Urteil des BSG vom 27.06.2012

BSG: vergütung, rlv, versorgung, begriff, rechtsgrundlage, messung, ermächtigung, verhinderung, kompetenz, veröffentlichung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 27.6.2012, B 6 KA 28/11 R
Tenor
Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene und der Beklagte tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte.
Tatbestand
1 Der klagende Spitzenverband Bund der Krankenkassen wendet sich gegen zwei vom
erweiterten Bewertungsausschuss für die vertragsärztliche Versorgung (eBewA) im Jahr
2009 gefasste Beschlüsse zur "Verhinderung ungewollter Honorarverluste für besonders
förderungswürdige Leistungen".
2 Mit Einführung des neuen Vergütungssystems für vertragsärztliche Leistungen durch das
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.1.2009
(vgl § 87a Abs 1, § 87b Abs 1 SGB V aF) - insbesondere verbunden mit einer einheitlichen
Gebührenordnung in Euro auf der Grundlage bundeseinheitlicher Orientierungspunktwerte
- erließ der beklagte eBewA eine Reihe von Beschlüssen, die ua die hier
streitgegenständlichen Regelungen enthielten. Bereits mit Beschluss vom 27./28.8.2008
(Teil H Nr 5, DÄ 2008, 473, 483) hatte der eBewA den Partnern der Gesamtverträge
"empfohlen, die Höhe der nach der Neubewertung dieser Leistungen zu zahlenden
Vergütung auch unter Berücksichtigung der bisherigen gesamtvertraglichen Regelungen
zu überprüfen und festzustellen, ob zur Sicherung einer angemessenen Vergütung
ergänzende Regelungen erforderlich sind. Hierfür können leistungsbezogene Zuschläge
zum Orientierungswert vereinbart werden".
3
Mit Beschluss vom 17.3.2009 ("Beschluss zur Verhinderung ungewollter Honorarverluste
für besonders förderungswürdige Leistungen mit Wirkung vom 01. April 2009" - DÄ 2009,
A 726) wurden die Partner der Gesamtverträge verpflichtet, durch leistungsbezogene
Zuschläge zum Punktwert sicherzustellen, dass die Vergütung der belegärztlichen
Leistungen sowie der Leistungen des ambulanten Operierens mindestens die Vergütung
des Jahres 2008 erreicht. Teil H Nr 5 des Beschlusses vom 27./28.8.2008 wurde wie folgt
neu gefasst:
"Die Partner der Gesamtverträge überprüfen zur Sicherstellung einer ausreichenden
und
bedarfsgerechten
Versorgung
der
Versicherten
der
GKV
je
Gebührenordnungsposition die Höhe der für die besonders förderungswürdigen
Leistungen nach Beschluss Teil A 2.4 und Beschluss Teil B 1.3 zu zahlenden
Vergütung unter Berücksichtigung der gesamtvertraglichen Regelungen im Jahr
2008. Unterschreitet die für das Jahr 2009 ermittelte zu zahlende Vergütung je
Gebührenordnungsposition für belegärztliche (kurativ-stationäre) Leistungen
(Leistungen des Kapitels 36, die Gebührenordnungspositionen 13311, 17370 und
Geburtshilfe),
Leistungen
des
Kapitels
31.2
und
31.5,
die
Gebührenordnungspositionen 13421 bis 13431, 04514, 04515, 04518 und 04520,
die gemäß den gesamtvertraglichen Regelungen im Jahr 2008 hierfür zu zahlende
Vergütung, vereinbaren die Partner der Gesamtverträge zum Ausgleich der
festgestellten Unterschreitungen für die betroffenen Gebührenordnungspositionen
leistungsbezogene Zuschläge zum Regelfallpunktwert der Euro-Gebührenordnung.
[…]
Die Vergütung der nach Satz 2 vereinbarten Zuschläge erfolgt aus den
Rückstellungen zur Verhinderung überproportionaler Honorarverluste nach
Beschluss Teil G 1. Die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung und diese
Rückstellungen sind durch die betroffenen Krankenkassen hierzu zweckgebunden
fortlaufend
um
das
Vergütungsvolumen
für
die
je
abgerechneter
Gebührenordnungsposition für besonders förderungswürdige Leistungen nach Satz
2 zum Ansatz kommende Zuschläge nach Satz 2 zusätzlich zu erhöhen."
4 Gegen diesen Beschluss hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen am 15.4.2009
Klage erhoben (L 7 KA 62/09 KL). Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ließ
diesen Beschluss unbeanstandet, erteilte jedoch die Auflage, die regionalen
leistungsbezogenen Zuschläge als Übergangsregelung bis zum 31.12.2009 zu befristen
und zu überprüfen. Am 2.9.2009 fasste der Beklagte einen weiteren Beschluss "zur
Weiterentwicklung der vertragsärztlichen Vergütung im Jahr 2010", in dessen Teil C mit
Wirkung ab 1.1.2010 "Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei der
Kosten- und Versorgungsstruktur" für das Jahr 2010 festgelegt wurden (DÄ 2009, 467, 472
f). Dieser Beschluss enthält in Ziff 3.1 Satz 2, 5 und 6 unter der Überschrift
"Leistungsbezogene Indikatoren für regionale Besonderheiten der Versorgungsstrukturen"
Regelungen, die - soweit hier relevant - denen des vorangegangenen Beschlusses vom
17.3.2009 entsprechen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger ebenfalls Klage erhoben
(L 7 KA 135/09 KL). Das LSG hat beide Verfahren verbunden und mit Urteil vom
15.12.2010 den Klagen stattgegeben. Es hat den Beschluss des Beklagten vom 17.3.2009
(idF des Beschlusses vom 20.5.2009) hinsichtlich der Sätze 2, 5 und 6 sowie den
Beschluss des Beklagten vom 2.9.2009, Teil C, Ziff 3.1, Sätze 2 und 6 sowie Satz 5,
soweit dieser die Vergütung nach Satz 2 betrifft, aufgehoben.
5 Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte habe die dort normierten
Vergütungsbestimmungen nicht beschließen dürfen, weil er hierzu nicht gesetzlich
ermächtigt gewesen sei und die genannten Bestimmungen darüber hinaus im
Widerspruch zu höherrangigem Recht stünden. Die angefochtenen Beschlüsse könnten
insbesondere nicht auf § 87b Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 7 und Abs 3 Satz 5 SGB V aF
gestützt werden. Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen sei der Beklagte nicht
zum Erlass von Regelungen über leistungsbezogene Zuschläge ermächtigt. Darüber
hinaus überschreite er mit der Bestimmung der außerbudgetären Vergütung konkreter
vertragsarztrechtlicher Gebührenordnungspositionen des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) seine Berechtigung aus § 87b Abs
4 Satz 2 SGB V aF, hierzu Vorgaben zu beschließen; die vom Beklagten getroffenen
Entscheidungen bedürften keiner Umsetzung durch die Partner der Gesamtverträge mehr,
weil sie schon abschließend alle Regelungen selbst enthielten. Dasselbe gelte für die
Anordnung einer zweckbestimmten Nachschusspflicht der Krankenkassen zur
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Bei der Bestimmung von Grundsätzen zur
Bildung von Rückstellungen sei der eBewA darauf beschränkt, einen allgemeinen
Rahmen für die Bildung von Rückstellungen vorzugeben; ins Einzelne gehende
Bestimmungen über die Summe der Rückstellungen sowie eine zusätzlich zu der
vereinbarten Gesamtvergütung zu entrichtende Nachzahlung der Krankenkassen zur
Auffüllung der Rückstellungen gingen darüber hinaus.
6 Die angefochtenen Beschlüsse stünden auch im Widerspruch zu höherrangigem Recht.
Das Recht, die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung zu vereinbaren, stehe den
Gesamtvertragsparteien auf Landesebene zu. Dies schließe es aus, dass der Beklagte die
Gesamtvergütung ganz oder auch nur teilweise an Stelle der Gesamtvertragspartner
festsetze. Zudem sei die "befreiende Wirkung" iS des § 85 Abs 1 SGB V ein zentrales und
unverzichtbares Element des gegenwärtigen vertragsärztlichen Vergütungssystems;
Nachschusspflichten für länger zurückliegende Zeiträume seien in diesem System
Fremdkörper.
7 Die angefochtenen Beschlüsse verstießen auch gegen die den Vertragspartnern der
Gesamtverträge eingeräumte Berechtigung, die außerhalb der Regelleistungsvolumina
(RLV) zu vergütenden Leistungen selbst zu bestimmen; es gebe keine Möglichkeit eines
Gesamtvertragspartners, eine solche Regelung - ggf durch eine Schiedsamtsentscheidung
- zu erzwingen. Das Gleiche gelte für die Entscheidung der Gesamtvertragspartner nach §
87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF, ob und in welcher Höhe sie Rückstellungen zB zum
Ausgleich überproportionaler Honorarverluste bilden wollten, sowie, ob sie einen
Zuschlag auf die Orientierungswerte nach § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V vereinbarten, um
regionale Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen.
Bei der Vereinbarung von Zuschlägen seien die Gesamtvertragspartner im Übrigen durch
§ 87a Abs 2 Satz 3 SGB V aF zwingend an die Vorgaben des Bewertungsausschusses
(BewA) nach § 87 Abs 2f SGB V aF gebunden; der Beklagte habe jedoch in seinen
Beschlüssen vom 27./28.8.2008 bzw 2.9.2009 entschieden, dass keine Indikatoren zu
regionalen Besonderheiten in der Versorgungsstruktur sowie in der Kostenstruktur
definiert werden könnten; für das Jahr 2009 seien die in § 87c Abs 2 SGB V aF
angeführten Indikatoren nicht anzuwenden. Damit habe er den Gesamtvertragspartnern
die Möglichkeit genommen, Zuschläge zu vereinbaren und stattdessen selbst eine
Entscheidung über Zuschläge zu den Orientierungswerten getroffen.
8 Mit ihrer Revision rügt die beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung (KÄBV) die
Verletzung von Bundesrecht. Es liege ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm
§ 547 Nr 6 ZPO vor, da der eBewA seinen Beschluss für das Jahr 2010 auf der Grundlage
des § 87 Abs 2f SGB V gefasst habe, diese Rechtsgrundlage in den
Entscheidungsgründen des LSG-Urteils aber nicht berücksichtigt werde. Das LSG habe
zudem die Vorgaben in § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF nicht gesetzeskonform ausgelegt.
