Urteil des BSG vom 12.06.2003

BSG: beeinträchtigung der körperlichen integrität, verlegung des wohnsitzes, vergleich, entschädigung, kriegsopfer, pflegezulage, versorgung, sonderopfer, verordnung, nichtigkeit

Bundessozialgericht
Urteil vom 12.06.2003
Sozialgericht Altenburg
Bundessozialgericht B 9 V 7/02 R
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 10. Juli 2002 geändert. Der Beklagte
wird unter entsprechender Aufhebung seines Bescheides vom 28. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2001 verurteilt, dem Kläger unter Änderung der Bescheide vom 19. Juni 1998
und 11. August 1998 mit Wirkung ab 1. Januar 1999 Schwerstbeschädigtenzulage ohne Absenkung zu gewähren. Im
Übrigen wird die Revision zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten für
beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe der dem Kläger - neben der Beschädigtengrundrente - nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährten Leistungen Schwerstbeschädigtenzulage und Ausgleichsrente im
Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 1999.
Der 1936 geborene, im Beitrittsgebiet wohnhafte Kläger erlitt im April 1945 in Folge der Explosion von Fundmunition
Verletzungen an den Augen und der rechten Hand. Mit Bescheid vom 15. März 1991 erkannte der Beklagte nach dem
BVG "Blindheit durch Verlust beider Augen, Verlust des rechten Daumens, Versteifung des rechten Handgelenkes,
Versteifung der Finger 2 und 3 rechts" als Schädigungsfolgen an und stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 100 vH ab 1. Januar 1991 fest. Zusätzlich zur Gewährung von Beschädigtengrundrente verpflichtete sich
der Beklagte zur Leistung von Ausgleichsrente, Ehegatten- sowie Kinderzuschlag, Schwerstbeschädigtenzulage nach
Stufe III, Pflegezulage nach Stufe IV, Kleiderverschleißpauschale und Beihilfe für fremde Führung. Seit Januar 1998
bezieht der Kläger darüber hinaus Berufsschadensausgleich. Die Leistungen wurden mit jährlichen
Anpassungsbescheiden (ua vom 19. Juni 1998, 14. Juni 1999, 14. Juni 2000) dynamisiert, wobei diese Bescheide den
im Formular vorgedruckten Hinweis enthielten: "Ihre Versorgungsbezüge werden auf Grund der X. KOV-AnpV ... in
Verbindung mit dem im Einigungsvertrag bezeichneten Vomhundertsatz ... neu berechnet". Mit Bescheid vom 22. Mai
2000 setzte der Beklagte die Höhe der Grundrente gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) neu fest,
nachdem durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000 (BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100
§ 84a Nr 3) § 84a BVG mit Wirkung ab 1. Januar 1999 insoweit für nichtig erklärt worden war, als er eine Absenkung
der Beschädigtengrundrente für Kriegsopfer im Beitrittsgebiet vorsah. Den Antrag des Klägers vom 20. Juli 2000,
unter Berücksichtigung des vorgenannten Urteils des BVerfG auch die Schwerstbeschädigtenzulage und die
Ausgleichsrente mit Wirkung ab 1. Januar 1999 ohne Absenkung zu zahlen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom
28. Juli 2000 ab. Durch Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2001 wies der Beklagte auch den dagegen erhobenen
Widerspruch des Klägers zurück.
Das Sozialgericht (SG) Altenburg hat durch Urteil vom 10. Juli 2002 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen
Rechten. Die gemäß § 84a BVG erfolgte Absenkung der dem Kläger gewährten Schwerstbeschädigtenzulage und
Ausgleichsrente sei nicht verfassungswidrig. Das BVerfG habe mit Urteil vom 14. März 2000 nur die Nichtigkeit von §
84a BVG in Bezug auf Grundrente festgestellt und ausgeführt, diese Beurteilung könne nicht auf andere Leistungen
nach dem BVG erstreckt werden. Zwar sei die Schwerstbeschädigtenzulage in ihrer Funktion der
Beschädigtengrundrente vergleichbar, sodass einiges dafür spreche, sie ebenso wie diese zu behandeln und § 84a
BVG auch insoweit als verfassungswidrig anzusehen; jedoch sei eine Ungleichbehandlung der Betroffenen sachlich
begründet, weil einer weiteren Erhöhung und vollständigen Anpassung aller Versorgungsleistungen Gründe der
Haushaltsstabilität und der Wahrung des inneren sozialen Friedens entgegenstünden. Bereits die Anhebung der
Beschädigtengrundrente führe zu einer Verschiebung der Einkommenssituation der Versorgungsberechtigten
gegenüber den Altersrentnern; ein weiterer Anstieg der Versorgungsleistungen im Beitrittsgebiet brächte mit einem
Ungleichgewicht die Gefahr sozialer Verwerfungen zwischen Sozialrentnern und Erwerbstätigen einerseits und
Kriegsopfern andererseits mit sich.
