Urteil des BSG vom 17.12.2009

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 13/08 R
Krankenversicherung - kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die
Krankenkasse bei Abgabe von Arzneimitteln und einer Erhöhung der verordneten
Menge ohne Bestätigung der Änderung durch den Vertragsarzt auf dem Kassenrezept
mit Unterschrift und Datum - öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der
Krankenkasse bei Pflichtverletzung eines Apothekers durch Verstoß gegen
landesvertragliche Abgabebestimmungen - Ausscheiden eines
Schadensersatzanspruches - Anwendung der Form- und Fristvorschriften des
Arzneiliefervertrages beim Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen einen
Apotheker wegen einer zu Unrecht gezahlten Vergütung
Leitsätze
1. Schreibt der Arzneiliefervertrag eines Landes für den Fall der Erhöhung der verordneten
Menge eines Arzneimittels vor, dass der Vertragsarzt die Änderung auf dem Kassenrezept mit
Unterschrift und Datum zu bestätigen hat, erwirbt ein Apotheker keinen Vergütungsanspruch
gegen die Krankenkasse, wenn er das Arzneimittel ohne diese Bestätigung an den
Versicherten abgibt. Auch ein Teil-Vergütungsanspruch hinsichtlich der ursprünglich
verordneten Menge ist ausgeschlossen.
2. Besteht die Pflichtverletzung eines Apothekers allein in einem Verstoß gegen
landesvertragliche Abgabebestimmungen, steht der Krankenkasse wegen der zu Unrecht
gezahlten Vergütung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Ein
Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten scheidet in
solchen Fällen aus.
3. Der Erstattungsanspruch einer Krankenkasse gegen einen Apotheker wegen einer zu
Unrecht gezahlten Vergütung unterliegt den Form- und Fristvorschriften des
Arzneiliefervertrages unabhängig davon, ob er durch Verrechnung im monatlichen
Abrechnungsverfahren oder im Klagewege realisiert werden soll.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Rückzahlung der Vergütung von Arzneimitteln, die aufgrund
vertragsärztlicher Verordnungen abgegeben wurden.
2 Der Beklagte ist Inhaber der G.-Apotheke in H. und Mitglied des Landesapothekerverbandes
Niedersachsen. Der bei der klagenden Krankenkasse versicherte Patient S. suchte die Praxis
des in Hannover als Vertragsarzt niedergelassenen Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G.
erstmals am 14.10.1999 auf und legte dort ein gefälschtes Arztschreiben vor, wonach unter
dem Briefkopf der Abteilung Immunologie des Universitätsklinikums C. in B. eine Internistin
Dr. W. mitteilte, dass der Versicherte S. seit 1990 als HIV-positiv eingestuft sei und zu seiner
Behandlung das Medikament Intron A Pen mit 30 Millionen Einheiten (Intron A) eingesetzt
werde. Tatsächlich war eine Internistin mit Namen Dr. W. dort nicht bekannt. Dr. G. stellte
daraufhin eine vertragsärztliche Verordnung mit dem Inhalt "Intron A Pen 30 Mio ILO 8 ST N2"
aus, ohne den Versicherten S. vorher zu untersuchen. Die Medikamentenverordnung war in
Maschinenschrift ausgestellt, mit dem Praxisstempel versehen und von dem Arzt
handschriftlich mit seinem Namen unterzeichnet. Der Mittäter des Versicherten S., H., fügte
danach vor die maschinenschriftliche Bezeichnung des Medikamentes den handschriftlichen
Zusatz "4x" ein. Die so veränderte Verordnung legte der Mittäter H. in der Apotheke des
Beklagten vor und erhielt das Medikament im Umfang der Verfälschung, also der vierfachen
Menge. Dafür berechnete der Beklagte der Klägerin eine Summe von 24.514,92 DM. Der
Vorgang wiederholte sich in zweiwöchigem Abstand bis Mitte April 2000 insgesamt 14 Mal,
wobei die Verordnung vom 17.2.2000 vom Arzt vollständig handschriftlich ausgestellt wurde.
Eine weitere Verordnung vom 14.12.1999 wurde unverändert in der Apotheke des Beklagten
vorgelegt und von der Klägerin mit 6.128,73 DM vergütet. Insgesamt zahlte die Klägerin dem
Beklagten auf diese Weise einen Betrag von 349.337,61 DM, nämlich 14 x 24.514,92 DM
sowie 1 x 6.128,73 DM. S. und H. veräußerten die vom Beklagten bezogenen Arzneimittel an
die P. GmbH & Co KG, einen Pharmagroßhändler, von welchem der Beklagte zuvor die
Arzneimittel selbst bezogen hatte. Der Versicherte S. war zwar HIV-Patient, benötigte das
Medikament Intron A aber nicht, weil er von seinem Hausarzt Dr. K. mit einer dreifachen
Kombinationstherapie aus anderen Medikamenten behandelt wurde. S. und H. wurden am
3.6.2003 vom Landgericht Hannover zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Betruges und
Urkundenfälschung verurteilt.
3 Mit Schreiben vom 13.3.2001 forderte die Klägerin den Beklagten zur Rückzahlung von
349.337,61 DM bzw 178.613,48 Euro auf, weil er seine Prüfpflichten als Apotheker verletzt
habe. Der Beklagte erwiderte in einem Schreiben vom 21.3.2001, dass er die Forderung nicht
anerkenne; die Verfälschung der 14 Verordnungen sei nicht erkennbar gewesen. Daraufhin
hat die Klägerin am 12.7.2001 Klage erhoben. Sowohl die handschriftliche Einfügung der
Anzahl der Packungen, die nicht gesondert abgezeichnet gewesen sei, als auch die auffällige
Höhe der Dosierung des sehr teuren und selten verschriebenen Medikaments Intron A hätte
Anlass zur Rücksprache mit dem Arzt geben müssen. Dies habe der Beklagte pflichtwidrig
unterlassen und damit gegen Bestimmungen des niedersächsischen Arznei-Liefervertrages
(ALV Nds) und der Apothekenbetriebsordnung verstoßen. Der Beklagte hat demgegenüber
geltend macht, sein Mitarbeiter Hi. habe bei der erstmaligen Vorlage einer solchen
Verordnung in der Praxis von Dr. G. telefonisch nachgefragt und dort die Auskunft erhalten,
dass es mit dem Rezept seine Richtigkeit habe. Außerdem könne es ihm auch nicht
angelastet werden, wenn in einer Großapotheke mit 40 Mitarbeitern einmal ein handschriftlich
geändertes Rezept "durchrutsche". Daher fehle es an einer fahrlässigen Pflichtverletzung.
