Urteil des BSG vom 17.10.2007
BSG: beendigung, arbeitslosigkeit, auflösung, fristlose kündigung, ordentliche kündigung, anhörung, kündigungsfrist, arbeitsentgelt, rahmenfrist, abfindung
Bundessozialgericht
Urteil vom 17.10.2007
Sozialgericht Dortmund S 33 AL 195/01
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 1 AL 38/03
Bundessozialgericht B 11a AL 7/06 R
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2005
wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beteiligten einander in allen drei Rechtszügen keine
außergerichtlichen Kosten zu erstatten haben.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten wegen der Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst den darauf entfallenden
Sozialversicherungsbeiträgen, welches die Beklagte einem früheren Arbeitnehmer der Klägerin in der Zeit vom 27.
September 1998 bis zum 25. Januar 2000 und vom 17. März 2000 bis zum 20. September 2000 erbracht hat.
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Der am 27. September 1940 geborene Arbeitnehmer W G (im Folgenden Arbeitnehmer) war seit 1964 bei der Klägerin
beschäftigt, zuletzt als Sachgebietsleiter der Vertriebsabteilung Export mit Handlungsvollmacht. Für den Arbeitgeber
galt die gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende. Mit (nach ihrem Vortrag vordatiertem)
Schreiben vom 30. Mai 1997 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31.
Dezember 1997. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage war mangels sozialer Rechtfertigung der Kündigung
erfolgreich (Urteil des Arbeitsgerichts (ArbG) vom 14. Januar 1998 - 3 Ca 1321/97; Urteil des Landesarbeitsgerichts
(LAG) vom 8. September 1998 - 13 Sa 637/98; Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 26. Mai 1999 - 10
AZN 120/99).
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Noch während des laufenden Verfahrens kündigte die Klägerin erneut mit Schreiben vom 26. Januar 1998, diesmal
fristlos mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe in der mündlichen Verhandlung vor dem ArbG am 14. Januar 1998
durch falsche Angaben zum Zugang der ersten Kündigung einen versuchten Prozessbetrug begangen. Der hiergegen
erhobenen Kündigungsschutzklage gab das ArbG mangels Anhörung des Betriebsrats und wichtigen Grundes statt
(Urteil vom 3. November 1999 - 3 Ca 221/98). Das LAG wies die Berufung der Klägerin rechtskräftig zurück, löste aber
auf ihren Hilfsantrag das Arbeitsverhältnis zum 26. Januar 1998 gegen Zahlung einer Abfindung von 115.000 DM auf
(Urteil vom 9. Juni 2000 - 15 Sa 2285/99).
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Seit dem 1. Januar 1998 bezog der Arbeitnehmer abgesehen von einer krankheitsbedingten Unterbrechung in der Zeit
vom 26. Januar 2000 bis zum 16. März 2000 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 2. November 2000 Alg. In der
Folgezeit forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung des gezahlten Alg nebst der darauf entfallenden
Sozialversicherungsbeiträge, und zwar für die Zeiten vom 27. September 1998 bis zum 31. März 1999 in Höhe von
26.317 DM (richtig: Bescheid vom 22. März 2001, Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001), vom 1. April 1999 bis
(richtig) zum 25. Januar 2000 in Höhe von 42.484,60 DM (Bescheid vom 13. Juli 2001, Widerspruchsbescheid vom
26. November 2001) und vom 17. März 2000 bis zum 20. September 2000 in Höhe von 28.167,53 DM (Bescheid vom
24. Oktober 2001, Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2002).
5
Die dagegen erhobenen Klagen wies das Sozialgericht (SG) nach Verbindung und Zeugenvernehmung des
Arbeitnehmers, des Prokuristen der Klägerin und deren Ehefrauen zur Frage des Zugangs des Kündigungsschreibens
vom 30. Mai 1997 und der dazu vom Arbeitnehmer im ersten Kündigungsschutzprozess vorgebrachten Behauptungen
ab (Urteil vom 10. März 2003). Nachdem weitere Ermittlungen der Beklagten im Berufungsverfahren keine Hinweise
zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine alternative Sozialleistung oder auf eine Rente wegen
Berufsunfähigkeit ergeben hatten, setzte diese nach erneuter Anhörung der Klägerin die Erstattungsforderung auf
insgesamt 96.969,59 DM = 49.574,76 EUR für 674 Leistungstage fest (Ersetzungsbescheid vom 3. September 2003).
Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 29. November 2005). Zur
Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG)
seien erfüllt. Befreiungstatbestände insbesondere nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 oder Nr 5 AFG habe die Klägerin
nicht bewiesen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des LAG vom 8. September 1998 stehe bindend fest, dass das
Arbeitsverhältnis durch die sozial ungerechtfertigte Kündigung vom 30. Mai 1997 nicht beendet worden sei. Ebenso
wenig sei die Klägerin berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt seiner Beendigung am 26. Januar
1998 aus wichtigem Grund zu kündigen. Aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung des SG habe die Klägerin
nicht bewiesen, dass der Arbeitnehmer zu ihren Lasten einen versuchten Prozessbetrug begangen habe. Die Klägerin
habe das Arbeitsverhältnis auch nicht wegen des Verdachts eines versuchten Prozessbetrugs kündigen dürfen. Denn
bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten noch keine hinreichend starken Verdachtsmomente für einen
vorsätzlich unwahren Prozessvortrag vorgelegen, sodass die Klägerin dem Arbeitnehmer vor einer
Verdachtskündigung Gelegenheit zur Stellungnahme habe geben müssen. Dies habe sie weder dargelegt noch
bewiesen. Auch könne die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das LAG einer Berechtigung zur Kündigung aus
wichtigem Grund nicht gleichgestellt werden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe eine Gleichstellung der Auflösung
eines Arbeitsverhältnisses mit einer ordentlichen Kündigung im Falle eines leitenden Angestellten abgelehnt, da
insoweit gerade der gegenteilige Fall geregelt werde. Dies sei auch vorliegend zutreffend. Denn Voraussetzung für
eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 13 Abs 1 Satz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sei gerade die
Unbegründetheit der außerordentlichen Kündigung. Davon abgesehen sei nach § 13 Abs 1 Satz 3 KSchG nur der
Arbeitnehmer antragsberechtigt gewesen, der aber keinen Auflösungsantrag gestellt habe. Ein Antragsrecht nach § 9
Abs 1 Satz 2 KSchG könne die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen. Die außerordentliche Kündigung könne
wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats nicht hilfsweise in eine ordentliche Kündigung umgedeutet bzw
dahingehend ausgelegt werden. Eine Bindung an die gegenteilige Beurteilung durch das LAG bestehe nicht.
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler sowie eine Verletzung des § 128 AFG. Die
vom LSG gebilligte Beweiswürdigung des SG zur Frage eines Rechts zur fristlosen Kündigung sei rechtsfehlerhaft.
Darüber hinaus sei die Klägerin entgegen der Auffassung des LSG bereits wegen des Verdachts eines versuchten
Prozessbetrugs zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen. Auf die vom LSG vermisste Anhörung des
Arbeitnehmers komme es nicht an, weil die Befreiung von der Erstattungspflicht nicht vom Ausspruch der Kündigung
abhänge, sondern allein davon, ob der Arbeitgeber nach der objektiven Rechtslage einen wichtigen Grund zur
fristlosen Kündigung gehabt habe. Schließlich begründe auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das LAG
einen Befreiungstatbestand iS von § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG. Denn wenn dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses auf Dauer unzumutbar iS von § 13 KSchG sei, stehe das im Hinblick auf die für eine
Erstattungspflicht erforderliche besondere Verantwortung des Arbeitgebers für den Eintritt der Arbeitslosigkeit einem
Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund jedenfalls dann gleich, wenn es - wie hier - nicht
um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines leitenden Angestellten gehe. Hätte das LSG den Sachverhalt
weiter aufgeklärt, so hätte es festgestellt, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für die Klägerin
unzumutbar gewesen sei. Bei der Geschäftsführung hätten auf Grund der Vertrauensposition des Arbeitnehmers
erhebliche Zweifel bestanden, ob er jemals bei der Klägerin weiterbeschäftigt werden könne. Zudem habe sein
Prozessbevollmächtigter im Termin vor dem LAG am 9. Juni 2000 der Klägerin vorgeworfen, die von ihr benannten
Zeugen seien gekauft. Dies sei einer der Gründe für den Vorschlag des damaligen Vorsitzenden Richters gewesen,
das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
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Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid vom 3. September 2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
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Die zulässige Revision ist unbegründet.