Dagegen hat der Kläger die - vom SG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene - Revision eingelegt. In der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den Rechtsstreit aus verfahrensrechtlichen Gründen
durch Teilvergleich auf den Zeitraum des ersten Halbjahres 1999 beschränkt. Zur Begründung seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts; weiter trägt er vor: Die im Urteil des BVerfG vom 14. März 2000 für die Zeit
ab dem 1. Januar 1999 ausgesprochene Nichtigkeit des § 84a BVG erstrecke sich sowohl auf die
Schwerstbeschädigtenzulage gemäß § 31 Abs 5 BVG als auch auf die Ausgleichsrente gemäß § 32 BVG.
Erwerbsunfähige Beschädigte, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen über das normale Maß einer
Erwerbsunfähigkeit hinaus gesundheitlich außergewöhnlich betroffen seien, sollten die Schwerstbeschädigtenzulage
erhalten, weil eine Abgeltung über die Grundrente nicht hinreichend möglich sei. Solche Schädigungen lösten eine
weitaus höhere körperliche und seelische Belastung aus. Die Schwerstbeschädigtenzulage stehe einer Grundrente für
Beschädigte gleich und habe eine noch höhere immaterielle Bedeutung als die Grundrente selbst. Auch die
Ausgleichsrente für Pflegezulageempfänger gemäß § 33 Abs 4 BVG sei nicht unter dem Gesichtspunkt der
Wirtschaftlichkeit zu betrachten; sie habe wegen ihrer Genugtuungsfunktion gleichfalls eine ausschließlich
immaterielle Komponente.
Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Altenburg vom 10. Juli 2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli
2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
ihm unter Änderung der Bescheide vom 19. Juni 1998 und 11. August 1998 ab 1. Januar 1999
Schwerstbeschädigtenzulage und Ausgleichsrente ohne Absenkung nach § 84a Bundesversorgungsgesetz zu
gewähren.
Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des SG und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat den Beteiligten Kopien des Senatsbeschlusses vom 21. August 2002 - B 9 V
2/02 R - und der in jenem Verfahren vorgelegten Stellungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale
Sicherung (BMGS) zur Kenntnis gegeben.
II
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig; insbesondere liegen auch die Voraussetzungen des § 161
Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor.
Die Revision ist teilweise begründet; sie führt zur Teiländerung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des
Beklagten, soweit die abgesenkte Zahlung von Schwerstbeschädigtenzulage im Streit ist. Mit seinem gegen die
Absenkung der Ausgleichsrente gerichteten Begehren kann der Kläger nicht durchdringen.
Anspruchsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachte Leistungserhöhung ab 1. Januar 1999 ist § 48 Abs 1 SGB
X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die
bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft und - jedenfalls
zu Gunsten des Betroffenen - auch mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Bei der
Schwerstbeschädigtenzulage und der Ausgleichsrente, die bei dem Kläger vor dem 1. Januar 1999 zuletzt mit
Bescheiden des Beklagten vom 19. Juni und 11. August 1998 für die Zeit ab 1. Juli 1998 neu berechnet worden sind,
handelt es sich um Dauerleistungen, eine für deren Höhe wesentliche Rechtsänderung hat sich zum 1. Januar 1999
jedoch nur für die Schwerstbeschädigtenzulage, hingegen nicht für die Ausgleichsrente des Klägers ergeben.
Als Rechtsgrundlage für die Absenkung der vom Kläger im streitbefangenen Zeitraum ua bezogenen Leistungen der
Schwerstbeschädigtenzulage und der Ausgleichsrente kommt § 84a BVG iVm Anl 1 Kap VIII Sachgebiet K Abschn III
Nr 1 Buchst a Einigungsvertrag (EinigVtr) in Betracht. Nach § 84a Satz 1 BVG erhalten Berechtigte, die am 18. Mai
1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Art 3 EinigVtr genannten Gebiet hatten, vom Zeitpunkt
der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, frühestens vom 1. Januar 1991 an, Versorgung nach
dem BVG mit den für dieses Gebiet nach dem EinigVtr geltenden Maßgaben, auch wenn sie ihren Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet verlegen, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat. Gemäß der
vorgenannten Maßgabe des EinigVtr sind ua die in § 31 Abs 5 (für die Schwerstbeschädigtenzulage) und § 32 Abs 2
BVG (für die Ausgleichsrente) genannten Deutsche Mark-Beträge mit einem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der
sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrenten (vgl § 68 Abs 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch)
im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern ergibt. In Anwendung dieser Bestimmungen hat der Beklagte, was
zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Schwerstbeschädigtenzulage und die Ausgleichsrente des Klägers mit
Bescheiden vom 19. Juni und 11. August 1998 zunächst richtig berechnet.