Dem eBewA stehe ein weiter Regelungsspielraum zu, da er als Schiedsorgan die
Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen und Kompromisse zu schließen habe; er
habe sich bei den streitgegenständlichen Beschlüssen im Rahmen dieses
Gestaltungsspielraums gehalten. Der eBewA könne detaillierte inhaltliche Festlegungen
dazu treffen, wie die Partner der Gesamtverträge mit besonders förderungswürdigen
Leistungen umzugehen hätten. Der Begriff "Vorgaben" enthalte keine Einschränkung
hinsichtlich der Reichweite und des Umfangs der zu beschließenden Regelungen. Es
bleibe den Partnern der Gesamtverträge unbenommen, weitere Leistungen außerhalb der
RLV zu vergüten, so dass deren Regelungsspielraum nicht eingeschränkt worden sei.
9 Der eBewA sei auch berechtigt gewesen, Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen
nach § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V iVm § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF zu bestimmen. Um
sicherzustellen, dass Zuschläge aus Rückstellungen zur Verhinderung überproportionaler
Honorarverluste zu finanzieren seien, habe er darüber hinaus geregelt, dass die
morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen um den Betrag für diese Zuschläge insgesamt
zu erhöhen seien. Damit habe der eBewA nicht den Rahmen der "Grundsätze"
überschritten und sich im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gehalten. Eine
Erhöhung der Rückstellungen ohne damit einhergehende Erhöhung der
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung führe unweigerlich zu einer Reduzierung der
Vergütung der anderen Vertragsärzte. Der mit den RLV ausgewiesene Bedarf dürfe durch
die leistungsbezogenen Zuschläge nicht gekürzt werden. Es sei daher notwendig
gewesen, auch Regelungen darüber zu treffen, auf welche Weise eingetretene
Honorarverluste ausgeglichen werden könnten, ohne dass sich weitere
Honorarverwerfungen für andere Ärzte ergäben. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass das
vertragsärztliche Vergütungssystem durch die Vorgaben des GKV-WSG vollständig neu
geregelt worden sei und sich damit in einer Erprobungsphase befunden habe. In einer
solchen Phase müsse der BewA berechtigt sein, auf eingetretene, nicht gewollte Folgen
seiner Beschlüsse reagieren zu können und ein möglichst stabiles und rechtssicheres
System für die Vergütung der Vertragsärzte zu schaffen.
10 Der Beklagte sei mit den Beschlüssen zur Verhinderung ungewollter Honorarverluste für
besonders förderungswürdige Leistungen seiner Beobachtungs- und Reaktionspflicht
nachgekommen. Er habe bei der Prüfung der Folgen seiner Beschlüsse vom
27./28.8.2008 und vom 23.10.2008 festgestellt, dass es gerade bei ambulanten
Operationen und bestimmten belegärztlichen Leistungen zu ungewollten Honorarverlusten
gekommen sei. Daher sei er selbst verpflichtet gewesen, dem entgegenzuwirken, und
habe sich nicht auf die Vereinbarungen der Gesamtvertragspartner verlassen dürfen,
zumal die entsprechenden Vereinbarungen zu § 87b Abs 3 Satz 7 SGB V aF mangels
Schiedsfähigkeit nicht durchsetzbar seien. Schließlich sei der eBewA berechtigt gewesen,
für das Jahr 2010 auf der Grundlage von § 87 Abs 2f SGB V aF Zuschläge in der
beschriebenen Weise festzulegen. Im Bescheid des BMG vom 13.5.2009 werde darauf
hingewiesen, dass eine unbefristete Regelung zu regionalen Zuschlägen auf der
Grundlage von § 87 Abs 2f SGB V aF getroffen werden könne und dass dem BewA auch
die Befugnis zustehe, die für bestimmte Gebührenpositionen gemäß den
gesamtvertraglichen Regelungen im Jahr 2008 zu zahlende Vergütung als Indikatoren zur
Messung regionaler Besonderheiten bei der Versorgungsstruktur festzulegen. An dieser
Rechtsauffassung des BMG habe sich der eBewA orientiert.
11 Die Beschlüsse stünden auch nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht. Der eBewA
habe nicht gegen § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V verstoßen, denn die Partner der
Gesamtverträge hätten weiterhin die Möglichkeit, Zuschläge nach dieser Norm zu
vereinbaren; die Wahrnehmung dieser Ermächtigung habe keinen Beschluss des BewA
nach § 87 Abs 2f SGB V aF zur Voraussetzung. Der Beklagte habe auch nicht gegen die
gesetzlichen Vorgaben zur Vereinbarung und Zahlung der Gesamtvergütungen verstoßen.
Durch die Einführung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung mit dem Übergang des
Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen habe sich die Bedeutung des Grundsatzes, dass
die Gesamtvergütung mit befreiender Wirkung gezahlt werde, relativiert. Die
Krankenkassen müssten nunmehr aufgrund der geänderten Rechtslage selbst
entsprechende Rücklagen für Nachvergütungen vorhalten. Das BSG habe zudem bereits
anerkannt, dass der Grundsatz der befreienden Wirkung nicht ausnahmslos gelte und die
Notwendigkeit einer nachträglichen Anpassung der Gesamtvergütungen bestehen könne,
wenn die Krankenkassen in Ausnahmefällen über ihre Spitzenverbände unmittelbaren
Einfluss auf Vergütungsentscheidungen genommen hätten oder wenn das
Vergütungsniveau einer Gruppe von Leistungserbringern maßgeblich durch für die
einzelne Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) verbindliche Vorgaben des BewA beeinflusst
werde. Eine solche Situation habe auch hier vorgelegen. Es sei eine Gruppe von
Vertragsärzten betroffen, die Leistungen des ambulanten Operierens und belegärztliche
Leistungen erbrächten. Diesen Vertragsärzten sei - unter Mitwirkung des Klägers - durch
die Beschlüsse des eBewA vom 27./28.8.2008 ein erheblicher Anteil der Vergütung für
diese Leistungen entzogen worden. Damit seien die für diese Leistungen zur Verfügung
gestellten Gesamtvergütungsanteile zu niedrig veranschlagt worden mit der Folge, dass
diese auch nachträglich anzupassen seien.
12 Der Beklagte schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen an.
13 Die Beigeladene und der Beklagte beantragen übereinstimmend,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15.12.2010 aufzuheben und
die Klagen abzuweisen.
14 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
15 Die Entscheidung des LSG leide nicht unter einem Begründungsmangel. § 202 SGG iVm
§ 547 Nr 6 ZPO sei nicht einschlägig, wenn das Gericht - wie vorliegend - in den
Urteilsgründen einen Anspruch erörtert und lediglich davon abgesehen habe, eine von
mehreren Anspruchsgrundlagen zu behandeln, die im Ergebnis nicht durchgriffen. § 87
Abs 2f SGB V aF komme als Rechtsgrundlage offensichtlich nicht in Betracht, da die Norm
dem BewA lediglich die Aufgabe übertrage, Indikatoren zur Messung regionaler
Besonderheiten festzulegen. Die streitgegenständlichen Beschlüsse enthielten schon
begrifflich keine Indikatoren im Sinne dieser Norm und träfen im Übrigen weit über die
Festlegung eines Indikators hinausgehende Vorgaben. An der Festlegung von Indikatoren
fehle es schon deshalb, weil die Vergütung für die erfassten Leistungen konkret und
abschließend festgelegt worden sei. Zudem sei die Höhe der regionalen Vergütung auch
inhaltlich kein Indikator für regionale Besonderheiten bei der Kosten- und
Versorgungsstruktur. Es laufe dem gesetzlichen Ziel zuwider, nicht gerechtfertigte
regionale Preisunterschiede abzubauen, wenn das regionale Preisniveau aus dem Jahr
2008 pauschal als Indikator für regionale Besonderheiten anzusehen sei, denn auf diese
Weise würden die ungerechtfertigten regionalen Unterschiede nicht abgebaut, sondern
perpetuiert.
16 Auch § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF sei als Rechtsgrundlage ungeeignet. § 87b Abs 2 Satz
7 SGB V aF erlaube zwar, bestimmte Leistungen von der Geltung der RLV auszunehmen
mit der Folge, dass sie nicht der Steuerungsfunktion der RLV unterlägen und die
vorgesehene Abstaffelung keine Anwendung finde, doch seien die Leistungen gemäß §
87b Abs 1 Satz 1 SGB V aF auf der Grundlage der regionalen Euro-Gebührenordnung zu
vergüten. Die in § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF festgelegte Kompetenz des BewA,
Vorgaben zu § 87b Abs 2 Satz 7 SGB V aF zu beschließen, solle es ihm nach der
Gesetzesbegründung ermöglichen, festzulegen, für welche Leistungen eine solche
Ausnahme sinnvoll sei. Die angefochtenen Beschlüsse beschränkten sich jedoch nicht
darauf, Vorgaben zu einer Vergütung von Leistungen außerhalb der RLV zu treffen,
sondern sähen vielmehr leistungsbezogene regionale Punktwertzuschläge vor. Die
streitgegenständlichen Beschlüsse seien auch nicht aus Sicherstellungsgründen
erforderlich gewesen, sondern zur Vermeidung überproportionaler Honorarverluste.
17 § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF gelte nur für Rückstellungen, die bei den KÄVen aus den
mit befreiender Wirkung gezahlten Gesamtvergütungen gebildet würden. Die für die
betroffenen Leistungen zur Verfügung gestellten Gesamtvergütungsanteile seien nicht zu
niedrig veranschlagt worden, da diese Leistungen nach den Beschlüssen vom
27./28.8.2008 bzw 2.9.2009 ohnehin extrabudgetär, dh außerhalb der
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung, zu vergüten gewesen seien. Die Möglichkeit, Zu-
und Abschläge auf den Orientierungswert zu vereinbaren, stelle eine Kann-Bestimmung
dar und sei daher nicht schiedsfähig. Den Gesamtvertragspartnern werde durch die
angefochtenen Beschlüsse die Freiheit genommen, von der Vereinbarung von
Zuschlägen abzusehen. Ein rechtlicher Hinweis des BMG stelle keine Weisung dar und
könne auch kein schützenswertes Vertrauen begründen. Die nur auf einzelne Leistungen
bezogenen Zuschläge zum Orientierungswert verstießen gegen § 87a Abs 2 Satz 2 bis 4
SGB V, da danach auf einzelne Leistungen bezogene Zuschläge nicht zulässig seien.