4 Das Sozialgericht (SG) hat der Klage im Umfang von 131.609,94 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.7.2001 stattgegeben
und sie im Übrigen abgewiesen: Der Beklagte habe bei Einlösung der veränderten
Verordnungen gegen seine Pflichten aus dem ALV Nds verstoßen, indem er begründeten
Zweifeln an den vorgelegten Verordnungen nicht nachgegangen sei. Das Verschulden seiner
Mitarbeiter müsse er sich zurechnen lassen. Nach den Bestimmungen des ALV Nds sei ein
Kassenrezept bei Änderung der Zahl der verordneten Arzneimittel nur abrechnungsfähig,
wenn dies vom ausstellenden Arzt mit Unterschrift und Datum auf der Verordnung bestätigt
worden sei. Eine telefonische Nachfrage in der Praxis von Dr. G. reiche dafür nicht aus. Daher
habe über die entsprechende Behauptung des Beklagten kein Beweis erhoben werden
müssen. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Klägerin bestehe aber nur in dem
Umfang, in dem die vom Beklagten abgegebene Menge über die von Dr. G. tatsächlich
verordnete Menge hinausgehe; denn hinsichtlich jeweils einer Packung seien die
Verordnungen wirksam und abrechnungsfähig gewesen (Urteil vom 29.6.2005).
5 Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und ihn auf
die Anschlussberufung der Klägerin unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt,
weitere 47.003,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 12.7.2001 zu zahlen: Der Klägerin stehe ein Anspruch auf
Schadensersatz in Höhe von 178.613,48 Euro wegen der schuldhaften Verletzung
vertraglicher Nebenpflichten aus den geschlossenen Kaufverträgen zu. Der Beklagte habe die
im ALV Nds niedergelegte Pflicht schuldhaft verletzt, bei Änderungen und Ergänzungen der
vertragsärztlichen Verordnung auf die - hier fehlende - erneute Unterschrift des Arztes mit
Datum zu achten. Es sei bei den Rezepten des Dr. G. auf den ersten Blick erkennbar
gewesen, dass die handschriftliche gefertigte Mengenangabe "4x" jeweils zusätzlich
angebracht worden sei. Die Fristbestimmungen des ALV Nds für Berichtigungen und
Beanstandungen der Arzneimittelabrechnungen seien bei einem solchen
Schadensersatzanspruch nicht einschlägig. Ein Mitverschulden des Pharmagroßhändlers sei
im Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten nicht zu berücksichtigen. Der
vom Beklagten verursachte Schaden umfasse die gezahlte Vergütung für die gesamte Menge
Intron A, die aufgrund der 15 Verordnungen abgegeben worden sei. Bei pflichtgemäßem
Verhalten des Beklagten wäre der Rezeptbetrug schon bei der Einlösung der ersten
Verordnung vom 14.10.1999 entdeckt worden. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, Dr. G.
auf die Verfälschung der Verordnung aufmerksam zu machen, wodurch die Ausstellung aller
weiteren 14 Verordnungen verhindert worden wäre. Die Behauptung des Beklagten, er habe
die Klägerin am 9.5.2000 schriftlich auf den Sachverhalt hingewiesen, sei unerheblich, weil
der Schaden zu diesem Zeitpunkt schon entstanden sei (Urteil vom 12.9.2007).
6 Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung des
§ 129 SGB V sowie der Bestimmungen des ALV Nds und des Rahmenvertrages über die
Arzneimittelversorgung. Neben den landesvertraglichen Beanstandungsmöglichkeiten und
den rahmenvertraglich erlaubten Sanktionsmechanismen bestehe kein Raum für einen
Schadensersatzanspruch. Der allein denkbare öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch sei
unbegründet. Zum einen habe die Praxis von Dr. G. auf telefonische Nachfrage die
Ordnungsgemäßheit der Rezepte vom 14. und 28.10.1999 und insbesondere die jeweils
angegebene Packungsmenge bestätigt. Das LSG habe insoweit seine Pflicht zur
Amtsermittlung verletzt (§ 103 SGG), weil es weder seinen Mitarbeiter Hi. noch Dr. G. zu der
entsprechenden Behauptung als Zeugen vernommen habe. Zum anderen habe die Klägerin
auf seinen Einspruch vom 21.3.2001 hin nicht rechtzeitig reagiert und die Zahlungsklage erst
nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 10 Abs 3 ALV Nds erhoben, sodass der Einspruch
gegen die Beanstandung als anerkannt gelte. Im Übrigen treffe sowohl die Klägerin wegen
ihrer nachlässigen Rezeptprüfungen als auch Dr. G., der die Verordnungen ohne
Untersuchung des Versicherten S. ausgestellt habe, ein erhebliches Mitverschulden. Zudem
habe die Klägerin Schadensersatzansprüche gegen die Großhandelsfirma P. nicht weiter
verfolgt, die den Betrug über die rechtswidrige Praxis, solche Arzneimittel auf dem "grauen
Markt" anzukaufen, letztlich erst ermöglicht haben. Zur Realisierung zivilgerichtlich titulierter
Ansprüche gegen S. und H. habe die Klägerin keine Angaben gemacht.
7 Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.9.2007 und des SG Hannover vom
29.6.2005 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
8 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Zahlungsanspruch nicht zu, sodass die Klage in vollem Umfang abzuweisen war.
Hinsichtlich der Einlösung der nicht veränderten Verordnung vom 14.12.1999 fehlt es bereits
an einem Erstattungsanspruch. Bezüglich der 14 veränderten Verordnungen ist zwar ein
Erstattungsanspruch entstanden. Dieser ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil der
Einspruch des Beklagten wegen der verspäteten Erhebung der Klage als anerkannt gilt.
