Urteil des BSG vom 18.03.2008

BSG: berufliche tätigkeit, freiwillige versicherung, arbeitsunfall, unternehmen, steuerberater, versicherungsschutz, unfallversicherung, unternehmer, berufsverband, anerkennung

Bundessozialgericht
Urteil vom 18.03.2008
Sozialgericht Reutlingen S 10 U 778/03
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 2 U 4573/04
Bundessozialgericht B 2 U 2/07 R
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Dezember 2006
aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. August 2004 wird
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor dieses Urteils wie folgt gefasst wird: Es wird festgestellt, dass der
Unfall des Klägers am 22. März 2002 ein Arbeitsunfall ist. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers
in allen Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Unfall des Klägers am 22. März 2002 ein Arbeitsunfall ist.
2
Der Kläger betreibt mit Partnern eine Kanzlei der vereidigten Buchprüfer und Steuerberater in R. Für diese
selbstständige Tätigkeit besteht bei der Beklagten eine freiwillige Versicherung. Daneben ist der Kläger gewählter
Vorstandsvorsitzender des Bundes der vereidigten Buchprüfer (BvB) eV und als solcher ehrenamtlich tätig; er erhält
für diese Tätigkeit laut Satzung keine Vergütung, sondern lediglich Auslagenerstattung.
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Am 22. März 2002 nahm der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender des BvB an einer Besprechung
mit Vertretern der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) sowie des Instituts der Wirtschaftsprüfer eV (IDW) in D teil. Auf
dem Rückweg nach R stürzte er gegen 17:30 Uhr auf dem Flughafengelände in S und verletzte sich dabei.
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Die Beklagte lehnte die Entschädigung des Unfalls vom 22. März 2002 als Arbeitsunfall ab; der Kläger habe bei der
zum Unfall führenden Tätigkeit nicht unter Versicherungsschutz gestanden (Bescheid vom 14. August 2002). Der
Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, Anlass für den Unfall sei die notwendige Eile im Zusammenhang mit der
versicherten Tätigkeit gewesen, weil noch am Unfalltag um 19:30 Uhr eine telefonische Besprechung mit
Auftraggebern vereinbart gewesen sei, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20. März 2003).
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Hiergegen hat der Kläger bei dem Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Das SG hat die Beklagte unter
Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, "den Unfall vom 22.03.2002 als versicherten Arbeitsunfall
anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung dem Grunde nach zu gewähren" (Urteil vom
18. August 2004). Der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem versicherten Weg befunden, weil seine
Teilnahme an der Besprechung in D auch wesentlich seinem Unternehmen gedient habe. Denn Zweck der
Zusammenkunft sei die Sicherung der Existenz aller Unternehmen der vereidigten Buchprüfer - und damit mittelbar
auch die seines eigenen - gewesen.
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Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) das erstinstanzliche Urteil
aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Dezember 2006). Der Kläger sei weder als noch wie ein
Beschäftigter tätig gewesen. Er habe zwar aufgrund seiner freiwilligen Versicherung als Steuerberater grundsätzlich zu
dem nach § 6 Abs 1 Nr 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) versicherten Personenkreis gehört, seine
Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender seines Berufsverbandes sei jedoch nicht Bestandteil seiner versicherten Tätigkeit
gewesen. Dabei handele es sich um zwei voneinander unabhängige und inhaltlich unterschiedliche Tätigkeiten, was
sich bereits daran zeige, dass die "Steuerprüfertätigkeit" voll ausgeübt werden könne, ohne Vorstandsvorsitzender
des Berufsverbandes zu sein; dass dies andersherum nicht möglich sei, weil ein Vorstandsvorsitzender eines
Berufsverbandes denknotwendig nur ein Angehöriger der entsprechenden Berufsgruppe sein könne, mache aus der
verbandspolitischen Arbeit jedoch keine versicherte berufliche Tätigkeit. Gegenstand der Besprechung in D seien
ausschließlich die Zusammenlegung der Berufe des vereidigten Buchprüfers und Wirtschaftsprüfers, die Entwicklung
eines gemeinsamen Gesetzentwurfs zur Zusammenführung der beiden Berufe sowie die damit zusammenhängenden
wirtschaftlichen Auswirkungen gewesen. Entsprechende Ergebnisse der Gremien der Berufsorganisationen berührten
zwar generell die Belange der Mitgliedsbetriebe und daraus ergäben sich auch reflexartig Auswirkungen auf das
Unternehmen des Klägers. Maßgeblich sei hier aber, dass der Kläger in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender
und nicht als Steuerberater des eigenen Unternehmens aufgetreten sei, er vielmehr den BvB und damit alle diesem
zugehörigen Mitgliedsbetriebe repräsentiert habe. Damit habe im Vordergrund seiner Tätigkeit am Unfalltage diejenige
als Vorstandsvorsitzender gestanden und seine Handlungstendenz sei wesentlich auf die Wahrnehmung der
Verbandsinteressen gerichtet gewesen, wofür er auch vom Verwaltungsrat gewählt worden sei. Die reflexartigen
Auswirkungen seiner Vorsitzendentätigkeit stellten keinen Unfallversicherungsschutz begründenden betrieblichen und
beruflichen Bezug her. Diese Tätigkeit sei daher dem privaten, persönlichen und eigenwirtschaftlichen Bereich
zuzurechnen.
