Bekanntgabe im Bundesanzeiger (und nicht im Bundesgesetzblatt) lediglich eine Wissens-, nicht aber
eine Willenserklärung des BMAS und demgemäß keine Rechtsnorm, die einer Ermächtigungsgrundlage
bedürfte.
96 cc) Weiterhin teilt der Senat nicht die Bedenken des 4. Senats, wonach die Berücksichtigung nur eines
Freibetrags Ost bei der Rentenberechnung des Klägers wegen der Bevorzugung anderer Vergleichsgruppen
verfassungswidrig sei (hierzu BSG 4. Senat vom 20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 74
f) .
97 Dass sich der Freibetrag durch einen Umzug zwischen den alten Bundesländern und dem Beitrittsgebiet (in
welcher Richtung auch immer) nach dem 18.5.1990 nicht verändern soll (in Anwendung des § 84a Satz 1
BVG) , ist sachgerecht, um nicht zusätzliche Wanderungsbewegungen von Ost nach West zu provozieren oder
Umzüge von West nach Ost zu verhindern (vgl ferner BSG 9. Senat vom 9.4.1997, BSGE 80, 176, 180 = SozR
3-3100 § 84a Nr 2) .
98 Kein durchschlagendes Argument lässt sich aus dem Vergleich zur Behandlung von Sachverhalten mit
Auslandsbezug herleiten, weil hiervon eher unbedeutende Fallzahlen betroffen sind. Dies gilt sowohl für den
Vergleich der hier betroffenen "Ost-Doppelrentner" mit Ausländern, denen eine "Doppelrente" in das Ausland
geleistet wird (hierzu BSG 13. Senat vom 20.11.2003, SozR 4-2600 § 93 Nr 3 RdNr 19) , als auch für den
Vergleich mit "Zuzüglern" aus dem ehemaligen Ostblock in die alten Bundesländer (die anders als Zuzügler in
das in Art 3 des EinigVtr genannte Gebiet keine Kürzung nach § 84a Satz 2 BVG hinnehmen
müssen; hierzu BSG 4. Senat vom 20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 74) .
99
e) Im Fall des Klägers spielt die Bestimmung des § 84a Satz 1 BVG aF (s oben II 3) keine Rolle. Diese lautet:
"Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes
oder gewöhnlichen Aufenthalts, frühestens vom 1. Januar 1991 an, Versorgung nach dem
Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben,
auch wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem dieses
Gesetz schon vor dem Beitritt gegolten hat."
100 Denn der Kläger hat seinen am 18.5.1990 bestehenden Wohnsitz im Beitrittsgebiet nicht in die alten
Bundesländer verlegt. Satz 2 der Vorschrift ist von vornherein nicht einschlägig.
101 3. Die Lösung des Senats wird schließlich nicht durch das Urteil des BVerfG vom 14.3.2000 (BVerfGE 102, 41
= SozR 3-3100 § 84a Nr 3 - s oben II 5) berührt.
102
a) Der Eingangssatz der Gründe des Urteils (BVerfGE 102, 41, 42) führt aus:
"A. Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, ob
es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass Kriegsbeschädigte des Zweiten Weltkriegs, die am 18. Mai
1990 im Beitrittsgebiet ansässig waren, bis heute eine niedrigere Grundrente und einen niedrigeren
Pauschbetrag für Kleider- und Wäscheverschleiß erhalten als die Beschädigten, die zu diesem Zeitpunkt
im Bundesgebiet oder im westlichen Ausland lebten."
103 Die Entscheidung kommt zum Ergebnis, dass Kriegsopfern (Beschädigten) iS des § 1 BVG auch bei Wohnsitz
im Beitrittsgebiet ab 1.1.1999 die "Grundrente West" zu zahlen ist, und begründet dies mit spezifischen
Argumenten für Beschädigte des 2. Weltkriegs (Genugtuungsfunktion der Grundrente - s hierzu oben unter 2 c
bb; Kriegsopfer in West und Ost seien "Opfer im gleichen Krieg für den gleichen Staat"; die in Aussicht
gestellte Angleichung des Entschädigungsniveaus sei in für die Leistungsberechtigten erlebbarer Zeit nicht zu
erreichen). Auch ansonsten stellt das Urteil des BVerfG nur auf die Grundrente für Kriegsbeschädigte ab.
