Urteil des BSG vom 31.07.2013

BSG: Dienstbeschädigungsausgleich, Grundrente nach dem BVG, Kürzung, Verfassungsmäßigkeit

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 31.7.2013, B 5 RS 7/12 R
Dienstbeschädigungsausgleich - Grundrente nach dem BVG - Kürzung - Verfassungsmäßigkeit
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt von der Beklagten für die Zeit vom 1.1.1999 bis 30.6.2007 die
Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs (DBA) in Höhe der Grundrente "West"
ohne Berücksichtigung eines Umrechnungsfaktors für das Beitrittsgebiet.
2 Der im Jahr 1937 geborene Kläger gehörte in der DDR von 1956 bis 1965 als
Berufsoffizier (Oberleutnant) der Nationalen Volksarmee (NVA) und dem
Sonderversorgungssystem der NVA seit dessen Einführung an. 1965 wurde bei ihm ein
Zustand nach Tuberkulose als Dienstbeschädigung anerkannt. Ab 1.12.1965 erhielt er
eine Unfallteilrente aus der Sozialversicherung nach einem Körper- bzw
Gesundheitsschaden (KS) von 30 vH und ab 1.7.1968 nach den Bestimmungen des
Sonderversorgungssystems der NVA eine Dienstbeschädigungsteilrente (DBTR) nach
einem KS von 20 vH in Höhe von 132 Mark bzw ab 1.7.1990 in Höhe von 152 DM. Nach
der Wiedervereinigung wurde die DBTR bis zum Ablauf des 31.12.1996 von der
Beklagten weiter gezahlt, zuletzt in Höhe von 206,34 DM. Am 30.9.1997 hob die Beklagte
die Gewährung der DBTR mit Wirkung vom 1.1.1997 auf.
3 Mit Bescheid vom 1.10.1997 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1.1.1997 einen DBA in
Höhe der bisherigen DBTR.
4 Jeweils zum 1.7. eines Jahres erhöhte die Beklagte den DBA entsprechend der Änderung
der Grundrente unter Kürzung mittels eines "Umrechnungsfaktors im Beitrittsgebiet". Der
DBA betrug ab 1.7.1997 212,07 DM, ab 1.7.1998 213,01 DM, ab 1.7.1999 215,98 DM und
ab 1.7.2000 216,63 DM (Bescheide vom 12.3.1998, 13.11.1998, 16.11.1999, 21.7.2000).
5 Wegen Bezugs einer vom Rentenversicherungsträger gewährten Altersrente ab 1.7.1997
nahm die Beklagte mit Bescheid vom 11.7.2001 den Bewilligungsbescheid vom 1.10.1997
sowie die nachfolgenden Anpassungsbescheide nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X mit
Wirkung ab 1.7.1997 zurück, gewährte für Bezugszeiten ab 1.7.1997 einen DBA in Höhe
von 123 DM und erhöhte diesen ab 1.7.1998 auf 124 DM, ab 1.7.1999 auf 127 DM und ab
1.7.2000 auf 128 DM. Der jeweiligen Wertfestsetzung legte sie einen KS von 20 vH
zugrunde, setzte ihn mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH iS des
BVG gleich und stellte den sich hierfür aus § 2 Abs 1 S 1 und S 2 Halbs 2 des Gesetzes
über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DbAG) vom 11.11.1996
iVm § 31 Abs 1 BVG ergebenden Geldbetrag fest (ab 1.7.1997: 144 DM, ab 1.7.1998: 145
DM, ab 1.7.1999: 147 DM, ab 1.7.2000: 147 DM). Diesen Betrag vervielfältigte sie mit dem
jeweils ab 1.7. gültigen "Umrechnungsfaktor im Beitrittsgebiet" (ab 1.7.1997: 0,8521, ab
1.7.1998: 0,8554, ab 1.7.1999: 0,8671 und ab 1.7.2000: 0,8676).
6 Mit Bescheid vom 12.7.2001 forderte die Beklagte den Kläger auf, den überzahlten Betrag
von 4.268,28 DM zurückzuzahlen. Mit Bescheid vom 23.7.2001 erhöhte sie sodann den
DBA ab 1.7.2001 entsprechend der Anpassung der Grundrente (150 DM) und dem
bekannt gemachten "Umrechnungsfaktor im Beitrittsgebiet" (0,8706) auf 131 DM.
7 Der Kläger legte gegen die drei Bescheide Widersprüche ein. Zur Begründung wies er
darauf hin, dass nach § 2 Abs 2 DbAG der Besitzstand erhalten bleibe. Dieser sei nicht
wegen des Bezugs einer nach dem 31.12.1996 beginnenden Altersrente weggefallen.
Jedenfalls sei die Berücksichtigung des Umrechnungsfaktors für das Beitrittsgebiet mit Art
3 Abs 1 GG unvereinbar. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid
vom 17.12.2001 zurück.
8 Vor dem SG Rostock hat der Kläger zunächst begehrt, die Bescheide vom 11.7.2001,
12.7.2001 und 23.7.2001 aufzuheben und "ihm einen monatlichen DBA in ungekürzter
gesetzlicher Höhe zu gewähren".
9 Während des Klageverfahrens hat die Beklagte den DBA ab 1.7.2002 auf 69 Euro erhöht
(Bescheide vom 2.8.2002 und 2.10.2003).
10 Hinsichtlich der Rückforderung haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor
dem SG einen Teilvergleich geschlossen: Der Kläger hat sich verpflichtet, einen Betrag
von 1400 Euro in sieben monatlichen Teilraten zurückzuzahlen. Die Beklagte hat die
Zahlungsforderung hinsichtlich des verbleibenden Erstattungsbetrags aufgehoben.
