Urteil des BSG vom 07.05.2014

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 7.5.2014, B 12 R 5/12 R
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom
23. Mai 2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 15.
September 2008 nicht aufzuheben war.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 6737,15 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
und Umlagen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) unter dem Blickwinkel der
(fehlenden) Zeitgeringfügigkeit von Beschäftigung.
2
Die klagende GmbH betreibt seit vielen Jahren ein Reinigungsunternehmen mit 13 bzw
14 Filialen, in dem in den Jahren 2003 bis 2005 ca 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
beschäftigt wurden, ua - wiederholt und jeweils zeitlich begrenzt - die Beigeladenen zu 1.
und 2. (seinerzeit Bezieher von Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung). Der
Beigeladene zu 1. war bis zum Renteneintritt bei der Klägerin angestellt gewesen, die
Beigeladene zu 2. - deren Kundin die Klägerin gewesen war - war bis zum Jahr 2000
selbstständig tätig. Im Einzelnen sind folgende Beschäftigungszeiten der Beigeladenen
zu verzeichnen:
Beigeladener zu 1.:
2003 in sechs Monaten insgesamt 39 Tage
2004 in acht Monaten insgesamt 39 Tage
2005 in sechs Monaten insgesamt 43 Tage
Beigeladene zu 2.:
2003 in sieben Monaten insgesamt 38 Tage
2004 in neun Monaten insgesamt 42 Tage
2005 in fünf Monaten insgesamt 27 Tage.
3 Nach den Feststellungen des LSG sollte der Beigeladene zu 1. in einer Filiale bei
unerwarteten Arbeitskraftausfällen oder unerwartetem Personalbedarf tätig sein, der durch
saisonale Schwankungen aufgrund besonderer Angebote bedingt war. Die Beigeladene
zu 2. wurde für Dekorationsarbeiten eingesetzt, wenn die Geschäftsführerin der Klägerin
diesen Arbeiten aufgrund saisonaler oder personeller Engpässe nicht allein nachkommen
konnte. Den Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1. und 2. lag kein (schriftlicher)
Rahmenvertrag zugrunde. Die Beteiligten gingen aber übereinstimmend davon aus, dass
die für Zeitgeringfügigkeit geltende 50-Tage-Grenze bezogen auf das jeweilige
Kalenderjahr keinesfalls überschritten werden sollte. Im Bedarfsfall fragte die Klägerin bei
den Beigeladenen zu 1. und 2. an, ob diese bei ihr einspringen könnten; beim jeweils
ersten Kontakt in einem Kalenderjahr fragte die Klägerin zudem danach, ob (weiterhin) die
generelle Bereitschaft bestehe, im genannten maximalen Zeitrahmen tätig zu sein, falls
sich ein Engagement ergebe. Eine Abrufbereitschaft bestand nicht. Ein Einsatz als
"Springer" war bewusst nicht beabsichtigt. Die Klägerin erhielt je nach Situation der
angefragten Beigeladenen zu 1. und 2. Zu- oder Absagen bzw im Fall der Abwesenheit
überhaupt keine Nachricht. Die Beigeladenen zu 1. und 2. erhielten im streitigen Zeitraum
in mehreren Monaten Arbeitsentgelt von mehr als 400 Euro.
4 In der Zeit vom 26.3.2007 bis 31.3.2008 führte die beklagte Deutsche Rentenversicherung
Baden-Württemberg bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum Januar 2003
bis Dezember 2005 durch. Durch Bescheid vom 15.9.2008 und Widerspruchsbescheid
vom 8.9.2009 machte die Beklagte eine Nachforderung von
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuzüglich LFZG-Umlagen für den streitigen Zeitraum
geltend, wovon 6907,58 Euro - im Widerspruchsverfahren reduziert auf 6737,15 Euro - auf
die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. und zu 2. entfielen. In Ausführung des
Widerspruchsbescheides erließ die Beklagte einen Bescheid vom 29.9.2009, der den
Bescheid vom 15.9.2008 ersetzte.
