Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (haftung, unternehmer, verwaltungsakt, haftung des arbeitgebers, unfallversicherung, gesetz, eigenes verschulden, abgrenzung zu, verweisung, planwidrige unvollständigkeit)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 27.5.2008, B 2 U 21/07 R
Gesetzliche Unfallversicherung - Beitragshaftung gem § 150 Abs 3 Alt 2 SGB 7 -
Handlungsform - Verwaltungsakt - Gesamtunternehmer im Baugewerbe -
Bürgenhaftung - Exkulpation - Verweisungsvorschrift - Redaktionsversehen -
Gesetzeslücke - Rechtsfortbildung - analoge Anwendung des für die
Gesamtsozialversicherungsbeiträge geltenden Haftungssystems
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die beklagte
Berufsgenossenschaft (BG) des Baugewerbes die klagende GmbH für Beitragsrückstände der
N-GmbH in Haftung nimmt.
2 Die Klägerin ist ein Unternehmen des Baugewerbes . Sie beauftragte die N-GmbH jedenfalls
in den Jahren 2003 und 2004 mit der Erbringung von Bauleistungen, die diese der Klägerin
mit 11 Rechnungen mit einem Gesamtnettobetrag von 35.212,94 Euro in Rechnung stellte.
Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 4. Mai 2005 der Antrag auf
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der N-GmbH mangels Masse
abgewiesen wurde, nahm die Beklagte die Klägerin aufgrund dieser Bauaufträge für die
Beitragsrückstände der N-GmbH zunächst in Höhe von 2.668,42 Euro in Anspruch (Bescheid
vom 14. September 2005). Im Widerspruchsverfahren reduzierte die Beklagte die
Haftungssumme letztlich auf 2.121,99 Euro (Bescheide vom 27. Oktober 2005 und 2.
Dezember 2005) und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom
22. Februar 2006).
3 Das angerufene Sozialgericht (SG) hat die streitigen Bescheide geringfügig abgeändert und
die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 19. September 2006). Auf die Berufung der
Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie die streitigen Bescheide
aufgehoben. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen (Urteil vom 18. Juni 2007).
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Beklagte zwar zum Handeln durch
Verwaltungsakt befugt gewesen sei. Allerdings handele es sich bei der Verweisung des § 150
Abs 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) lediglich auf § 28e Abs 3a des Vierten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) um ein so genanntes qualifiziertes Redaktionsversehen
des Gesetzgebers, welches durch eine entsprechende Anwendung der Absätze 3b bis 3f des
§ 28e SGB IV im Rahmen der Verweisung des § 150 Abs 3 SGB VII zu korrigieren sei. Aus
den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere aus den Protokollen der
Sitzungen des Vermittlungsausschusses ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein
Auseinanderfallen der ursprünglich gleichlaufenden Haftung im Bereich der
Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung
beabsichtigt gewesen sei. Durch die eingeschränkte Verweisung des § 150 Abs 3 SGB VII
lediglich auf § 28e Abs 3a SGB IV ergäben sich nicht nachvollziehbare Unterschiede in
beiden Haftungssystemen, die durch keine sachlichen Gründe zu rechtfertigen seien. Die
damit zur Anwendung kommende Wertgrenze des § 28e Abs 3d SGB IV sei im vorliegenden
Fall nicht überschritten, was zur Rechtswidrigkeit der streitigen Bescheide führe. Für die
Frage, ob die Wertgrenze von 500.000,- Euro überschritten sei, müsse unter Berücksichtigung
der Entstehungsgeschichte der Norm auf die Summe der in Auftrag gegebenen Leistungen
und nicht auf das Bauvorhaben insgesamt abgestellt werden.