Zudem verschiebe die Vereinbarung regionaler leistungsbezogener Zuschläge entgegen
§ 87 Abs 2 Satz 1 SGB V das wertmäßige Verhältnis der mit Zuschlägen versehenen
Leistungen zu den übrigen Leistungen.
Entscheidungsgründe
18 Die Revision der Beigeladenen ist nicht begründet. Das - nach § 29 Abs 4 Nr 1 SGG
erstinstanzlich zuständige - LSG hat die Beschlüsse des Beklagten, soweit sie im Streit
stehen, zu Recht aufgehoben. Der Beklagte war mangels einer entsprechenden
gesetzlichen Ermächtigung nicht berechtigt, diese Beschlüsse zu fassen.
19 1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
20 a. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist als eine der den BewA tragenden
Organisationen befugt, Klage gegen dessen Beschlüsse zu erheben, da diese -
ungeachtet der darin liegenden Normsetzung durch Vertrag (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-
2500 § 72 Nr 2, RdNr 65) - gegenüber den an der Normsetzung beteiligten Institutionen als
Verwaltungsakte ergehen (BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202). Dies gilt
nicht allein für Beschlüsse des eBewA, die Regelungen zum einheitlichen
Bewertungsmaßstab beinhalten, sondern für alle Entscheidungen des eBewA im Bereich
der Normsetzung. Da die in § 87 Abs 4 SGB V vorgesehene Erweiterung des BewA um
unparteiische Mitglieder und einen unparteiischen Vorsitzenden ein in den
Normsetzungsvorgang inkorporiertes Schiedsverfahren darstellt, können die beteiligten
Körperschaften - ebenso wie die an einem Schiedsverfahren nach § 89 SGB V Beteiligten
Entscheidungen der Schiedsämter - die schiedsamtsähnlichen Entscheidungen des
eBewA im Klagewege angreifen (BSG aaO).
21 Sachgerechte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG. Die Klage ist
gegen den eBewA zu richten (BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202). Dieser
ist berechtigt, seine Beschlüsse im gerichtlichen Verfahren zu verteidigen und ist - als
gemeinsames Entscheidungsgremium von Leistungserbringern und Krankenkassen -
nach § 70 Nr 4 SGG beteiligtenfähig (BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 203;
vgl auch BGHZ 150, 172, 179). Eines Vorverfahrens bedarf es wegen der mit einem
Schiedsamt vergleichbaren Stellung des eBewA nicht.
22 b. Die Rüge der Beigeladenen, das Berufungsurteil leide an dem formellen Fehler
unzureichender Entscheidungsgründe (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO), greift nicht durch.
Zwar trifft der Vorhalt der Beigeladenen zu, dass das LSG als Rechtsgrundlage
ausdrücklich nur § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF und nicht § 87 Abs 2f SGB V aF geprüft
hat. Ein Urteil ist jedoch nicht als fehlerhaft aufzuheben, solange ungeachtet dessen noch
eine Auseinandersetzung mit dem Kern des Vorbringens erkennbar sowie die
Argumentation noch nachvollziehbar und verständlich ist (BSG MedR 2007, 614 = USK
2007-26). Dies ist vorliegend der Fall.
23 Das LSG hat - wie schon das Wort "insbesondere" verdeutlicht - in § 87b Abs 4 Satz 2
SGB V aF zwar die vorrangig in Frage kommende, jedoch nicht die alleinige
Rechtsgrundlage gesehen. Auch hat es am Ende der Urteilsgründe Ausführungen zu § 87
Abs 2f SGB V aF gemacht, indem es dargelegt hat, dass der BewA bzw der eBewA den
Gesamtvertragspartnern die Möglichkeit genommen habe, selbst Zuschläge auf den
Orientierungswert zu vereinbaren, indem er gerade keine Indikatoren bestimmt habe;
diese Ausführungen hat es mit dem Satz beschlossen, der eBewA habe ohne eine
entsprechende Kompetenz "nach dem SGB V" selbst eine Entscheidung über Zuschläge
getroffen. Damit hat es hinreichend deutlich gemacht, dass es diese Norm zwar gesehen,
jedoch nicht ansatzweise als Rechtsgrundlage für geeignet angesehen hat.
24 2. In materieller Hinsicht hat das LSG zu Recht entschieden, dass die vom eBewA im Teil
H Nr 5 Sätze 2, 5 und 6 seines Beschlusses vom 17.3.2009 (DÄ 2009, A 726) für das Jahr
2009 sowie im Teil C Nr 3.1 - Sätze 2 und 6 sowie Satz 5, soweit er die Vergütung nach
Satz 2 aaO betrifft - seines Beschlusses vom 2.9.2009 (DÄ 2009, 467, 473) für das Jahr
2010 beschlossenen Regelungen rechtswidrig und als Rechtsnormen daher nichtig sind.
25 Die Beschlüsse beinhalten inhaltlich gleichlautend
-
eine Verpflichtung der Partner der Gesamtverträge, die Höhe der für besonders
förderungswürdige Leistungen (belegärztliche Leistungen und ambulante
Operationen) zu zahlenden Vergütung zu überprüfen und Zuschläge zum
Regelfallpunktwert der Euro Gebührenordnung zu beschließen, wenn die für
2009 zu zahlende Vergütung die für 2008 zu zahlende Vergütung
unterschreitet,
-
die Vorgabe, dass die Vergütung der so vereinbarten Zuschläge aus den
Rückstellungen zur Verhinderung überproportionaler Honorarverluste erfolgt,
-
die Verpflichtung "der betroffenen Krankenkassen", die morbiditätsbedingte
Gesamtvergütung und diese Rückstellungen zweckgebunden fortlaufend um
das Vergütungsvolumen der vereinbarten Zuschläge zusätzlich zu erhöhen.
Zum Erlass dieser Regelungen war der eBewA jedoch nicht befugt, da es insoweit an
einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung fehlt.
26 a. Die generelle Befugnis des BewA (bzw des eBewA) zum Erlass des
Bewertungsmaßstabs (§ 87 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 SGB V) scheidet als
Ermächtigungsgrundlage von vornherein aus. Die strittigen Regelungen - insbesondere
die Vorgabe einer Nachschusspflicht der Krankenkassen - bewegen sich so weit
außerhalb der nach der gesetzlichen Systematik dem BewA in Abgrenzung zu den
Kompetenzen der Gesamtvertragspartner zugewiesenen Aufgaben, dass er hierfür einer
ausdrücklichen gesonderten gesetzlichen Ermächtigung bedarf.
27 Das Gesetz hat dem BewA durch § 87 SGB V bestimmte originäre Aufgaben übertragen
und sie damit der - ansonsten nach § 82 SGB V bestehenden - Zuständigkeit der
Bundesmantelvertragspartner entzogen; ihm kommt mithin ein spezieller Aufgabenbereich
zu (BSG Beschluss vom 10.12.2008 - B 6 KA 37/08 B - juris RdNr 11). Schon dieser
"spezielle" Aufgabenbereich des BewA lässt es nicht zu, in § 87 SGB V eine Art
Generalermächtigung zur Regelung vertragsärztlicher Vergütungstatbestände auf
Bundesebene zu sehen. Im Übrigen ließe selbst bei Vorliegen einer Generalermächtigung
- wie dies das BSG dem § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V für den Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA) angenommen hat - die Verteilung der
Normsetzungskompetenzen im Vertragsarztrecht nicht zu, dass ein Normgeber
Regelungen zu Gegenständen der vertragsärztlichen Versorgung trifft, die gesetzlich
anderen Normgebern zugewiesen sind (vgl BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2,
RdNr 37 - zum GBA).
28 Eine Normsetzungskompetenz des eBewA kann auch nicht ("originär") aus dem ihm
grundsätzlich zustehenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl hierzu BSGE 105, 236 =
SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 26 ua) hergeleitet werden. Zwar ist dem BewA - wie auch
dem eBewA - bei der Konkretisierung des Inhalts gesetzlicher Regelungen
Gestaltungsfreiheit eingeräumt, wie dies der Senat für die Konkretisierungen nach § 85
Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V aF entschieden hat (zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85
Nr 68 RdNr 27). Diese Gestaltungsfreiheit ist jedoch durch den Umfang der dem BewA
gesetzlich eingeräumten Kompetenzen begrenzt, da ein Gestaltungsspielraum
untergesetzlicher Normgeber nur innerhalb der ihnen erteilten Normsetzungsermächtigung
besteht (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 68 RdNr 30).
29 b. Der eBewA kann sich bezüglich der strittigen Regelungen auch nicht auf spezielle
gesetzliche Ermächtigungen berufen; die Regelungen sind weder durch § 87b Abs 4 Satz
2 SGB V aF (s hierzu aa) noch - für das Jahr 2010 - durch § 87 Abs 2f SGB V aF (s hierzu
bb) gedeckt.
30 aa. § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V (in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung) kommt als
Rechtsgrundlage für die strittigen Regelungen nicht in Betracht.
31 § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF gehört systematisch zu den Regelungen über die Vergütung
der Ärzte durch arzt- und praxisbezogene RLV, und dort zu den in Abs 4 aaO aF
geregelten Aufgaben des BewA. Nach § 87b Abs 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V aF hatte der
BewA zum einen Vorgaben zur Umsetzung von § 87b Abs 2 Satz 3, 6 und 7 SGB V aF zu
bestimmen (§ 87b Abs 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V aF), dh einerseits zur Abstaffelung der
Preise bei einer das RLV überschreitenden Leistungsmenge (Abs 2 Satz 3 aaO),
andererseits zu den außerhalb der RLV zu vergütenden Leistungen, zu denen
obligatorisch die psychotherapeutischen Leistungen (Abs 2 Satz 6 aaO) sowie fakultativ
weitere Leistungen gehören (Abs 2 Satz 7 aaO). Zum anderen hatte er gemäß § 87b Abs 4
Satz 2 Halbsatz 2 SGB V aF Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen nach § 87b Abs
3 Satz 5 SGB V aF zu bestimmen.
32 Diese Vorschriften ermächtigen den eBewA weder dazu, die Partner der Gesamtverträge
zu verpflichten, Zuschläge auf die Orientierungswerte gemäß § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V
aF für bestimmte besonders förderungswürdige Leistungen zu vereinbaren (dazu <(1)>),
noch dazu, die Finanzierung der Zuschläge aus Rückstellungen vorzugeben (dazu <(2)>).