5 Das SG hat die gegen die Beitrags- und Umlagenachforderungen erhobene Klage
abgewiesen (Urteil vom 31.5.2011). Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil
des SG insgesamt sowie die Bescheide der Beklagten einschließlich des
Ausführungsbescheides insoweit aufgehoben, als darin
Gesamtsozialversicherungsbeiträge zzgl Umlagen in Höhe von mehr als 143,86 Euro
gefordert wurden. Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte
fordere zu Unrecht für die Beigeladenen zu 1. und 2. Gesamtsozialversicherungsbeiträge
und Umlagebeträge ausgehend von mehr als nur geringfügigen Beschäftigungen nach,
weil deren Beschäftigungen als zeitgeringfügig und daher als versicherungsfrei
anzusehen seien. Zwar seien die Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der
Rechtsprechung des BSG auf ständige Wiederholung gerichtet gewesen. Die
Arbeitseinsätze seien jedoch unregelmäßig und unvorhersehbar erfolgt und Bedarfszeiten
nicht von vornherein absehbar gewesen. Auch die Dauer der Einsatzzeiten sei sehr
unterschiedlich gewesen. Ein Rhythmus oder eine Planbarkeit der Arbeitseinsätze habe
gefehlt. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe es der Zeitgeringfügigkeit auch
nicht entgegen, wenn Rahmenarbeitsverträge für die Dauer von einem Jahr
abgeschlossen worden seien, zwischen einem alten Rahmenarbeitsvertrag und einem
neuen, inhaltlich gleichen Arbeitsvertrag aber kein Zeitraum von mehr als zwei Monaten
liege. Die Arbeitsvertragsparteien seien sich hier einig gewesen, die für Zeitgeringfügigkeit
geltende Grenze von 50 Arbeitstagen je Kalenderjahr einzuhalten. Faktisch sei es
insoweit auch nie zu einer Überschreitung gekommen. Das eine Geringfügigkeit
ausschließende Kriterium der "Berufsmäßigkeit" sei nicht gegeben, weil die Beigeladenen
zu 1. und 2. Altersrentner gewesen seien (Urteil vom 23.5.2012).
6 Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision und rügt eine Verletzung von § 8
Abs 1 Nr 1 und 2 SGB IV. Der bisherigen Rechtsprechung des BSG könne zwar
entnommen werden, dass das eine Zeitgeringfügigkeit ausschließende Kriterium einer
"regelmäßig" innerhalb eines Jahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage
begrenzt ausgeübten Beschäftigung jedenfalls dann erfüllt sei, wenn eine
Voraussehbarkeit und eine gewisse zeitliche Nähe der Arbeitseinsätze vorliege, dh wenn
Arbeitnehmer im Laufe eines Jahres zu häufigen, terminlich vorher im Wesentlichen
festliegenden Einsätzen herangezogen würden. Hieraus könne jedoch nicht der
Umkehrschluss gezogen werden, dass bei nicht einem bestimmten Rhythmus
unterliegenden bzw nicht auf bestimmte Termine bezogenen Tätigkeiten, die über einen
längeren Zeitraum hinweg ausgeübt worden seien, die Regelmäßigkeit grundsätzlich
(unabhängig von den Gesamtumständen) zu verneinen sei. Allenfalls könne hierin ein
Indiz für eine nur gelegentliche Beschäftigung gesehen werden, das jedoch durch
hinzutretende Sachverhaltselemente durchaus auch relativiert werden oder ganz
zurücktreten könne. Das Merkmal "regelmäßig" sei (auch) dann erfüllt, wenn der
Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereit stehe, ohne
verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten. Eine ständige
Wiederholung über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren hinweg mache jede
Beschäftigung "regelmäßig" iS von § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV. Vorliegend seien die
wiederholten Arbeitseinsätze derart in einem generellen Sinne vorhersehbar und
bestimmbar gewesen.
7 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 2012 aufzuheben
und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31. Mai
2011 zurückzuweisen.