10 1) Bei der Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren der Klägerin ist zu unterscheiden
zwischen jenen Medikamentenabgaben des Beklagten an den Versicherten S. (mit dessen
Mittäter H. als Empfangsbevollmächtigten), die von der Klägerin noch im Jahre 1999 vergütet
worden sind, und jenen Medikamentenabgaben, die sie im Jahre 2000 bezahlt hat. Soweit
diese Zahlungen ganz oder teilweise zu Unrecht erfolgt sind, ist unmittelbar mit der Erfüllung
der vermeintlichen Vergütungsverpflichtung ein Rückzahlungsanspruch entstanden, dessen
Rechtsnatur durch den Charakter der zugrunde liegenden Leistungsbeziehung bestimmt
wird (BGHZ 103, 255, 258). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) waren die leistungserbringerrechtlichen Beziehungen zwischen den Krankenkassen
und den Apotheken sowie den anderen nichtärztlichen Leistungserbringern bis zum
31.12.1999 dem Zivilrecht zuzuordnen. Im Gegensatz dazu waren das Vertragsarztrecht und
das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser seit jeher öffentlich-rechtlich geprägt (BSGE
86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 89, 24 = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BSG SozR 4-
2500 § 69 Nr 1 RdNr 17, 18; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 1 RdNr 12). Seit der Neufassung
des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (GKV-GRG 2000) vom
22.12.1999 (BGBl I 2626) zum 1.1.2000 sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu
sämtlichen Leistungserbringern, also den Krankenhäusern, Vertragsärzten, Apotheken und
allen sonstigen nichtärztlichen Leistungserbringern, ausschließlich
sozialversicherungsrechtlicher Natur und damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen (BT-
Drucks 14/1245 S 67 f; BSGE 89, 24, 30 f = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 69
Nr 1 RdNr 14, 17, 18) . Dementsprechend sind Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen
gegen Apotheker aus rechtsgrundlos erfolgten Vergütungszahlungen als zivilrechtliche
Bereicherungsansprüche nach § 812 Abs 1 Satz 1 BGB einzustufen, soweit die Zahlungen
bis zum 31.12.1999 erfolgt sind. Für alle danach erbrachten rechtsgrundlosen
Vergütungszahlungen ist der aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts
hergeleitete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch einschlägig, der sich in weitgehender
Analogie zu den §§ 812 ff BGB entwickelt hat (BSGE 93, 137, 140 f = SozR 4-2500 § 137c
Nr 2 RdNr 9 f; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1). Dies erlaubt es, im Folgenden
von den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen her zwischen beiden Formen der
Rückzahlungsansprüche nicht weiter zu differenzieren, weil sich - jedenfalls im vorliegenden
Fall - insoweit keine Unterschiede ergeben.
11 Die Klägerin hat die Vergütungszahlungen an den Beklagten im Rahmen einer bis zum
31.12.1999 zivilrechtlich und danach öffentlich-rechtlich geprägten Leistungsbeziehung
erbracht. Die Zahlungen erfolgten im Umfang von 343.208,88 DM ohne Rechtsgrund, weil
die 14 verfälschten vertragsärztlichen Verordnungen insgesamt, also nicht nur hinsichtlich
der durch die Verfälschung erhöhten Zahl der Packungen, nicht abrechnungsfähig waren. Im
Umfang von 6.128,73 DM erfolgte die Zahlung mit Rechtsgrund, weil die
Medikamentenabgabe auf das nicht verfälschte Kassenrezept vom 14.12.1999 rechtmäßig
und daher zu vergüten war. Der somit von vornherein auf 343.208,88 DM beschränkte
zivilrechtliche Bereicherungsanspruch (für Zahlungen bis 31.12.1999) bzw öffentlich-
rechtliche Erstattungsanspruch (für Zahlungen ab 1.1.2000) ist jedoch nachträglich entfallen,
weil die Klägerin eine landesvertragliche Ausschlussfrist für dessen Geltendmachung
versäumt hat.
12 2) Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Apothekers gegen eine Krankenkasse
wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Arzneimittels an einen ihrer
Versicherten ist § 129 SGB V iVm den zu dieser Vorschrift bestehenden ergänzenden
Vereinbarungen, nämlich der - auf Bundesebene geltende - Rahmenvertrag nach § 129 Abs
2 SGB V sowie dem jeweiligen Landesvertrag nach § 129 Abs 5 Satz 1 SGB V.
13 a) Der Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Vergütung der hier streitigen 15
Arzneimittelabgaben bestimmte sich demgemäß nach § 129 SGB V iVm dem nach § 129
Abs 2 SGB V zwischen den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem
Deutschen Apothekerverband abgeschlossenen Rahmenvertrag über die
Arzneimittelversorgung vom 10.3.1993 (Rahmenvertrag 1993) sowie dem nach § 129 Abs 5
Satz 1 SGB V zwischen den niedersächsischen Landesverbänden der Krankenkassen und
dem Landesapothekerverband Niedersachsen eV für das Land Niedersachsen
abgeschlossenen Arznei-Liefervertrag (ALV Nds) des Jahres 1996, der zum 1.1.1997 in Kraft
getreten ist (§ 13 Abs 1 ALV Nds) und durch die im September 2000 erfolgte "Anpassung zur
Währungsumstellung in Euro" hinsichtlich der hier interessierenden Bestimmungen inhaltlich
unverändert geblieben ist. Der Beklagte ist als Mitglied des Landesapothekerverbandes
Niedersachsen nach § 2 Abs 2 Satz 1 ALV Nds , die Klägerin als vertragsschließende
Krankenkasse nach § 2 Abs 1 ALV Nds an diesen Landesvertrag gebunden.
14 Diese Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen eine
Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Medikaments an einen
Versicherten der GKV gilt sowohl für die Zeit der zivilrechtlichen Prägung der
Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apotheken bis zum 31.12.1999 (so
bereits BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 6 f) als auch für die Zeit der
öffentlich-rechtlichen Natur dieser Rechtsbeziehungen ab 1.1.2000. Eine Differenzierung
hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen ist daher trotz des Wandels der Rechtsnatur der
Verträge (vgl oben unter 1) nicht notwendig.