4 Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts,
namentlich des § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e Abs 3a SGB IV. Das LSG habe geltendes
Recht unzulässig erweitert, was nur dem Gesetzgeber selbst zustehe. Die Annahme, die
Verweisung des § 150 Abs 3 SGB VII nur auf § 28e Abs 3a SGB IV stelle ein
Redaktionsversehen dar, sei eine bloße Spekulation, die weder durch den Gesetzeswortlaut
noch durch die Begründung des Gesetzentwurfes gestützt werde. Die sich aus dem Gesetz
ergebenden Differenzen der Haftung im Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und
der Beiträge zur Unfallversicherung seien durch überzeugende Gründe gerechtfertigt. Anders
als im Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge würden in der Unfallversicherung die
Arbeitgeber die von den Unfallversicherungsträgern selbst eingezogenen Beiträge allein
tragen. Die Unfallversicherungsträger würden durch die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht
die Verantwortung für die Arbeitssicherheit und die Kompensation nach Versicherungsfällen
tragen. Der Unfallversicherungsträger erbringe auch Präventionsdienste, die bei Anwendung
der Wertgrenze von 500.000,- Euro teilweise kostenlos erbracht würden. Bei den anderen
Sozialversicherungszweigen würde ein Ausgleich innerhalb der Allgemeinheit erfolgen, bei
der Beklagten jedoch nur durch die Mitgliedsunternehmen. Zudem habe schon § 729 der
Reichsversicherungsordnung (RVO) keine Haftungsbeschränkung vorgesehen. Aus den
Protokollen des Vermittlungsausschusses lasse sich entnehmen, dass nicht über § 150 Abs 3
SGB VII gesprochen worden sei. Daraus lasse sich schließen, dass zu dieser Vorschrift
wegen der Richtigkeit für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung kein
Diskussionsbedarf gesehen worden sei. Schließlich sei ein Handeln der Beklagten durch
Verwaltungsakt zulässig, da die nach § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e Abs 3a SGB IV
Haftenden als Beitragspflichtige anzusehen seien.
5 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Juni 2007 aufzuheben und
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2006 unter Zurückweisung der
Berufung im Übrigen dahin abzuändern, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der
Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes ).
8 Rechtsgrundlage für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder
Werkvertrages im Baugewerbe ist § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII, der § 28e Abs 3a SGB IV für
entsprechend anwendbar erklärt. Nach § 28e Abs 3a SGB IV haftet ein Unternehmer des
Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im
Sinne des § 175 Abs 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beauftragt, für die Erfüllung der
Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten
Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben, war
die Beklagte befugt, ihren Haftungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (dazu
unter 1.). Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des § 28e Abs 3a
Satz 1 SGB IV (dazu unter 2.). Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der
Klägerin findet aber nicht nur der Absatz 3a, sondern finden auch die Absätze 3b bis 3f des §
28e SGB IV Anwendung (dazu unter 3.). Das so verstandene Haftungssystem begegnet
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht auch keine Verpflichtung zur
Vorlage nach Art 234 Abs 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(dazu unter 4.). Es kann allerdings nicht abschließend entschieden werden, ob die
Klägerin der damit grundsätzlich eingreifenden Haftung nach § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e
Abs 3a bis 3 f SGB IV in diesem konkreten Fall unterliegt, da hierzu weitere vom LSG nicht
getroffene Feststellungen notwendig sind (dazu unter 5.).
9 1. Die Beklagte hat zur Geltendmachung des Haftungsanspruches aus § 150 Abs 3 Alt 2
SGB VII zu Recht die Handlungsform des Verwaltungsaktes gewählt.
10 Ein Handeln der Verwaltung durch Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn diese
Handlungsform durch Gesetz gestattet ist (vgl BSG, Urteil vom 28. August 1997 - 8 RKn 2/97
- SozR 3-2600 § 118 Nr 1 S 4; Waschull in LPK-SGB X, § 31 RdNr 2; P. Stelkens/U.
Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl 2001, § 44 RdNr 55; Wolff/Bachof/Stober,
Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Aufl 2000, § 45 RdNr 13a, 14, jeweils mwN). Allein aus der
Zugehörigkeit einer Forderung zum öffentlichen Recht leitet sich noch nicht die Befugnis ab,
diese gegenüber dem Schuldner durch einen Verwaltungsakt geltend zu machen. Die
Befugnis, Rechtsbeziehungen hoheitlich durch Verwaltungsakt zu gestalten, muss vielmehr
dem Versicherungsträger vom Gesetz eingeräumt sein; sie muss sich aus dem materiellen
Recht ergeben, das den betreffenden Rechtsbeziehungen zugrunde liegt. Soweit der
Versicherungsträger nicht ausdrücklich zur Regelung durch Verwaltungsakt ermächtigt wird,
muss jedenfalls aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des zwischen den
Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses zu ersehen sein, dass er berechtigt sein soll, in
dieser Form tätig zu werden (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R -
SozR 4-2700 § 150 Nr 2 RdNr 12).
