Urteil des BSG vom 10.04.2008

BSG: geschäftsführer, niedersachsen, anstellungsvertrag, revisionsgrund, unrichtigkeit, rechtseinheit, allgemeininteresse, form, belastung, satzung

Bundessozialgericht
Beschluss vom 10.04.2008
Sozialgericht Oldenburg S 5 RA 325/04
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 2 R 35/06
Bundessozialgericht B 12 R 6/07 B
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen vom 24. Januar 2007 wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte trägt die dem Kläger
entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer in der
gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert war.
2
Mit Bescheid vom 14.7.2004 stellte der beklagte Rentenversicherungsträger fest, dass der Kläger in der seit
September 1996 ausgeübten Tätigkeit als Geschäftsführer bei der beigeladenen GmbH dem Grunde nach der
Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege. Widerspruch und
Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat ua ausgeführt, der Anstellungsvertrag und der
Gesellschaftervertrag mit fehlender Kapitalbeteiligung des Klägers an der Beigeladenen sprächen für ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis. Seine finanziellen Verbindlichkeiten hätten seine Entscheidungsfreiheit gegenüber der
Gesellschafterversammlung in erheblichem Maße eingeschränkt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des
SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers im Zeitraum vom
1.9.1996 bis 2.8.2004 nicht rentenversicherungspflichtig gewesen sei, weil der Kläger durch seine überlegene
Geschäftsgewandtheit die Beigeladene von Anfang an dominiert habe. Die Gesellschafter seien zu einer wirksamen
Kontrolle nicht in der Lage gewesen. Zum überlegenen Fachwissen und der dominierenden Persönlichkeit sei als
letztlich entscheidendes Merkmal noch das unternehmerische Risiko hinzugetreten, das der Kläger für die
Beigeladene mit einer Globalbürgschaft in Höhe von 150.000 Euro und der Belastung seines Wohnhauses mit einer
Grundschuld über rund 250.000 Euro getragen habe.
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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG
Niedersachsen-Bremen vom 24.1.2007.
II
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Die Beschwerde der Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Beklagte hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund
hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
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Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur
dann zulassen, wenn - die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder - das angefochtene Urteil von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder - bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr
3). Dagegen ist die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung kein Revisionsgrund.
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Die Beklagte beruft sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die
grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt,
welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der
Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung
durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-
1500 § 160a Nr 16 mwN; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb
aufzuzeigen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu
beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im
Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Eine Rechtsfrage, die das BSG bereits
entschieden hat, ist nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine grundsätzliche Bedeutung haben, es sei denn,
die Beantwortung der Frage ist aus besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden. Dies
muss substantiiert vorgetragen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4, 13 und 65). Zulässig kann eine
Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Fall sein, wenn neue Gesichtspunkte vorgetragen werden, die zu einer über
die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen
können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl zB BSG SozR 3-
4100 § 111 Nr 1). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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Die Beklagte misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zu:
"a) Können bei der Beurteilung, ob ein Geschäftsführer einer GmbH, der weder als Gesellschafter an deren Kapital
beteiligt noch mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist (echter Fremdgeschäftsführer) als abhängig Beschäftigter
oder selbständig Tätiger einzustufen ist, die nach Feststellung des Gerichts tatsächlichen Machtverhältnisse die
rechtlichen Aufsichts- und Weisungsbefugnisse der Gesellschafter, wie sie im Anstellungsvertrag des
Geschäftsführers und in der Satzung der GmbH niedergelegt sind, verdrängen?
b) Ist bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung eines Geschäftsführers einer GmbH, der weder als
Gesellschafter an deren Kapital beteiligt noch mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist (echter
Fremdgeschäftsführer), die Übernahme von persönlichen Haftungsrisiken in nicht unerheblicher Höhe (z.B. in Form
von selbstschuldnerischen Bürgschaften oder Grundschulden) als Unternehmerrisiko im Sinne der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zur Möglichkeit von Ausnahmefällen, in denen ein Fremdgeschäftsführer als selbständig Tätiger
anzusehen ist (BSG v. 13.12.1960, 3 RK 2/56, BSGE 13, 196, 200; BSG v. 29.10.1986, 7 RAr 43/85, USK 86145,
Rz. 16; BSG v. 08.12.1987, 7 RAr 25/86, USK 87170, Rz. 30; BSG v. 11.02.1993, 7 RAr 48/92, USK 9347, Rz. 20;
BSG v. 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, Rz. 21; BSG v. 06.03.2003, B 11 AL 25/02 R, Rz. 17), zu bewerten?"
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Es kann dahinstehen, ob die Beklagte damit konkrete Rechtsfragen gestellt hat, die in einem Revisionsverfahren
klärungsfähig wären, denn jedenfalls hat sie nicht hinreichend dargelegt, dass die aufgeworfenen Fragen
klärungsbedürftig sind. Hinsichtlich beider Frage fehlt es an der erforderlichen Darlegung, dass unter Berücksichtigung
der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG weiterhin Klärungsbedarf besteht oder neu entstanden ist. Das
LSG geht unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 30.6.1999 (B 2 U 35/98 R, SozR 3-2200 § 723 Nr 4) davon aus,
dass besonders Kenntnisse und Geschäftskontakte nicht ausreichen, um eine Weisungsfreiheit als Indiz für eine
selbstständige Tätigkeit anzunehmen. Allein das Bestehen eines unternehmerischen Risikos führt ebenfalls nach der
Rechtsprechung des BSG nicht in jedem Falle zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit (vgl BSG SozR 4-2700 §
2 Nr 1 mwN). Darüber hinaus hat der Senat in seinem Urteil vom 25.1.2006 (B 12 KR 30/04 R, ZIP 2006, 678; vgl
auch danach Urteil vom 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 7) ausgeführt, es sei auf das Gesamtbild
der Arbeitsleistung abzustellen, das sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimme. Hierzu gehörten die
rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung
erlaubten. Ob eine "Beschäftigung" vorliege, ergebe sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im
Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden sei. Ein im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen
Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich
gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehe der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung
rechtlich möglich sei. Umgekehrt gelte, dass die Nichtausübung eines Rechtes unbeachtlich sei, solange diese
Rechtsposition nicht wirksam abbedungen sei. Mit diesen Entscheidungen setzt sich die Beschwerde nicht
auseinander. Sie hätte jedoch darlegen müssen, inwieweit und aus welchen Gründen die gestellten Fragen gerade im
Hinblick auf die Entscheidung des Senats vom 25.1.2006 klärungsbedürftig geblieben sind und sich nicht unter
Heranziehung der dort genannten Grundsätze beantworten lassen.
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Ob das LSG unter Berücksichtigung dieser Entscheidungen zutreffend von einer selbstständigen Tätigkeit des
Klägers ausgegangen ist, ist eine Frage der Anwendung des einfachen Rechtes. Dessen fehlerhafte Anwendung allein
kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der
Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.