An der maßgeblichen Rechtslage hat sich für die Zeit ab 1. Januar 1999 nicht etwa insoweit etwas geändert, als diese
Absenkungsregelung insgesamt verfassungswidrig geworden wäre (1). Allerdings ist dem § 84a BVG - im Nachgang
zu der Entscheidung des BVerfG vom 14. März 2000 (BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) - durch Gesetz
vom 6. Dezember 2000 (BGBl I 1676) ein Satz 3 angefügt worden, wonach Satz 1 dieser Vorschrift ab 1. Januar 1999
nicht mehr für Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG von Berechtigten nach § 1 BVG gilt. Nach
Auffassung des erkennenden Senats ist diese Vorschrift im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auch auf
Schwerstbeschädigtenzulagen anzuwenden (2). Eine derartige Möglichkeit besteht hingegen nicht bezüglich der
Ausgleichsrente für Pflegezulageempfänger (3).
1. Maßstab für eine verfassungsrechtliche Prüfung der Leistungshöhe des Klägers ist Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG).
Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dem Gesetzgeber ist damit allerdings nicht jede Differenzierung
verwehrt. Das GG ist aber verletzt, wenn bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von
Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen
keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen
könnten (vgl BVerfGE 100, 59, 90). Gemessen an diesen Kriterien lässt sich hier für den streitigen Zeitraum kein
allgemeiner Verstoß des § 84a Satz 1 BVG iVm dem EinigVtr gegen das GG feststellen.
Das BVerfG hat durch sein Urteil vom 14. März 2000 bereits entschieden, dass für die in § 84a BVG angeordnete, im
Vergleich zu Berechtigten im alten Bundesgebiet ungünstigere Behandlung von Versorgungsberechtigten in den neuen
Bundesländern am 1. Januar 1991 und in den folgenden Jahren angesichts der großen Lasten der Wiedervereinigung
für die öffentlichen Haushalte sowie der in Ost und West unterschiedlichen Lebensverhältnisse hinreichend gewichtige
Gründe vorgelegen haben. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen hat danach genügt, dass die
Ungleichbehandlung nicht auf Dauer angelegt gewesen ist, sondern im Gleichschritt mit einer erwarteten zügigen
Entwicklung der Standardrenten Ost in einem überschaubaren Zeitraum gleiche Lebensverhältnisse auch zu gleichen
Leistungsverhältnissen führen sollten. Da diese Entscheidung nach dem 30. Juni 1999 (also dem Ende des hier noch
streitigen Leistungszeitraumes) ergangen ist, gilt ihre Aussage in vollem Umfang auch für die Beurteilung des
vorliegenden Falles. Der Senat hat deshalb keine Veranlassung, insoweit von seiner bisherigen
verfassungsrechtlichen Wertung abzugehen (vgl Urteile vom 9. April 1997, BSGE 80, 176, 179 = SozR 3-3100 § 84a
Nr 2, und vom 10. August 1993, BSGE 73, 41 = SozR aaO Nr 1; Beschlüsse vom 18. August 1997 - 9 BV 17/97 -,
28. Mai 1997 - 9 BV 203/96 - und 12. Dezember 1995 - 9 BV 113/95 -).
Im Übrigen verstößt das in § 84a Satz 1 BVG iVm dem EinigVtr zum Ausdruck kommende Anpassungskonzept
insgesamt gesehen auch heute noch nicht gegen das GG (vgl auch Senatsurteil vom 12. Juni 2003 - B 9 V 5/02 R -,
zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Allerdings hat der erkennende Senat bereits darauf hingewiesen, dass
nach seiner Überzeugung ein unterschiedliches Leistungsniveau nur für eine Übergangszeit hinnehmbar ist. Im Urteil
vom 9. April 1997 (BSGE 80, 176, 178 f = SozR 3-3100 § 84a Nr 2 S 10) hat er dazu ausgeführt, ein längstmöglicher
Übergangszeitraum wäre jedenfalls weit länger als die seit dem 1. Januar 1991 - dh seit Einführung des BVG in den
neuen Bundesländern - vergangene Zeit (damals mithin sechs Jahre); dabei ist allerdings keine feste zeitliche Grenze
bezeichnet worden. Solange das Angleichungsziel, also die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im vereinten
Deutschland, nachhaltig und effektiv verfolgt wird, sieht der Senat ein an den - noch - unterschiedlichen
Lebensverhältnissen ausgerichtetes, differenziertes Leistungsniveau als gerechtfertigt an. Als Beleg für das
anhaltende Verfolgen dieser Aufgabe kann - auch weiterhin - die Relation der verfügbaren Standardrenten in Ost und
West dienen. Während die Standardrente Ost von 1991 bis zum 1. Juli 1997 von 46,37 vH der Standardrente West auf
85,21 vH gestiegen ist, sind in den Folgejahren allerdings nur noch Zuwächse auf 85,84 vH, 86,71 vH, 87,06 vH,
87,78 vH und - nach der Rentenverordnung 2003 vom 4. Juni 2003 (BGBl I 784) - bis zum 1. Juli 2003 auf 87,91 vH
zu verzeichnen. Nach dieser Entwicklung lässt sich zwar nicht absehen, wann Kriegsopfer in den neuen und alten
Ländern gleich hohe Leistungen erhalten werden. Dementsprechend wird die mit § 84a BVG an sich auf Zeit
vorgesehene Ungleichbehandlung praktisch zu einer Ungleichbehandlung auf Dauer. Diese Auswirkung der
gesetzlichen Regelung begegnet indessen gegenwärtig noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen
Bedenken. Denn das Anpassungskonzept wird weiter nachhaltig verfolgt (vgl den "Solidarpakt II"), auch wenn es
derzeit wegen großer allgemeiner Wirtschafts- und Finanzprobleme nur eingeschränkt wirksam ist. Noch lässt sich
jedenfalls nicht davon sprechen, der Angleichungsprozess sei endgültig zum Erliegen gekommen, es habe sich mithin
für die neuen Länder (oder große Teile davon) ein im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet niedrigeres
Einkommensniveau auf Dauer etabliert.