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1. Gegenstand des Verfahrens ist nur noch der während des Berufungsverfahrens ergangene Ersetzungsbescheid
vom 3. September 2003 (§§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), vgl BSGE 93, 159 = SozR 4-4100 §
128 Nr 3 RdNr 6), durch den die Beklagte die Erstattungsforderung auf insgesamt 49.574,76 EUR festgesetzt hat.
Hierüber hätte das LSG allerdings nicht im Rahmen der Entscheidung über die Berufung, sondern auf Klage befinden
müssen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, § 96 RdNr 7 mwN), was insoweit - da von einer
Änderung der Tenorierung abgesehen wurde - klarzustellen ist.
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2. Zutreffend hat das LSG die Voraussetzungen der Erstattung des an den früheren Arbeitnehmer der Klägerin
gezahlten Alg (einschließlich der geleisteten Sozialversicherungsbeiträge) bejaht. Grundlage für die Verpflichtung, Alg
und die hierauf entfallenden Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zu erstatten, ist § 128 Abs 1 und
4 AFG (idF durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) und anderer Gesetze
vom 15. Dezember 1995, BGBl I 1824). Dies folgt trotz der Aufhebung des § 128 AFG durch Art 11 Nr 27 des
Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I 594) mit Wirkung ab 1. April 1997 (Art 83 Abs
3 AFRG) und der Einführung des § 147a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erst ab 1. April 1999 aus § 431 Abs
1 SGB III (idF des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes vom 24. März 1999, BGBl I 396), der die Geltung
der Übergangsvorschrift zum AFRG in § 242x Abs 6 AFG weiterhin anordnet; § 431 Abs 2 SGB III ist demgegenüber
nicht anwendbar (vgl BSG SozR 4-4100 § 128 Nr 5 RdNr 13; BSG, Urteil vom 4. Juli 2007 - B 11a AL 23/06 R, zur
Veröffentlichung vorgesehen in SozR). Nach § 242x Abs 6 AFG und dem dort Bezug genommenen Abs 3 der
genannten Vorschrift ist § 128 AFG weiterhin anzuwenden, wenn die Erstattung (ua) Leistungen für Personen betrifft,
die - wie hier bei einer mehr als dreißigjährigen Beschäftigung bis zum 31. Dezember 1997 offensichtlich - innerhalb
der Rahmenfrist (§ 104 Abs 2 und 3 AFG) mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 in einer die
Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden haben (§ 242x Abs 3 Satz 1 Nr 1 AFG).
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Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor
dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs 2 AFG (jetzt § 124 Abs 1 SGB III) die Rahmenfrist bestimmt
wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der
Bundesanstalt für Arbeit - jetzt Bundesagentur für Arbeit (BA) - vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des
58. Lebensjahres des Arbeitslosen (dh hier ab 27. September 1998), längstens für 624 Tage, die sich für
Erstattungszeiträume nach dem 31. Dezember 1997 infolge der Umstellung des Alg auf Kalendertage (§ 139 SGB III
idF des AFRG, aaO) auf 728 Tage (624: 6 x 7 = 728) erhöhen (§ 431 Abs 1 Satz 2 SGB III). Diese Voraussetzungen
des Erstattungsanspruchs sind nach den Feststellungen der Vorinstanz (§ 163 SGG) erfüllt. Die Erstattungsforderung
überschreitet mit 674 Tagen auch die zulässige Höchstdauer nicht.
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3. a) Auch die negativen Erstattungsvoraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 (1. Alt) AFG schließen die Erstattung
nicht aus. Danach tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56.
Lebensjahres des Arbeitslosen beendet worden ist oder der Arbeitslose auch die Voraussetzungen für eine der in §
118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt. Diese
gesetzlichen Voraussetzungen sind, was auch die Klägerin nicht in Abrede stellt, nicht gegeben. Denn der am 27.
September 1940 geborene Arbeitnehmer hatte sein 56. Lebensjahr am 27. September 1996 vollendet, sodass die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte, unabhängig davon, ob man auf die
tatsächliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 1997 oder auf die rechtliche
Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 26. Januar 1998 durch das arbeitsgerichtliche Urteil abstellt. Nach den
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) standen dem Arbeitnehmer in den maßgeblichen Erstattungszeiträumen auch
keine der in § 128 Abs 1 Satz 2 AFG genannten anderweitigen Leistungen zu.