15 b) Dass ein solcher Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen eine Krankenkasse auf
einer vertraglich ausgestalteten Grundlage beruht, ist seit jeher anerkannt und unstrittig
(BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 6 f; Schneider in jurisPK, SGB V,
1.8.2007, § 129 RdNr 22) . Der erkennende Senat hatte allerdings in seiner bisherigen
Rechtsprechung für die Zeit ab 1.1.2000 als Rechtsgrundlage für den nunmehr öffentlich-
rechtlichen Vergütungsanspruch des Apothekers nicht § 129 SGB V iVm den Verträgen nach
§ 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V herangezogen, sondern einen für jeden einzelnen Fall
der Medikamentenabgabe auf Kassenrezept zu schließenden öffentlich-rechtlichen
Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkasse angenommen. Rechtsgrundlage war
damit § 69 SGB V iVm § 433 Abs 2 BGB, wobei sich die Verweisung auf die entsprechende
Anwendung der Vorschriften des BGB zunächst in § 69 Satz 2 SGB V in der Fassung des
GKV-GRG 2000, ab 1.4.2007 in § 69 Satz 3 SGB V in der Fassung des GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378) und ab 18.12.2008
in § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 15.12.2008 (BGBl I 2426)
findet. Der Senat hatte weiter angenommen, der Vertragsarzt fungiere aufgrund der ihm
durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkasse und
gebe durch die Verordnung eines Arzneimittels auf Kassenrezept ein Kaufvertragsangebot
der Krankenkasse ab, das der Versicherte durch Vorlage des Kassenrezepts dem Apotheker
übermittele und von diesem durch die Aushändigung des Arzneimittels an den Versicherten
annehme (vgl BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 2 RdNr 20, 21). An dieser rechtlichen
Konstruktion hält der erkennende Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest; der
Vergütungsanspruch des Apothekers hat seine Grundlage vielmehr unmittelbar im
öffentlichen Recht. Denn die Konstruktion über einen in jedem Einzelfall abzuschließenden,
den Versicherten begünstigenden öffentlich-rechtlichen Kaufvertrag zwischen Apotheker und
Krankenkasse ist entbehrlich, weil sich schon aus § 129 SGB V iVm den Verträgen nach §
129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V eine tragfähige Rechtsgrundlage ergibt, die bis zum
31.12.1999 auch stets herangezogen und durch das GKV-GRG nicht berührt worden ist. Das
regelmäßige Abstellen auf § 433 Abs 2 BGB widerspricht zudem der Regelung des § 69
SGB V, wonach Vorschriften des BGB nur "im Übrigen" entsprechend angewendet werden
dürfen, soweit also die Vorschriften des SGB V lückenhaft sind. Dies ist hier gerade nicht der
Fall.
16 c) Nach § 129 SGB V geben die Apotheken nach Maßgabe der ergänzenden
Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V, vgl
auch § 2 Abs 2 Satz 3 SGB V ) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der
GKV ab. § 129 SGB V begründet somit im Zusammenspiel mit den konkretisierenden
vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -
verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an
die Versicherten. Im Gegenzug erwerben die Apotheken einen vertraglich näher
ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen. Dies gilt
ungeachtet des Umstandes, dass § 129 SGB V nach seinem Wortlaut selbst keine Regelung
zur Zahlungspflicht der Krankenkassen aufweist. Die Vorschrift setzt die Vergütungspflicht
der Krankenkassen aber als selbstverständlich voraus. Auch aus § 130 Abs 3 Satz 1 SGB V,
wonach die Gewährung des Rabattabschlags voraussetzt, dass die Rechnung des
Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird,
ist nur indirekt zu entnehmen, dass ein solcher - durch die Rechnung zu konkretisierender -
Vergütungsanspruch besteht.
17 Rechtsnatur und Struktur des Vergütungsanspruchs der Apotheken folgen damit der in der
Gesetzesbegründung des GKV-GRG 2000 zur Neufassung des § 69 SGB V betonten
Einbindung der Apotheken in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der
Krankenkassen. Mit der Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel erfüllt die
Krankenkasse ihre im Verhältnis zum Versicherten bestehende Pflicht zur
Krankenbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 31 SGB V (BT-Drucks 14/1245 S 67
f; dazu näher BSG SozR 3-2500 § 69 Nr 1 S 9 f; Krauskopf in: Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Februar 2009, § 69 SGB V RdNr 2, 4).
Durch die allgemeinen vertraglichen Regelungen nach § 129 Abs 2 und Abs 5 Satz 1 SGB V
wird zudem nochmals betont, dass die vertragsärztliche Verordnung das zentrale Element
der Arzneimittelversorgung der Versicherten der GKV darstellt. Mit ihr konkretisiert der
Vertragsarzt das Rahmenrecht des Versicherten auf Arzneimittelversorgung als Sachleistung
für den vorliegenden Versicherungsfall. Sie dokumentiert, dass das Medikament als
Sachleistung der GKV (§ 2 Abs 2 SGB V) auf Kosten der Krankenkasse an den Versicherten
abgegeben wird. Als Pendant folgt daraus der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen
die Krankenkasse dem Grunde nach; er wird durch das Kassenrezept als für das
Abrechnungsverhältnis zwischen Apotheker und Krankenkasse maßgebliche Dokument
konkretisiert. Auch dies zeigt, dass sich die rechtliche Konstruktion eines für jede einzelne
Medikamentenabgabe abzuschließenden Kaufvertrages zwischen Apotheker und
Krankenkasse als Grundlage des Vergütungsanspruchs erübrigt. Für den vergleichbaren
Fall des Vergütungsanspruchs eines zugelassenen Krankenhauses bei stationärer
Behandlung eines Versicherten nach § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V ist das seit langem
anerkannt (BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 1 RdNr 7;
BSGE 92, 223 RdNr 10 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1 RdNr 9 und BSGE 92, 300 = SozR 4-2500
§ 39 Nr 2 RdNr 7) .
18 3. Die Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch des Beklagten lagen für die
Verordnung vom 14.12.1999 vor, für die 14 weiteren Verordnungen dagegen nicht.