Erst recht berechtigen sie ihn nicht dazu, die "betroffenen Krankenkassen" zu verpflichten,
die Gesamtvergütungen zum Zwecke der Auffüllung der Rückstellungen und damit zur
Finanzierung der Zuschläge zu erhöhen (hierzu <(3)>).
33 (1) Der eBewA war nicht berechtigt, den regionalen Vertragspartnern die Vereinbarung
von Zuschlägen auf die Orientierungswerte für besonders förderungswürdige Leistungen
verpflichtend vorzugeben. Die Verpflichtung zur Vereinbarung von Zuschlägen stellt keine
zulässige "Vorgabe" zur Umsetzung von § 87b Abs 2 Satz 7 SGB V aF dar (s <(a)>). Der
eBewA ist - auch in seiner Eigenschaft als "Schiedsorgan" - nicht berechtigt, die
regionalen Vertragspartner zum Abschluss einer (fakultativen) Vereinbarung zu
verpflichten (dazu <(b)>).
34 Nach § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V aF können die KÄV und die Landesverbände der
Krankenkassen sowie die Ersatzkassen bei der Festlegung der Punktwerte einen
Zuschlag auf die oder einen Abschlag von den Orientierungswerten gemäß § 87 Abs 2e
Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB V aF (nF: von dem Orientierungswert nach § 87 Abs 2e SGB V)
vereinbaren, um insbesondere regionale Besonderheiten bei der Kosten- und
Versorgungsstruktur zu berücksichtigen. Die Vertragspartner hatten dabei gemäß dem hier
maßgeblichen, bis zum 31.12.2011 geltenden Recht (§ 87a Abs 2 Satz 3 SGB V aF)
zwingend die Vorgaben des BewA gemäß § 87 Abs 2f SGB V aF anzuwenden, um eine
bundeseinheitliche Anwendung dieser Regelung sicherzustellen (FraktE GKV-WSG, BT-
Drucks 16/3100 S 129). Sowohl § 87 Abs 2f SGB V aF als auch § 87a Abs 2 Satz 3 SGB V
aF sind durch das GKV-Versorgungstrukturgesetz aufgehoben worden. Die Aufhebung
des § 87 Abs 2f SGB V aF dient der Stärkung der regionalen Kompetenzen bei den
Vereinbarungen (RegE GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 61 zu § 87 Abs 2f SGB V aF);
die Aufhebung des § 87a Abs 2 Satz 3 SGB V aF ist eine Folgeänderung zur Aufhebung
des § 87 Abs 2f SGB V aF (RegE GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 62 zu § 87a Buchst b
Doppelbuchst cc ).
35 (a) Bereits nach dem Wortlaut des § 87a Abs 2 Satz 3 SGB V aF haben die regionalen
Vertragspartner bei der Vereinbarung von Zuschlägen (nur) die Vorgaben des BewA
"gemäß § 87 Abs 2f SGB V" (aF) - also die Indikatoren zur Messung regionaler
Besonderheiten - anzuwenden. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass für die
Vereinbarung von Zuschlägen auch die Vorgaben nach § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF
relevant werden könnten, hätte es nahegelegen, auch diese Norm mit aufzuführen.
36 Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, denn selbst wenn man davon
ausgeht, dass die regionalen Vertragspartner alle (wirksamen) Vorgaben des (e)BewA zu
beachten haben, handelt es sich bei der Verpflichtung zur Vereinbarung von Zuschlägen
für besonders förderungswürdige Leistungen nicht um "Vorgaben zur Umsetzung von §
87b Abs 2 S 7 SGB V" (aF). Der Begriff "Vorgaben" (Duden: "Richtlinie") ist prinzipiell sehr
weit und ermöglicht insbesondere auch Detailregelungen (Engelhard in Hauck/Noftz,
Stand Mai 2012, SGB V, K § 87b RdNr 67). Allerdings kann daraus, dass das Gesetz in §
87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF den Begriff "Vorgaben", an anderer Stelle (§ 84 Abs 7 Satz 1
SGB V) hingegen den Begriff "Rahmenvorgaben" verwendet, nicht generell abgeleitet
werden, dass der dem (e)BewA durch § 87b Abs 4 Satz 2 SGB V aF eingeräumte
Gestaltungsspielraum besonders weit ist. Denn welches Maß an Gestaltungsfreiheit dem
BewA zukommt, ist nach der Wesensart der Ermächtigungsvorschrift und der ihr zugrunde
liegenden Zielsetzung zu bestimmen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 68 RdNr 28 unter
Hinweis auf BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 21).
37 Im Rahmen einer "Vorgabe" ist der (e)BewA berechtigt, insoweit konkrete Regelungen zu
treffen, als er einzelne Leistungen bezeichnet, die er als in jedem Fall förderungswürdig
ansieht (in diesem Sinne Sproll in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung
Pflegeversicherung, Stand März 2012, § 87b SGB V RdNr 11). Insoweit wird der Rahmen
der "Vorgaben" jedenfalls dann noch nicht verlassen, sofern damit lediglich festgelegt
wird, welche Leistungen für eine entsprechende vertragliche Vereinbarung in Frage
kommen, aber keine Verpflichtung der Vertragspartner verbunden ist, eine solche
Vereinbarung abzuschließen. Ob eine verbindliche Vorgabe mit § 87b Abs 2 Satz 7 SGB
V kompatibel wäre, welcher die Entscheidung darüber, ob überhaupt und welche
Leistungen außerhalb der RLV vergütet werden sollen, in das Ermessen ("können") der
Gesamtvertragspartner stellt, kann hier offenbleiben. Zu beachten ist allerdings, dass die
regionalen Vertragspartner bei ihrer - mit einer Vergütung der Leistungen außerhalb der
RLV in engem Zusammenhang stehenden - Entscheidung, ob und für welche Leistungen
sie eine Vergütung außerhalb der Gesamtvergütungen vereinbaren wollen (§ 87a Abs 3
Satz 5 Halbsatz 2 SGB V), an keinerlei Vorgaben des BewA gebunden sind. Wenn die
regionalen Vertragspartner keine Vereinbarung über die extrabudgetäre Vergütung einer
bestimmten Leistung treffen, geht eine Vorgabe des BewA, diese Leistung außerhalb der
RLV zu vergüten, weitgehend ins Leere.
38 Inhaltlich stehen die Vorgaben des eBewA jedenfalls nicht mit der Ermächtigungsvorschrift
in Einklang. § 87b Abs 2 Satz 7 SGB V aF bestimmt, dass weitere vertragsärztliche
Leistungen außerhalb der RLV vergütet werden können, wenn sie besonders gefördert
werden sollen oder soweit dies medizinisch oder aufgrund von Besonderheiten bei
Veranlassung und Ausführung der Leistungserbringung erforderlich ist. Nach dem
Sachzusammenhang liegt es nahe, dass sich die Vorgaben des BewA nach § 87b Abs 4
Satz 2 SGB V aF auf die Kriterien beziehen, anhand derer sich bestimmen lässt, welche
Leistungen außerhalb der RLV vergütet werden sollen, etwa auf die Anforderungen an
eine besondere Förderungswürdigkeit einer Leistung oder auf die Erforderlichkeit einer
extrabudgetären Vergütung; dies schließt - wie dargelegt - auch das Recht ein, konkrete
Leistungen zu benennen. Derartige Regelungen enthält der Beschluss des eBewA jedoch
nicht. Dieser hat weder derartige Kriterien benannt noch bestimmt, dass die in Rede
stehenden Leistungen außerhalb der RLV zu vergüten sind, sondern dass ihre Vergütung
exakt dem Niveau des Jahres 2008 zu entsprechen hat, ganz unabhängig davon, wie sich
die Vergütung der einzelnen Arztgruppen nach der Neuausrichtung des
Vergütungssystems zum 1.1.2009 darstellt.
39 Verbindliche Festlegungen zur Höhe der für diese Leistungen gezahlten Vergütung sind -
selbst wenn der BewA berechtigt wäre, die außerhalb der RLV zu vergütenden Leistungen
verbindlich vorzugeben - keine "Vorgaben" an die Vertragspartner zur Vergütung von
Leistungen außerhalb der RLV. Dass zu diesen Vorgaben auch die Festsetzung der für
diese Leistungen zu zahlenden Vergütung gehört, ist schon deswegen eher fernliegend,
weil das Gesetz selbst hierzu Regelungen enthält. Denn jedenfalls dann, wenn die
besonders zu fördernden Leistungen zugleich außerhalb der Gesamtvergütungen vergütet
werden, sind diese Leistungen mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung zu vergüten
(vgl § 87a Abs 3 Satz 5 Halbsatz 2 SGB V). Insbesondere aber gilt, dass selbst dann,
wenn der (e)BewA verbindliche Vorgaben zur Höhe der Vergütung für die außerhalb der
RLV vergüteten Leistungen machen dürfte, dies lediglich die Ebene des § 87b SGB V aF
und damit die Ebene der Honorarverteilung betreffen könnte. Demgegenüber handelt es
sich bei der Frage, ob Zuschläge auf den Orientierungswert gezahlt werden, um eine
Regelung, die die Ebene der (Gesamt-)Vergütung nach § 87a SGB V betrifft. Zu diesem
Regelungsbereich darf der (e)BewA jedoch - unabhängig von der Auslegung des § 87b
Abs 4 Satz 2 SGB V aF - keinerlei Vorgaben machen, da das Gesetz solche für eine
Vergütung von Leistungen außerhalb der Gesamtvergütung gerade nicht vorsieht.
40 (b) Darüber hinaus ist der eBewA nicht berechtigt, den Inhalt der Vereinbarung
festzusetzen, wenn die regionalen Vertragspartner über die Vereinbarung von Zuschlägen
keine Einigung erzielt haben. Eine entsprechende Kompetenz steht ihm - auch in seiner
Eigenschaft als "Schiedsorgan" - nicht zu.