11 Der Kläger hat daraufhin (ohne weitere Begründung) beantragt, "die Bescheide vom
11.7.2001 und 23.7.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2001
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1.1.1999 einen
Dienstbeschädigtenausgleich in Höhe der Grundrente 'West' nach (dem)
Bundesversorgungsgesetz zu gewähren". Das SG hat die Klage insoweit abgewiesen
(Urteil vom 26.5.2005).
12 Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein Aufhebungsbegehren auch auf die Bescheide
vom 2.8.2002 und 2.10.2003 erstreckt. Das LSG Mecklenburg-Vorpommern hat die
Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 16.8.2006). Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Der DBA sei
zutreffend unter Anwendung des "Abschlagsfaktors" für das Beitrittsgebiet geleistet
worden. § 84a BVG sei vom BVerfG in seinem Urteil vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96 ua -
BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) lediglich hinsichtlich originärer Grundrenten
für Kriegsopfer ab 1.1.1999 für nichtig erklärt worden. Diese Vorschrift sei jedoch bei allen
Versorgungsberechtigten anzuwenden, die am 18.5.1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet
gehabt hätten, aufgrund der Verweisungsvorschrift des § 2 Abs 1 DbAG auch auf den
DBA. Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und
des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
(SER/DbAG-ÄndG) vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) stelle lediglich die ohnehin geltende
Rechtslage klar. Die Gewährung des DBA nur in Höhe einer abgesenkten Grundrente
gemäß § 84a BVG sei nach wie vor verfassungsgemäß.
13 Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt sinngemäß, das LSG
habe § 2 Abs 1 DbAG verletzt, weil unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ab 1.1.1999
ein Abschlag für das Beitrittsgebiet hätte vorgenommen werden dürfen. Dies habe der
ehemalige 4. Senat des BSG mit seinen Urteilen vom 23.9.2003 (B 4 RA 54/02 R - SozR
4-8855 § 2 Nr 1) und vom 7.7.2005 (ua B 4 RA 58/04 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2) geklärt.
Die rückwirkende Neufassung des § 84a BVG und des § 2 Abs 1 S 1 DbAG verstoße als
unzulässige echte Rückwirkung von Rechtsfolgen gegen das Rechtsstaatsprinzip. Eine
vom BVerfG anerkannte Fallgruppe für eine zulässige belastende Rückwirkung liege nicht
vor, insbesondere keine unklare oder verworrene Rechtslage. Die gesetzliche
Neuregelung sei auch zukunftsgerichtet verfassungswidrig, weil es keinen erkennbaren
sachlichen Grund dafür gebe, den DBA niedriger als die nun einheitliche Grundrente nach
dem BVG festzusetzen.
14 Mit Beschluss vom 5.6.2007 - B 4 RS 21/07 R - hat der ehemalige 4. Senat des BSG das
Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur
Entscheidung vorgelegt, ob § 2 Abs 1 S 1 DbAG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) insofern
mit den rechtsstaatlichen Geboten der Normenklarheit und Justiziabilität vereinbar ist, als
sich mittels der Verweisung in § 84a S 1 BVG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) der
monatliche Wert des DBA aus den Maßgaben des Einigungsvertrages in Anlage I Kap VIII
Sachgebiet K Abschn III Nr 1 Buchst a Abs 1 S 1 (Regelung 4) und S 2 bestimmt. Auf die
Anfrage der Berichterstatterin des BVerfG vom 20.2.2009, ob an dem Vorlagebeschluss
festgehalten werde, hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 7.9.2010 - B 5 RS 14/09
R - entschieden, die Vorlage aufrechtzuerhalten, und hat das Verfahren erneut gemäß Art
100 Abs 1 GG ausgesetzt.
15 Die Beklagte hat mit Bescheiden vom 2.9.2008, 29.3.2011, 28.11.2011 und 11.10.2012
den DbA des Klägers zum 1.7.2007, 1.7.2008 bzw zum 1.7.2009 unter Anwendung des
"Umrechnungsfaktors im Beitrittsgebiet" auf 70,00 Euro, 71,00 Euro bzw 73,00 Euro erhöht
und zum 1.7.2011 bzw zum 1.7.2012 in Höhe der Grundrente nach dem BVG auf 83,00
Euro bzw 85,00 Euro festgesetzt.
16 Das BVerfG hat mit Beschluss vom 4.6.2012 - 2 BvL 9/08 ua - BVerfGE 131, 88 - die
Vorlagen für unzulässig erklärt.
17 Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 31.7.2013 die Klage
zurückgenommen, soweit Zeiträume ab dem 1.7.2007 betroffen sind.
18 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. August
2006, das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 26. Mai 2005 und für Bezugszeiten
ab 1. Januar 1999 die Bescheide vom 11. Juli 2001 und 23. Juli 2001 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2001 sowie die Bescheide vom 2.
August 2002 und 2. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für
Bezugszeiten ab 1. Januar 1999 einen Dienstbeschädigungsausgleich in Höhe der
Grundrente "West" ohne Berücksichtigung eines Umrechnungsfaktors für das
Beitrittsgebiet zu zahlen.
19 Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
20 Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
21 Die zulässige Revision ist nicht begründet.
22 Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG
zurückgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Dem Kläger steht kein
Anspruch auf einen DBA in Höhe der Grundrente "West" ohne Berücksichtigung eines
Umrechnungsfaktors für das Beitrittsgebiet im Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.6.2007 zu.