7
Auch unter dem Gesichtspunkt einer gemischten Tätigkeit habe kein Versicherungsschutz bestanden, weil die
eigenwirtschaftliche Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender, in deren Zusammenhang allein die Hin- und Rückreise von
und nach D erfolgt sei, klar von seiner Tätigkeit als Steuerberater zu trennen sei. Auch bei Annahme einer gemischten
Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger auf der Rückfahrt seine Kanzlei erreichen wollte, könne
Versicherungsschutz nicht bejaht werden, da die Rückreise von D ohne die eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht erfolgt
wäre. Selbst wenn der Weg von D zu seiner Kanzlei als "Hinweg" anzusehen wäre, hätte kein Versicherungsschutz
bestanden, weil der Weg von D als "drittem Ort" nach R nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem
gewöhnlichen Weg von seiner Wohnung zu seiner Kanzlei in R gestanden hätte. Irrelevant sei schließlich der Vortrag
des Klägers, die "betriebsbedingte Eile" habe zu dem Unfall geführt, da er sich nicht auf einem versicherten Weg
befunden habe und im Übrigen auch nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts des Zeitraums von mehr als
zwei Stunden zwischen der Landung in S und der vereinbarten beruflichen Besprechung sowie der Entfernung von nur
30 bis 40 km zwischen dem Flughafen S und R unter besonderem Zeitdruck gestanden haben solle.
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Mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 6
Abs 1 Nr 1 SGB VII. Das LSG habe den Anwendungsbereich der versicherten Tätigkeit zu eng gezogen, indem es
angenommen habe, es sei für die Annahme einer versicherten Tätigkeit schädlich, wenn im Vordergrund der Tätigkeit
die Funktion im Berufsverband stehe und diese nur "reflexartige" Auswirkungen auf die sonstige berufliche Tätigkeit
habe. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) reiche es aus, dass die Tätigkeit nicht nur
einen einzelnen Betrieb, sondern die Interessen einer ganzen Betriebsgruppe betreffe und dass sie geeignet sei, sich
wenigstens später auf die betriebliche Tätigkeit auszuwirken (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22. September 1988 - 2 RU
82/87). Bei der Frage des inneren Zusammenhangs sei auch die besondere Situation zu der Zeit, als er seine Reise
unternommen habe, zu berücksichtigen, die er bei seiner Anhörung vor dem LSG deutlich geschildert habe. Von der
auch durch das in D abzuhaltende Gespräch zu gestaltenden Entwicklung habe nämlich seine eigene berufliche
Fortexistenz und die seiner Praxis abgehangen, da zu gewärtigen gewesen sei, dass seine Praxis keine
Prüfungsaufträge mehr erhalten würde, dadurch bereits zu Beginn des Jahres 2005 etwa 50.000 EUR weniger
Einnahmen erzielen könne und so eineinhalb Arbeitsplätze gefährdet würden. Deutlicher könne die Unmittelbarkeit
seiner Tätigkeit im Berufsverband nicht markiert werden. Die Feststellungen des LSG, er habe sein Handeln auf die
Wahrnehmung von Verbandsinteressen gerichtet und er sei dazu auch vom Verwaltungsrat des BvB gewählt worden,
seien offenkundig eigene Vorstellungen des Senats. Tatsächlich habe er - schon nach der Satzung des BvB - die
Interessen der Mitglieder wahrzunehmen gehabt und sei gewählt worden, weil er vereidigter Buchprüfer sei.