104
So ist auch die Entscheidungsformel des Urteils vom 14.3.2000 (BVerfGE 102, 41, 41 f; BGBl I 445) zu
verstehen. Sie lautet:
"§ 84a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in Verbindung mit Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K
Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag -
vom 31. August 1990 (Bundesgesetzblatt II Seite 889, 1067) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
unvereinbar und nichtig, soweit die Beschädigtengrundrente nach § 31 Absatz 1 Satz 1 des
Bundesversorgungsgesetzes auch nach dem 31. Dezember 1998 im Beitrittsgebiet anders berechnet
wird als im übrigen Bundesgebiet."
105 Auf der Grundlage der obigen Ausführungen ist die Wendung "soweit die Beschädigtengrundrente ...
'Grundrente'> anders berechnet wird als im übrigen Bundesgebiet" verdeutlichend zu lesen als: "soweit die
Grundrente für Kriegsbeschädigte ... anders berechnet wird als im übrigen Bundesgebiet". Auch die
Bindungswirkung dieser Entscheidung nach § 31 Abs 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz reicht demgemäß
nicht weiter. Soweit § 31 BVG durch Verweisungen entweder im Sozialen Entschädigungsrecht oder aber im
Rentenrecht (also in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI) auch für andere Personenkreise Bedeutung hat, ist die
Vorschrift durch das Urteil des BVerfG nicht betroffen.
106 b) Soweit der Tenor des BVerfG auf § 84a BVG abstellt, gilt (abweichend von den Materialien zum SER-ÄndG,
s oben II 10) Folgendes:
107 Auch in seinen Ausführungen zu Art 3 Abs 1 GG (BVerfGE 102, 41, 54 f) sieht das BVerfG in dieser Vorschrift
augenscheinlich die Rechtsgrundlage für die abgesenkte "Grundrente Ost". Demgegenüber ist (s oben II 3)
diese Rechtsgrundlage tatsächlich allein in EinigVtr Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst
l und Buchst a zu suchen (das BVerfG führt im Tenor insoweit nur Buchst a an und zitiert in seiner
Sachverhaltsdarstellung nur Buchst a und f, nicht jedoch Buchst l) . § 84a Satz 1 BVG hatte (in
seiner damaligen Fassung) nur Bedeutung für solche Berechtigten, die nach dem 18.5.1990 aus den neuen in
die alten Bundesländer umgezogen waren, und sich gegenüber den vergleichbar Berechtigten im
Beitrittsgebiet nicht besser stellen sollten; Satz 2 galt für "Zuzügler" aus Staaten des früheren Ostblocks. Diese
Vorschrift dürfte in den vom BVerfG entschiedenen Fällen von vornherein nicht einschlägig gewesen sein, weil
den Verfassungsbeschwerden Entscheidungen thüringischer Sozialgerichte zu Grunde lagen und auch von
einem Zuzug nichts erwähnt ist (allerdings stellt auch BSG 9. Senat vom 12.12.1995 - 9 BV 113/95, eine der
Vorentscheidungen zu BVerfGE 102, 41, auf "§ 84a BVG iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III
Nr 1 Buchst a" ab) .
108 Dennoch macht der Tenor des BVerfG insofern Sinn, als eine Verfassungswidrigkeit der Absenkung der
"Grundrente Ost" für Kriegsbeschädigte ab 1999 naturgemäß auch die für "Umzügler und Zuzügler" geltende
Vorschrift des § 84a BVG beeinflusst.
109 4. Die Neufassungen des Gesetzes (s oben II 8 und 10) beeinflussen die Lösung des Senats nicht.