19 a) Nach § 129 Abs 1 SGB V in der bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung des Gesetzes
vom 28.10.1996 (BGBl I 1558) sowie in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung des GKV-GRG
2000 werden Arzneimittel zu Lasten der GKV auf der Grundlage einer vertragsärztlichen
Verordnung abgegeben. Der Apotheker kann nach § 129 SGB V ein Arzneimittel nur dann
auf Kassenkosten abgeben, wenn ein Vertragsarzt es auf dem hierfür vorgesehen Formblatt
verordnet hat (BSGE 77, 194, 199 f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1; Wagner in: Krauskopf, aaO,
Stand März 2008, § 31 SGB V RdNr 5 und Knittel, aaO, § 129 SGB V RdNr 4) . Von der
Notwendigkeit einer solchen ärztlichen Verordnung als Voraussetzung einer Abgabe geht
auch § 1 Abs 1 ALV Nds aus.
20 Über die Menge von 1 x Intron A lag in allen 15 Fällen eine ärztliche Verordnung vor. Die
ursprünglich von dem Vertragsarzt ausgestellte Verordnung mit der Bezeichnung "Intron A"
enthielt keine Mengenangabe; sie war durch das Weglassen einer Anzahl als Verordnung
von 1 x Intron A ausgestellt und aus Sicht eines objektiven Dritten auch nur so auszulegen.
Dies wird bestätigt durch die von dem Arzt gewählte handelsübliche Bezeichnung "Intron A
Pen 30 Mio ILO 8 ST N2". Die verordnete Packungsgröße war mit N2 bezeichnet und
beinhaltete somit 8 Pens (vgl Rote Liste® 2008 Ziff 51018) . Damit waren im Zeitpunkt ihrer
Ausstellung alle 15 Kassenrezepte wirksam. Keine andere Beurteilung folgt aus der
Tatsache, dass der Versicherte die Ausstellung der Verordnungen durch Täuschung des
Arztes mittels eines gefälschten Arztberichtes erlangt hatte; dies berührt die Wirksamkeit der
vertragsärztlichen Verordnung nicht.
21 b) Die Verordnung vom 14.12.1999 wurde nach den Feststellungen des LSG unverändert in
der Apotheke des Beklagten vorgelegt. Die Abgabe des Arzneimittels erfolgte somit aufgrund
einer wirksamen Verordnung und mit 6.128,73 DM in Rechnung gestellt. Verstöße gegen
andere Abgabebestimmungen liegen nicht vor, so dass der Vergütungsanspruch in Höhe
des Rechnungsbetrages entstanden war, also kein Grund für einen Bereicherungsanspruch
ersichtlich ist.
22 c) In den übrigen 14 Fällen lag über die Menge von mehr als jeweils 1 x Intron A zwar der
Form und dem äußeren Anschein nach eine vertragsärztliche Verordnung vor. Inhaltlich sind
die Kassenrezepte aber durch die ohne Wissen des Arztes erfolgte Heraufsetzung der
verordneten Anzahl auf nunmehr vier Packungen verfälscht worden. Damit waren diese
Kassenrezepte nicht mehr einlösungs- und abrechnungsfähig. Dies ergibt sich zwar nicht
aus dem nach § 129 Abs 2 SGB V abgeschlossenen Rahmenvertrag 1993, der dazu keine
Regelung enthält, wohl aber aus den Vorschriften des ALV Nds.
23 aa) Nach § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds ist die Krankenkasse verpflichtet, gefälschte oder
unbefugt oder missbräuchlich ausgestellte Verordnungen zu bezahlen, sofern der Apotheker
die Fälschung oder missbräuchliche Ausstellung nicht erkennen konnte. Der Vertrag enthält
mit § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds eine dem § 19 Abs 7 Bundesmantelvertrag-Ärzte in der
Fassung vom 1.4.2005 (DÄBl 2005, S A-854) entsprechende Schutzregelung für den
Apotheker vor gefälschten oder verfälschten Kassenrezepten, die ihm in solchen Fällen
einen Vergütungsanspruch sichert.
24 Die Regelung des § 4 Abs 9 Satz 1 ALV Nds kann den Vergütungsanspruch eines
Apothekers für die verfälschte Verordnung allerdings nicht begründen, wenn er mit der
Belieferung gleichzeitig gegen weitere Abgabebestimmungen verstößt und dies zu einem
Ausschluss des Vergütungsanspruchs führt. Das war hier der Fall, denn der Beklagte hat mit
der Abgabe des Medikaments in den 14 Fällen gegen die Vorschrift des § 4 Abs 1 Satz 3
ALV Nds verstoßen. Deshalb ist es unerheblich, ob er die Verfälschung als solche erkennen
konnte und ob er - wie behauptet - durch seinen Mitarbeiter H. in der Praxis von Dr. G. hat
telefonisch nachfragen lassen, ob die verordnete Menge des Arzneimittels zutrifft und dies
bestätigt worden ist.
25 bb) Bei der Auslegung des § 4 Abs 1 und 9 ALV Nds ist der Senat nicht den
Beschränkungen des § 162 SGG unterworfen, wonach eine Revision nur darauf gestützt
werden kann, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des
Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift
beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
Zwar gilt der ALV Nds nur in Niedersachsen und damit nicht über den Zuständigkeitsbereich
des LSG hinaus. Die Revisibilität der berufungsgerichtlichen Auslegung eines
Landesvertrages ist aber auch dann gegeben, wenn inhaltlich gleiche Vorschriften in
Bezirken verschiedener LSG gelten (BSGE 1, 98, 100; 3, 77, 80 = SozR Nr 2 zu Art 14 GG;
BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG; BSGE 16, 227, 234 = SozR Nr 168 zu §
162 SGG) und die Übereinstimmung nicht nur zufällig, sondern bewusst und gewollt
herbeigeführt worden ist (BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG; BSGE 38, 21,
29 = SozR 2200 § 725 Nr 1; BSG SozR 3-5920 § 1 Nr 1; Leitherer in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 162 RdNr 5a mwN) . Das ist hier der Fall. Mit
§ 4 Abs 1 und 9 inhaltlich übereinstimmende landesvertragliche Regelungen gibt es in
mehreren Bundesländern (vgl zB § 3 Abs 9 Satz 3 Arznei- und Hilfsmittelliefervertrag
Saarland vom 12.11.1996; § 3 Abs 8 Apothekenvertrag für Bayern vom 24.5.2000; § 3 Abs 4
und 8 Arznei-Liefervertrag Hamburg vom 24.10.1997; § 4 Abs 18 Arzneiliefervertrag
zwischen den Verbänden der Primmärkassen und dem Hessischen Apothekerverband vom
1.10.1998 in der Fassung vom 1.7.2007; § 4 Nr 6 Arzneilieferungsvertrag für Berlin vom
15.6.1999; § 3 Abs 13 Arzneilieferungsvertrag für Baden-Württemberg vom 29.11.1993) .