11 Rechtsgrundlage in diesem Sinne ist im vorliegenden Fall § 168 SGB VII. Nach dessen
Absatz 1 teilt der Unfallversicherungsträger dem Beitragspflichtigen den von ihm zu
zahlenden Beitrag schriftlich mit, und nach dessen Absatz 2 handelt es sich bei dieser
schriftlichen Mitteilung um einen Verwaltungsakt ("Beitragsbescheid"). § 168 SGB VII
beinhaltet also die Ermächtigung der Beklagten, gegenüber den Beitragspflichtigen den von
ihnen zu zahlenden Beitrag durch Verwaltungsakt festzusetzen. Die Norm stellt damit klar,
was aufgrund des Regelungszusammenhanges ohnehin nicht zweifelhaft ist, dass nämlich
der Unfallversicherungsträger bei der Wahrnehmung der ihm vom Gesetz zugewiesenen
Aufgaben der Beitragsfestsetzung und Beitragserhebung als Träger öffentlicher Gewalt tätig
wird (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R - aaO RdNr 13). Dass der
Versicherungsträger dabei dem Beitragpflichtigen im Rahmen eines Über-
/Unterordnungsverhältnisses gegenübertritt und daher durch die Handlungsform des
Verwaltungsaktes seine Ansprüche geltend machen kann, ist seit jeher in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) anerkannt. Denn die Beitragserhebung
ist zur Finanzierung der von den Sozialversicherungsträgern nach dem Gesetz zu
erfüllenden Aufgaben unerlässlich und stellt damit einen Kernbereich ihrer öffentlich-
rechtlichen Tätigkeit dar (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 - BSGE 40, 96, 99
= SozR 2200 § 393 Nr 2 S 5; BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 12 RK 29/77 - BSGE 45,
296, 298 = SozR 2200 § 381 Nr 26 S 65 f; BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 26/79 -
BSGE 49, 291, 295 = SozR 4100 § 145 Nr 1 S 5; BSG, Urteil vom 24. November 1987 - 3 RK
13/87 - BSGE 62, 251, 254 = SozR 1500 § 54 Nr 84 S 83; BSG, Urteil vom 25. Januar 1995 -
12 RK 72/93 - SozR 3-1500 § 54 Nr 22 S 54 f; Senatsurteil vom 13. Dezember 2005, aaO).
12 Die Ermächtigung des § 168 SGB VII, in der Form des Verwaltungsaktes handeln zu dürfen,
erstreckt sich auch auf den Haftungsanspruch aus § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII. Dies ergibt
sich schon aus der Systematik des Gesetzes. § 150 SGB VII ist mit "Beitragspflichtige"
überschrieben. Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass er die in § 150 Abs 3 SGB VII
normierten Ansprüche als eine Art der Beitragspflichten ansieht, für deren Geltendmachung
sich dementsprechend die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt aus § 168 Abs 1, 2
SGB VII ergibt. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn die
Beitragshaftung dient der Sicherung des eigentlichen Beitragsanspruches. Ihre
Durchsetzung verfolgt genauso wie die Beitragsbeitreibung gegenüber dem eigentlichen
Schuldner das Ziel der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme. Es ist daher in der
Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass ein Haftungsanspruch in der Form des
Verwaltungsaktes geltend zu machen ist (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 -
aaO; Urteil vom 7. Dezember 1983 - 7 RAr 20/82 - BSGE 56, 76, 79 = SozR 7685 § 13 Nr 1 S
3; Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 203 = SozR 3-2400 §
28e Nr 2 S 14; Urteil vom 27. September 1994 - 10 RAr 1/92 - BSGE 75, 82, 84 = SozR 3-
7685 § 13 Nr 1 S 3). So wird für den Bereich der unmittelbaren Anwendung der Haftung nach
§ 28 Abs 2 bis 4 SGB IV - teilweise ohne dies überhaupt zu problematisieren - von einer
Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt ausgegangen (vgl BSG, Urteil vom 7. März
2007 - B 12 KR 11/06 R - SozR 4-2400 § 28e Nr 1; vgl auch Bigge in Wannagat, SGB VII,
Stand: April 2007, § 150 RdNr 9; Sehnert in Hauck/ Haines, SGB IV, Stand: November 2007,
§ 28e RdNr 34; Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e RdNr 88).