Wie das BMGS im Verfahren B 9 V 2/02 R zudem überzeugend ausgeführt hat, findet die Aufrechterhaltung der in §
84a BVG enthaltenen Absenkungsregelung einen Grund auch darin, dass allein mit dieser Vorschrift der bewährte
Anpassungsverbund mit den Sozialrenten auch auf das Beitrittsgebiet übertragen wird. Entsprechend der Funktion
von Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts, einen Ausgleich von schädigungsbedingten wirtschaftlichen
Nachteilen zu bewirken, orientieren sich die Rentenleistungen in ihrer Höhe am jeweiligen sozialen Umfeld, mithin
daran, inwieweit der Beschädigte in seiner Einkommenssituation schlechter dasteht als die Sozialrentner sowie die
Lohn- und Einkommensempfänger in seiner unmittelbaren Umgebung. Damit werden soziale Verwerfungen zwischen
letzteren und Versorgungsberechtigten vermieden. Anders herum liegt es auf der Hand, dass eine Aufgabe der
Absenkungsregelung in § 84a BVG nicht ohne präjudizielle Folgen insbesondere für die Sozialrenten bleiben könnte.
2. Soweit es die Schwerstbeschädigtenzulage des Klägers betrifft, ist in den nach § 48 Abs 1 SGB X maßgeblichen
Verhältnissen zum 1. Januar 1999 eine wesentliche Änderung eingetreten. Von diesem Zeitpunkt an ist es mit dem
GG unvereinbar geworden, weiterhin eine Absenkung der Leistungshöhe nach Maßgabe des § 84a Satz 1 BVG iVm
dem EinigVtr vorzunehmen. Der Senat sieht es deshalb als geboten an, die Anwendung des § 84a Satz 3 BVG, der
seinem Wortlaut nach nur eine Absenkung von Beschädigtengrundrenten ab 1. Januar 1999 ausschließt, auch auf
Schwerstbeschädigtenzulagen zu erstrecken.
a) Wie das BSG bereits entschieden hat, handelt es sich bei der Schwerstbeschädigtenzulage allerdings um einen
Versorgungsanspruch eigener Art, der nicht mit dem Anspruch auf Beschädigtengrundrente identisch ist (Urteil vom
10. Juni 1976, SozR 3100 § 65 Nr 1 S 1, 3; vgl auch Feist, VersorgB 1961, 29 f; Hiersemann, VersorgB 1961, 133 f).
Damit kann diese Leistung nicht ohne weiteres in die in § 84a Satz 3 BVG geregelte Ausnahme von der Absenkung
einbezogen werden. Von einem solchen Verständnis der Beschädigtengrundrente als Kernleistung ohne Einschluss
von Zulagen ist ganz offensichtlich auch das BVerfG in seinem Urteil vom 14. März 2000 ausgegangen, auf dem die
gesetzliche Neuregelung fußt; es bezieht sich in seinen eingehenden Ausführungen jeweils ausdrücklich auf die
Beschädigtengrundrente unter Nennung der gesetzlichen Grundlage in § 31 Abs 1 Satz 1 BVG, ohne auf die in Abs 1
Satz 2 und Abs 5 dieser Vorschrift vorgesehenen Zulagen (Alterserhöhung, Schwerstbeschädigtenzulage)
einzugehen. Da beide Beschwerdeführer der dortigen Verfahren zwar Alterserhöhungen, jedoch keine
Schwerstbeschädigtenzulagen bezogen, lässt sich aus der Aussage des BVerfG, die Feststellung der Verletzung des
Art 3 Abs 1 GG durch die angegriffene Regelung des § 84a BVG sei auf die Grundrente des § 31 Abs 1 Satz 1 BVG
beschränkt und könne nicht auf andere Leistungen nach dem BVG erstreckt werden, nicht der Schluss ziehen, eine
Absenkung der Schwerstbeschädigtenzulage sei nach der Beurteilung des BVerfG auch in der Zeit ab 1. Januar 1999
von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich das BVerfG mit der
Anwendung des § 84a BVG auf diese - in den ihm vorliegenden Verfahren nicht betroffene - Leistung nicht befasst
hat. Mithin hindert es der Inhalt des Urteils des BVerfG vom 14. März 2000 nicht, eine Absenkung der
Schwerstbeschädigtenzulage vom 1. Januar 1999 an als mit dem GG unvereinbar anzusehen.
b) Die Verfassungswidrigkeit einer Fortdauer der Absenkung von Schwerstbeschädigtenzulagen über den 31.