41 (aa) Dass die Berechtigung des eBewA, Vorgaben zu bestimmten Regelungen zu
machen, nicht auch das Recht umfasst, die Vereinbarung von Zuschlägen verpflichtend
vorzugeben, ergibt sich bereits daraus, dass der eBewA andernfalls in die gesetzlich
bestimmten Kompetenzen der Partner der Gesamtverträge bzw der Landesschiedsämter
nach § 89 SGB V eingreifen würde. § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V ermächtigt die regionalen
Vertragspartner zur Vereinbarung von Zuschlägen, gibt deren Vereinbarung aber nicht
verpflichtend vor. Nach der Rechtsprechung des Senats hat eine Vertragspartei zwar auch
bei fakultativen Vergütungsregelungen grundsätzlich die rechtliche Möglichkeit, das
Schiedsamt anzurufen (BSG Urteil vom 21.3.2012 - B 6 KA 21/11 R - RdNr 27, zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen); dies gilt auch für Vereinbarungen nach § 87a Abs
2 Satz 2 SGB V. Die Festsetzung solcher Zuschläge wäre jedoch Aufgabe der jeweiligen
Schiedsämter auf Landesebene, nicht des allein auf Bundesebene tätigen eBewA.
42 (bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der besonderen Funktion des eBewA als
Schiedsorgan.
43 Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich sowohl beim "einfachen" wie auch
beim eBewA um ein "Vertragsorgan" (stRspr des BSG: BSGE 73, 131, 133 = SozR 3-2500
§ 85 Nr 4 S 20; BSGE 90, 61, 64 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 203; BSGE 94, 50 = SozR 4-
2500 § 72 Nr 2, RdNr 65; BSGE 100, 254 = SozR 4-2500 § 85 Nr 42, RdNr 26); das
Handeln der Bewertungsausschüsse wird den Partnern der Bundesmantelverträge als
eigenes zugerechnet (BSGE 89, 259, 263 = SozR 3-2500 § 87 Nr 34 S 191; BSGE 94, 50
= SozR 4-2500 § 72 Nr 2 RdNr 65). Dass der Bewertungsmaßstab bzw die sonstigen vom
Bewertungsausschuss zu treffenden Entscheidungen ggf in einem schiedsamtsähnlichen
Verfahren durch den eBewA festgesetzt wird, ändert nichts daran, dass es sich dabei um
vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und
der KÄBV handelt (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 66). Die in § 87 Abs 4
SGB V vorgesehene Erweiterung des BewA um unparteiische Mitglieder und einen
unparteiischen Vorsitzenden stellt ein in den Normsetzungsvorgang inkorporiertes
Schiedsverfahren dar (BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202; BSGE 94, 50 =
SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 66, 75). Der eBewA tritt dabei an die Stelle des ansonsten
bei Nichtzustandekommen von Verträgen über die vertragsärztliche Versorgung auf
Bundesebene zuständigen Schiedsamtes nach § 89 Abs 4 SGB V, dessen Funktionen er
insoweit wahrnimmt (BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202 f; BSGE 94, 50 =
SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 66, 75).
44 Weder aus seinem Charakter als Vertragsorgan noch aus der schiedsamtsähnlichen
Funktion des eBewA kann jedoch dessen Berechtigung abgeleitet werden, den regionalen
Vertragspartnern den Abschluss von solchen Vereinbarungen vorzuschreiben, die nach
der gesetzlichen Verteilung der Normsetzungskompetenzen allein in deren Zuständigkeit
fallen. Der Regelungsspielraum des eBewA ist auf die Materie beschränkt, die auch der
BewA einvernehmlich regeln könnte. Das Gesetz hat dem BewA bestimmte originäre
Aufgaben übertragen; er hat einen "speziellen Aufgabenbereich" (vgl BSG Beschluss vom
10.12.2008 - B 6 KA 37/08 B - juris RdNr 11). Darüber hinausgehende Gestaltungsmacht
steht ihm nicht zu. Aus seinem Charakter als "Vertragsorgan" ergibt sich nichts anderes.
Diese Bezeichnung umschreibt lediglich die Funktion des BewA innerhalb der ihm
übertragenen Aufgaben. Selbst dann, wenn man - unter Umgehung der Kompetenzen des
Bundesschiedsamtes - dem eBewA dieselbe Gestaltungsmacht wie den ihn tragenden
Organisationen - also den Bundesmantelvertragspartnern KÄBV und Spitzenverband
Bund der Krankenkassen - einräumen würde, er also (grundsätzlich) das regeln könnte,
was auch diese Vertragspartner regeln dürften, besäße er ebenso wenig wie diese die
Kompetenz, Materien zu regeln, die nach der gesetzlich vorgegebenen
Aufgabenverteilung ausschließlich den regionalen Vertragspartnern zugewiesen worden
sind.
45 (2) Mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigung durfte der eBewA auch nicht
vorgeben, dass die Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen aus den nach
§ 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF gebildeten Rückstellungen zu finanzieren sind. Die in § 87b
Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V aF enthaltene Ermächtigung des BewA, Grundsätze zur
Bildung von Rückstellungen zu bestimmen, trägt dies nicht.
46 (a) Gemäß § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF können Anteile der Vergütungssumme nach §
87b Abs 3 Satz 2 Nr 1 SGB V aF - dh der nach § 87a Abs 3 SGB V insgesamt vereinbarten
morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen - für die Bildung von Rückstellungen verwendet
werden. Die Norm richtet sich allein an die KÄVen, von denen die Rückstellungen zu
bilden sind. Der Annahme, dass auch die Krankenkassen zur Bildung von Rückstellungen
verpflichtet werden sollten, steht schon entgegen, dass die Rückstellungen - wie sich
eindeutig aus dem Gesetz ergibt - aus Anteilen der von ihnen zu zahlenden
Gesamtvergütungen zu bilden sind.
47 In die sich aus § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF ergebenden Kompetenzen der KÄVen greift
der eBewA - ohne hierzu ermächtigt zu sein - ein, wenn er vorgibt, dass die Zuschläge für
besonders förderungswürdige Leistungen aus den Rückstellungen zu finanzieren sind.
Zum einen steht es den KÄVen (grundsätzlich) frei, ob sie überhaupt Rückstellungen
bilden, wie sich schon daraus ergibt, dass nach § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF Anteile der
Gesamtvergütungen zur Bildung von Rückstellungen verwendet werden "können". Das
Gesetz enthält also keine zwingende Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen,
sondern räumt dem Normunterworfenen ein (Handlungs-)Ermessen ein. Die Entscheidung
hierüber kann nicht von einem Dritten - dem eBewA - vorgegeben werden. Zum anderen
entscheiden auch über die Verwendung der Rücklagen grundsätzlich allein die KÄVen (in
diesem Sinne auch Rompf in Liebold-Zalewski, Kassenarztrecht, Stand Mai 2012, § 87b
SGB V RdNr C 87b-16), da dies Teil ihrer Honorarverteilungsautonomie ist. Ob insoweit
nach dem bis zum 31.12.2011 geltenden Recht ein Mitentscheidungsrecht der in die
Regelung der Honorarverteilung eingebundenen Krankenkassen bestand, bedarf hier
keiner Entscheidung.
48 (b) Eine rechtliche Grundlage für die Verpflichtung, die Zuschläge aus den Rückstellungen
zu finanzieren, ergibt sich auch nicht daraus, dass der (e)BewA gemäß § 87b Abs 4 Satz 2
Halbsatz 2 SGB V aF Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen zu bestimmen hat.
49 (aa) Dem steht schon entgegen, dass dem eBewA insoweit - abweichend von den übrigen
Regelungen ("Vorgaben") - lediglich die Bestimmung von "Grundsätzen" übertragen
worden ist. Auch in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum GKV-WSG, BT-
Drucks 16/4247 S 43 zu § 87b Abs 4) wird ausdrücklich betont, dass "die Vorgaben" des
BewA insoweit "auf Grundsätze beschränkt" bleiben. Damit obliegt es ihm allein, einen
allgemeinen rechtlichen Rahmen für die Bildung von Rückstellungen vorzugeben. Der
BewA kann zur Bildung angemessener Rückstellungen anregen und Hinweise für eine
sachgerechte Ausrichtung eines Rückstellungsfonds geben; er darf aber weder den
Umfang der zu bildenden Rückstellungen noch deren Verwendung im Einzelnen
vorgeben. Dieser Rahmen wird durch die strittige Regelung überschritten.
50 (bb) Auch inhaltlich hat der eBewA den Rahmen von "Grundsätzen zu Rückstellungen"
verlassen, wenn er vorgibt, gerade die Zuschläge für besonders förderungswürdige
Leistungen aus den Rückstellungen zu finanzieren. Zum einen hat der eBewA im
Ergebnis überhaupt keine Regelung zur Bildung bzw zur Verwendung der Rückstellungen
getroffen, weil er zugleich vorgeschrieben hat, dass die Gesamtvergütungen zur Auffüllung
der Rückstellungen und damit zur (endgültigen) Finanzierung der Zuschläge
entsprechend zu erhöhen sind. Für den Rückstellungsfond bilden die Zuschläge damit
lediglich einen "durchlaufenden Posten"; die Finanzierung der Zuschläge über die
Rückstellungen erweist sich als ein Umweg zur Erreichung des Ziels höherer Zahlungen
der Krankenkassen für bestimmte belegärztliche und operative Leistungen.
51 Zum anderen betrifft § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF die Bildung von Rückstellungen aus
"Anteile(n) der Vergütungssumme nach Satz 2 Nr 1", also aus Anteilen an den
vereinbarten Gesamtvergütungen. Es wäre kaum nachvollziehbar, Zuschläge für
besonders förderungswürdige Leistungen aus den Gesamtvergütungen bzw aus daraus
gebildeten Rückstellungen zu finanzieren, weil die Vergütung dieser Leistungen gerade
außerhalb der Gesamtvergütungen erfolgt. Es würden also Mittel zur Finanzierung der
Zuschläge herangezogen, die überhaupt nicht zur Vergütung der hiervon betroffenen
Leistungen gezahlt worden sind.