13 Die konstruktive Anlehnung der Haftung an die einer zivilrechtlichen selbstschuldnerischen
Bürgschaft ändert an diesem Ergebnis nichts. Es ist nicht ersichtlich, dass durch diese
Anleihe im Zivilrecht eine Haftung auf Gleichordnungsebene geschaffen werden sollte, die
im Gegensatz zur übrigen Geltendmachung von Ansprüchen im Beitragsrecht ein Handeln
durch Verwaltungsakt verbieten würde. Vielmehr ging es darum, eine gegenüber der
Gesamtschuldnerschaft inhaltlich weniger komplizierte und inhaltlich mildere Form der
Haftung zu schaffen (vgl BT-Drucks VI/2303 S 16 zu § 393 Abs 3 RVO und BT-Drucks
14/8221 S 15).
14 Schließlich ergibt sich auch nichts Abweichendes aus der Rechtsprechung des BSG zu der
Haftung nach § 729 Abs 2 RVO (vgl Senatsurteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 314/67 -
BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729 RVO; Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - 2 RU
27/89; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1977 - 8 RU 96/76 - SozR 2200 § 729 Nr 1; BSG, Urteil
vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 66/81 - SozR 2200 § 729 Nr 2). Der Senat lässt offen, ob mit
Blick auf die vorstehenden Ausführungen zur Rechtsnatur der Haftungsansprüche im
Beitragsrecht aus heutiger Sicht an dieser Rechtsprechung festzuhalten wäre; denn sie lässt
sich auf die Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII ohnehin nicht übertragen. Bei der
Haftung nach § 729 Abs 2 RVO handelte es sich um ein für das System der gesetzlichen
Unfallversicherung untypisches Instrument, durch das der Bauherr als Privatperson zumeist
außerhalb eines Mitgliedschaftsverhältnisses und jenseits eines
Sozialversicherungsverhältnisses für Beitragsansprüche in Anspruch genommen werden
konnte (vgl Senatsurteil vom 28. August 1990 - 2 RU 52/89 - BSGE 67, 199, 202 = SozR 3-
2200 § 729 Nr 1 S 4). Die Haftung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII richtet sich hingegen
ausschließlich an Unternehmer. Diese sind regelmäßig Mitglied einer BG und zudem auch
Arbeitgeber. Sie sind damit sowohl hinsichtlich der Beiträge zur Unfallversicherung als auch
der Gesamtsozialversicherungsbeiträge in das System der Beitragsfestsetzung und -
erhebung einbezogen. Dabei stehen die Unternehmer sowohl untereinander als auch
gegenüber den Arbeitnehmern in einer "spezifischen Solidaritäts- und
Verantwortungsbeziehung" (vgl dazu Senatsurteil vom 8. Mai 2007 - B 2 U 14/06 R - SozR 4-
2700 § 153 Nr 2). All dies war bei den von § 729 Abs 2 RVO erfassten Bauherren gerade
nicht der Fall. Zudem wurde die Haftung nach § 729 Abs 2 RVO mit Einführung des SGB VII
zum 1. Januar 1997 aufgegeben (vgl BT-Drucks 13/2204 S 110). Ihre strukturellen Wurzeln
hat die Haftung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII daher nicht in § 729 Abs 2 RVO, sondern
vielmehr in der Regelung des § 393 Abs 3 RVO iVm § 729 Abs 4 RVO.