Dass diese Übereinstimmung nicht den gesamten Wortlaut der Verträge erfasst, ist
unschädlich (BSGE 13, 189, 191 = SozR Nr 156 zu § 162 SGG). Die inhaltliche
Übereinstimmung ist auch nicht zufällig. § 129 SGB V und die Ermächtigung zu vertraglichen
Regelungen gehen von einheitlichen Rahmenbedingungen für die Arzneimittelversorgung
der Versicherten unabhängig vom Ort der Abgabe im Bundesgebiet aus. Im Vertrauen darauf
bestimmt § 2 Abs 5 des Rahmenvertrages 1993 für die Frage, welcher Landesvertrag auf
eine Arzneimittelabgabe Anwendung findet, dass der Sitz der Apotheke maßgebend ist.
26 cc) Nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds sind hinsichtlich der Menge erhöhte Verordnungen nur
abrechnungsfähig, wenn der Arzt die Änderung durch seine Unterschrift mit Datum auf der
Vorderseite des Musters 16 bestätigt hat. Der Beklagte hat in den 14 Fällen der Menge nach
erhöhte Verordnungen beliefert, ohne die entsprechende schriftliche Bestätigung des
Vertragsarztes einzuholen.
27 § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds erfasst jede Art der Änderung der ursprünglich verordneten Menge
und damit auch den Fall, dass die Erhöhung der Menge nicht von dem Arzt selbst stammt,
sondern von einem Dritten. Dies ergibt sich aus dem einschränkungslosen Wortlaut sowie
daraus, dass der Arzt die Änderung bestätigen muss. Damit wird seine vertragsärztliche
Verordnung vor jeglicher nachträglicher Veränderung geschützt. Die Vorschrift verfolgt damit
- wie auch die Regelungen des § 4 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 ALV Nds, die bei
unvollständiger oder ungenauer ärztlicher Angabe gelten - den Zweck, die ärztlich verfasste
Erklärung möglichst unverändert umzusetzen und durch die erforderliche Schriftform
Änderungen transparent zu machen.
28 Mit diesem Anwendungsbereich können sich die Regelungsbereiche des § 4 Abs 1 Satz 3
ALV Nds und des § 4 Abs 9 ALV Nds überschneiden, wenn eine Mengenerhöhung das
Ergebnis einer Verfälschung der Verordnung ist. Der Beklagte kann sich nicht darauf
berufen, dass die veränderte Menge nicht als Änderung gekennzeichnet war, zB indem eine
Zahl durchgestrichen oder überschrieben wurde. Eine Mengenerhöhung kann unter
Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds auch - wie hier - durch
erstmalige Einfügung einer Zahl erreicht werden.
29 Da § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds - anders als § 4 Abs 9 ALV Nds - auf die Erkennbarkeit für den
Apotheker nicht abstellt, das Gebot aber nichts Unmögliches verlangen darf, muss sich die
Mengenerhöhung iS des § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds ohne Berücksichtigung weiterer
Umstände für den objektiven Dritten unmittelbar aus der Verordnung selbst ergeben: Ihr
Erscheinungsbild muss Anlass zur Vermutung geben, dass die Verordnung - durch wen
auch immer - in der Mengenangabe nach ihrer Erstellung verändert wurde . Die 14
veränderten Verordnungen boten diesen Anlass. Die Kassenrezepte waren in 13 Fällen in
Maschinenschrift geschrieben, die Ergänzung "4x" dagegen handschriftlich verfasst. Diese
Unterscheidung trifft zwar nicht auf die von Dr. G. insgesamt handschriftlich ausgefüllte
Verordnung vom 17.2.2000 zu. Aber auch bei dieser Verordnung war die nachträgliche
Hinzufügung des Zusatzes "4x" für den Beklagten erkennbar. Denn alle 14 Kassenrezepte
zeichnen sich dadurch aus, dass die handschriftliche Mengenangabe "4x" keinen rechten
Platz auf der Verordnung vor der maschinenschriftlichen Arzneimittelbezeichnung findet. Sie
ist entweder vor diese "gequetscht" oder sogar schräg über diese geschrieben, so dass
erkennbar ist, dass die Verordnung ursprünglich nicht so ausgestellt, sondern zeitlich später
- von wem auch immer - verändert wurde. Der Beklagte hätte deshalb vor der Belieferung
des Versicherten jeweils die Unterschrift des Arztes einholen müssen.
30 dd) Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds ist der Verlust des
Vergütungsanspruchs; denn die "Abrechnungsfähigkeit der Verordnung" setzt die mit Datum
versehene Bestätigung der Änderung der Verordnung durch die Unterschrift des Arztes
voraus. Die Vorschrift lässt mit ihrer Formulierung - entgegen der Ansicht des SG - eine
Aufspaltung der Verordnung in die originär verordnete Menge und die erhöhte Menge nicht
zu.
31 Da der Beklagte schon nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds keinen Vergütungsanspruch
erworben hat, kann es offen bleiben, ob sein Mitarbeiter Hinze in der Praxis des
Vertragsarztes telefonisch Rückfrage gehalten und eine jeden Zweifel ausräumende Antwort
erhalten hat. Eine telefonische Rückfrage ist nicht geeignet, die nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV
Nds erforderliche handschriftliche Bestätigung zu ersetzen. Das LSG war demnach auch
nicht gehalten, hierüber Beweis zu erheben.
32 4) Einem Bereicherungs- und Erstattungsanspruch der Klägerin aus den 14 rechtsgrundlos
vergüteten Medikamentenabgaben steht jedoch dessen Ausschluss nach § 10 Abs 3 ALV
Nds entgegen.