23 A. Gegenstand des revisionsgerichtlichen Verfahrens sind lediglich die Bescheide der
Beklagten vom 11.7.2001 und 23.7.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.12.2001 sowie die Bescheide vom 2.8.2002 und 2.10.2003. Diese regeln die Höhe des
dem Kläger gewährten DBA im vorgenannten Zeitraum. Der Bescheid vom 2.10.2003
entfaltet rechtliche Wirkung nur bis zum 30.6.2007. Mit Wirkung ab 1.7.2007 ist er durch
den Bescheid vom 2.9.2008 ersetzt worden (vgl BSG SozR 4-8855 § 2 Nr 1 RdNr 12).
Dieser gilt gemäß § 171 SGG als mit der Klage beim SG angefochten, weil er während
des anhängigen Revisionsverfahrens ergangen ist. Zwar war das Revisionsverfahren
seinerzeit ausgesetzt. Durch die Aussetzung eines Verfahrens wird dessen
Rechtshängigkeit jedoch nicht beendet (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, § 94 RdNr 4a). Ebenfalls als mit der Klage beim SG gemäß § 171
SGG angefochten gelten die Bescheide vom 29.3.2011, 28.11.2011 und 11.10.2012.
24 B.1. Die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Bescheide richtet sich einfachgesetzlich
allein nach § 2 Abs 1 S 1 DbAG in seiner zum 1.1.1997 in Kraft getretenen Neufassung
durch Art 6 Nr 3 Buchst a SER/DbAG-ÄndG vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) und den von ihm
in Bezug genommenen Normen. Hingegen sind die Vorschriften des SGB X nicht
maßgeblich. Zwar nimmt der Bescheid vom 11.7.2001 den Bescheid vom 1.10.1997 und
die nachfolgenden Anpassungsbescheide gemäß § 45 SGB X zurück, soweit diese dem
Kläger einen DBA in Höhe der DBTR gewähren. Der Kläger hat diese Regelung aber
nach Abschluss des Teilvergleichs vom 12.5.2005 schon vor dem SG nicht mehr
angefochten. Bereits seinerzeit hat er den Bescheid vom 11.7.2001 nur insoweit
angegriffen, als ihm dieser lediglich einen DBA in Höhe der abgesenkten Grundrente für
das Beitrittsgebiet und nicht in Höhe der Grundrente "West" gewährt.
25 2. Nach § 2 Abs 1 S 1 DbAG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) wird der DBA bei einem
Körper- oder Gesundheitsschaden, der nach den Regelungen der
Sonderversorgungssysteme zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente
geführt hat oder führen würde, in Höhe der Grundrente nach § 31 iVm § 84a S 1 BVG
geleistet. § 84a S 1 Halbs 1 BVG in dessen Neufassung durch Art 1 des Gesetzes vom
19.6.2006 (BGBl I 1305) bestimmt, dass Berechtigte, die - wie der Kläger - am 18.5.1990
und danach ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Art 3 des EinigVtr
genannten Gebiet hatten, vom 1.1.1991 an Versorgung nach dem BVG mit dem für dieses
Gebiet nach dem EinigVtr geltenden Maßgaben erhalten.
26 Dieser ordnet in Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Nr 1 Buchst a Abs 1 S 1 als
Maßgabe für das Inkrafttreten von § 31 Abs 1 und 5 BVG im Beitrittsgebiet an, dass die
dort in der jeweils geltenden Fassung genannten DM-Beträge mit dem Vomhundertsatz zu
multiplizieren sind, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrente
(§ 68 Abs 3 SGB VI) in dem in Art 3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren
Standardrente, in dem Gebiet, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt.
27 Hinsichtlich des Verständnisses dieser Vorschriften sieht sich der erkennende Senat im
Ergebnis mittelbar an die Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 4.6.2012 (2 BvL 9/08
ua - BVerfGE 131, 88) gebunden. Hiernach ist nunmehr davon auszugehen, dass sich der
genannten Normenkette ausgehend vom maßgeblichen Verständnishorizont eines
Juristen mithilfe herkömmlicher Auslegungsmethoden ausreichende gesetzliche Vorgaben
für die Wertbestimmung des DBA entnehmen lassen, die inhaltlich den rechtsstaatlichen
Bestimmtheitserfordernissen der Regelungsmaterie genügen. Im Einzelnen gilt
Folgendes:
28 Der EinigVtr verweist zur Bestimmung eines Anpassungsfaktors Ost dynamisch auf
diejenigen Beträge, die sich auf der Grundlage der jeweiligen Rechtslage im SGB VI
jeweils im Verhältnis der verfügbaren Standardrenten in den alten Bundesländern und
dem Beitrittsgebiet ergeben.
29 Für den Bezugszeitraum 1.1.1999 bis 31.12.2000 galt daher § 68 Abs 3 SGB VI idF vom
10.5.1995 (BGBl I 678), gültig vom 1.1.1997 bis 31.12.2000. Nach S 4 der Vorschrift ergibt
sich die verfügbare Standardrente, indem die Bruttostandardrente um den
durchschnittlichen Beitragsanteil zur Krankenversicherung iS des § 106 Abs 2 SGB VI,
den Beitragsanteil zur Pflegeversicherung und die ohne Berücksichtigung weiterer
Einkünfte durchschnittlich auf sie entfallenden Steuern gemindert wird.