15 2. Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des § 28e Abs 3a Satz 1
SGB IV (vgl zu diesem Begriff BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 - B 2 U 11/07 R), wie sich schon
aus ihrem Namensbestandteil "Baugeschäft" und den für den Senat bindenden (§ 163 SGG)
Feststellungen des LSG ergibt.
16 3. Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin finden nicht nur der
Absatz 3a, sondern auch die Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV Anwendung. Denn die
Gesetz gewordene Fassung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII beinhaltet eine Gesetzeslücke in
Form eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers, welche im Rahmen der
gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch eine Erweiterung der Verweisung des § 150
Abs 3 Alt 2 SGB VII auf die Absätze 3a bis 3f des § 28e SGB IV zu schließen ist.
17 Eine Gesetzeslücke wird allgemein als „planwidrige Unvollständigkeit“ des Gesetzes
definiert. Ob eine solche vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zugrunde
liegenden Regelungsabsicht, der mit ihm verfolgten Zwecke, also des gesetzgeberischen
„Plans“ im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu beurteilen (vgl Larenz,
Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373 mwN).
18 Die Auswertung der Gesetzesmaterialien zur Entstehung von § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII und
§ 28e Abs 3a bis 3f SGB IV ergeben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein
Auseinanderfallen der Haftungssysteme im Bereich der Unfallversicherungsbeiträge und der
Gesamtsozialversicherungsbeiträge gewollt war. Der Regierungsentwurf vom 21. Dezember
2001 (BR-Drucks 1086/01) enthielt als Art 3 Nr 4 den § 28e Abs 3a SGB IV, auf den nach Art
6 Nr 1 in § 150 Abs 3 SGB VII verwiesen wurde. § 28e Abs 3a SGB IV bestand dabei aus
dem Haftungsgrundtatbestand mit einer Exkulpationsregelung und hatte folgenden Wortlaut:
"(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der
Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs 1 des Dritten Buches beauftragt,
haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers, eines von diesem
eingesetzten Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem
Nachunternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge; es sei
denn, er weist nach, dass er auf Grund sorgfältiger Prüfung ohne eigenes Verschulden
davon ausgehen konnte, dass dieser Unternehmer, ein von diesem eingesetzter
Nachunternehmer oder ein von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer
beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Dies gilt entsprechend für die vom
Nachunternehmer
gegenüber
ausländischen
Sozialversicherungsträgern
abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend."
19 Die Ausschussempfehlung des Bundesrates sah die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1
des Gesetzesentwurfes mit der Begründung vor, dass durch diese Regelungen eine enorme
bürokratische und finanzielle Zusatzbelastung vor allem für rechtstreue Unternehmen
entstehen würde (BR-Drucks 1086/1/01 S 16). Der Bundesrat ist dieser Empfehlung in
seinem Beschluss vom 1. Februar 2002 nicht gefolgt (BR-Drucks 1086/01 - Beschluss).
Dementsprechend finden sich diese Regelungen unverändert in dem dann in den
Bundestag eingebrachten Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 14/8221).
Während der Beratungen im Bundestag sah die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Sozialordnung keine Änderung der Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1 vor (BT-Drucks 14/8625),
während ein Änderungsantrag einzelner Abgeordneter deren Streichung wünschte (BT-
Drucks 14/8661). Das Gesetz wurde dann vom Bundestag in der Fassung der BT-Drucks
14/8625 angenommen (BR-Drucks 253/02). Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates
empfahl die Anrufung des Vermittlungsausschusses und wegen schwerwiegender
rechtlicher Bedenken die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1; der Bundesrat folgte
dieser Empfehlung (BR-Drucks 253/1/02 und 253/02 - Beschluss; BT-Drucks 14/8957). Der
Vermittlungsausschuss schlug zu Art 3 Nr 4 die Aufspaltung des § 28e Abs 3a SGB IV in §
28e Abs 3a bis 3f SGB IV vor; Art 6 Nr 1 blieb unberührt (BT-Drucks 14/9630). Das Gesetz
wurde dann in dieser vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Form vom Bundestag
angenommen und ihm wurde vom Bundesrat zugestimmt (BR-Drucks 606/02).