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b) Die Erstattungspflicht tritt nach § 128 Abs 1 Satz 2 (2. Alt) AFG ferner nicht ein, wenn der Arbeitgeber - soweit hier
von Bedeutung - darlegt und nachweist, dass er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet
hat, wobei § 7 KSchG keine Anwendung findet und das Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) an eine rechtskräftige
Entscheidung des ArbG über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung gebunden ist (Nr 4) oder dass er bei
Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung
einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen (Nr 5). Nach diesen Vorschriften lässt sich - wie das
LSG im Ergebnis zu Recht entschieden hat - eine Befreiung von der Erstattungspflicht im Streitfall ebenfalls nicht
feststellen.
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aa) Mit ihrer ordentlichen Kündigung vom 30. Mai 1997 zum 31. Dezember 1997 hat die Klägerin das Arbeitsverhältnis
nicht iS des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG beendet, weil die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers gegen diese
Kündigung erfolgreich war. Insbesondere war diese Kündigung nach dem rechtskräftig gewordenen Berufungsurteil
des LAG vom 8. September 1998 (13 Sa 637/98) sozial ungerechtfertigt, was nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Halbsatz
2 AFG auch für die sozialrechtliche Beurteilung verbindlich ist.
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bb) Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit Erfolg auf den Ausnahmetatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG
berufen. Sie hat weder dargelegt noch hätte sie darlegen können (zur Durchbrechung des Amtsermittlungsgrundsatzes
durch den Beibringungsgrundsatz vgl BSGE 87, 132 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 11),
dass sie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, dieses aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist zu kündigen. Denn nach dem Vortrag der Klägerin bestanden weder ein Recht zur Kündigung aus
wichtigem Grund noch ein Grund zur Auflösung "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" (vgl auch die gleich
lautende Nachfolgeregelung in § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB III iVm § 434 l Abs 3 und 4 SGB III). Hierfür kommt es
nämlich maßgeblich auf die Beendigung des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses (hierzu grundsätzlich
Voelzke, Festschrift für Küttner, 2006, S 345 ff) an, wenn diese nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
übereinstimmt.
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Zwar scheint nach dem Wortlaut des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG zunächst nahe liegend, auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses abzustellen und bezogen auf diesen Zeitpunkt zu prüfen, ob objektiv ein Recht zur Kündigung
bestand. Indes greift eine solche Interpretation, wie sie die Klägerin vornimmt, zu kurz. Der Befreiungstatbestand des
§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG ist im Gesamtzusammenhang der Erstattungspflicht nach § 128 AFG zu sehen. So hat
der Senat bereits zu einem anderen Ausnahmetatbestand, nämlich der Kündigung durch den Arbeitnehmer (§ 128 Abs
1 Satz 2 Nr 3 AFG), entschieden, dass die Erstattungspflicht dem Grunde nach unabhängig davon eintritt, ob das
Arbeitsverhältnis rechtlich beendet wird. Die Erstattungspflicht hängt vielmehr wesentlich ab vom Eintritt der
Arbeitslosigkeit, die nach § 101 Abs 1 AFG vorliegt, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem
Beschäftigungsverhältnis steht (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2). Maßgeblich für das Entstehen der Erstattungspflicht
ist also das Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Selbst wenn man bei § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG von einer
Regelungslücke ausgehen würde, geben die Gesetzesmaterialien keinen Anhalt dafür, dass bei den
Befreiungstatbeständen bedacht worden ist, dass Arbeitslosigkeit und Erstattungspflicht vor dem rechtlichen Ende
des Arbeitsverhältnisses eintreten können. Dies gilt auch für den Fall, dass nur die Arbeitslosigkeit vor dem Ende des
Arbeitsverhältnisses eintritt, die Erstattungspflicht hingegen aus anderen Gründen erst zu einem Zeitpunkt nach der
rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Tragen kommt (vgl zu § 128 Abs 1 Satz Nr 5 AFG BT-Drucks
9/846 S 45; BT-Drucks 12/3211 S 25). Entscheidend ist deshalb, dass die Erstattungsregelung des § 128 AFG in
zulässiger Weise das Risiko der Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer grundsätzlich dem Arbeitgeber überantwortet
(hierzu eingehend BVerfGE 81, 156; vgl auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. September 2005 - 1 BvR 620/01)
und dieser sich deshalb nur entlasten kann, wenn er die eingetretene Arbeitslosigkeit nicht ursächlich
mitzuverantworten hat (BSG, aaO, S 24; vgl auch BSG, Urteil vom 27. Januar 2005 - B 7a/7 AL 32/04 R zu § 147a
Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III). § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG ist daher funktionsdifferent dahingehend auszulegen, dass
die Berechtigung zur Kündigung aus wichtigem Grund grundsätzlich bei Beendigung der Beschäftigung vorhanden
sein muss (Brand in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 14 RdNr 65; ders in Niesel,
AFG, 2. Aufl, § 128, RdNr 52; wohl auch Gagel, AFG, § 128 RdNr 136; Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, 147a RdNr
111, 233).