110 Der Änderung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI durch Art 1 Nr 19 RVNG vom 21.7.2004, wird durch Art 15
Abs 2 RVNG Rückwirkung ab 1.1.1992 beigemessen (s unten a) . Ebenso wird der Änderung des § 84a BVG
durch das SER-ÄndG vom 19.6.2006 in Art 9 Abs 1a dieses Gesetzes ab 1.1.1991 rückwirkende Geltung
eingeräumt (s unten b) . Beide Änderungen haben jedoch die materielle Rechtslage nicht zu Gunsten des
Klägers geändert.
111
a) Ein Rücknahmeanspruch kann nicht auf den ab 1.1.1992 geltenden § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF
des RVNG gestützt werden. Dieser lautet:
"Bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleiben unberücksichtigt ... Nr 2
bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung a) der Betrag, der bei gleichem Grad der Minderung
der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach § 31 in Verbindung mit § 84a Satz 1 und 2 des
Bundesversorgungsgesetzes geleistet würde ..."
112 Der Senat kann offen lassen, ob diese Verweisung auf § 84a BVG ins Leere geht (so BSG 4. Senat vom
20.10.2005, BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7, RdNr 55 ff) . Aus diesem Grund kommt es auch nicht
darauf an, ob die ebenfalls rückwirkende Vorschrift des § 84a BVG nF nunmehr Anwendung findet; dann wäre
die Revision ohnehin unbegründet (s unten b) . Denn § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI nF begründet selbst
unter wirksamer Bezugnahme auf § 84a Satz 1 und 2 BVG aF nach der hier gefundenen Auslegung (s oben 2)
im vorliegenden Fall keinen höheren Freibetrag. Da § 84a BVG nur Personen betrifft, die am 18.5.1990 im
Beitrittsgebiet gewohnt haben und später in das alte Bundesgebiet umgezogen sind, war diese Vorschrift für
die große Mehrzahl der Fälle nicht einschlägig (s oben 2 f) . In diesem Fall bleibt es bei der Bezugnahme allein
auf § 31 BVG und damit im Beitrittsgebiet bei der Anwendung dieser Vorschrift mit den Maßgaben aus EinigVtr
Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a, l und m (s oben III B 2) . Zwar wird in der
Neufassung nicht allgemein auf "Grundrente nach dem BVG" verwiesen. Jedoch bestand bereits zu der alten
Fassung Einigkeit, dass unter Grundrente nur eine solche nach § 31 BVG verstanden werden kann. Da der
Wortlaut im Übrigen identisch ist, ist keine andere Auslegung der Neufassung möglich.
113
b) Dieses Ergebnis folgt erst recht aus der Bezugnahme in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RVNG
auf § 84a Satz 1 und 2 BVG idF des Art 01 des SER-ÄndG vom 19.6.2006. Diese mit Wirkung ab 1.1.1991 in
Kraft getretene Neufassung des § 84a BVG lautet:
"Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, erhalten vom1. Januar 1991 an Versorgung nach dem
Bundesversorgungsgesetz mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben
..."
114 Dieser Tatbestand ist im vorliegenden Fall ohne weiteres erfüllt und daher nur der abgesenkte Freibetrag nach
der Grundrente (Ost) zu berücksichtigen.
115 Die ab 1.1.1999 (Art 9 Abs 4 SER-ÄndG) geltende Fassung des § 84a BVG nach Art 1 SER-ÄndG berührt
keine im vorliegenden Fall relevanten Fragen.
116 5. Da die durch die unter 4. geschilderten Neufassungen geschaffene Rechtslage sich in ihren Rechtsfolgen
nicht von den Wirkungen der ursprünglichen Fassung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RRG 1992
unterscheidet, stellt sich die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip des GG (Verbot echter
Rückwirkung) nicht.
117 IV. Die unter III dargestellte Entscheidung ist jedoch nicht ohne Abweichung von den Urteilen des 4. Senats
vom 10.4.2003 (B 4 RA 32/02 R) und vom 20.10.2005 (B 4 RA 27/05 R; B 4 RA 24/05 R; B 4 RA 18/05 R; B 4
RA 13/05 R; B 4 RA 12/05 R) möglich.