30 Die Bruttostandardrente definiert § 68 Abs 3 S 3 SGB VI als Regelaltersrente aus der
Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten mit 45 Entgeltpunkten (EP). Da das
SGB VI zwischen EP und zwischen EP (Ost) unterscheidet (vgl § 254b SGB VI), sind bei
der Berechnung der Bruttostandardrente West EP und bei der Bruttostandardrente Ost EP
(Ost) zugrunde zu legen. Von dem sich auf dieser Grundlage ergebenden Betrag ist im
Zähler und Nenner des Bruchs gleichermaßen jeweils allein derjenige Beitragsanteil zur
Krankenversicherung in Abzug zu bringen, der sich ausgehend von dem jeweils zum
Stichtag 1.1. bundeseinheitlich zu ermittelnden durchschnittlichen allgemeinen
Beitragssatz aller Krankenkassen auf die Bruttostandardrente für die Zeit vom 1.7. des
jeweiligen Kalenderjahres bis zum 30.6. des Folgejahres ergibt (BVerfGE 131, 88, 126 f).
Dagegen kommt es auf den sonstigen Inhalt des § 106 Abs 2 SGB VI nicht an (BVerfGE
131, 88, 126 f). Ebenso ist unerheblich, dass der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz
der Krankenkassen noch in den Jahren 1999 und 2000 für die alten und neuen
Bundesländer unterschiedlich hoch festgesetzt worden ist (vgl Bekanntmachungen des
BMG vom 20.3.1999 BAnz Nr 68/1999 S 6142 und vom 14.3.2000 BAnz Nr 81/2000 S
8014). Denn die verzögerte Umsetzung des Normbefehls durch die Exekutive betrifft nicht
die inhaltliche Bestimmtheit der Norm, sondern kann sich nur bei deren Anwendung, dh
der Berechnung der Standardrenten auswirken.
31 Des Weiteren ist im Zähler und Nenner des Bruchs jeweils der Beitrag abzuziehen, der
sich für pflichtversicherte Rentner in der sozialen Pflegeversicherung ergibt. Dieses
Ergebnis entspricht aus der maßgeblichen Sicht des rechtlich Kundigen der typisierten
Versicherungsbiografie des Standardrentners. Schließlich ist die Bruttostandardrente
West/Ost um den Betrag der Einkommensteuer zu vermindern, der ggf nach Maßgabe der
Vorschriften des EStG ohne Berücksichtigung weiterer Einkünfte auf den bei regulärem
Rentenalter maßgeblichen Ertragsanteil entfällt.
32 Obwohl der Begriff der verfügbaren Standardrente in der Zeit vom 1.1.2001 bis 31.12.2001
weder in § 68 Abs 3 SGB VI noch in einer anderen Vorschrift dieses Gesetzbuches
definiert wird, ist der geschilderte Berechnungsmodus auf der Grundlage einer
"bedeutungserhaltenden Auslegung" (BVerfGE 131, 88, 127 f) auch insofern fortzuführen.
33 Ab dem 1.1.2002 findet sich der Begriff der verfügbaren Standardrente - vom EinigVtr
weiterhin erfasst und inhaltlich deckungsgleich mit der früheren Definition - in § 154 Abs 3
S 1 Nr 2 SGB VI. Auch dass diese Vorschrift nicht mehr auf § 106 Abs 2 SGB VI verweist,
ist in Ermangelung eines erkennbaren gesetzgeberischen Willens, den Begriff der
verfügbaren Standardrente zu ändern, ohne Bedeutung.
34 Für Bezugszeiten vom 1.1.2005 bis 30.6.2007 definiert § 154 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB VI in der
ab dann geltenden neuen Fassung die verfügbare Standardrente als Regelaltersrente aus
der allgemeinen Rentenversicherung mit 45 EP ohne Berücksichtigung der auf sie
entfallenden Steuern, gemindert um den durchschnittlichen Beitragsanteil zur
Krankenversicherung und den Beitrag zur Pflegeversicherung. Über die nunmehr
weggefallende Relevanz der Steuerlast hinaus ergeben sich keine inhaltlichen
Änderungen. Das Abstellen auf den "Beitrag" zur Pflegeversicherung - statt vorher
"Beitragsanteil" - trägt begrifflich und sachlich der vollen Beitragstragung durch den in der
sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherten Rentner seit dem 1.4.2004 Rechnung (§
59 Abs 1 S 1 SGB XI). Der zum 1.1.2005 in der sozialen Pflegeversicherung eingeführte
Beitrag für Kinderlose bleibt ohne Bedeutung, weil das Modell des Standardrentners
individuelle Gegebenheiten wie die Elterneigenschaft unberücksichtigt lässt. Dagegen ist
zu beachten, dass ab dem 1.7.2005 der "durchschnittliche Beitragsanteil zur
Krankenversicherung" auch den zusätzlichen Beitragsanteil in Höhe von 0,9 vH der
Standardrente mit umfasst.
35 C. § 2 Abs 1 S 1 DbAG iVm § 84a BVG idF des Gesetzes vom 19.6.2006 (BGBl I 1305)
ändert nicht rückwirkend zum 1.1.1997 die bis dahin geltende Rechtslage ab, sondern
stellt lediglich - in Reaktion auf die Entscheidungen des früheren 4. Senats des BSG vom
7.7.2005 (B 4 RA 58/04 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2) und 20.10.2005 (B 4 RA 13/05 R ua) -
die bisherige Rechtslage klar (vgl auch BT-Drucks 16/754 S 1 = BR-Drucks 39/06 S 2; BT-
Drucks 16/1162 S 11 f zu B Nr 1).