52 Der eBewA hat nicht nur bestimmt, dass belegärztliche Leistungen sowie Leistungen des
ambulanten Operierens außerhalb der RLV vergütet werden (vgl Teil F Nr 2.2 iVm Teil B
Nr 1.3 Nr 1 iVm Teil A Nr 1.2 Nr 3 und 4 des Beschlusses vom 27./28.8.2008, DÄ 2008,
473, 474, 477), sondern zugleich geregelt, dass ua belegärztliche Leistungen sowie
Leistungen des ambulanten Operierens bei der Ermittlung des für die Bestimmung des
Orientierungswertes maßgeblichen Finanzvolumens unberücksichtigt bleiben (Teil A Nr
1.2 Nr 3 und 4 aaO). Damit hat er berücksichtigt, dass die betroffenen Leistungen zugleich
auch außerhalb der Gesamtvergütungen vergütet werden. Auch wenn das bis zum
31.12.2008 geltende Recht keine § 87a Abs 3 Satz 5 Halbsatz 2 SGB V in der ab 2009
geltenden Fassung entsprechende Regelung enthielt, entsprach es auch zuvor gerade für
die vorliegend in Rede stehenden Leistungen gängiger Praxis, dass die regionalen
Vertragspartner für Leistungen, die besonders gefördert werden sollen, eine Vergütung
außerhalb der Gesamtvergütungen vereinbart hatten.
53 Bezüglich der belegärztlichen Leistungen gab es hierzu eine "Bundesempfehlung gemäß
§ 86 SGB V der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung zur Finanzierung der Einführung eines Kapitels für belegärztliche
Leistungen (Kapitel 36) in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM)", die mit Wirkung
vom 1.4.2007 getroffen wurde (bekanntgemacht als CD-Beilage zu DÄ 2007
Heft 12, vgl DÄ 2007, A 806). Diese sah unter Ziff 2 Satz 1 vor, dass eine Finanzierung der
belegärztlichen Leistungen außerhalb der budgetierten Gesamtvergütung auf der
Grundlage fester, angemessener Punktwerte erfolgt.
54 Dass der eBewA davon ausgeht, dass die in Rede stehenden Leistungen nicht allein
außerhalb der RLV, sondern auch außerhalb der Gesamtvergütungen vergütet werden,
ergibt sich auch aus Teil C Ziff 3.1 Satz 5 seines Beschlusses vom 2.9.2009 (DÄ 2009,
473), in dem er - insoweit abweichend von seinem vorangegangenen Beschluss -
ausdrücklich bestimmt hat, dass die Vergütung der nach Satz 2 bis 4 vereinbarten
Zuschläge "für außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung finanzierten
Leistungen" aus den Rückstellungen erfolgt. Auch der Senat ist in seinem Urteil vom
21.3.2012 (B 6 KA 21/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) davon
ausgegangen, dass der eBewA mit seinen Vorgaben zur Ermittlung des Finanzvolumens
und der Leistungsmenge zugleich auch - wenn auch nicht abschließend - die Leistungen
benannt hat, die außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet werden
(aaO RdNr 25, 26).
55 (3) Schließlich fehlt dem eBewA eine gesetzliche Grundlage dafür, die Krankenkassen zu
verpflichten, zur Finanzierung der Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen
die morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen zu erhöhen, indem die Rückstellungen
aufgefüllt werden.
56 (a) Soweit der eBewA die Krankenkassen damit (auch) zur Erhöhung "dieser
Rückstellungen" - dh zum Ausgleich der für die Finanzierung der Zuschläge
entnommenen Teile der Rückstellungen - verpflichtet hat, ist dies schon deshalb nicht
gesetzeskonform, weil die Bildung der Rückstellungen nach § 87b Abs 3 Satz 5 SGB V aF
(wie auch deren Auffüllung) nicht in den Aufgabenbereich der Krankenkassen fällt,
sondern allein den KÄVen obliegt.
57 (b) Der Verpflichtung, zur Finanzierung der Zuschläge die Gesamtvergütungen zu
erhöhen, steht entgegen, dass die in Rede stehenden Leistungen gerade nicht aus den
Gesamtvergütungen vergütet werden. Das Gesetz selbst enthält keine Bestimmungen
dazu, wie die nach § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V vereinbarten Zuschläge zu finanzieren sind.
Dies legt nahe, dass ihre Finanzierung sich nach denjenigen Regelungen richtet, die für
die Leistungen gelten, für die die Zuschläge gezahlt werden; mithin erfolgt die
Finanzierung im Regelfall aus den Gesamtvergütungen, bei extrabudgetär vergüteten
Leistungen aus den dazu vereinbarten Beträgen. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte,
dass die Finanzierung der Zuschläge nicht aus den Mitteln erfolgen sollte, die gemäß den
gesetzlichen Bestimmungen von den Krankenkassen zur Vergütung der betreffenden
Leistungen zu zahlen sind, hätte er dies ausdrücklich regeln können und müssen. Da die
in Rede stehenden Leistungen - wie dargestellt (s unter RdNr <2.b.aa.(2)(a)(bb)>) - aus
den hierfür außerhalb der Gesamtvergütungen entrichteten Zahlungen der Krankenkassen
vergütet werden, folgt daraus, dass auch etwaige Zuschläge für diese Leistungen aus den
extrabudgetären Zahlungen zu finanzieren sind. Daher geht auch das Argument fehl, dass
eine "Nachschusspflicht" der Krankenkassen zur Finanzierung der Zuschläge schon
deswegen erforderlich sei, um weitere Honorarverwerfungen zu Lasten der übrigen
Vertragsärzte zu vermeiden.
58 (c) Zudem widerspricht die Verpflichtung "der Krankenkassen", (nachträglich) höhere
Gesamtvergütungen zu leisten, den für die Vereinbarung und Entrichtung der
Gesamtvergütungen maßgeblichen Grundsätzen.
59 § 87a Abs 3 Satz 1 SGB V verpflichtet die regionalen Vertragspartner, die von den
Krankenkassen mit befreiender Wirkung an die KÄV zu zahlenden (morbiditätsbedingten)
Gesamtvergütungen für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Versicherten mit
Wohnort im Bezirk der KÄV zu vereinbaren. Damit werden insoweit die klassischen
Elemente des bisherigen Vergütungsrechts übernommen, nämlich die Vereinbarung einer
die Gesamtheit der vertragsärztlichen Leistungen abgeltenden Vergütung, die befreiende
Wirkung der Zahlung sowie die Geltung des Wohnortprinzips (Engelhard in Hauck/Noftz,
Stand Mai 2012, SGB V, K § 87a RdNr 24). Die Regelung entspricht inhaltlich weitgehend
§ 85 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V. Mit diesen gesetzlichen Vorgaben ist
eine Verpflichtung der Krankenkassen zu einer nachträglichen Erhöhung der
Gesamtvergütungen nicht vereinbar (s unter ); erst recht gilt dies für entsprechende
Vorgaben durch die Normgeber auf Bundesebene (s unter ).
60 (aa) Eine nachträgliche Erhöhung der Gesamtvergütungen sieht das Gesetz -
grundsätzlich - nicht vor; die Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nicht einschlägig.
61 Die Gesamtvergütung ist nach der gesetzlichen Definition des § 85 Abs 2 Satz 2 SGB V
das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen
Leistungen. Sie ist als die Summe der Vergütungen zu verstehen, die eine Krankenkasse
für sämtliche zur vertragsärztlichen Versorgung gehörenden Leistungen zu entrichten hat,
die in einem Kalendervierteljahr von den an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden zugelassenen Ärzten (einschließlich der Psychotherapeuten) und
zugelassenen medizinischen Versorgungszentren, ermächtigten Ärzten und ermächtigten
Einrichtungen und in Notfällen auch von sonst nicht an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen im Geltungsbereich des SGB
V erbracht wurden. Der Begriff "Gesamtvergütung" stellt klar, dass die Krankenkassen mit
dieser Vergütung die Gesamtheit der von den KÄVen gemäß § 75 Abs 1 SGB V
sicherzustellenden vertragsärztlichen Versorgung abgelten (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr
40 S 323; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 25). Eine Vergütung von Leistungen
außerhalb der Gesamtvergütung ist nur zulässig, soweit dies das Gesetz ausdrücklich
vorsieht (Engelhard in Hauck/Noftz, Stand Mai 2012, SGB V, K § 87a RdNr 25).
62 Ungeachtet dessen, dass bereits der Begriff "Gesamtvergütung" diese Konsequenz
nahelegt, ist im Gesetz zudem ausdrücklich bestimmt, dass die Zahlung der
Gesamtvergütung "mit befreiender Wirkung" erfolgt (vgl § 85 Abs 1 SGB V, § 87a Abs 3
Satz 1 SGB V). Damit ist klargestellt, dass mit der Zahlung der Gesamtvergütung
(grundsätzlich) alle Vergütungsansprüche aus den im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung erbrachten Leistungen für den jeweiligen Vergütungszeitraum abgegolten
sind und die Krankenkasse von ihren finanziellen Lasten für die vertragsärztliche
Versorgung befreit wird (s schon BSGE 19, 270, 272 = SozR Nr 2 zu § 368 d RVO, S Aa4).
Daraus folgt, dass Nachforderungen der KÄVen, etwa im Hinblick auf einen Anstieg der
Leistungsmenge oder der zugelassenen Ärzte, regelmäßig ausgeschlossen sind (stRspr
des BSG, vgl BSGE 80, 48, 53 = SozR 3-2500 § 85 Nr 19 S 123; BSGE 94, 50 = SozR 4-
2500 § 72 Nr 2, RdNr 120; BSGE 95, 141 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2, RdNr 23),
weil die Krankenkassen ihrerseits von den Versicherten nachträglich keine höheren
Beiträge einziehen können (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 30 S 228/229) und daher
Nachforderungen von einem anders zusammengesetzten Versichertenkollektiv zu
finanzieren wären (BSGE 95, 86 = SozR 4-2500 § 85 Nr 21, RdNr 17). Diese
Befreiungswirkung ist ein zentrales und unverzichtbares Element des (gegenwärtigen)
vertragsärztlichen Vergütungssystems (BSGE 95, 86 = SozR 4-2500 § 85 Nr 21, RdNr 17).