Dezember 1998 hinaus folgt daraus, dass die Funktion dieser Leistung mit derjenigen der Beschädigtengrundrente in
dem hier entscheidenden Punkt übereinstimmt.
aa) Nach Auffassung des BVerfG (BVerfGE 100, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) ist eine dauerhafte
Ungleichbehandlung der Bezieher von Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG in Ost und West
angesichts der Besonderheiten dieser Leistung (namentlich ihrer Genugtuungsfunktion) vor Art 3 Abs 1 GG nicht zu
rechtfertigen. Das BVerfG hat auf der Grundlage eingehender rechtssystematischer, gesetzesgeschichtlicher und
teleologischer Überlegungen erkannt, dass die angegriffene Regelung des § 84a BVG ab 1. Januar 1999 unter Verstoß
gegen das GG in das Recht auf Beschädigtengrundrente eingreift (vgl BVerfG SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 23 ff). Dabei
ist es davon ausgegangen, dass die Grundrente für Beschädigte nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG neben einer materiellen
auch eine besondere immaterielle Komponente hat (BVerfG aaO S 21 ff). Als Leistung eigener Art stellt sie eine
Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar und soll zudem diejenigen Mehraufwendungen
ausgleichen, die das Kriegsopfer in Folge der Schädigung im Vergleich zu einem gesunden Menschen hat. In der
Beschädigtengrundrente wird - neben dem Ausgleich von schädigungsbedingten Mehraufwendungen - eine Leistung
gesehen, welche die Allgemeinheit in Ansehung des von den Berechtigten erbrachten Opfers darbringt. Die
Bundesregierung hat verschiedentlich herausgestellt, dass die ideelle Funktion der Grundrente von deren materieller
Komponente nicht zu trennen sei. Dem entspricht es, dass Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend die
Kriegsbeschädigtengrundrente als von ihrem ideellen Gehalt mitgeprägt ansehen (vgl BVerfG aaO S 22 mwN).
Angesichts der vielfältigen materiellen Hilfen hat sich das ideelle Moment der Grundrente seit dem Inkrafttreten des
BVG am 1. Oktober 1950 eher verstärkt: Durch die kontinuierliche Erweiterung des Leistungskatalogs nach dem BVG
wird in zunehmendem Maße fast jeder schädigungsbedingte Mehraufwand abgedeckt, sodass er nicht mehr aus der
Grundrente zu begleichen ist; dadurch erhöht sich wiederum deren immaterieller Anteil (aaO S 22). Diese Beurteilung
hat auch das BMGS in seiner Stellungnahme vom 4. Dezember 2002 (im Verfahren B 9 V 2/02 R) erneut bestätigt.
Die Annahme einer grundsätzlich auf die Beschädigtengrundrente beschränkten "immateriellen Komponente" der
Versorgung entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl Senatsurteil vom 28.
Juli 1999, SozR 3-5910 § 76 Nr 3 S 7, und vom 10. August 1993, BSGE 73, 41, 44 f = SozR 3-3100 § 84a Nr 1 S 5,
jeweils mwN; vgl auch BSGE 59, 40; SozR 3-3100 § 11 Nr 6 S 14, 16; ebenso BVerwG vom 26. August 1964,
BVerwGE 19, 198). Darauf, welche Komponente, die materielle oder die ideelle, bei der Grundrente nun im
Vordergrund steht, kommt es bei der hier zu beurteilenden Frage nicht an. Jedenfalls hat das immaterielle Moment
eine wesentliche Bedeutung.
Da die ideelle Komponente der Beschädigtengrundrente wesentlich von der Vorstellung geprägt ist, es solle ein vom
Einzelnen im Militärdienst (oder unter anderen Kriegsumständen) für die staatliche Gemeinschaft erbrachtes
gesundheitliches Sonderopfer ausgeglichen werden, hat es das BVerfG folgerichtig im Hinblick auf das
Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG nicht als gerechtfertigt angesehen, diese Leistung einem Kriegsbeschädigten
aus den neuen Ländern auf Dauer in geringerem Umfang zugute kommen zu lassen, obgleich sein Opfer im gleichen
Krieg für den gleichen Staat erbracht wurde (aaO S 23). Damit ist die Gleichbehandlung der Sonderopfer allein auf
Grund der immateriellen Funktion der Entschädigung geboten, wie sie der Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1
Satz 1 BVG eigen ist.
bb) Die in der Rechtsprechung des BSG und im vorgenannten Urteil des BVerfG herausgearbeiteten Besonderheiten
der Beschädigtengrundrente, die für die Erklärung einer teilweisen Nichtigkeit des § 84a BVG für die Zeit ab 1. Januar
1999 rechtserheblich waren, sind auch bei der - funktionsverwandten - Schwerstbeschädigtenzulage festzustellen.