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So liegen die Dinge nach dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen Feststellungen im vorliegenden Fall
nicht. Die Arbeitslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne ab 1. Januar 1998 wurde allein durch die sozial
ungerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung der Klägerin zum 31. Dezember 1997 verursacht. Der geltend gemachte
wichtige Grund zur fristlosen Kündigung sowie die Gründe zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses am 26. Januar 1998
sind demgegenüber bereits nach dem Vortrag der Klägerin ausschließlich in der Folge des ersten
Kündigungsschutzprozesses im Termin vor dem ArbG am 14. Januar 1998 entstanden. Die zuvor bereits ab dem 1.
Januar 1998 eingetretene Arbeitslosigkeit ist für die anschließende Zeit nicht durch die nachträgliche fristlose
Kündigung bzw durch ein nachträglich entstandenes Recht hierzu entscheidend verursacht worden. Die darlegungs-
und beweispflichtige Klägerin behauptet nicht einmal, dass die als Folge der rechtswidrigen ordentlichen Kündigung
vom 30. Mai 1997 bereits ab 1. Januar 1998 eingetretene Arbeitslosigkeit einen anderen Verlauf (durch
Wiedereinstellung) genommen hätte, falls es nicht zu dem Vorgang gekommen wäre, aus dem sie ein Recht zur
fristlosen Kündigung und ersatzweise Auflösungsgründe herleitet.
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Dahingestellt bleiben kann daher, ob die Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 26. Januar 1998 nach
ihrem Vortrag zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt war, unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des BAG also der Sachverhalt an sich als wichtiger Kündigungsgrund geeignet war und zudem die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar war oder nicht (vgl BAG AP Nr 202 zu § 626 Bürgerliches
Gesetzbuch). Keiner Entscheidung bedarf damit auch die weitere Frage, ob Auflösungsgründe vorlagen, die dem
genannten Kündigungsrecht gleichzustellen wären, obwohl die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe
der §§ 13, 9 KSchG auch hier - und nicht nur bei leitenden Angestellten nach § 14 KSchG (hierzu BSG SozR 4-4300 §
147a Nr 1 RdNr 12 ff) - gerade voraussetzt, dass kein Kündigungsgrund vorhanden ist.
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Die Erstattungspflicht der Klägerin scheitert auch nicht daran, dass das Alg im Erstattungszeitraum und in der
geforderten Höhe nicht zu erbringen gewesen wäre. Diese Prüfung darf sich allerdings nicht darauf beschränken, dass
die von der Klägerin geforderten Beträge mit dem gezahlten Alg und den darauf entfallenden Beiträgen
übereinstimmen, sondern zur Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung ist erforderlich, dass die
gezahlten Leistungen - auch der Höhe nach - rechtmäßig an den Arbeitnehmer zu erbringen waren (vgl ua BSG SozR
3-4100 § 128 Nr 2 mwN RdNr 32). Hinweise auf einen unrechtmäßigen Leistungsbezug bietet der Sachverhalt
indessen nicht, insbesondere keinen Anhalt für einen sperrzeitbedingten Ruhenstatbestand (§ 119 AFG, § 144 SGB
III; zum Übergangsrecht vgl Niesel, SGB III, 1. Aufl, § 144 RdNr 125) allein oder im Verbund mit der gezahlten
Abfindung (§ 117a AFG iVm § 242x Abs 3 AFG, § 427 Abs 6 SGB III idF des AFRG) mit Auswirkungen auf den am