36 § 2 Abs 1 S 1 DbAG iVm § 84a BVG in der oben genannten Fassung bestimmt für vier
Personengruppen, dass der DBA lediglich in Höhe der abgesenkten Grundrente "Ost"
geleistet wird. Hierzu gehören zum einen Berechtigte, die am 18.5.1990 und danach
unverändert ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten (§ 84a
S 1 Halbs 1 BVG) sowie Berechtigte, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt am
Stichtag im Beitrittsgebiet hatten und ihn später in die alten Bundesländer verlegt haben (§
84a S 1 Halbs 2 BVG - sog Umzügler). Zum anderen gilt diese Regelung entsprechend für
Deutsche und deutsche Volkszugehörige aus den in § 1 der
Auslandsversorgungsverordnung genannten Staaten, die nach dem 18.5.1990 ihren
Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet begründet haben (§ 84a S 2
BVG - sog Zuzügler und Zuzügler-Umzügler).
37 Denselben Regelungsgehalt enthielten bereits § 2 Abs 1 S 1 DbAG idF vom 11.11.1996
(BGBl I 1674) und § 84a BVG idF des EinigVtr vom 31.8.1990 (BGBl II 885).
38 Bereits § 2 Abs 1 S 1 DbAG aF bestimmte, dass der DBA in Höhe der für das
Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem BVG geleistet wird. Mit dem Bezug auf die
"Grundrente nach dem BVG" verweist die Norm auf die Grundrente iS von § 31 BVG.
Dagegen ist § 2 Abs 1 S 1 DbAG aF entgegen der Auffassung des früheren 4. Senats des
BSG (Urteil vom 23.9.2003 - B 4 RA 54/02 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 1 RdNr 30 und vom
7.7.2005 - B 4 RA 58/04 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2 RdNr 14) keinem Verständnis dahin
zugänglich, dass die Vorschrift auf die Grundrente in § 31 BVG in der jeweiligen Höhe
verweist, die für die im Beitrittsgebiet berechtigten Kriegsopfer iS des § 1 BVG maßgeblich
ist. Hierfür geben weder Wortlaut der Bestimmung noch deren Entstehungsgeschichte
etwas her. So verweist § 2 Abs 1 S 1 DbAG aF nicht generell auf das BVG, sondern nur
auf die Grundrente nach dem BVG und bezieht sich damit ausschließlich auf dessen § 31.
Dieser gewährt nicht nur Kriegsopfern eine Versorgungsleistung. Vielmehr zählen zu den
Anspruchsberechtigten ua auch Soldaten, die eine Wehrdienstbeschädigung iS der §§ 80
ff SVG erlitten haben und Beamte und Polizeivollzugsbeamte, die einen Dienstunfall
erlitten haben (§ 35 BeamtVG für Bundesbeamte; § 2 BPolBG iVm § 35 BeamtVG für
Polizeivollzugsbeamte des Bundes). An diesen Personengruppen und nicht an den
Kriegsopfern hat sich der Gesetzgeber bei der Einführung des DBA orientiert. Dessen
Ausgestaltung ist an das Unfallfürsorgerecht im Beamten- und Soldatenrecht angelehnt
(BT-Drucks 13/4587, S 9 zu II und S 12 zu § 2 Abs 1).
39 Mit dem Bezug auf die Höhe der für das Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem
BVG verweist § 2 Abs 1 S 1 DbAG aF außerdem auf den EinigVtr. Dieser hat - wie bereits
oben dargelegt - bestimmt, dass die Grundrente im Beitrittsgebiet mit einem
Anpassungsfaktor Ost berechnet wird. Zu dem von dieser Regelung betroffenen
Personenkreis bestimmt der EinigVtr in Anlage I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Nr 1
Buchst l S 1, dass diese Maßgabe für Berechtigte gilt, die am 18.5.1990 ihren Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten; S 2 ordnet die entsprechende
Geltung für sog Zuzügler an. Zudem wurde durch Anlage I Kap VIII Sachgebiet K Abschn II
§ 84a aF eingefügt, der zumindest für "Umzügler" und "Zuzügler-Umzügler" gilt. Ob die
Vorschrift nur diese beiden Personengruppen erfasst (so der frühere 4. Senat im Urteil vom
7.7.2005 - B 4 RA 58/04 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2 RdNr 30 sowie vom 20.10.2005 - B 4
RA 27/05 R - BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7 RdNr 47 f und der 13. Senat in
BSGE 102, 36 = SozR 4-2600 § 93 Nr 12 RdNr 66), oder sich auch auf Personen erstreckt,
die dauerhaft seit dem 18.5.1990 (bzw ab Zuzug nach dem 18.5.1990) im Beitrittsgebiet
wohnen (so wohl der 9. Senat im Urteil vom 10.8.1993 - 9 RV 4/93 - BSGE 73, 41, 42 =
SozR 3-3100 § 84a Nr 1 und Beschluss vom 12.12.1995 - 9 BV 113/95 sowie BVerfG
Urteil vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96 ua - BVerfGE 102, 41 - vgl hierzu Anm des 13.
Senats aaO RdNr 65 und 107 sowie BT-Drucks 16/1162, S 11 zu B Nr 1), kann im hier
maßgeblichen Zusammenhang dahinstehen. Bei beiden Auslegungsvarianten enthält das
alte Recht - entweder durch § 84a BVG allein oder in Verbindung mit Anlage I Kap VIII
Sachgebiet K Abschn III Nr 1 Buchst l des EinigVtr - Regelungen, die für alle vier
betroffenen Personengruppen die Geltung einer "abgesenkten" Grundrente Ost anordnen.