Schwerstbeschädigtenzulage erhalten nach § 31 Abs 5 BVG erwerbsunfähige Beschädigte, die durch die anerkannten
Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind. Sie wird monatlich nach im Gesetz genannten
Stufen gewährt. Es handelt sich - wie gezeigt - um eine selbstständige Leistung, die zwar neben der
Beschädigtengrundrente gezahlt wird, aber nicht Bestandteil dieser Grundrente ist. Wie die Beschädigtengrundrente
wird die Schwerstbeschädigtenzulage als Ausgleich für die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und zum
Ersatz von Mehraufwendungen gewährt (BSG, Urteil vom 10. Juni 1976, SozR 3100 § 65 Nr 1 S 1, 2 ff). Das Wesen
der Schwerstbeschädigtenzulage besteht entscheidend darin, "materiell nicht zu vertretende Ungleichheiten in der
Versorgung zu vermeiden, die dadurch entstehen, dass bei mehreren schweren Schädigungsfolgen und einer sich
daraus im Additionswege ergebenden weit über 100 vH hinausgehenden MdE doch nur die der MdE um 100 vH
entsprechende Grundrente zu zahlen ist" (aaO S 2 ff). Indem sie dem Wortlaut und der Zielstellung nach ausdrücklich
an die gesundheitliche Beeinträchtigung anknüpft, ist die Schwerstbeschädigtenzulage unmittelbar mit der
"immateriellen Komponente" der Entschädigung verwoben; dass sie in minderer Weise als die
Beschädigtengrundrente von dieser Komponente getragen wäre, ist nicht ersichtlich.
Die Funktionsverwandtschaft von Beschädigtengrundrente und Schwerstbeschädigtenzulage zeigt sich daran, dass
beide Leistungen gleichermaßen der Entschädigung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung dienen; der Unterschied
zwischen den bzw die Eigenständigkeit der Leistungen liegt allein darin, dass die Beschädigtengrundrente
entsprechend dem Vomhundert-Maßstab an die Obergrenze der Erwerbsunfähigkeit mit 100 vH gebunden ist, die zu
überschreiten für die Schwerstbeschädigtenzulage gerade kennzeichnend ist. Der Gedanke, dass die
Beschädigtengrundrente bei einer außergewöhnlichen gesundheitlichen Betroffenheit gleichsam "zu erhöhen" ist,
findet sich in der Rechtsprechung des BSG ebenso (vgl Urteil vom 29. April 1999, SozR 3-3300 § 34 Nr 1 S 1, 4) wie
der einer funktionellen Gleichstellung der beiden genannten Leistungen (so im Senatsurteil vom 11. Dezember 1992,
SozR 3-3100 § 35 Nr 4). Diese Gleichstellung wird im BVG konsequent umgesetzt, indem beide Leistungen nicht als
Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge berücksichtigt werden (§ 25d Abs 1 Satz 2 BVG);
sie wird auch in der Literatur gesehen (vgl Feist und Hiersemann aaO; Gelhausen, SozEntschR, 2. Aufl, RdNr 320).
Ebenso liegt sie der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs 5 BVG zu Grunde (BGBl I 1970, 410). Diese knüpft in
§ 2 Abs 1 Satz 2 ausschließlich an die medizinische MdE iS des § 30 Abs 1 BVG an; auch § 4 der Verordnung zeigt,
dass besondere wirtschaftliche Mehraufwendungen für die Begründung des Anspruchs auf
Schwerstbeschädigtenzulage (hier bei ihrer Zuerkennung wegen Anspruchs auf Pflegezulage) unberücksichtigt bleiben
sollen. Damit verdeutlicht die genannte Verordnung den engen Zusammenhang mit der gesundheitlichen
Beeinträchtigung, deren unter immateriellen Gesichtspunkten erfolgende Kompensation durch die
Schwerstbeschädigtenzulage - wie schon durch die Beschädigtengrundrente - jedenfalls neben dem wirtschaftlichen
Ausgleich des Mehraufwandes steht.