27. September 1998 beginnenden Erstattungszeitraum.
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4. Schließlich geben auch die Berechnungen zur Höhe der Erstattungspflicht anhand der vom LSG ergänzend Bezug
genommenen Verwaltungsakte keinen Anlass zu Zweifeln an deren Rechtmäßigkeit. Die Beklagte hat das der
Erstattungspflicht zu Grunde liegende Alg zwar entgegen § 130 Abs 1 SGB III nach dem jährlichen Arbeitsentgelt von
78.094,43 DM und nicht nach dem Arbeitsentgelt der letzten 52 Wochen vor Entstehung des Alg-Anspruchs
berechnet. Hiervon ausgehend hat sie ein gerundetes (§§ 132 Abs 3, 338 Abs 3 SGB III idF des 1. SGB III-
Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2970) wöchentliches Bemessungsentgelt von 1.500 DM ab 1.
Januar 1998, von 1.520 DM ab 1. Januar 1999 (§ 138 SGB III iVm SGB III-Anpassungsverordnung 1998 vom 18. Juni
1998, BGBl I 1397), von 1.540 DM ab 1. Januar 2000 (§ 138 SGB III iVm SGB III-Anpassungsverordnung 1999 vom
7. Mai 1999, BGBl I 875) und von 1.700 EUR ab 22. Juni 2000 (+ 10 %, § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III) errechnet. Bei
diesem Ergebnis verbleibt es zu Gunsten der Klägerin auch, wenn im Anwendungsbereich des § 130 SGB III nur volle
Entgeltabrechnungszeiträume (hierzu BSG SozR 4-4300 § 133 Nr 3; BSG SozR 4-4300 § 134 Nr 1) und aus diesem
Grund nicht das Januargehalt 1997 in die Berechnung einzubeziehen sind und des Weiteren das Dezembergehalt
1997 außer Betracht bleibt, weil dieses bei Ausscheiden aus dem Versicherungspflichtverhältnis noch nicht
abgerechnet war. Denn damit reduziert sich neben dem Arbeitsentgelt (auf 65.346,65 DM) auch der Wochen-Divisor
entsprechend (§ 132 Abs 2 SGB III) und liegt bereits das anfängliche wöchentliche Bemessungsentgelt mit 1.510 DM
über dem tatsächlich zu Grunde gelegten anfänglichen wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.500 DM. Vom
Jahresarbeitsentgelt ausgehend hat die Beklagte nach den Angaben des Arbeitnehmers zu Personenstand
(verheiratet, ohne Kind) und Lohnsteuerklasse III anhand der Leistungsentgeltverordnungen 1998, 1999 und 2000 zu
Gunsten der Klägerin das wöchentliche Leistungsentgelt für die Zeit ab dem 1. Januar 1998 mit 555,24 DM, für die
Zeit ab 1. Januar 1999 mit 566,65 DM, ab 1. Januar 2000 mit 586,60 DM und ab 22. Juni 2000 mit 637,49 DM
berechnet. Damit korrespondieren die dem Erstattungsbescheid für die einzelnen Erstattungszeiträume zu Grunde
gelegten kalendertäglichen Leistungssätze. Ebenso sind die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bzw
Rentenversicherung korrekt auf der Grundlage von 80 % des durch sieben geteilten, der Bemessung des Alg zu
Grunde liegenden wöchentlichen Arbeitsentgelts bis zur jeweiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen
Krankenversicherung bzw auf der Grundlage von 80 % des Bemessungsentgelts und der jeweiligen Beitragssätze (§§
232a Abs 1 Nr 1, 241 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, §§ 55, 57 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, §§ 157, 158, 166
Abs 1 Nr 2 SGB VI) berechnet.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG idF des Gesetzes vom 30. März 1998 (BGBl I
638) und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagen von Gesetzes wegen (§ 96 SGG) Gegenstand eines vor dem
Inkrafttreten des neuen Kostenrechts am 2. Januar 2002 rechtshängig gewordenen Verfahrens sind (vgl BSG SozR 3-
2500 § 116 Nr 24).