40 Das Urteil des BVerfG vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96 ua - BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100
§ 84a Nr 3) hat § 84a BVG iVm Anlage I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Nr 1 Buchst a
des EinigVtr nicht vollständig mit Wirkung ab 1.1.1999 für nichtig erklärt mit der Folge,
dass von diesem Zeitpunkt an bis zum Erlass des Gesetzes vom 19.6.2006 (BGBl I 1305)
keine Regelungen über die Festsetzung des Dienstbeschädigungsausgleichs nach
Maßgabe der Grundrente Ost bestanden hätten (so aber der frühere 4. Senat des BSG
Urteil vom 7.7.2005 - B 4 RA 58/04 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2 RdNr 13, 19 ff) und die
Rechtslage rückwirkend neu gestaltet worden wäre. Vielmehr erfasst die Nichtigerklärung
die genannten Vorschriften nur insoweit, als diese die Gewährung einer abgesenkten
Beschädigtengrundrente für Kriegsopfer Ost vorsehen.
41 Zwar erklärt die Entscheidungsformel, die gemäß § 31 Abs 2 BVerfGG Gesetzeskraft hat
(BVerfGE 69, 92, 103), § 84a BVG iVm den genannten Bestimmungen des EinigVtr
hinsichtlich der Berechnung der Beschädigtengrundrente im Beitrittsgebiet ab 1.1.1999
ohne Einschränkung für nichtig. Die Grenzen der Rechtskraft und der Gesetzeskraft
bestimmen sich aber nach dem Inhalt der Entscheidung (BVerfGE 69, 92, 103), sodass die
Entscheidungsgründe ggf zur Auslegung des Tenors herangezogen werden dürfen bzw
müssen (vgl Sturm/Detterbeck in Sachs, GG, 6. Aufl 2011, Art 94 RdNr 12; Pieroth in
Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65; Meyer in von Münch/Kunig, GG, Bd 2,
6. Aufl 2012, Art 94 RdNr 21). Wird eine Rechtsvorschrift, die auf verschiedene
Personengruppen Anwendung findet, ohne Einschränkung für ungültig erklärt, während
den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist, dass die Verfassungsmäßigkeit der
Rechtsvorschrift nur hinsichtlich einer bestimmten Personengruppe geprüft und verneint
worden ist, erfasst die Nichtigerklärung auch nur diesen Teil des Anwendungsbereichs der
Rechtsvorschrift (vgl auch BVerfGE 69, 92, 104).
42 So verhält es sich hier. Aus den Gründen des Urteils vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96 ua -
BVerfGE 102, 41, 59 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) ergibt sich eindeutig, dass das BVerfG
die Verfassungsmäßigkeit einer abgesenkten Grundrente Ost unter dem Gesichtspunkt der
Verletzung des Art 3 Abs 1 GG lediglich hinsichtlich der Kriegsopfer geprüft und verneint
hat. Dementsprechend erfasst die Nichtigerklärung § 84a BVG iVm den genannten
Bestimmungen des EinigVtr nur insoweit, als diese die Gewährung unterschiedlich hoher
Beschädigtengrundrenten nach § 31 Abs 1 BVG an Kriegsopfer in den alten und neuen
Ländern bei gleicher Beschädigung (über den 31.12.1998 hinaus) regeln. In diesem Sinne
hat auch die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 7.1.2005
- 1 BvR 286/04 - SozR 4-3100 § 84a Nr 5 - Juris RdNr 3) das Urteil vom 14.3.2000 aaO
verstanden (ebenso 5a. Senat des BSG Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S - S 6;
13. Senat des BSG Urteil vom 13.11.2008 - BSGE 102, 36 = SozR 4-2600 § 93 Nr 12
RdNr 104 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.3.2012 - 2 A 270/10 - Juris RdNr 10).
43 § 2 Abs 1 S 1 DbAG aF iVm den von ihm in Bezug genommenen Vorschriften bleibt daher
schon aus diesem Grund von der Nichtigerklärung unberührt und ist über den 31.12.1998
gültig gewesen.
44 D. § 2 Abs 1 S 1 DbAG iVm § 84a BVG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) verstößt
schließlich nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
45 Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist
dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das
Grundrecht aber, wenn er bei Regelungen, die verschiedene Personengruppen betreffen,
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders
behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl
BVerfGE 102, 41, 54 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 - stRspr). Hierbei ist die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers vorliegend besonders weit, weil es sich um die
Bewältigung der Folgen der Herstellung der Deutschen Einheit handelt (vgl BVerfGE 95,
143, 155 ff; 104, 126, 147; 107, 218, 245 f mwN) und es zudem um die steuerfinanzierte
Gewährung von Leistungen geht (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 7.1.2005 - 1 BvR
286/04 - SozR 4-3100 § 84a Nr 5 RdNr 12 mwN).
46 Der Kläger wird gegenüber allen Versorgungsempfängern benachteiligt, die zum Stichtag
18.5.1990 ihren Wohnsitz in den alten Bundesländern hatten (dazu 1). Außerdem wird er
schlechter behandelt als diejenigen, die zu dem von § 84a S 3 BVG idF vom 19.6.2006
(BGBl I 1305) begünstigten Personenkreis gehören und eine Versorgung auf "West-
Niveau" erhalten (dazu 2).