63 Daran hat sich - soweit vorliegend relevant - auch unter der Geltung des neuen
Vergütungssystems nichts geändert. Zwar sieht § 87a Abs 3a Satz 4 SGB V die
nachträgliche Berücksichtigung von Veränderungen bei der Zahl der Versicherten vor;
zudem führt der Übergang des Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen dazu, dass
Leistungen nachträglich zu vergüten sind, die über den vereinbarten Behandlungsbedarf
hinausgehen, sofern sie sich aus einem unvorhersehbaren Anstieg des
morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs ergeben. Auch der letztgenannte
Gesichtspunkt ist jedoch nicht geeignet, die vom eBewA vorgegebene nachträgliche
Erhöhung der Gesamtvergütungen zu rechtfertigen. Dies würde - neben der Frage der
Vorhersehbarkeit - zunächst voraussetzen, dass überhaupt ein (medizinisch begründeter)
Anstieg des Behandlungsbedarfs gegeben war. Schon hieran fehlt es. Ein derartiger
Anstieg lag weder vor noch war ein solcher Veranlassung für die (strittige)
Beschlussfassung des eBewA; diesem ging es vielmehr allein darum, die Vergütung der
ohnehin erbrachten Leistungen zu erhöhen. Eine Aufrechterhaltung des bisherigen
Vergütungsniveaus der Vertragsärzte sieht das Gesetz als Grund für nachträgliche
Erhöhungen jedoch nicht vor.
64 Schließlich liegt auch keine Ausnahme vor, wie sie der Senat in seinem Urteil vom
28.1.2004 (B 6 KA 52/03 R - BSGE 92, 87 = SozR 4-2500 § 85 Nr 8, RdNr 35) für
bestimmte psychotherapeutische Leistungen angenommen hat. Dort hat er ausgeführt,
dass "in der hier bestehenden besonderen Konstellation, dass nämlich das
Vergütungsniveau einer Gruppe von Leistungserbringern maßgeblich durch für die
einzelne KÄV verbindliche Vorgaben des Bewertungsausschusses beeinflusst" werde,
auch die Notwendigkeit einer Anpassung der Gesamtvergütungen bestehen könne. Die
Partner der Gesamtverträge müssten berücksichtigen, dass die auf der Grundlage eines
nunmehr als rechtswidrig erkannten Beschlusses des BewA zur Verfügung gestellten
Gesamtvergütungsanteile zu niedrig veranschlagt worden seien. Auf der Basis einer
geänderten Rechtsgrundlage, wie sie vom BewA zu schaffen sei, könne sich die
Notwendigkeit ergeben, auch die Höhe der Gesamtvergütung zu modifizieren.
65 Es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass bezüglich des Beschlusses des eBewA vom
27./28.8.2008 eine vergleichbare Situation vorliegt. Nachschusspflichten der
Krankenkassen - außerhalb der im Gesetz ausdrücklich geregelten Fälle - müssen auf
besondere Ausnahmesituationen beschränkt bleiben (vgl BSGE 95, 86 = SozR 4-2500 §
85 Nr 21, RdNr 17: "Nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen …"). Die vom BSG
für eine ausnahmsweise Abweichung aufgezeigten Voraussetzungen liegen nicht vor, weil
der Beschluss des eBewA weder die vom BSG beschriebenen Folgen hatte noch
überhaupt rechtswidrig war.
66 Dass aufgrund des Beschlusses des eBewA vom 27./28.8.2008, dessen Folgen nach dem
Vortrag der Beigeladenen korrigiert werden sollten, die zur Verfügung gestellten
"Gesamtvergütungsanteile" zu niedrig veranschlagt worden sind, trifft schon deswegen
nicht zu, weil die belegärztlichen Leistungen und die Leistungen des ambulanten
Operierens außerhalb der Gesamtvergütungen vergütet werden und deshalb bei der
Ermittlung des für die Bestimmung des Orientierungswerts maßgeblichen Finanzvolumens
außer Betracht gelassen wurden (vgl Teil A Nr 1.2 des Beschlusses des eBewA vom
27./28.8.2008, DÄ 2008, 473). Soweit es ab dem Jahr 2009 in bestimmten KÄV-Bezirken
zu geringeren Zahlungen der Krankenkassen für die betreffenden Leistungen gekommen
sein sollte, wäre dies darauf zurückzuführen, dass die Preise der Euro-Gebührenordnung
niedriger sind als die sich im Jahr 2008 aus den Punktzahlen des EBM-Ä und dem
vertraglich vereinbarten Punktwert ergebende Vergütung. Dies ist aber keine Folge des
Beschlusses des eBewA, sondern der gesetzlichen Vorgabe, dass auch die Vergütung
der extrabudgetären Leistungen mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung zu erfolgen
hat (§ 87a Abs 3 Satz 5 Halbsatz 2 SGB V). Darüber hinaus war der Beschluss des
eBewA vom 27./28.8.2008 - in Bezug auf die Vergütung besonders förderungswürdiger
Leistungen - nicht rechtswidrig, sondern entsprach sowohl inhaltlich den gesetzlichen
Vorgaben als auch in seiner Wirkung der vom Gesetzgeber angestrebten und
vorgegebenen (grundsätzlichen) Nivellierung von Vergütungsunterschieden zwischen den
KÄV-Bezirken.
67 (bb) Im Übrigen resultierte selbst dann, wenn in der Sache eine ausnahmsweise
Verpflichtung der Krankenkassen zur nachträglichen Erhöhung der Gesamtvergütungen
bestünde, hieraus nicht das Recht des eBewA, "den Krankenkassen" eine entsprechende
Erhöhung vorzugeben. Die Vorgabe des eBewA stellt zum einen einen Eingriff in die
Kompetenz und die Autonomie der regionalen Gesamtvertragspartner dar, denn nach den
gesetzlichen Vorgaben steht allein ihnen - nicht den Vertragspartner bzw Normgebern auf
Bundesebene - das Recht zu, die Höhe der Gesamtvergütungen zu vereinbaren. Daran
hat sich im Kern auch dadurch nichts geändert, dass die Höhe der Gesamtvergütungen
nicht mehr - unter Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität - "frei"
ausgehandelt werden kann, sondern sich (weitgehend) aus den Vorgaben des Gesetzes
und - jedenfalls in der Zeit zwischen 2009 bis Ende 2011 - des BewA (vgl § 87a Abs 5
SGB V aF) ergibt, denn ungeachtet dessen sieht das Gesetz weiterhin eine
"Vereinbarung" der Gesamtvergütung vor (vgl § 87a Abs 3 Satz 1 SGB V).
68 Zum anderen gilt (weiterhin) die gesetzliche Vorgabe, dass die "Vergütungen der an der
vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen" durch
Gesamtverträge geregelt werden (§ 82 Abs 2 Satz 1 SGB V) und die Gesamtvergütungen
"nach Maßgabe der Gesamtverträge" entrichtet werden (§ 85 Abs 1 SGB V). Auch für den
vertragsärztlichen Bereich hat sich durch § 87a Abs 3 Satz 1 SGB V hieran nichts
geändert. Die vertragliche Vereinbarung in der normativen Form einer gesamtvertraglichen
Regelung ist Rechtsgrundlage für die Zahlung der Gesamtvergütung. Bestünde - materiell-
rechtlich - eine Nachschusspflicht der Krankenkassen, hätte die KÄV Anspruch auf eine
Änderung der Gesamtvergütungsvereinbarung und könnte dies ggf über das Schiedsamt
oder gerichtlich durchsetzen.
69 bb. Eine rechtliche Grundlage für die strittigen Vorgaben in den Beschlüssen des eBewA
vom 17.3. und 2.9.2009 ergibt sich auch nicht aus § 87 Abs 2f SGB V aF.
70 § 87 Abs 2f Satz 1 SGB V aF verpflichtete den BewA, jährlich Indikatoren zur Messung der
regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur nach § 87a Abs 2
Satz 2 SGB V festzulegen, auf deren Grundlage in den regionalen
Punktwertvereinbarungen von den Orientierungswerten nach § 87 Abs 2e Satz 1 SGB V
aF abgewichen werden konnte. Diese Bestimmung korrespondierte mit der Regelung des
§ 87a Abs 2 Satz 2 SGB V, welche die Vertragspartner auf regionaler Ebene ermächtigt,
bei der Festlegung der Punktwerte einen Zuschlag auf oder einen Abschlag von den
Orientierungswerten gemäß § 87 Abs 2e Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB V aF (nF: von dem
Orientierungswert nach § 87 Abs 2e SGB V) zu vereinbaren, um insbesondere regionale
Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen. Die
regionalen Vertragspartner hatten dabei gemäß § 87a Abs 2 S 3 SGB V aF zwingend die
Vorgaben des BewA nach § 87 Abs 2f SGB V aF anzuwenden. Dies sollte sicherstellen,
dass bei der Vereinbarung von Zu- und Abschlägen bundeseinheitliche Vorgaben
angewandt werden, und zugleich, dass regionale Preisunterschiede, welche sachlich
nicht gerechtfertigt sind, abgebaut werden (FraktE GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 119
zu § 85a Abs 2). Als herausgehobene Beispiele ("insbesondere") von Indikatoren für das
Vorliegen regionaler Besonderheiten nennt das Gesetz hinsichtlich der
Versorgungsstruktur Indikatoren, die Abweichungen der regionalen Fallzahlentwicklung
von der bundesdurchschnittlichen Fallzahlentwicklung messen, hinsichtlich der
Kostenstruktur solche, die Abweichungen der für die Arztpraxen maßgeblichen regionalen
Investitions- und Betriebskosten von den entsprechenden bundesdurchschnittlichen
Kosten messen (§ 87 Abs 2f Satz 3 und 4 SGB V aF).
71 Für das Jahr 2009 kann aus dieser Vorschrift schon deswegen nichts hergeleitet werden,
weil der (e)BewA solche Indikatoren nicht festgelegt hat. Aber auch für das Jahr 2010
ermächtigte § 87 Abs 2f SGB V aF den Beklagten nicht dazu, die strittigen Regelungen zu
erlassen, auch wenn er in seinem Beschluss vom 2.9.2009 (Teil C unter 2. und 3.2) diese
als "Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei der Versorgungsstruktur"
bezeichnet hat. Dem steht schon entgegen, dass nach dem Wortlaut des § 87 Abs 2f Satz
1 SGB V aF "auf der Grundlage" dieser Indikatoren "in den regionalen
Punktwertvereinbarungen" von den Orientierungswerten abgewichen werden kann. Damit
wird zum einen verdeutlicht, dass die Entscheidung über eine Abweichung vom
Orientierungswert Gegenstand der regionalen Vereinbarungen und damit Aufgabe der
regionalen Vertragspartner ist, und dies nicht auf Bundesebene vorgegeben wird. Zum
anderen wird damit klargestellt, dass die Indikatoren lediglich die "Grundlage" für die
Vereinbarung von Zuschlägen auf regionaler Ebene darstellen. Daraus folgt, dass die
Indikatoren zwar Vorgaben für regionale Vereinbarungen enthalten können, diese aber
nicht in der Art ersetzen bzw vorwegnehmen dürfen, dass den Gesamtvertragspartnern
keine Handlungsspielräume mehr verbleiben. Dies ist jedoch vorliegend der Fall, weil der
eBewA den regionalen Vertragspartnern die Vereinbarung von Zuschlägen für die in Rede
stehenden Leistungen sowohl dem Grunde nach vorgeschrieben als auch deren Höhe
verbindlich vorgegeben hat.