20 Die stenografischen Protokolle der Sitzungen des Vermittlungsausschusses (vgl
Stenografisches Protokoll der 17. Sitzung des Vermittlungsausschusses vom 15. Mai 2002,
der 1. Fortsetzung dieser Sitzung vom 12. Juni 2002 und der 2. Fortsetzung am 27. Juni
2002, angeführt und ausgewertet vom LSG Baden-Württemberg in dem dieser Entscheidung
zugrunde liegenden Urteil) enthalten keinen Hinweis, dass sich der Ausschuss mit den
Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderungen auf die in Art 6 Nr 1 vorgesehene
Verweisung in § 150 Abs 3 SGB VII befasst hat.
21 Die Verweisung des unverändert gebliebenen § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII führt im
Zusammenspiel mit der Aufspaltung und Ergänzung des § 28e Abs 3a SGB IV in der
Fassung des Gesetzesentwurfes zu § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV in der Gesetz gewordenen
Fassung dazu, dass die Haftung im Bereich des SGB IV im Vergleich zur Fassung des
Gesetzesentwurfes verschuldensabhängig bleibt, während sie im Bereich des SGB VII
nunmehr verschuldensunabhängig und damit wesentlich schärfer als im Bereich des SGB IV
und vor allem auch wesentlich schärfer als die im Gesetzesentwurf für beide Bereiche gleich
angelegte Haftung ausgestaltet ist. Hinzu kommt, dass auch die weitere Ausdifferenzierung
der Haftung in § 28e Abs 3c bis 3f SGB IV, insbesondere die Schaffung einer Wertgrenze in
§ 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV, im Bereich des SGB VII nicht zur Anwendung kommt, was eine
weitere Verschärfung der Haftung gegenüber dem Haftungssystem des SGB IV darstellt. Vor
dem Hintergrund, dass es bei den Auseinandersetzungen während des
Gesetzgebungsverfahrens um die Frage ging, ob die Haftung in ihrer ursprünglichen,
verschuldensabhängigen Fassung insgesamt zu weitgehend und damit ganz zu streichen
ist, ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass nunmehr eine im Vergleich zum
Gesetzesentwurf deutlich verstärkte Haftung dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll,
ohne dass es hierzu irgendeine Art der Auseinandersetzung gegeben hätte. Gerade der
Umstand, dass sich die Haftung durch das Beibehalten des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII und
die Änderung des § 28e SGB IV für den Bereich des SGB VII maßgeblich verstärkt, hätte
eine Auseinandersetzung mit dieser zentralen Frage erwarten lassen und geradezu
herausgefordert. Das Schweigen zu diesem Punkt macht deutlich, dass dieser Punkt schlicht
übersehen wurde.
22 Nachhaltige Gründe, die aus teleologischer oder systematischer Sicht ein derartiges
Auseinanderfallen der Haftung im Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der
Beiträge zur Unfallversicherung erfordern könnten, sind nicht ersichtlich.
23 Der maßgebliche Grund dafür, dass die Beiträge zur Unfallversicherung nicht gemeinsam
mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen eingezogen werden, liegt in der Art und Weise
ihrer Ermittlung und Festsetzung. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge lassen sich für
den zur Abführung verpflichteten Arbeitgeber leicht ermitteln und sind von ihm eigenständig
abzuführen. Eines Verwaltungsaktes bedarf es hierfür nur im Streitfall (vgl BSG, Urteil vom 8.
Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 201 = SozR 3-2400 § 28e Nr 2). Die
Beiträge zur Unfallversicherung werden hingegen im Wege der nachträglichen
Bedarfsdeckung für jedes Unternehmen konkret ermittelt und durch Verwaltungsakt
festgesetzt (vgl §§ 152 ff SGB VII). Dieser Umstand vermag jedoch einen unterschiedlichen
Haftungsmaßstab in beiden Bereichen nicht zu rechtfertigen.