Auch in der Rechtsordnung im Übrigen finden sich Zeugnisse für die übereinstimmende Zielrichtung von
Schwerstbeschädigtenzulage und Beschädigtengrundrente. § 194 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch -
Arbeitsförderung - bestimmt hinsichtlich des zu berücksichtigenden Einkommens im Rahmen der Arbeitslosenhilfe,
dass die Grundrente und die Schwerstbeschädigtenzulage nach dem BVG nicht als Einkommen gelten (Nr 6 aaO);
dabei wird der Gleichlauf beider Leistungen nicht auf deren materielle Ausgleichsfunktion gestützt, denn bereits nach
Nr 1 aaO gelten Leistungen, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften erbracht werden, um einen
Mehrbedarf zu decken, der durch einen Gesundheitsschaden oder Pflegebedürftigkeit verursacht ist, nicht als
Einkommen. Eine entsprechende Regelung enthalten § 21 Abs 4 Nr 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz und § 23
Abs 2 Satz 3 Bremisches Abgeordnetengesetz. Dass § 76 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auf die Grundrente
nach dem BVG beschränkt ist und nicht auch die Schwerstbeschädigtenzulage in jene Leistungen eingeordnet hat,
die vom Begriff des Einkommens im Sinne des BSHG ausgenommen werden (zur Funktion des § 76 BSHG vgl
Senatsurteil vom 28. Juli 1999, SozR 3-5910 § 76 Nr 3), steht nicht entgegen, weil es der Einbeziehung der
Schwerstbeschädigtenzulage in diese Regelung nicht bedurfte, da Bezieher von Schwerstbeschädigtenzulage ggf
Anspruch auf Kriegsopferfürsorge haben (vgl § 25a Abs 2 Satz 3 Nr 1 BVG).
cc) Im Hinblick auf die funktionelle Übereinstimmung von Beschädigtengrundrente und Schwerstbeschädigtenzulage
erfasst die nach der Erkenntnis des BVerfG verbotene Diskriminierung der hiervon betroffenen Kriegsopfer im
Beitrittsgebiet auch - und wegen ihrer spezifischen Betroffenheit: erst recht - jene Bezieher von
Beschädigtengrundrente, die als besonders schwer Beschädigte zusätzlich die Schwerstbeschädigtenzulage erhalten.
Dagegen lässt sich nicht schon einwenden, eine Ungleichbehandlung der beiden von der "immateriellen Komponente"
geprägten Versorgungsleistungen für Berechtigte in den alten und in den neuen Bundesländern sei sachlich
gerechtfertigt, weil einer weiteren Erhöhung oder gar vollständigen Anpassung aller Versorgungsleistungen Gründe der
Haushaltsstabilität und der Wahrung des inneren sozialen Friedens entgegenstünden. Abgesehen davon, dass dieses
Argument der Sache und der Masse nach vor allem gegen die Entscheidung des BVerfG selbst gelten würde, hat sich
insbesondere das BMGS diese Begründung nicht zu Eigen gemacht. Eine nähere Quantifizierung der mit der
Senatsentscheidung verbundenen zusätzlichen Belastungen der Bundesrepublik Deutschland erübrigt sich, da es sich
offensichtlich nur um einen kleinen Teil der Versorgungsberechtigten handelt.
Ebenso wenig lässt sich dieser Beurteilung entgegenhalten, die Bezieher von Schwerstbeschädigtenzulage nähmen
bereits an der ab 1. Januar 1999 erfolgten Angleichung ihrer Beschädigtengrundrente an das Westniveau teil, ihnen
sei daher eine Fortdauer der Absenkung der Schwerstbeschädigtenzulage eher zuzumuten. Eine derartige
Zurücksetzung der am schwersten betroffenen Kriegsbeschädigten erscheint gerade im Vergleich mit Personen, die
Grundrente nach einer relativ geringen MdE beziehen, nicht als gerechtfertigt. Wenn der Gesetzgeber aus
Kostengründen eine Stufenlösung hätte vorsehen wollen, hätte er bei sachgerechter Berücksichtigung der
Gegebenheiten mit den Schwerstbeschädigtenzulagebeziehern beginnen müssen.
c) Angesichts dieser verfassungsrechtlichen Bewertung ist der Senat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, §
84a Satz 3 BVG in verfassungskonformer Weise auszulegen und zu ergänzen. Eine Vorlage an das BVerfG gemäß
Art 100 Abs 1 GG ist nicht zulässig, solange das Gericht diese Möglichkeit sieht (vgl nur BVerfGE 87, 114, 133;
stRspr). Damit verletzt der Senat auch nicht die der verfassungskonformen Auslegung gesetzten Grenzen: Die
gefundene Lösung tritt nicht in Widerspruch zu Wortlaut und klar erkennbarem Willen des Gesetzgebers (vgl BVerfGE
95, 64, 93, stRspr); sie verleiht darüber hinaus nicht einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz einen
entgegengesetzten Sinn oder bestimmt etwa dessen normativen Gehalt grundlegend neu (vgl BVerfGE 90, 263, 276;
stRspr). Das Gegenteil ist richtig, denn die gefundene Auslegung vollendet das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel,
den Ausspruch des BVerfG normativ umzusetzen (vgl zur richterrechtlichen Ausfüllung einer Gesetzeslücke die
Senatsurteile vom 16. April 2002, BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 (Inzest) S 91, 95 f mwN, und vom 6.