8 Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
9 Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
10 Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Revision der Beklagten, die als Rentenversicherungsträger im Anschluss an
eine von ihr vorgenommene Betriebsprüfung gegenüber der Klägerin Beitragsbescheide
erließ, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Senat hat lediglich den Urteilstenor des
Berufungsurteils klargestellt, weil das LSG darin (auch) den Bescheid der Beklagten vom
15.9.2008 aufgehoben hat. Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der Klägerin das Urteil
des SG sowie die den Streitgegenstand bildenden Bescheide der Beklagten insoweit
aufgehoben, als darin Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen von mehr als
143,86 Euro gefordert wurden.
12 1. Gegenstand des Rechtsstreits ist (nur noch) der Widerspruchsbescheid der Beklagten
vom 8.9.2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29.9.2009, der den
Ursprungsbescheid vom 15.9.2008 ersetzt hat. Zu Recht hat das LSG angenommen, dass
der Bescheid vom 29.9.2009 gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens
geworden ist, da er nach Erlass des Widerspruchsbescheides und vor Erhebung der
Klage ergangen ist (vgl hierzu allgemein BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16; BSG Urteil
vom 12.5.1993 - 7 RAr 56/92 - Juris RdNr 13 - insoweit nicht abgedruckt in BSGE 72, 248
= SozR 3-4100 § 137 Nr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl
2012, § 96 RdNr 2).
13 2. Die - für den Erlass der angefochtenen Bescheide gemäß § 28p Abs 1 S 5 SGB IV
sachlich zuständige - Beklagte ist nicht berechtigt, von der Klägerin als Arbeitgeberin
weitere Gesamtsozialversicherungsbeiträge und LFZG-Umlagebeträge für die
Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. und 2. in der Zeit vom 1.1.2003 bis 31.12.2005 zu
fordern. Zutreffend hat das LSG die angefochtenen Bescheide der Beklagten insoweit
aufgehoben.
14 a) Grundlage für die Versicherungs- und Beitrags(tragungs)pflicht der Klägerin sind die in
den einzelnen Teilen des SGB enthaltenen speziellen Regelungen, die grundsätzlich an
das Bestehen einer Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB IV anknüpfen (vgl § 2 Abs 2 SGB
IV; in den hier jeweils in den streitigen Jahren 2003 bis 2005 geltenden Fassungen für die
gesetzliche Krankenversicherung: § 5 Abs 1 Nr 1, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 249, § 249b
SGB V; für die soziale Pflegeversicherung § 20 Abs 1 S 2 Nr 1, § 58 Abs 1 S 1 SGB XI; für
die gesetzliche Rentenversicherung: § 1 S 1 Nr 1, § 172 Abs 1 Nr 1 SGB VI; für das Recht
der Arbeitsförderung: § 25 Abs 1 S 1, § 342, § 346 Abs 3 S 1 SGB III; hinsichtlich der
Umlagebeträge nach dem LFZG: § 14 Abs 2 S 1 iVm § 10 LFZG).
15 Zu Recht hat das LSG angenommen, dass die jeweiligen Arbeitseinsätze der
Beigeladenen zu 1. und 2. als Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB IV zu qualifizieren sind
(vgl zu den Kriterien für Beschäftigung allgemein zB zuletzt BSGE 111, 257 = SozR 4-
2400 § 7 Nr 17, RdNr 15 mwN). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.
16 Eine den gesamten Zeitraum umfassende "durchgehende" Dauerbeschäftigung bzw eine
Beschäftigung (auch) in den zwischen den jeweiligen Arbeitseinsätzen liegenden
Zeiträumen (vgl hierzu BSG Urteil vom 20.3.2013 - B 12 R 13/10 R - SozR 4-2400 § 7 Nr
19) lag nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat
bindenden (vgl § 163 SGG) Feststellungen des LSG allerdings nicht vor. Die
Beigeladenen zu 1. und 2. hielten sich nämlich weder aufgrund einer entsprechenden
Rahmenvereinbarung noch faktisch durchgehend für eine Arbeitsleistung bereit und
unterlagen auch keiner (Abruf-)Verpflichtung, sondern wurden vielmehr jeweils aufgrund
grundsätzlicher Bereitschaft in einem nicht voraussehbar gewesenen Bedarfsfall von der
Klägerin gefragt, ob sie Arbeitsleistungen erbringen konnten und wollten.