24 Gleiches gilt für einen Vergleich mit der Haftung des früheren § 729 Abs 2 RVO bzw des §
1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG). Hinsichtlich der Regelung des inzwischen
aufgehobenen § 729 Abs 2 RVO wurde schon unter 1. darauf hingewiesen, dass diese nicht
mit der hier in Rede stehenden Haftung vergleichbar ist. Die verschuldensunabhängige
Haftung des § 1a AEntG dient dem unmittelbaren Schutz des Lohnanspruches des
Arbeitnehmers und verfolgt daher eine andere Schutzrichtung als die hier in Rede stehende
Haftung. Denn im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Versicherte
unabhängig von der Zahlung der Versicherungsbeiträge geschützt. Dieser Gesichtspunkt
vermag daher hier keine verstärkte Haftung des Arbeitgebers zu rechtfertigen (vgl BVerfG,
Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609, 611).
25 Die somit aus einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers resultierende Gesetzeslücke ist
im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die
Reichweite der Verweisung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII über ihren Wortlaut hinaus auf die
Anwendbarkeit von § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV erweitert wird. Dass dabei die Grenze des
Wortlautes des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII überschritten wird (vgl LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 26. Januar 2007 - L 4 U 57/06; SG Berlin, Urteil vom 26. Februar 2007 - S 25 U
732/06; Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: Januar 2008, § 150 RdNr 20a; Bigge in
Wannagat, SGB VII, aaO, § 150 RdNr 9), steht dem nicht entgegen. Denn es liegt in der
Natur der rechtsmethodischen Figur der Rechtsfortbildung, dass dabei - in Abgrenzung zu
den Grundsätzen der Auslegung eines Gesetzes - die Grenze des Wortlautes der Norm
überschritten wird (Larenz, aaO, S 366). Da sich die Rechtsfortbildung an die
Regelungsabsicht, den Plan und die immanente Teleologie des Gesetzes hält, welches
fortgebildet wird, maßt sich die Judikative dabei keine Befugnisse der Legislativen an,
sondern verhilft deren Werk vielmehr auch in ungewollt lückenhaften Bereichen zur
gewollten Geltung.
26 4. Die um das Redaktionsversehen bereinigte Haftung des § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e
Abs 3a bis 3f SGB IV begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht
kein Anlass zu einer Vorlage nach Art 234 Abs 3 EGV.
27 Die Haftung stellt zwar eine Berufsausübungsregelung dar und greift damit in den
Schutzbereich des Art 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) ein, dieser Eingriff ist jedoch
verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Haftung dient der Wiederherstellung der Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt und der finanziellen Stabilität der Versicherungsträger (vgl BT-Drucks
14/8221 S 12). Beide Ziele sind als Gemeinschaftsgüter von hoher Bedeutung anerkannt
(vgl BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609 mwN). Die
Haftung ist ein geeignetes, erforderliches und unter Berücksichtigung der bestehenden
Exkulpationsmöglichkeit verhältnismäßiges Mittel zur Durchsetzung der genannten Ziele (vgl
auch Sehnert in Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 13; Felix in Wannagat, SGB IV,
aaO, § 28e RdNr 33; zu § 1a AEntG vgl BVerfG, aaO, NZA 2007, 609, 611).
28 Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 GG ist nicht
ersichtlich. Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und
wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1
BvR 1554/89 - BVerfGE 98, 365, 385). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
kommt daher in Betracht, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten im
Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen
keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (stRspr des BVerfG, vgl Beschluss vom 26. Juni
2007 - 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr 10 RdNr 32).
29 Die Beschränkung der Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII auf Unternehmer des
Baugewerbes, die andere Unternehmer mit der Ausführung von Bauleistungen beauftragen,
ist sachlich gerechtfertigt (vgl Sehnert in Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 14). Nach
den Erkenntnissen des Gesetzgebers ist für das Baugewerbe der Einsatz von
Nachunternehmern typisch und die illegale Beschäftigung im Baugewerbe ausgeprägt (vgl
BT-Drucks 14/8221 S 16). Dies rechtfertigt die Beschränkung der Haftung auf Unternehmer
des Baugewerbes und verlangt nicht die Einbeziehung weiterer Branchen in die Haftung. Da
Haftungsgrund die gewerbliche Beauftragung eines Nachunternehmers mit der
Durchführung der Bauleistungen ist, ist es gerechtfertigt, die Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2
SGB VII auf gewerbliche Bauunternehmer zu beschränken und andere Unternehmer, die als
Bauherrn auftreten, von der Haftung auszunehmen.