47 Die Ungleichbehandlung ist aber hinreichend gerechtfertigt.
48 1. Zum einen ist es iS von Art 3 Abs 1 GG sachlich gerechtfertigt, den
Dienstbeschädigungsausgleich an die Höhe der Grundrente zu koppeln. Der
Dienstbeschädigungsausgleich ist an die Stelle der Dienstbeschädigungsteilrente
getreten, die Anspruchsberechtigten aus einem Sonderversorgungssystem nach der
Anlage 2 des AAÜG gewährt wurde. Zu den Berechtigten gehörten ua Angehörige der
NVA (Anlage 2 Nr 1 des AAÜG). Die Dienstbeschädigungsrenten aus deren
Sonderversorgungssystem dienten dem Ausgleich der Folgen einer Dienstbeschädigung
nach dem Ausscheiden aus dem Dienst. Sie hatten damit den gleichen sachlichen und
persönlichen Grund wie im Bundesrecht die Soldatenversorgung aufgrund einer
Wehrdienstbeschädigung iS der §§ 80 ff SVG. Soldaten erhalten als Ausgleich für eine
erlittene Wehrdienstbeschädigung aber ebenfalls eine Versorgungsleistung in Höhe der
Grundrente (vgl auch BSG SozR 4-8855 § 2 Nr 1 RdNr 23 ff).
49 Zum anderen ist es unter dem Gesichtspunkt von Art 3 Abs 1 GG nicht zu beanstanden,
dass der Dienstbeschädigungsausgleich lediglich in Höhe der abgesenkten Grundrente
Ost gewährt wird.
50 Das BVerfG hat bereits entschieden, dass das vom Gesetzgeber gewählte
Angleichungskonzept West-Ost verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfGE
102, 41, 55 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 19). Nach dieser Entscheidung ist es unter dem
Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG nicht sachwidrig, die Höhe der im Beitrittsgebiet
geltenden Grundrente iS von § 31 Abs 1 BVG trotz ihrer besonderen immateriellen
Komponente (BVerfGE 102, 41, 59 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 21; BVerfG
Kammerbeschluss vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - Juris RdNr 44) an die
Entwicklung der Standardrenten in den alten und neuen Bundesländern zu knüpfen und
damit unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unterschiede in West und Ost zu
bestimmen (vgl BVerfGE 102, 41, 55 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 19). Denn der
Grundrente iS von § 31 Abs 1 BVG kommt eine einheitliche Entschädigungsfunktion zu,
deren immaterielle Komponente von der materiellen Komponente nicht zu trennen ist (vgl
BVerfG Kammerbeschluss vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - SGb 2011, 702,
707; BVerfGE 102, 41, 61 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 23; BSG Urteil vom 24.5.2012 - B 9
V 2/11 R - BSGE 111, 79 = SozR 4-3520 § 7 Nr 1 RdNr 29). Dies gilt gleichermaßen für
den Dienstbeschädigungsausgleich, der ebenso wie die Grundrente iS von § 31 Abs 1
BVG nicht nur Ersatz für den materiellen, sondern auch für den immateriellen Schaden
gewährt (vgl BT-Drucks 13/4587 S 12).
51 Da der Grund der Ungleichbehandlung für Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigte im
Verhältnis zu Versorgungsempfängern, die am Stichtag 18.5.1990 ihren Wohnsitz in den
alten Bundesländern hatten, die wirtschaftlichen Unterschiede in West und Ost sind, ist die
Ungleichbehandlung grundsätzlich so lange gerechtfertigt, wie diese Unterschiede
bestehen.
52 Im hier maßgeblichen Zeitraum Januar 1999 bis Juni 2007 waren die wirtschaftlichen
Verhältnisse in den alten und neuen Bundesländern noch unterschiedlich (vgl auch
BVerfG Kammerbeschluss vom 9.8.2000 - 1 BvR 514/00 - Juris RdNr 8; BVerfG Beschluss
vom 12.2.2003 - 2 BvL 3/00 - BVerfGE 107, 218, 248 ff, 250; BVerfG Kammerbeschluss
vom 7.1.2005 - 1 BvR 286/04 - SozR 4-3100 § 84a Nr 5 RdNr 19; BSG Urteil vom
13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - BSGE 102, 36 = SozR 4-2600 § 93 Nr 12 RdNr 82).
53 Nach der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts "20 Jahre Deutsche Einheit -
Wunsch oder Wirklichkeit" aus dem Jahr 2010 haben sich die wirtschaftsstrukturellen
Unterschiede zwischen Ost und West zwar mehr und mehr angeglichen (S 32).
Ausweislich der veröffentlichten Einzelaufstellungen kann jedoch im hier streitigen
Zeitraum nicht von einheitlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden. So
hat etwa das Verdienstniveau in den neuen Ländern im Vergleich zum früheren
Bundesgebiet noch im Jahr 2009 bei lediglich 75,5 % des Westniveaus gelegen (S 48)
und das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte noch im Jahr 2008 im früheren
Bundesgebiet 19 838 Euro betragen, während es sich in den neuen Ländern
einschließlich Berlin lediglich auf 15 536 Euro belaufen hat (S 52; siehe auch die Daten
zur Erwerbslosigkeit - S 45 -, zu staatlichen Transferleistungen - S 56 f - und
Konsumausgaben - S 58).
54 Dieses Bild findet seine Entsprechung in der Situation der Standardrenten in den neuen
und alten Ländern. Nach dem Rentenversicherungsbericht 2008 der Bundesregierung
(BT-Drucks 16/11060, S 40) betrug der Verhältniswert des aktuellen Rentenwerts in den
neuen zu dem in den alten Ländern an den Stichtagen 1.7.2007, 1.7.2008 und 1.7.2009
jeweils 87,9 %.
55 Die wirtschaftlichen Unterschiede in Ost und West sind im hier maßgeblichen
Zusammenhang für den streitigen Zeitraum auch unter Berücksichtigung des Urteils des
BVerfG vom 14.3.2000 (1 BvR 284/96 ua - BVerfGE 102, 41, 55 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3
S 18) weiterhin ein taugliches Differenzierungskriterium.