17 b) Ebenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es, dass das LSG die
grundsätzlich bestehende Beitrags(tragungs)pflicht der Klägerin verneint hat, weil es sich
bei den Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1. und 2. um geringfügige Beschäftigungen
iS von § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV handelte (vgl des Weiteren § 346 Abs 3 S 1, § 27 Abs 2 S 1
SGB III; § 7 Abs 1 S 1 SGB V; § 20 Abs 1 S 1 SGB XI; § 5 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB VI in der bis
31.12.2012 geltenden Fassung).
18 Nach § 8 Abs 1 SGB IV in der bis 31.3.2003 geltenden Fassung (des 4. Euro-
Einführungsgesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983) liegt eine geringfügige Beschäftigung
vor, wenn die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt
wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat 325 Euro nicht übersteigt (Nr 1), die
Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder
50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im voraus vertraglich
begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr
Entgelt 325 Euro im Monat übersteigt (Nr 2). Nach der vom 1.4.2003 bis 31.12.2005
maßgebenden Fassung des § 8 Abs 1 SGB IV (Zweites Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621) liegt eine geringfügige
Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im
Monat 400 Euro nicht übersteigt (Nr 1), die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres
auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt
oder im voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig
ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 Euro im Monat übersteigt (Nr 2).
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden 12. Senats des BSG ist es
geboten, eine strikte Zuordnung zu einer der beiden Fallgruppen des § 8 SGB IV
vorzunehmen (vgl BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 3 S 11 ff und Nr 4 S 19). Danach ist den
Regelungen der Nr 1 und Nr 2 nach ihrem systematischen Zusammenhang im Wege der
Auslegung zu entnehmen, dass es für ihre Anwendung zunächst darauf ankommt, ob eine
Beschäftigung regelmäßig ausgeübt wird (dann gilt Nr 1) oder nicht regelmäßig - also nur
gelegentlich - (dann gilt Nr 2). Denn § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV kann neben "regelmäßigen"
Beschäftigungen nicht auch "gelegentliche" erfassen, weil das Merkmal "berufsmäßig" in
Nr 2 des § 8 Abs 1 SGB IV sonst letztlich leerlaufen würde (vgl BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 4
S 19 mwN). Auch unter Berücksichtigung einer - vor allem mit Blick auf die im Einzelfall
schwierige Handhabung des Merkmals "regelmäßig" - an der Regelung mit eher
rechtspolitischer Zielrichtung geübten Kritik (so zB Axer in von Maydell/Ruland/Becker,
Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl 2012, § 14 RdNr 34 mit Fußnote 101; vgl auch Baier in
Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, § 8 SGB IV RdNr 11,
Stand Einzelkommentierung Februar 2013; Berchtold in
Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 8 SGB IV
RdNr 3; Zimmermann in Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl 2014,
§ 4 RdNr 66) bietet der vorliegende Fall keinen Anlass, die aufgezeigte Rechtsprechung
des Senats zu der im Kern unverändert gebliebenen Regelung aufzugeben (vgl bereits
BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 4 S 19); gerade hier ermöglicht diese Rechtsprechung
vorhersehbare Ergebnisse (dazu näher unten).
20 aa) Das LSG hat beanstandungsfrei entschieden, dass bei den Beschäftigungen der
Beigeladenen zu 1. und 2. Zeitgeringfügigkeit iS von § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV gegeben ist,
weil ihr Einsatz nur gelegentlich und nicht regelmäßig erfolgte.