118 Der 4. Senat hat den Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 12.12.2006 mit Beschluss vom
26.6.2007 - B 4 R 1/07 S, beim vorlegenden Senat eingegangen am 4.10.2007, abschlägig beantwortet.
119 Der vorlegende Senat vermag dem 4. Senat insoweit nicht zu folgen. Er geht im Folgenden in der
angemessenen Kürze auf die Argumentation des Antwortbeschlusses ein:
120 1. Beantwortung der Rechtsfrage, ausgehend vom Rechtszustand bis zum 31.12.1998 (s hierzu oben unter II 1
- 4)
121 Der 4. Senat geht (unter A der Gründe des Antwortbeschlusses, RdNr 3 - 90) davon aus, es habe jedenfalls in
diesem Zeitraum keinen "Parlamentsbeschluss" gegeben, nach dem bei gleicher unfallbedingter MdE die
Verletztenrente aus der gesetzlichen UV den unfallverletzten Rentnern aus dem Beitrittsgebiet auf ihre Rente
aus der gesetzlichen RV in höherem Maße anzurechnen gewesen wäre als bei "West-Rentnern".
122 Dem hält der vorlegende Senat entgegen, dass es eine entsprechende Rechts-(und Gesetzes-)lage gab. Die
Vorschrift des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des RRG 1992 verwies zur Höhe des Freibetrags auf die
"Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz" (s oben II 1, RdNr 13) . Eben diese hat der Gesetzgeber
des EinigVtrG in der aus II 3 (RdNr 17 - 20) ersichtlichen Weise für das Beitrittsgebiet abgesenkt. Dies
wiederum führte nach Auffassung des vorlegenden Senats denknotwendigerweise (s RdNr 65 - 67) zum
entsprechend abgesenkten Freibetrag Ost. Damit hat der Gesetzgeber diese Entscheidung selbst (iS von RdNr
13 des Antwortbeschlusses) getroffen.
123 Auf dieser Grundlage erledigen sich die Einwände des Antwortbeschlusses, soweit dieser fortgesetzt dem
vorlegenden Senat die Missachtung des Gesetzesbeschlusses von 1989 und damit einen nicht legitimierten
Grundrechtseingriff vorhält.
124 2. Beantwortung der Rechtsfrage, ausgehend vom Urteil des BVerfG vom 14.3.2000
125 Der 4. Senat meint (Antwortbeschluss RdNr 111, 120 ff) , dass der vorlegende Senat mit seinem Verständnis
des Aussagegehalts des BVerfG-Urteils (s hierzu oben bei II 5, RdNr 24 ff) ein "Wortspiel" betreibe. Der
vorlegende Senat kann nur wiederum darauf hinweisen, dass § 31 BVG in seiner durch § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst
a SGB VI idF des RRG 1992 in Bezug genommenen Fassung die Höhe der Grundrente nicht nur für
Kriegsopfer regelte, sondern auch für sonstige durch das Soziale Entschädigungsrecht begünstigte
Personenkreise, zB Berechtigte nach dem OEG. Sowohl für die Kriegsopfer als auch für diese sah das für das
Beitrittsgebiet geltende Übergangsrecht des EinigVtr (s oben RdNr 64 - 66) eine abgesenkte Höhe vor (s oben
RdNr 67, 69) : § 31 Abs 1 BVG war in beiderlei Hinsicht nur nach der Maßgabe des EinigVtr Anlage I Kapitel
VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a anzuwenden.