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Entgegen der Auffassung des LSG habe auch betriebsbedingte Eile vorgelegen, weil die Besprechung in R bereits um
19:00 Uhr stattgefunden habe und die Parkgebühr um 17:32 Uhr bezahlt worden sei, mithin nur eineinhalb Stunden bis
zur Besprechung zur Verfügung gestanden hätten und er diese Besprechung noch habe vorbereiten müssen. Auch die
Erwägung des LSG, D hätte als "dritter Ort" nicht mehr in angemessenem Verhältnis zum normalen Berufsweg
gestanden, sei unzutreffend, weil nicht D , sondern der Ausgang des in S gelandeten Flugzeugs als "dritter Ort" zu
qualifizieren gewesen wäre, da dann nur der Flug nach D als eigenwirtschaftlich anzusehen wäre, während der
Wirkungskreis seiner bloßen Praxistätigkeit als vereidigter Buchprüfer wenigstens den Raum Württemberg umfasse,
so dass die Distanz nach S nicht als unverhältnismäßig gelten könne.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG vom 20. Dezember 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des SG vom 18. August 2004 zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
12
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
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Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten zu
Unrecht aufgehoben und die Klage abgewiesen. Denn der Unfall, den der Kläger am 22. März 2002 erlitten hat, ist ein
Arbeitsunfall, wie das SG zutreffend entschieden hat. Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2002 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
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Die auf Anerkennung des Unfalls vom 22. März 2002 als Arbeitsunfall gerichtete Klage ist bei sinnorientierter
Auslegung als Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) aufzufassen, mit der unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die gerichtliche
Feststellung erreicht werden soll, dass der streitige Unfall ein Arbeitsunfall ist (vgl BSG SozR 2200 § 551 Nr 35; SozR
4-2700 § 2 Nr 2 RdNr 4; SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 4-5; SozR 4-2700 § 8 Nr 16 RdNr 10). Soweit die Beklagte im
erstinstanzlichen Urteil darüber hinaus verurteilt worden ist, "Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung dem
Grunde nach zu gewähren", handelt es sich um ein unzulässiges Grundurteil ohne vollstreckungsfähigen Inhalt, dem
neben dem Feststellungsausspruch keine eigenständige Bedeutung zukommt (zu alledem BSG, Urteil vom 30. Januar
2007 - B 2 U 6/06 R - mwN).
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Rechtsgrundlage für die Anerkennung des Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall ist § 8 SGB VII. Nach § 8 Abs 1 Satz
1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des
Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang),
diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis -
geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten
verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des
Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines
Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R =
BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, jeweils RdNr 5; BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17).
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Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist daher in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei
dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit
andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine Verbindung mit der im Gesetz genannten
versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende
Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 §
548 Nr 82 und 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19 und 26). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem
untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der
gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200
§ 548 Nr 84). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSGE 58,
80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 mwN; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84). Innerhalb dieser Wertung
stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen
nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19). Maßgeblich ist die
Handlungstendenz des Versicherten (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und 17), so wie sie insbesondere durch die
objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG SozR 2200 § 548 Nr 90).
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Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG bestand für den Kläger zwar weder im Verhältnis zu seiner Kanzlei noch zum BvB
ein Beschäftigungsverhältnis, aufgrund dessen er nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zur Zeit seines Unfalls am 22. März
2002 versichert gewesen sein könnte. Auch aus dem Gesichtspunkt einer ehrenamtlichen Tätigkeit für eine der in § 2
Abs 1 Nr 10 SGB VII in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung des Gesetzes vom 7. August 1996 (BGBl I 1254)
genannten Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände bzw öffentlich-
rechtlichen Religionsgemeinschaften oder in § 2 Abs 1 Nr 2 und 8 SGB VII genannten Einrichtungen kommt hier
Unfallversicherungsschutz für den Kläger nicht in Betracht, weil der BvB nicht hierunter fällt.
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Der Kläger war aber nach den Feststellungen des LSG aufgrund freiwilliger Versicherung als Unternehmer
(selbstständiger vereidigter Buchprüfer und Steuerberater) gemäß § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII grundsätzlich gegen
Arbeitsunfall versichert. Für die Beantwortung der hier relevanten Frage, ob eine bestimmte Verrichtung im inneren
Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit steht, ist über die oben aufgeführten Kriterien hinaus bei
Verrichtungen eines Unternehmers zu beachten, ob sich die jeweilige Tätigkeit im Rahmen des Unternehmens hält
und die zum Unfall führende Verrichtung als solche im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit liegt (BSG SozR 3-
2200 § 548 Nr 30; BSGE 87, 224, 225 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41; Krasney in Schulin, Handbuch des
Sozialversicherungsrechts, Bd 2 Unfallversicherungsrecht, 1996, § 8 RdNr 48).