72 Zudem hat der eBewA mit den streitigen Teilen seines Beschlusses keine Indikatoren
bestimmt. Der Begriff "Indikator" bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch "ein
Merkmal, das etwas anzeigt" (Duden); dem entspricht, dass der BewA Indikatoren "zur
Messung" regionaler Besonderheiten zu bestimmen hat. Derartige Angaben enthält der
Beschluss des eBewA jedoch nicht. Er zeigt nichts an, was von den Vertragsparteien
beachtet und umgesetzt werden kann, sondern er verpflichtet unmittelbar. Darüber hinaus
bestehen schon Zweifel, ob die vom eBewA für die in Rede stehenden Leistungen
angestrebte einheitliche Absicherung des Vergütungsniveaus des Jahres 2008 in allen
Regionen unter den Begriff der "Versorgungsstruktur" im Sinne von § 87 Abs 2f Satz 1
SGB V aF subsumiert werden kann. Schon nach dem Gesetzeswortlaut geht es dabei
ausschließlich um Indikatoren zur Kosten- und Versorgungsstruktur und nicht um die
regionale Honorarhöhe. Der Begriff "Versorgungsstruktur" bezeichnet die strukturellen
Gegebenheiten der ambulanten ärztlichen Versorgung der Patienten und damit das
Leistungsangebot sowie dessen Inanspruchnahme, wie das gesetzliche Beispiel der
"Fallzahlentwicklung" belegt.
73 c. Schließlich rechtfertigen sich die strittigen Beschlussteile auch nicht aus sonstigen
Erwägungen.
74 aa. Ein Recht des eBewA, die strittigen Regelungen zu erlassen, ergibt sich nicht unter
dem Gesichtspunkt einer Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht. Zwar trifft den
eBewA als Normgeber grundsätzlich eine entsprechende Verpflichtung, wenn sich im
Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstellt, dass die die Norm
legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne Normadressaten
unzumutbar geworden sind (stRspr des BSG, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 15 S
60/61; BSGE 97, 170 = SozR 4-2500 § 87 Nr 13, RdNr 42). Diese Pflicht erweitert jedoch
nicht die Kompetenzen des Normgebers; vielmehr ist dieser allein verpflichtet (wie auch
berechtigt), Korrekturen innerhalb dem ihm zustehenden Kompetenzen vorzunehmen.
75 bb. Die strittigen Regelungen rechtfertigen sich schließlich auch nicht unter dem
Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung, weil eine Regelung, die schon
von ihrer Richtung oder Struktur prinzipiell systemfremd ist oder nicht mit höherrangigen
Vorgaben übereinstimmt, auch unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und
Erprobungsregelung nicht hingenommen werden kann (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 16
S 107; BSGE 88, 126, 137 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 157; BSGE 105, 236 = SozR 4-
2500 § 85 Nr 53, RdNr 31; BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 29). Nichts
anderes gilt für eine Regelung, die ein untergesetzlicher Normgeber erlässt, ohne hierzu
durch Gesetz ermächtigt worden zu sein.
76 3. Im Ergebnis stellt sich die vom eBewA gewählte Lösung einer Vorgabe von zusätzlich
von den Krankenkassen zu finanzierenden Zuschlägen als ein - wenn auch ggf vom BMG
empfohlener - technischer Umweg zu Erreichung des Ziels einer den Krankenkassen
verbindlich vorgegebenen Erhöhung der von den Krankenkassen geleisteten Zahlungen
zur Sicherung des Vergütungsniveaus für belegärztliche Leistungen und solche des
ambulanten Operierens dar. Hierfür besteht - wie dargelegt - jedoch keine rechtliche
Grundlage, aber auch keine Notwendigkeit, weil der Gesetzgeber den Partnern der
Gesamtverträge hinreichende Instrumente zur Verfügung gestellt hat, um eine
angemessene Höhe der für diese Leistungen gezahlten Vergütung zu gewährleisten.
77 Eine verbindliche bundesweite Regelung durch den eBewA war schon deswegen nicht
zwingend erforderlich, weil auch auf Seiten der Krankenkassen Bereitschaft bestand, an
einer - vom Gesetzgeber im Übrigen durch § 121 Abs 4 SGB V für die Ebene des
Bewertungsmaßstabs vorgegebenen - angemessenen Vergütung der belegärztlichen
Leistungen mitzuwirken. Denn diese haben - jedenfalls auf Spitzenverbandsebene - an
der bereits erwähnten Bundesempfehlung zur Finanzierung der belegärztlichen
Leistungen mitgewirkt. Danach erfolgt eine Finanzierung der belegärztlichen Leistungen
außerhalb der budgetierten Gesamtvergütung auf der Grundlage fester, angemessener
Punktwerte (vgl Ziff 2 Satz 1 der Empfehlung s RdNr 53). Anhaltspunkte dafür, dass es auf
regionaler Ebene zu Defiziten bei der Umsetzung dieser Bundesempfehlung gekommen
ist, liegen nicht vor. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der
Abgeordneten Daniel Bahr ua ergibt sich vielmehr, dass bereits mit Stand 22.10.2007 -
also 1½ Jahre vor der Beschlussfassung durch den eBewA - in 10 von 17 KÄV-Bezirken
Vereinbarungen zur Umsetzung der extrabudgetären Vergütung belegärztlicher
Leistungen getroffen worden waren; in zwei der verbliebenen KÄV-Bezirke war das
Schiedsamt angerufen worden, in den übrigen liefen noch Verhandlungen (BT-Drucks
16/6848 S 4). Die auf der Grundlage der Bundesempfehlung geschlossenen regionalen
Vereinbarungen über die extrabudgetäre Vergütung bestimmter Leistungen haben durch
die Einführung des neuen Vergütungssystems ab dem Jahr 2009 nicht ihre Grundlage
verloren. Dem steht schon entgegen, dass das Gesetz - anders als das bisherige Recht -
die Vereinbarung extrabudgetärer Vergütungen ausdrücklich zulässt (vgl § 87a Abs 3 Satz
5 Halbsatz 2 SGB V).
78 Außer Frage steht zwar, dass die gesetzliche Vorgabe, auch diese Leistungen mit den
Preisen der Euro-Gebührenordnung zu vergüten (vgl § 87a Abs 3 Satz 5 Halbsatz 2 SGB
V), dann Probleme aufwerfen kann, wenn die Preise der Euro-Gebührenordnung niedriger
sind als die sich im Jahr 2008 aus den Punktzahlen des EBM-Ä und dem vertraglich
vereinbarten Punktwert ergebende Vergütung. Die regionalen Vertragspartner haben
jedoch gemäß § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V die Möglichkeit, einen Zuschlag auf den
Orientierungswert (bzw auf die Orientierungswerte) zu vereinbaren. Der Vereinbarung von
Zuschlägen für besonders förderungswürdige Leistungen durch die regionalen
Vertragspartner steht nicht entgegen, dass diese damit Zuschläge für einzelne Leistungen
vereinbaren; dies ist zulässig, wie der Senat bereits entschieden hat (s hierzu BSG Urteil
vom 21.3.2012 - B 6 KA 21/11 R - RdNr 35 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Die Vereinbarung von Zuschlägen ist auch nicht auf den - nur exemplarisch aufgeführten -
Gesichtspunkt der regionalen Besonderheiten beschränkt, sondern auch aus anderen
Gründen zulässig (BSG Urteil vom 21.3.2012 - B 6 KA 21/11 R - RdNr 34, zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl auch Hess in Kasseler Komm, Stand April 2012,
SGB V, § 87a RdNr 6; Rompf in Liebold-Zalewski, Kassenarztrecht, Stand Mai 2012, §
87a SGB V RdNr C 87a-7). In diesem Zusammenhang hat der Senat bereits entschieden,
dass die regionalen Vertragspartner bei der Vereinbarung von Zuschlägen
berücksichtigen dürfen, dass ein Absinken der Vergütung für besonders
förderungswürdige Leistungen zu Sicherstellungsproblemen führen könnte (BSG Urteil
vom 21.3.2012 - B 6 KA 21/11 R - RdNr 37, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Schließlich steht auch der Umstand, dass der BewA überhaupt keine Vorgaben nach § 87
Abs 2f SGB V aF gemacht hat, der Vereinbarung von Zuschlägen nicht entgegen, da die
gesetzlichen Regelungen dem BewA lediglich die Befugnis geben, bundesweit geltende
Vorgaben für die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zu machen, das Fehlen
solcher Vorgaben aber regionale Zuschlagsvereinbarungen nicht ausschließt (BSG aaO
RdNr 34).
79 Im Übrigen hätte der (e)BewA dann, wenn es aus seiner Sicht infolge der Anwendung der
Euro-Gebührenordnung zu einer unangemessen niedrigen Vergütung namentlich der
belegärztlichen Leistungen gekommen ist, die Möglichkeit gehabt, die Bewertung dieser
Leistungen im Kapitel 36 des EBM-Ä entsprechend anzupassen. Sofern es hierdurch - im
Vergleich zu 2008 - dennoch zu regionalen Honorarverlusten gekommen wäre, dürfte dies
in Anbetracht der vom Gesetzgeber gewollten Beseitigung sachlich nicht gerechtfertigter
Honorarunterschiede hinzunehmen sein, sofern nicht regionale Besonderheiten -
namentlich in der Kostenstruktur - eine Abweichung gebieten.
80 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach haben die Beigeladene und der
Beklagte die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen, da sie unterlegen sind (§ 154 Abs
2 iVm § 159 Satz 1 VwGO).