126 An dieser Rechtslage hat das Urteil des BVerfG nur für den Personenkreis der Kriegsopfer etwas geändert
(hierzu im Einzelnen oben RdNr 101 - 105) . Damit blieb die Regelung in EinigVtr Anlage I Kapitel VIII
Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a hinsichtlich ihres weiteren Anwendungsbereichs bestehen - also für
solche Personen, auf die § 31 Abs 1 BVG anwendbar war, auch wenn sie keine Kriegsopfer waren. Diese
erhalten im Beitrittsgebiet zu Recht weiterhin eine abgesenkte Grundrente (ebenso BSG 9a. Senat vom
28.4.2005, SozR 4-1500 § 160 Nr 5, freilich unter Verankerung der Absenkung der Grundrente bei § 84a BVG,
hierzu oben RdNr 68, 99 f, 107) . Nichts anderes gilt für die Bezieher einer Verletztenrente.
127 3. Beantwortung der Rechtsfrage, ausgehend vom Rechtszustand nach dem Gesetz zur Änderung des
Opferentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze sowie nach den weiteren Änderungsgesetzen (s hierzu
oben unter II 6, 8 und 10)
128 Der 4. Senat wiederholt im Antwortbeschluss (RdNr 91 ff) seine Rechtsansicht hinsichtlich des einschlägigen
Regelungsgehalts des RVNG; zur Rechtslage nach dem SER-ÄndG nimmt er nicht Stellung, äußert jedoch
Bedenken, ob auch nach dessen Verkündung die Anfrage zulässig sei (Antwortbeschluss RdNr 2) .
129 Auf der Grundlage jedoch der vom vorlegenden Senat als von Anfang an zutreffend erkannten
Rechtsanwendung berührt das RVNG ebenso wenig die Lösung des vorlegenden Senats wie die weiteren
Gesetze, mit denen der Gesetzgeber jeweils versucht hat, die Gesetzeslage klarzustellen (s oben RdNr 109 ff) .
Dies gilt auch für das SER-ÄndG (s oben RdNr 113 - 115) , das somit die Zulässigkeit auch der Vorlage an den
Großen Senat nicht beeinflusst.
130 4. Materielle Verfassungsmäßigkeit der Lösung des vorlegenden Senats
131 Der 4. Senat begründet seine Rechtsprechung nicht nur mit der von ihm behaupteten formellen
Verfassungswidrigkeit der vom vorlegenden Senat vertretenen Auffassung ("Parlamentsvorbehalt"; hierzu
oben bei 1., RdNr 120 ff) , sondern ferner damit, dass auch in weiteren Hinsichten nur seine Rechtsmeinung,
es gebe lediglich einen für West und Ost einheitlichen Freibetrag nach § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI, dem
GG entspreche. Demgegenüber hat der vorlegende Senat (s oben RdNr 69 ff) im Einzelnen ausgeführt, warum
seine Lösung nicht nur Sinn und Zweck der Freibetragsregelung entspricht, sondern gleichermaßen materiell
verfassungsmäßig ist, wenn nicht sogar die einzige mit dem GG vereinbare Lösung darstellt.
132 Teil der Argumentation des 4. Senats ist, dass der Freibetrag die immateriellen Schäden des Verletzten
ausgleichen solle; diese aber seien für Ost und West gleich, sodass eine Differenzierung bei der Höhe des
Freibetrags auch dem Gleichheitssatz des GG widerspreche (zB BSG 4. Senat vom 10.4.2003, SozR 4-2600 §
93 Nr 2 RdNr 44; s Antwortbeschluss RdNr 89, 94: "ungleicher Grundrechtseingriff") . Diesen
Rechtsstandpunkt kann der vorlegende Senat unabhängig von der Abgrenzung des Begriffs "immaterieller
Schaden" (hierzu oben RdNr 71, 81; Antwortbeschluss RdNr 69 ff) nicht teilen. Denn auch soweit es bei dem
Freibetrag um die Kompensation eines (im engeren Sinne) immateriellen Schadens geht, erfolgt diese in Geld.
Dann aber ist hierfür notwendigerweise auf wirtschaftliche Gegebenheiten abzustellen und damit auch auf die
fortbestehenden Unterschiede zwischen Ost und West (s im Einzelnen oben RdNr 77 ff) .