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Dabei helfen allgemeine Überlegungen zu einer "Unternehmensdienlichkeit" des Verhaltens des Versicherten zur Zeit
des Unfalls nicht weiter. Gerade bei versicherten Unternehmern ist der Kreis der Verrichtungen, die als
"unternehmensdienlich" angesehen werden können, mit weiten Teilen des Privatlebens verwoben; maßgebliches
Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten
Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist hier die durch die objektiven Umstände gestützte
Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine seinem Unternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (stRspr, s
etwa zuletzt BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - B 2 U 28/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 20 mwN ; BSGE 94, 262 =
SozR 4-2700 § 8 Nr 14, jeweils RdNr 8 mwN).
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Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Kläger am 22. März 2002 auf der Rückreise von
einer Besprechung in D , die er als Vorstandsvorsitzender des BvB unternommen hatte, gestürzt und hat sich dabei
verletzt. Dass diese unfallbringende Verrichtung nach den Vorstellungen des Klägers seiner versicherten Tätigkeit als
selbstständiger vereidigter Buchprüfer und Steuerberater zu dienen bestimmt war (Handlungstendenz), ist weder vom
LSG noch von der Beklagten bezweifelt worden. Für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einem Unternehmen
ist indes entscheidend nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Unternehmers abzustellen; maßgeblich ist vielmehr
eine objektive Betrachtungsweise dahin, ob ein anhand objektiver Kriterien nachvollziehbarer Zusammenhang mit dem
Unternehmen anzunehmen ist (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 90).
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Entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG lagen diese Voraussetzungen für die Reise des Klägers nach D
(und zurück) vor; sie fiel damit in den Bereich seiner unternehmerischen Tätigkeit. Nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG können Beschäftigte und Unternehmer gleichermaßen unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung stehen, wenn sie in der eigenen Berufsorganisation mitarbeiten oder nur an einzelnen
Veranstaltungen teilnehmen, sofern dies dem Unternehmen dient, in dem der Mitarbeiter bzw Teilnehmer als
Versicherter tätig ist (s etwa BSG SozR 2200 § 539 Nr 129; BSGE 42, 36, 37 = SozR 2200 § 539 Nr 19; BSGE 30,
282, 283 = SozR Nr 19 zu § 548 RVO; BSGE 30, 284, 286 = SozR Nr 16 zu § 548 RVO; Krasney in Brackmann,
Handbuch der Sozialversicherung, Bd III, Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII -, Stand September 2006, § 8
RdNr 117 mwN).
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Bei einem versicherten Unternehmer wie dem Kläger ist im hier relevanten Zusammenhang die betriebsfördernde
Bedeutung der Mitarbeit in dem Berufsverband für die Führung des eigenen Unternehmens maßgebend (vgl BSGE 30,
282, 283 = SozR aaO und 284, 287 = SozR aaO; BSG SozR 2200 § 539 Nr 129 mwN). Dabei muss es entsprechend
der wirtschaftlichen Entwicklung, die in vielen Bereichen zu einem Zusammenschluss von Unternehmen bzw
Freiberuflern mit gleichem oder ähnlichem Geschäftsgegenstand zur effektiveren Geltendmachung ihrer spezifischen
Interessen insbesondere im Hinblick auf die Reaktion gegenüber staatlichen Maßnahmen bzw die Anregung für die
Vornahme von solchen geführt hat, ausreichen, dass die Vorgänge nicht nur den eigenen Betrieb allein, sondern die
Interessen einer ganzen Betriebsgruppe bzw Gruppe von Freiberuflern betreffen und dass sie geeignet sind, sich
wenigstens später in irgendeiner Weise auf die betriebliche Tätigkeit nützlich auszuwirken (vgl BSG SozR 2200 § 539
Nr 129 mwN; Krasney aaO mwN).
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Der Berufsverband BvB, für den der Kläger als Unternehmer und Angehöriger der darin organisierten Berufsgruppe
ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender tätig gewesen ist, war offenkundig auf die Wahrnehmung der Interessen der
Mitglieder bzw Mitgliedsbetriebe ausgerichtet, da nur Angehörige des Berufes der vereidigten Buchprüfer als Mitglieder
zugelassen waren. Bereits von daher könnte eine Vermutung dafür sprechen, dass Tätigkeiten, die ein
Vorstandsmitglied dieses Verbandes - zumal mit der Qualifikation des Klägers - im Rahmen von dessen
berufsbezogenen Aufgaben vornimmt, also nicht lediglich geselliger, gesellschaftlicher oder allgemeinpolitischer Natur
ist, in irgendeiner Weise früher oder später für zumindest einen Teil der Mitgliedsbetriebe von Bedeutung sein wird.