56 Nach dieser Entscheidung genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen, dass die
durch § 84a BVG bewirkte Ungleichbehandlung der Kriegsopfer Ost und West nicht auf
Dauer angelegt und angesichts der damaligen Unterschiede in den Lebensverhältnissen
noch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung vereinbar gewesen
ist. Aufgrund des seit 1997 deutlich verlangsamten Anpassungsprozesses müsse für die
Kriegsopfer in den neuen Ländern aber damit gerechnet werden, dass sie gleich hohe
Renten wie im Westen nicht erleben würden (BVerfGE 102, 41, 58 f = SozR 3-3100 § 84a
Nr 3 S 20 f). Damit werde für sie die durch § 84a BVG angestrebte Ungleichbehandlung
auf Zeit zu einer Ungleichbehandlung auf Dauer. Dies sei in Bezug auf die Grundrente
nach § 31 Abs 1 S 1 BVG aufgrund ihrer rechtlichen Besonderheit, dh ihrer besonderen
immateriellen Komponente vor Art 3 Abs 1 GG, nicht zu rechtfertigen (BVerfGE 102, 41, 59
= SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 21).
57 Entsprechende Erwägungen sind auch im Rahmen der Versorgung
Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigter anzustellen.
58 Zwar unterscheidet sich diese Personengruppe in einem wesentlichen Punkt von der
Personengruppe der Kriegsopfer. Anders als die
Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten haben die Kriegsopfer Ost und West ein
"Opfer im gleichen Krieg für den gleichen Staat" erbracht, was der entscheidende
Gesichtspunkt für das BVerfG gewesen ist, eine unterschiedliche Entschädigung der
Kriegsopfer über den 31.12.1998 hinaus als gleichheitswidrig zu bewerten (BVerfGE 102,
41, 61 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 23). Dieser Grund trifft auf die
Sonderversorgungsberechtigten der NVA, der Deutschen Volkspolizei und die übrigen in
Anlage 2 des AAÜG genannten Berechtigten nicht zu.
59 Allerdings sind auch sie im Dienst für eine staatliche Gemeinschaft in ihrer körperlichen
Integrität verletzt worden, wofür ihnen durch ein Bundesgesetz eine Entschädigung
gewährt wird, der ebenfalls eine immaterielle Komponente zukommt (BT-Drucks 13/4587,
S 12). Dementsprechend darf auch für die Gruppe der
Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten die nur auf Zeit angestrebte
Ungleichbehandlung nicht zu einer Ungleichbehandlung auf Dauer werden.
60 Diese Gefahr ist jedoch nicht gegeben. Zum einen handelt es sich bei der Gruppe der
Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten anders als bei der Gruppe der Kriegsopfer
nicht durchweg um hoch betagte Menschen. Die Kläger der beim Senat anhängigen
Verfahren sind vielmehr zwischen 1930 und 1952 geboren. Zum anderen erhalten sie seit
dem 1.7.2011 eine ungekürzte Versorgungsleistung. Gemäß § 84a BVG idF durch Art 1 Nr
30 des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften vom 20.6.2011 (BGBl I
1114) ist die Maßgabe nach Anlage I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Nr 1 Buchst a iVm
Art 3 des EinigVtr vom 31.8.1990 (BGBl II 885, 1067) seit dem 1.7.2011 nicht mehr
anzuwenden. Dementsprechend wurde durch Art 6 Abs 1 dieses Gesetzes auch der in § 2
Abs 1 DbAG enthaltene Verweis auf § 84a BVG gestrichen.
61 Dass der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten gewesen wäre,
diese gesetzliche Änderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorzunehmen, ist
angesichts seines besonders weiten Gestaltungsspielraums im Zusammenhang mit der
Bewältigung der Folgen der Wiederherstellung der Deutschen Einheit und der
steuerfinanzierten Gewährung von Leistungen (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom
7.1.2005 - 1 BvR 286/04 - SozR 4-3100 § 84a Nr 5 - Juris RdNr 15 mwN) nicht ersichtlich.
62 2. Die Ungleichbehandlung der Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten mit den von
§ 84a S 3 BVG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305) begünstigten Personenkreisen, die eine
Versorgung auf "Westniveau" erhalten, ist ebenfalls gerechtfertigt.
63 Zu den von der Norm begünstigten Personengruppen gehören neben den Kriegsopfern iS
von § 1 BVG, mit denen die Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten aus den unter 1.
dargelegten Gründen nicht vergleichbar sind, die Opfer des SED-Regimes (vgl hierzu BR-
Drucks 322/00 S 13 zu Art 6). Zwischen diesen und der Gruppe der
Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten bestehen ebenfalls Unterschiede von
solcher Art und solchem Gewicht, dass ihre ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Bei
letzteren handelt es sich nicht um Opfer des Regimes, sondern um ehemalige
Staatsbedienstete der DDR, die für ihren Staat ein Sonderopfer erbracht haben.
64 E. Mit seiner Entscheidung weicht der Senat zwar von den Urteilen des früheren 4. Senats
vom 23.9.2003 (B 4 RA 54/02 R - SozR 4-8855 § 2 Nr 1) und vom 7.7.2005 (B 4 RA 58/04
R - SozR 4-8855 § 2 Nr 2) ab. Er kann gleichwohl ohne Entscheidung des Großen Senats
des BSG den vorliegenden Rechtsstreit selbst abschließend entscheiden. Eine zur
Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG zwingende Divergenzvorlage besteht
nicht mehr, weil der erkennende Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG seit
dem 1.1.2010 für Streitigkeiten aufgrund § 3 S 1 DbAG ausschließlich zuständig ist.
65 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.