März 1996, BSGE 78, 51, 56 ff = SozR 3-3800 § 10 Nr 1 S 1, 7 ff). Der Gesetzgeber hat sich bei der Fassung des §
84a Satz 3 BVG zu eng an der vom BVerfG behandelten Fallgestaltung orientiert und daher eine Ausnahme von der
Absenkung nur für Beschädigtengrundrente vorgesehen. Damit hat er die ganze Tragweite der Entscheidung des
BVerfG verkannt und dementsprechend in der getroffenen Regelung eine Lücke gelassen, soweit es die der Funktion
nach eng mit der Beschädigtengrundrente verknüpfte Schwerstbeschädigtenzulage betrifft. Diese hätte nach den vom
BVerfG aufgestellten Grundsätzen von Verfassungs wegen ebenfalls in die Ausnahmebestimmung des § 84a Satz 3
BVG einbezogen werden müssen. Insofern widerspricht die Nichterfassung der Schwerstbeschädigtenzulage dem der
Vorschrift zu Grunde liegenden Plan einer Beseitigung der Absenkung von "immaterieller Entschädigung", welcher
auch und gerade in den Fällen besonders schwerer Kriegsverletzungen Geltung beansprucht. Folgerichtig ist die
vorhandene Gesetzeslücke dadurch zu schließen, dass die Schwerstbeschädigtenzulage ebenso wie die ausdrücklich
benannte Beschädigtengrundrente ab 1. Januar 1999 von der Absenkung ausgespart bleibt.
Im Hinblick auf diese Rechtsänderung kann der Kläger - in Abänderung der mit Bescheiden des Beklagten vom 19.
Juni und 11. August 1998 erfolgten Berechnung - von dem genannten Zeitpunkt an die Zahlung seiner
Schwerstbeschädigtenzulage ohne Anwendung der Absenkungsregelung des § 84a Satz 1 BVG iVm dem EinigVtr,
also entsprechend höhere Leistungen, beanspruchen.
3. Eine derartige lückenfüllende Auslegung des § 84a Satz 3 BVG hält der erkennende Senat bezüglich der
Ausgleichsrente des Klägers nicht für zulässig.
Da diese Leistung zur Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhalts zu dienen bestimmt ist (vgl wiederum
Senatsurteil vom 28. Juli 1999, SozR 3-5910 § 76 Nr 3 S 7; statt vieler: Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit
Verfahrensrecht, § 32 Anm 1), fehlt ihr mit der ideellen Entschädigungsfunktion grundsätzlich der vom BVerfG
herausgestellte Anknüpfungspunkt dafür, von der Absenkung nach § 84a BVG ausgenommen zu werden. Soweit die
Revision meint, die Ausgleichsrente für Pflegezulageempfänger (vgl § 32 iVm § 33 Abs 4 BVG) besitze einen
"besonderen Stellenwert" und sei für diesen Beschädigtenkreis nicht unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit
zu betrachten, ist dem entgegen zu halten, dass sich die damit angesprochene immaterielle Komponente nicht mit der
bei der Beschädigtengrundrente und Schwerstbeschädigtenzulage relevanten deckt. Es trifft zu, dass
Pflegezulageempfänger (vgl zum Personenkreis § 35 BVG) im Falle der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in
besonders hohem Maße belastet sind. Eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit können sie regelmäßig nur unter
Aufwendung außergewöhnlicher Tatkraft ausüben und erfahren insoweit eine gesetzliche Sonderregelung: Nach § 33
Abs 4 BVG erhalten Beschädigte als Empfänger einer Pflegezulage von mindestens Stufe III - wie der Kläger - die
volle Ausgleichsrente; dies besagt zunächst nur, dass dieser Personenkreis insoweit von der
Einkommensanrechnung freigestellt ist. Das durch außergewöhnliche Tatkraft erreichte Einkommen soll nicht zur
Kürzung der Ausgleichsrente führen. Diese Begünstigung ("Unantastbarkeit") für den betroffenen Personenkreis ändert
jedoch an der Grundlage der Ausgleichsrente nichts, der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts für
Beschädigte zu dienen (vgl Förster in Wilke, SozEntschR, 7. Aufl, § 33 RdNr 8a). Die Annahme einer ideellen
Funktion etwa in dem Sinne, für diesen Personenkreis trete eine Art von "Bonus" wegen verstärkter Anstrengungen
zum materiellen (wirtschaftlichen) Ausgleich hinzu, knüpft damit an gegenwärtige Belastungen an, nicht jedoch an das
in der Vergangenheit erbrachte gesundheitliche Sonderopfer. Mit dieser Beurteilung der Ausgleichsrente stimmt auch
die Stellungnahme des BMGS (im Verfahren B 9 V 2/02 R) überein. Danach diene die Ausgleichsrente immer der
Sicherstellung eines angemessenen Lebensunterhalts, woran auch die Begünstigung des vorgenannten
Personenkreises mit einer pauschalen Unterstellung der Bedürftigkeit und einem Anrechnungsverzicht nichts ändere.
Ist mithin davon auszugehen, dass hinsichtlich der Ausgleichsrente keine für den Kläger günstige Rechtsänderung,
insbesondere kein Wegfall der Absenkungsregelung ab 1. Januar 1999, eingetreten ist, kann er insoweit für den
streitigen Zeitraum auch keine diesbezügliche Teilaufhebung der Bescheide vom 19. Juni und 11. August 1998
beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.