21 "Regelmäßig" ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Beschäftigung, die bei
vorausschauender Betrachtung (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf
eines Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -
BT-Drucks 7/4122 S 43 zu 1.) von vornherein auf ständige Wiederholung gerichtet ist und
über mehrere Jahre hinweg ausgeübt werden soll. Das hat auch die Rechtsprechung des
BSG wiederholt so gesehen (vgl zB BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 3 S 11
Möbeltransportgewerbe>; BSG SozR 2200 § 168 Nr 6 ; BSG SozR 2200 §
165 Nr 36 ; BSG Urteil vom 25.11.1976 - 12/3 RJ 1/75 - USK 76178
). Für das Vorliegen von Regelmäßigkeit kommt
es dabei nicht darauf an, ob die jeweiligen Arbeitseinsätze im Rahmen eines
Dauerarbeitsverhältnisses von vornherein feststehen oder von Mal zu Mal vereinbart
werden. Das Merkmal der Regelmäßigkeit kann vielmehr auch erfüllt sein, wenn der
Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereitsteht, ohne
verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten (BSG SozR 3-
2400 § 8 Nr 4 S 20).
22 Hiervon ausgehend hat das LSG zu Recht angenommen, dass die Beigeladenen zu 1.
und 2. nur gelegentlich im Sinne von "immer wieder" und nicht "regelmäßig" bei der
Klägerin beschäftigt waren. Dies folgt bei vorausschauender Betrachtung bereits daraus,
dass die Beteiligten nach den Feststellungen des LSG lediglich beim ersten Kontakt im
jeweiligen Kalenderjahr eine (mündliche) Rahmenvereinbarung über die grundsätzliche
Bereitschaft zu Arbeitsleistungen getroffen haben. Diese Arbeitsleistungen waren von
vornherein nicht vorhersehbar und sollten auch keinem Muster oder einem bestimmten
Rhythmus folgen. Auch war nach den Feststellungen des LSG nach jedem Arbeitseinsatz
unklar, ob es überhaupt zu weiteren Arbeitseinsätzen kommen würde. Der
Geschäftsbetrieb der Klägerin war zudem nicht systematisch und strukturell darauf
angelegt, auf die Arbeitskraft der Beigeladenen zu 1. und 2. im Sinne eines
Arbeitskraftpools zurückzugreifen (vgl zu einer derartigen Konstellation Sächsisches LSG
Urteil vom 21.3.2014 - L 1 KR 222/09 - Juris). Vielmehr versuchte die Klägerin nach den
Feststellungen des LSG anfallenden Vertretungsbedarf zunächst mit eigenen Kräften
aufzufangen und auf die Inanspruchnahme der Beigeladenen zu 1. und 2. - auch wegen
der dadurch entstehenden höheren Kosten - zu verzichten. Die nachträgliche Betrachtung
der Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1. und 2. bestätigt im Übrigen die praktische
Umsetzung der entsprechenden Absicht der Beteiligten, weil die Arbeitseinsätze von ihrer
zeitlichen Lage in unterschiedlichen Monaten sowie zu unterschiedlichen Anlässen sowie
von der Anzahl der jeweiligen Arbeitstage her ohne erkennbares Schema erfolgten.
23 Soweit die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung hiergegen einwendet, es sei
anzunehmen, dass "gewisse Zeitfenster", zB für die Dekoration bei Saisonwechsel und
Weihnachten, "sicherlich" vorlagen, die Beteiligten "sicherlich" Anzahl und Lage der
Einsätze "in grobem Rahmen" einordnen konnten und die Klägerin "sicherlich" an
wiederkehrenden Arbeitseinsätzen interessiert war, kann sie damit keinen Erfolg haben.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die das BSG revisionsrechtlich gebunden
ist (§ 163 SGG), lassen eine derartige eher spekulative Interpretation des Sachverhalts
nicht zu. Der Auffassung der Beklagten, das Merkmal der Regelmäßigkeit sei schon dann
als erfüllt anzusehen, wenn die Beteiligten "auf Grund des tatsächlichen Betriebsablaufs"
und aufgrund "der bereits im vorhinein gemachten langjährigen Erfahrungen"
berechtigterweise davon ausgehen konnten, dass es zu einer gewissen Anzahl von
Arbeitseinsätzen über einen längeren Zeitraum hinweg kommen wird, kann ebenfalls nicht
gefolgt werden; denn eine derart weitgehende Definition des Merkmals der
Regelmäßigkeit ließe für die Anwendung von § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV keinen Raum mehr.