33 a) Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und
Taxberichtigung in den Landesverträgen nach § 129 Abs 5 Satz 1 SGB V ist nach der
Rechtsprechung des Senates umfassend und betrifft nicht nur die Korrektur von reinen
Einordnungs-, Schreib- und Rechenfehlern, weil dort - wie in § 10 Abs 1 Satz 1 ALV Nds -
ganz generell von "sachlichen und rechnerischen Berichtigungen, Taxbeanstandungen
sowie Beanstandungen wegen fehlender Verordnungsblätter" die Rede ist. Damit sind
prinzipiell Fehler und Beanstandungen aller Art erfasst. Beanstandungen und
Taxberichtigungen sind deshalb auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt,
dass es an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelte oder gegen die
landesvertraglich festgelegten Abgabebestimmungen verstoßen wurde (BSG SozR 4-2500 §
129 Nr 1 RdNr 16 und Nr 2 RdNr 30) . Für ein umfassendes Beanstandungsrecht spricht hier
vor allem auch die Bestimmung des § 9 Abs 1 iVm Abs 4 ALV Nds: Danach müssen die
Krankenkassen innerhalb von zehn Tagen die eingehenden Rechnungen begleichen. Alle
Zahlungen erfolgen unter dem Vorbehalt der sachlich-rechnerischen Prüfung;
Beschränkungen irgendwelcher Art sind nicht vorgesehen. Damit korrespondieren im
Interesse der Rechtssicherheit für alle Beteiligten die Fristbindungen für sachlich-
rechnerische Berichtigungen und Taxbeanstandungen des § 10 ALV Nds; Krankenkassen
und Apotheker sind davon gleichermaßen betroffen. Das Beanstandungsrecht nach § 10
Abs 1 ALV Nds erfasst mithin den vorliegenden Fall, dass entgegen der
Abgabebestimmungen eine Verordnung ohne vorherige schriftliche Bestätigung der
Mengenerhöhung durch den Arzt eingelöst wurde. Die Rückforderung der Vergütung für eine
nicht abrechnungsfähige Verordnung stellt sich als "sachliche Berichtigung" iS des § 10 Abs
1 Satz 1 ALV Nds dar.
34 b) Es ist auch unerheblich, ob ein solcher Erstattungsanspruch im Zuge einer späteren
Abrechnung durch Aufrechnung oder Verrechnung realisiert wird oder die Krankenkasse -
wie hier - den Weg eines davon unabhängigen separaten Klageverfahrens beschreitet. Den
Regelungen über die Rechnungsbegleichung (§ 9 ALV Nds) sowie die Rechnungs- und
Taxberichtigungen (§ 10 ALV Nds) ist nicht zu entnehmen, dass ein Erstattungsanspruch nur
dann den Form- und Fristvorschriften des ALV unterliegt, wenn er durch Aufrechnung oder
Verrechnung geltend gemacht wird oder zumindest so geltend gemacht werden könnte. § 9
Abs 5 ALV Nds sieht lediglich vor, dass das - vom Apotheker beauftragte (§ 8 Abs 2 , § 9 Abs
3 und 4 ALV Nds) - Rechenzentrum Beanstandungen der Krankenkasse nach § 10 ALV Nds
"mit der nächstmöglichen Abrechnung berichtigt". Dies ist aber nur die verfahrenstechnische
Folge, wenn es zu einer Aufrechnung oder Verrechnung mit zu Unrecht gezahlten Beträgen
kommt, schließt indes das Verfahren der klageweisen Geltendmachung eines
Erstattungsanspruchs nicht aus. Auch vom Sinn und Zweck her muss § 10 ALV Nds auf den
Fall der separaten Zahlungsklage angewandt werden. Nur so kann verhindert werden, dass
die Krankenkasse bei Überschreitung der ihr in § 10 Abs 1 und 3 ALV Nds gesetzten Fristen
von einer Beanstandung im Abrechnungsverfahren auf die Anspruchsverfolgung im
Klagewege übergehen kann. Außerdem scheidet im Falle der Schließung einer Apotheke
eine spätere Aufrechnung oder Verrechnung vielfach aus, sodass der Klageweg als einzige
Möglichkeit zur Durchsetzung eines Erstattungsanspruchs zur Verfügung steht. Auch in
solchen Fällen ist grundsätzlich das Verfahren nach § 10 ALV Nds einzuhalten, um dessen
Funktion als Regelung zur zeitnahen Herstellung von Interessenausgleich und
Rechtsfrieden zu wahren.
35 c) Die Klägerin ist mit ihrem Rückzahlungsbegehren nach § 10 Abs 3 ALV Nds
ausgeschlossen. Sie hat zunächst innerhalb der Frist des § 10 Abs 1 ALV Nds in wirksamer
Weise eine Beanstandung ausgesprochen. Die Vorschrift räumt hierfür eine Frist von 18
Monaten nach Eingang der Verordnungsblätter ein, schreibt dabei aber keine besondere
Form vor, so dass ein formloses Schreiben genügte. Die Beanstandung hat die Klägerin
erstmals mit Schreiben vom 13.3.2001 erklärt, also 17 Monate nach Einlösung des ersten
Rezeptes vom 14.10.1999 (Abrechnung noch im Oktober 1999). Mit dieser sachlichen
Beanstandung hat sie unter Berufung auf die Verfälschung der Verordnungen von dem
Beklagten insgesamt 349.337,61 DM (178.613,48 Euro) zurückgefordert. Der Beklagte
kannte danach den Umfang und die Begründung des Rückzahlungsbegehrens. Er hat
fristgerecht in der Zweimonatsfrist des § 10 Abs 2 Satz 1 ALV Nds Einspruch gegen die
Beanstandung eingelegt; denn er hat mit Schreiben vom 21.3.2001 mitgeteilt, er werde der
Forderung der Klägerin nicht nachkommen, und hat dies auch begründet. Sein zusätzlicher
Hinweis auf die Meldung des Sachverhalts an seine Haftpflichtversicherung ist insoweit
unerheblich, weil er eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, er sehe sich nicht in der
Verantwortung. Mit ihrer Reaktion auf den Einspruch durfte die Klägerin deshalb nicht bis zur
Antwort des Versicherungsunternehmens warten. Der Einspruch des Beklagten gilt nach §
10 Abs 3 Satz 2 ALV Nds deshalb als anerkannt, weil die Klägerin nicht innerhalb der Frist
von drei Monaten nach dem Eingang des Schreibens vom 21.3.2001 reagiert hat (§ 10 Abs 3
Satz 1 ALV Nds) . Sie hat erst am 12.7.2001 Klage erhoben und damit erst zu diesem
Zeitpunkt eine Stellungnahme auf den Einspruch abgegeben. Die Klageerhebung liegt
außerhalb der Äußerungsfrist des § 10 Abs 3 Satz 1 ALV Nds, die mit dem Eingang des
Einspruchsschreibens bei der Klägerin am 29.3.2001 begann und deshalb am 29.6.2001
endete. Keine andere Beurteilung rechtfertigt die Tatsache, dass die Haftpflichtversicherung
des Beklagten dem Bevollmächtigten der Klägerin am 11.6.2001 mitgeteilt hat, die
Forderung nicht anzuerkennen, und die Klägerin darauf mit Schreiben vom 10.7.2001
geantwortet hat. Das Schreiben der Haftpflichtversicherung hat die Äußerungsfrist nach § 10
Abs 3 Satz 1 ALV Nds nicht erneut in Gang gesetzt. Da somit der Einspruch des Beklagten
nach § 10 Abs 3 Satz 2 ALV Nds als anerkannt gilt, ist der Zahlungsanspruch der Klägerin
ausgeschlossen.