30 Da der vorliegende Fall einen rein innerstaatlichen Sachverhalt ohne Verbindung zum
Europäischen Recht aufweist, kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach
Art 234 Abs 3 EGV schon aus diesem Grund nicht in Betracht (vgl BSG, Beschluss vom 28.
September 2005 - B 6 KA 19/05 B und Beschluss vom 27. April 2006 - B 6 KA 38/04 B,
jeweils mwN).
31 5. Ob die Voraussetzungen der Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII iVm § 28e Abs 3a
bis 3f SGB IV im vorliegenden Fall erfüllt sind, konnte der Senat nicht abschließend
entscheiden, weil das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur Prüfung
der Voraussetzungen des § 28e Abs 3b und 3d Satz 1 SGB IV enthält.
32 § 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV lässt die Haftung des Absatz 3a erst ab einem geschätzten
Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 500.000,- Euro
eingreifen. Dabei kommt es nach dem Wortlaut der Regelung nicht auf den Wert des für den
konkreten Haftungsanspruch in Rede stehenden Auftrags, sondern auf den Gesamtwert aller
für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen an, ohne dass es eine Rolle spielt,
wer diese Aufträge erteilt hat (vgl Sehnert in Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 19;
Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e RdNr 77; Felix in Wannagat, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 35;
Rixen, SGb 2002, 536, 538). Die Haftung greift damit erst ab einer bestimmten Größe des
Bauwerkes, für das der Auftrag erteilt wurde, ein. Auf diese Weise werden kleinere
Bauvorhaben mit einem kalkulatorischen Vorteil begünstigt und wirtschaftlich gesehen die
mittelständischen Bauunternehmen und die Betriebe des Handwerks, insbesondere im
Reihen- und Einfamilienhausbau, gefördert (vgl Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e RdNr 77).
Nur bei einem solchen Verständnis der Regelung macht auch der Verweis des § 28e Abs 3d
Satz 2 SGB IV auf § 3 der Vergabeverordnung vom 9. Januar 2001 (BGBl I 110) Sinn. Denn
wollte man mit dem LSG auf den Wert des konkret in Rede stehenden Auftrags abstellen (so
auch Seewald in Kasseler Kommentar, SGB IV, Stand: Dezember 2007, § 28e RdNr 36),
fragt es sich, wofür eine Schätzung erforderlich sein sollte, da davon ausgegangen werden
kann, dass dieser Wert regelmäßig bekannt ist.
33 Es ist daher bezogen auf den vorliegenden Fall zunächst festzustellen, für welche Bauwerke
die hier in Rede stehenden Aufträge der Klägerin an die N-GmbH erteilt wurden. Dann ist im
Rahmen einer Schätzung nach den Maßgaben des § 28e Abs 3d Satz 2 SGB IV zu ermitteln,
ob der Wert aller für das jeweilige Bauwerk insgesamt in Auftrag gegebener Bauleistungen
500.000,- Euro übersteigt. Ein Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin
kommt dann überhaupt nur in Bezug auf die in Rechnung gestellten Aufträge in Betracht, die
für ein Bauwerk erteilt wurden, bei dem diese Wertgrenze von 500.000,- Euro überschritten
wurde. Der Wert des konkreten Auftrags der Klägerin an die N-GmbH spielt nicht hier,
sondern erst bei der konkreten Höhe des gegebenenfalls bestehenden Haftungsanspruches
der Beklagten gegenüber der Klägerin eine Rolle.
34 Der Senat kann die Prüfung des § 28e Abs 3d SGB IV nicht vornehmen, da die hierfür
notwendigen Feststellungen vom LSG nicht getroffen wurden und von dem Senat nicht
selbst nachgeholt werden können. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Für den Fall des
Überschreitens der Wertgrenze des § 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV wird das LSG außerdem zu
entscheiden haben, ob sich die Klägerin nach § 28e Abs 3b SGB IV exkulpieren kann.
35 Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
36 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung, die hier gemäß §
72 Nr 1 GKG anzuwenden ist.