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Im vorliegenden Fall bedarf es einer solchen Vermutung indes nicht. Denn hinsichtlich des konkreten Anlasses für die
Reise des Klägers nach D und zurück hat das LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt, Gegenstand der dortigen
Besprechung seien ausschließlich die Zusammenlegung der Berufe des vereidigten Buchprüfers und
Wirtschaftsprüfers, die Entwicklung eines gemeinsamen Gesetzentwurfs zur Zusammenführung der beiden Berufe
sowie die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Auswirkungen gewesen. Es ist kaum ein anderes Thema
vorstellbar, das wie dieses geeignet war, die Interessen aller Mitgliedsbetriebe - und damit auch den des Klägers
selbst - spürbar zu berühren und ggf später ihnen gegenüber auch konkrete wirtschaftliche Bedeutung zu entfalten, da
die möglichen Tätigkeitsbereiche der Betriebe und damit die Einnahmequellen dadurch offensichtlich erheblich
beeinflusst werden konnten. Dass ein solcher Einfluss lediglich "reflexartig" auf das Unternehmen des für den
Berufsverband handelnden Vorstandsmitglieds einzuwirken vermag, liegt in der Natur einer interessenorientierten
Berufsverbandsarbeit, die regelmäßig versucht, Einfluss auf die entscheidenden Stellen oder andere Berufs- oder
Unternehmensgruppen im Sinne der Anregung von Maßnahmen zu nehmen, oder die bemüht ist, durch
Vereinbarungen die Bedingungen für die Mitglieder zu verbessern oder gegen negative Einwirkungen zu schützen.
Auswirkungen aus solchen Aktivitäten werden in aller Regel die Mitgliedsbetriebe nur mittelbar - was offenbar mit dem
vom LSG gebrauchten Ausdruck "reflexartig" gemeint ist - berühren, was allerdings durchaus zu spürbaren
Veränderungen für die unternehmerischen Möglichkeiten führen kann.
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Der von der Beklagten als Argument für ihre Ansicht angeführte Referentenentwurf zur Verbesserung des
unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen, nach dem § 2 Abs 1 Nr
10 SGB VII unter Buchst c) dahin erweitert werden sollte, dass Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen
für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbstständigen Arbeitnehmervereinigungen mit
sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese
Tätigkeit teilnehmen, in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden, wurde nicht Gesetz. Stattdessen wurde
für die genannten Personen durch das Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes
bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 3299) nicht eine
Pflichtversicherung, sondern eine freiwillige Versicherung geschaffen (vgl § 6 Abs 1 Nr 4 SGB VII). Dies führt zu
keiner anderen Beurteilung der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage, denn daraus ist lediglich zu ersehen, dass
der Gesetzgeber die für die angeführten Organisationen ehrenamtlich tätigen Personen umfassend und unabhängig
von einer sachlichen Verbindung ihrer dortigen konkreten Tätigkeit zu einer bereits aufgrund anderer grundsätzlich
versicherter Tätigkeiten - etwa einer freiwilligen Versicherung als Unternehmer - auf freiwilliger Basis in die
Unfallversicherung einbeziehen will; es soll danach nicht einmal erforderlich sein, dass die jeweilige ehrenamtliche
Tätigkeit irgendeinen Bezug zum beruflichen Umfeld der betreffenden Person hat. Demgemäß kann daraus nicht
geschlossen werden, dass grundsätzlich etwa vom mangelnden Unfallversicherungsschutz der nach § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII oder § 6 SGB VII aF Versicherten, die im Rahmen der bisherigen, oben aufgezeigten Rechtsprechung des
BSG bei bestimmten, mit ihrer versicherten beruflichen Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Tätigkeiten in
Berufsorganisation oder -verbänden mitarbeiten, ausgegangen wurde.
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Da der Kläger im Rahmen der demnach grundsätzlich versicherten Tätigkeit als Steuerberater und vereidigter
Buchprüfer auf einer dieser Tätigkeit zuzurechnenden Dienstreise als Vorstandsvorsitzender des BvB bei einer
betriebsdienlichen Verrichtung - dem Zurücklegen des Weges vom Ort des Geschäfts zurück zum Sitz seines
Unternehmens - verunglückte und sich dabei Verletzungen zuzog, sind die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall
sämtlich erfüllt.
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Nach alledem war auf die Revision des Klägers das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das zusprechende Urteil des SG zurückzuweisen. Lediglich der Tenor des - nunmehr rechtskräftigen -
erstinstanzlichen Urteils war zur Klarstellung neu zu fassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.