36 5) Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vertraglicher
Nebenpflichten zu. Dabei kann offen bleiben, ob als rechtlicher Anknüpfungspunkt die
Verletzung von Nebenpflichten aus dem ALV Nds oder - gemäß der bisherigen
Rechtsprechung - die Verletzung von Nebenpflichten aus den jeweils abzuschließenden
Kaufverträgen gewählt wird, für die der ALV Nds ebenfalls maßgebend ist.
37 Das LSG sieht die vorwerfbare Verletzung vertraglicher Nebenpflichten darin, dass der
Beklagte und seine Mitarbeiter, deren Verhalten er sich zurechnen lassen müsse (§ 278
BGB), erkennbar nicht abrechnungsfähige Kassenrezepte angenommen, die Medikamente
ausgehändigt und dadurch fahrlässig einen Schaden in Höhe der gezahlten Vergütungen
verursacht hätten. Bei der gebotenen sorgfältigen Vorgehensweise wäre schon beim ersten
Rezept vom 14.10.1999 die nach § 4 Abs 1 Satz 3 ALV Nds erforderliche zusätzliche, die
Änderung der Zahl der abzugebenden Packungen billigende Unterschrift des Arztes
eingeholt worden. Diese wäre abgelehnt worden, und damit hätte sich das Rezept sogleich
als verfälscht herausgestellt (§ 4 Abs 9 ALV Nds) . Dr. G. wäre gewarnt gewesen und hätte
keine weiteren Rezepte für den Versicherten S. ausgestellt. Deshalb sei nicht nur die
Einlösung der verfälschten Verordnungen, sondern auch die Einlösung des nicht
verfälschten Rezepts vom 14.12.1999 auf die Fahrlässigkeit des Beklagten zurückzuführen.
38 Ob diesem rechtlichen Ansatz gefolgt werden könnte, braucht hier nicht entschieden zu
werden. Es fehlt auf jeden Fall an einer Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz.
Besteht die vorgeworfene Pflichtverletzung allein in dem Verstoß gegen landesvertragliche
Abgabebestimmungen, wie es hier der Fall ist (§ 4 Abs 1 Satz 3 und Abs 9 ALV Nds) ,
scheidet ein - neben dem Anspruch auf Erstattung der gezahlten Vergütung stehender -
Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus. Die
Rechtsfolgen der Verletzung von solchen Abgabebestimmungen sind im Landesvertrag
abschließend geregelt. Der ALV Nds hält mit den Rechnungs- und Taxberichtigungen und
dem Beanstandungsrecht nach § 10 ein ausgewogenes Instrumentarium zum Schutz der
Vermögensinteressen der Krankenkassen bei Verstößen gegen die Abgabebestimmungen
bereit, das mit seinen Fristen auch das Interesse des vorleistungspflichtigen Apothekers an
Rechtsfrieden nach der Zahlung berücksichtigt. Dieses in den Landesverträgen
niedergelegte Verfahren wird flankiert durch die Ermächtigung nach § 129 Abs 4 SGB V iVm
§ 7 Rahmenvertrag 1993, wonach die Landesverträge Maßnahmen bei Pflichtverletzungen
der Apotheker vorsehen können. Davon haben die Vertragspartner des ALV Nds in § 11
Gebrauch gemacht und diverse Sanktionen, wie zB eine Vertragsstrafe, vorgesehen. Das
landesvertraglich vereinbarte Instrumentarium ist für Fälle der vorliegenden Art als
abschließend zu betrachten und lässt keinen Raum für daneben stehende
Schadensersatzansprüche.
39 6) Durch die Regelungen des ALV Nds nicht ausgeschlossen sind
Schadensersatzansprüche der Krankenkasse wegen Verhaltensweisen des Apothekers, die
außerhalb des vorgenannten Rahmens stehen, also nicht zu den Verstößen gegen
Abgabebestimmungen gehören. Diese Schadensersatzansprüche würden deshalb auch
nicht durch den Ablauf der Ausschlussfrist des § 10 Abs 3 ALV Nds berührt. In Betracht
kommen insoweit Schadenersatzansprüche wegen Verstoßes gegen vertragliche oder
gesetzliche Informations- und Schutzpflichten (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2
SGB X iVm § 241 Abs 2 und § 280 BGB; vgl Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl
2008, § 61 RdNr 4c) und wegen unerlaubter Handlung (§ 823 BGB). Nach den
Feststellungen des LSG beschränken sich die dem Beklagten vorzuwerfenden Verstöße
jedoch auf die Verletzung von Abgabebestimmungen. Da somit nicht festgestellt ist, dass der
Beklagte die nachträgliche Änderung der Kassenrezepte tatsächlich als "Verfälschung"
erkannt hat, entfällt insbesondere ein Ansatzpunkt für die Haftung des Beklagten wegen
Verletzung einer Warn- und Informationspflicht oder gar wegen Betrugs (§ 823 Abs 2 BGB
iVm § 263 StGB) .
40 7) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden
Fassung, die hier noch anzuwenden ist, weil die Klage im Jahre 2001 erhoben worden ist.