Vielmehr wäre ausgehend von diesem Verständnis letztlich schon jede innerhalb eines
Kalenderjahrs ausgeübte vorhersehbare erneute (kurzzeitige) Beschäftigung beim selben
Arbeitgeber immer als "regelmäßig" anzusehen.
24 Auch das von der Beklagten für ihre Auffassung angeführte Urteil des Senats vom
23.5.1995 (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr 4) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die insoweit
von der Beklagten wiedergegebenen Entscheidungsgründe betrafen den Fall einer
Raumpflegerin, die wöchentlich zehn Stunden in einer Gastwirtschaft und an jedem
zweiten Mittwoch vier Stunden in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete. Der Senat hat
hierzu ausgeführt, dass die ständige Wiederholung über einen Zeitraum von mehr als zwei
Jahren jede dieser Beschäftigungen als regelmäßig iS der Nr 1 des § 8 Abs 1 SGB IV
kennzeichnet. Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt indessen
grundlegend, weil es zwar "immer wieder" zu Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1.
und 2. kam, von einer "ständigen Wiederholung", die bereits nach dem Wortsinn beider
Begriffe eine auch in zeitlicher Hinsicht gleichartige Abfolge der Beschäftigungen im Sinne
eines erkennbaren Musters oder eines bestimmten Rhythmus oder im Rahmen eines
bestimmten Arbeitszyklus (in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom
28.8.2008 - L 1 KR 211/06 - Juris RdNr 34) erfordert, nicht die Rede sein kann.
25 Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf die zwischen den
Spitzenverbänden der Sozialversicherungsträger vereinbarten "Richtlinien für die
versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen"
(Geringfügigkeits-RL in den in den streitigen Jahren 2003 bis 2005 geltenden Fassungen,
aktuell idF vom 20.12.2012) berufen. Abgesehen davon, dass diesen Richtlinien bereits
keine die Gerichte bindende Wirkung zukommt, tragen sie die Ansicht der Beklagten auch
inhaltlich nicht (vgl hierzu zB Hessisches LSG Urteil vom 6.2.2014 - L 1 KR 31/12 - Juris
RdNr 53 mwN). Die von der Beklagten in Bezug genommene Nr 2.4 der Geringfügigkeits-
RL nimmt zudem ersichtlich nur - auf längstens zwei Monate befristete - kurzfristige
Beschäftigungen in den Blick, nicht aber die hier von vornherein gegebene Begrenzung
der Beschäftigung auf 50 Arbeitstage im Kalenderjahr. Weiterhin soll (auch) nach Nr 2.3.2
der Geringfügigkeits-RL eine regelmäßige Beschäftigung so lange nicht vorliegen, als im
laufenden Kalenderjahr die Zeitgrenze von 60 Kalendertagen oder 50 Arbeitstagen nicht
überschritten wird, selbst wenn Arbeitnehmer wiederholt von ein- und demselben
Arbeitgeber beschäftigt werden, ohne dass ein Rahmenvertrag oder eine Beschäftigung
auf Abruf besteht.
26 bb) Zu Recht hat das LSG schließlich entschieden, dass das eine Zeitgeringfügigkeit
ausschließende Kriterium der "berufsmäßigen" Ausübung der Beschäftigung nach § 8 Abs
1 Nr 2 aE SGB IV nicht erfüllt ist; denn nach seinen Feststellungen waren die
Beigeladenen zu 1. und 2. als Altersrentner auf die Einkünfte aus den Beschäftigungen bei
der Klägerin nicht angewiesen, was auch die Beklagte im Revisionsverfahren nicht in
Zweifel gezogen hat.
27 c) Da nach alledem Zeitgeringfügigkeit gemäß § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV gegeben ist, sind
die angefochtenen Bescheide auch nicht teilweise in Höhe der im Fall von
Entgeltgeringfügigkeit nach § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV bestehenden Abgabenpflicht (§ 249b S
1 SGB V, § 172 Abs 3 SGB VI) rechtmäßig.
28 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2
VwGO.
29 4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG
iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der noch
streitigen Beitrags- bzw Umlageforderung festzusetzen.